Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

10.03.2022

Geschäftszahl

L507 2213911-1

Spruch


L507 2213911-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Jordanien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2021 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein jordanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 26.11.2017, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.11.2017 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er von Verwandten mit der Ermordung bedroht worden sei, weil er sich geweigert habe, eine falsche Zeugenaussage zu tätigen. Die Verwandten hätten im Dezember 2015 sein Haus niedergebrannt und dreimal auf den Beschwerdeführer geschossen. Das erste Mal hätten sie am 06.11.2015, danach im Jänner 2016, als sein Haus niedergebrannt worden sei und das letzte Mal am 10.10.2017 auf den Beschwerdeführer geschossen. Aus Angst um sein Leben habe er Jordanien verlassen.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 14.06.2018 brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass in Jordanien sein Leben in Gefahr sei. In vier Jahren sei fünfmal versucht worden, ihn umzubringen. Angefangen habe es damit, dass er eine Auseinandersetzung zwischen zwei Männern gesehen habe und der Beschwerdeführer mit einem der Männer in Streit geraten sei. Der Beschwerdeführer habe keine Probleme gewollt und sei einfach weitergegangen. Der zweite Mann sei mit dem Beschwerdeführer mitgegangen. Der andere Mann habe eine Kalaschnikow dabeigehabt und plötzlich auf den Beschwerdeführer und den zweiten Mann geschossen. Danach sei er einfach gegangen. Am zweiten Tag habe der Mann jenen Mann getötet, der mit dem Beschwerdeführer mitgegangen sei. Der Beschwerdeführer sei als Zeuge vorgeladen worden und habe dabei angegeben, was tatsächlich passiert sei. Der Beschwerdeführer habe für niemanden der beiden Partei ergriffen. Einen Tag danach seien mehrere Männer zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und hätten geschrien, dass sie ihn haben wollen. Sie hätten gefragt, weshalb der Beschwerdeführer keine Falschaussage gemacht habe und dann auf den Beschwerdeführer und seinen Bruder geschossen, obwohl die Polizei da gewesen sei. Die Polizei könne in solchen Fällen nichts machen, weil alles familiär geregelt werde. Sie hätten Anzeige erstatten wollen, die Polizei habe diese aber nicht aufgenommen. Die anderen hätten den Beschwerdeführer angezeigt. An dem Tag sei die Polizei von den anderen mit einer Einladung zum Essen bestochen worden. Ein Jahr nach diesem Fall sei der Beschwerdeführer zu Hause gewesen und habe Oliven geerntet. Die Brüder des Beschwerdeführers seien gerade in der Moschee gewesen, als die anderen wieder angefangen hätten zu schießen. Sie hätten den Beschwerdeführer mit einer Machete angegriffen und habe der Beschwerdeführe an mehreren Stellen Narben davongetragen. Beim Beschwerdeführer zu Hause sei alles zerstört worden. Fünf Minuten nachdem der Beschwerdeführer weggewesen sei, hätten sie das Haus des Beschwerdeführers niedergebrannt. Der Beschwerdeführer und seine Familie seien dann von dort weggezogen. Als der Beschwerdeführer einmal zurückgekehrt sei, um nach den Bäumen und Blumen zu schauen, habe er sie wieder schreien gehört. Sie hätten geschrien, dass er umgebracht werden soll. Dann hätten sie sich wieder vertragen, es sei irgendwann aber wieder losgegangen. Einen Monat danach sei er beim Passamt gewesen, um seinen Pass verlängern zu lassen. Er sei dagesessen und habe gesehen, dass von hinten jemand mit einer Eisenstange auf seinen Kopf geschlagen habe. Obwohl der Beschwerdeführer bei der Polizei Anzeige erstattet habe und die Täter unterschrieben habe, dass sie es nie wieder machen würden, sei er nie von den Sicherheitskräften unterstützt worden.

2. Mit Bescheid des BFA vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen. Gemäß
§ 8 Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Jordanien abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Jordanien gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Beweiswürdigend wurde vom BFA ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe keine Asylrelevanz aufweisen würden und der Beschwerdeführer erfolgreich eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch genommen habe. Weiters wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch keine Gefahren drohen, die eine Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG nicht vorliegen.

3. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 04.01.2019 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen mit Schreiben vom 17.01.2019 fristgerecht Beschwere erhoben wurde.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers seitens des BFA nicht richtig beurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer sei wegen seiner Zeugenaussage von privaten Personen verfolgt worden und hätten ihn die jordanischen Sicherheitsbehörden nicht schützen können. Bei einer Rückkehr sei der Beschwerdeführer aus Rache Verfolgungshandlungen seitens der Familie seines Onkels bzw. seiner Feinde ausgesetzt. Der jordanische Staat sei nicht in der Lage, Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure oder durch Stammeseinflüsse zu bieten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Urteil gegen die Angreifer sei bis heute nicht durchgesetzt und die Täter nicht festgenommen werden. Letztlich wurde noch auf die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers hingewiesen.

4. Am 18.11.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. Dabei wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Zudem wurde der Beschwerdeführer zu seinen Integrationsbemühungen befragt und ihm Berichte zur aktuellen Situation in Jordanien ausgehändigt. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eingeräumt.

Mit Schreiben vom 02.12.2021 wurde eine Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung ausgehändigten Länderberichte erstattet. Ausgeführt wurde darin, dass die Länderberichte nicht aktuell sowie vollständig seien. Es gehe aber jedenfalls daraus hervor, dass der Beschwerdeführer keinen ausreichenden Schutz vor der „gegnerischen“ Familie erhalte. Dem Schreiben wurden zudem Berichte zum jordanischen Klan-System bzw. zu Klan-Konflikten beigelegt.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist jordanischer Staatsbürger, Angehöriger der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitisch-muslimischen Glaubensgemeinschaft.

Er wurde in römisch 40 geboren, besuchte dort die Schule bis zur Matura und studierte anschließend Sonderpädagogik in römisch 40 . Nach dem Studium eröffnete der Beschwerdeführer einen Imbiss in römisch 40 und betrieb diesen von 2007 bis 2011. Danach betrieb der Beschwerdeführer acht Monate lang ein anders Geschäft, ehe er wieder in sein Heimatdorf zurückkehrte, wo er in der elterlichen Landwirtschaft arbeitete. Der Beschwerdeführer war auch als Sonderpädagoge (Lehrer) in zwei Schulen tätig. Zuletzt lebte er mit seiner Familie in römisch 40 .

Der Beschwerdeführer war in Familienstreitigkeiten innerhalb seines Klans verwickelt.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In Jordanien halten sich nach wie vor die Eltern, fünf Schwestern sowie fünf Brüder des Beschwerdeführers auf. Die Mutter ist Hausfrau und der Vater arbeitet als Flugzeugelektriker. Die Schwestern des Beschwerdeführers sind Hausfrauen. Ein Bruder ist Beamter, einer Bruder ist Anwalt, zwei Brüder sind Buchhalter und ein Bruder arbeitet im Transportbereich eines Flughafens. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in Jordanien regelmäßig in Kontakt.

Am 20.11.2017 hat der Beschwerdeführer Jordanien verlassen und reiste im November 2017 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Seither ist er durchgehend im Bundesgebiet aufhältig.

Der Beschwerdeführer bezog bis November 2021 Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber.

Am 25.08.2021 meldete der Beschwerdeführer das Gewerbe „Hausbetreuung“ bei der Bezirkshauptmannschaft römisch 40 an (Gewerbeanmeldung vom 25.08.2021) und ist seit 04.11.2021 laufend bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen gemeldet.

Am 13.09.2021 hat der Beschwerdeführer mit der römisch 40 einen Nachunternehmervertrag abgeschlossen. Die vereinbarte Leistung umfasste die Erbringung von Servicetätigkeiten im Bereich Facility Management bei Kunden der römisch 40 (Nachunternehmervertrag vom 13.09.2021).

Der Beschwerdeführer hat in Österreich Deutschqualifizierungsmaßnahmen besucht und spricht auf dem Niveau A2 die deutsche Sprache.

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig, in Österreich strafrechtlich unbescholten und pflegt soziale und freundschaftliche Kontakte.

Seit ca. Februar 2020 führt der Beschwerdeführer eine freundschaftliche Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen. Mit dieser lebt der Beschwerdeführer in keinem gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer besucht seine Freundin, übernachtet auch bei dieser und finden gemeinsame Freizeitunternehmungen statt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Jordanien vor seiner Ausreise einer individuellen asylrelevanten Verfolgung durch staatliche Organe ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in nach Jordanien einer solchen ausgesetzt wäre.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.2. Zur Lage in Jordanien wird festgestellt:

Politische Lage

Jordanien ist eine konstitutionelle Erbmonarchie und verfassungsmäßig als Zentralstaat mit zwölf Gouvernements organisiert. Diese nehmen administrative Aufgaben wahr, haben aber keine eigenen politischen Befugnisse. Staatsoberhaupt ist König Abdullah römisch II (AA 10.1.2020; vergleiche AA 10.1.2020a; USDOS 11.3.2020), der 1999 seinem Vater König Hussein nachfolgte. Hussein hatte das Land zuvor 46 Jahre lang regiert. Der Monarch nimmt in der künstlich geschaffenen Nation eine einende, identitätsstiftende Funktion wahr. Die königliche Familie führt ihre Abstammung auf die Familie des Propheten Muhammad, die Haschemiten, zurück und gibt sich dadurch religiöse Legitimation. Der Monarch ist aufgrund seiner Herkunft aus dem saudi-arabischen Hidschaz und somit als quasi Außenstehender in der Lage, die Rolle eines über allen Gruppierungen stehenden Schiedsrichters wahrzunehmen. Diese allgemein akzeptierte ausgleichende Funktion hält die Eskalation von Konflikten zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen hintan, wenngleich diese durch einseitige Parteinahme oder Beschuldigung der Illoyalität oft gegeneinander ausgespielt werden (bpb 11.7.2016) Der Islam ist Staatsreligion. Die Staats- und Amtssprache ist Arabisch (GIZ 3.2020a).

