Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

01.03.2022

Geschäftszahl

L519 2203549-1

Spruch


L519 2203549-1/26E 

L519 2203545-1/19E

L519 2203543-1/19E

L519 2203547-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerden von römisch 40 , geb römisch 40 , mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , und mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , sämtliche StA Irak, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018, Zlen. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung betreffend Anträge auf internationalen Schutz und Erlassung von Rückkehrentscheidungen zu Recht:

A)

römisch eins. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch eins. der angefochtenen Bescheide werden gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch II. der angefochtenen Bescheide wird Folge gegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG 2005, der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

römisch IV. Die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

römisch eins.1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter der unmündig minderjährigen Zweit-, Dritt- und Vierbeschwerdeführer (BF2 – BF4). Sämtliche BF sind Staatsangehörige des Irak, der arabischen Volksgruppe zugehörig und sunnitischen Glaubens.

römisch eins.2. Die BF1, BF2 und BF3 stellten in der österreichischen Botschaft in der Türkei Anträge auf Familienverfahren und erhielten Visa zur Einreise in Österreich. Im Gefolge ihrer Einreise in das Bundesgebiet stellten sie am 29.12.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes Anträge auf internationalen Schutz. Zu den Fluchtgründen befragt teilte die BF1 mit, dass sie sechs Monate in der Türkei verbracht habe, bis sie das Visum für Österreich erhalten habe. Sie sei mit ihren Kindern nach Österreich zu ihrem hier subsidiär schutzberechtigten Ehegatten gereist. Sie habe keine eigenen Fluchtgründe und berufe sich auf die Ausführungen des Gatten.
I.3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde die BF1 am 22.05.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

Zu den Fluchtgründen befragt führte die BF1 im Wesentlichen aus, dass ihr Mann im Irak bedroht worden sei und er deshalb 2013 ausgereist sei. Danach hätten sie und die Kinder Drohungen erhalten und seien von römisch 40 nach römisch 40 vertrieben worden. Sie sei dann zu ihrem Mann gereist, welcher sich wegen Verdachtes der Schlepperei in Österreich in Haft befände. Die minderjährigen BF hätten keine eigenen Fluchtgründe und würden ihre Ausführungen dementsprechend auch für die BF2 und BF3 gelten.

römisch eins.4. Am 13.11.2017 wurde in Österreich der BF4 geboren. Die BF1 stellte als gesetzliche Vertreterin am 22.11.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und teilte dabei mit, dass die vorgebrachten Fluchtgründe ihres Ehegatten auch für den BF4 in Geltung stehen.

römisch eins.5. Mit im Spruch bezeichneten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2018 wurden die Anträge der BF1 bis BF4 auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte römisch eins). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ebenso abgewiesen (Spruchpunkte römisch II). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 wurden nicht erteilt (Spruchpunkte römisch III.), gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkte römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkte römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkte römisch VI.).

In Bezug auf sämtliche BF wurden im Spruch inhaltlich gleichlautende Bescheide erlassen und wurde gleichzeitig dem Ehegatten der BF1 mit Bescheid vom gleichen Tag der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. Paragraph 34, AsylG ebenfalls keine anderslautenden Bescheide ergaben.

Begründend führte das Bundesamt aus, dass das Vorbringen der BF1 in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft anzusehen ist und führte hierzu aus, dass sich die BF1 auf die Ausreisegründe ihres Gatten und der damit angeblich im Zusammenhang stehenden Verfolgung durch Private gestützt habe. Es sei zwar glaubhaft gewesen, dass der Ehegatte gegen Bezahlung von Lösegeld freigekommen ist, dass jedoch aufgrund der damit in Zusammenhang stehenden Verhaftung des Entführers Interesse an der Familie bestehe, habe bereits der Ehegatte nicht glaubhaft machen können. Dies sei so auch vom BVwG bestätigt worden. Die BF1 habe aufgrund der behaupteten Probleme des Ehegatten den Irak verlassen und könne damit nicht angenommen werden, dass die BF in irgendeiner Weise von einer Verfolgung betroffen sei. Zudem stünde den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Bagdad und Basra offen. Zudem würden viele Personen freiwillig nach Mossul zurückkehren. Es wäre den BF aber auch möglich, nach römisch 40 zurückzukehren, da die Provinz Salah ad-Din nunmehr Großteils von der irakischen Regierung und nicht mehr dem IS kontrolliert werde.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass die BF haben keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen hätten, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Den BF sei der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, weil keine Bedrohung iSd Paragraph 8, AsylG glaubhaft gemacht werden konnte. Auch sonstige, in der Person der BF liegende Merkmale, wären diesbezüglich nicht hervorgekommen. Es hätten sich zusammenfassend keine Anhaltspunkte ergeben, dass die BF im Herkunftsstaat mit einer Verletzung der ihnen aus Artikel 3, EMRK zustehenden Rechte zu rechnen hätten. Den BF sei schließlich auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 zu erteilen.

