Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

02.03.2022

Geschäftszahl

W287 2180984-1

Spruch


W287 2180987-1/50E

W287 2180984-1/51E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Julia KUSZNIER als Einzelrichterin über die Beschwerden 1) des römisch 40 , geb. römisch 40 , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2017, Zl. römisch 40 (W287 2180987-1), 2) der römisch 40 , geb. römisch 40 , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2017, Zl. römisch 40 (W287 2180984-1), beide StA. IRAK, beide vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, nach Durchführung dreier mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (auch „BF1“) ist mit dem Zweitbeschwerdeführer (auch „BF2“) verheiratet, beide sind Staatsangehörige des Irak. Sie stellten am 20.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 21.09.2015 fanden vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftlichen Erstbefragungen der Beschwerdeführer statt. Am 26.06.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren bezeichnet als Bundesamt bzw. belangte Behörde) statt.

3. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 16.11.2017, zugestellt am 22.11.2017, wies die belangte Behörde jeweils sowohl den Antrag der Beschwerdeführer auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 (AsylG) (Spruchpunkt römisch eins.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (Spruchpunkt römisch II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Es wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).

4. Mit Schreiben vom 19.12.217, eingelangt am 20.12.2017, erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht vollumfängliche Beschwerden gegen die oben genannten Bescheide vom 16.11.2017.

5. Am 27.12.2017 und am 28.12.2017 langten die Beschwerdevorlagen beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die gegenständlichen Rechtssachen wurden der Gerichtsabteilung W287 mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 per 01.03.2021 zugewiesen.

6. Am 20.02.2019 langte eine Beschwerdeergänzung vom 13.02.2019 ein, darauf folgten mehrere Stellungnahmen und Dokumentenvorlagen.

7. Am 21.06.2021 fand eine erste öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Am 12.10.2021 fand eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, bei welcher ausschließlich die Zweitbeschwerdeführerin einvernommen wurde. Am 17.11.2021 fand eine dritte öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei welcher der Erstbeschwerdeführer sowie ein Zeuge einvernommen wurden.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Erstbeschwerdeführers (BF1)

Der volljährige BF1 führt die im Spruch angeführten Personalien. Er ist irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Die Muttersprache des BF1 ist Arabisch.

Der BF1 wurde in Bagdad geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen fünf Brüdern und vier Schwestern auf.

Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet.

Der Erstbeschwerdeführer war vor seiner Ehe mit der BF1 bereits mit einer irakischen Staatsangehörigen verheiratet und hat einen im Jahr 2009 geborenen Sohn. Im selben Jahr ließ er sich von seiner damaligen Ehefrau scheiden. Diese lebt mit dem gemeinsamen Sohn im Irak.

Der Vater und vier Brüder des Erstbeschwerdeführers sind verstorben. Ein Bruder lebt in Neuseeland. Die Mutter und Schwestern des Erstbeschwerdeführers halten sich nach wie vor im Irak auf.

Der Beschwerdeführer besuchte zehn Jahre lang die Grundschule und übte im Irak verschiedene Berufe aus, nachdem sein Vater verstorben war, der zuvor für seinen Unterhalt gesorgt hatte. Er arbeitete als Maler, als Taxifahrer und als Koch in verschiedenen Restaurants.

Der Beschwerdeführer ist nach den irakischen Gepflogenheiten und der irakischen Kultur sozialisiert und mit den irakischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Erstbeschwerdeführer leidet seit dem Jugendalter an Asthma bronchiale und an Herzproblemen in der rechten Herzkammer. Er leidet an mäßigem OSAS (Schlafapnoe-Syndrom bei dem die oberen Luftwege im Schlaf bei der Atmung für kurze Zeit vollständig kollabieren). Zudem leidet er an einem Adipositas-Hypoventilationssyndrom (zu oberflächliche bzw. zu langsame Atmung). Seit er in Österreich lebt, leidet er zusätzlich an Blutdruckstörungen, an Depressionen sowie posttraumatischer Belastungsstörung.

Dem Erstbeschwerdeführer wurden die folgenden Medikamente gegen die Asthmaerkrankung sowie gegen die Depression verordnet: Sertralin als Antidepressivum sowie Brimica Genuair, Ventolin Spray und Berodual Dosaer bei Atemnot. Der Erstbeschwerdeführer benötigt aktuell keine regelmäßigen Therapien, bei Bedarf sucht er eine Psychologin auf. Der letzte Besuch ist nun bereits einige Monate her.

Der Erstbeschwerdeführer ist trotz seiner Erkrankungen arbeitsfähig.

Der Erstbeschwerdeführer wurde zweimal gegen Covid-19 geimpft. Er gehört aufgrund seiner Asthma Bronchiale-Erkrankung, dem Adipositas-Hypoventilationssyndrom, dem Herzproblem und den Blutdruckstörungen zu jener Risikogruppe der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs), bei denen die Viruserkrankung derart schwer verlaufen kann, sodass Lebensgefahr gegeben sein könnte und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sein können. Der Beschwerdeführer ist Ende November 2021 Covid-19 erkrankt und wurde stationär im Krankenhaus behandelt.

1.2. Zur Person der Zweitbeschwerdeführerin (BF2)

Die volljährige BF2 führt die im Spruch angeführten Personalien. Sie ist irakische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekannte sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Ihre Muttersprache ist Arabisch.

Die BF2 wurde in Bagdad geboren und wuchs gemeinsam mit ihren Eltern und ihren vier Brüdern und drei Schwestern in Al Fallujah auf. Ihre Mutter ist Kurdin. Die BF2 ist mit dem BF1 verheiratet. Nach der Hochzeit im Jänner 2012 zog sie zur Familie ihres Mannes nach Bagdad.

Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte acht Jahre lang die Grundschule und lebte zunächst von der Witwenpension ihrer Mutter und dem Unterhalt ihrer Brüder, danach vom Unterhalt ihres Mannes und zumindest über einen gewissen Zeitraum von eigenen Einkünften aus ihrer Arbeit als Kellnerin in einem Restaurant.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist nach den irakischen Gepflogenheiten und der irakischen Kultur sozialisiert und mit den irakischen Gepflogenheiten vertraut.

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an Magenschmerzen durch Magengeschwüre, im August 2021 erlitt sie eine Gastritis Erkrankung. Sie hat Allergien sowie Probleme mit der Schilddrüse. Ansonsten ist sie gesund. Sie nimmt regelmäßig die folgenden Medikamente ein: Novalgin-Tropfen (schmerzstillendes und fiebersenkendes Arzneimittel), Symbicort Turbohaler (gegen chronisch entzündliche Reaktionen der Atemwege oder des Verdauungstraktes), Thiamazol Sandoz Tabletten (kontrolliert die Überproduktion von Schilddrüsenhormonen in der Schilddrüse), Pantoprazol (Mittel gegen Sodbrennen und Magengeschwüre), Dymista (Antihistaminika gegen Allergien), Otrivin (Nasenspray bei verstopfter oder rinnender Nase).

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an einer Anpassungsstörung, Angst und einer depressiven Reaktion, sie befindet sich seit 01.12.2017 in psychotherapeutischer Behandlung.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist arbeitsfähig.

Sie gehört keiner Covid-19-Risikogruppe an.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Erstbeschwerdeführers

1.3.1.  Der Erstbeschwerdeführer wurde im Irak nicht von Milizen angegriffen oder bedroht. Er wurde auch nicht aufgrund von Verbindungen zur Baath-Partei im Irak von Milizen oder sonstigen Akteuren angegriffen oder bedroht.

Der Erstbeschwerdeführer war in seinem Herkunftsland Irak keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren seine körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt.

Ihm droht keine Verfolgung aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung.

Bei einer Rückkehr in den Irak drohen dem Erstbeschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Milizen, von staatlicher Seite oder durch andere Personen.

1.3.2. Dem Erstbeschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in den Irak wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

1.3.3. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in den Irak konkret und individuell aufgrund der Tatsache, dass er den Islam nicht praktiziert, weder physische noch psychische Gewalt. Es droht ihm auch keine Gewalt aufgrund der Tatsache, dass er sich aktuell für das Christentum interessiert. Der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden. Der BF1 wäre bei einer Rückkehr in den Irak wegen seines Interesses für das Christentum keiner physischen und/oder psychischen Gewalt ausgesetzt.

1.4. Zu den Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin

1.4.1.  Der Zweitbeschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in den Irak wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

1.4.2. Die Zweitbeschwerdeführerin ist keine alleinstehende Frau. Sie ist mit dem Erstbeschwerdeführer verheiratet und sie hat Familie im Irak. Ihr droht bei einer Rückkehr keine Gefahr als alleinstehende Frau.

1.4.3. Die BF2 ist wegen ihres Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen ihrer Wertehaltung im Irak keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität ausgesetzt. Sie hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten im Irak darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung bei der Zweitbeschwerdeführerin vor, die wesentlicher Bestandteil ihrer Persönlichkeit geworden ist und die sie im Irak exponieren würde. Die Zweitbeschwerdeführerin hat seit ihrer Einreise in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in urbanen Zentren im Irak darstellt.

1.4.4. Die Zweitbeschwerdeführerin war in ihrem Herkunftsland Irak keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren ihre körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt.

Ihr droht keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ihrer politischen Gesinnung.

Bei einer Rückkehr in den Irak droht der Zweitbeschwerdeführerin individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Milizen, durch ihre Familie, von staatlicher Seite oder durch andere Personen.

1.4.5. Der Zweitbeschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in den Irak konkret und individuell aufgrund der Tatsache, dass sie den Islam nicht praktiziert, weder physische noch psychische Gewalt. Es droht ihr auch keine Gewalt aufgrund der Tatsache, dass sie sich aktuell für das Christentum interessiert. Der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität der BF2 geworden. Die BF2 wäre bei einer Rückkehr in den Irak wegen ihres Interesses für das Christentum keiner physischen und/oder psychischen Gewalt ausgesetzt.

1.5. Zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

1.5.1. Die Beschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und halten sich zumindest seit dem 20.09.2015 durchgehend in Österreich auf. Sie sind nach einem Antrag auf internationalen Schutz vom 20.09.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

1.5.2. Der Erstbeschwerdeführer hat Deutschkurse bis zum Niveau A1 abgelegt. Er ist in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren, war während der Verhandlung aber durchgehend auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen. Auch die Zweitbeschwerdeführerin hat Deutschkurse bis zum Niveau A1 und A2 absolviert und eine A1 Deutschprüfung abgelegt. Sie ist in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren, war während der Verhandlung aber überwiegend auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen.

1.5.3. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet. Sie haben keine gemeinsamen lebenden Kinder. Die Beschwerdeführer haben keine Verwandten in Österreich.

1.5.4. Besonders enge freundschaftliche Beziehungen der Beschwerdeführer, die über Freundschaften im Rahmen der Vereinstätigkeit, der Unterkünfte und sonstigen ehrenamtlichen Tätigkeit hinausgehen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5.5. Der Erstbeschwerdeführer arbeitete in der Küche bei einer Tankstelle mit und hat nun ein Gewerbe angemeldet, womit er seit Sommer 2021 als Assistent eines Kochs in einer Pizzeria tätig ist. Er verdient ca. EUR 1.400,- monatlich. Davor arbeitete er von September 2020 bis Februar 2021 und seit Mitte Mai 2021 ca. 15 Wochenstunden in einem Sozialmarkt Cafe in der Küche und arbeitete von August 2020 bis Jänner 2021 ehrenamtlich bei Reinigungen und Reparaturen für die Volkshilfe. In den Jahren 2018 und 2019 arbeitete er ab und zu ehrenamtlich für die Volkshilfe.

1.5.6. Die Zweitbeschwerdeführerin war im Jahr 2018 mehrere Monate halbtags und ist seit April 2020 ehrenamtlich in einem Sozialmarkt tätig. Sie engagierte sich immer wieder ehrenamtlich und besuchte in den vergangenen Jahren diverse Deutschkurse. Am 19.05.2020 bestand sie das ÖSD Zertifikat A1.

1.5.7. Den Lebensunterhalt in Österreich finanzierten sich die Beschwerdeführer durch Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Bis August 2021 bezog der Erstbeschwerdeführer dabei finanzielle Leistungen aus der Grundversorgung. Seit 06.08.2021 ist der Erstbeschwerdeführer selbsterhaltungsfähig.

1.5.8. Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.6. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat

1.6.1. Den Beschwerdeführern wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsstadt Bagdad kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Sie werden im Falle ihrer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie in der Stadt Bagdad die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.6.2. Die Beschwerdeführer wuchsen in Bagdad bzw. Al Fallujah auf. Sie lebten über mehrere Jahre hinweg bis zu ihrer Ausreise 2015 gemeinsam an verschiedenen Orten im Irak: 2012 in Bagdad, dann in Kurdistan, dann ein paar Wochen in Al Fallujah, 12 Monate in Aldora, 2013-2014 in Halabja im Nordirak, dann wieder in Bagdad, anschließend 2014 in der Türkei, bis sie von dort aus nach Europa reisten.

Die Beschwerdeführer gingen in diesen Jahren verschiedenen Berufstätigkeiten nach, sie führten in Halabja im Nordirak 2013 gemeinsam ein Restaurant, der Erstbeschwerdeführer arbeitete als Maler, Taxifahrer und die Zweitbeschwerdeführerin als Kellnerin.

Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin (ihre Mutter und Geschwister) hält sich nach wie vor im Irak in Al Fallujah auf. Die Zweitbeschwerdeführerin hat Kontakt mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern. Die Mutter lebt von der Witwenpension, die Brüder arbeiten auf der Baustelle, einer hat ein Uhrengeschäft und einer ist Beamter. Die Beschwerdeführer können bei einer Rückkehr zumindest am Anfang bei der Familie der Zweitbeschwerdeführerin Unterkunft nehmen.

Der Erstbeschwerdeführer hat einen Sohn, der bei seiner ehemaligen Ehefrau im Irak lebt. Außerdem leben seine Mutter, seine Schwestern und die Familien der verstorbenen Brüder im Irak. Die Beschwerdeführer können bei einer Rückkehr zumindest am Anfang bei der Familie des Erstbeschwerdeführers Unterkunft nehmen.

Die Beschwerdeführer sind anpassungsfähig und können wie auch bereits vor der Ausreise einer regelmäßigen Arbeit nachgehen und an verschiedenen neuen Orten leben. Sie haben beide eine Schulausbildung im Irak genossen, und der BF1 ging sowohl im Irak als auch in Österreich bereits verschiedensten beruflichen Tätigkeiten nach. Die BF2 geht in Österreich verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten nach und war im Irak vorübergehend selbst erwerbstätig.

1.6.3. Bei einer Rückkehr in den Irak können die Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie können wie bereits vor ihrer Ausreise selbst für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen, auch wenn sie von familiärer Seite keine Unterstützung erhalten sollten, und sowohl in der Herkunftsstadt Bagdad als auch in Al-Fallujah einer Arbeit nachgehen. Sie können außerdem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es gibt eine sichere Flugverbindung von Europa in die irakische Hauptstadt Bagdad. Von dort besteht ein Straßennetz direkt in die angrenzende Provinz Al-Anbar nach Al-Fallujah, wo die Familie der BF2 lebt. Die Beschwerdeführer können Al-Fallujah auf dem beschriebenen Weg praktisch, sicher und legal erreichen. (Iraq District Map der UN, Jan 2014 und EUAA Country Guidance: Iraq Common analysis and guidance note January 2021). Die Beschwerdeführer können daher sowohl ihre Herkunftsstadt Bagdad, in er sie beide geboren sind und immer wieder gemeinsam gelebt haben, als auch Al-Fallujah, wo die Familie der BF2 lebt, sicher erreichen.

Es ist den Beschwerdeführern möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Herkunftsstadt Bagdad oder alternativ in Al-Fallujah Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.6.4. Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin sind zwar nicht vollkommen gesund, sie leiden an verschiedenen Erkrankungen und es bedarf einer medikamentösen Behandlung. Trotz ihrer Erkrankungen sind beide arbeitsfähig. Die Erkrankungen der Beschwerdeführer und ihr medikamentöser Behandlungsbedarf stehen einer Rückkehr in den Irak nicht entgegen, da die notwendigen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind und auch die notwendigen Medikamente bei einer Rückkehr zugänglich sind vergleiche dazu genauer die Beweiswürdigung unter Punkt römisch II.2.6.).

Auch die Zugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers zur Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar vergleiche dazu genauer die Beweiswürdigung unter Punkt römisch II.2.6.)

1.7. Zur maßgeblichen Situation im Irak

Die Feststellung der maßgeblichen Situation im Irak basiert auf den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichten, aus denen im Folgenden Auszüge als Feststellungen getroffen werden.

Zur allgemeinen Sicherheitslage, den Fluchtvorbringen und zum allgemeinen Zugang zu medizinischer Behandlung:

●             ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, zur staatlichen Krankenversicherung und Grundversorgung für Rückkehrende vom 30.06.2021

●             Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 15.10.2021, Version 4

●             EUAA Country Guidance Irak vom Jänner 2021

●             WHO Covid-19 Dashboard 15.11.2021

●             UNHCR-Position vom Mai 2019: „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“

●             EUAA Irak Zentrale sozioökonomische Faktoren für Bagdad, Basra und Erbil, September 2020;

Zur Behandlung von psychischen Erkrankungen, Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörung:

●             ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Behandlung von Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (…) in Basra (…) vom 02.04.2021

●             ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Versorgung von Patientinnen mit psychischen Erkrankungen vom 26.03.2021

●             ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen, Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antypsychotika, Verfügbarkeit von Medikamenten gegen Bluthochdruck bzw. Hersprobleme vom 12.02.2019

●             ACCORD Anfragebeantwortung zu Irak: Provinz Diyala: Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen, Zugang zu und Kosten von Behandlung und Medikamenten vom 07.01.2021

Zur Behandlung der spezifischen Erkrankungen der Beschwerdeführer:

●             EUAA Bericht zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Schlüsselindikatoren in Bagdad, Basra und Sulaimaniya vom 25. November 2021

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Leberzirrhose, (…), Asthma bronchiale (…) vom 13.08.2019

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Hypertonie, Schlafapnoesyndrom, CPAP-Maskenatmung vom 03.08.2021

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Nachbehandlung Hinterwandinfarkt, Mossul vom 18.09.2020

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Nedujanete Vzdi-San und Immunoprin vom 12.03.2018

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Diabetes, (…), Bluthochdruck, (…), Psychose, Depressionen vom 20.10.2021

Aus den ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ließen sich die Behandlung und Verfügbarkeit fast aller Erkrankungen und Medikamente der Beschwerdeführer ermitteln. Ergänzend zu den in den vorhandenen Länderinformationen enthaltenen Informationen stellte die erkennende Richterin am 14.12.2021 eine Anfrage zur Behandelbarkeit der Erkrankungen an die Staatendokumentation:

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK: Magengeschwüre, Allergien, Schilddrüsenüberfunktion, Anpassungsstörung, Angst, depressive Reaktion vom 14.01.2022

●             Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK: Asthma bronchiale, Herzprobleme, Schlafapnoe-Syndrom, Adipositas-Hypoventilationssyndrom, Depression, PTSD vom 14.01.2022

1.7.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 15.10.2021, Version 4:

COVID-19

Letzte Änderung: 15.10.2021

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle im Irak empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/countries/irq/, oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Im März und April 2020 verhängte die Regierung in Bagdad Sperren aufgrund von COVID-19, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der Grenzübergänge führten (FH 3.3.2021). Die im föderalen Irak am 9.6.2021 verhängte Ausgangssperre ist noch aktiv. Ausgangssperren gelten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr und sind von Freitag bis Sonntag zusätzlich verschärft (IOM 18.6.2021).

Im April und Mai 2020 nutzten die Behörden im Irak die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Nutzer sozialer Medien und Blogger wurden mit Verleumdungsklagen konfrontiert, weil sie die schlechte Reaktion der lokalen Behörden auf die COVID-19-Pandemie kritisierten (FH 3.3.2021).

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Die Hadsch- und Umrah-Behörde registriert keinen Bürger, der die Umrah- und Hadsch-Pilgerreise antreten möchte, wenn dieser keinen Impfnachweis vorweisen kann (GoI 13.4.2021).

Auswirkungen auf die Wirtschaftslage

Die von den irakischen Behörden und der kurdischen Regionalregierung (KRG) verhängten Abriegelungen verschlimmerten die finanziellen Nöte von Niedriglohnarbeitern und Kleinunternehmern (FH 3.3.2021). Die Erwerbsbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten in der Welt. Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich verringert und die Löhne gesenkt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) wurde aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen ab April 2020 ein durchschnittlicher Beschäftigungsrückgang von 40% verzeichnet. Am stärksten betroffen waren KMUs im Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie, mit einem Verlust von 52% der Arbeitsplätze, gefolgt vom Lebensmittel- und Agrarsektor, mit einem Verlust von 45% der Arbeitsplätze (IOM 18.6.2021).

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben staatliche Angestellte im gesamten Land keine regelmäßige und volle Gehaltsauszahlung erhalten (GIZ 1.2021b). Die irakische Regierung hat Schwierigkeiten, die Löhne und Gehälter der sechs Millionen im öffentlichen Sektor Angestellten zu zahlen. Millionen Menschen, die im privaten und informellen Sektor gearbeitet haben, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe leben im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 USD pro Tag (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Die COVID-19-Pandemie hat das ohnehin schon marode irakische Gesundheitswesen stark in Mitleidenschaft gezogen, das mit der großen Zahl von Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, nur schwer zurechtkommt (FH 3.3.2021).

Anfang 2020, zu Beginn der COVID-19-Krise, pausierten die Gesundheitseinrichtungen die meisten Dienstleistungen und konzentrierten sich auf die Erforschung des Virus und seine Auswirkungen. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und seine Dienste wieder auf, mit zusätzlichen Vorschriften wie z. B., dass Krankenhäuser nur nach Terminvereinbarung aufgesucht werden dürfen, strengere Hygienemaßnahmen, und dass medizinisches Personal im Rotationsverfahren eingesetzt wird, was längere Wartezeiten zur Folge hat (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2021 arbeiteten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums (MoH) (IOM 18.6.2021).

Eine Umfrage deutet darauf hin, dass im Jahr 2020, infolge der COVID-Krise, die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, stark auf 38% gestiegen ist (gegenüber 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

Als Sofortmaßnahme gegen die COVID-19-Pandemie hat das Bundesbildungsministerium Ende Februar 2020 alle Schulen im Irak schließen lassen (UNICEF 20.1.2021). Die Schulen waren von März bis November 2020 geschlossen. Kinder ohne Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten, insbesondere Kinder von Vertriebenen und in Armut lebenden Familien, sind besonders vom Bildungsverlust betroffen. Besonders hart betroffen sind jene Kinder, die bereits vor der Pandemie durch das Leben unter IS-Herrschaft mehrere Jahre an Bildungszugang verloren haben (HRW 13.1.2021). Ende November 2020 wurden die Schulen wieder geöffnet, mit einem Tag Präsenzunterricht pro Woche für jede Klasse (UNICEF 20.2.2021).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den sog. Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen (AA 22.1.2021). Der sog. IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig. Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 22.1.2021). Die Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 22.1.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den sog. IS (UNSC 30.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter Volksmobiliserungskräfte (PMF) sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 22.1.2021).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut der Türkei gegen die PKK gerichtet sind, und die Türkei unterhält temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vergleiche Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den sog. IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). - Jene Sicherheitslücken werden vom sog. IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der sog. IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

ISLAMISCHER STAAT (IS)

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vergleiche MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021).

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Der verstärkte Einsatz von mobilen Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat Anmerkung, Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der Popular Mobilization Forces (PMF), Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal Afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vergleiche CISAC 2021). Dem neuen Kalifen sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020). Ende Jänner 2021 wurde der Wali [Anm.: Gouverneur] für den Irak Jabbar Salman Ali Farhan al-Issawi, bekannt als Abu Yasser, in einer Operation als Vergeltung für den IS-Bombenanschlag in Bagdad vom 21.1.2021 im Süden Kirkuks getötet (WIng 4.2.2021; vergleiche Al-Monitor 1.3.2021, VOA 7.2.2021). Abu Yasser hatte Berichten zufolge seit 2017 den IS-Aufstand im Irak angeführt (VOA 7.2.2021).

SICHERHEITSRELEVANTE VORFÄLLE, OPFERZAHLEN

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem sog. Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im dritten Quartal 2020, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im dritten Quartal 2020, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 25.3.2021).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2021 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2021).

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2020 902 zivile Todesopfer. Im Jahr 2021 wurden bis Juli 2021 bisher 417 zivile Todesopfer verzeichnet. Bis auf die Monate April und Juli waren es jeweils weniger als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres (IBC 8.2021).

Letzte Änderung: 15.10.2021

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, das seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Gebiete (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmiya, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten "Bagdader Gürtel" (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 Kilometern um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Im Ort Tarmiya im nördlichen Teil des Gouvernement Bagdad, hat der sog. Islamische Staat (IS) eine Zelle reaktiviert (Wing 2.8.2021). Im August 2021 haben Sicherheitskräfte eine Operation gegen diese IS-Zelle gestartet, nachdem der IS seine Angriffe in den vorangegangenen Monaten verstärkt hatte (Anadolu 23.8.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Mitte August 2021 wurde beispielsweise bei Tarmiya ein Strommast gesprengt, der die dortige Pumpstation mit Strom versorgt. Deren Stillstand hatte den Ausfall der Wasserversorgung für mehrere Millionen Menschen im Westen Bagdads zur Folge. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kata'ib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021).

Pro-iranische schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Unter anderem werden auch aus dem Gouvernement Bagdad Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Pro-iranische Milizen werden auch für Raketen- und Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad und auf die sogenannte Grüne Zone Anmerkung, ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandsvertretungen beherbergt) verantwortlich gemacht. Siehe dazu die folgende Auflistungen der monatlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle:

Im Jänner 2021 wurden im Gouvernement Bagdad zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 111 Verletzten verzeichnet. 32 der Toten und 110 der Verletzten waren Zivilisten. Sechs dieser Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 4.2.2021). Der IS hat im Jänner 2021 einen doppelten Selbstmordanschlag auf einem Markt am Tayaran-Platz im Zentrum Bagdads ausgeführt, bei dem 32 Menschen getötet und 110 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche BBC 21.1.2021, Wing 4.2.2021). Pro-iranische Milizen zeichneten sich verantwortlich für drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und für den Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad (Wing 4.2.2021).

Im Februar 2021 wurden zehn Vorfälle mit vier Toten und drei Verletzten verzeichnet. Je fünf Vorfälle werden dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Bei den IS-Vorfällen handelte es sich, bis auf ein Feuergefecht in Tarmiya im Norden Bagdads, um Angriffe von geringem Ausmaß. Bei vier der pro-iranischen Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, beim fünften um einen Raketenbeschuss der Grünen Zone in Bagdad (Wing 8.3.2021).

Im März 2021 gab es zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und sieben Verletzten, davon waren zwei der getöteten und sechs der verwundeten Personen Zivilisten. Acht dieser Vorfälle werden dem sog. IS, zwei weitere pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die IS-Angriffe umfassten unter anderem ein Feuergefecht, den Einsatz einer Motorradbombe und den Angriff auf das Haus eines Sheikhs mit einem Sprengsatz. Tarmiya, ein Ort im Norden Bagdads, von dem aus eine IS-Zelle operiert, war hauptsächlich von den IS-Übergriffen betroffen. Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 5.4.2021).

Im April 2021 wurden im Gouvernement Bagdad sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Vier dieser Vorfälle werden dem IS, drei pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Bei einem der IS-Angriffe handelte es sich um einen Anschlag unter Verwendung einer Autobombe auf einem Markt in Sadr City, bei dem vier Menschen getötet und 20 verwundet wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche Garda 15.4.2021, Wing 3.5.2021). Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich wiederum um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie um Raketenbeschuss einer Militärbasis (Wing 3.5.2021).

Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten verzeichnet, von denen zwei Zivilisten waren. Sieben Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, wobei sich sechs im nördlichen Tarmiya Distrikt ereigneten. Zwei Vorfälle, ein Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad und ein vereitelter Angriff, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021).

Im Juni 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 39 Verletzten verzeichnet. Sieben der Toten und 36 der Verletzten waren zivile Opfer. Zehn der Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben. Sechs der sicherheitsrelevante Vorfälle, unter anderem ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Weitere Angriffe konnten verhindert werden (Wing 6.7.2021).

Im Juli 2021 wurden im Gouvernement Bagdad 18 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten, davon 38 Zivilisten, und 59 zivile Verletzte verzeichnet. 14 dieser Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Am 19.7.2021 führte der IS ein Selbstmordattentat in einem Markt in Sadr City aus, bei dem 35 Menschen getötet und 59 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche Wing 2.8.2021). Vier Vorfälle, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, zwei Raketenbeschüsse der Grünen Zone sowie die Entschärfung einer Rakete, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (WIng 2.8.2021).

Im August 2021 wurden zehn Vorfälle, mit acht Toten und elf Verwundeten verzeichnet, wobei zwei der Verwundeten Zivilisten waren. Sechs Angriffe werden dem sog. IS zugeordnet, vier pro-iranischen Milizen (Wing 6.9.2021). Der IS war im Gouvernement Bagdad neuerlich in Tarmiya am aktivsten, wo unter anderem ein PMF-Brigade-Hauptquartier angegriffen wurde. Bei den vier Vorfällen unter Beteiligung pro-iranischen Milizen handelt es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der US-Streitkräfte (Wing 6.9.2021).