Formal sind Exekutive, Legislative und Judikative unabhängig. Faktisch ist die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt, da der König über weitreichende Kompetenzen verfügt. König Abdullah römisch II. ist Staatschef, Regierungschef und Oberbefehlshaber der Armee. Der König (nicht der Premierminister) ernennt und entlässt das Kabinett, er kann das Parlament auflösen, und er kann Gesetze auf den Weg bringen oder blockieren. Im Jahr 2012 wurden die Rechte des Parlaments insofern gestärkt, als dieses nun zumindest formal den Premierminister bestimmen soll. Außerdem wurde ein Verfassungsgericht installiert, das die Gesetzgebung überwachen soll. Weitere Gesetzesreformen, zuletzt im April 2016, haben die Machtfülle des Königs einmal mehr bestätigt (GIZ 3.2020a).

Das Parlament besteht aus zwei Kammern, dem vom Volk gewählten Unterhaus (Repräsentantenhaus, Majlis al-Nuwwab) und dem Oberhaus (Senat, Majlis al-Ayan), dessen 65 Mitglieder direkt vom König ernannt werden. Das Unterhaus hat nach dem 2016 reformierten Wahlrecht nun 130 Sitze (GIZ 3.2020a; vergleiche USDOS 11.3.2020). 29 Sitze wurden per Quote verteilt (15 an Frauen, 9 an Christen, 3 für sonstige Minderheiten). Darüber hinaus zogen fünf weitere Frauen ein, sodass das neue Parlament mit 20 Parlamentarierinnen den höchsten Frauenanteil in seiner Geschichte aufweist (GIZ 3.2020a).

Die Parlamentswahlen sind in Jordanien frei, gleich und geheim. Durch den Abstimmungsmodus und die Aufteilung der Wahlkreise wird jedoch gesichert, dass die promonarchischen und Mitte-Rechts-Kräfte im Parlament die Oberhand behalten. In palästinensisch dominierten Gebieten wie z.B. Zarqa oder Irbid brauchen Kandidatinnen und Kandidaten wesentlich mehr Stimmen als in den königstreuen Gebieten des Südens. Insgesamt sind die Einflussmöglichkeiten des Parlaments aufgrund der Machtfülle des Königs begrenzt. Zudem bildet der König das Ministerkabinett häufig um, wodurch dessen parteipolitische Ausrichtung nur selten der aktuellen Zusammensetzung des Parlaments entspricht. Das Unterhaus hat im politischen System Jordaniens vor allem Ventil- und Beratungsfunktionen. Da ein Sitz im Parlament mit zahlreichen materiellen Vergünstigungen verbunden ist (gutes Monatsgehalt, Dienstwagen, Beihilfen zur Wohnung, Pensionsansprüche nach Ende des Mandats), dient das Parlament auch der Einbindung von Oppositionellen und relevanten Eliten ins Herrschaftssystem (GIZ 3.2020a).

Jenseits der gewählten Parlamente bzw. Stadträte kennt Jordanien auch traditionelle Formen der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Vor allem in ländlichen Gebieten, aber zunehmend auch in Städten kommen sogenannte "Ältestenräte" oder "Stammesräte" (Al, Ashira, Qabila) zusammen, um Land-, Wasser- oder Familienkonflikte zu lösen ("Sulha"). Teilweise mieten oder kaufen Stämme oder Großfamilien für diesen Zweck in den Städten eigene Räume an ("Diwan"). Wie im Parlament und in den Stadträten sind Frauen in diesen traditionellen Gremien kaum vertreten (GIZ 3.2020a).

Die aktuelle Regierung unter Premierminister Dr. Omar Razzaz wurde im Juni 2018 vom König vereidigt (AA 10.1.2020; vergleiche GIZ 3.2020a).

Die letzten Unterhauswahlen fanden am 20.9.2016 statt. Wahlbeobachter stellten fest, dass die Wahl im Allgemeinen frei, fair und technisch gut organisiert durchgeführt wurde. Allerdings wurden Vorbehalte gegen Unzulänglichkeiten im rechtlichen Rahmen der Wahlen geäußert; auch wurde kritisiert, dass den Bezirken die Sitze nicht proportional zur Bevölkerungszahl zugewiesen werden (USDOS 11.3.2020; vergleiche GIZ 3.2020a). Bei der Parlamentswahl vom 20.9.2016 gaben laut der offiziellen Wahlkommission rund 37 Prozent der insgesamt 4 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung sank damit auf ein historisches Tief. Insgesamt wurden islamische und säkulare Kräfte (Liste "Ma´an" - "Gemeinsam") sowie Frauen leicht gestärkt. Bei der Wahl kam ein erneut reformiertes Wahlrecht zur Anwendung. Außerdem nahmen die Muslimbrüder nach jahrelangem Boykott wieder an der Wahl teil. An den bisherigen Machtverhältnissen hat dies allerdings nichts geändert (GIZ 3.2020a).

Jordaniens Politik, auch die Innenpolitik ist durch den Nahostkonflikt geprägt. Schätzungsweise 60 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Jordaniens sind palästinensischer Abstammung. Nicht alle, aber viele von ihnen sprechen der haschemitischen Dynastie das Recht ab, über sie zu herrschen. Wegen dieses Legitimationsdefizits befindet sich Jordanien innenpolitisch in einer Art Dauerkrise, die je nach regionaler und internationaler politischer Konjunktur einmal mehr, einmal weniger deutlich zu spüren ist. Im Zuge des arabischen Frühlings ist die Kritik am König, der Königsfamilie und dem Machtapparat lauter geworden. Die traditionell loyalen Stämme und Veteranen des Militärs schrieben offene Briefe an den König, in denen sie den luxuriösen Lebensstil von Königin Rania kritisierten. Sogar Rufe nach einer Abdankung von Abdullah römisch II. zugunsten des Halbbruders und ehemaligen Kronprinzen Hamza wurden laut (GIZ 1.2020a).

Angesichts der mannigfaltigen Herausforderungen kommt es für die Haschemiten innenpolitisch darauf an, trotz der demografischen Unterlegenheit der ostjordanischen Ursprungsbevölkerung das Überleben der Monarchie zu sichern. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass man die palästinensischstämmige Bevölkerungsmehrheit von der politischen Teilhabe weitgehend ausschließt (GIZ 3.2020a).

Jordanien ist eines der zwei arabischen Länder, die einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet haben (CNRR 6.2019; vergleiche AA 10.1.2020).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (10.1.2020): Jordanien: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/steckbrief/218006, Zugriff 12.2.2020

-AA - Auswärtiges Amt (10.1.2020a): Jordanien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/politisches-portrait/218042, Zugriff 18.3.2020

-CNRR - Romanian National Council for Refugees (6.2019): Country File - Country of origin information on Jordan, https://www.portal-ito.ro/#/view/cd39d0e5-566e-44a1-879e-bbb788c6113e, Zugriff 18.3.2020

-bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (11.7.2016): Jordanien auf einen Blick: Geschichte, Politik, Wirtschaft, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/230880/geschichte-politik-wirtschaft, Zugriff 18.3.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Sicherheitslage

Laut den Sicherheits- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amtes besteht insbesondere aufgrund der Lage in Syrien und im Irak landesweit die Gefahr von Terroranschlägen in Jordanien und eine Sicherheitsgefährdung, auch an Orten, die von Ausländern besucht werden. Die jordanischen Behörden haben daher ihre Sicherheitsvorkehrungen an diesen Orten entsprechend erhöht. An den Grenzen zu Syrien und dem Irak kommt es wiederholt zu Zwischenfällen und vereinzelten Auseinandersetzungen. Das syrisch-jordanische und das irakisch-jordanische Grenzgebiet sind militärisches Sperrgebiet (AA 19.3.2020). Gemäß französischem Außenministerium besteht im gesamten Land die Notwendigkeit erhöhter Aufmerksamkeit. Aufgrund permanenter Spannungen sollten laut französischem Außenministerium in die Stadt Ma‘an nur zwingend nötige Reisen erfolgen. Jordanien ist ständig von Angriffen bedroht (FD 19.3.2020).

2018 bedrohten terroristische Angriffe die Sicherheit. Im August 2018 wurde bei einem Bombenanschlag auf ein Polizeiauto, ein Offizier getötet und sechs weitere verletzt. Die Tätern folgten der Ideologie der militanten Gruppe "Islamischer Staat" (IS). Bei einer anschließenden Razzia, kamen vier Sicherheitsbeamte und drei mutmaßliche Kämpfer ums Leben, außerdem wurden 20 Zivilisten verletzt (FH 4.2.2019). Am 6.11.2019 griff eine Person an der archäologischen Stätte von Jerash im Norden des Landes mehrere Personen, darunter auch Touristen, mit einem Messer an (FD 19.3.2020).

Die jordanischen Behörden gehen auf diese Bedrohung ein und mobilisieren weiterhin, um die Gefahr von Terroranschlägen oder Infiltrationen an den Grenzen zu verhindern. Die meisten öffentlichen und touristischen Orte unterliegen einer verstärkten Überwachung, manchmal mit Sicherheitskontrollen, die eingehalten werden müssen. Von Reisen in die Grenzgebiete zum Irak und zu Syrien wird generell abgeraten (FD 19.3.2020).

In Jordanien kommt es sowohl in Amman als auch in anderen Städten und Ortschaften des Landes vor allem an den Wochenenden nach dem Freitagsgebet des Öfteren zu Demonstrationen und Protestaktionen, in denen verschiedene Bevölkerungsgruppen ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen artikulieren. In der Folge kann es zu Verkehrsbeeinträchtigungen und auch vereinzelten gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen (AA 19.3.2020).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (19.3.2020): Jordanien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008, Zugriff 19.3.2020

-FD - France Diplomatie (19.3.2020): Conseils aux Voyageurs - Jordanie, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/jordanie/, Zugriff19.3.2020

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008161.html, Zugriff 16.4.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 11.3.2020); die Unabhängigkeit der Justiz wird allerdings auch eingeschränkt. Nach den Verfassungsänderungen von 2016 ernennt der König einseitig das gesamte Verfassungsgericht und den Vorsitzenden des Justizrates, der die Richter für das Zivilgerichtssystem benennt und sich überwiegend aus hochrangigen Mitgliedern der Justiz zusammensetzt. Die Richter, sowohl des Zivilgerichts als auch des Scharia-Gerichts (islamisches Recht), die sich mit Personenstandsangelegenheiten von Muslimen befassen, werden per königlichem Erlass formell ernannt (FH 4.2.2019).

Im August 2019 wurde durch eine Gesetzesänderung Richtern eine lebenslange Amtszeit gewährt, wodurch die richterliche Unabhängigkeit gestärkt wurde, wie lokale NGOs berichten (USDOS 11.3.2020).