römisch eins.6. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

römisch eins.7. Gegen die am 23.07.2018 zugestellten Bescheide wurden von den BF mit in den Akten ersichtlichen Schriftsätzen innerhalb offener Frist Beschwerden erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass dass die BF1 vor massiven Verfolgungshandlungen durch schiitische Milizen geflohen sei und ihr nunmehr eine Verfolgung aufgrund ihrer westlichen Lebenseinstellung drohe. Die BF1 habe selbst ein schlüssiges Vorbringen erstattet und somit eigene Befürchtungen geäußert. Es seien keine Ermittlungen zu den Ausführungen der BF1 hinsichtlich schiitischer Milizen getätigt worden und komme diese aufgrund der Verbindungen der Milizen mit dem irakischen Staat einer Verfolgung durch staatliche Behörden gleich. Zudem sei die Situation im Irak instabil und eine Abschiebung der BF1 mit ihren Kindern unverantwortlich. Die Befürchtungen würden zudem durch die Länderfeststellungen bestätigt. Insbesondere sie die geschlechtsspezifische Verfolgung der BF1 nicht berücksichtigt worden.

Es würden daher die Anträge gestellt, der BF1 und ihren Kindern Flüchtlingseigenschaft, allenfalls subsidiären Schutz zuzusprechen, in eventu die Bescheide aufzuheben und an das BFA zurückzuverweisen, die Rückkehrentscheidungen auf Dauer für unzulässig zu erklären, Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und festzustellen, dass eine Abschiebung in den Irak unzulässig ist. Jedenfalls werde eine mündliche Verhandlung beantragt.

römisch eins.8. Am 02.10.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF1 und ihres Gatten samt deren rechtsfreundlicher Vertretung sowie einer Dolmetscherin für die arabische Sprache durchgeführt. Danach wurde das Erkenntnis mündlich verkündet und die Beschwerden spruchgemäß als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG für nicht zulässig erklärt. Mit Eingabe vom 17.10.2018 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses beantragt.

römisch eins.9. Am 06.12.2018 wurde der Gatte der BF1 vom LG für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der Schlepperei nach Paragraphen 114, Absatz eins,, Absatz 3, Ziffer eins,, Ziffer 2,, Ziffer 3,, Absatz 4, StGB zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Am 06.02.2020 wurde er aus der Freiheitsstrafe entlassen, bedingt, Probezeit 3 Jahre.

römisch eins.10. Am 04.03.2020 erging die schriftliche Ausfertigung des am 02.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnises.

römisch eins.11. Gegen das Erkenntnis wurden von der rechtlichen Vertretung fristgerecht wegen Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie von Rechten aus der EMRK Beschwerden gem. Artikel 144, BV-G an den Verfassungsgerichtshof erhoben und Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Mit Beschluss des VfGH vom 06.11.2020, E 2060-2063/2020-17, wurde den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben.

römisch eins.12. Mit Beschluss des BG römisch 40 vom 19.02.2021, Zl. römisch 40 , wurde die Ehe der BF1 einvernehmlich geschieden.

römisch eins.13. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10.03.2021, Zl. E 2059/2020-17, E 2060-2063/2020-26, wurden die angefochtenen Erkenntnisse aufgehoben.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass zwischen der am 04.03.2020 ergangenen schriftlichen Ausfertigung und dem am 02.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnis eine Zeitspanne von 17 Monaten liege. Eine derart lange Zeitspanne widerspreche jedenfalls der Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung und somit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Zudem habe es das BVwG verabsäumt, sich mit der Situation der BF als Familie mit drei minderjährigen Kindern ausreichend auseinanderzusetzen. Die angefochtenen Entscheidungen seien daher mit Willkür belastet.

römisch eins.14. Mit Schreiben des BVwG vom 27.12.2021 wurde den Verfahrensparteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum IRAK mit der Einladung übermittelt, binnen zwei Wochen (Einlangen BVwG) eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

römisch eins.15. Mit Eingabe vom 04.01.2022 langte die Stellungnahme der BF ein. Darin wird auf die Problematik der BF1 als alleinstehende Frau mit drei minderjährigen Kindern ohne familiäres Netzwerk im Irak verwiesen. Übermittelt wurden weiter Unterlagen zur Integration der BF.

römisch eins.16. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.           Feststellungen:

römisch II.1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die Erstbeschwerdeführerin führt den im Spruch genannten Namen, sie ist Staatsangehörige des Irak, Angehörige der arabischen Volksgruppe und sunnitischer Glaubensrichtung. Sie wurde am römisch 40 in Salahudin geboren. Die Identität der BF1 steht fest.