[…]

Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Aktivitäten des sogenannten Islamischen Staates (IS) nehmen in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad-Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zu, vor allem in abgelegenen Gegenden der zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Bundesregierung „umstrittenen Gebiete“. IS-Kämpfer wenden „Hit-and-Run“-Taktiken an und verüben Entführungen und Erschießungen in diesen Gebieten (K24 3.7.2021). Der IS infiltriert bereits seit Jahren die Sicherheitslücken, die sich zwischen den irakischen und kurdischen Sicherheitskräften in den umstrittenen Gebieten gebildet haben (JP 1.5.2021).

Die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din sind, ebenso wie viele südirakische Gouvernements von Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs) durch schiitische Milizen (PMF) betroffen, die gegen militärische Versorgungskonvois der USA gerichtet sind. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).

In den umstrittenen Gebieten gibt es große Sicherheitslücken zwischen den Sicherheitskräften Bagdads und Erbils, die in den nördlichen Gebieten bis zu 60 km und in Diyala um die 40 km breit sind. Diese territorialen Sicherheitslücken haben sich zu sicheren Zufluchtsorten für den sog. IS entwickelt, von wo aus die Kämpfer Anschläge gegen irakische Streitkräfte und kurdische Peshmerga in den Gebieten von Ninewa, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk verüben (EPC 13.7.2021).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel, der zwischen dem arabischen und kurdischen Teil des Irak liegt, und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (ICG 14.12.2018). Die umstrittenen Gebiete umfassen Territorien in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya und Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom sog. IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die umstrittenen Gebiete umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (ICG 14.12.2018).

In dem Bemühen, die zunehmenden Aktivitäten des sog. IS in den Sicherheitslücken einzudämmen, richten die kurdische Regionalregierung (KRG) und die irakische Bundesregierung gemeinsame Koordinationszentren ein (Al Monitor 26.5.2021). Ein Abkommen zwischen Bagdad und Erbil soll die Wiederherstellung der gemeinsamen militärischen Verwaltung dieser Gebiete und die Rückkehr der kurdischen Peschmerga in diese Gebiete, insbesondere in Kirkuk und einigen Teilen von Diyala, mit sich bringen (EPC 13.7.2021).

Gouvernement Anbar

Das Gouvernement Anbar wird vom IS hauptsächlich als Drehscheibe benutzt, was üblicherweise eine geringe Zahl an Angriffen vor Ort zur Folge hat (Wing 5.4.2021).

Im Jänner 2021 wurden im Gouvernement Anbar zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Je ein Toter und ein Verletzter waren Zivilisten. Alle Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 14 Verletzten verzeichnet, jedoch ohne Zivile Opfer. Alle Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden fünf Vorfälle mit fünf Verletzten verzeichnet. Bei einem der Opfer handelt es sich um einen Zivilisten. Drei der Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, und ein Raketenbeschuss der ’Ain Al-Assad Militärbasis (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden elf Vorfälle mit vier Toten und einem Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Toten handelt es sich um Zivilisten. Vier der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, während sieben der Vorfälle - fünf IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, ein Raketenbeschuss der ’Ain Al-Assad Militärbasis sowie ein Schusswechsel an einem Kontrollpunkt an der saudiarabischen Grenze - pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 13 sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und 15 Verletzten verzeichnet. Sechs der Vorfälle werden dem sog. IS und sieben - drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, sowie zwei Raketen und ein Drohnenangriff auf ’Ain Al-Assad Militärbasis - pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden fünf Vorfälle ohne Opfer verzeichnet. Zwei der Vorfälle werden dem sog. IS und drei - ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie Raketenbeschüsse der ’Ain Al-Assad Militärbasis an unterschiedlichen Tagen - pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 14 Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Bei neun der Toten und acht der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten.

Zwölf der Vorfälle werden dem sog. IS und vier - zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie Raketenbeschüsse der ’Ain Al-Assad Militärbasis an unterschiedlichen Tagen, pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021).Im August 2021 wurden in Anbar sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und drei Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und zwei Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Fünf Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.9.2021). Der schwerwiegendste Vorfall im August ereignete sich am Grenzübergang Akashat. Ein Grenzpolizist wurde getötet, ein weiterer verletzt und ein dritter entführt und später vom sog. IS enthauptet. Es wird vermutet, dass dies als Einschüchterung gesehen wird, Schmuggelaktionen des IS zu ermöglichen (Wing 6.9.2021).

Sicherheitskräfte und Milizen

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause.Statt des bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS). Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land, oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der PMF, einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle, insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 30.3.2021).

Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des sog. IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffen) mit ihrem Anführer Qais Al-Khaz'ali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018; vergleiche EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in iranischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson Center 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (ITIC 8.1.2020). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson Center 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khazali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den für die USA als einer der Verantwortlichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz'ali als "Specially Designated Global Terrorist" ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).

[…]

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 15.10.2021

Anmerkung: Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt "Minderheiten" behandelt.

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 22.1.2021; vergleiche GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 12.5.2021 ). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 22.1.2021 ). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 12.5.2021 ).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 22.1.2021; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 14.10.2020; vergleiche ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 3.3.2021).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 12.5.2021).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 12.5.2021; vergleiche USCIRF 4.2021).

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 22.1.2021; vergleiche USDOS 12.5.2021). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 22.1.2021). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Sabäer-Mandäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 12.5.2021).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer/Sabäer, Schabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).

Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der PMF, die Freizügigkeit innerhalb des Landes aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 30.3.2021).

Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wieviele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 30.3.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 12.5.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 12.5.2021).

In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Sabäer-Mandäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 12.5.2021).

[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel Minderheiten entnommen werden.]

KONVERSION UND APOSTASIE

Letzte Änderung: 15.10.2021

Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z.B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 22.1.2021). Das irakische Strafgesetzbuch verbietet jedoch die Beleidigung von religiösen Ritualen, Symbolen oder heiligen Personen und Gegenständen. Laut Artikel 372 können Personen, die sich dessen schuldig machen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe von bis zu 300 Dinar bestraft werden (EBL 18.6.2020). Die irakische Regierung weigerte sich, die Blasphemie- und Apostasiegesetze abzuschaffen (USCIRF 4.2021).

Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslimen zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 12.5.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020, UK Home Office 7.2021). Es liegen keine Berichte über Strafverfolgung von Konvertiten vor (UK Home Office 7.2021).

Minderjährige Kinder von Personen, die zum Islam konvertieren, oder von denen ein Elternteil als Muslim eingetragen ist, werden von den Behörden automatisch auch als Muslime ausgewiesen. Dies gilt sogar dann, wenn das Kind das Ergebnis einer Vergewaltigung ist (USDOS 12.5.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020). Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, können ihre Religionszugehörigkeit nicht in ihrem Personalausweis ändern. Sie bleiben weiterhin als Muslime registriert (EASO 1.2021). Auch ihre Kinder werden daher weiterhin als Muslime registriert (DIS/Landinfo 9.11.2018). Muslimische Männer dürfen eine nicht-muslimische Frau heiraten, muslimische Frauen dürfen jedoch keine Nicht-Muslime heiraten (USDOS 12.5.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020, RoI 30.12.1959). Es gibt keine Gesetze, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten verbieten (DFAT 17.8.2020).

Es gibt keine gemeldeten Fälle von Personen, die in der Kurdischen Region im Irak (KRI) wegen eines Religionswechsels vor Gericht gestellt wurden. Die Zahl der zum Christentum konvertierten Personen in der KRI wird auf wenige hundert geschätzt (EASO 1.2021). Personen, die vom Islam zu Christentum konvertieren, sind in der KRI in Gefahr Opfer von (auch tödlicher) Gewalt zu werden (DIS/Landinfo 9.11.2018).

Einige muslimische geistliche Führer sehen die Bahai als Apostaten vom Islam an (DFAT 17.8.2020).

ATHEISMUS, AGNOSTIZISMUS, KRITIK AN KONFESSIONELLER POLITIK

Letzte Änderung: 13.09.2021

Atheismus ist im Irak nicht illegal (EASO 1.2021). Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen (Al-Monitor 1.4.2018). Die irakische Verfassung sieht die Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung für alle Menschen vor und nennt dabei Muslime, Christen, Jesiden und Sabäer/Manäer. Atheisten, so wie auch andere Religionsgemeinschaften werden dabei nicht ausdrücklich erwähnt (USDOS 12.5.2021).

Staatliche Akteure setzen Atheismus typischerweise mit Blasphemie gleich (EASO 1.2021). Atheisten wurden Berichten zufolge wegen "Schändung von Religionen" und damit zusammenhängenden Anklagen verfolgt (UNHCR 5.2019; vergleiche Al Monitor 1.4.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen (Al-Monitor 1.4.2018 ; vergleiche EASO 1.2021 ) . Einer wurde verhaftet, während die übrigen drei geflohen sind (Al-Monitor 1.4.2018). Ende 2018 wurde ein Buchhändler im südirakischen Gouvernement Nasiriyah verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, Atheismus verbreiten zu wollen (AW 20.7.2019; vergleiche NBC 5.4.2019).

Atheisten im Irak sind eine wachsende Minderheit (AW 20.7.2019). Berichten zufolge gibt es auch eine kleine, wachsende Bewegung von Agnostikern im Irak (NBC 5.4.2019). Insbesondere junge Menschen wenden sich zunehmend vom konservativen Islam ab. Dies war bereits nach 2003 und insbesondere während und nach dem Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) zu beobachten. Manche wenden sich dem Atheismus zu, andere entscheiden sich für eine liberale Auslegung des Islam, wieder andere konvertieren. Abweichung wird auch durch eine abweichende religiöse Praxis, wie das Ablegen des Kopftuchs gezeigt (Al-Monitor 11.9.2020).

Personen, die gegen die strenge Auslegungen der islamischen Regeln in Bezug auf Kleidung, soziales Verhalten und Berufe verstoßen, einschließlich Atheisten und säkular gesinnte Personen, Frauen und Angehörige religiöser Minderheitsgruppen, sind Berichten zufolge mit Entführungen, Schikanen und körperlichen Angriffen durch verschiedene extremistische bewaffnete Gruppen und Milizen konfrontiert (UNHCR 5.2019). Milizen sollen Mittel haben, um die Personen hinter Social Media-Einträgen ausfindig zu machen. Angeblich werden Atheisten ins Visier genommen (NBC 5.4.2019).

Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahe stehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018). An den Wahlen von 2018 nahm auch eine Reihe eher sekularer Parteien teil (FH 3.3.2021).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) wird Atheismus negativ gesehen, jedoch eher akzeptiert als Apostasie. Kritik an religiösen Führern ist weit verbreitet. Auch Kritik am Islam in den sozialen Medien, insbesondere auf Facebook, war bis vor kurzem noch inakzeptabel, ist in der KRI aber jüngst zu einer Art Trend geworden. Obwohl die kurdische Regierung säkular ist, ist die Gesellschaft im Allgemeinen, insbesondere in Erbil, konservativ, und es wird allgemein erwartet, dass die Menschen die islamischen Normen respektieren (EASO 1.2021).

Ein öffentliches Bekenntnis als Atheist kann Probleme nach sich ziehen. Berichten zufolge hat es Fälle von körperlicher Bedrohung, Belästigungen und in einigen Fällen von Famlienausschlüssen gegeben. Atheisten, die aufgrund ihres Glaubens belästigt werden, meiden es eher sich an die Polizei zu wenden. In jüngster Zeit sind keine Vorfälle von Strafverfolgung von Atheisten in der KRI bekannt geworden (EASO 1.2021).

Minderheiten

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 22.1.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 22.1.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von Flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 30.3.2021). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 12.5.2021). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der PMF, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 30.3.2021). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 12.5.2021).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 22.1.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 30.3.2021).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemalige Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe schiitische Milizen (PMF) sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben würden und versuchen, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seiner Provinz gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021).

Relevante Bevölkerungsgruppen

FRAUEN

Letzte Änderung: 15.10.2021

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament verankert. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30% (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Diese formale Repräsentation hat geringe Auswirkungen auf die staatliche Politik gegenüber Frauen, die von politischen Debatten und Führungspositionen üblicherweise ausgeschlossen sind (FH 3.3.2021).

Frauen sind im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben einschränkt. Sie werden selten in Entscheidungspositionen und andere einflussreiche Positionen ernannt (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die traditionelle Rollenverteilung in der Familie lässt weniger Möglichkeiten für Frauen, sich im Studium oder beruflich weiter zu entwickeln. Dies wird zum Teil aus der religiösen Tradition begründet, aber auch patriarchalische Strukturen sind weit verbreitet (AA 22.1.2021).

Frauen sind gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit als eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung (AA 22.1.2021). Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsbürgerschaftsrecht (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). So können Frauen in Bezug auf das Erbrecht unter Druck geraten, ihre Rechte an männliche Verwandte abzutreten (FH 3.3.2021). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 22.1.2021; vergleiche FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen, insbesondere unter Binnenflüchtlingen (IDPs) (AA 22.1.2021). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen durch gesetzliche Beschränkungen stärker eingeschränkt als für Männer (FH 3.3.2021 ). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 3.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 3.3.2021 ).

Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen liegt bei etwa 11,5% (Stand 2019) (WB 29.1.2021a). Die geschätzte Arbeitslosigkeit bei Frauen, die an der Arbeitswelt teilhaben, liegt laut Weltbank bei etwa 30,6% (Stand 2019) (WB 29.1.2021b). Der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak zufolge liegt sie bei 13% (UNIraq 2021). Die Jugendarbeitslosigkeit bei Frauen und Mädchen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren wird auf etwa 63,3% geschätzt (Stand 2017) (CIA 15.6.2021). Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).

Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer (GIZ 1.2021c; vergleiche AA 14.10.2020). Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen stärker von Analphabetismus betroffen als Buben (GIZ 1.2021c). Etwa 79,9% der Frauen im Alter von über 15 Jahren können lesen und schreiben (Stand 2017) (UNESCO 2021; vergleiche WB 9.2020). In der Altersgruppe der 15 bis 24 jährigen Mädchen und Frauen liegt die Rate bei 92,1% (Stand 2017) (UNESCO 2021). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate bei Mädchen (rund 77%) weit niedriger als jene der Buben (rund 90%). Je höher die Bildungsstufe ist, desto geringer ist der Anteil an Mädchen. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c).

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Letzte Änderung: 15.10.2021

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 3.3.2021). Personen, die als nicht konform mit den lokalen sozialen und kulturellen Normen angesehen werden, weil sie ein "westliches" Verhalten an den Tag legen, sind Drohungen und Angriffen von Einzelpersonen aus der Gesellschaft sowie von Milizen ausgesetzt. Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben es auf Personen abgesehen, die Anzeichen für eine Abweichung von ihrer Auslegung der schiitischen Normen zeigen, manchmal mit Unterstützung der schiitischen Gemeinschaft (EASO 1.2021). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 22.1.2021). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 12.5.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020). Nicht-schiitische Muslime und nicht-muslimische Frauen berichten, dass sie sich gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bspw. während des heiligen Monats Muharram, insbesondere während Ashura, den Hijab und schwarze Kleidung zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden (DFAT 17.8.2020). Im Jahr 2018 gab es einige Morde an Frauen aus der Schönheits- und Modebranche, die in der Öffentlichkeit standen. Die Angreifer blieben unbekannt, aber die Regierung machte extremistische Gruppen für die Morde verantwortlich (FH 3.3.2021).

Für Frauen außerhalb des Hauses zu arbeiten, wird in weiten Teilen der Gesellschaft als inakzeptabel angesehen. Berufe, wie die Arbeit in Geschäften, Restaurants oder in den Medien, wurden als etwas Schändliches angesehen. Gleiches gilt für die Teilnahme an lokaler und nationaler Politik (IWPR 8.3.2021).

Weibliche Aktivisten, die an den Protesten teilnahmen, wurden in politischen Kampagnen als promiskuitiv verunglimpft (ICG 26.7.2021). Entsprechend sprach sich as-Sadr im Februar 2020 für eine Geschlechtertrennung auf den öffentlichen Plätzen aus (ICG 26.7.2021; vergleiche AIIA 1.4.2020). Im Zuge des darauffolgenden Frauenmarsches am 13.2.2020 wurden weibliche Demonstranten mit Tränengas angegriffen, bedroht, attackiert, entführt und in einigen Fällen getötet (AIIA 1.4.2020). Im August 2020 verübten Unbekannte eine Reihe von Attentaten auf regierungskritische Demonstranten. Die gewalttätigsten Angriffe ereigneten sich im Gouvernement Basra und führten zur Tötung von drei Aktivisten und zwei Zivilisten (MEMO 17.9.2020).

Ex- Ba’athisten

Die Arabische Sozialistische Ba‘ath-Partei war kurzzeitig im Jahr 1963 und dann zwischen 1968 und 2003, bis zum Fall von Saddam Hussein, die herrschende Partei des Irak (EB o.D.). Mit der neuen Verfassung von 2005 wurde die Ba‘ath Partei verboten ( EASO 1.2021 ). Ebenso ist es untersagt, Unterstützung für die verbotene Ba'ath-Partei zu bekunden (USDOS 30.3.2021).

Nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins durchlief der Irak eine Ent-Ba‘athifizierung, die die Auflösung der Ba‘ath-Partei und verschiedener, mit ihr verbundener Organisationen, umfasste. Es kam zu Verhaftungen ehemaliger hochrangiger Parteimitglieder sowie zur Säuberung des Staatsapparates, der Streitkräfte und der öffentlichen Verwaltung (UKHO 1.2020; vergleiche ICTJ 3.2013). Im Zuge der Ent-Ba‘athifizierung wurden mit Wirkung vom 16.4.2003 alle militärischen Dienstgrade und Titel annulliert, Wehrpflichtige und Mitarbeiter entlassen. In späterer Zeit konnten manche Ba‘ath Mitglieder wieder in den Dienst genommen werden, oft nach einem Rehabilitationskurs, die Kriterien für die Wiedereinsetzung waren jedoch unklar (ICTJ 3.2013). Schrittweise aufeinander folgende Gesetze zur Entfernung von Ba‘athisten aus dem öffentlichen Dienst basierten auf Schuld durch Assoziation anstatt individuell begangener und nachgewiesener Verbrechen (EUISS 10.2017).

Einige mittel- bis hochrangige Ba‘athisten sind für schwere, unter dem Saddam-Regime begangene Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Darüber hinaus wird berichtet, dass einige frühere Ba‘athisten Verbindungen zum sog. Islamischen Staat (IS) oder zu anderen aufständischen Organisationen, wie der „Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens“ (JRTN, Jaysh Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiyya) haben (UKHO 1.2020).

Obwohl viele Mitglieder der Ba'ath-Partei schiitisch waren, waren Sunniten in den oberen Rängen der Partei, im Militär und in den Sicherheitsdiensten überproportional vertreten. Sunniten stellen die Ent-Ba‘athifizierung wiederholt als "Ent-Sunnifizierung" dar und beklagen, dass der Prozess zu einem Instrument konfessioneller Politik geworden ist (ICTJ 3.2013). Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Ba‘ath-Partei ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig aufgrund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Viele von ihnen haben weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien (AA 21.1.2021).

Das 2006 verabschiedete irakische Ent-Ba‘athifizierungs-Gesetz verbietet ehemaligen Mitgliedern der Partei und des Regimes, führende Positionen, einschließlich Parlamentssitze, zu bekleiden (Anadolu 2.4.2018). Vormalige Ba‘athisthen, zumeist Sunniten, sind daher von einer Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen (CEIP 25.2.2010; vergleiche Anadolu 2.4.2018). 2008 hat das irakische Parlament das generelle Verbot für vormalige Ba‘athisten in Regierungspositionen zu arbeiten aufgehoben. Hochrangige Ba‘athisten blieben von Regierungspositionen ausgeschlossen (NYT 13.1.2008).

Tausende vormalige Ba'ath-Mitglieder wurden in die Reihen des Islamischen Staats (IS) aufgenommen (Reuters 11.12.2015). In dessen Anfangszeit drückte auch der mittlerweile verstorbene Feldmarschall Izzat Ibrahim al-Douri, seit der Hinrichtung Saddam Husseins 2006, Anführer der im Untergrund weiterbestehenden Überreste der Ba'ath Partei, seine Unterstützung aus, bevor er sich später von ihm distanzierte (Al-Monitor 27.10.2020).“

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 30.3.2021).

In vielen Teilen des Landes, die von der IS-Kontrolle befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 30.3.2021). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der sog. Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vergleiche Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des sog. IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vergleiche K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdischen Region im Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 3.3.2021).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 22.1.2021).

Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).

EINREISE UND EINWANDERUNG IN DEN IRAK UNTER DER ZENTRALREGIERUNG

Letzte Änderung: 14.09.2021

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 22.1.2021).

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadissiyah und Wassit. Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Maysan und Muthanna wurden 2020 aufgehoben (UNHCR 11.1.2021). Lokale PMF-Gruppen verhinderten in gewissen Gebieten die Rückkehr von Binnenvertriebenen, beispielsweise nach Salah ad-Din oder von Christen in mehrere Städte in der Ninewa-Ebene, darunter Bartalla und Qaraqosh (USDOS 30.3.2021).

Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom sog. IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar Anmerkung, etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Ausnahmen stellen der nördliche Bezirks Muqdadiyah, der Unterbezirk Saadiyah im Bezirk Khanaqin, sowie der Norden des Unterbezriks Al-Udhim im Bezirk Khalis dar, in denen Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS) und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.1.2021).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 15.10.2021

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 22.1.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 22.1.2021).

Wirtschaftslage

Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanak 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet seit Jahren rund 90 bis 95% der Staatseinnahmen (AA 22.1.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 22.1.2021).

Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Seit Februar 2021 liegt der Ölpreis wieder über 60 US-Dollar/Barrel (Wing 2.6.2021). Es wird daher erwartet, dass sich die irakische Wirtschaft allmählich erholen wird (WB 5.4.2021).

Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).

Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76% im Jahr 2019 auf 13,74% im Jahr 2020 (TE 2021). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11%, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8%. Unter den IDPs sind fast 24% arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18% im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8% und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29% der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22% und 18% bei Rückkehrern (OCHA 2.2021).

Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vergleiche ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32%. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12% (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20% geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7% (DFAT 17.8.2020).

Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD).

Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30% angestiegen (AA 22.1.2021; vergleiche ILO 2021), Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5% (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14% erwartet (WB 5.4.2021).

Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021).

Nahrungsmittelversorgung

Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50% des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).

Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 21.1.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).

Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der irakischen Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8% gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).

Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 30.3.2021).

Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98% des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80% reduziert (GRI 24.11.2019; vergleiche AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29% bzw. 73% (UNICEF 29.8.2021).

Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021).

Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 22.1.2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 22.1.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 22.1.2021).

Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50%. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem Islamischen Staat (IS) vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vergleiche Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vergleiche BBC 2.7.2021). Nur die Kurdische Region im Irak war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021).

GRUNDVERSORGUNG UND WIRTSCHAFT IN BAGDAD UND IM SÜDIRAK

Letzte Änderung: 15.10.2021

Bagdad

Bagdad ist das Zentrum des irakischen Wirtschafts-, Handels-, Banken- und Finanzsektors. Bagdad ist ebenso ein wichtiges Zentrum für die Erdölindustrie (NCCI 12.2015; vergleiche EASO 9.2020). Bis auf die Schwerindustrie ist ein großer Teil der irakischen Produktion in Bagdad angesiedelt. Die Regierung ist dabei der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt (EASO 9.2020). Einige Sektoren waren besonders betroffen von Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, darunter das Transportwesen, das Baugewerbe, die Lebensmittelindustrie, das Bildungswesen, der Tourismus, die Geflügel- und Fischzucht, sowie der Einzelhandel, insbesondere für Bekleidung. Die meisten Frauen sind in den Bereichen Nähen, Friseurhandwerk, Unterricht und Einzelhandel tätig, die alle von Auswirkungen der COVID-19- Pandemie negativ beeinflusst wurden (IOM 9.2021a).

Laut einer Befragung im Distrikt Mahmoudiya vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 264 USD (~385.813 IQD) und reichen von von 170 bis 540 USD (~248.440 bis 789.160 IQD). Etwa die Hälfte der befragten Arbeitgeber gab jedoch an, keine Fachkräfte zu beschäftigen, obwohl dies in der Vergangenheit der Fall war, und zahlten ihnen ein Durchschnittsgehalt von 291 USD (~425.270 IQD) (IOM 9.2021a).

Im Jahr 2016 lag die Arbeitslosenquote in Bagdad zwischen 6% und 10%. Für 2017 betrug sie 9,3%. Unter jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren wird die Arbeitslosigkeit im Jahr 2016 in Bagdad mit 18,6 % und für 2017 mit 5-7% beziffert (EASO 9.2020). Im Jahr 2018 war über 1% der Bevölkerung des Gouvernements Bagdad von akuter Armut betroffen und 4% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020; vergleiche EASO 9.2020).

Etwa 6,39% der Bevölkerung Bagdads (rund 456.500 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 0,46% (rund 32.600 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Bagdad im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten [Anm.: Verfügbarkeit ist hier nicht gleichzusetzen mit Leistbarkeit] (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Bagdad bei 86,9% (CSO 2018a). 2019 war für etwa 70% der Einwohner Bagdads ständige Verfügbarkeit von Trinkwasser gegeben, während 30% nur unregelmäßigen Zugang zu Trinkwasser hatten (WFP 2019). Mitte Juli 2021 wurde die Wasserversorgung in Karkh, im Westen Bagdads durch einen Sabotageakt an Strommasten in Tarmiya, die die Pumpstation versorgen, unterbrochen (Siwssinfo 17.7.2021). Auch Mitte August 2021 wurde durch einen Anschlag auf einen Strommasten in Tarmiya, der die dortige Pumpstation mit Energie versorgte, die Trinkwasserversorgung für mehrere Millionen Bewohner im Westen der Stadt Bagdad unterbrochen (AN 14.8.2021).

Die öffentliche Stromversorgung ist in Bagdad vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 22.1.2021). Stromausfälle führen häufig zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt (DW 8.7.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

[…]

GRUNDVERSORGUNG UND WIRTSCHAFT IM ZENTRAL- UND NORDIRAK

Letzte Änderung: 15.10.2021

Anbar

Anbar gehört zu den Gouvernements, in denen die kritische Infrastruktur infolge des Konflikts mit dem sog. Islamischen Staat (IS) stark beeinträchtigt wurde. Dies gilt insbesondere für Schäden an Wohnhäusern, in der Landwirtschaft, an wichtigen kommunalen Dienstleistungen sowie in Industrie und Handel. Wiederaufbau und Sanierungsmaßnahmen wurden in den Jahren 2019 und 2020 fortgesetzt (EASO 1.2021).

Laut einer Befragung im Distrikt Al-Qa'im vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 162 USD (~236.750 IQD) und reichen von unter 100 bis 345 USD (~146.141 bis 504.190 IQD). Nur wenige Arbeitgeber gaben an, auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 106 USD (~154.910 IQD) erhielten (IOM 9.2021h). Im Distrikt Fallujah ist das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte wegen der COVID-19-Pandemie von 347 USD (~507.110 IQD) auf 220 USD (~321.510 IQD) gesunken, für ungelernte Arbeitskräfte von 290 USD (~423.810 IQD) auf 207 USD (~302.510 IQD) (IOM 9.2021i).

Im Jahr 2018 waren etwa 1,31% der Bevölkerung des Gouvernements Anbar von akuter Armut betroffen und 4,65% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Anbar als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 18,45% der Bevölkerung Anbars (rund 330.900 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 34,33% (rund 615.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Anbar im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Die Bevölkerung der Anbars ist in erster Linie auf den Euphrat als Wasserquelle für häusliche, industrielle und landwirtschaftliche Verwendung angewiesen (NAS 16.2.2021). Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Anbar bei 80% (CSO 2018k). Die Dürreperiode bedroht den Wasserzugang. Einige Familien in Anbar, die keinen Zugang zu Flusswasser haben, geben bis zu 80 USD (~116.860 IQD) pro Monat für Wasser aus (NRC 23.8.2021).

Die Stromversorgung in Anbar ist in einigen Städten auf weniger als zwei Stunden pro Tag gesunken. Die Einwohner sind fast ausschließlich auf Besitzer privater Generatoren angewiesen. Einwohner zahlen ein Viertel, bis zu einem Drittel ihres Monatsgehaltes, um generatorenerzeugten Strom zu kaufen (Shafaq 4.6.2021). UNDP hat den Bau eines Umspannwerks in al-Qa'im finanziert, das 2021 fertiggestellt wurde (UNIraq 15.9.2021).

[…]

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 15.10.2021

Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden (GIZ 1.2021b).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor (IOM 1.4.2019). Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Vor allem in größeren Städten und für spezialisierte Behandlungen kann es zu langen Wartezeiten kommen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hängt stark davon ab, ob die Gesundheitsinfrastruktur seit dem jüngsten bewaffneten Konflikt wiederhergestellt wurde, und ob Ärzte und Krankenschwestern zurückgekehrt sind (IOM 18.6.2021).

Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD Anmerkung, ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 1.2021d). Medizinische Kosten und Gesundheitsleistungen werden im Irak nicht von einer Krankenversicherung übernommen (IOM 18.6.2021).

Es gibt im Irak 1146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1185, die von Ärzten geleitet werden. Des weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.). Im Zuge der COVID-19 Krise hat die Regierung einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst. Daten über konkrete Initiativen und die Wirksamkeit der Maßnahmen sind jedoch nicht verfügbar (IOM 18.6.2021)

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 22.1.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 22.1.2021). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Anfang des Jahres 2020, mit Beginn der COVID-19-Pandemie stellten die medizinischen Fakultäten und Gesundheitseinrichtungen die meisten ihrer zur Verfügung gestellten Dienste ein und verlagerten sich auf die Untersuchung des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und Dienstleistungen wieder auf, mit neuen Regelungen, wie dem Zugang zu Krankenhäusern nur nach Terminvereinbarung, Rotationsschichten des medizinischen Personals, längeren erforderlichen Wartezeiten und strengeren Hygienemaßnahmen. Im Jahr 2021 bieten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor ihre Arbeit beinahe wieder normal an, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wie vom irakischen Gesundheitsministerium (MoH) angewiesen (IOM 18.6.2021).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck. Familien haben nicht im gleichen Maße wie 2019 Zugang zu grundlegenden Diensten, einschließlich Impfungen und Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind. Schätzungsweise 300.000 Kinder laufen Gefahr, nicht geimpft zu werden, was zu Masernausbrüchen oder der Rückkehr von Polio führen könnte (UN OCHA 2021).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich (AA 22.1.2021).