In Bezug auf den Rechtsstaat und gute Regierungsführung weist Jordanien nach wie vor beachtliche Defizite auf. Das politische System ist von persönlichen Abhängigkeiten und Klientelbeziehungen geprägt. Einheimische und Ausländer klagen gleichermaßen über Vetternwirtschaft. Problematisch ist auch die gelegentlich mangelnde Neutralität der Justiz: Wer mit politisch einflussreichen Geschäftspartnern in Konflikt gerät, kann sich nicht immer auf die Unabhängigkeit der Richter, geschweige denn auf eine zeitnahe Abwicklung von Klagen und Prozessen verlassen (GIZ 3.2020a).

Per Gesetz sind alle Zivilgerichtsverhandlungen und Verhandlungen zu staatssicherheits-relevanten Fällen öffentlich, es sei denn das Gericht beschließt, dass es für den Schutz der Allgemeinheit notwendig ist, die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Es gilt die Unschuldsvermutung (USDOS 11.3.2020). Die Polizei kann Verdächtige bis zu sechs Monate festhalten, ohne formelle Anklage zu erheben, und die Gouverneure sind befugt, Verwaltungshaft bis zu einem Jahr zu verhängen. In der Praxis ignorieren die Behörden oft die verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrungen gegen willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und halten Personen ohne Kontakt zur Außenwelt oder über die gesetzlichen Fristen hinaus fest. Angeklagte haben in der Regel vor Prozessbeginn keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, was ihre Möglichkeiten zur Verteidigung beeinträchtigt. Trotz eines verfassungsrechtlichen Verbots akzeptieren Gerichte unter Folter erzwungen Geständnisse (FH 4.2.2019). Angeklagte haben das Recht auf einen Rechtsbeistand, der – im Fall von Anklagen für Verbrechen, die mit der Todesstrafe bzw. lebenslänglicher Haft bestraft werden – bedürftigen Personen auf Staatskosten zur Verfügung gestellt wird (USDOS 11.3.2020). Jedoch haben in der Praxis viele Angeklagte in strafrechtlichen Fällen vor und während des Verfahrens keinen Rechtsbeistand (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.2.2019). Die Behörden missachteten das Recht der Angeklagten auf frühzeitige und detaillierte Information über ihre Anklagepunkte, auch wurde ihnen oft keine angemessene Zeit zur Vorbereitung des Gerichtsprozesses zur Verfügung gestellt. Ausländische Einwohner, insbesondere GastarbeiterInnen, die nicht arabisch sprechen, erhielten zum Teil keine Übersetzungen bzw. keinen Rechtsbeistand. Angeklagte können Einspruch erheben (USDOS 11.3.2020). Obwohl die Verfassung durch Folter erzwungene Geständnisse nicht zulässt, dokumentierten Menschenrechtsorganisationen regelmäßig Fälle, in denen die Gerichte solche erzwungenen Geständnisse dennoch gelten ließen (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.2.2019).

Im Laufe des Jahres [2019] richtete das Justizministerium in Zusammenarbeit mit der jordanischen Anwaltskammer und einer Menschenrechts-NGO eine eigens dafür vorgesehene Einheit ein, die Zeugen und Angeklagten gemäß dem gesetzlichen Auftrag Rechtsbeistand gewährt. Bis Oktober erhielten mehr als 550 Personen im Rahmen dieses Programms Rechtshilfe (USDOS 11.3.2020).

Die Behörden hielten weiterhin Verdächtige nach dem Verbrechensverhütungsgesetz von 1954 fest, das Haftstrafen von bis zu einem Jahr ohne Anklage, Gerichtsverfahren oder andere Rechtsmittel zuließ (HRW 14.2.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020). Laut einem Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2019 nahmen die Behörden routinemäßig Frauen in "Schutzhaft" (eine Art informeller Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren), um Fälle von außerehelichem Geschlechtsverkehr über Abwesenheit von zu Hause bis hin zur sexuellen Gewalt zu bearbeiten, die alle Frauen dem Risiko sogenannter "Ehrenverbrechen" aussetzen könnten. Im August 2018 eröffnete das Ministerium für soziale Entwicklung ein Schutzhaus für etwa 40 Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt und "Ehrenverbrechen" bedroht sind. Während die Behörden zuvor alle diese Frauen in denselben administrativen Haftanstalten wie Kriminelle gefangen hielten, begann das Direktorat für öffentliche Sicherheit (PSD) damit, einige direkt in das Schutzhaus zu verlegen (USDOS 11.3.2020).

Im Staatssicherheitsgericht (SSC) haben Angeklagte das Recht, gegen das Urteil Berufung beim Kassationsgericht einzulegen, das befugt ist, sowohl Fakten als auch Rechtsfragen zu überprüfen (USODS 11.3.2020).

Quellen:

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008161.html, Zugriff 18.3.2020

-HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022734.html, Zugriff 18.3.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Sicherheitsbehörden

Das Direktorat für öffentliche Sicherheit (PSD, Public Security Directorate) kontrolliert die allgemeinen Polizeifunktionen (USDOS 11.3.2020; GIZ 3.2020a). Das PSD, das GID (General Intelligence Department – der Geheimdienst, arabisch "Mukhaabaraat"), das unter anderem auch mit Spionage und Terrorbekämpfung betraut ist, die Gendarmerie, das Civil Defense Directorate und das Militär teilen sich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Das PSD und die Gendarmerie unterstehen dem Innenministerium mit – bei Bedarf – direktem Zugang zum König; das GID berichtet in der Praxis direkt dem König. Zivile Behörden behielten damit die Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Die Struktur der jordanischen Polizei ist dreigeteilt:

•Städtische Polizei

•Ländliche Polizei

•Wüstenpolizei oder Königliche Wüstenpolizei, die sich vorwiegend aus Beduinen zusammensetzt; diese wurde in den vergangenen Jahren personell stark aufgestockt (GIZ 3.2020a)

Nach Angaben der Behörden wurden alle gemeldeten Vorwürfe des Missbrauchs in der Haft gründlich untersucht, aber Menschenrechts-NGOs stellten die Unparteilichkeit dieser Untersuchungen infrage. Das National Center for Human Rights (NCHR) forderte, dass Polizeibeamte, denen grobe Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, vor unabhängigen Zivilgerichten und nicht vor Polizeigerichten, die dem Innenministerium unterstehen und nach Ansicht mehrerer NGOs als weniger unabhängig gelten, angeklagt werden. Im Laufe des Jahres gab es keine Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen durch Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und andere grausame, inhumane oder erniedrigende Behandlungen durch Amtsträger und sieht Strafen von bis zu drei Jahren Freiheitsentzug für ihre Anwendung vor, bei schweren Verletzungen bis zu 15 Jahre (USDOS 11.3.2020). Während das Gesetz solche Praktiken verbietet, berichten internationale und lokale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiterhin über Folter und weit verbreitete Misshandlungen in Polizei- und Sicherheitsgefängnissen (FH 4.2.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020; GIZ 3.2020a). Laut Angaben des Büros für Menschenrechte und Transparenz des Direktorats für öffentliche Sicherheit (PSD, Public Security Directorate wurden 12 Fälle von Folter und Misshandlung in Gefängnissen und Rehabilitationszentren gemeldet (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008161.html, Zugriff 18.3.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Korruption

Der Corruption Perception Index von Transparency International liegt im Fall von Jordanien bei 48/100 (0 für sehr korrupt, 100 für gar nicht korrupt). Jordanien belegt damit im Ranking den 60sten von 180 Plätzen (TI 11.12.2019; vergleiche TI 2020).

Die Regierung hat Bemühungen unternommen, um die weitverbreitete Korruption zu bekämpfen. Die Integrity and Anticorruption Commission (IACC) ist als Antikorruptionsbehörde zuständig für die Untersuchung von Korruptionsvorwürfen. Erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung bleibt allerdings selten, vor allem wenn es um hochrangige Beamte geht (FH 4.2.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Im Juli 2019 ergänzte das Parlament das Gesetz zur Integrität und Korruptionsbekämpfung, um der IACC mehr Befugnisse zu erteilen, u. a die Suspendierung von der Korruption verdächtigten Beamten zu beantragen. Die Änderung erweitert zudem die administrative Autonomie der IACC (USDOS 11.3.2020). Trotzdem gibt es immer noch Hindernisse, die weitere Fortschritte verhindern. Rechtsvorschriften zum Zugang zu Informationen sind schwach und schränken auch die Bemühungen ein, über Korruption zu berichten und sich gegen sie auszusprechen. Die Nutzung persönlicher Verbindungen oder das, was im Arabischen als "Wasta" bezeichnet wird, stellt in Jordanien eine bedeutende Herausforderung für die Korruption dar (TI 11.12.2019).

Der Politikwissenschaftler Yazan Doughan nimmt diese Wahrnehmung in einer GIGA-Studie vom Herbst 2017 kritisch unter die Lupe und weist darauf hin, dass viele Menschen in Jordanien unter Korruption nicht Geldzahlungen verstehen, sondern die Abhängigkeit von persönlichen Beziehungen („Vitamin B") um etwas zu erreichen. Viele jordanische Geschäftsleute und Unternehmer beklagen, dass "Wasta" und eine schlecht funktionierende Bürokratie den Wettbewerb verzerren und damit die unternehmerische Initiative lähmen. Problematisch ist auch die gelegentlich mangelnde Neutralität der Justiz: Wer mit politisch einflussreichen Geschäftspartnern in Konflikt gerät, kann sich nicht immer auf die Unabhängigkeit der Richter verlassen, geschweige denn auf eine zeitnahe Abwicklung von Klagen und Prozessen (GIZ 3.2020a).

Quellen:

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008161.html, Zugriff 13.2.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-TI - Transparency International (2020): Jordan – Corruption Perception Index 2019, https://www.transparency.org/country/JOR, Zugriff 14.2.2020

-TI - Transparency International (11.12.2019): Global Corruption Barometer: Middle East and North Africa 2019 - Citizens' views and opinions of corruption, https://www.transparency.org/whatwedo/publication/global_corruption_barometer_middle_east_and_north_africa_2019, Zugriff 13.2.2019

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Reihe von nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen sind mit einigen Einschränkungen im Land tätig. Das Gesetz gibt der Regierung die Möglichkeit, die inneren Angelegenheiten der NGOs zu kontrollieren, einschließlich der Annahme ausländischer Gelder (USDOS 11.3.2020). Die Gründung und die Aktivitäten von NGOs, Stiftungen und Vereinen sind in Jordanien durch das Vereins- und Stiftungsgesetz von 1966 geregelt, das seither mehrfach reformiert wurde und das die jordanische Zivilgesellschaft an eine immer kürzere Leine legt. Nahezu unmöglich ist die Gründung von unabhängigen Vereinen mit gesellschaftspolitischer Zielsetzung, die sich z.B. für die Einhaltung von Menschenrechten oder für die Verbesserung von Frauenrechten einsetzen. Solche Gruppen versuchen teilweise das Vereinsgesetz zu umgehen, indem sie sich als Handelsunternehmen registrieren lassen (GIZ 3.2020a).