Rückkehr

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 22.1.2021).

Zu den größten Herausforderung für Rückkehrer zählen die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychische und psychologische Probleme, sowie negative Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018).

Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnisch-konfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).

Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38% gestiegen ist (im Vergleich zu 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12% der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71% der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56%. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56% seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2020 hatten 59% der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~267,90 EUR) (im Vergleich zu 55% im Jahr 2019 und 71% im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79%. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenen- und Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92% und 93% der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).

Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).

Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).

In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 22.1.2021).

Staatsbürgerschaft und Dokumente

Letzte Änderung: 15.10.2021

Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vergleiche USDOS 30.3.2021). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist per Staatsbürgerschaftsgesetz No.26/2006, Artikel 10 erlaubt (RoI MoFA 2021b).

Für die Ausstellung einer Geburtsurkunde für ein im Ausland geborenes Kind ist eine Registrierung bei der Konsularabteilung einer irakischen Botschaft notwendig. Der Vater der Kindes muss in der Konsularabteilung der Botschaft anwesend sein. Im Fall seines Ablebens ist der Ehevertrag ein erforderliches Dokument, um die Vaterschaft des Kindes zu belegen. Innerhalb von zwei Monaten nach dem Geburtstermin muss eine beglaubigte Geburtsbestätigung von der zuständigen Behörde des Landes, in dem die Geburt erfolgte, vorgelegt werden. Bei Verspätung ist eine Gebühr für die verzögerte Registrierung in Höhe von zehntausend irakischen Dinar [Anm.: 5,69 € (Stand April.2021)] zu bezahlen (RoI MoFA 2021a).

Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Ein Personalausweis wird etwa für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt (USDOS 30.3.2021; vergleiche FIS 17.6.2019). Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt (FIS 17.6.2019). Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen (FIS 17.6.2019). In den seit 2016 ausgestellten Personalausweisen ist die Religionszugehörigkeit des Inhabers nicht mehr vermerkt, obwohl bei der Online-Beantragung immer noch nach dieser Information gefragt wird, und ein Datenchip auf dem Ausweis weiterhin Angaben zur Religion enthält (USDOS 12.5.2021). Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und den erforderlichen Staatsbürgerschaftsnachweis. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).

Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021) noch einen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (USDOS 30.3.2021).

Auch Personen, denen ein Naheverhältnis zum sog. Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wird, in der Regel aufgrund ihres Familiennamens, ihrer Stammeszugehörigkeit oder ihres Herkunftsgebiets, sind von Auswirkungen der Verweigerung eines Passes betroffen (HRW 13.1.2021). Der sog. IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen eigene Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden. Heiratsurkunden, die in den vom sog. IS kontrollierten Gebieten ausgestellt wurden, werden zum Beispiel von der irakischen Regierung nicht anerkannt (CCiC 1.4.2021; vfl. NRC 4.2019). Viele Familien haben ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren oder als sie in den Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) ankamen. Fehlende Sicherheitsfreigaben hindern Familien daran, zivile Dokumente zu erhalten oder zu erneuern. Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Binnenvertriebenenlagern leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind in Umlauf. Zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 22.1.2021).

1.7.2. Zur Behandelbarkeit der spezifischen Erkrankungen der Beschwerdeführer bzw. zur Verfügbarkeit von Medikamenten:

1.7.2.1. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Leberzirrhose, (…), Asthma bronchiale (…) vom 13.08.2019:

„(…)

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass alle relevanten medizinischen Behandlungen im Irak, speziell in Bagdad verfügbar sind.

Da im Irak jedoch keine Heptologen verfügbar sind, werden Patienten mit Lebererkrankungen durch Gastroenterologen oder Internisten behandelt.

Einzelquellen:

Das Original folgender Anfragebeantwortung von MedCOI wird als Anlage übermittelt:

Local Doctor via MedCOI (11.8.2019): BMA 12674, Zugriff 13.08.2019

Sind die oben angeführten Medikamente im Irak erhältlich?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellungen wurde diesbezüglich auf der MedCOI Datenbank recherchiert und die Fragestellungen an MedCOI zur Recherche übermittelt. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at.

Zusammenfassung:

Nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die angeführten Medikamente, bzw. deren Wirkstoffe im Irak, speziell in Bagdad, verfügbar sind:

●             Pantoloc FTBL 40 mg (Wirkstoff: Pantoprazol)

●             Concor COR FTBL 2,5 mg (Wirkstoff: Bisoprolol)

●             Lisinopril 1A TBL 20 mg (Wirkstoff: Lisinopril)

●             Amlodipin Accord TBL 10 mg (Wirkstoff: Amlodipin)

●             Novalgin FTBL (Wirkstoff: Metamizol)

●             Berodual Dosaer 200 Huebe (Wirkstoffe: Ipratropium und Fenoterol)

●             Laevolac Lact Konz Lsg Pet (Wirkstoff: Lactulose)

●             Furosemid Acc Amp 20 mg/2ml (Wirkstoff: Furosemid)

●             Seretide Druckg. Inh. Levis (Wirkstoffe: Salmeterol und Fluticason)

●             Berodual Asthmaspray (Wirkstoffe: Ipratropium und Fenoterol)

●             Ultibro 85 mikrogr. (Wirkstoffe: Indacaterol und Glycopyrronium)

Einzelquellen:

Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt:

●             Local Doctor via MedCOI (4.5.2019): BMA 12357, Zugriff 30.07.2019

●             Local Doctor via MedCOI (9.5.2019): BMA 12328, Zugriff 30.07.2019

●             Local Doctor via MedCOI (10.6.2019): BMA 12463, Zugriff 30.07.2019

●             Local Doctor via MedCOI (23.6.2019): BMA 12529, Zugriff 30.07.2019

●             Local Doctor via MedCOI (11.8.2019): BMA 12674, Zugriff 13.08.2019

(…)”

1.7.2.2. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Hypertonie, Schlafapnoesyndrom, CPAP-Maskenatmung vom 03.08.2021:

„(…)
1.              Ist eine Behandlung einer hochgradigen obstruktiven Schlafapnoe (G47.31) im Irak mit einer nächtlichen CPAP-Maskenatmung in Bagdad (auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie) verfügbar?
2.              Ist eine medikamentöse Therapie der Hypertonie (I10) des BF mit Ramipril und Amlodipin oder zumindest vergleichbaren Medikamenten/Wirkstoffen aktuell in Bagdad (auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie) verfügbar?
3.              Hat der BF auch Zugang zu einer solchen Behandlung und wie hoch wären die Kosten dafür?
4.              Für den Fall, dass eine CPAP-Maskenatmung nicht verfügbar oder zugänglich ist: Bestehen verfügbare und zugängliche Behandlungsalternativen in Bagdad?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellungen wurde diesbezüglich auf der MedCOI-Datenbank recherchiert und wurden offene Fragen an MedCOI zur Recherche übermittelt. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at.

Zusammenfassung:

Antworten in Bezug auf die Verfügbarkeit (und auch die damit verbundene Zugänglichkeit) bestimmter Behandlungen/Medikamente für einen Einzelfall mit einer bestimmten Diagnose werden von lokalen Anbietern von MedCOI (z. B. lokalen Experten/Ärzte) zur Verfügung gestellt. Ob ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Behandlung verfügbar ist oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Folgen der COVID-19-Pandemie. Daher werden seit Ausbruch der Pandemie alle individuellen Antworten auch im Zusammenhang mit dieser Pandemie bewertet.

Die angefragten Wirkstoffe Ramipril und Amlodipin sind in Bagdad verfügbar (AVA 14494).

Relevante Behandlungen für Hypertonie (Hypertension) sind in Bagdad verfügbar (AVA 14494). Ebenso ist die angefragte Behandlung durch CPAP-Maskenatmung sowie weiterführende relevante Behandlungen bei obstruktiver Schlafapnoe in Bagdad verfügbar (AVA 14859).

Einzig die Untersuchung in einem Schlaflabor (z.B. Polysomnographie) ist in Bagdad nicht gegeben, laut Analyse der Ärzte von MedCOI jedoch auch nur wenig relevant, da die Diagnose (obstruktive Schlafapnoe) bereits gestellt wurde (Analyse der MedCOI-Ärzte: AVA 14859).

(…)“

1.7.2.3. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Nachbehandlung Hinterwandinfarkt, Mossul vom 18.09.2020:

„(…)

Hintergrund: Ein 40 jähriger irakischer Staatsangehöriger aus Mossul erlitt einen akuten Hinterwandinfarkt (ICD 10 I21.1), der klinisch versorgt wurde, mit angeschlossener Reha. Seine Therapie umfasst eine Dauermedikation.
1.              Es wird um Mitteilung ersucht, ob folgende Medikamente oder wirkungsgleiche Arzneimittel im Irak, insbesondere in Mossul, verfügbar sind:

-             BRILIQUE 90mg (Wirkstoff Ticagrelor)

-             THROMBO ASS 100mg (Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS))

-             CONCOR COR 1,25mg (Wirkstoff Bisoprolol)

-             PANTOLOC (Wirkstoff Pantoprazol)

-             AROSUVA 20mg (Wirkstoff Rosuvastatin)

-             SIRDALUD 4mg (Wirkstoff Tizanidin)

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellungen wurden diese an MedCOI zur Recherche übermittelt. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at

Zusammenfassung:

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass alle angefragten Wirkstoffe in Mossul verfügbar sind. Weiters gibt es Kardiologen und diverse diagnostische Verfahren und Laboruntersuchungen. Nicht verfügbar sind bez. Herzchirugie: PTCA / PCI; Koronarangioplastie inkl. Nachversorgung und Bypass-Transplantation der Koronararterien (CABG), Bypass (BMA 14013).

Einzelquellen:

Das Original folgender Anfragebeantwortung von MedCOI wird als Anlage übermittelt:

Local Doctor via MedCOI (17.9.2020): BMA 14013, Zugriff 18.9.2020

(…)”

1.7.2.4. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Diabetes, (…), Bluthochdruck, (…), Psychose, Depressionen vom 20.10.2021:

„Hinweis:

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können seriöse Informationen zu den Auswirkungen der COVID-19-PANDEMIE auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie auf die Bewegungs- und die Reisefreiheit der Bürgerinnen und Bürger sowie generell zu politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zusammengestellt werden.

(…)
1.              Sind folgende Krankheiten im IRAK erfolgreich behandelbar: Diabetes Mellitus, diabetische Retinopathie, Bluthochdruck (Hypertonie), Aorteninsuffizienz, katatone Schizophrenie, Psychose, Depressionen?
2.              Sind folgende Medikamente (Wirkstoffgruppen) im IRAK verfügbar:

LANOLEPT TBL, 100mg (Wirkstoff Clozapin)

SERTRALYN PFI FTBL 100mg (Wirkstoff Sertralin)

VENLAFAXIN PFI RETKPS 150mg (Wirkstoff Venlafaxin)

PALIPERIDON RTP RET TBL 3mg (Wirkstoff Paliperidon)

CISORDINOL FTBL 25mg (Wirkstoff Zuclopenthixol)

SOLIAN TBL 200mg (Wirkstoff Amisulprid)

TRITTICO RET TBL 150mg (Wirkstoff Trazodon)

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellungen wurde diesbezüglich auf der Datenbank von MedCOI recherchiert. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at. Da eine vollständige Information zur Medikation des Beschwerdeführers nicht vorgelegt werden konnte, konnte eine Anfrage an MedCOi nicht weiter prozessiert werden.

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass eine Behandlung von Diabetes Mellitus und von diabetischer Retinopathie im Irak verfügbar ist, durch ambulante Behandlung durch einen Hausarzt/Allgemeinmediziner, ambulante und stationäre Behandlung durch einen Internisten sowie durch ambulante und stationäre Behandlung durch einen Augenarzt/Ophtalmologen (AVA 14829). Eine Behandlung von Bluthochdruck (Hypertonie) und kardiologischen Beschwerden ist im Irak verfügbar, beispielsweise durch ambulante und stationäre Behandelung durch Internisten und Kardiologen (AVA 14924). Auch Herzchirurgie - Herzkatheteruntersuchung, Bypass, Koronarangioplastie – ist im Irak verfügbar (AVA 14709).

Es konnten in der Datenbank keine Informationen zur Behandlung einer katatonen Schizophrenie gefunden werden, es liegen jedoch Informationen auf, dass die Behandlung einer paranoiden Schizophrenie verfügbar ist (AVA 15136). Ambulante und stationäre Behandlung durch Neurologen und Psychiater, beispielsweise für die Behandlung einer Depression ist verfügbar. Auch diagnostische Bildgebung mittels EEG (Elektroenzephalogramm) ist im Irak verfügbar (AVA 15185).

Alle angefragten Wirkstoffe sind verfügbar [Clozapin (AVA 14491), Sertalin (AVA 15175), Venlafaxin (AVA 15166), Paliperidon (AVA 14491), Zuclopenthixol (AVA 14975), Amisulprid (BMA 12979)], außer Trazodon. Alternativ zum angefragten Wirkstoff Trazodon sind die Wirkstoffe Venlafaxin (siehe voranstehend) und Duloxetin aus derselben Medikationsgruppe verfügbar (AVA 15166).

(…)“

1.7.2.5. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK: Magengeschwüre, Allergien, Schilddrüsenüberfunktion, Anpassungsstörung, Angst, depressive Reaktion vom 14.01.2022:

„1.         Sind Behandlungen für Magenschmerzen durch Magengeschwüre (K25), Allergien (unspecified, T78.40), Problemen mit der Schilddrüse (Überfunktion, Hyperthyreoidismus, E05), eine Anpassungsstörung (F43), Angst (F41) und eine depressive Reaktion (F43.2) im Irak (in Bagdad) verfügbar?
2.              Sind die folgenden Medikamente im Irak verfügbar? Novalgin-Tropfen (Metamizol), Symbicort Turbohaler (Budesonid), Thiamazol Sandoz Tabletten (Thiamazol), Pantoprazol (Pantoprazol), Dymista (Fluticasonpropionat und Azelastinhydrochlorid) und Otrivin (Xy-lometazolin).

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellungen wurde auf der Datenbank von MedCOI recherchiert und offen gebliebene Fragestellungen wurden an MedCOI zur Recherche übermittelt. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at.

Zusammenfassung:

Antworten in Bezug auf die Verfügbarkeit (und auch die damit verbundene Zugänglichkeit) bestimmter Behandlungen/Medikamente für einen Einzelfall mit einer bestimmten Diagnose werden von lokalen Anbietern von MedCOI (z. B. lokalen Experten/Ärzte) zur Verfügung gestellt. Ob ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Behandlung verfügbar ist oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Folgen der COVID-19-Pandemie. Daher werden seit Ausbruch der Pandemie alle individuellen Antworten auch im Zusammenhang mit dieser Pandemie bewertet.

In der MedCOI-Datenbank konnten Informationen zu anderen Fällen gefunden werden, die auch hier angewendet werden können. Die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Gastroenterologen ist verfügbar (AVA 15429), ebenso wie die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Internisten, Laboruntersuchungen der Schilddrüsenfunktionen (AVA 15372), wie auch die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Psychiater (AVA 15185). Nicht verfügbar ist die Behandlung durch einen Allergologen (AVA 15429).

Von den angefragten Wirkstoffen sind einige verfügbar und für manche, deren Verfügbarkeit nicht gegeben ist, werden von EASO MedCOI alternative Wirkstoffe angeführt:

Verfügbar sind die Wirkstoffe Budesonid (AVA 15429), Pantoprazol (AVA 15372) und Xylometazolin (AVA 15429). Alternativ zum angefragten Wirkstoff Metamizol schlägt EASO MedCOI den verfügbaren Wirkstoff Diclofenac aus derselben Medikationsgruppe vor. Als Alternative zum Wirkstoff Thiamazol wird der verfügbare Wirkstoff Carbimazol aus derselben Medikationsgruppe angeführt und alternativ zum Wirkstoff Dymista werden die verfügbaren Wirkstoffe Budesonide und Fluticason als Alternativen vorgeschlagen (AVA 15429).“

1.7.2.6. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK: Asthma bronchiale, Herzprobleme, Schlafapnoe-Syndrom, Adipositas-Hypoventilationssyndrom, Depression, PTSDvom 14.01.2022:

„1.         Kann ein Adipositas-Hypoventilationssyndrom (führt zu oberflächlicher bzw. zu lang-samer Atmung) im Irak (in Bagdad) behandelt werden?
2.              Ist eine Asthma bronchiale Erkrankung im Irak (in Bagdad) aktuell behandelbar?
3.              Ist ein mäßiges OSAS (Schlafapnoe-Syndrom (G47.31) behandelbar?
4.              Sind Blutdruckstörungen, an Depressionen (F32) sowie posttraumatischer Belas-tungsstörung (F43.1) behandelbar?
5.              Sind die folgenden Medikamente im Irak verfügbar? Sertralin (Sertralin) als Antide-pressivum sowie Brimica Genuair (Aclidinium und Formoterolfumarat-Dihydrat), Ventolin Spray (Salbutamol) und Berodual Dosaer (Ipratropium und Fenoterol) bei Atemnot.

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellungen wurde auf der Datenbank von MedCOI recherchiert und wurden offen gebliebene Fragestellungen an MedCOI zur Recherche übermittelt. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at

Zusammenfassung:

Antworten in Bezug auf die Verfügbarkeit (und auch die damit verbundene Zugänglichkeit) bestimmter Behandlungen/Medikamente für einen Einzelfall mit einer bestimmten Diagnose werden von lokalen Anbietern von MedCOI (z. B. lokalen Experten/Ärzte) zur Verfügung gestellt. Ob ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Behandlung verfügbar ist oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Folgen der COVID-19-Pandemie. Daher werden seit Ausbruch der Pandemie alle individuellen Antworten auch im Zusammenhang mit dieser Pandemie bewertet.

In der MedCOI-Datenbank konnten Informationen zu anderen Fällen gefunden werden, die auch hier angewendet werden können. Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die angefragten Wirkstoffe, bzw. Wirkstoffskombinationen in Bagdad verfügbar sind: Sertralin (AVA 15175), Salbutamol (AVA 14869) und die Wirkstoffkombination Ipratropium und Fenoterol (AVA 15428). Nur Kombinationsinhalatoren mit der Wirkstoffskombination Aclidinium und Formoterol sind nicht verfügbar, es gibt für beide Wirkstoffe aber separate Inhalatoren (AVA 15428).

Die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Pulmologen, durch einen HNO-Arzt sowie Diagnostik zur Messung der arteriellen Blutgase sind verfügbar (AVA 14859). Ebenfalls verfügbar sind Unterkiefer-(Vorschub-)Schienen für z.B. obstruktive Schlafapnoe und Schnarchen, sowie medizinische Gerätschaften für die CPAP-Therapie in Heimanwendung und deren Wartung und -Reparatur (AVA 15428) [Anm.: Bei der CPAP-Therapie (continuous positive airway pressure) wird während des Schlafs mit einem leichten Überdruck Raumluft über eine Maske in die Atemwege gepumpt].

Psychiatrische ambulante Langzeitbehandlung durch einen Psychiater, sowie psychiatrische Behandlung von PTSD mittels kognitiver Verhaltenstherapie, mittels EMDR [Anm.: Eye Movement Desensitization and Reprocessing, die Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen] und mittels narrativer Expositionstherapie sind in Bagdad verfügbar (AVA 15166).

Auch verfügbar ist die ambulante und die stationäre Behandlungen durch einen Kardiologen (AVA 15240) und ambulante Behandlung und Betreuung durch einen Diätassistenten (AVA 15428).

Einzelquellen:

Zusätzliche Informationen zur Verfügbarkeit von Medikamenten:

Ein Kombinationsinhalator für Aclidinium und Formoterol ist nicht verfügbar, es gibt aber separate Inhalatoren mit den Wirkstoffen.“

1.7.2.7. Aus der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Behandlung von Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (…) vom 02.04.2021:

„(…)

Aktuelle Situation von Personen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung

Das UK Home Office veröffentlicht in seiner Country Policy and Information Note zum Irak zu medizinischer Versorgung und Gesundheitsversorgung vom Jänner 2021 eine Liste mit aus 2019 und 2020 stammenden Informationen aus MedCOI, einem von EASO verwalteten Dienst zur Sammlung medizinischer Herkunftsländerinformationen, mit folgenden Einrichtungen, die die Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung im Irak anbieten. Alle angegebenen Einrichtungen befinden sich in Bagdad bzw. im nordirakischen Erbil:

Psychiatrische Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung mittels EMDR Therapie

- Abteilung für Psychiatrie und Verhaltensmedizin, Medical City Bagdad, Bab Al Moatham, Bagdad (öffentliche Einrichtung)

- Ibn Rushd Krankenhaus, Al Nidal Straße, Al Andalus Platz, Bagdad (öffentliche Einrichtung)

- Privatpraxis, Al-Maghrib-Straße, Bagdad (Privateinrichtung)

- Privatpraxis, Life Support Team, Erbil (private Einrichtung)

Psychiatrische Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung mittels kognitiver Verhaltenstherapie

- Ibn Rushd Krankenhaus, Al Nidal Straße, Al Andalus Platz, Bagdad (öffentliche Einrichtung)

- Dr. Hiba Abdullah Klinik, in der Nähe des Maysaloun Al Jadir Zentrums, Bagdad (private Einrichtung)

- Privatpraxis, Life Support Team, Erbil (private Einrichtung)

Psychiatrische Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung mittels narrativer Expositionstherapie

- Ibn Rushd Krankenhaus, Al Nidal Straße, Al Andalus Platz, Bagdad (öffentliche Einrichtung)

- Privatpraxis, Life Support Team, Erbil (private Einrichtung) (UK Home Office, Jänner 2021, Sitzung 43-44)

Es konnten für den Zentral- und Südirak keine weiteren aktuellen Informationen zur Situation von Personen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung gefunden werden. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Factiva und Google auf Deutsch, Englisch und Arabisch nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Irak, posttraumatischen Belastungsstörung, Depression, Behandlung, Situation, PatientInnen, Gesellschaft, Ärzte, Psychiater, Zugang, Bagdad, Basra, 2019, 2020, 2021.

Im Folgenden finden Sie allgemeine Informationen zur psychischen Gesundheitsversorgung in Basra, sowie im Irak.

Allgemeine Informationen zu psychischer Gesundheitsversorgung in Basra

Im Bericht der finnischen Einwanderungsbehörde (Finnish Immigration Service, FIS) über eine Fact Finding Mission nach Bagdad im Februar 2019 wird erklärt, dass das irakische Gesundheitsministerium die Provinzen nach den in ihnen verfügbaren Diensten im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung klassifiziere. Am schlimmsten betroffen vom Mangel an psychischen Gesundheitsdiensten seien Provinzen, die unter dem IS-Konflikt gelitten haben, insbesondere die Provinzen Ninewa und Kirkuk. Darüber hinaus seien die Dienste in Al-Anbar, Diyala und einigen südlichen Provinzen als mangelhaft zu bewerten, da es in diesen Provinzen notwendig sei, dass in Zukunft Nichtregierungsorganisationen Dienste im Bereich psychische Gesundheit anbieten würden. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 5)

In den von FIS geführten Interviews gibt ein Vertreter einer lokalen Nichtregierungsorganisation an, dass insbesondere in den von der IS-Besetzung befreiten Gebieten und im Süden des Landes psychosoziale Dienste benötigt würden. Laut einem der Befragten sei es nicht ungewöhnlich, dass IrakerInnen von der Schwierigkeit erzählen würden, Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung zu erhalten. Eine Behandlung zu erhalten sei möglich, wenn man in Bagdad oder einer anderen Großstadt lebe und die notwendigen finanziellen Mittel dafür habe. Es sei nicht unmöglich für gewöhnliche Menschen, Zugang zu erhalten, es gebe keine Hindernisse als solche, aber das System sei schwach. Die Qualität nehme ab, je näher man den Konfliktgebieten komme. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 14)

Laut Jahresstatistik 2019 des irakischen Gesundheitsministeriums gebe es in der Provinz Basra fünf Psychiater des Gesundheitsministeriums bzw. des Ministeriums für Höhere Bildung, das seien 0,2 je 100.000 Einwohner. (Ministry of Health/Environment, 2020, Sitzung 214).

Reuters beschreibt in einem Artikel vom März 2020 die allgemeine Situation der Gesundheitsversorgung in Basra. Laut ÄrztInnen und PatientInnen in der Stadt und einer Analyse der Daten des Gesundheitsministeriums sei das Gesundheitssystem chronisch unterfinanziert und werde von überarbeiteten ÄrztInnen und Pflegepersonal betrieben. Laut Reuters habe die Regierung zwischen 2015 und 2017 durchschnittlich 71 US-Dollar pro BürgerIn für die Gesundheitsversorgung in Basra ausgegeben, die Hälfte des nationalen Durchschnitts. Basra habe mit nur drei CT-Scannern und einer MRT-Einheit pro Million Einwohner einen Mangel an lebenswichtigen medizinischen Geräten. (Reuters, 2. März 2020)

Im Rahmen der Onlinerecherche konnte von ACCORD ein Psychiater, Dr. Amin, in Basra gefunden werden. (Psychiatrie in Basra Dr. Amin Klinik, Facebook Profil, ohne Datum)

Im Jahr 2010 schreibt die New York Times in einem Artikel von der Eröffnung des Sara Zentrums für Traumata in Basra, die erste multidisziplinäre Klinik des Landes für posttraumatische Belastungsstörungen mit einem Psychiater, einem Gemeindegesundheitsarzt, einem Gynäkologen und einem Sozialarbeiter, die gemeinsam arbeiten würden (NYT, 30. Jänner 2010). Das Sara Zentrum wird 2014 in einem Facebook Beitrag des Amts für psychische Gesundheit in Basra erwähnt (Amt für psychische Gesundheit / In Basra, Facebook Profil, 15. Mai 2014). Es konnten keine neueren Informationen über das Zentrum gefunden werden.

Die Nachrichtenseite Al-Adwa schreibt in einem Artikel vom Mai 2018 über ein wissenschaftliches Symposium an der medizinischen Fakultät der Universität Basra in Zusammenarbeit mit dem Amt für psychische Gesundheit der Gesundheitsabteilung Basra. Laut Dr. Riad Abdul Amir, Generaldirektor der Gesundheitsabteilung von Basra, gebe es im Basra General Hospital sowie in zwei weiteren Krankenhäusern der Stadt, Al-Mawana Hospital und Sadr Educational Hospital, Abteilungen für psychische Behandlungen. (Al-Adwa, 16. Mai 2018)

(…)

Allgemeine Informationen zur psychischen Gesundheitsversorgung im Irak

Aws Sadik, ein in Großbritannien ausgebildeter Arzt, veröffentlichte im April 2020 in der britischen psychiatrischen Fachzeitschrift BJPsych International (British Journal of Psychiatry International) seine Beobachtungen zur psychiatrischen Versorgung im Irak nach einem Besuch beim Gesundheitsministerium, dem Bagdad General Hospital, dem Ibn Rushd Hospital und dem Al Rashad Hospital. Er gibt an, dass, obwohl die Grundprinzipien der psychiatrischen Versorgung in Großbritannien und dem Irak ähnlich seien, sich die Servicemodelle zwischen den beiden Ländern erheblich unterscheiden würden. In Großbritannien werde die psychiatrische Versorgung hauptsächlich von AllgemeinärztInnen und Gemeindeteams durchgeführt, die im Irak im Wesentlichen nicht existieren würden. Stattdessen seien die psychiatrischen Leistungen im Irak (ohne Berücksichtigung der Autonomen Region Kurdistan, siehe Sadik, 1. Juni 2020) lediglich in 34 Einrichtungen ambulant, in 21 Einrichtungen stationär sowie in 2 psychiatrischen Krankenhäusern in Bagdad verfügbar (Sadik, 24. April 2020, Sitzung 1).

MEMO zitiert in einem Artikel zu psychisch Kranken im Irak vom Mai 2019 Nesif Al-Hemiary, Professor der Psychiatrie an der Universität Bagdad. Laut Al-Hemiary seien in einem der Krankenhäuser im Irak etwa 40 Prozent der PatientInnen bereit, entlassen zu werden, hätten jedoch kein Zuhause und seien so gezwungen, im Krankenhaus zu bleiben. Die Verantwortung für die Pflege von PatientInnen mit psychischen Erkrankungen liege bei den Familien. Dies sei manchmal überwältigend. Die Regierung versuche, ihnen durch die Bereitstellung eines Monatsgehalts Unterstützung zukommen zu lassen. BeamtInnen würden während der Zeit ihrer Erkrankung voll bezahlten Krankenstand bekommen. Für jemanden, der arbeitslos ist, sei der Betrag jedoch niedrig, in etwa 150 US-Dollar pro Monat. (MEMO, 14. Mai 2019)

Die finnische Einwanderungsbehörde (Finnish Immigration Service, FIS) führte im Februar 2019 eine Fact-Finding-Mission in Bagdad zum Thema psychische Gesundheitsprobleme und deren Behandlung durch. Es wurden Interviews mit einem Psychiater sowie Repräsentanten von internationalen Organisationen, einer internationalen und einer lokalen NGO durchgeführt. Im dazu veröffentlichten Bericht vom Juni 2019 wird erklärt, dass die Behandlung von körperlichen Krankheiten im Irak weiter fortgeschritten sei als die psychische Gesundheitsversorgung. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 4)

In einem Artikel von Middle East Eye zum Thema IS-Kindersoldaten vom Oktober 2020 wird Dr. Ali Al-Bayati, ein Mitglied der irakischen Menschenrechtskommission (Iraq’s High Commission for Human Rights), zitiert, wonach die Psychiatrie im Irak im Allgemeinen sehr schwach sei (MEE, 23. Oktober 2020).