NGOs waren im Allgemeinen in der Lage, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und öffentlich darüber zu berichten, obwohl Regierungsbeamte nicht immer kooperativ waren. Es kam mindestens in einem Fall zur Einschüchterung einer Menschenrechts-NGO durch Sicherheitsdienste. Auch Rechtsanwälte wurden wegen der Weiterverfolgung von Fällen schikaniert und von der jordanischen Anwaltskammer mit einem Berufsverbot bedroht (USDOS 11.3.2020).

Viele formelle zivilgesellschaftliche Organisationen in Jordanien konzentrierten sich zunächst auf karitative Aktivitäten. Nach dem Beitritt Jordaniens zu internationalen Übereinkommen wie beispielsweise dem UN-Übereinkommen über bürgerliche und politische Rechte wurden einige Organisationen gegründet, um die Öffentlichkeit für die Menschenrechte, einschließlich des Versammlungs- und Vereinigungsrechts, zu sensibilisieren (ICNL 22.8.2019).

Das Gesetz verlangt, dass der Gouverneur mindestens 48 Stunden vor der Abhaltung von Sitzungen oder Veranstaltungen lokaler oder internationaler NGOs darüber informiert wird. Mehrere NGOs berichteten, dass Hotels vor der Durchführung von Schulungen, privaten Treffen oder öffentlichen Konferenzen von ihnen die Vorlage eines entsprechenden Genehmigungsschreibens des Gouverneurs verlangten, wobei derartige Genehmigungen durchaus auch verweigert wurden. Ohne Genehmigungsschreiben der Regierung und der Sicherheitsdienste wurden die Veranstaltungen und Schulungen von den Hotels abgesagt. In einigen Fällen verlagerten NGOs die Veranstaltungen und Schulungen in private Büros (USDOS 11.3.2020)

Quellen:

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-ICNL - International Center for Not-Profit Law: Civic Freedom Monitor (22.8.2019): Jordan, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/jordan, Zugriff 18.3.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Die jordanische Verfassung ist in Bezug auf die Menschenrechte ambivalent. Einerseits werden die grundlegenden bürgerlichen Freiheitsrechte garantiert. Andererseits können die Menschenrechte der Jordanier "nationalen Interessen" untergeordnet werdoffice@buero-andreheller.com

en. Die verfassungsmäßig garantierte Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist größtenteils wertlos, denn im Personenstands- und Erbrecht gelten je nach Religionszugehörigkeit das Kirchenrecht oder die Scharia, die in ihrer jordanischen Version Frauen und Mädchen sehr stark benachteiligt. Ein weiterer Faktor, der die Menschenrechte der Jordanier einschränkt, ist die 2006 verabschiedete Anti-Terrorgesetzgebung (GIZ 3.2020a).

Jordanien verfügt in Übereinstimmung mit den einschlägigen UN-Konventionen über ein staatlich gelenktes nationales Menschenrechtszentrum. Zu dessen Aufgaben gehören die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen sowie die Verbreitung der Menschenrechtskultur im Land: Letzteres z.B. durch die Schulung von Multiplikatoren und die Einführung von Menschenrechtserziehung in Schulen. Darüber hinaus existieren auch mehrere unabhängige Organisationen, die sich auf verschiedene Weise für die Einhaltung der Menschenrechte und für die Menschenrechtsbildung im Land einsetzen (GIZ 3.2020a). Laut U.S. Department of State sind die signifikantesten Menschenrechtsprobleme in Jordanien Vorwürfe der Folter durch Sicherheitskräfte und Regierungsbeamte, willkürliche Inhaftierungen (auch von Aktivisten und Journalisten), weiters die Beeinträchtigung der Privatrechte der Bürger sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch strafrechtliche Tatbestände wie Diffamierung von Politikern und Regierungsbeamten, Einschränkung der Pressefreiheit, einschließlich der Kriminalisierung von Verleumdung, Einschüchterung von Journalisten, Zensur und Beschränkung des Internetzugangs. Einschränkungen der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Vorfälle von Korruption in den Behörden, "Ehrenmorde" an Frauen, Gewalt gegen lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Personen (LGBTI) sowie Bedingungen, die in einigen Bereichen auf Zwangsarbeit hinauslaufen (USDOS 11.3.2020).

Jordanien beherbergte 2019 etwa 70.000 Hausangestellte, die hauptsächlich von den Philippinen, Sri Lanka und Indonesien kamen. NGOs verwiesen Hausangestellte, die mehrfach missbraucht worden waren, wiederholt an die Ermittler des Arbeitsministeriums. Zu den Missbräuchen gehörten die Nichtzahlung von Löhnen, unsichere Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten, die Beschlagnahme von Dokumenten sowie körperlicher, verbaler und sexueller Missbrauch (HRW 14.1.2020).

Die Straffreiheit blieb weit verbreitet, obwohl die Regierung begrenzte, undurchsichtige Schritte unternahm, um Beamte, die Missbräuche begingen, zu untersuchen, zu verfolgen und zu bestrafen. Informationen über die Ergebnisse dieser Maßnahmen waren nicht in allen Fällen öffentlich zugänglich (USDOS 11.3.2020).

Lokale und internationale NGOs berichteten, dass Häftlinge routinemäßig schweren körperlichen Misshandlungen ausgesetzt sind. Es wurden auch Anschuldigungen gegen das Criminal Investigation Department (CID) erhoben, die zu einer Strafanzeige führten. Zwar gab es keine Dokumentation über Beschwerden von Misshandlungen durch den Geheimdienst (GID) im Laufe des Jahres [2019], doch örtliche NGOs berichteten, dass diese nach wie vor vorkommen, auch wenn diese aus Angst vor möglichen Repressalien nicht gemeldet werden (USDOS 11.3.2020).

Im März 2019 wurde das Ergebnis der Allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Jordaniens vom UN-Menschenrechtsrat auf einer Sitzung angenommen. Jordanien akzeptierte 149 von 226 erhaltenen Empfehlungen; die 77 weiteren Empfehlungen wurden bereits innerhalb des Rechtsrahmens umgesetzt, so Jordanien, bzw. seien diese wegen der Herausforderungen im Bereich der Sicherheit und der Aufnahme von Flüchtlingen schwierig umzusetzen. Im April 2019 gab Premierminister Omar Al-Razzaz ein Memorandum an alle Ministerien und Regierungsverbände mit Anweisungen zur Umsetzung der 149 anerkannten Empfehlungen heraus (AI 18.2.2020).

Das regierungsnahe Überwachungszentrum National Center for Human Rights (NCHR) forderte, dass Polizeibeamte, denen grobe Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, vor unabhängige Zivilgerichte gestellt werden, statt vor Polizeigerichte, die dem Innenministerium unterstehen und nach Ansicht mehrerer NGOs als weniger unabhängig gelten. Der Direktor des Direktorats für öffentliche Sicherheit (Public Security Directorate - PSD) erließ 2018 neue politische Richtlinien für die Behandlung von Inhaftierten, einschließlich unabhängiger Überprüfungen ihres Gesundheitszustands und der Überprüfungen von Haftanstalten. Das PSD unternahm Schritte zur Überwachung von Haftanstalten, um die Einhaltung der Haftbedingungen zu fördern. Einzelpersonen können über inländische Gerichte Zivilklagen im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen einreichen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025833.html, Zugriff 23.3.2020

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022734.html, Zugriff 14.4.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Meinungs- und Pressefreiheit

Das Recht auf Meinungsfreiheit bleibt weiterhin eingeschränkt (HRW 14.1.2020). Alle Medien bzw. Publikationen benötigen Lizenzen der Regierung (USDOS 11.3.2020). Gemäß dem geltenden Pressegesetz müssen Journalisten, die in Jordanien für lokale Medien arbeiten, Mitglied der staatlich kontrollierten Jordan Press Association (JPA) sein. Diese kann Journalisten ausschließen, wenn sie nicht linientreu berichten (GIZ 3.2020a). Das jordanische Recht kriminalisiert Reden, die als kritisch gegenüber dem König, dem Ausland, Regierungsbeamten, Institutionen (HRW 14.1.2020; vergleiche GIZ 3.2020a; USDOS 11.3.2020), dem Islam, dem Christentum (HRW 14.1.2020) und der Armee (GIZ 3.2020a) angesehen werden, oder beispielsweise von Parlamentsabgeordneten und "befreundeten ausländischen Politikern" als diffamierend wahrgenommen werden (HRW 14.1.2020; vergleiche GIZ 3.2020a). Bei Verstößen sind Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren vorgesehen. Eine Reihe von Aktivisten wurde wegen politischer Meinungsäußerung und Kritik an ausländischen Regierungen festgenommen. Die Behörden nutzten Gesetze gegen Verleumdung, um die öffentliche Diskussion einzuschränken und von der Medienkommission verbreitete Erlässe der Staatsanwaltschaft, um die Pressefreiheit zu beschneiden (USDOS 11.3.2020). Die Behörden nahmen 2019 über 30 politische Aktivisten und Aktivisten der Korruptionsbekämpfung fest und erhoben Anklage gegen einige, die das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt haben sollen. Die meisten der Inhaftierten waren mit einer losen Koalition politischer Aktivisten im ganzen Land verbunden, die als Hirak (Bewegung) bekannt ist. Die gegen Aktivisten erhobenen Anklagen reichten von der Beleidigung des Königs („Verlängerung der Zunge gegen den König“) bis zur vagen Anklage wegen „Untergrabung des politischen Regimes“ und Online-Verleumdung (HRW 14.12020). Gefängnisstrafen werden laut GIZ allerdings nur noch in Ausnahmefällen verhängt, während die Zahl der verhängten Geldstrafen in die Höhe geschnellt ist (GIZ 3.2020a).

Die Pressefreiheit wird weiterhin dadurch behindert, dass der Staat große Anteile an den wichtigsten jordanischen Tageszeitungen hält. Der Zugang zum Internet kann nach wie vor vom jordanischen Staat überwacht werden und wurde in Jordanien laut Berichten von Reporter ohne Grenzen in den vergangenen Jahren mehrmals beschränkt. Auch die Organisation Global Voices warnte vor möglicher Internet-Zensur (GIZ 3.2020a). Zwischen dem 17. und 31.3.2019 blockierten die Behörden den lokalen Zugang einer von jordanischen Aktivisten im Ausland eingerichteten Website, die die politischen Entwicklungen und die Verhaftungen von Aktivisten in Jordanien dokumentieren sollte (AI 18.2.2020). In einzelnen Fällen wurden Autoren von Internet-Inhalten in Jordanien gerichtlich verfolgt und inhaftiert (GIZ 3.2020a). Nach dem 2018 geänderten jordanischen Gesetz über Cyberkriminalität werden Vergehen zusammen mit "Hassreden", wenn sie online übermittelt werden, noch strenger bestraft als im Strafgesetzbuch. Es werden auch weiterhin schwere strafrechtliche Sanktionen für solche Vergehen vorgesehen und zudem lassen diese auch weiterhin die Möglichkeit offen, dass Personen, die wegen unklarer Straftaten im Zusammenhang mit Online-Äußerungen verurteilt werden, mit langen Haftstrafen rechnen müssen (ICNL 22.8.2019; vergleiche AI 18.2.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (18.2.2020):Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025833.html, Zugriff 23.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Jordanien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jordanien/geschichte-staat/, Zugriff 14.4.2020

-HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022734.html, Zugriff 18.3.2020

- ICNL - International Center for Not-for-Profit Law: Civic Freedom Monitor (22.8.2019): Jordan, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/jordan, Zugriff 18.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Verfassung gewährt Versammlungsfreiheit, aber die Regierung beschränkt dieses Recht in der Praxis (USDOS 11.3.2020; FH 4.2.2019) und hat weitgehende rechtliche Befugnisse, Versammlungen aufzulösen. Verletzungen des Versammlungsgesetzes können Geld- und Haftstrafen nach sich ziehen. Die Sicherheitskräfte haben in der Vergangenheit Demonstrationen gewaltsam aufgelöst (FH 4.2.2019). Demonstrationen müssen bei den Sicherheitskräften angemeldet und von diesen genehmigt werden (USDOS 11.3.2020). Seit einer Änderung des Versammlungsgesetzes im März 2011 ist es grundsätzlich nicht mehr erforderlich, eine Genehmigung der Regierung einzuholen. Organisationen erwirkten für öffentliche Versammlungen nach 2011 aber entsprechende Genehmigungen des Innenministeriums. In einigen Fällen haben die Sicherheitsbehörden 2019 öffentliche Veranstaltungen ohne Erklärung abgesagt (HRW 14.1.2020).

Die Verfassung gewährt Vereinigungsfreiheit, aber in der Praxis wurde diese Freiheit durch die Regierung beschränkt. Laut Gesetz steht dem Ministerium für soziale Entwicklung das Recht zu, Anträge für die Registrierung einer Organisation oder für den Erhalt ausländischer Finanzierung aus beliebigen Gründen abzulehnen. Außerdem verbietet das Gesetz, Vereinigungen zur Stärkung politischer Organisationen zu nutzen. Das Gesetz gewährt dem Ministerium signifikante Kontrolle über das interne Management von Vereinigungen, darunter das Recht, die Vereinigung aufzulösen, neue Vorstände zu ernennen und Regierungsvertreter zu den Vorstandstreffen zu senden. Vereinigungen sind verpflichtet, das Ministerium über die Anberaumung von Vorstandssitzungen zu informieren, die Namen aller Mitglieder preiszugeben und alle Vorstandsentscheidungen dem Ministerium zur Genehmigung vorzulegen. Bei Nicht-Einhaltung sind Strafen von bis zu 10.000 Dinar (14.000 USD) vorgesehen. Die Regierung steht im Verdacht, die internen Treffen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, politischen Parteien und Menschenrechtsorganisationen infiltriert zu haben (USDOS 11.3.2020).

Politische Parteien auf der Grundlage von Ethnizität, Rasse, Geschlecht oder Religion sind in Jordanien verboten. Parteien müssen vom Ministerium für politische und parlamentarische Angelegenheiten genehmigt werden. Berichten zufolge haben die Behörden Personen eingeschüchtert, die versuchen, politische Parteien zu gründen. Die wichtigste Oppositionspartei, die Islamic Action Front (IAF), wird toleriert, obwohl die Büros ihres Dachverbandes, der Muslimbruderschaft, 2016 gewaltsam geschlossen wurden, nachdem das Regime sie an der Abhaltung interner Wahlen gehindert hatte. Im Vorjahr lizenzierte die Regierung eine Ablegergruppe, die Muslim Brotherhood Society, und beantragte, die rechtliche Registrierung der ursprünglichen Organisation für ungültig zu erklären. Diese Entscheidung verschärfte die bereits bestehenden Spaltungen innerhalb der Muslimbruderschaft, was die Muslimbruderschaft politisch weiter schwächte (FH 4.2.2019).

Quellen:

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008161.html, Zugriff 18.3.2020

-HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022734.html, Zugriff 18.3.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in den 17 Gefängnissen des Landes variieren: in alten Haftanstalten sind sie schlecht, in modernen Gefängnissen entsprechen sie internationalen Standards. Signifikante Probleme in alten Haftanstalten sind unangemessene sanitäre Einrichtungen, schlechte Belüftung, extreme Temperaturen, mangelndes Trinkwasser und unzureichendes Sonnenlicht sowie medizinische Versorgung nur in Notfällen. Außerdem sind die meisten Gefängnisse überbelegt. Häftlinge berichten von Misshandlungen durch das Wachpersonal. Im Direktorat für öffentliche Sicherheit (Public Security Directorate - PSD) gingen im Jahr 2019 gemäß eigenen Angaben 12 Beschwerden wegen Folter und Misshandlung ein (USDOS 11.3.2020).

Lokale Gouverneure nutzten weiterhin die Bestimmungen des Gesetzes zur Verbrechensverhütung von 1954, um Personen unter Umgehung des Strafverfahrensrechts bis zu einem Jahr in Verwaltungshaft zu nehmen. Das National Center for Human Rights (NCHR) berichtete, dass 37.683 Personen im Jahr 2018 administrativ inhaftiert waren, einige davon länger als ein Jahr, was einen Anstieg von über 2.700 gegenüber der Zahl der Verwaltungshäftlinge im Jahr 2017 entspricht (HRW 14.1.2020).

Der PSD-Direktor erließ 2018 neue politische Richtlinien für die Behandlung von Inhaftierten, einschließlich unabhängiger Überprüfungen ihres Gesundheitszustands und der Kontrolle von Haftanstalten. Die PSD unternahm Schritte zur Überwachung von Haftanstalten, um die Einhaltung der Haftbedingungen zu fördern. Die Regierung genehmigte Besuche durch einige lokale und internationale Menschenrechtsbeobachter und -anwälte. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte ebenfalls weitreichenden Zugang zu Gefängnissen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022734.html, Zugriff 23.3.2020

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

Todesstrafe

Das jordanische Strafrecht beinhaltet die Todesstrafe (AA 14.4.2020), die auch weiterhin verhängt wird (AA 14.4.2020; vergleiche AI 18.2.2020). Ende 2018, saßen 151 Menschen in der Todeszelle und das jordanische National Center for Human Rights (NCHR) berichtete, dass bis November 2019 keine Hinrichtungen durchgeführt wurden (HRW 14.1.2020; vergleiche AI 18.2.2020).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (14.4.2020): Jordanien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008, Zugriff 14.4.2020

-HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022734.html , Zugriff 23.3.2020

-AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025833.html, Zugriff 18.3.2020

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz erlaubt Inlandsreisen, Auslandsreisen (FH 4.2.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020), Emigration und Rückkehr in die Heimat, jedoch gibt es einige Einschränkungen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/en/document/2008161.html, Zugriff 14.4.2020

-USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html , Zugriff 18.3.2020

Grundversorgung und Wirtschaft

Jordaniens Volkswirtschaft ist schwach. Das Land verfügt nur über wenige natürliche Ressourcen und sehr begrenzte landwirtschaftliche Nutzflächen (BMZ o.D.).

Die Staatsverschuldung (2018: 95 Prozent des BIP) nimmt weiter zu. Auf Druck des Internationalen Währungsfonds wollte die jordanische Regierung im Frühjahr 2018 die Einkommensteuer erhöhen, was starke Unruhen auslöste. Seither gehen Teile der Bevölkerung immer häufiger auf die Straße, um zu protestieren. Im Herbst 2019 streikten Lehrkräfte im ganzen Land. Die jordanische Regierung hat für den Zeitraum 2018-2022 ein Reformprogramm aufgelegt, das unter anderem auf den Ausbau erneuerbarer Energien sowie auf Haushaltskonsolidierung durch höhere Steuern und weniger Subventionen setzt. Ob diese Maßnahmen mehr Jobs schaffen und Wachstum bewirken können, ist offen. Vermutlich wird die Einkommensungleichheit zunehmen, was die ohnehin angespannte Lage weiter verschärfen würde (GIZ 3.2020b).

Das Wirtschaftswachstum lag in den letzten Jahren bei durchschnittlich 2 Prozent und war zu gering, um die hohe Staatsverschuldung abbauen zu können. Aktuell steckt das Land in einer ökonomischen Krise. Mit dem niedrigen Wachstum gehen eine hohe Arbeitslosigkeit (20 Prozent) sowie ein niedriges Bruttoinlandsprodukt per capita (ca. 7.500 Euro/Jahr, kaufkraftbereinigt) einher. Der staatlich fixierte Mindestlohn beträgt 225 JD/Monat (ca. 270 Euro, für Ausländer 155 JD/185 Euro). Viele Jordanier verdienen tatsächlich nicht mehr – und dies bei einem geschätzten Existenzminimum von 500 JD (ca. 625 Euro) pro Monat und Familie und Lebenshaltungskosten, die real auf mitteleuropäischem Niveau liegen. Elementare Arbeitnehmerrechte werden oftmals nicht beachtet (GIZ 3.2020b).