Laut einem von FIS befragten Vertreter einer internationalen Organisation seien schlechte Qualität, unzureichende Verfügbarkeit und schlechte Zugänglichkeit Probleme der psychischen Gesundheitsversorgung. Nichtregierungsorganisationen würden den Mangel an öffentlichen Dienstleistungen in der Versorgung im Bereich psychische Gesundheit zu einem gewissen Grad abdecken. International Medical Corps (IMC), Heartland Alliance und Médecins Sans Frontières (MSF) seien einige der großen NGOs, die im Bereich der psychischen Gesundheit tätig seien. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 5)

MSF veröffentlicht im Oktober 2020 einen Artikel zur Situation im Bereich psychische Gesundheit während der COVID-19-Pandemie. Die Situation habe sich verschlechtert. Die Managerin für psychische Gesundheit in Mossul, Saima Zaii, erklärt, dass die psychischen Bedürfnisse der Menschen in Mossul größer seien als die verfügbaren Dienstleistungen.

MSF-Teams würden psychologische Unterstützung in zwei Kliniken anbieten. Mit Stand Oktober 2020 hätten sie 242 eingetragene PatientInnen und würden jeden Monat rund 200 PatientInnen sehen. Sie würden auch COVID-19-PatientInnen im MSF COVID-19 Behandlungszentrum in Mossul psychologisch unterstützen. Die Anzahl von PatientInnen mit Angstzuständen und Depressionen sei aufgrund der COVID-19-Pandemie gestiegen. (MSF, 12. Oktober 2020)

Den von FIS befragten Personen zufolge sei das Hauptproblem im Irak der Mangel an psychiatrischen Fachkräften. Im ganzen Land seien ungefähr 100 bis 200 PsychiaterInnen im öffentlichen Sektor beschäftigt. Laut einem Vertreter einer internationalen Organisation gebe es im Land einen Psychiater pro 300.000 Menschen, was angesichts der Bedürfnisse nicht ausreiche. Laut der medizinischen MedCOI-Datenbank gebe es im Irak insgesamt ungefähr 400 PsychiaterInnen (einschließlich des Privatsektors), während der derzeitige Bedarf bei 5.000 liege. Einige Provinzen hätten nur einen Psychiater. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 8-9)

Im Jahresbericht des von der WHO geführten Irak-Gesundheitsclusters für das Jahr 2019 vom Juni 2020 wird erwähnt, dass der jahrelange Mangel an staatlicher Finanzierung und die Konfliktsituation zu einer Abwanderung medizinischer Fachkräfte („Brain Drain“) geführt habe. Es wird auf von der New York Times überlieferte Zahlen des irakischen Gesundheitsministeriums verwiesen, wonach es bei einer Bevölkerung von 38 Millionen Menschen nur 138 PsychiaterInnen und 60 SozialarbeiterInnen im Land gebe (WHO/Health Cluster Iraq, 23. Juni 2020). Diese Zahlen finden sich auch in dem von der WHO zitierten Artikel der New York Times vom Oktober 2019, der die psychische Gesundheitsversorgung im Irak als „nahezu nicht existent“ bezeichnet (NYT, 31. Oktober 2019). Die 2020 veröffentlichte Jahresstatistik des irakischen Gesundheitsministeriums führt für das Jahr 2019 die Zahl von 137 FachärztInnen für Psychiatrie und mentale Medizin für das gesamte Land mit Ausnahme der Region Kurdistan an, das entspreche 0,4 Ärzten pro 100.000 Einwohner. 59 der Psychiater seien in Bagdad tätig. Die Daten umfassen ÄrztInnen des Gesundheitsministeriums und des Ministeriums für Höhere Bildung (also keine privaten ÄrztInnen, Anmerkung ACCORD) (Ministry of Health/Environment, 2020, Sitzung 214). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt in ihrer Datenbank Zahlen zum Irak von 2017 an, demnach kommen auf 100.000 Einwohner 0,343 Psychiater im Sektor mentale Gesundheit, 1,218 Personen Pflegepersonal, 0,089 Sozialarbeiter und 0,111 Psychologen (WHO, 25. April 2019).

Von den rund 2.650 Gesundheitszentren des Landes würden 900 über eine Abteilung verfügen, die psychiatrische Leistungen anbiete. In Fällen, in denen psychiatrisches Fachwissen erforderlich sei, müssten sich die PatientInnen oft an die Dienste in den Provinzzentren wenden, um eine Behandlung zu erhalten. Ungefähr die Hälfte der 900 Gesundheitszentren habe einen separaten Raum, in dem ein Patient privat sprechen könne. Bei der anderen Hälfte würde die psychiatrische Versorgung zusammen mit anderen Diensten angeboten. Der Bericht beschreibt, dass es im Irak vier auf Psychiatrie spezialisierte Krankenhäuser gebe, zwei in Bagdad, eines in Diwaniya in der Provinz Al-Qadisiyah und eines in Sulaymaniyah. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 11-12)

Neben psychiatrischen Krankenhäusern gebe es in den allgemeinen Krankenhäusern der einzelnen Provinzen Einheiten, die psychische Erkrankungen behandeln würden. Es gebe ungefähr 20 dieser Einheiten. Die psychiatrischen Einheiten in den allgemeinen Krankenhäusern seien vermutlich sehr klein, da von den Befragten erwähnt worden sei, dass es im allgemeinen Krankenhaus in Bagdad in der Medical City weniger als zehn Betten für stationäre psychiatrische Patienten gebe. In Al-Anbar gebe es in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses keine stationären Betten. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 13)

Das UK Home Office veröffentlicht in seiner Country Policy and Information Note zum Irak zu medizinischer Versorgung und Gesundheitsversorgung vom Jänner 2021 eine Liste auf der Basis von MedCOI-Informationen aus dem Jahr 2019 und 2020 mit Beispielen von privaten und öffentlichen Krankenhäusern/Kliniken, die psychiatrische Behandlungen anbieten, sowie Apotheken/Kliniken, die geeignete Medikamente anbieten können. Die Liste umfasst ausschließlich Krankenhäuser, Kliniken und Apotheken in Bagdad und Erbil. Die gesamte Liste finden Sie im Anhang. (UK Home Office, Jänner 2021, Sitzung 42-50)

(…)

Allgemeine Informationen zu Zugang zu und Kosten von Behandlung und Medikamenten

Laut Reuters importiere die Regierung Medikamente und medizinische Geräte über die staatliche Gesellschaft für die Vermarktung von Arzneimitteln und medizinischen Geräten, bekannt als KIMADIA. KIMADIA sei veraltet und unterfinanziert sei und die Nachfrage häufig nicht befriedige. Der frühere Gesundheitsminister Alwan sagt gegenüber Reuters, dass im Jahr 2018 mehr als 85 Prozent der Medikamente auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente im Irak entweder knapp oder gar nicht verfügbar gewesen seien. Es gebe auch in Apotheken geschmuggelte Medikamente, die möglicherweise nicht mehr gültig oder unwirksam seien. (Reuters, 2. März 2020)

Der Bericht der finnischen Einwanderungsbehörde von einer Fact-Finding-Mission im Februar 2019 beschreibt die Gesundheitsinfrastruktur als unzureichend, es bestehe ein anhaltender Mangel an bestimmten Arzneimitteln und Medizinprodukten (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 4). Die Kosten für die Gesundheitsversorgung im Irak, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, würden in den meisten Fällen direkt von den Menschen im Irak getragen. Die Verwendung öffentlicher Mittel zur Subventionierung der Dienstleistungen des öffentlichen Sektors sei im Vergleich zur Vergangenheit zurückgegangen (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 6).

Ob eine Person die Mittel hat, um für Gesundheitsdienstleistungen zu bezahlen, wirke sich stärker als früher auf die Verfügbarkeit von Dienstleistungen aus. Ein Vertreter einer internationalen Organisation habe angegeben, dass kürzlich eine Studie zur Aufteilung der Kosten für das Gesundheitswesen abgeschlossen worden sei. Zuvor seien die Familien für etwa 30 bis 35 Prozent der Gesundheitskosten verantwortlich gewesen. Zum Zeitpunkt des Interviews hätten die Familien 70 Prozent der Kosten selbst zu tragen, was eine große Belastung darstelle.

Informationen von MedCOI aus dem Jahr 2017 würden zeigen, dass ein Termin im öffentlichen Sektor bei einem Psychiater entweder kostenlos sei oder zwischen 10.000 und 25.000 Dinar (7,67 bis 19,17 €) koste, wobei der Preis im privaten Sektor bei 25.000 Dinar liege. Es sei angemerkt worden, dass Medikamente für PatientInnen teuer seien. Im Gegensatz zu einigen anderen Arten von Medikamenten müssten Psychopharmaka häufig über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. NGOs würden normalerweise nicht bei Therapien zu psychischer Gesundheit einspringen, da sie unter Druck stünden, Dienste anzubieten, die besser sichtbar und für die Allgemeinheit verständlich seien. Es gebe Kirchen, die solche Dienste anbieten würden, doch auch diesen sei es nicht immer möglich, eine stetige Versorgung mit Medikamenten aufrechtzuerhalten. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 17)

Psychiatrische Dienste stünden allen offen. Der Zugang zu Dienstleistungen sei nicht aus Gründen wie der Zugehörigkeit zu einem Stamm, dem Leben in einer abgelegenen Gegend oder aufgrund des Geschlechts eingeschränkt. Das Problem sei, dass einige der Dienstleistungen von schlechter Qualität seien und es nicht genügend Fachpersonal gebe. Um qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu finden, würde eine Person möglicherweise viel Zeit und Geld benötigen. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 18‑19)

Es wird im Bericht von FIS festgestellt, dass der Privatsektor im Bereich der psychischen Gesundheit floriere. Der Privatsektor biete qualitativ hochwertige Dienstleistungen an und verfüge über qualifizierte ÄrztInnen. Die vom privaten Sektor angebotenen Gesundheitsdienstleistungen seien teurer als die im öffentlichen Sektor. Im öffentlichen Sektor gebe es lange Wartelisten. Es wird von den Befragten darauf hingewiesen, dass der Privatsektor hauptsächlich PsychiaterInnen beschäftige und nicht viele PsychologInnen. Auf dieser Grundlage entstand für FIS der Eindruck, dass der Privatsektor in ähnlicher Weise nur wenig Gesprächstherapie oder Therapiedienstleistungen anbiete. Es gebe 92 private allgemeine Krankenhäuser im Land. Die meisten von ihnen würden sich in den großen Städten wie Bagdad, Erbil und Basra befinden. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 19-20)

Laut einem Vertreter einer internationalen Organisation seien Psychopharmaka meistens verfügbar, aber die Verteilung von Medikamenten sei streng reguliert. Es gebe verwirrende und widersprüchliche Ansichten zum Recht der Ärzte, Psychopharmaka zu verschreiben. Gesundheitszentren und ÄrztInnen hätten manchmal Angst, eine medikamentöse Therapie anzubieten, da einige Richtlinien darauf hinweisen würden, dass dies in der Verantwortung spezialisierter Kliniken liege, von denen es nicht genug gebe. Auf der anderen Seite seien einige spezialisierte Kliniken der Ansicht, dass ihre Aufgaben nur Prävention und Diagnostik umfassen, nicht die tatsächliche Behandlung, die an anderer Stelle angeboten werden sollte. Manchmal werde PatientInnen wegen Angst vor Suchtgefahr keine Medikamente verschrieben. Dies habe zu einer Situation geführt, in der Menschen, die Medikamente benötigen, manchmal keinen Zugang zu diesen hätten. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 20)

Es gebe Probleme von schlechter Qualität bei Arzneimitteln. Arzneimittel von minderer Qualität würden aus Ländern wie Indien und der Türkei importiert. Viele PatientInnen würden dazu tendieren, diese medizinischen Produkte zu verwenden, weil sie billiger seien als Produkte von besserer Qualität und kontrollierte/registrierte Arzneimittel. (FIS, 17. Juni 2019, Sitzung 21)

Aws Sadik erklärt in seinem Artikel, dass häufig verwendete Psychopharmaka in öffentlichen Krankenhausapotheken erhältlich sein sollten. Jedoch könne es vorkommen, dass ein anderes Medikament verschrieben würde, nicht weil es medizinisch geboten sei, sondern weil es in den Lagern verfügbar sei. Die Versorgung mit Markenmedikamenten schwanke auch in privaten Apotheken. Daher müssten PatientInnen auf minderwertige Alternativen zurückgreifen, was zu einer Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit führen könne. (Sadik, 24. April 2020, Sitzung 2)

Der Psychiater Nesif Al-Hemiary erklärt gegenüber MEMO, dass es einen Mangel an Medikamenten gebe, außerdem gebe es das Problem von gefälschten Tabletten im privaten Sektor. (MEMO, 14. Mai 2019)“

1.7.2.8. Aus der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen, Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antypsychotika, Verfügbarkeit von Medikamenten gegen Bluthochdruck bzw. Herzprobleme vom 12.02.2019:

„Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen (z.B. posttraumatischer Belastungsstörung, PTBS)

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) geht in ihrem 2018 veröffentlichten Mental Health Atlas (Berichtszeitraum: 2017) auf die im Irak verfügbaren Ressourcen zur Behandlung psychischer Erkrankungen ein. Diesen Angaben zufolge gebe es insgesamt 639 Fachkräfte für psychische Gesundheit. Auf eine Bevölkerung von 100.000 Menschen kämen 0.34 PsychiaterInnen, 1.22 MitarbeiterInnen des psychiatrischen Pflegepersonals („mental health nurses“), 0.11 PsychologInnen und 0.09 SozialarbeiterInnen. Im Irak befänden sich 610 Einrichtungen für die ambulante Behandlung psychiatrischer PatientInnen, davon seien 34 innerhalb eines Krankenhauses verortet und 575 gemeindebasierte („community-based“) Einrichtungen. Stationäre Behandlung von psychiatrischen PatientInnen sei in zwei psychiatrischen Kliniken sowie auf 22 Stationen allgemeiner Krankenhäuser verfügbar. Die Betreuung und Behandlung von Personen mit schwerwiegenden psychischen Störungen (Psychose, bipolare Störung, Depression) sei in den staatlichen Krankenkassen oder Erstattungssystemen nicht enthalten. (WHO, 2018)

In einer E-Mail-Auskunft vom Februar 2019 führt Dr. Ameel Al Shawi von der medizinischen Hochschule an der Universität Falludscha an, dass es im Irak viele Probleme hinsichtlich der psychischen Gesundheit gebe. Es herrsche ein Mangel an SpezialistInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen vor. Es gebe nur wenige Tertiärkliniken, die sich mit psychischen Erkrankungen befassen würden. Diese seien zudem für die Bevölkerung schwer zugänglich. Es seien zudem keine Zentren für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) vorhanden, diese würden besonders in Regionen, die mit großer Gewalt und militärischen Operationen konfrontiert gewesen seien wie beispielsweise im Westen des Iraks, fehlen.

(…)

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) verweist in einem gemeinsam mit dem norwegischen Herkunftsländerzentrum Landinfo im November 2018 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage und Situation der Binnenvertriebenen in den umkämpften Gebieten auf Gespräche mit VertreterInnen der Weltgesundheitsorganisation. Diesen zufolge bestehe in Bezug auf die psychische Gesundheitsversorgung ein enormer Bedarf, die verfügbaren Dienste würden die Nachfrage aber nicht decken. Maßnahmen zur Unterstützung der psychischen Gesundheit seien zeit- und ressourcenaufwendig und würden qualifiziertes medizinisches Personal, das für diese Formen der Behandlung entsprechend ausgebildet sei, benötigen.

(…)

Eine Anfragebeantwortung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Jänner 2018 an die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befasst sich unter anderem mit der medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen in Bagdad. Auf die Frage nach Behandlungsmöglichkeiten einer posttraumatischen Belastungsstörung und nach Krankenversicherung und Kostenübernahme, antwortet IOM Folgendes:

„2. Es gibt ein Krankenhaus, in welchem eine Behandlung erfolgen kann:

AlRashad mental hospital

Baghdad – AlSadr city.

Zudem gibt es auch private Kliniken:

Dr.Qasim AlAboodi in AlHarthiya - AlKindi St

Dr. Mahdi AlTa’an in AlMagrib St.

4. Es gibt keine Krankenkasse, welche die Kosten tragen könnte. Patienten müssen für Behandlungen und Medikamente selbst aufkommen.“ (IOM, 17. Jänner 2018, Sitzung 2)

(…)

Das Education for Peace in Iraq Center (EPIC), eine unabhängige Organisation, die sich für Frieden im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan einsetzt, berichtet im Mai 2017 über die psychische Gesundheitskrise im Irak. In Bezug auf die Lage im Nordirak wird auf die Herausforderung, den überwältigenden Bedarf mit den begrenzten Ressourcen zu decken, hingewiesen. Im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan gebe es nur noch 80 praktizierende Psychologen, die mit einer limitierten Anzahl von Psychiatern zusammenarbeiten würden. Der hohe Bedarf an psychosozialer Betreuung habe lokale und internationale Organisationen dazu veranlasst, in einigen Fällen unterqualifiziertes Personal einzustellen, dem die Ausbildung zur Behandlung schwerer Traumata fehle. Sherri Talabany, die Präsidentin der SEED Foundation, einer NGO, die sich für den Aufbau psychosozialer Gesundheitskapazitäten in der Autonomen Region Kurdistan einsetzt, sei zum Schluss gekommen, dass viele NGOs Personal und medizinische Fachkräfte eingestellt hätten, die erst bei der Arbeit selbst die psychosoziale Behandlung besonders verletzlicher und vulnerabler Bevölkerungsgruppen effektiv lernen würden. Die Menschen würden daher nicht die Pflege erhalten, die sie dringend benötigen würden, was wiederum auch zu Suiziden führen könne. Der Zustrom an PatientInnen führe zu verlängerten Arbeitszeiten des medizinischen Personals und verminderter Patientenversorgung. Dr. Redar Mohamed, der Chefpsychiater einer Klinik in Erbil müsse seine Zeit auf drei separat betriebene Einrichtungen innerhalb von Erbil aufteilen, darunter ein staatlich betriebenes öffentliches Krankenhaus. Insgesamt betreue er monatlich 200 psychiatrische Fälle, von denen viele eine intensive Medikation und Nachsorge bei posttraumatischem Stress und anderen Erkrankungen erfordern würden. Laut den in Erbil befragten PsychiaterInnen und Pflegekräften, die in Vertriebenenlagern im Nordirak arbeiten würden, blieben oft nur wenige Minuten Zeit, um die Bedürfnisse eines/r PatientIn zu ermitteln. Im psychiatrischen Krankenhaus in Erbil würden MitarbeiterInnen täglich fünf neue PatientInnen erhalten. Dieser überwältigende Bedarf bedeute letztlich, dass Ärzte sich oft übermäßig auf Medikamente (die teuer oder schwer aufzutreiben sind) verlassen und zeitaufwändigere Methoden wie Therapie oder Beratung nicht anwenden könnten.

(…)

Verfügbarkeit von Medikamenten gegen Bluthochdruck bzw. Herzprobleme

Zu den in der Anfrage angeführten Medikamenten gegen Bluthochdruck Bisoprolol Accord (Wirkstoff: Bisoprolol) und Amelior Plus HCT (Wirkstoffe: Olmesartanmedoxomil, Amlodipin und Hydrochlorothiazid) konnten folgende Informationen gefunden werden:

Dr. Qayssar Joudah Fadheel, der an der pharmazeutischen Fakultät der Universität Kufa forscht, erklärt in einer E-Mail-Auskunft vom Februar 2019, dass Medikamente mit den Wirkstoffen Bisoprolol, Olmesartanmedoxomil, Amlodipin und Hydrochlorothiazid generell im Irak verfügbar seien. (Fadheel, 11. Februar 2019)

Eine Anfragebeantwortung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom August 2017 an die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befasst sich mit der medizinischen Versorgung in Bagdad. Auf die Frage nach der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Bisoprolol führt IOM an, dass Bisoprolol 5mg unter den Handelsnamen Zebeta und Concor erhältlich sei und 100 Tabletten mit dem Wirkstoff Bisoprolol 5mg zwischen 35 und 40 US-Dollar (umgerechnet rund 31,90 - 35,40 Euro) kosten würden. Es gebe keine Krankenversicherung im Irak, jedoch „staatlich subventionierte Apotheken, in denen man günstige Medikamente erhalten“ könne. (IOM, 8. August 2017, Sitzung 3)

In einer weiteren Anfragebeantwortung an das ZIRF erklärt IOM im Dezember 2017, dass Bisoprolol 5mg unter dem Handelsnamen Concor im Al-Zahraa Educational Hospital im Gouvernement Wasit erhältlich seien. Der Preis für eine 30 Tabletten umfassende Packung betrage 12.000 Irakische Dinar (umgerechnet rund 8,90 Euro). (IOM, 21. Dezember 2017, Sitzung 2)

Im Juni 2016 führt IOM in einer weiteren Anfragebeantwortung an das ZIRF an, dass Amlodipin 10mg und Bisoprolol 5mg in Apotheken in Kirkuk verfügbar seien. IOM ergänzt in Form einer Anmerkung, dass leider „nicht immer alle Medikamente zur Verfügung stehen, da diese manchmal nicht mehr auffindbar oder verfügbar sind“. (IOM, 17. Juni 2016, Sitzung 2)

1.7.2.9. Aus der ACCORD Anfragebeantwortung zu Irak: Provinz Diyala: Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen, Zugang zu und Kosten von Behandlung und Medikamenten vom 07.01.2021:

[…]

In den von FIS geführten Interviews gibt ein Vertreter einer lokalen Nichtregierungsorganisation an, dass insbesondere in den von der IS-Besetzung befreiten Gebieten und im Süden des Landes psychosoziale Dienste benötigt werden. Laut einem der Befragten sei es nicht ungewöhnlich, dass Iraker·innen erzählen, dass es schwierig sei, Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung zu erhalten. Eine Behandlung zu erhalten sei möglich, wenn man in Bagdad oder einer anderen Großstadt lebe und die notwendigen finanziellen Mittel dafür habe. Es sei nicht unmöglich für gewöhnliche Menschen, Zugang zu erhalten, es gebe keine Hindernisse als solche, aber das System sei schwach. Die Qualität nehme ab, je näher man den Konfliktgebieten komme. (…)“

1.7.2.10. Aus der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, zur staatlichen Krankenversicherung und Grundversorgung für Rückkehrende vom 30.06.2021:

„Laut Artikel 31 der irakischen Verfassung hat jeder Bürger das Recht auf Gesundheitsversorgung (Irakische Verfassung 2005, Artikel 31, Absatz 1).

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) veröffentlicht in ihrem Länderinformationsblatt zum Irak von 2019 folgende Informationen zum Gesundheitswesen und Zugang für Rückkehrende:

„Berechtigungen und Voraussetzungen:

Da ein Krankenversicherungssystem nicht existiert, besitzen grundsätzlich alle irakischen Staatsbürger Zugang zum Gesundheitssystem. Öffentliche Krankenhäuser und Kliniken verlangen sehr geringe Gebühren für ärztliche Überprüfungen und bieten Medikamente zu einem geringeren Preis an als im privaten Sektor. Allerdings sind im öffentlichen Sektor auch nicht alle Dienste und/oder Medikamente verfügbar.

Anmeldungsverfahren:

Es wird lediglich ein gültiger Ausweis benötigt. Darüber hinaus sollten alle weiteren relevanten Dokumente wie z.B. medizinische Bescheinigungen mitgebracht werden.

Benötigte Dokumente:

Für die Registrierung wird lediglich ein gültiger Ausweis benötigt. Für Säuglinge, die eine bestimmte Impfung erhalten sollen, erhalten die Eltern einen gesonderten Impfausweis. Dieser muss bei jedem Krankenhausbesuch von den Eltern vorgezeigt werden. Der Impfausweis wird basierend auf den Informationen im Personalausweis der Eltern bzw. In der Geburtsurkunde des Kindes ausgestellt.“ (IOM, 2019, Sitzung 4)

Die Iraqi Research Foundation for Analysis and Development (IRFAD) erläutert vermutlich 2014, dass über neunzig Prozent der Iraker·innen keine Krankenversicherung hätten. Es gebe keine staatliche Krankenversicherung. Aus diesem Grund würden die Bürger·innen auf das von der irakischen Zentralregierung geführt öffentliche Gesundheitssystem zurückgreifen. (IRFAD, vermutlich 2014)

Weitere Informationen zum staatlichen Gesundheitssystem

Qualität der öffentlichen Gesundheitsversorgung

Die World Bank Group (WBG) beschreibt in einem im Februar 2017 veröffentlichten Bericht (der bisher neueste WBG-Bericht dieser Art) das irakische Gesundheitssystem. Im öffentlichen Sektor würden Gesundheitsdienste über ein Netzwerk von Zentren der primären Gesundheitsversorgung (primary health care centers, PHCC) und öffentlichen Krankenhäusern bereitgestellt. Die PHCCs würden Vorsorgedienste und Grundversorgung anbieten. Schlechte Organisation sowie Personal- und Medikamentenmangel seien erhebliche Hindernisse für die Erbringung angemessener Dienstleistungen in den PHCCs. Trotzdem würden die PHCCs als sehr wichtige Quellen der Gesundheitsversorgung gelten, insbesondere für den ärmeren Teil der Bevölkerung. (WBG, 3. Februar 2017, Sitzung 83)

Das australische Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT) schreibt in seinem Bericht zum Irak vom August 2020, dass sich die Gesundheitsversorgung im Irak verschlechtert habe und der Gesundheitssektor mit anhaltenden Engpässen bei Medikamenten und anderen Materialien konfrontiert sei (DFAT, 17. August 2020, Sitzung 15).

Physicians for Human Rights (PHR) zitieren im April 2021 Dr. Abdulameer Al-Shammary, den ehemaligen Vorsitzenden der irakischen Ärztekammer. Laut Al-Shammary sei die Zahl der medizinischen Fachkräfte und Zentren sehr gering und entspreche nicht dem Bevölkerungswachstum. Es mangle an medizinischer Versorgung und Personal. Die Warteliste in öffentlichen Krankenhäusern sei sehr lang. Patienten·innen würden es vorziehen sich privat behandeln zu lassen. Es gebe keine Richtlinien für Behandlungen, ordnungsgemäße Hygiene oder die Entsorgung von Abfällen.

Laut PHR würden Gesundheitszentren unter chronischem Mangel an Medizinbedarf und Ressourcen leiden. Für Iraker·innen sei der Zugang zu öffentlicher medizinischer Versorgung kostengünstig. Die Qualität der Versorgung sei jedoch so mangelhaft, dass viele auf private medizinische Versorgung zurückgreifen würden, wenn sie die finanziellen Mittel dazu hätten. Da es keine private Krankenversicherung gebe, übernehme der durchschnittliche Iraker etwa 70 Prozent seiner eigenen Gesundheitsausgaben, was eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für die meisten Menschen teuer mache. Viele Iraker·innen würden medizinische Hilfe in anderen Ländern wie Indien, Iran, Jordanien, Libanon und der Türkei suchen. (PHR, April 2021, Sitzung 1-2)

IRFAD beschreibt auf ihrer Webseite das Beispiel einer Irakerin aus Kirkuk, die aufgrund von Mangel an Nachbehandlung und Pflege nach einer Operation für ihre Behandlung ins Ausland gereist sei. Die Patientin habe eine Wirbelsäulenverletzung gehabt. Die Kosten einer Operation in Kirkuk hätten sich laut ihren Recherchen auf 7.000 US-Dollar (5.773,16 Euro[1]) belaufen. Da das von ihr sonst aufgesucht Krankenhaus keine postoperative Versorgung anbiete (sie hätte nur bis zum Abend nach der Operation im Krankenhaus bleiben dürfen), habe sie sich entschieden, ins Ausland zu reisen, um die Operation für insgesamt 10.000 US-Dollar (8.247,37 Euro) zu erhalten, sowie Nachbehandlung. (IRFAD, vermutlich 2014)

Kosten der öffentlichen Gesundheitsversorgung

Eine Krankenschwester eines Gesundheitszentrums in Bagdad gab in einem Gespräch mit ACCORD im Juni 2021 an, dass Patient·innen bei jedem Besuch eines öffentlichen Gesundheitszentrums ein Ticket lösen müssten, um einen Arzt oder eine Ärztin zu sehen. Ein Ticket koste 2000 IQD (1,12 Euro). Wenn der Patient / die Patientin Medikamente oder sonstige Materialen, wie einen Verband, benötige, würden diese – sofern vorhanden – vom Gesundheitszentrum zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten dafür seien in dem gelösten Ticket bereits enthalten. Das Gesundheitszentrum verfüge jedoch nur über Basismedikamente. Wenn benötigte Medikamente nicht vorhanden sind, müssten Patient·innen sich diese in einer privaten Apotheke selbst besorgen.