Die jordanische Bevölkerung ist sehr jung: Etwa 35 Prozent der rund 9,7 Millionen Einwohner sind unter 15 Jahre alt. Der inländische Arbeitsmarkt kann ihnen bisher keine ausreichenden beruflichen Perspektiven bieten, die Jugendarbeitslosigkeit liegt nach Schätzungen deutlich über 30 Prozent (BMZ o.D.).

Knappe Ressourcen (wenig Wasser, wenig Rohstoffe), Defizite bei der Staatsführung und eine schwach entwickelte Industrie machen Jordanien ökonomisch in hohem Maße abhängig von Importen und externen Finanzzuflüssen. Internationale Finanzhilfen und Kredite (USA, IWF, arabische Golfstaaten), Überweisungen jordanischer Arbeitskräfte im Ausland (in 2018 waren es ca. 3 Mrd. JD/Jahr bzw. rund 8 Prozent des BIP), Tourismus (10-12 Prozent des BIP, davon ca. 50 Prozent Gesundheitstourismus) sowie Dienstleistungen und Phosphatexporte sichern bislang das Überleben. Charakteristisch ist ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land (GIZ 3.2020b).

Bedingt durch die regionalen Umwälzungen und insbesondere die Krise in Syrien (Kosten für Flüchtlingsintegration und zur Grenzsicherung, ausbleibende Gaslieferungen aus Ägypten, weniger Rücküberweisungen von Migranten und wegbrechende regionale Absatzmärkte) und bedingt durch verschleppte Reformen, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine der niedrigsten Frauenerwerbsquoten der Welt herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung eine wirtschaftliche Perspektivlosigkeit. Jordanien ist deshalb von externen Zuwendungen abhängig: vor allem von Leistungen und Umschuldungen internationaler Geber sowie von den Geldüberweisungen der im Ausland lebenden Jordanierinnen und Jordanier (BMZ o.D.).

Die Präsenz von rund 1,3 Millionen Menschen aus Syrien, von denen rund 670.000 beim UNHCR registrierte Flüchtlinge sind (GIZ 3.2020b; vergleiche GIZ 3.2020c), bedeutet hohen zusätzlichen Druck auf die ohnehin knappen natürlichen Ressourcen des Landes (Wasser, Energie) sowie hohe öffentliche Zusatzausgaben, vor allem für Gesundheitsversorgung und Bildung, weiters für die allgemeine Infrastruktur und die Subventionierung von Energie. Viele Kommunen sind überlastet. Da die meisten Flüchtlinge aus Syrien keine Ersparnisse haben und aufgrund ihrer Not bereit sind, für absolute Minimallöhne zu arbeiten, ist die in Jordanien ohnehin scharfe Konkurrenz um Arbeitsplätze noch härter geworden, vor allem zwischen Arbeitssuchenden aus Ägypten und Syrien. Die schon vorher sehr niedrigen Löhne befinden sich in einer Abwärtsspirale. Dies bedeutet auch eine weitere Schwächung der ohnehin geringen Arbeitnehmerrechte sowie der Kaufkraft bedeutender Teile der Bevölkerung (GIZ 3.2020b).

Es gibt etwa 1,4 Millionen Arbeitsmigranten in Jordanien, von denen etwa eine Million keine Arbeitserlaubnis besitzt, was sie besonders anfällig für Ausbeutung macht. Arbeitsrechtsorganisationen haben die Besorgnis über schlechte Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit und sexuellen Missbrauch in den sogenannten Qualifying Industrial Zones geäußert, in denen hauptsächlich weibliche und ausländische Fabrikarbeiter Waren für den Export verarbeiten (FH 4.2.2019).

Quellen:

-BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Deutschland) (o.D): Jordanien, Wirtschaftliche Situation, Hohe Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven, https://www.bmz.de/de/laender_regionen/naher_osten_nordafrika/jordanien/index.jsp, Zugriff 25.3.2020

-FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008161.html, Zugriff 24.3.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Jordanien - Wirtschaft, https://www.liportal.de/jordanien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 24.3.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Jordanien – Gesellschaft, https://www.liportal.de/jordanien/gesellschaft/ , Zugriff 15.4.2020

Medizinische Versorgung

Das Versorgungsniveau ist in Amman sehr gut. Hier sind besonders die beiden großen Privatkrankenhäuser, das Al-Khalidi Medical Center und das Arab Medical Center, zu nennen. Außerhalb der Hauptstadt ist mit starken Einschränkungen zu rechnen, v.a. auch hinsichtlich des Rettungsdienstes bei Unfällen (AA 18.3.2020). Bei der Versorgung gibt es ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle und eine sich immer weiter öffnende Schere zwischen arm und reich. Im Großraum Amman ist die medizinische Versorgung gut, in den ländlichen Gebieten deutlich schlechter (GIZ 3.2020c).

Der medizinische Standard in den öffentlichen Krankenhäusern ist gut, die Krankenpflege entspricht nicht immer europäischem Niveau. Privatkliniken haben einen besseren Standard. Medikamente sind ausreichend erhältlich. Die medizinische Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht oder nur mit Einschränkungen westeuropäischem Standard. Private Krankenhäuser sind besonders im Raum Amman zahlreich und mit westeuropäischem Standard größtenteils vergleichbar (BMEIA 25.3.2020).

Kinder bis einschließlich sechs Jahren werden kostenlos versorgt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei rund 75 Jahren. Nachdem es im Gefolge des 11.9.2001 für Araber immer schwieriger wurde, zur medizinischen Behandlung in westliche Länder zu reisen, verzeichnet Jordanien merkliche Zuwächse beim Gesundheitstourismus (GIZ 3.2020c).

Die Regierung gewährte Männern großzügigere Sozialversicherungsleistungen als Frauen. Die Gesetze und Vorschriften zur Krankenversicherung für Beamte, unterstehen dem Civil Service Bureau (Büro für den öffentlichen Dienst) und erlauben es Frauen, ihren Versicherungsschutz auf Angehörige oder Ehepartner auszudehnen, auch wenn sie keine Staatsbürger sind. Männer müssen Staatsbürger sein, um die vollen Versicherungsleistungen auf Ehepartner und Unterhaltsberechtigte auszudehnen (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus werden in Jordanien seit jeher, staatstragende Berufsgruppen wie Beamte, Polizisten und Angehörige des Militärs, kostenlos oder zu vergünstigten Bedingungen medizinisch behandelt. Alle anderen Berufstätigen sind in Krisensituationen auf ihre Familien, ihre Ersparnisse oder auf Almosen angewiesen. Im Zuge der Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe hat Jordanien im Jahr 2001 eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung eingeführt, die unter anderem bei Arbeitsunfällen, Krankheit und Schwangerschaft einspringt. Diese Versicherung gilt allerdings nur für einen Teil der Beschäftigten und sie schützt nicht die vielen tausend Arbeitsmigrant/innen in Jordanien. Landwirtschaftliche Helfer, Hausangestellte und eine Reihe anderer Berufe sind von der Versicherung bislang ausgeschlossen, ebenso wie von der Unfallversicherung (GIZ 3.2020c).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (18.3.2020): Jordanien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jordanien-node/jordaniensicherheit/218008, Zugriff 18.3.2020

-BMEIA (25.3.2020): Jordanien, Reiseinformationen, Gesundheit & Impfungen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/jordanien/, Zugriff 25.3.2020

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Jordanien - Gesellschaft, https://www.liportal.de/jordanien/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020

Rückkehr

Das Gesetz sieht Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Es gibt einige, nicht näher definierte Einschränkungen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Jordan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026422.html, Zugriff 18.3.2020

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den Akt des BFA;

- mündliche Verhandlung am 18.11.2021;

- Einsicht in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Jordanien;

- Einsicht in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden: vergleiche 2.2. und 2.3.)

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet und der Aufenthaltsdauer ergeben sich aus dem Akteninhalt und den vorgelegten Identitätsdokumenten (AS 49, 365).

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren und dem Schreiben der römisch 40 (ohne Datum).

Dass der Beschwerdeführer innerhalb seines Familienklans in Familienstreitigkeiten verwickelt war, entspricht seinen dahingehend konstanten Angaben sowie den vorgelegten Dokumenten und Unterlagen der jordanischen Sicherheitsbehörden.

Dass der Beschwerdeführer selbstständig erwerbstätig ist, geht aus der Gewerbeanmeldung vom 25.08.2021, dem Sozialversicherungsauszug sowie dem Nachunternehmervertrag vom 13.09.2021 hervor.

Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber bis November 2021 geht aus dem Betreuungsinformationssystem hervor.

Die Deutschkenntnisse entsprechen der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung sowie dem vorgelegten Prüfungszeugnis (Niveau A2).

Dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, beruht aus seinen dahingehend konsistenten Angaben.

Aus dem Strafregister der Republik Österreich geht die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers hervor.

Dass der Beschwerdeführer mit seiner Freundin römisch 40 in keinem gemeinsamen Haushalt lebt, geht aus dem zentralen Melderegister hervor.

2.3. Zum Vorbringen:

Wie oben bereits angeführt, ist aufgrund der vorgelegten Dokumente und Urkunden der jordanischen Behörden sowie des dahingehend plausiblen Vorbringens des Beschwerdeführers nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer wegen verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen innerhalb seines Familienklans Jordanien verlassen hat.

Im Vorbringen hinsichtlich der geschilderten Übergriffe und Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure kann jedoch – wie in der rechtlichen Beurteilung näher ausgeführt – keine aktuelle und individuelle GFK relevante Verfolgung erkannt werden.

2.4. Zur Lage in Jordanien:

Die allgemeinen Feststellungen resultieren aus den behördlicherseits erhobenen Fakten aufgrund vorliegender Länderdokumentationsunterlagen. Die Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen wurde nicht in qualifizierter Form entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), geregelt. Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Paragraph eins, BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern, ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.2. Der Beschwerdeführer behauptete zusammengefasst, dass er wegen der Furcht vor einer Rache von Seiten einer jordanischen Familie innerhalb seines Familienklans Jordanien verlassen habe.