Sollte eine spezialisierte Behandlung notwendig sein, würden Patient·innen an ein öffentliches spezialisiertes Krankenhaus überwiesen. Auch in einem öffentlichen Krankenhaus sei es notwendig pro Besuch ein Ticket für 2000 IQD (1,12 Euro) zu erwerben. Notwendige Untersuchungen seien dem Wissen der Krankenschwester nach inbegriffen. In einem Krankenhaus gebe es eine größere Auswahl an öffentlich zugänglichen Medikamenten als in den Gesundheitszentren. Auch die Krankenschwester gab an, dass Patient·innen, die es sich leisten können, bevorzugt private Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäuser aufsuchen würden. (Krankenschwester, 15. Juni 2021)

Geografischer Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung

Laut der WBG sei der Zugang zu Gesundheitsdiensten begrenzt, und die geografischen Unterschiede seien beträchtlich. Die Hauptzentren der oben beschriebenen PHCCs befänden sich in städtischen Gebieten. In ländlichen Gebieten gebe es kleinere Zentren. Für die Sekundär- und Tertiärversorgung würden Patient·innen von PHCCs an Krankenhäuser überwiesen. Schätzungsweise hätten nur etwa 40 Prozent der Iraker·innen aufgrund der unzureichenden Anzahl und ungleichmäßigen Verteilung öffentlicher Krankenhäuser Zugang zu diesen Überweisungsdiensten. Die sekundäre und tertiäre Versorgung werde auch von kleinen privaten Krankenhäusern erbracht. Die Kosten der privaten Gesundheitsversorgung seien jedoch für viele Iraker·innen zu hoch. Darüber hinaus würden private Krankenhäuser, obwohl sie vom Gesundheitsministerium zugelassen sind, immer noch weitgehend außerhalb des nationalen Gesundheitsüberwachungssystems liegen. (WBG, 3. Februar 2017, Sitzung 83)

DFAT zitiert im August 2020 die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO), laut der es im Irak 229 Krankenhäuser gebe sowie 1.146 Gesundheitszentren, die von Mitarbeiter·innen der mittleren Ebene geleitet werden, und 1.185 Gesundheitszentren, die von Ärzt·innen geleitet werden. DFAT fügt hinzu, dass der Zugang der Bevölkerung zur medizinischen Grundversorgung zunehmend schwerer werde, da viele Gesundheitsfachkräfte aus Sicherheitsgründen das Land verlassen hätten. (DFAT, 17. August 2020, Sitzung 15)

Laut der WBG, die Daten der WHO veröffentlicht, habe es im Irak 0,7 Ärzt·innen pro 1.000 Einwohner·innen im Jahr 2018 gegeben (zum Vergleich: 2017 in Österreich: 5,2 Ärzt·innen pro 1.000 Einwohner·innen) (WBG, letzte Datenerhebung 2018). 2017 habe es im Irak 1,3 Spitalsbetten pro 1.000 Einwohner·innen gegeben (zum Vergleich: 2018 in Österreich: 7,3 Spitalsbetten pro 1.000 Einwohner·innen). (WBG, letzte Datenerhebung 2017)

Regionale Unterschiede der öffentlichen Gesundheitsversorgung

Expat Financial beschreibt auf seiner undatierten Webseite das irakische Gesundheitssystem aus einer kanadischen Perspektive. Das Gesundheitssystem im Irak variiere je nach Region stark. In der Region Kurdistan seien die Verfügbarkeit und die Qualität der Gesundheitsversorgung vergleichsweise gut. In Bagdad würden Ausländer·innen eher eine medizinische Versorgung in einer privaten Einrichtung anstreben. Im Süden gebe es einige wenige hochklassige westlich geführte Kliniken. Die meisten im Irak lebenden Ausländer·innen wollten jedoch medizinische Hilfe außerhalb des Irak erhalten. (Expat Financial, ohne Datum)

Reuters beschreibt in einem Artikel vom März 2020, dass die Gesundheitsversorgung in der Region Kurdistan besser sei als im restlichen Irak. Die Region, in der nur 15 bis 20 Prozent der irakischen Bevölkerung leben, beherberge ein Viertel der irakischen Herz-Kreislauf- und Rehabilitationszentren und ein Drittel der Diabeteszentren. Während es im Rest des Irak 1,1 Krankenhausbetten und 0,8 Ärzt·innen pro 1.000 Einwohner·innen gebe, gebe es in Kurdistan 1,5 Betten und 1,4 Ärzt·innen pro 1.000 Einwohner·innen. (Reuters, 2. März 2020)

REACH, eine Initiative der humanitären NGOs IMPACT und ACTED sowie des operativen UN-Satellitenanwendungsprogramms UNOSAT, veröffentlicht im Mai 2020 eine Karte zum Anteil der Rückkehrerhaushalte, die über mindestens eine Schwierigkeit beim Zugang zu Gesundheitsdiensten berichten würden. Laut REACH würden zwischen 76 bis 100 Prozent der Rückkehrer·innen in großen Teilen von Anbar, Ninewa, Kiruk sowie in der Mehrheit der evaluierten Bezirke von Salah Al-Din und Diyala über mindestens eine Schwierigkeit beim Zugang zu Gesundheitsdiensten berichten. Laut der über 3.000 befragten Haushalte sei das größte Problem die Kosten für den Zugang zu Gesundheitsdiensten (REACH Initiative, 30. Mai 2020, Sitzung 1-2)

Das European Asylum Support Office (EASO), eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt, vergleicht in seinem Bericht zur sozio-ökonomischen Lage in Bagdad, Basra und Erbil vom September 2020 die Situation des Gesundheitssystems in den drei Regionen anhand von Daten des sozioökonomischen Atlas des WFP (World Food Programme) sowie des zentralen Statistikbüros Iraks (Central Statistics Office of Iraq, CSO) aus dem Jahr 2017.

Zugang zu Medikamenten

Laut Reuters importiere die Regierung Medikamente und medizinische Geräte über die staatliche Gesellschaft für die Vermarktung von Arzneimitteln und medizinischen Geräten, bekannt als KIMADIA. KIMADIA sei veraltet und unterfinanziert und könne die Nachfrage häufig nicht befriedigen. Der frühere Gesundheitsminister Alwan habe Reuters gegenüber angegeben, dass im Jahr 2018 mehr als 85 Prozent der Medikamente auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente im Irak entweder knapp oder gar nicht verfügbar gewesen seien. Es gebe auch in Apotheken geschmuggelte Medikamente, die möglicherweise nicht mehr gültig oder unwirksam seien (Reuters, 2. März 2020).

Listen von verfügbaren Medikamente (hauptsächlich in Bagdad und Erbil) für Erkrankungen wie Krebs, HIV, Hepatitis und Diabetes sowie Listen von Medikamenten für Herzerkrankungen, Augenerkrankungen, Nierenerkrankungen, neurologische Erkrankungen und pulmonologische Erkrankungen, wie auch Medikamente, die in Gebieten der Geriatrie, Hämatologie, psychischer Gesundheit, Geburtshilfe und reproduktiver Gesundheit eingesetzt werden, finden Sie im folgenden Bericht des britischen Innenministeriums, UK Home Office, vom Jänner 2021.“

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakte sowie in die zwei Gerichtsakte und durch Einvernahme der Beschwerdeführer in den drei durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2021, 12.10.2021 und 17.11.2021.

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes und der vorliegenden Gerichtsakte des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.1.      Zur Person des Erstbeschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Erstbeschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht vergleiche Seite 8 der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1 sowie OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021) sowie aus seinen im Verfahren im Original vorgelegten Dokumenten (insbesondere Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis).

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation im Irak, seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln vergleiche Seite 10 ff. der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1).

Die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verheiratet sind, basiert auf den übereinstimmenden Aussagen über das Verfahren hinweg und den vor der belangten Behörde vorgelegten irakischen Dokumenten (insbesondere den Personalausweisen der beiden Beschwerdeführer sowie der Heiratsurkunde im Akt W287 2180984-1).

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den irakischen Gepflogenheiten ergibt sich daraus, dass er im Irak mit seiner irakischen Familie aufgewachsen ist, er dort zur Schule gegangen ist und dort verschiedenste Berufe ausgeübt hat sowie an verschiedenen Orten im Irak gelebt hat.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand, den Erkrankungen und der medikamentösen Behandlung des Erstbeschwerdeführers gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen in den mündlichen Verhandlungen (OZ/34; Seite 11 ff.) und den im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen vergleiche ua. Arztbrief vom 16.12.2017 in OZ/38), sowie zahlreichen in der Dokumentenvorlage vom 18.06.2021 vorgelegten Unterlagen (OZ/18):

●             Rezept Mirtazapin (05.05.2021) und Dominal (20.04.2021), Pantoprazol ACT MSR TBL 40 MG (25.05.2017)

●             Entlassungsbrief vom 16.08.2021 (OZ/38)

●             Notfallambulanzbefund römisch 40 , 05.05.2021

●             Vorläufiger Entlassungsbrief, römisch 40 , 22.04.2021

●             Ärztlicher Befund vom 12.02.2020

●             Auskunft über die psychologische Behandlung vom 07.11.2019 (OZ/9)

●             Arztbrief vom 27.09.2019

●             medizinischer Befund vom 26.02.2019 in OZ/38

●             Kurzarztbrief Barmherzige Brüder, 07.04.2018

●             Befund Lungenfacharzt, 13.01.2017

●             Ambulanzbericht, römisch 40 , 02.12.2016

●             Vorläufiger Arztbrief, römisch 40 , inkl. Medikamentenliste 10.11.2016

●             Aufenthaltsbestätigung, römisch 40 , 10.11.2017

●             Vorläufiger Arztbrief, römisch 40 , 08.11.2017

●             Kurzarztbrief Barmherzige Brüder, 25.05.2017

Dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig ist, basiert auf seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung am 17.11.2021: „R: Können Sie Ihrer Arbeit trotz dieser Probleme uneingeschränkt nachgehen? BF1: Es bleibt mir nichts Anderes übrig. Ich kann arbeiten. Wenn es mir nicht gelingt, wird es mir gelingen. Ich habe diesen Lebenswillen.“ (OZ/34; Seite 12 bis 13) und darauf, dass er in den vergangenen vier Monaten in einer Pizzeria gearbeitet hat. Er legte diesbezüglich eine Saldenliste zu seinen Einnahmen im Zeitraum Juli bis Oktober 2021 vor (OZ/35) sowie einen Auszug vom 19.07.2021 aus dem Gewerbeinformationssystem, einen Dienstausweis und Nachunternehmensvertrag sowie einen Nachweis vom 12.10.2021 über die Versicherung der Selbständigen (OZ/33).

2.2.      Zur Person der Zweitbeschwerdeführerin

Die Feststellungen zur Identität der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 7). sowie aus ihren im Verfahren im Original vorgelegten Dokumenten (insbesondere dem Personalausweis und dem Staatsbürgerschaftsnachweis).

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin, zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrer Muttersprache, ihrem Lebenslauf, dem Aufwachsen sowie der familiären Situation im Irak, ihrer Schul- und Berufsausbildung und ihrer Berufserfahrung gründen sich auf ihren diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen zu zweifeln vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 7).

Die Feststellung zur Sozialisierung der Zweitbeschwerdeführerin nach den irakischen Gepflogenheiten ergibt sich daraus, dass sie im Irak mit ihrer irakischen Familie aufgewachsen ist, dort zur Schule gegangen ist, gearbeitet hat sowie mit dem BF2 in verschiedensten Landesteilen gelebt hat.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Medikamenteneinnahme gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung (OZ/25 zu BF 2; Seite 6 und 16 f.) und den im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen vergleiche unter anderem Entlassungsbrief des römisch 40 Klinikums vom 12.11.2018 in Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6). Sie brachte einen ärztlichen Befund über eine Gastritiserkrankung im August 2021 ins Verfahren ein (OZ/26 zu BF 2).

Aus einem Arztbrief vom 18.03.2021 geht hervor, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer Anpassungsstörung, Angst und einer depressiven Reaktion leidet (Seite 2 der Stellungnahme und Urkundenvorlage vom 06.05.2021, OZ/12 aus BF2). Sie ist seit 01.12.2017 in psychotherapeutischer Betreuung (OZ/26 zu BF 2 und Schreiben vom 11.06.2021 in OZ/16 aus BF2). Dass die Zweitbeschwerdeführerin an Depressionen leidet, ergibt sich aus der vorgelegten Überweisung vom 02.06.2021 (Seite 15 der Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2).

Dass die Zweitbeschwerdeführerin arbeitsfähig ist ergibt sich daraus, dass sie sowohl im Irak gearbeitet hat und auch in Österreich seit längerem 30 Wochenstunden ehrenamtlich arbeitet (OZ/26 zu BF 2).

2.3.      Zu den Fluchtgründen des Erstbeschwerdeführers

Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vor, er würde sowohl von Milizen aufgrund der Zugehörigkeit seiner Familie zur Baath-Partei sowie aufgrund seiner sunnitisch-arabischen Volksgruppenzugehörigkeit im Irak verfolgt werden. Die belangte Behörde argumentierte im angefochtenen Bescheid, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft und die vorgebrachten Probleme aufgrund der Religion seinen nur allgemein behauptet worden jedoch mit keinem konkreten glaubhaften Vorfall ausgeführt worden vergleiche S 121 f. des angefochtenen Bescheides vom 16.11.2017). Das erkennende Gericht kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten fluchtauslösenden Geschehnisse nicht glaubhaft sind. Dies aufgrund folgender Erwägungen:

2.3.1. Zur vorgebrachten Bedrohung durch Milizen

2.3.1.1. In der Erstbefragung am 21.09.2015 nach seinem Fluchtgrund befragt, gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei 2012 aus Bagdad wegen der Bedrohung durch schiitische Milizen geflüchtet. Sein Bruder Ahmad sei 2006 und sein Bruder Mohamad sei 2013 getötet worden, weil sie Sunniten seien. Er sei mit seiner Frau zunächst nach Falluja geflüchtet, dann nach Haditha und, als der IS kam, ins Ausland. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2017 gab er an, er habe als Sunnit in einem schiitischen Viertel in Bagdad gelebt und habe Probleme mit der Miliz Al Mahdi gehabt, die 2006 seinen Bruder Ahmad getötet hätte. Sein Bruder Hassan hätte das Geschäft des Verstorbenen übernommen und die Miliz habe ihn derart geschlagen, dass dieser Nierenprobleme bekommen hätte und gestorben sei. Die Miliz habe auch den Erstbeschwerdeführer 2012 zweimal bis nach Hause verfolgt, er habe sich aber bei den Nachbarn verstecken können. Er sei dann zu seiner Schwester und dann zu den Eltern seiner Frau gezogen. Er befürchte, bei einer Rückkehr als Sunnit getötet zu werden vergleiche Sitzung 6 der Niederschrift vom 26.06.2017). In der mündlichen Verhandlung am 17.11.2021 gab der BF1 an, von den Milizen Asaib Al Alhaqq, Almahdi Armee und Badr Organisation bedroht worden zu sein vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Sitzung 13).

2.3.1.2. Aus dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers ergaben sich deutliche Ungereimtheiten und Widersprüche, die das Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung durch schiitische Milizen nicht glaubhaft erscheinen lassen:

Zunächst gab der Beschwerdeführer widersprüchliche Antworten hinsichtlich einer gegen ihn gerichteten persönlichen Bedrohung: Nachgefragt, ob er jemals persönlich bedroht oder verfolgt worden war, verneinte der Beschwerdeführer dies in der Einvernahme vor der belangten Behörde vergleiche Sitzung 6 der Niederschrift vom 26.06.2017). In der mündlichen Verhandlung bejahte er die Frage hingegen und schilderte, er sei im Jahr 2011 verfolgt worden vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 16). In der Einvernahme gab er widersprüchlich zu seiner ersten Aussage an, im Jahr 2012 zweimal bis nach Hause verfolgt worden zu sein vergleiche Sitzung 6 der Niederschrift vom 26.06.2017). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich persönlich und direkt bedroht worden, hätte er eine konkrete Bedrohung widerspruchsfrei angeben können, zumal nicht anzunehmen ist, dass er ein derart einschneidendes Erlebnis vergessen hat oder Anzahl und Zeitpunkt der Bedrohung(en) nicht mehr wiedergeben kann.

In der mündlichen Verhandlung gab er weiter erstmalig an, dass in der Bedrohungssituation auch Schüsse gefallen seien vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 16). Es ist unwahrscheinlich, dass er ein derart markantes Detail seiner Bedrohung bei mehreren Gelegenheiten unerwähnt ließ und dann erstmal vor dem Bundesverwaltungsgericht vorbrachte.

Ferner schilderte der Erstbeschwerdeführer den Ablauf der Verfolgung widersprüchlich zu seinen Schilderungen in der Einvernahme: Vor dem BFA in der Einvernahme gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei zweimal bis zu seinem Haus verfolgt worden, habe sich aber immer zu seinen Nachbarn flüchten können vergleiche Sitzung 6 f. der Niederschrift vom 26.06.2017). In der mündlichen Verhandlung gab er wiederum an, er sei ins Haus, dann auf das Dach und sei von Dach zu Dach gesprungen, bis er dann geflüchtet sei. Ein alter Herr habe ihm geholfen und ihn in seinem Garten versteckt vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 16). Diese Schilderungen decken sich weder mit den Schilderungen in der Einvernahme, noch mit den Schilderungen der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung, die angab, ihr Mann sei von einem anderen Auto mit bewaffneten Insassen verfolgt worden, während er im Auto gesessen sei. Er habe sie angerufen, dass sie die Türe öffnen solle, damit er mit dem Auto hineinfahren könne vergleiche Seite 18 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Der BF1 hatte hingegen weder angegeben, mit dem Auto unterwegs gewesen zu sein, noch dass ihm seine Frau die Türe geöffnet habe. Vielmehr gab er einmal an, sich beim Nachbar versteckt zu haben, und ein anderes Mal, durch Springen von Dach zu Dach entkommen zu sein.

Nachgefragt nach Fahndungsmaßnahmen gegen den Erstbeschwerdeführer und wie er bedroht worden sei, gab dieser vor dem Bundesamt an „Ein schriftliches Dokument gibt es nicht, aber wenn Gott will, werde ich es vorlegen“ vergleiche Sitzung 6 der Niederschrift vom 26.06.2017). Zwei Monate später am 22.08.2017 legte der Beschwerdeführer dann einen irakischen Drohbrief bei der belangten Behörde vor, aus dem hervorgeht, dass die Aliman Ali Milliz/ Assaeb Ahl Alhaq droht, alle Sunniten aus den sunnitischen Gebieten zu vertreiben vergleiche Übersetzung vom 13.09.2017). Bei dem vorgelegten Schreiben handelt es sich um einen Vordruck bei dem der Name des Erstbeschwerdeführers händisch und in anderer Farbe eingefügt wurde, weswegen die Echtheit in Frage zu stellen ist. Zudem stellt das Schreiben eine Steigerung des Fluchtvorbringens dar und spricht für die fehlende Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens, da der Erstbeschwerdeführer bei der Einvernahme zuvor noch angegeben hatte, es gebe kein schriftliches Dokument. In der Verhandlung brachte er wiederum wenig glaubhaft vor, dieser Drohbrief mit seinem Namen sei, als er bereits in Österreich gewesen sei, im Irak im Haus seiner Schwester unter die Tür mit einer Schusspatrone gelegt worden vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 17). Wenig später widersprach er sich selbst und schilderte, der Brief sei vor das Haus seines Vaters gelegt worden. Als sein Vater von der Schwester zu seinem Haus gefahren sei, habe er den Brief gefunden. In der mündlichen Verhandlung brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, es sei bereits 2012 „ein Papier unter der Türe durchgeschoben worden“, was sich nicht mit den Aussagen des Erstbeschwerdeführers deckt, der angab, der Drohbrief sei erst entdeckt worden, als sie sich bereits in Österreich aufgehalten hätten (somit nach 2015) vergleiche Seite 17 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1).

Der Erstbeschwerdeführer legte im Verfahren außerdem eine Karte für Vertriebene vor, mit welcher er – wie in der Einvernahme vorgebracht – bei seiner Schwester in Bagdad in der Nähe des Flughafens im Jahr 2012 nach den vorgebrachten zwei Verfolgungen durch die Milizen gewohnt habe. Auf der vorgelegten Karte ist jedoch das Datum 21.01.2007 als Ausstellungsdatum ersichtlich, was im Widerspruch mit dem Vorbringen – er habe sich nach 2012 dort aufgehalten - steht vergleiche Übersetzung der Karte vom 13.08.2017 im Verwaltungsakt zu BF1). In der Beschwerde vom 19.12.2017 brachte der Erstbeschwerdeführer vor, er sei im Jahr 2007 von schiitischen Milizen bedroht und aus seinem Haus vertrieben worden, habe sich dann ein Jahr in Babel aufgehalten, bevor er nach Kirkuk zu seiner Schwester ging, wo er bis 2012 lebte. Das Vorbringen, der Erstbeschwerdeführer sei bereits im Jahr 2007 bedroht worden, brachte er in der Beschwerde erstmals – und wohl aufgrund der vorgelegten, im Jahr 2007 ausgestellten Karte für Vertriebene, die mit den bisherigen Angaben des Erstbeschwerdeführers nicht übereinstimmte – vor.

Auch das erst in der Beschwerdeergänzung neu erstattete Vorbringen, der Erstbeschwerdeführer und sein Bruder hätten beim Geheimdienst von Saddam Hussein (Baath Partei) gearbeitet und seien daher von schiitischen Milizen bedroht worden, verstößt zum einen gegen das Neuerungsverbot, ist zum anderen aber auch nicht glaubhaft: Der BF1 gab an, er habe dieses Vorbringen aus Hemmungen vor dem Dolmetscher bei der Einvernahme nicht angegeben. Sein Bruder Ahmed sei 2005 im Heimatviertel erschossen worden, weshalb der Erstbeschwerdeführer aus Angst um sein Leben von dort weg nach Babel gezogen sei. Ab da sei er verfolgt worden (Seite 2 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6). Der Erstbeschwerdeführer steigerte sein Vorbringen, indem er angab nicht 2007, sondern bereits 2005 erstmals verfolgt worden zu sein. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dieses aus Sicht des BF1 so wesentliche Vorbringen vom Erstbeschwerdeführer im gesamten erstinstanzlichen Verfahren und in der Beschwerde selbst unerwähnt blieb, musste ihm doch bewusst sein, dass diese Tatsache entscheidungsrelevant sein kann.

In der mündlichen Verhandlung am 17.11.2021, nach seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 diesbezüglich an, dass nur seine Brüder Soldaten im Saddam Hussein Regime gewesen seien und deshalb getötet worden seien. „Ich selbst wurde auch bedroht, aufgrund, dass meine Brüder eben zum alten Regime gehörte haben.“ Der Erstbeschwerdeführer sei aufgrund der Tätigkeit seiner Brüder bedroht worden. Zu der zuvor vorgebrachten eigenen Tätigkeit beim Geheimdienst gab er nichts an vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 13). Nachgefragt, was er bei einer Rückkehr befürchten würde, brachte er vor, er befürchte aufgrund der Zugehörigkeit zu seiner Familie, die zur Baath Partei gehört hätte, ermordet zu werden vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 16). Diese Angaben stellen sich als widersprüchlich dar, vor allem weil der Erstbeschwerdeführer bei der zuvor stattgefundenen Verhandlung angegeben hatte, er habe für die Baath-Partei selbst als Security bzw. Türsteher gearbeitet vergleiche Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1). Außerdem ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Erstbeschwerdeführer weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme oder in der Beschwerde vorbrachte, dass seine Familienangehörigen Mitglieder der Baath-Partei gewesen seien. Er erstattete dieses Vorbringen erstmalig in der Beschwerdeergänzung. In Anbetracht der widersprüchlichen Aussagen diesbezüglich stellt sich dieses Vorbringen als nicht glaubhaft dar bzw ist dieses Vorbringen bereits aufgrund des Neuerungsverbotes unbeachtlich.

Selbst wenn die Brüder des Erstbeschwerdeführers tatsächlich gestorben sind, ergibt sich daraus keine unmittelbare konkrete persönliche Bedrohung dem Erstbeschwerdeführer gegenüber: Die Tatsache, dass die Brüder des BF1 bereits verstorben sind, wurde über das Verfahren hinweg einheitlich vorgebracht und ist somit glaubhaft. Ein Bruder namens Ahmed starb 2005, Hassan starb 2009 und Mohamed starb 2013. Der Erstbeschwerdeführer legte im Verfahren die Sterbeurkunden seiner drei Brüder in arabischer Sprache vor (OZ/38 Seite 15: Sterbeurkunde von Ahmed, Ausstellungsdatum: 09.09.2005, Sterbedatum: 08.09.2005, Beilage./6 der Einvernahme vor dem Bundesamt, von Hassan, 14.10.2009, Beilage./7 der Einvernahme vor dem Bundesamt, Sterbeurkunde von Mohammed, 21.11.2013, (Beilage./8 der Einvernahme vor dem Bundesamt). Der Erstbeschwerdeführer machte allerdings widersprüchliche Angaben zur Todesursache des Bruders Hassan. So gab er in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2017 an, die Miliz habe seinen Bruder Hassan derart geschlagen, dass dieser Nierenprobleme bekommen hätte und gestorben sei. In der mündlichen Verhandlung gab er wiederum an, sein Bruder Hassan sei erschossen worden. Aus den vorgelegten Sterbeurkunden ergibt sich zwar der Tod der Brüder, nicht jedoch die konkreten Ereignisse, die zum Tod geführt haben, sodass nicht glaubhaft gemacht werden konnte, dass die Brüder des BF1 aufgrund einer konkreten und individuellen Bedrohung durch schiitische Milizen gestorben sind. Ferner ergibt sich keine konkrete Bedrohung des Erstbeschwerdeführers aus dem Tod seiner Brüder. Auch das Vorbringen in der Beschwerde vom 19.12.2017, der Bruder Mohammed sei durch ein Attentat im Auto des Erstbeschwerdeführers ermordet worden, und es sei daher anzunehmen, dass das Attentat eigentlich ihm gegolten habe, ist nicht glaubhaft, da er dies in der Beschwerde erstmals und einmalig vorbrachte und auch in den mündlichen Verhandlungen nicht mehr darauf einging.

In der Einvernahme gab der Erstbeschwerdeführer ferner an, sein Familienhaus sei nach seiner Hochzeit weggenommen worden. In der Beschwerde vom 19.12.2017 brachte der Erstbeschwerdeführer vor, es sei auf sein Elternhaus geschossen worden und die Familie würde sich deshalb nun außerhalb Bagdads befinden. Das Elternhaus in Bagdad würde leer stehen. In der Beschwerdeergänzung wurde wiederum vorgebracht, die Familie des Erstbeschwerdeführers (Vater, Schwester, Familien der verstorbenen Brüder) lebe nach wie vor im Herkunftsviertel Al Gazalia in Bagdad (Seite 2 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6). In der Verhandlung brachte er schließlich vor, auch sein Bruder Ali und sein Vater seien mittlerweile verstorben, und seine Schwester sei, nachdem sie eine Vollmacht zur Verwaltung des verbliebenen Besitzes durch den Erstbeschwerdeführer erhalten hätte, ebenso bedroht worden und hätte einen Drohbrief erhalten. Auch die anderen Schwestern würden sich mittlerweile außerhalb des Iraks befinden vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 17). Das Elternhaus sei dem Vater weggenommen worden, weil der Familie von den Milizen vorgehalten worden sei, die Familie habe sich das Haus im Hussein-Regime unrechtmäßig angeeignet. Abgesehen von diesen deutlichen Widersprüchen in den einzelnen Aussagen konnte der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung bei genauerem Nachfragen nicht angeben, seit wann sich seine Schwestern außerhalb des Iraks aufhalten. Aufgrund der Vielzahl an widersprüchlichen Angaben zur Familie und zum Familienhaus ist es nicht glaubhaft, dass sich die gesamte Familie des Erstbeschwerdeführers außerhalb des Irak aufhält. Vielmehr ist davon auszugehen, dass – wie in der Beschwerdeergänzung vorgebracht – die Familie des Erstbeschwerdeführers (Mutter, Schwestern, Familien der verstorbenen Brüder) nach wie vor im Herkunftsviertel Al Gazalia in Bagdad lebt (Seite 2 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6).

2.3.1.3. Dass die vom Beschwerdeführer genannten Milizen (die Asaib Al Al-Haqq, Almahdi Armee und Badr Organisation) tatsächlich im Irak aktiv sind, ergibt sich aus den Länderfeststellungen zum Irak vergleiche dazu oben römisch II.1.7.1.). Den Länderberichten zufolge, existiert eine schiitische Miliz namens „Asa‘ib Ahl al-Haqq“, die Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufgebaut haben. Diese waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die Miliz. Sie gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Die Asa‘ib Ahl al-Haqq ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Sie gilt heute als gefürchtetste Miliz, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet vergleiche LIB Irak).

Die Asaib Ahl al-Haqq ist eine der mächtigsten Milizen im Irak, sie hat etwa 15.000 Kämpfer und wird von der al-Quds -Brigade der Iranischen Revolutionsgarde militärisch und finanziell unterstützt (LIB, Sitzung 55). „Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation [gemeint: Asaib Ahl al-Haqq]] den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).“ (LIB, Sitzung 56)

2.3.1.4. Trotz der mit den Länderberichten übereinstimmenden Schilderungen über die agierenden Milizen, war das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers insgesamt derart widersprüchlich und unglaubhaft, dass nicht davon ausgegangen werden konnte, dass sich die durch den Erstbeschwerdeführer vorgebrachten Verfolgungen tatsächlich so ereignet haben. Eine konkrete gegen die Person des Erstbeschwerdeführers gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Seine Ausführungen lassen in ihrer Gesamtbetrachtung die Fluchtgeschichte und die vorgebrachten Angriffe als reine gedankliche Konstruktion erscheinen, der jegliche Stringenz hinsichtlich einer Verfolgung fehlt.