Der Beschwerdeführer machte mit diesem Vorbringen eine Bedrohung durch private Dritte geltend. Dazu ist auszuführen, dass eine asylrelevante Verfolgung im Lichte der Genfer Flüchtlingskonvention und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nur dann angenommen werden kann, wenn die Verfolgungshandlungen entweder vom Verfolgerstaat ausgehen oder ihm diese in Folge Billigung der Verfolgungshandlungen Dritter zuzurechnen ist vergleiche VwGH 30.06.2005, Zl. 2002/20/0205), was im letzteren Fall dann Relevanz zeitigen könnte, wenn die staatlichen Behörden nicht schutzwillig oder schutzfähig gegenüber solchen – aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen erfolgenden – Angriffen Dritter sind. An der Schutzwilligkeit würde es dann fehlen, wenn der Staat nicht gewillt ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – Asylrelevanz zukommen sollte vergleiche VwGH 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0226). An der Schutzfähigkeit würde es dann mangeln, wenn die von dritter Seite ausgehende Verfolgung von staatlichen Stellen in Folge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann vergleiche VwGH v. 07.07.1999, Zl. 98/18/0037; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Eine Verfolgung von Seiten Dritter (nichtstaatliche Verfolgung) ist somit nur dann als asylrelevant anzusehen, wenn es dem Beschwerdeführer aufgrund mangelnder bzw. nicht vorhandener Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates weder möglich noch zumutbar ist, sich zur Abwehr der Verfolgung unter den Schutz seines Heimatstaates zu stellen.

Zunächst kann aufgrund der in das Verfahren eingeführten Länderberichte nicht davon ausgegangen werden, dass die jordanischen Behörden generell bei Übergriffen und Bedrohungen durch Privatpersonen schutzunfähig oder schutzunwillig wären, noch haben sich im konkreten Fall des Beschwerdeführers Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Polizei untätig geblieben wäre und ihn nicht schützen könnte bzw. würde. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass Bestechung und Korruption der Behörden in Jordanien vorkommen können, kann auf Basis der Länderberichte nicht geschlossen werden, dass die Polizei systematisch in derartigen Angelegenheiten nichts unternimmt oder sich systematisch politisch beeinflussen lässt und bei einer entsprechenden Anzeige untätig bleiben würde. Ebenso wenig kann aufgrund der Quellenlage angenommen werden, dass die jordanische Justiz bei begründetem Sachverhalt kein Verfahren einleiten würde, und hat der Beschwerdeführer dies auch nicht behauptet.

Der Beschwerdeführer legte vielmehr zahlreiche Unterlagen (AS 323ff) vor, die bestätigen, dass die Polizei in römisch 40 Anzeigen entgegengenommen sowie Polizeiberichte verfasst hat. Weiters hat die Staatsanwaltschaft römisch 40 Ermittlungen durchgeführt, ein Strafverfahren eingeleitet sowie eine Anklageschrift (u.a. Brandstiftung, Widerstand gegen Staatsbeamte, Waffenbesitz, Besitz scharfer Gegenstände, Morddrohungen) verfasst und wurden Zeugen befragt. Die Polizei in römisch 40 hat auch Beweismittel sichergestellt und wurden seitens der Beschuldigten Verpflichtungserklärungen unterfertigt. Aus den vorgelegten Unterlagen geht zudem hervor, dass es auch zu einem Gerichtsverfahren wegen Sachbeschädigung, Brandstiftung und Waffenbesitz gekommen ist und gegen das Urteil ein Rechtsmittel erhoben wurde. Einem Protokoll der Polizei römisch 40 ist zu entnehmen, dass für drei Beschuldigte Sicherheitsleistungen hinterlegt wurden und ein Bürge die Einhaltung der gesetzlichen Ordnung für ein Jahr garantierte, ansonsten er die hinterlegte Geldsumme verlieren würde.

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung auch vor, dass der ursächliche Streit zwischen zwei Mitgliedern eines Familienklans zu einer Gerichtsverhandlung führte, im Zuge derer der Beschwerdeführer als Zeuge befragt worden sei. Der Täter sei zu fünfzehn Jahren Haft verurteil worden und sei auch eine Entschädigung von der Familie des Täters an die Familie des Opfers gezahlt worden, woraufhin sich die beiden Familien wieder vertragen hätten. Daraus lässt sich ebenfalls schließen, dass sich die jordanischen Behörden für die Belange der involvierten Familien zuständig fühlten und diese behördliche Strukturen in Anspruch nehmen konnten.

Dass der jordanische Staat über funktionierende Sicherheitsbehörden verfügt, die auch schutzfähig und schutzwillig sind, ergibt daher nicht nur aus der in das Verfahren eingeführten Berichtslage bzw. den getroffenen Länderfeststellungen, sondern auch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers bzw. aus den vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Beweismitteln. Davon, dass die jordanischen Behörden den Beschwerdeführer vor Übergriffen privater Dritter bzw. Mitgliedern einer verfeindeten Familie nicht schützen könne, kann daher keine Rede sein.

Zu der Kritik an der mangelnden Effektivität der Sicherheitsorgane in Jordanien ist noch festzuhalten, dass aus dem Umstand, wonach manche Straftaten nicht aufgeklärt werden können, kein Schluss auf ein generelles Versagen der Sicherheitskräfte gezogen werden kann. Dass ein funktionierendes staatliches System möglicher Weise keinen lückenlosen Schutz vor kriminellen Machenschaften zu bieten imstande ist, hindert die Feststellung einer funktionierenden Strafverfolgung nicht, vielmehr muss nach ständiger asylrechtlicher Judikatur ein solcher Schutz lediglich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein VwGH vom 8.6.2000, 2000/20/0141). Der Vollständigkeit halber ist auch festzuhalten, dass polizeiliche Erhebungen auch längere Zeit andauern und unter Umständen auch erfolglos bleiben können. Daraus kann jedoch weder auf eine mangelnde Schutzfähigkeit noch auf die fehlende Schutzwilligkeit der Behörden geschlossen werden.

Zusammenfassend ist somit auszuführen, dass es der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht vermochte, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

Abgesehen davon brachte der Beschwerdeführer keine Probleme mit den jordanischen Sicherheitsbehörden, Behörden oder Gerichten vor.

Im Hinblick auf obige Erwägungen muss daher ausgeführt werden, dass im Vorbringen des Beschwerdeführers keine individuelle und aktuelle asylrelevante Verfolgung zu erkennen war.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des bekämpften Bescheides war sohin als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides:

3.3.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Absatz eins, oder aus den Gründen des Absatz 3, oder 6 abzuweisen, so hat gemäß Paragraph 8, Absatz 3 a, AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode zu Paragraph 8, AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen vergleiche VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde vergleiche VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vergleiche auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Artikel 3, EMRK in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vergleiche VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Artikel 3, EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

3.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG nicht gegeben sind.

Stichhaltige Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, kamen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervor.

Vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen liegen im gegenständlichen Fall auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Annahme einer die physische Existenz des Beschwerdeführers nur unzureichend sichernden Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde vergleiche VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), vor. Dies angesichts seiner eigenen Selbsterhaltungsfähigkeit, die aus seiner Arbeitsfähigkeit, der Schulausbildung, dem abgeschlossenen Studium sowie der Berufserfahrung als Lehrer, selbstständiger Geschäftsmann und Landwirt im Herkunftsstaat resultiert. In Anbetracht seiner familiären Anknüpfungspunkte in Jordanien (Eltern, fünf Brüder und fünf Schwestern) kann darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass ihm im Fall seiner Rückkehr auch im Rahmen seines Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteil wird. Auch konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers ergibt sich keine Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers im Sinne eines realen Risikos. Bei COVID 19 handelt es sich auch um keine wahrscheinlich tödlich verlaufende, die Schwelle des Artikel 3, EMRK tangierende, Krankheit und hat der Beschwerdeführer auch kein Vorbringen erstattet, aus dem sich in diesem Zusammenhang ein reales Risiko im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat ergeben würde vergleiche dazu auch VwGH vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188-3, Rz 17 – 19).

Auch schlechtere wirtschaftliche Aussichten als vor Beginn pandemiebedingter Maßnahmen sind nicht relevant im Sinne von Artikel 3, EMRK, solange die Sicherung existenzieller Grundbedürfnisse gegeben ist (VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0314).

Da der Beschwerdeführer gesund ist und keiner speziellen Risikogruppe angehört, kann vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers weder auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufes, noch auf eine allgemeine oder medizinische unzureichende Versorgungslage geschlossen werden.

3.3.3. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Artikel 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zu Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides:

3.4.1. Gemäß Paragraph 10, AsylG 2005 wird Folgendes normiert:

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

der Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraphen 4, oder 4a zurückgewiesen wird,

der Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 5, zurückgewiesen wird,

der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Ziffer eins und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55,, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des Paragraph 58, Absatz 9, Ziffer eins bis 3 vorliegt."

Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte Paragraph 57, AsylG 2005 lautet wie folgt:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,

zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Absatz eins, Ziffer 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Absatz 3 und Paragraph 73, AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 2, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 3, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

Der mit "Schutz des Privat-und Familienlebens" betitelte Paragraph 9, BFA-VG lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat-oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat-und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

der Grad der Integration,

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei-und Einwanderungsrechts,

die Frage, ob das Privat-und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat-und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat-und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs-und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Anmerkung, Absatz 4, aufgehoben durch Artikel 4, Ziffer 5,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 56 aus 2018,)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraphen 52, Absatz 4, in Verbindung mit 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 4, FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß Paragraph 53, Absatz 3, FPG vorliegen. Paragraph 73, Strafgesetzbuch (StGB), Bundesgesetzblatt Nr. 60 aus 1974, gilt."

Gemäß Paragraph 58, AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln, wird wie folgt normiert:

"§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, von Amts wegen zu prüfen, wenn

der Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraphen 4, oder 4a zurückgewiesen wird,

der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. Paragraph 73, AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß Paragraphen 55, oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Absatz 3,) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Absatz 11, gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß Paragraphen 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; Paragraph 13, Absatz 3, AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55,, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Absatz 11, gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55,, 56 oder 57 zurück-oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

gemäß Paragraph 95, FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß Paragraph 24, FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß Paragraph 55, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat-und Familienlebens gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Artikel 8, EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß Paragraphen 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Absatz 4,) ohne weiteres einzustellen oder

der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß Paragraphen 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts-oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 56, hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß Paragraph 56, eingeleitet wurde und

die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 56, wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Paragraph 56, Absatz eins, Ziffer eins,, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte Paragraph 52, FPG lautet wie folgt:

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraphen 55,, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück-oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

nachträglich ein Versagungsgrund gemäß Paragraph 60, AsylG 2005 oder Paragraph 11, Absatz eins und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

ihm ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins,, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

ihm ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins,, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (Paragraph 11, Absatz eins und 2 NAG) entgegensteht oder

das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 14 a, NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß Paragraph 24, NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt –EU” verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß Paragraph 53, Absatz 3, die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Absatz eins, zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Absatz eins, ist abzusehen, wenn ein Fall des Paragraph 45, Absatz eins, vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des Paragraph 16, Absatz 4, BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist Paragraph 28, Absatz 2, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz –VwGVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013, auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, kann auch über andere als in Absatz 9, festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde."