Selbst wenn die Brüder des Erstbeschwerdeführers von Milizen getötet worden sein sollten, ist eine aktuelle Bedrohung des Beschwerdeführers davon nicht ableitbar, da dieser nicht Ziel eines Angriffes war und nicht individuell bedroht wurde. Zudem stellte sich das Vorbringen, die Familie des Erstbeschwerdeführers sei Mitglied der Baath Partei gewesen, als nicht glaubhaft dar. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0503). Aus dem Fluchtvorbringen ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gegenständlichen Zeitpunkt mit einer Verfolgungshandlung im Sinne der zuvor genannten Judikatur rechnen müsste und es ergibt sich in einer Gesamtschau nicht, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise eine derart exponierte Stellung innegehabt hätte, woraus sich im Falle seiner Rückkehr zwangsläufig die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung seiner Person ableiten lässt. Dies trifft insbesondere auf die von ihm behauptete Verfolgung durch den Staat oder durch Mitglieder der Milizen aufgrund der vorgebrachten Zugehörigkeit seiner Familie zur Baath Partei zu.

Auch sonst ergeben sich keine Anhaltspunkte dahingehend, dass dem Erstbeschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak konkrete, ihn persönlich treffende Bedrohungen oder Verfolgungen drohen würden.

Im Laufe des Verfahrens brachte der Erstbeschwerdeführer zur Aktualität der Verfolgung erstmals vor, es sei ein Drohbrief gefunden worden. Doch auch dieses Vorbringen stellte sich als nicht glaubhaft heraus. Eine aktuell bestehende Bedrohung ist daher nicht hervorgekommen. Zwischen der vorgebrachten Bedrohung durch die Miliz im Jahr 2012 und der tatsächlichen Ausreise aus dem Irak 2015 vergingen drei Jahre in denen der Erstbeschwerdeführer sich im Irak aufhalten konnte, und wie in der Einvernahme und der Beschwerde vorgebracht, auch aufgehalten hat. Noch von 2005 bis zur Ausreise war es dem Erstbeschwerdeführer möglich, sich trotz seiner vorgebrachten Tätigkeit als Geheimdienstmitarbeiter im Irak aufzuhalten. Er wechselte seinen Wohnort aufgrund anderer Probleme im Besonderen wegen seiner sunnitischen Glaubensrichtung, seines schiitischen Namens und Geburtsortes (Seite 3 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6). Die vorgebrachte Verfolgungshandlung ist mittlerweile zehn Jahre her, was eine aktuell bestehende Bedrohung noch unwahrscheinlicher macht.

2.3.2. Zur vorgebrachten Bedrohung als sunnitischer Araber

2.3.2.1. Der Erstbeschwerdeführer brachte im Verfahren vor, er habe im Irak immer wieder Probleme als sunnitischer Araber in schiitischen Gebieten gehabt. Er brachte hierzu verschiedene Situationen vor, jedoch keine konkret ihm gegenüber bestandene Bedrohung. Er sei von anderen Bewohnern aufgehalten und gefragt worden, warum er nicht den Sitten folgen würde. Der Druck der Umgebung habe ihn und seine Ehefrau schließlich mehrmals veranlasst umzuziehen: „Nach mehreren Ansprachen nachdem ich „nicht mitmachen“ wollte, habe ich diese Umgebung verlassen.“ vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 13).

Der Erstbeschwerdeführer habe mehrere Jahre an verschiedenen Orten im Irak gelebt unter anderem mit der Zweitbeschwerdeführerin. Sie seien aufgrund von Problemen mit schiitischen Milizen, die sie bedroht hätten umgezogen und hätten aufgrund des typisch schiitischen Nachnamens des Erstbeschwerdeführers auch im sunnitischen Viertel in Bagdad Probleme bekommen (Seite 2 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6). Sie seien dann zur Familie der Zweitbeschwerdeführerin nach Fallujah, dessen Bevölkerung überwiegend sunnitisch ist, gezogen, wo sie Probleme aufgrund des Geburtsorts des Erstbeschwerdeführers (Al Kazimia im Personalausweis) bekommen hätten, da dies ein schiitischer Ort sei. Der Erstbeschwerdeführer hätte außerdem „Probleme bei den Checkpoints“ gehabt und „Ladungen zur Polizei“ erhalten. Aus Fallujah seien sie aufgrund des IS weggegangen, zur Schwester der Zweitbeschwerdeführerin, wo sie sich wegen des schiitischen Namens nicht wohnhaft melden haben können. Aufgrund dessen seien sie zurück nach Bagdad und in den Nordirak, wo ihr Aufenthalt nicht verlängert worden sei, weshalb sie schließlich den Irak verlassen hätten (Seite 3 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6).

2.3.2.2. Zuletzt ist eine amtswegige Auseinandersetzung mit der Lage des Beschwerdeführers aufgrund seines sunnitischen Religionsbekenntnisses im Rückkehrfall geboten, auch weil der Erstbeschwerdeführer sich im Verfahren dahingehend äußerte, dass seine Religionszugehörigkeit für ihn im Irak ein Problem darstellte, weswegen er öfter den Wohnsitz wechselte. Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht im Hinblick auf die Lage der sunnitischen Minderheit hervor, dass im Irak zahlreiche Sunniten leben und sunnitische Araber ca. 17 bis 22% der Gesamtbevölkerung von ca. 40 Millionen Einwohnern ausmachen. Die Bevölkerung Bagdads weist eine große ethnische und religiöse Vielfalt auf. Die irakische Gesellschaft ist bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Während des Bürgerkrieges der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wurde die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert.

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen.

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Gebiete (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmiya, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten "Bagdader Gürtel" (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016).

Bei Abwägung der Feststellungen zu Übergriffen einerseits und den aus den Feststellungen zur Sicherheitslage ersichtlichen Angaben zu zivilen Opfern andererseits und der Bevölkerungszahl Bagdad andererseits ist nicht davon auszugehen, dass männliche sunnitische Araber in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte Eingriffe von erheblicher Intensität in ihre schützende persönliche Sphäre aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses oder einer ihnen aufgrund ihres Profils als junge männliche Sunniten unterstellten Anhängerschaft zum Islamischen Staat zu gewärtigen hätten. Die in den Feststellungen zur Lage in Bagdad dargelegten sicherheitsrelevanten Vorfälle lassen den Schluss zu, dass die die Wahrscheinlichkeit, einem zielgerichteten Übergriff schiitischer Milizen aus den eingangs erörterten Motiven zum Opfer zu fallen, derzeit nicht als erheblich anzusehen ist.

In Anbetracht dessen ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös motivierten Übergriffes zu werden, nicht zur Annahme einer mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit eintretenden Verfolgung genügt (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472 mwN). Eine systematische und asylrelevante Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Religionsgemeinschaft ist auch auszuschließen, weil sich die Mutter und die Schwestern des Erstbeschwerdeführers den Feststellungen zufolge nach auch gegenwärtig im Irak in Bagdad aufhalten und diesbezügliche aktuelle Schwierigkeiten nicht glaubhaft vorgebracht wurden. Der Verwaltungsgerichtshof ist außerdem einer behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak in mehreren Entscheidungen nicht nähergetreten (VwGH 19.06.2019, Ra 2018/01/0379; 25.06.2019, Ra 2019/19/0193; 10.07.2019, Ra 2019/14/0225, und 18.07.2019, Ra 2019/19/0191) und hat etwa im Erkenntnis vom 29.06.2018, Ra 2018/18/0138, und im Erkenntnis vom 30.04.2019, Ra 2018/14/0354, eine Gruppenverfolgung von Sunniten in Bagdad explizit verneint. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass von schiitischen Milizen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen ausgehen und auch eine nicht feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über die vorstehend dargelegten Diskriminierungen hinausgehen. Ausweislich der Feststellungen sind insbesondere in den von den Milizen des Islamischen Staates zurückeroberten Gebieten von schiitischen Milizen (wie etwa der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq) ausgehende Gewaltakte gegen männliche sunnitische Araber dokumentiert und kommen Entführungen und außergerichtliche Hinrichtungen ebenso vor, wie die bereits zuvor angesprochenen Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung. Ferner sind Übergriffe seitens Angehöriger der al-Haschd asch-Schaʿbī im Gefolge von Kampfhandlungen oder Anschlägen in den umkämpften Gebieten bekannt, welche von den Verantwortlichen als Einzelfälle abgetan werden und die als Vergeltungsaktionen in Zusammenhang mit konkreten Angriffen des Islamischen Staates angesehen werden. Die Feststellungen zeugen ferner davon, dass auch Entführungen zum Zweck der Erpressung von Lösegeld dokumentiert sind. Dass andere Personen als Binnenvertriebene und diejenigen sunnitischen Männer, die in vom Islamischen Staat zurückeroberten Gebieten im Gefolge der Rückeroberung vorgefunden wurden (und sohin dort während der Machtausübung durch den Islamischen Staat gelebt haben), von schiitischen Milizen oder Sicherheitskräften in den Jahren 2014 bis 2017 systematisch bedrängt wurden oder nunmehr der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt wären, kann den länderkundlichen Informationen allerdings nicht entnommen werden. Der Beschwerdeführer wurde in Bagdad geboren und ist dort aufgewachsen. Er lebte in verschiedenen Gebieten im Irak. Er ist nicht durch einen eindeutig sunnitisch konnotierten Namen belastet, sondern führt laut eigenen Angaben einen schiitischen Namen. Die gegenwärtige Lage in Bagdad ist ausweislich der Feststellungen durch eine im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wieder geringe Anzahl an Zivilisten betreffender sicherheitsrelevanter Vorfälle gekennzeichnet, wobei die aktuellen, sich in geringer Zahl ereignenden sicherheitsrelevanten Vorfälle den Quellen zufolge überwiegend auf Aktivitäten des Islamischen Staates gegen Sicherheitskräfte und Zivilsten zurückzuführen sind.

Auch der im Mai 2019 veröffentlichten Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ kann entnommen werden, dass die berichteten gravierenden Übergriffe auf Sunniten „in the context of military operations against ISIS between 2014 and 2017“ berichtet wurden und somit als Folge der Kampfhandlungen bzw. der anschließenden Besatzung zu sehen sind (Seite 60 des Berichtes). Aktuelle Berichte über Übergriffe gegen sunnitische Araber aus konfessionellen Motiven gehen aus diesem Bericht demgegenüber nicht vor. Eine individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers als Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung im Fall einer Rückkehr nach Bagdad in eine sunnitisch dominierte Gegend ist vor diesem Hintergrund zusammenfassend nicht erkennbar. An dieser Stelle ist außerdem eine Auseinandersetzung mit der im Mai 2019 veröffentlichten Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge „International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq“ erforderlich, da Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung nach der Rechtsprechung zukommt (VwGH 06.07.2011, Zl. 2008/19/0994) und sich die angeführte Position von UNHCR ausführlich mit potentiellen Verfolgungsszenarien im Irak auseinandersetzt. Die zitierte Indizwirkung bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an entsprechende Empfehlungen etwa des UNHCR Asyl zu gewähren hat. Vielmehr ist, wenn in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht gefolgt wird, beweiswürdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte von einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat ausgegangen.

Der Islamische Staat ist nach wie vor in der Lage, Blitzangriffe zu starten (gezielte Tötungen unter anderem lokaler Führungspersonen, Entführungen sowie Angriffe mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) auf Zivilisten und Sicherheitskräfte). Anschläge des Islamischen Staates ereignen sich vorwiegend in Gebieten, die früher vom islamischen Staat besetzt wurden. Rivalitäten und/oder mangelhafte Koordinierung zwischen den verschiedenen Sicherheitsakteuren, die in den zurückeroberten Gebieten im Einsatz sind, haben Sicherheitslücken zur Folge. Militäreinsätze gegen den Islamischen Staat finden nach wie vor statt und Sicherheitskräfte verhaften häufig Verdächtige, entschärfen Sprengkörper und decken Waffenverstecke, geheime Unterschlüpfe und unterirdische Tunnel auf. Personen, die aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zum Islamischen Staat verhaftet werden, sind dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen durch staatsnahe Sicherheitsakteure ausgesetzt. Es wird berichtet, dass in vielen zurückeroberten Gebieten Gruppierungen der Volksmobilmachungskräfte mit den ISF und den Kurdischen Sicherheitskräften um Kontrolle und Einfluss konkurrieren und dass es zu Belästigungen und Misshandlungen von Zivilisten durch diese Gruppen kommt. In der Folge identifiziert der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zwölf Personengruppen, die als besonders schutzbedürftig angesehen werden (siehe die Seiten 58 ff des Berichtes). Der Beschwerdeführer kann als sunnitischer Araber aus Bagdad keiner dieser Personengruppen zugeordnet werden. Er ist insbesondere nicht als „Person Wrongly Suspected of Supporting ISIS“ gefährdet, da er auch keinen sunnitisch konnotierten Namen führt. Die Berücksichtigung der Position des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zur Rückkehr in den Irak vom Mai 2019 zeigt somit ebenfalls keine aktuelle individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Rückkehrfall auf.

Aus der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation zum Irak, Version 4, 15.10.2021, S: 94 ff, geht die Gefahr der Verfolgung für sunnitische Araber hervor: „Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. […] Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der PMF, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern“ (USDOS 30.3.2021). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 12.5.2021).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwinden lassen zur Last gelegt (AA 22.1.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 30.3.2021).

Für sunnitische Araber im Irak besteht nach den Länderberichten somit generell ein erhöhtes Risiko, dass sie feindlichem Verhalten der schiitischen Milizen ausgesetzt sein können. Eine den Erstbeschwerdeführer konkret und persönlich treffende Gefährdung oder Bedrohung konnte im Verfahren jedoch nicht glaubhaft vorgebracht werden. Vielmehr brachte er keine konkrete Bedrohung als Sunnit oder stattgefundene persönliche Bedrohung aufgrund dessen vor und gab in der Beschwerdeverhandlung an, nicht mehr zum sunnitischen Islam zu gehören. Die behaupteten Probleme als Sunnit blieben auf einem allgemeinen Niveau, ohne dass eine konkrete Bedrohung aufgrund gefahrenerhöhende Umstände dargelegt wurde.

Auch EUAA formuliert entsprechende Risikoprofile („Sunni Arabs“, S 66 ff der Country Guidance). Im Falle des Beschwerdeführers haben sich allerdings genau jene Umstände, die im Risikoprofil umschrieben werden (insbesondere Verbindung bzw unterstellte Verbindung zum IS, Verbindung zur Baath-Partei), als nicht glaubhaft erwiesen, sodass beim BF1 keine individuellen risikoerhöhenden Umstände vorliegen. Der BF1 stammt auch nicht aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet, er hielt sich lediglich wenige Monate bei der Familie seiner Frau in Fallujah auf.

In Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Sunniten im Irak haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Sunniten gleichermaßen bloß aufgrund ihres Religionszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet des Irak einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Zwar ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Sunniten oftmals aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt werden, jedoch kann eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden, was sich auch daraus ergibt, dass (arabische) Sunniten 17-22 % der Bevölkerung ausmachen und auch in der Regierung vertreten sind.

Sunnitischen Arabern wird häufig eine Verbindung zum IS unterstellt und diese sind willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt. Jedoch hat sich im Fall des Beschwerdeführers die vorgebrachte Tätigkeit seiner Familienmitglieder für die Baath Partei als nicht glaubhaft herausgestellt. Auch der schiitische Name des Erstbeschwerdeführers spricht gegen eine bestehende Bedrohung durch Schiiten im Irak.

2.4.      Zu den Fluchtgründen der Zweitbeschwerdeführerin

2.4.1. Auch für die Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich aus den oben dargestellten Gründen keine Bedrohung aufgrund ihrer Eigenschaft zur Gruppe der sunnitischen Araber. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Verfahren zunächst im Wesentlichen dieselben Fluchtgründe vor wie ihr Ehemann. So gab sie in der Erstbefragung am 21.09.2015 an, sie sei 2012 als Sunnitin wegen Bedrohungen durch Schiiten aus Bagdad geflohen und später aufgrund des IS aus dem Irak geflohen. Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am 26.06.2017 gab sie an, sie hätten bereits 2013 entschieden den Irak zu verlassen, aufgrund des religiösen Krieges, wegen der unsicheren Lage und weil sie kein Geld hatten. Sie brachte im Wesentlichen vor, sie hätte den Irak mit ihrem Mann verlassen, weil dieser als Sunnit verfolgt worden sei. Eigene Fluchtgründe oder eine persönliche Bedrohung brachte sie nicht vor. Im angefochtenen Bescheid vom 16.11.2017 stellte die belangte Behörde fest, die Zweitbeschwerdeführerin habe keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und das Vorbringen des Ehemannes, er sei von schiitischen Milizen verfolgt worden, habe sich als nicht glaubhaft herausgestellt vergleiche Sitzung 10 des angefochtenen Bescheides). Das Bundesverwaltungsgericht folgt im Wesentlichen der Argumentation der belangten Behörde. Auch im Verfahren vor dem erkennenden Gericht haben sich die Fluchtvorbringen der Zweitbeschwerdeführerin als nicht glaubhaft dargestellt:

In der mündlichen Verhandlung nach ihren Fluchtgründen befragt, brachte sie zunächst vor, ihre Familie sei wegen der Al-Qaida aus dem Ort Al Fallujah nach Haditha geflüchtet, bevor sie den Erstbeschwerdeführer geheiratet habe und bei seiner Familie gelebt habe. Sie sei dann als Sunnitin wegen Bedrohungen durch Schiiten mit ihrem Mann aus Bagdad nach Fallujah geflohen, wo sie jedoch aufgrund des Namens des Erstbeschwerdeführers weiter bedroht worden seien. Nachdem sie nach Bagdad in ein sunnitisches Gebiet zurückgekehrt seien, hätten sie auch dort wegen dem Namen Probleme bekommen, da der Name aus einem schiitischen Gebiet stammen würde. Nachdem sie dann einige Zeit im Nordirak gelebt hätten, seien sie zunächst nach Bagdad zurück und dann aus dem Land ausgereist vergleiche Seite 17 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1).

Da sich das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers als nicht glaubhaft herausstellte vergleiche römisch II.2.3.), ergibt sich daraus auch keine Bedrohung für die Zweitbeschwerdeführerin.

Zudem brachte sie keine konkrete persönliche Bedrohung vor: „Eigentlich war es für uns immer schon so, dass wir aus dem Irak ausreisen wollen. Aber Sie kennen die Lage im Irak sicher, man wird bedroht, mein Ehemann wurde bedroht und vor allem der Ort Al Fallujah war kein sicherer mehr für uns. Wir haben nur auf eine Chance gewartet, bis wir ausreisen können nach Europa.“ vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 9).

Lediglich dass der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin vom IS entführt und nicht mehr aufgetaucht ist, brachte sie gleichlautend im Verfahren vor. Eine persönliche Bedrohung der Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich aus dem Verschwinden ihres Bruders jedoch nicht.

Insgesamt stellten sich auch jene Fluchtgründe, die durch die Zweitbeschwerdeführerin erst im Verfahren vor dem erkennenden Gericht vorgebracht wurden, als nicht glaubhaft dar:

2.4.2. Zur vorgebrachten Bedrohung als alleinstehende Frau

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Verfahren vor, ihr Ehemann, der Erstbeschwerdeführer, hätte sie bereits während der Ehe im Irak geschlagen. Ihre Ehe sei durch ihre Familien arrangiert worden und ihr Ehemann sei ein Verwandter von ihr. Sie habe bereits im Irak vier Kinder verloren und habe sich in Österreich nach dem Tod zweier weiterer Kinder, dem übermäßigen Alkoholkonsum ihres Mannes und der Lebensumstände von ihm getrennt (Seite 2 der Stellungnahme und Urkundenvorlage vom 06.05.2021, OZ/12 aus BF2). Aufgrund der während des Verfahrens angestrebten Scheidung (durch Scheidungsklage, die allerdings später von der Zweitbeschwerdeführerin zurückgezogen wurde) sei ihr eine Rückkehr als alleinstehende geschiedene Frau nicht möglich (Stellungnahme und Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2). Bei einer Rückkehr wäre sie durch ihre Familie gegen ihren Willen gezwungen wieder zu heiraten. „Seitdem die Eheprobleme entstanden sind, aber es kam nie zu einer Scheidung im Irak, weil ich Angst hatte. Meine Geschwister sind eher Personen, die Frauen unterdrücken und wenn ich mich scheiden hätte lassen, hätten sie mich anders verheiratet und sie hätten mich unterdrückt.“ vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 10).

Die Beschwerdeführer haben mittels Heiratsvertrag die Ehe zivilrechtlich sowie traditionell muslimisch geschlossen (OZ/28). Es handelt sich um eine arrangierte Ehe, die Beschwerdeführer sind Cousin und Cousine. Nach anfänglicher Ablehnung der Zweitbeschwerdeführerin hat sie sich aber mit der Ehe abgefunden vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 11 f.). Die Zweitbeschwerdeführerin brachte am 13.10.2021 eine Scheidungsklage beim Bezirksgericht ein, welche im gegenständlichen Verfahren vorgelegt wurde (OZ/28). Aus einer am 24.11.2021 eingebrachten Erklärung der Zweitbeschwerdeführerin, unterzeichnet bei ihrem Anwalt, ergibt sich, dass sie die Scheidungsklage gegen ihren Ehemann zurückzog und die Ehe mit dem Erstbeschwerdeführer aufrecht erhalten wolle (OZ/36). Daraus ergibt sich, dass es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um keine alleinstehende Frau handelt. Sie ist nach wie vor mit dem Erstbeschwerdeführer verheiratet und hat ihren Willen ausdrücklich kundgetan, die Ehe mit dem BF1 aufrecht halten zu wollen.

Dass die Beschwerdeführer keine gemeinsamen lebenden Kinder haben, ergibt sich aus den im Verfahren vorgelegten Unterlagen über den Tod ihrer zwei Kinder im Babyalter (Dokumentenvorlage vom 18.06.2021 OZ/18, Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6).

Die von der Zweitbeschwerdeführerin vorgebrachte Bedrohung durch ihren Bruder im Irak, wenn sie sich scheiden lassen würde (Schreiben vom 11.06.2021 in der Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2), ist aufgrund der zurückgezogenen Scheidungsklage der Zweitbeschwerdeführerin und der nach wie vor aufrechten Ehe jedenfalls nicht mehr aktuell.

Die Zweitbeschwerdeführerin machte innerhalb der Verhandlung am 12.10.2021 widersprüchliche Angaben über die Beziehung zu ihrer Familie. So gab sie zunächst an, mit ihrer Mutter, ihren Schwestern und einem ihrer Brüder ein gutes Verhältnis und Kontakt zu haben: „R: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie? BF2: Mit meiner Mutter spreche ich ab und zu, mit meinen Schwestern spreche ich auch ab und zu und ich habe mit einem Bruder Kontakt. (…) R: Können Sie von Ihrer Familie in einer Notlage Unterstützung erhalten? BF2: Nein. Nachgefragt, jeder von ihnen hat eine eigene Familie und wenn ich wieder zu meiner Mutter zurückgehen würden, müssten wir von der Witwenpension leben und da wäre sehr wenig.“ vergleiche Seite 10; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Später brachte sie vor, ihre Familie hätte sie verstoßen, weswegen sie nicht zurückkehren könnte: „Für sie bin ich kein Familienmitglied mehr, wenn ich zurückkommen würde, würde sie mich töten, weil ich mich von ihnen „abgewandt“ habe.“ (…) „Für mich ist die Sache abgeschlossen. Meine Geschwister haben mit mir abgeschlossen, sie würden mich abschlachten. Wenn ich zurückkehre, würden sie mich früher oder später zu sich bringen und töten.“ vergleiche Seite 18; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Aus diesen widersprüchlichen Angaben innerhalb ein und derselben Verhandlung ergibt sich, dass das Vorbringen, von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin gehe eine Bedrohung bei einer Rückkehr aus, nicht glaubhaft ist.

2.4.3. Zur vorgebrachten Bedrohung aufgrund einer westliche Orientierung

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Verfahren vor, sie habe in Österreich ihr altes Leben hinter sich gelassen, würde kein Kopftuch mehr tragen und sich ehrenamtlich engagieren. Sie sei eine westliche, moderne Frau vergleiche Seite 2 der Stellungnahme vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2). Aus einem Empfehlungsschreiben der Volkshilfe geht hervor, sie habe sich als „sehr westlich orientierte Frau gezeigt“ (Schreiben vom 11.06.20021, Seite 17 der Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2).

Aus den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und aus dem persönlichen Eindruck der Richterin ergibt sich aber, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin nicht vom traditionell muslimischen Rollenbild gelöst hat und die Werte einer westlich orientierten Frau verinnerlicht hat vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 10). Dies obwohl sie in der Verhandlung westlich gekleidet, geschminkt, ohne Kopftuch und mit Schmuck erschienen ist. Der äußerliche Eindruck alleine ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht maßgeblich.

So brachte die Zweitbeschwerdeführerin bei der Einvernahme in der Verhandlung zwar vor, sie wolle in Österreich eine Ausbildung machen und in Zukunft arbeiten. Welche Schritte für die Ausbildung und die Berufsausübung notwendig sind, konnte sie jedoch trotz ihres sechsjährigen Aufenthalts in Österreich nicht darlegen vergleiche Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Ihre Ausführungen ließen nicht auf eine westlich orientierte Frau hinweisen, die das Ziel hat selbständig zu leben und einen Beruf auszuüben: „Ich war schon immer Hausfrau und es ist für mich anstrengend, dass ich mich da auskenne. Ich hatte auch noch nie die Gedanken, dass ich mich um einen Beruf kümmern muss.“ vergleiche Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin, sie würde am Wochenende mit Freunden in die Disco gehen, stellte sich auch als nicht glaubhaft dar, weil sie weder den Namen der Disco noch den genauen Ort nennen konnte, und angab, Sonntag abends in die Disco zu gehen, dies jedoch bekanntermaßen ein Tag ist, an dem in Österreich abends kaum Nachtlokale geöffnet haben. Vielmehr machte es den Anschein ihre Aussagen seien konstruiert, um den Eindruck einer westlich orientierten Frau zu wecken. Dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich das Kopftuch abgelegt hat, reicht alleine nicht für die Annahme aus, sie habe das westlich orientierte Frauenbild verinnerlicht vergleiche Seite 15 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Auch das Vorbringen in der Verhandlung, sie werde sich von ihrem Mann scheiden lassen und alleine und selbständig leben, ist aufgrund der zurückgezogenen Scheidungsklage obsolet vergleiche Seite 18; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Hinzukommt, dass die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer lediglich geringfügigen Deutschkenntnisse, die es ihr erlauben, Alltagsgespräche auf elementarer Ebene zu bewältigen, in Österreich nur einen eingeschränkten Radius wahrnehmen kann.

2.5. Zur vorgebrachten Konversion der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer brachten im Verfahren vor, in Österreich vom Islam abgefallen zu sein und sich dem Christentum zugewandt zu haben, was ein Leben im Irak verunmöglichen würde (Stellungnahme vom 18.06.2021, OZ/18 aus BF 1). Dieses Vorbringen erstatteten sie zum ersten Mal in einer Beschwerdeergänzung mit nur einem Satz äußerst kurz und vage (Seite 3 der Beschwerdeergänzung und Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6).

2.5.1. Aus einer psychotherapeutischen Stellungnahme zur Behandlung der Zweitbeschwerdeführerin geht hervor, dass diese sich vom Islam abgewandt und dem Christentum zugewandt haben soll (OZ/26 zu BF 2). Die Zweitbeschwerdeführerin habe sich vom Islam abgewandt und die christliche Kirche besucht vergleiche Seite 2 der Stellungnahme vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2). Auch in der mündlichen Verhandlung am 12.10.2021 brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, sie sei jetzt Christin. Sie gab allerdings an, noch nicht getauft zu sein und lediglich zwei bis dreimal im Jahr 2019 bei einem Taufvorbereitungskurs gewesen zu sein und von einer Freundin, die zum Christentum konvertiert sei, gelernt zu haben vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 7, 23). Die diesbezüglichen Angaben, sie habe wegen Corona den Taufvorbereitungskurs nicht fortsetzen können (OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 7, 23), sind als Schutzbehauptung zu werten, zumal es der Beschwerdeführerin durchaus möglich gewesen sein müsste, zwischen Lockdowns die Kirche bzw einen Kurs zu besuchen oder ein entsprechendes Online-Angebot wahrzunehmen. Auch die Angaben zu ihren Kirchenbesuchen waren nicht glaubhaft, da sie nicht sagen konnte, wo sich die Kirche, die sie besucht, befindet. Sie gab auch an, nicht zu verstehen, was in der Kirche gesprochen wurde, und verfügte in der Verhandlung lediglich über rudimentäres Wissen über das Christentum vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 23 f.). Wenn die BF2 behauptet, dass sie zuletzt am 9. und 10.10.2021 in der Kirche war und das Messgewand des Priesters an diesen Tagen rot und weiß gewesen sei, so ergibt sich daraus, dass die BF2 jedenfalls nicht zuletzt an diesem Datum in der Kirche war, zumal das rote Messgewand nur verhältnismäßig selten zu besonderen Festtagen, jedoch jedenfalls nicht an dem von der BF2 genannten Datum zum Einsatz kommt. Auch auf die Frage nach Franz von Assisi, dessen Gedenktag unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung am 04.10. war, konnte die BF2 keine Antwort geben bzw ordnete Franz von Assisi den Aposteln Jesu zu. Die vier Evangelisten konnte die BF2 ebenfalls nicht vollständig nennen, sodass der BF2 auch jegliches Basiswissen über die christliche Religion fehlt. Eine glaubhafte Zuwendung zum Christentum ergibt sich zudem allein deshalb nicht, weil die Beschwerdeführerin ihre inneren Beweggründe für ihr Interesse am Christentum nicht überzeugend darlegen konnte, sondern vielmehr floskelhafte Formulierungen und pauschale Antworten wiedergab vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 23 f.), die nicht auf eine tiefergehende Beschäftigung mit der Religion schließen ließen. Insgesamt ist daher vielmehr davon auszugehen, dass die BF2 das Vorbringen einer Konversion aus asyltaktischen Gründen erstattet hat.

2.5.2. Auch das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, er sei zum Christentum konvertiert, stellt sich als nicht glaubhaft dar. In den mündlichen Verhandlungen gab der Erstbeschwerdeführer an, er gehöre keiner Religionsgemeinschaft an und dass das auch ein Grund für das Verlassen des Iraks gewesen sei. Aus der muslimischen Religion wolle er jedoch (nachgefragt) nicht austreten, er habe sich jedoch vom sunnitisch-muslimischen Glauben abgewandt vergleiche Seite 10 der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1). In der zweiten Verhandlung brachte er vor, er sei im Augenblick Atheist „Ich bin im Augenblick Atheist. Ich glaube an keine Religion. Ich bin kein Atheist, aber ich weiß, dass es einen Gott gibt, aber ich glaube nicht an die Religionen, die da sind.“ vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 18). Er gab ferner auch an, sich nicht groß mit dem Thema Religion zu beschäftigen: „BFV1: Haben Sie diese Kritisierungen gegen den Islam schon geäußert gegenüber anderen? BF1: Ich mag es gar nicht mich damit groß zu befassen. Es ist etwas Persönliches. Die Religionen an sich, über diese diskutiere ich nicht und habe sie aus meinem Leben verbannt.“ vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 20). Der Erstbeschwerdeführer schilderte zwar in der Verhandlung den Ablauf einer Messe, bei der er in der Kirche anwesend war, eine glaubhafte Zuwendung zum Christentum ergab sich aus seinen Schilderungen aber nicht, dies insbesondere auch deshalb, weil die Kenntnisse des BF1 zum Christentum rudimentär sind, er selbst angibt, dass er nicht regelmäßig in die Messe geht und eigentlich an keinen Gott glaubt. Auch hinsichtlich des BF1 ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen lediglich aus asyltaktischen Gründen erfolgte.

Nachgefragt, ob der Erstbeschwerdeführer im Irak religiös gewesen sei, gab dieser an „Ich habe gar keine religiösen Aktivitäten gehabt, im Gegenteil, ich war eher feiern, habe Alkohol getrunken. Diese religiöse Stimmung war nicht so ganz meins.“ vergleiche Seite 17 der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1). Da er bereits im Irak nicht religiös war, keine diesbezüglichen Bedrohungen vor seiner Ausreise erwähnte und er in den Verhandlungen vorbrachte, sich nicht für Religionen zu interessieren, ergibt sich keine Bedrohung des Erstbeschwerdeführers aufgrund einer angeblichen Konversion zum Christentum oder aufgrund seines Abfalls vom Islam.

Sowohl EUAA als auch UNHCR formulieren zwar ein Risikoprofil für Personen, die vom Islam abgefallen sind bzw die zum Christentum konvertiert sind (EUAA: „Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostas“y, S 83 ff der Country Guidance bzw UNHCR: „Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten und Personen, die sich strengen islamischen Regeln widersetzen“, S 87 ff der UNHCR-Richtlinien). Wie bereits oben dargelegt, ist es nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführer zum Christentum konvertiert sind. Auch aus dem Abfall vom Islam ergibt sich keine aktuelle Bedrohung, zumal die Beschwerdeführer bereits im Irak nicht besonders gläubig waren, daraus jedoch keine Bedrohungen resultierten.

2.6.      Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich

2.6.1. Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, den Deutschkenntnissen, den fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und der Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben der Beschwerdeführer in den drei mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihnen in den mündlichen Verhandlungen, in Stellungnahmen und Dokumentenvorlagen vorgelegten Unterlagen: Unterstützungserklärung vom 28.05.2021, (Beilage ./A), Auskunft über die psychologische Behandlung vom 15.06.2021, (Beilage ./B), Bestätigung der Volkshilfe vom 23.11.2018, (Beilage ./C), Unterstützungsschreiben einer Freundin vom 19.09.2019, (Beilage ./D Beilagen zur Verhandlung vom 21.06.2021 OZ/17 aus W287 2180984-1), Integrationsunterlagen, Empfehlungsschreiben und eine Einstellungszusage für die Zweitbeschwerdeführerin, (Beilage ./1), eine schriftliche Verwarnung gegen den B1 von der Volkshilfe wegen Nichteinhaltung der Hausordnung (Beilage ./2 zur Verhandlung vom 21.06.2021 OZ/17 aus W287 2180984-1).

Die Feststellung über die Deutschkenntnisse der Beschwerdeführer beruhen auf dem persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin in den Beschwerdeverhandlungen (insbesondere in jener am 21.06.2021), bei welcher die Beschwerdeführer auf einfache, langsam gestellte Fragen auf elementarer Basis auf Deutsch antworten konnten, sonst aber auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen waren.

Aus einer Stellungnahme vom 04.10.2021 sowie aus dem Vorbringen in der Verhandlung am 12.10.2021 war zu entnehmen, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine A2 Deutschprüfung abgelegt hat (OZ/21 aus BF 2) und in den vergangenen Jahren Deutschkurse besucht hat (Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6). Das Prüfungsergebnis wurde jedoch trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Am 15.10.2020 bestand sie eine ÖSD Integrationsprüfung A2 nicht (Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2). Sie besuchte in den vergangenen Jahren regelmäßig Deutschkurse zuletzt in der Stufe A2 (Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2). Am 19.05.2020 bestand sie das ÖSD Zertifikat A1 (Seite 7 der Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2).

2.6.2. Dass die Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten haben, wurde gleichlautend vorgebracht.

2.6.3. Das Bestehen eines Freundes- und Bekanntenkreises in Österreich ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführer in den Beschwerdeverhandlungen vergleiche Seite 8 der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1) und den im Verfahren vorgelegten Unterstützungserklärungen. So geht die Zweitbeschwerdeführerin beispielsweise in ihrer Freizeit mit Freunden spazieren vergleiche Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1). Dass keine besonders engen Freundschaften festgestellt werden konnten, ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführer in den Verhandlungen keine besonderen, über das normale Maß hinausgehende Nahebeziehungen erwähnten und sich überwiegend auf Personen aus ihrem beruflichen bzw gemeinnützigen Umfeld und den Unterkünften bezogen. Auch der Aussage des im Verfahren einvernommenen Zeugen, der über das Verhalten der Beschwerdeführer in der Unterkunft in Österreich einvernommen wurde, war keine außergewöhnliche Integration zu entnehmen vergleiche OZ 34 aus W287 2180987-1 = Verhandlungsprotokoll vom 17.11.2021; Seite 6 f.).

2.6.4. Die Feststellungen zur Berufstätigkeit des Erstbeschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben in der Verhandlung (OZ/34; Seite 10) und den im Verfahren vorgelegten Unterlagen: Er legte diesbezüglich eine Saldenliste zu seinen Einnahmen im Zeitraum Juli bis Oktober 2021 vor (OZ/35) sowie einen Auszug vom 19.07.2021 aus dem Gewerbeinformationssystem, einen Dienstausweis und Nachunternehmervertrag vom 17.07.2021 und vom 12.08.2021 sowie einen Nachweis vom 12.10.2021 über die Versicherung der Selbständigen (OZ/33). Die Feststellung zur ehrenamtlichen Tätigkeit ergibt sich aus der im Verfahren vorgelegten Bestätigung über die ehrenamtliche Tätigkeit im Sozialmarkt SOMA vom 09.06.2021 und der Bestätigung über die freiwilligen Arbeiten des Erstbeschwerdeführers für die Volkshilfe vom 09.06.2021 (Dokumentenvorlage vom 18.06.2021, OZ/18 aus BF 1). Außerdem legte er einen Dienstvertrag für Arbeit im Gastgewerbe vor, sowie diverse Fotos von der Arbeit die den Erstbeschwerdeführer bei Küchentätigkeiten zeigen vor (Dokumentenvorlage vom 18.06.2021, OZ/18 aus BF 1). Die ehrenamtliche Tätigkeit ergibt sich ferner aus den vorgelegten Bestätigungen (Dokumentenvorlage vom 13.02.2019, OZ/6).

2.6.5. Die Feststellung zur ehrenamtlichen Tätigkeit der Zweitbeschwerdeführerin basiert auf der dazu vorgelegten Bestätigung vom 08.10.2021 (OZ/26 zu BF 2 und Seite 11 der Urkundenvorlage vom 18.06.2021, OZ/16 aus BF2). In der Verhandlung brachte sie übereinstimmend vor, regelmäßig im Supermarkt der Volkshilfe zu arbeiten vergleiche Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 12.10.2021; OZ/ 25 aus W287 2180984-1).

Die Zweitbeschwerdeführerin legte im Verfahren Empfehlungsschreiben vor, aus denen unter anderem hervorgeht, dass sie regelmäßig ein Sprachcafé besucht (OZ/26 zu BF 2).

2.6.6. Die Feststellungen zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ergeben sich aus dem GVS-Auszug.

2.6.7. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.7.      Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat

2.7.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Herkunftsstadt Bagdad oder nach Fallujah ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

2.7.2. Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführer im Irak basieren auf ihren übereinstimmenden Angaben über das Verfahren hinweg und in den mündlichen Verhandlungen vergleiche Seite 13 der Verhandlungsniederschrift vom 21.06.2021 OZ/20 aus W287 2180987-1 sowie OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 7). Die Feststellungen über das Verlassen des Irak und die Aufenthalte der Beschwerdeführer ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben darüber. Sie machten über das Verfahren hinweg gleichlautende Angaben dazu, wann genau sie das Land verlassen hatten. In der Erstbefragung gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei 2012 aus Bagdad geflüchtet. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2017 gab er an, er habe bereits im Jahr 2001 nach seiner zweiten Eheschließung beschlossen, den Irak verlassen zu wollen vergleiche Sitzung 4 der Niederschrift vom 26.06.2017) und habe dann 2012 seine Heimatstadt verlassen, aber erst im Jahr 2015 den Irak tatsächlich verlassen. Auch die Angaben über die letzten Aufenthalte kurz vor der Ausreise aus dem Irak blieben über das Verfahren hinweg gleich. Sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme und in der Beschwerde vom 19.12.2017 gab der Erstbeschwerdeführer an, er und seine Frau seien nach Fallujah und dann nach Haditha zur Familie seiner Frau gezogen und dann nach Bagdad zurückgekehrt. Anschließend seien sie in den Nordirak gegangen, wo ihr Aufenthalt nicht verlängert worden sei und sie dann nach einer Rückkehr nach Bagdad das Land verlassen hätten.

Die Feststellungen zur Familie der Zweitbeschwerdeführerin im Irak basieren auf den Angaben in der Verhandlung vergleiche OZ 25 aus W287 2180984-1; Seite 10) und auf der vorgelegten Lebensmittelkarte der Familie aus Al Fallujah im Verfahren (OZ/36).

Die Feststellungen zum Aufenthaltsort, zu den Eigentums- und Vermögensverhältnissen sowie zur finanziellen Situation der Familie der Zweitbeschwerdeführerin im Irak sowie die Feststellungen zum regelmäßigen Kontakt zu ihren Verwandten ergeben sich aus den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 12.10.2021. Aus den diesbezüglichen Angaben über die Wohnsituation der Familienangehörigen ergibt sich auch, dass die Beschwerdeführer zumindest anfangs bei der Familie der Zweitbeschwerdeführerin in Al Falluja Unterkunft werden nehmen können. Dies auch deshalb weil die Beschwerdeführer auch in der Vergangenheit bereits bei der Familie der Zweitbeschwerdeführerin gelebt hatten. Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Die Feststellungen zur Familie des Erstbeschwerdeführers im Irak ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren und dem unglaubhaften Vorbringen, sie seien alle aus dem Irak ausgereist. Bereits in der Vergangenheit lebten die Beschwerdeführer bei der Familie des Erstbeschwerdeführers in Bagdad, weswegen sie auch Anfangs dort Unterkunft nehmen können vergleiche dazu oben römisch II.2.3.1.2.).

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführer ergibt sich daraus, dass sie beide sowohl im Irak als auch in Österreich bereits beruflichen Tätigkeiten nachgingen, im Irak an verschiedensten Orten lebten, sich in Österreich an sich zurechtfinden und sie beide in den Verhandlungen angaben, einer Arbeit nachgehen zu können. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführer sprechen.

2.7.3. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben der Beschwerdeführer. Die Feststellung zur Prognose, dass sich die Beschwerdeführer in der Herkunftsstadt Bagdad oder alternativ in Al-Fallujah eine Existenz aufbauen können, ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:

Den unter Punkt römisch II.1.7. vorzitierten Quellen und Berichten ist eine deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak zu entnehmen. Es ist nach der weitgehenden Ausschaltung des IS und der Etablierung erster Schritte einer politisch wie ethnisch ausgewogeneren Regierung von einem Konsolidierungsprozess der Ordnung auszugehen, sodass sich die allgemeine Lage und insbesondere die Sicherheitslage zum Entscheidungszeitpunkt in den letzten Jahren deutlich stabilisiert haben. Die Zahl der im Irak durch Gewalt ums Leben gekommenen ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer und im Jahr 2020 auf rund 900 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2021 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich Juli nur noch 417 zivile Todesopfer im Irak. Insgesamt verzeichnet der Irak gegenwärtig somit die niedrigste Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003. Gewalt durch den IS ist im Südirak praktisch kaum präsent. vergleiche dazu die Länderinformation der Staatendokumentation unter Punkt römisch II.1.7.1.).

Zur Herkunftsstadt Bagdad, in der die Beschwerdeführer geboren sind und immer wieder vor ihrer Ausreise mit Unterbrechungen gelebt haben, ergibt sich aus den Länderinformationen, dass die Zahl der sichereitsrelevanten Vorfälle nicht besonders hoch ist (zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Februar und März 2021, sieben sicherheitsrelevante Vorfälle im April 2021, im Mai neun Vorfälle, im Juni 16 Vorfälle, im Juli 2021 18 sicherheitsrelevante Vorfälle, im August 2021 10 Vorfälle. Viele dieser Vorfälle wurden pro-iranischen Milizen zugeordnet, die Anschläge galten oft Versorgungskonvois der USA, daneben fanden sich auch Anschläge durch den IS vergleiche dazu die Länderinformation der Staatendokumentation unter Punkt römisch II.1.7.1.).

Auch hinsichtlich des Gouvernements Anbar, in dem die Stadt Fallujah liegt, ergibt sich aus den Länderinformationen, dass die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle sehr gering ist (zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Jänner 2021, fünf sicherheitsrelevante Vorfälle im Februar und März 2021, 11 Vorfälle im April, 13 Vorfälle im Mai 2021, 5 Vorfälle im Juni 2021, 16 Vorfälle im Juli und 6 Vorfälle im August 2021. Die Mehrheit dieser Anschläge wurde dem IS zugeschrieben vergleiche dazu die Länderinformation der Staatendokumentation unter Punkt römisch II.1.7.1.). Das Gouvernement Anbar wird vom IS hauptsächlich als Drehscheibe benutzt, was üblicherweise eine geringe Zahl an Angriffen vor Ort zur Folge hat (Wing 5.4.2021).

Aus einer Zusammenschau der zitierten Quellen ergibt sich sohin eine Sicherheitslage, die es Personen wie den Beschwerdeführern in Bagdad oder Al Fallujah erlaubt, relativ unbehelligt zu leben, ohne zwingend damit rechnen zu müssen, Opfer von Verfolgung, willkürlicher Gewalt oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden. Auch EUAA geht davon aus, dass die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Gefährdung in Bagdad oder Fallujah ausgesetzt wären:

„Looking at the indicators, it can be concluded that indiscriminate violence is taking place in the governorate of Anbar, however not at a high level and, accordingly, a higher level of individual elements is required in order to show substantial grounds for believing that a civilian, returned to the territory, would face a real risk of serious harm within the meaning of Article 15(c) QD.“

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich auch, dass Bagdad sowie Fallujah sicher zu erreichen sind. Die EUAA Country Guidance aus Jänner 2021 nennt auf Sitzung 167 die Flughäfen Bagdad, Basra und Erbil:

Baghdad: Baghdad International Airport is located 16 kilometres west of downtown Baghdad.

Basrah: Basrah International Airport is located 10.5 kilometres from the city centre and is the second largest airport.

Erbil: Erbil International Airport is located 9 kilometres from the city centre.

2.7.4. Die Feststellungen zur sicheren Flugverbindung von Europa nach Bagdad beruhen auf den notorischen Gegebenheiten, dass es in Bagdad einen Flughafeb gibt und diesre von Passagierflugzeugen angesteuert wird. Notorisch ist dies deshalb, weil über allgemein im Internet aufrufbare Buchungsseiten derartige Flüge abrufbar sind (etwa über die Fluglinie Emirates, abgerufen am 27.02.2022).

Es hat sich aus der Berichtslage nicht ergeben, dass diese Flugverbindungen von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen wären, aufgrund derer davon ausgegangen werden müsste, dass die Beschwerdeführer einem Sicherheitsrisiko ausgesetzt wäre. Dementsprechend hält die EUAA Country Guidance auf Sitzung 167 ebenso fest, dass das Erfordernis der Reisesicherheit bei Bagdad, Erbil und Basra erfüllt ist:

„Despite the above and taking into account the availability of an international airport, the requirement of safety of travel would in general be considered met with regard to the three cities. For some profiles, in particular for individuals who may be perceived as associated with ISIL, this requirement should be carefully assessed on an individual basis.“

Daher war festzustellen, dass der Reiseweg für die Beschwerdeführer von Europa nach Bagdad bzw nach Bagdad und von dort weiter nach Fallujah sicher ist.

Die Beschwerdeführer sind außerdem mit der irakischen Kultur und den Gepflogenheiten sozialisiert. Sie können sich daher in der Stadt Bagdad oder alternativ in Fallujah zurechtfinden. Die Beschwerdeführer haben beide die Grundschule im Irak besucht, der BF1 verfügt über Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen und an verschiedenen Orten im Irak. Auch die BF2 war bereits im Irak berufstätig und hielt sich an verschiedenen Orten im Irak auf. Sie sind zudem im erwerbsfähigen Alter, anpassungsfähig und arbeitsfähig. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich die Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten, in Bagdad oder alternativ in Fallujah niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen können, zumal an beiden Orten familiäre Anknüpfungspunkte bestehen.

In Hinblick auf die individuellen Umstände der Beschwerdeführer ist ferner festzuhalten, dass die Beschwerdeführer bis zu ihrer Ausreise immer wieder in Bagdad gelebt haben. Folglich benötigen sie für eine neuerliche Ansiedlung weder Bürgen noch Unterstützungsschreiben eines lokalen Mukhtars.

2.7.5. Die Beschwerdeführer leiden zwar an Erkrankungen, diese sind jedoch – wie sich aus den in Punkt römisch II.1.7.2. angeführten Dokumenten ergibt – im Irak behandelbar bzw die notwendigen Medikamente verfügbar. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Leberzirrhose, (…), Asthma bronchiale (…) vom 13.08.2019 vergleiche oben römisch II.1.7.2.1.) ergibt sich, dass eine Asthma Erkrankung im Irak behandelbar ist. In Bezug auf die Asthmaerkrankung kann eine allenfalls notwendige Behandlung ebenfalls im Irak fortgeführt werden, da sich dort unter anderem das Baghdad Medical City Hospital befindet, wo eine solche Behandlung sowie auch entsprechende Medizinbehelfe verfügbar sind. Aus dem EUAA Bericht zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Schlüsselindikatoren in Bagdad, Basra und Sulaimaniya vom 25. November 2021 geht hervor, dass es in Bagdad zwei Zentren für Asthma und Allergien gibt und in Basrah ein Zentrum für Asthma und Allergien. Auch das OSAS Schlafapnoe-Syndrom des Erstbeschwerdeführers ist entsprechend einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak zum Schlafapnoesyndrom und dessen Behandlung durch CPAP-Maskenatmung vom 03.08.2021 behandelbar. Die angefragte Behandlung durch CPAP-Maskenatmung sowie weiterführende relevante Behandlungen bei obstruktiver Schlafapnoe sind in Bagdad verfügbar.

Auch betreffend die Herzprobleme in der rechten Herzkammer des Erstbeschwerdeführers ist einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak vergleiche oben römisch II.1.7.2.3.) zur Nachbehandlung eines Hinterwandinfarktes, in Mossul vom 18.09.2020 zu entnehmen, dass alle Medikamente für eine Dauermedikation bei Herzproblemen, sowie Kardiologen und diverse diagnostische Verfahren und Laboruntersuchungen vorhanden sind.

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak vom 20.10.2021 vergleiche oben römisch II.1.7.2.4.) ergibt sich, dass eine Behandlung von Bluthochdruck (Hypertonie) und kardiologischen Beschwerden im Irak verfügbar ist, beispielsweise durch ambulante und stationäre Behandlung durch Internisten und Kardiologen. Auch Herzchirurgie - Herzkatheteruntersuchung, Bypass, Koronarangioplastie – ist im Irak verfügbar.

Der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak vom 20.10.2021 vergleiche oben römisch II.1.7.2.4.) ist zu entnehmen, dass ambulante und stationäre Behandlung durch Neurologen und Psychiater, beispielsweise für die Behandlung einer Depression verfügbar ist. Auch diagnostische Bildgebung mittels EEG (Elektroenzephalogramm) ist im Irak verfügbar. Auch die posttraumatische Belastungsstörung, an welcher der Erstbeschwerdeführer leidet, ist entsprechend der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Behandlung von Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (…) vom 02.04.2021 im Irak behandelbar vergleiche oben römisch II.1.7.2.7.). Es gibt sowohl in Bagdad als auch im nordirakischen Erbil Einrichtungen und Therapiemöglichkeiten. Für den Zentral- und Südirak konnten keine aktuellen Informationen zur Situation von Personen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung gefunden werden. In den von FIS geführten Interviews gibt ein Vertreter einer lokalen Nichtregierungsorganisation an, dass insbesondere in den von der IS-Besetzung befreiten Gebieten und im Süden des Landes psychosoziale Dienste benötigt würden. Laut einem der Befragten sei es nicht ungewöhnlich, dass IrakerInnen von der Schwierigkeit erzählen würden, Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung zu erhalten. Eine Behandlung zu erhalten sei möglich, wenn man in Bagdad oder einer anderen Großstadt lebe und die notwendigen finanziellen Mittel dafür habe. Es sei nicht unmöglich für gewöhnliche Menschen, Zugang zu erhalten, es gebe keine Hindernisse als solche, aber das System sei schwach. Die Qualität nehme ab, je näher man den Konfliktgebieten komme. Im südlichen Basra gibt es auch Therapiemöglichkeiten. Aus der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak zu Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen, Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antypsychotika, Verfügbarkeit von Medikamenten gegen Bluthochdruck bzw. Herzprobleme vom 12.02.2019 vergleiche oben römisch II.1.7.2.8.) ergibt sich, dass es zwar im Irak viele Probleme hinsichtlich der psychischen Gesundheit gebe. Es herrsche ein Mangel an SpezialistInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen. Es gebe nur wenige Tertiärkliniken, die sich mit psychischen Erkrankungen befassen würden. Diese seien zudem für die Bevölkerung schwer zugänglich. Es seien zudem keine Zentren für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) vorhanden, diese würden besonders in Regionen, die mit großer Gewalt und militärischen Operationen konfrontiert gewesen seien, wie beispielsweise im Westen des Iraks, fehlen. In Bagdad gibt es jedoch ein öffentliches Krankenhaus in dem eine Behandlung erfolgen kann sowie private Kliniken. Auch der ACCORD Anfragebeantwortung zur Provinz Diyala: Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen, Zugang zu und Kosten von Behandlung und Medikamenten vom 07.01.2021 ist zu entnehmen, dass eine Behandlung zu erhalten möglich sei, wenn man in Bagdad oder einer anderen Großstadt lebe und die notwendigen finanziellen Mittel dafür habe vergleiche römisch II.1.7.2.9.).

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak: Leberzirrhose, (…), Asthma bronchiale (…) vom 13.08.2019 vergleiche oben römisch II.1.7.2.1.) ergibt sich, dass das vom Erstbeschwerdeführer benötigte Medikament Berodual Dosaer im Irak, speziell in Bagdad, verfügbar ist und somit ein Medikament gegen Atemnot erhältlich ist. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak vom 20.10.2021 vergleiche oben römisch II.1.7.2.4.) ergibt sich, dass Sertralin als Antidepressivum im Irak verfügbar ist. Selbiges ergibt sich aus der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Versorgung von Patientinnen mit psychischen Erkrankungen vom 26.03.2021. Aus der ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak zu Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Erkrankungen, Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antypsychotika, Verfügbarkeit von Medikamenten gegen Bluthochdruck bzw. Herzprobleme vom 12.02.2019 vergleiche oben römisch II.1.7.2.8.) ergibt sich, dass Medikamente gegen Bluthochdruck bzw. Herzprobleme im Irak verfügbar sind.

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak vom 13.08.2019 vergleiche oben römisch II.1.7.2.1.) ergibt sich, dass das die von der Zweitbeschwerdeführerin benötigte Medikamente Novalgin (schmerzstillendes und fiebersenkendes Arzneimittel), Pantoloc (Wirkstoff: Pantoprazol, Mittel gegen Sodbrennen und Magengeschwüre) im Irak, speziell in Bagdad, verfügbar sind. Aus einer weiteren Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak vom 18.09.2020 ergibt sich, dass PANTOLOC (Wirkstoff Pantoprazol) auch in Mossul verfügbar ist.

Aus den ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ließen sich die Behandlung und Verfügbarkeit fast aller Erkrankungen und Medikamente der Beschwerdeführer ermitteln. Zu einigen Erkrankungen und Medikamenten war jedoch weder in den bereits eingebrachten noch in den vorhandenen Länderinformationen Informationen vorhanden, weswegen von der erkennenden Richterin am 14.12.2021 eine Anfrage an die Staatendokumentation zur Behandelbarkeit der Erkrankungen gestellt wurde. Daraufhin wurden von der Staatendokumentation zwei Anfragebeantwortungen erstellt. Aus diesen ergibt sich, dass alle Medikamente der Beschwerdeführer und notwendigen Behandlungen im Irak verfügbar sind:

Die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Gastroenterologen ist verfügbar (AVA 15429), ebenso wie die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Internisten, Laboruntersuchungen der Schilddrüsenfunktionen (AVA 15372), wie auch die ambulante und stationäre Behandlung durch einen Psychiater (AVA 15185). Von den angefragten Wirkstoffen sind einige verfügbar und für manche, deren Verfügbarkeit nicht gegeben ist, werden von EASO MedCOI alternative Wirkstoffe angeführt. Es sind somit die notwendigen Medikamente (zumindest mit alternativen Wirkstoffen) im Irak erhältlich vergleiche dazu genauer römisch II.1.7.2.5. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK: Magengeschwüre, Allergien, Schilddrüsenüberfunktion, Anpassungsstörung, Angst, depressive Reaktion vom 14.01.2022).

Auch zu den Erkrankungen: Asthma bronchiale, Herzprobleme, Schlafapnoe-Syndrom, Adipositas-Hypoventilationssyndrom, Depression und PTSD sind im Irak Medikamente und Behandlungsmöglichkeiten vorhanden vergleiche dazu genauer römisch II.1.7.2.6. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAK: Asthma bronchiale, Herzprobleme, Schlafapnoe-Syndrom, Adipositas-Hypoventilationssyndrom, Depression, PTSD vom 14.01.2022)

2.7.6. Auch aus gesundheitlichen Gründen ergeben sich angesichts der Erkrankungen der Beschwerdeführer und ihrer laufenden medikamentösen Behandlung somit keine Rückführungshindernisse. Zudem sind beide Beschwerdeführer trotz ihrer Erkrankungen arbeitsfähig, was sich aus den in den vergangenen Jahren in Österreich betriebenen ehrenamtlichen und auch bezahlten Tätigkeiten beider Beschwerdeführer ergibt. Aus dem Kapitel zur medizinischen Versorgung aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 15.10.2021 vergleiche römisch II.1.7.1.) ergibt sich, dass der Gesundheitssektor im Irak zwar unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen der vergangenen Jahre gelitten hat. Dennoch ist eine Gesundheitsversorgung vorhanden, auch wenn oft nur das Nötigste gesichert werden kann. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer als im ländlichen Bereich. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Es gibt im Irak 1146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1185, die von Ärzten geleitet werden. Des weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser. Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 22.1.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Aus den Anfragebeantwortungen ergibt sich aber wie oben erläutert, dass eine Behandlung der Erkrankungen der Beschwerdeführer möglich ist und auch die benötigten Medikamente im Irak vorhanden sind.

2.7.7. Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf die Beschwerdeführer. Mit Stichtag 15.11.2021 gab es im Irak 2.069.247 bestätigte COVID Erkrankungen mit 23.503 bestätigten Todesfällen, und 10.682.558 verabreichten Impfungen (WHO). Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Asthma Erkrankung und den Herz- und Blutdruckproblemen zwar als Risikopatient in Bezug auf das Corona-Virus zu betrachten. Eine Behandlung des Erstbeschwerdeführers aufgrund einer möglichen Corona-Erkrankung ist aber auch im Irak möglich. Zudem wurde er in Österreich zweimal geimpft und ist nach einer Covid-Erkrankung genesen. Dass die Zweitbeschwerdeführerin derzeit an einer COVID-19-Infektion leidet oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 15.10.2021 ist zwar zu entnehmen vergleiche römisch II.1.7.1.), dass die Gesundheitsversorgung im Irak am Anfang der COVID-19 Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Jahr 2021 arbeiteten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums (MoH) (IOM 18.6.2021). Aus dem Kapitel zur medizinischen Versorgung aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 15.10.2021 vergleiche römisch II.1.7.1.) ergibt sich, dass Aufgrund der COVID-19-Pandemie im Irak die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck steht. Die irakische Regierung hat im Zuge der COVID-19 Krise einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst.

Es fehlt sohin auch vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie an den geforderten außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Artikel 3, EMRK (zur "Schwelle" des Artikel 3, EMRK vergleiche VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).