3.4.2. Es liegen keine Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts vorgebracht.

3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat-und Familienlebens des Fremden iSd. Artikel 8, Absatz eins, EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat-und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 8, EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Artikel 8, EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Artikel 8, EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Artikel 8, EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, römisch zehn., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Artikel 8, EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt vergleiche Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Artikel 8, EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche –in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte –Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Artikel 8, EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

Die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, römisch zehn, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert vergleiche EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vergleiche auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung vergleiche zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie auch die Frage, ob das Privat-und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Artikel 8, EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Artikel 8, EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Artikel 8, EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

Die Ausweisung eines Fremden, dessen Aufenthalt lediglich auf Grund der Stellung von einem oder mehreren Asylanträgen oder Anträgen aus humanitären Gründen besteht, und der weder ein niedergelassener Migrant noch sonst zum Aufenthalt im Aufenthaltsstaat berechtigt ist, stellt in Abwägung zum berechtigten öffentlichen Interesse einer wirksamen Einwanderungskontrolle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben dieses Fremden dar, wenn dessen diesbezüglichen Anträge abgelehnt werden, zumal der Aufenthaltsstatus eines solchen Fremden während der ganzen Zeit des Verfahrens als unsicher gilt (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Zl. 21878/06).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Artikel 8, EMRK).

Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi v. the United Kingdom, 21878/06 bzgl. einer ugandischen Staatsangehörigen die 1998 einen Asylantrag im Vereinigten Königreich stellte) ist im Hinblick auf die Frage eines Eingriffes in das Privatleben maßgeblich zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist, zu unterscheiden (im Falle der Beschwerdeführerin Nnyanzi wurde die Abschiebung nicht als ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privatleben angesehen, da von einem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer effektiven Zuwanderungskontrolle ausgegangen wurde).

Nach der Rechtsprechung des EGMR vergleiche aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen vergleiche dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vergleiche dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist zwar nicht ausschlaggebend, ob der Aufenthalt des Fremden zumindest vorübergehend rechtmäßig war (EGMR 16.09.2004, Ghiban / BRD; 07.10.2004, Dragan / BRD; 16.06.2005, Sisojeva u.a. / LV), bei der Abwägung jedoch in Betracht zu ziehen vergleiche VfGH 17.03.2005, G 78/04; EGMR 08.04.2008, Nnyazi / GB). Eine langjährige Integration ist zu relativieren, wenn der Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten, insbesondere etwa die Vortäuschung eines Asylgrundes vergleiche VwGH 2.10.1996, 95/21/0169), zurückzuführen ist (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168). Darüber hinaus sind auch noch Faktoren wie etwa Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, sowie der Grad der Integration welcher sich durch Intensität der Bindungen zu Verwandten und Freunden, Selbsterhaltungsfähigkeit, Schulausbildung bzw. Berufsausbildung, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigung manifestiert, aber auch die Bindungen zum Herkunftsstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat-und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (VfGH 29.09.2007, B1150/07 unter Hinweis und Zitierung der EGMR-Judikatur).

Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, B 950/10, sind betreffend die Frage der Integration einer Familie in Österreich insbesondere die Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, ein mehrjähriger Schulbesuch von minderjährigen Kindern, gute Deutschkenntnisse und eine sehr gute gesellschaftliche Integration der gesamten Familie zu berücksichtigen.

Es ist weiters als wesentliches Merkmal zu berücksichtigen, wenn –anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte vergleiche zB VfGH 12.6.2010, U614/10) –die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens (dessen Dauer im durch den Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall sieben Jahre betrug), welches nicht durch eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer und seine Familie geprägt war, erfolgte.

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.4.4. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers, jedoch führt er seit ca. Februar 2020 eine freundschaftliche Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen. Es finden regelmäßig Besuche und Unternehmungen statt. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Freundin in keinem gemeinsamen Haushalt.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die freundschaftliche Beziehung zu einem Zeitpunkt entstand, in welchem dem Beschwerdeführer grundsätzlich die Ungewissheit seines weiteren Aufenthalts bewusst sein musste. Mit Blick auf das unberechtigte Asylbegehren durfte der Beschwerdeführer von Beginn an nicht darauf vertrauen, in Österreich bleiben zu können. Sein Aufenthaltsstatus stellte sich stets als unsicher dar (VwGH 26.3.2015, Ra 2014/22/0154 bis 0158). Auch der Freundin des Beschwerdeführers musste im Zeitpunkt des Eingehens der Beziehung bewusst sein, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers ungewiss ist. Werden familiäre Beziehungen zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem der Fremde nicht mit einem weiteren Verbleib im Inland rechnen konnte, so erfahren die aus dieser Beziehung abzuleitenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet eine wesentliche, die Interessensabwägung nachteilig beeinflussende Minderung vergleiche VwGH 27.02.2003, 2002/18/0207).

Besondere Merkmale einer Abhängigkeit von seiner Freundin hat der Beschwerdeführer im Verfahren ebenfalls nicht angegeben und konnten auch nicht festgestellt werden.

In Abwägung der erörterten Umstände, insbesondere der fehlenden Abhängigkeitsverhältnisse (siehe dazu VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0425) sowie angesichts eines nicht bestehenden gemeinsamen Wohnsitzes ist die eingegangene Beziehung des Beschwerdeführers daher nicht als dermaßen enge Bindung anzusehen, dass sie einer faktischen Familienbindung ("de facto family ties") im Sinn des Rechtsprechung des EGMR gleichzuhalten ist und insgesamt erst als beginnendes Familienleben zu qualifizieren, das noch nicht im Sinn des Artikel 8, EMRK als Familienleben geschützt ist. Als wesentlicher Aspekt des Privatlebens ist die eingegangene Beziehung freilich bei der untenstehenden Abwägung zu berücksichtigen.

Ein schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers liegt somit nicht vor und ist zu prüfen, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in deren Privatleben einhergeht.

Der Beschwerdeführer reiste im November 2017 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht des sohin vier Jahre und vier Monate dauernden Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich ist bereits dadurch abgeschwächt, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte. Er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht in begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt hat, kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahre für sich betrachtet auch noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Artikel 8, EMRK durchzuführende Interessensabwägung zu (VwGH vom 20.06.2017 Ra 2017/22/00378, VwGH vom 10.04.2019 Ra 2019/18/0049). Nur bei ganz außergewöhnlichen integrativen Leistungen kann bei einer Aufenthaltsdauer von etwa drei Jahren von einer Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Erteilung eines Aufenthaltstitels ausgegangen werden (VwGH vom 28.01.2016 Ra 2015/21/0191 mit weiteren Hinweisen, VwGH a.a.O.).

Der Beschwerdeführer ist seit November 2021 als Facility Manager selbständig erwerbstätig und finanziert sich damit seinen Lebensunterhalt. Was diese Erwerbstätigkeit betrifft so ist festzuhalten, dass auch daraus nicht auf eine hinreichende berufliche Integration geschlossen werden kann. Zwar kommt dieser Tätigkeit des Beschwerdeführers im Rahmen der Interessensabwägung eine gewisse Bedeutung zu, es gilt jedoch zu bedenken, dass der Beschwerdeführer diese Tätigkeit noch nicht lange ausübt und sich während der Aufnahme dieser Tätigkeit seines unsicheren Aufenthaltes in Österreich bewusst sein musste. Diesbezüglich ist auch darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt hat, keine wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 22.02.2011, 2010/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/0612 und VwGH 29.06.2010, 2010/18/0195 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Der Beschwerdeführer spricht auf dem Niveau A2 die deutsche Sprache und verfügt über soziale sowie freundschaftliche Kontakte. Diesbezüglich ist auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Es wird dem Beschwerdeführer auch möglich sein, den Kontakt zu seiner Freundin über moderne Kommunikationsmittel aufrecht zu erhalten, sodass durch die verfügte Rückkehrentscheidung kein gänzlicher Abbruch des Kontaktes begründet wird. Im Übrigen steht es dem Beschwerdeführer, gegen den kein Einreiseverbot erlassen wurde, auch offen, bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen einer legalen Einreise und eines legalen Aufenthalts, ins Bundesgebiet zurückzukehren bzw. seine Freundin hier zu besuchen. In diesem Zusammenhang wird nicht verkannt, dass der Verweis auf Kommunikation über moderne Medien bei Kindern unzulässig ist vergleiche VfGH vom 25.02.2013, U2241/12; VfGH vom 19.06.2015, E426/2015). Dies gilt jedoch nicht für erwachsene Personen, die sich auch der Konsequenzen ihrer Handlungen bewusst sein mussten, dass nämlich eine spätere Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens nur unter Einhaltung der entsprechenden rechtlichen Bestimmungen möglich ist.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

Der Beschwerdeführer verbrachte andererseits den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens in Jordanien. Er wurde dort sozialisiert, besuchte dort die Schule und war berufstätig. Er spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau und deutet daher nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Jordanien nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Der sohin in Anbetracht der erst kurzen Zeit des Aufenthaltes in Österreich sowie der fehlenden nachhaltigen beruflichen und sprachlichen Integration relativ schwachen Rechtsposition des Beschwerdeführers im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber. Es ist auch darauf zu verweisen, dass ein erst vier Jahre und vier Monate dauernder faktischer Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt, der durch eine illegale Einreise herbeigeführt wurde und währenddessen sich der Beschwerdeführer – insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides – der Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein musste.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist die belangte Behörde daher zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Artikel 8, EMRK nicht vorliegt.

Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers zu Recht davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG von Amts wegen nicht zu erteilen ist. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß Paragraph 52, Absatz 9, in Verbindung mit Paragraph 46, FPG getroffene Feststellung keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in die Heimatregion unzulässig wäre.

3.4.5. Die in Spruchpunkt römisch VI. des angefochtenen Bescheides festgelegte Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht Paragraph 55, Absatz 2, FPG. Dass besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Diesbezüglich finden sich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerde.

3.4.6. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung, Abschiebung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde gegen Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:L507.2213911.1.00