2.7.8. Eine Rückkehr in den Irak führt somit im Falle der Beschwerdeführer nicht automatisch dazu, dass sie in eine unmenschliche Lage bzw. eine Notlage geraten und in ihren durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt würden. Auch sind sie angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage in Bagdad bzw. in Al-Fallujah nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

2.8.      Zur maßgeblichen Situation im Irak

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die unter Punkt römisch II.1.7. aufgelisteten Länderinformationen.

Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Weder in der Beschwerde noch in der ergänzenden Stellungnahme der Beschwerdeführer sind Länderberichte enthalten, die den Feststellungen des erkennenden Gerichtes zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers entgegenstünden oder eine andere Beurteilung erfordern würden. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben auch unbestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Die vorliegenden Beschwerden sind rechtzeitig und zulässig. Sie wenden sich gegen alle Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide.

Die oben genannten Beschwerdeverfahren wurden gemäß Paragraph 39, Absatz 2, AVG auf Grund der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es handelt sich bei den Beschwerdeführern um Eheleute und somit um Familienangehörige im Sinne des AsylG.

3.1. Zu den Spruchpunkten römisch eins. der angefochtenen Bescheide (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten):

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 2, AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offensteht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.

3.1.2. Zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein vergleiche VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 21.05.2019, Ra 2019/19/0036).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mit Hinweis auf Artikel 9, Absatz 3, der Richtlinie 2011/95/EU -Statusrichtlinie).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

3.1.3. Zum Erstbeschwerdeführer:

Im gegenständlichen Fall stützt der Beschwerdeführer seinen Fluchtgrund auf eine behauptete Bedrohung durch die Asaib Al Alhaqq Miliz und die Almahdi Armee sowie aufgrund der vorgebrachten ehemaligen Zugehörigkeit seiner Familie zur Baath Partei sowie zur Gruppe der sunnitischen Araber. Außerdem brachte er im Verfahren eine Zuwendung zum Christentum vor.

3.1.3.1. Zur vorgebrachten Bedrohung durch Milizen

Wie festgestellt und unter Punkt römisch II. 2.3. beweiswürdigend erörtert, hat sich dieses Vorbringen aufgrund der Vielzahl an Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten, insbesondere hinsichtlich der Schilderungen der Abläufe der vorgebrachten Verfolgung durch die Milizen, als nicht glaubhaft erwiesen. Es konnte im Verfahren keine Verfolgung des Beschwerdeführers durch Milizen, durch den Staat oder durch andere Personen festgestellt werden. Es ist daher diesbezüglich keine Verfolgung des Beschwerdeführers und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.

Das erstmals in der Beschwerdeergänzung erstattete Vorbringen, der Beschwerdeführer sei wegen der Zugehörigkeit seiner Familie zur Baath-Partei verfolgt worden, verstößt gegen das in Paragraph 20, Absatz eins, BFA-VG normierte Neuerungsverbot. Nicht erkennbar ist, dass dieser Teil des Vorbringens von einer Ausnahme vom Neuerungsverbot umfasst ist. Dass sich der Sachverhalt nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat, das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war, diese Informationen dem Beschwerdeführer nicht zugänglich waren oder er nicht in der Lage gewesen ist, das diesbezügliche Vorbringen zu erstatten, ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet.

Auch auf Basis der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist nicht davon auszugehen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.

Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

3.1.3.2. Zur vorgebrachten Bedrohung als sunnitischer Araber

Auch eine Bedrohung aufgrund der Zugehörigkeit zu den sunnitischen Arabern konnte nicht festgestellt werden (siehe dazu ausführlich beweiswürdigend oben Punkt römisch II.2.3.2.), sodass dem Erstbeschwerdeführer auch aus diesem Grund keine asylrelevante Bedrohung droht.

3.1.3.3. Auch die im Verfahren vorgebrachte Konversion zum Christentum stellte sich als nicht glaubhaft heraus. Wie beweiswürdigend erörtert, droht dem Erstbeschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak daher auch aus diesem Grund konkret und individuell keine asylrelevante Bedrohung.

3.1.3.4. Das erkennende Gericht gelangt demnach zum Ergebnis, dass dem Erstbeschwerdeführer im Herkunftsstaat Irak keine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht und die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.

3.1.4. Zur Zweitbeschwerdeführerin

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Verfahren eine Bedrohung aufgrund derselben Fluchtgründe ihres Ehemannes vor. Erst im Laufe des Verfahrens brachte sie zudem eine drohende Verfolgung als alleinstehende Frau im Irak, sowie eine drohende Verfolgung als westlich orientierte Frau vor.

3.1.4.1. Die vorgebrachten Bedrohungsszenarien des Erstbeschwerdeführers betreffend eine Verfolgung durch Milizen oder als sunnitische Araber stellte sich als nicht glaubhaft heraus. Eine bestehende Bedrohung aus diesen Gründen der Zweitbeschwerdeführerin gegenüber war daher auch nicht anzunehmen.

3.1.4.2. Das Vorbringen, der Zweitbeschwerdeführerin drohe bei einer Rückkehr Gefahr als alleinstehende Frau, erübrigte sich aufgrund der zurückgezogenen Scheidungsklage und der Tatsache, dass es sich bei ihr um keine alleinstehende Frau handelt.

3.1.4.3. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich, wie beweiswürdigend dargelegt auch um keine westlich orientierte Frau, weshalb eine Bedrohung aus diesem Grund ebenfalls ausschied.

3.1.4.4. Auch die im Verfahren vorgebrachte Konversion zum Christentum stellte sich als nicht glaubhaft heraus. Wie beweiswürdigend erörtert, droht der Zweitbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr in den Irak daher auch aus diesem Grund konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

3.1.4.5. Das erkennende Gericht gelangt demnach zum Ergebnis, dass der Zweitbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat Irak keine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht und die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.

3.2. Zu den Spruchpunkten römisch II. der angefochtenen Bescheide (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):

3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2.2. Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird vergleiche EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation eines Asylwerbers begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307). Der ständigen Rechtsprechung von VfGH, VwGH und EGMR zufolge ist im Rahmen der Prüfung des Ausweisungsschutzes nach Artikel 3, EMRK im Zusammenhang mit fehlender medizinischer Behandlung im Herkunftsland neben der abstrakten bzw. theoretischen Behandlungsmöglichkeit einer kranken Person auch auf die tatsächliche Behandlungsmöglichkeit abzustellen. Dabei müssen die finanziellen Mittel für die Beschaffung von Medikamenten, sowie das soziale und familiäre Netzwerk im Herkunftsland und die Distanz, welche zu diversen Behandlungszentren zurückgelegt werden muss, Berücksichtigung finden.

Bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Artikel , EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl.die Beschlüsse des VwGH vom 21.Februar2017, Ro2016/18/0005 und Ra2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13.Dezember2016, Nr.41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964[„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH vom 06.08.2021, Ra 2020/18/0519) hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind.

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Artikel 3, EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt vergleiche etwa VwGH 21.2.2017, Ra 2017/18/0008, 0009, unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

Die reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat kann auf dem Boden der nationalen Rechtslage - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 begründen vergleiche VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006).

3.2.3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:

3.2.3.1. Allgemeine Sicherheitslage

Die Beschwerdeführer sind beide in der Stadt Bagdad geboren und haben dort immer wieder gemeinsam gelebt. Dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung in den Irak bei einer Rückkehr nach Bagdad die reale Gefahr einer gegen Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verstoßenden Behandlung droht, ist aus den oben angeführten Länderberichten vergleiche Punkt römisch II.1.7.1.) in Zusammenschau mit den von den Beschwerdeführern dargelegten persönlichen Lebensumständen vergleiche Punkt römisch II.1.6. sowie römisch II.2.7.) aus den folgenden Gründen nicht erkennbar:

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Länderfeststellungen keineswegs verkannt, dass die Situation im Irak und in der Heimatstadt Bagdad aufgrund von regelmäßigen Anschlägen als angespannt zu betrachten ist. Wie den zitierten Länderberichten und insbesondere der Sicherheitslage in Bagdad zu entnehmen ist, hat sich die Lage in den letzten Jahren stetig gebessert. Zudem ist die Stadt auch sicher zu erreichen.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage in Bagdad nicht, dass Bagdad immer noch oftmals Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten ist und ausweislich der statistischen Daten zu den unsichereren Provinzen gehört. Der aktuellen Berichterstattung folgend gehen Anschläge in Bagdad in erster Linie vom Islamischen Staat aus und richten sich im Wesentlichen gegen die Zivilbevölkerung und staatliche Sicherheitskräfte. Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad nicht statt und kann bei Betrachtung der Statistiken über sicherheitsrelevante Vorfälle von einer Stabilisierung der Sicherheitslage ausgegangen werden.

Die Situation in der Stadt Bagdad stellt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts im Ergebnis nicht als derartig dar, dass schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region erwarten lässt, dass sie Opfer eines Gewaltaktes wird.

Im konkreten Fall ist nicht ersichtlich, dass exzeptionelle Umstände vorliegen würden, die eine Außerlandesschaffung der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Gegebenheiten in der Stadt Bagdad hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage gemäß Artikel 3, EMRK unzulässig scheinen lassen.

Selbiges trifft auch auf die innerstaatliche Fluchtalternative Al-Fallujah zu, wo die Beschwerdeführer ebenfalls bereits gemeinsam gelebt haben und familiäre Anknüpfungspunkte haben.

3.2.3.2. Erkrankungen der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer brachten im Verfahren vor, an verschiedenen Krankheiten zu leiden, Behandlungen und Medikamente zu benötigen und dass ihnen eine Rückkehr aus diesen Gründen nicht möglich sei.

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 3, EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung in den Irak nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin römisch II VO zwingend auszuüben wäre. Der VfGH fasste in seinem Erkenntnis vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9 die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Artikel 3, EMRK zusammen und verweist insbesondere auf D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06. Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Artikel 3, EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom). Allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind vergleiche VwGH vom 06.08.2021, Ra 2020/18/0519).

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Artikel 3, EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt vergleiche etwa VwGH 21.2.2017, Ra 2017/18/0008, 0009, unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

Wie bereits erwähnt, geht der EGMR weiters davon aus, dass aus Artikel 3, EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet und nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Artikel 3, EMRK führen {EGMR 02.05.1997 -146/1996/767/964 („St. Kitts-Fall“)}. Im Zusammenhang mit einer Erkrankung des Beschwerdeführers nahm der EGMR außerordentliche, ausnahmsweise vorliegende Umstände im „St. Kitts-Fall“ an. Im Mai 1997 hatte der EGMR die Abschiebung eines HIV-infizierten Drogenhändlers, welcher laut medizinischen Erkenntnissen auch in Großbritannien bei entsprechender Behandlung nur mehr ca. 8 – 14 Monate zu leben gehabt hätte und sich somit im fortgeschrittenen Krankheitsstadium befand, aus Großbritannien auf seine Heimatinsel St. Kitts/kleine Antillen (Karibik) als "unmenschliche Behandlung" im Sinne des Artikel 3, der Europäischen Menschenrechtskonvention angesehen. Die im zitierten Erkenntnis beschriebene außergewöhnliche, exzeptionale Notlage (er hätte dort keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Betreuung, nicht einmal zu einem Pflegebett gehabt und wäre so qualvollst, einsam und in extremer Armut gestorben) die ihn dort erwarte, würde seine Lebenserwartung deutlich reduzieren und ihn psychischem und physischem Leiden aussetzen. Diese Abschiebung war daher in diesem Einzelfall unzulässig (EGMR 02.05.1997 -146/1996/767/964).

Auch der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter wären als im Aufenthaltsland und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend (HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05).

Die Beschwerdeführer brachten verschiedene Erkrankungen im Verfahren vor, die jedoch weder für sich allein noch in ihrer Gesamtheit ein lebensbedrohliches Ausmaß erreichen. Abgesehen von gelegentlichen ärztlichen Kontrollen oder – im Falle der BF2 – regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung sind keine besonderen Therapien oder Behandlungen erforderlich. Beide Beschwerdeführer sind auf eine regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen.

Wie unter römisch II.2.7.5. bis römisch II.2.7.6. ausführlich beweiswürdigend dargestellt, bleibt die medizinische Versorgung im Irak zwar angespannt, die Beschwerdeführer haben als irakische Staatsbürger jedoch Zugang zum Gesundheitssystem. Den eingesehenen Berichten zufolge ist eine flächendeckende Versorgung mit Krankenhäusern bzw. Gesundheitszentren, vorhanden wo die Beschwerdeführer Behandlungen erhalten werden. Es wurden zahlreiche Länderinformationen beachtet und eigene Anfragen betreffend die Medikamentenverfügbarkeit und die Behandlungsmöglichkeiten der Beschwerdeführer in Bagdad an die Staatendokumentation gestellt. Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass alle Erkrankungen der Beschwerdeführer im Irak behandelt werden können und dass alle Medikamente bzw. zumindest Medikamente mit alternativen Wirkstoffen in Bagdad verfügbar sind vergleiche dazu genauer die Länderinformationen und Anfragebeantwortungen unter römisch II.1.7.2. sowie die Beweiswürdigung unter römisch II.2.7.5. bis römisch II.2.7.6.).

Die Beschwerdeführer brachten auch psychische Erkrankungen vor. Zur Verdeutlichung der vom EGMR gesetzten Schwelle sei hier aus der Application no. 7702/04 by SALKIC and others against Sweden zitiert, wo es um die Zulässigkeit der Abschiebung schwer traumatisierter und teilweise suizidale Tendenzen aufweisende Bosnier nach Bosnien und Herzegowina ging, wobei hier wohl außer Streit gestellt werden kann, dass das bosnische Gesundheitssystem dem schwedischen qualitätsmäßig erheblich unterliegt: „Das Gericht ist sich bewusst, dass die Versorgung bei psychischen Problemen in Bosnien-Herzegowina selbstverständlich nicht den gleichen Standard hat wie in Schweden, dass es aber dennoch Gesundheitszentren gibt, die Einheiten für geistige Gesundheit einschließen und dass offensichtlich mehrere derartige Projekte am Laufen sind, um die Situation zu verbessern. Auf jeden Fall kann die Tatsache, dass die Lebensumstände der Antragsteller in Bosnien-Herzegowina weniger günstig sind als jene, die sie während ihres Aufenthaltes in Schweden genossen haben, vom Standpunkt des Artikel 3, [EMRK] aus nicht als entscheidend betrachtet werden (siehe, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich Urteil, oben angeführt, Artikel 38,).“

Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes „real risk“.

Im vorliegenden Fall konnten somit seitens der Beschwerdeführer keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung in den Irak belegt, respektive die Notwendigkeit weiterer Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts dargelegt werden.

Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass die Beschwerdeführer vom Zugang zu medizinsicher Versorgung in Bagdad ausgeschlossen wären und es bestehen auch keine Hinweise, dass die festgestellten Krankheiten nicht behandelbar wären. Im Gegenteil bestehen für alle angeführten Krankheiten Behandlungsmöglichkeiten.

Auch im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Coronavirus und der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation im Irak kann aufgrund Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der Beschwerdeführer (die Zweitbeschwerdeführerin zählt nicht zur Risikogruppe, der Erstbeschwerdeführer wurde drei mal geimpft und ist genesen) nicht geschlossen werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Artikel 2, bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.

3.1.3.3. Es kann auch nicht erkannt werden, dass im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre vergleiche hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben doch die Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

Beide Beschwerdeführer sind arbeits- und anpassungsfähige Menschen mit Schulbildung und Berufserfahrung. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung der Beschwerdeführer vorausgesetzt werden, zumal beide bereits im Irak Erwerbstätigkeiten nachgingen (der BF1 auch an unterschiedlichen Orten im Irak) und sie beide nun auch in Österreich in gewissem Umfang erwerbstätig sind.

Das Bundesverwaltungsgericht geht, wie beweiswürdigend unter 2.7. eingehend erörtert, davon aus, dass die Beschwerdeführer grundsätzlich in der Lage sein werden, sich mit eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts und zum Auskommen der Familie zu erwirtschaften. Ferner ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer – zumindest für die Phase einer ersten Orientierung – Unterstützung durch die in Bagdad lebenden Verwandten des Erstbeschwerdeführers oder durch die in Al Fallujah lebende Familie der Zweitbeschwerdeführerin finden werden, zumal sie auch in den vergangenen Jahren bereits bei ihren Familien gewohnt hatten.

Das Bundesverwaltungsgericht geht demnach davon aus, dass die Beschwerdeführer im Irak und dort in Bagdad bzw. alternativ in Al-Fallujah grundsätzlich in der Lage sein werden, sich mit vereinten Kräften ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts und des Auskommens der Familie zu erwirtschaften, entweder als unselbständige Arbeitnehmer oder durch die ihnen offenstehenden Inanspruchnahme von Starthilfe zum Aufbau eines eigenen Unternehmens. Ferner ist davon auszugehen, dass sie bei den dort aufhältigen Verwandten Unterstützung durch Zurverfügungstellung von Wohnraum und Nahrung finden werden. Darüber hinaus ist es den Beschwerdeführern jedenfalls zuzumuten, ihr Auskommen nach Inanspruchnahme der Starthilfe auch ohne familiäre Unterstützung durch eigene Erwerbstätigkeiten zu bestreiten. Sie werden jedenfalls auch sozialen Anschluss in Bagdad sowie in Al-Fallujah in Gestalt der dort lebenden Verwandten und deren Familie vorfinden. Zudem ist davon auszugehen, dass sie auch noch über einen gewissen Bekanntenkreis dort verfügen. Wie beweiswürdigend näher dargelegt, konnten die im Verfahren getätigten Angaben – die Familie der Zweitbeschwerdeführerin habe diese ausgeschlossen, oder die Familie des Erstbeschwerdeführers sei aus dem Irak ausgereist – nicht glaubhaft gemacht werden.

Von einer völligen Perspektivenlosigkeit für den Fall einer Rückkehr ist gegenständlich nicht auszugehen. Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr in den Irak sein kann, zu beschützen, sondern einzig und allein, Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.

Es ist in einer Gesamtbetrachtung der länderspezifischen und persönlichen Situation der Beschwerdeführer nicht zu erkennen, dass sie im Fall einer Rückkehr nach Bagdad bzw. alternativ Al-Fallujah real Gefahr laufen würden, eine Verletzung ihrer durch Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

3.2.4. Im Ergebnis kann ein „reales Risiko“ einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden, weshalb die Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte römisch II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen war.

3.3. Zu den Spruchpunkten römisch III. der angefochtenen Bescheide (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen):

3.3.1. Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1.           wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,

2.           zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.           wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

3.3.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd Paragraph 57, Absatz eins, Ziffer 3, FPG wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des Paragraph 57, FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

3.3.3. Die Beschwerden waren in diesen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide daher abzuweisen.

3.4. Zu den Spruchpunkten römisch IV. der angefochtenen Bescheide (Erlassung einer Rückkehrentscheidung):

3.4.1. Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, AsylG ist, dass dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.

3.4.2. Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen vergleiche VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

3.4.2.1. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Artikel 8, EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8, EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind vergleiche etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235).

3.4.2.2. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Artikel 8, EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt vergleiche dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil – abseits familiärer Umstände – eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist vergleiche Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Artikel 8, EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt vergleiche etwa VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187; 06.09.2017, Ra 2017/20/0209; 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072; 20.06.2017, Ra 2017/22/0037, jeweils mwN). Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre vergleiche etwa VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0058, mwN). Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so muss die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH vom 18.09.2019).

Die Kombination aus Fleiß, Arbeitswille, Unbescholtenheit, dem Bestehen sozialer Kontakte in Österreich, dem verhältnismäßig guten Erlernen der deutschen Sprache sowie dem Ausüben einer Erwerbstätigkeit stellt bei einem Aufenthalt von knapp vier Jahren im Zusammenhang mit der relativ kurzen Aufenthaltsdauer keine außergewöhnliche Integration dar (VwGH vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0212). Es ist zudem im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH vom 28.02.2019, Ro 2019/01/003).

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist vergleiche VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben (VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).

3.4.3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:

3.4.3.1. Im gegenständlichen Fall sind die Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Sie stellten nach der Einreise in das Bundesgebiet am 20.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither kam ihnen für die Dauer des Asylverfahrens ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß Paragraph 13, AsylG zu. Zum Entscheidungszeitpunkt hielten sich die Beschwerdeführer damit sechs Jahre und fünf Monate im Bundesgebiet auf.

Die Aufenthaltsdauer für sich stellt allerdings lediglich eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar vergleiche VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289). Mit der Dauer des Aufenthalts nimmt zwar grundsätzlich das persönliche Interesse des Fremden zu, allerdings ist die bloße Aufenthaltsdauer alleine nicht maßgeblich, sondern es ist vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit die in Österreich verbrachte Zeit genützt worden ist, sich beruflich und sozial zu integrieren. Das gilt auch bei einem etwas mehr als fünfjährigen Aufenthalt (VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0414; 05.10.2020, Ra 2020/19/0330; 28.09.2020, Ra 2020/20/0348).

Der seit September 2015 andauernde Aufenthalt die Beschwerdeführer beruht auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb diese während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durften, dass sie sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen können. Das Gewicht der privaten Interessen wird dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten vergleiche VwGH 28.09.2019, Ro 2019/01/0003; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003; 23.10.2019, Ra 2019/19/0405; ua).

Ein Aufenthalt von sechs Jahren stellt dementsprechend zwar eine grundsätzlich beachtliche Zeitspanne, aber noch keinen solch langen Zeitraum dar, dass schon wegen der reinen Aufenthaltsdauer eine Unzulässigkeit der Ausweisung zu erkennen wäre.

3.4.3.2. Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich abgesehen voneinander über keine Familienangehörigen.

3.4.3.3. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme greift daher lediglich in das Privatleben der Beschwerdeführer ein:

Zum Privatleben und zur Integration der Beschwerdeführer ist zunächst auszuführen, dass diese während des sechsjährigen Aufenthalts nur geringfügige Deutschkenntnisse erlangt haben und sich nur auf einfachem Niveau auf Deutsch verständigen können. Der Erstbeschwerdeführer hat zwar Deutschkurse auf dem Niveau A1 besucht, jedoch bislang keine Deutschprüfung erfolgreich abgelegt. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte Deutschkurse auf dem Niveau A1 und A2, legte jedoch nur eine A1 Deutschprüfung ab. Beide waren in der mündlichen Verhandlung auf den Dolmetscher angewiesen.

Insgesamt wird vom erkennenden Gericht nicht verkannt, dass die Beschwerdeführer zwar im Zuge ihrer Asylunterkunft und ihrer ehrenamtlichen Berufstätigkeit über die vergangenen Jahre hinweg soziale Kontakte geknüpft haben, wie sich aus den Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlungen, den Unterstützungsschreiben und den Fotos erkennen ließ. Es entsprechen jedoch diese im Rahmen der mündlichen Verhandlung von den Beschwerdeführern vorgebrachten privaten Kontakte, selbst wenn sie objektiv vorhanden und für sie subjektiv von Bedeutung sind, nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privatleben im Sinne der EMRK, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität der Beziehungen. Denn es handelt sich hierbei um ein, wie es der Verwaltungsgerichtshof ausdrückt, „typisches Privatleben“, wie es im Rahmen einer Berufstätigkeit entsteht, was ebenfalls nicht ausreichend ist, um die vom Höchstgericht geforderten Umstände zu begründen (VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003), nicht aber um besonders intensive Beziehungen in Österreich.

Die Beschwerdeführer arbeiteten zwar ehrenamtlich und engagierten sich, waren jedoch trotz der zusätzlich ausgeübten beruflichen Tätigkeit und dem erzielten Einkommen die überwiegende Zeit (BF1) bzw durchgehend (BF2) in einer Asylunterkunft wohnhaft und bezogen Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer ist erst seit 06.08.2021 und damit erst nach der ersten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht selbsterhaltungsfähig.

Insgesamt weisen die Beschwerdeführer in Österreich zwar einen gewissen Grad der Integration auf, der jedoch der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von sechs Jahren und fünf Monaten nicht entspricht. Ein schützenswertes Privatleben konnte somit mangels sozialer Integration und intensiver Beziehungen nicht festgestellt werden.

Soweit die Beschwerdeführe über private Bindungen in Österreich verfügen, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführer hierdurch gezwungen werden, den Kontakt zu jenen Personen, die ihnen in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihnen frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.

3.4.3.4. Im Falle der Beschwerdeführer ist außerdem zu beachten, dass eine starke Bindung zum Heimatstaat besteht. Sie werden gemeinsam als Ehepaar in den Irak zurückkehren, wo nach wie vor die Familie der Zweitbeschwerdeführerin und die Mutter und Schwestern des Erstbeschwerdeführers leben. Außerdem hat der Erstbeschwerdeführer einen Sohn im Irak. Zudem haben sie den Großteil des Lebens im Irak verbracht und sind dort entsprechend sozialisiert. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG) Bedeutung zukommen vergleiche VwGH 17.12.2018, Ra 2018/14/0301). Dabei kommt es im Rahmen der Interessenabwägung nach Artikel 8, EMRK nicht auf das Bestehen einer Kernfamilie im Heimatland an, sondern lediglich auf „Bindungen zum Heimatstaat des Fremden“ vergleiche VwGH 19.06.2019, Ra 2019/01/0051). Unabhängig vom Bestehen der Familien der Beschwerdeführer im Irak können sich die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch eine Existenzgrundlage schaffen.

3.4.3.5. Dass die Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sind, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

3.4.3.6. Die Beschwerdeführer befinden sich mittlerweile seit sechs Jahren und fünf Monaten im Bundesgebiet. Bezüglich dieser langen Verfahrensdauer im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 9, BFA-VG, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei wie bereits erwähnt, entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur nur um einen von mehreren Aspekten handelt, der bei der Interessenabwägung des Artikel 8, Absatz 2, EMRK zu berücksichtigen ist (VwGH 10.09.2021, Ra 2021/18/0201).

Auch bei Bejahung einer vollen Selbsterhaltungsfähigkeit und einem mehr als fünfjährigen Aufenthalt ist nicht zwingend vom Überwiegen der privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich auszugehen (VwGH 07.09.2020, Ra 2020/18/0325).

Vor dem Hintergrund der höchstgerichtlichen Leitlinien kann trotz der nicht zu vernachlässigenden Dauer des Aufenthalts der Beschwerdeführer von sechs Jahren und fünf Monaten, nicht von einer Situation gesprochen werden, welche die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigen würde. Den Integrationsschritten der Beschwerdeführer steht nämlich gemäß Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG maßgeblich relativierend (VwGH 31.03.2020, Ra 2019/14/0417) gegenüber, dass sich die Beschwerdeführer dabei ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur darauf verwiesen hat, dass sich ein Fremder spätestens nach Abweisung seines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz durch die belangte Behörde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein muss (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034), ist im Beschwerdefall zu bemerken, dass dies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 16.11.2017 der Fall war. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer war ab der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die belangte Behörde auch gemäß der Judikatur des EuGH illegal im Sinne der Richtlinie 2008/115, dies unabhängig vom Vorliegen einer Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde (EuGH 19.06.2018, Gnandi, C-181/16, Rn 59).

Im konkreten Fall haben die Beschwerdeführer die gegenständlichen (zuvor bereits erörterten) integrationsbegründenden Umstände während der Dauer des Asylverfahrens in Österreich erworben, dh. während eines Aufenthaltes, der letztlich auf einem nicht berechtigten Asylantrag gründete.

3.4.3.7. Den privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8, Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen wird nur in Ausnahmefällen vom Interesse des Fremden an seinem Privatleben in Österreich überwogen vergleiche VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0108). Dazu ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur des VfGH zu verweisen, die eine Ausweisung auch nach einem mehrjährigen Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen hat, auch wenn der Fremde perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, da er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste und daher seine Interessen dennoch gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens zurücktreten müssen vergleiche VfGH 12.06.2013, U485/2012).

Im Ergebnis wiegen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, in Abwägung aller Umstände und Berücksichtigung der dargelegten Erwägungen schwerer als die schwach ausgeprägten Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich.

Letztlich wird darauf verwiesen, dass es den Beschwerdeführern bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG nicht verwehrt ist, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK, in ÖJZ 2007, 861).

Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses war auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen vergleiche VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422). Dementsprechend war zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer für die lange Aufenthaltsdauer nicht sonderlich stark integriert sind, gemeinsam als Ehepaar rückgeführt werden und familiäre Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen.

3.4.4. Das Bundesverwaltungsgericht kommt unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zu dem Ergebnis, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG in Verbindung mit Artikel 8, EMRK darstellt.

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch IV. der angefochtenen Bescheide waren damit abzuweisen.

3.5. Zu den Spruchpunkten römisch fünf. der angefochtenen Bescheide (Zulässigkeit der Abschiebung):

3.5.1. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, leg.cit. in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

3.5.2. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 und wird mit der gegenständlichen Entscheidung verneint vergleiche Pkt. römisch II.3.2)

3.5.3. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz 2, FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wären, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des Paragraph 3, AsylG 2005 und wird mit gegenständlicher Entscheidung ebenso verneint vergleiche Pkt. römisch II.3.1.).

3.5.4. Die Abschiebung ist schließlich nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht im vorliegenden Fall nicht.

3.5.5. Die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak ist daher zulässig, weshalb die Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch fünf. der angefochtenen Bescheide abzuweisen waren.

3.6. Zu den Spruchpunkten römisch VI. der angefochtenen Bescheide (Frist für die freiwillige Ausreise):

3.6.1. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, leg. cit. zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß Paragraph 55, Absatz 3, FPG kann die Frist bei Überwiegen besonderer Umstände für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

3.6.2. Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom Bundesamt gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

3.6.3. Die Beschwerden waren in diesen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide daher abzuweisen.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W287.2180984.1.00