Die BF1 ist seit 19.02.2021 von ihrem Gatten geschieden. Ein gemeinsamer Haushalt besteht nachweislich seit 18.11.2020 nicht mehr. Dem ehemaligen Gatten wurde mit Bescheid des BFA vom 18.07.2018 der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen.

Die BF1 ist im Wesentlichen gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Bezüglich einer vorgebrachten Depression erhält die BF1 Beruhigungstropfen. Das letzte diesbezügliche Schriftstück stammt aus dem Jahr 2018.

Die BF1 besuchte im Irak zehn Jahre lang die Schule und lebte nach der Hochzeit bei ihrem mittlerweile geschiedenen Gatten. Von 2008 bis 2011 hielt sie sich mit ihm in Syrien auf, ehe sie wieder in den Irak zurückkehrte. Vor der Einreise nach Österreich hielt sich die BF1 mit den BF2 und BF3 in der Türkei auf, wo ihnen Visa für die Einreise nach Österreich ausgestellt wurden. Im Irak leben keine nahen Angehörigen der BF1.

Die BF2 bis BF4 führen die im Spruch angegeben Namen, sie sind Staatsangehörige des Irak, Angehörige der arabischen Volksgruppe und sunnitischer Glaubensrichtung. Die BF2 wurde am römisch 40 in Syrien, der BF3 am römisch 40 im Irak und der BF4 am römisch 40 in Wien geboren. Die Identitäten der minderjährigen BF stehen fest. Der BF4 wurde 2018 wegen Blutarmut behandelt, aktuelle Befunde und Atteste wurden seitdem nicht in Vorlage gebracht. Die BF2 bis BF4 sind dessen ungeachtet gesund und stehen in keiner medizinschen Behandlung.

Die BF1 bis BF3 verließen den Irak legal im Juni 2015. In der österreichischen Botschaft in der Türkei stellten die BF Anträge auf Familienverfahren, woraufhin sie Visa zur Einreise nach Österreich erhielten. Mit dem Flugzeug gelangten sie am 25.12.2015 nach Österreich, wo die BF1 für sich und ihre Kinder am 29.12.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellte.

Die BF verfügen über irakische Ausweisdokumente im Original.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten bzw. strafunmündig. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der Paragraphen 382 b, oder 382e EO.

Die Beschwerdeführer gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatten in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund ihres Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam bzw. ethnischen Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe zu gewärtigen hatten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder sie im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 von einer maskierten Gruppe dreimal wegen ihres Exgatten bedroht worden wäre.

Den Beschwerdeführern droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der Beschwerdeführer festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine im Irak drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte bei nicht gewalttätigen Protesten gegen die irakische Regierung.

Die BF1 ist eine arbeits- und anpassungsfähige Frau mit grundlegender Ausbildung in der Schule. Sie besuchte zehn Jahre lang die Schule und kümmerte sich danach um den Haushalt und die Kinder.

Die BF1 bis BF3 halten sich seit dem 25.12.2015 durchgehend in Österreich auf, der BF4 seit seiner Geburt am 13.11.2017. Die BF beziehen Grundversorgung. Die BF2 und der BF3 besuchen eine MS bzw. VS, der BF4 den Kindergarten. Von der BF1 wurde ein ÖSD Zertifikat B1 vorgelegt. Die BF sind weder in einem Verein noch einer Organisation Mitglieder. Sie leisten keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.

In Österreich halten sich noch der Exgatte der BF1 und dessen Eltern auf. Die BF pflegen im Übrigen normale soziale Kontakte. Sie sind, außerhalb der Familie, für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person der BF gelegenen Umständen.

römisch II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Politische Lage

Letzte Änderung: 15.10.2021

Mit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins und der Ba'ath-Partei im März 2003 (DFAT 17.8.2020, S.9) wurde die politische Landschaft des Irak enorm verändert (KAS 2.5.2018, S.2; vergleiche Fanack 8.7.2020). 2005 hielt der Irak erstmals demokratische Wahlen ab und führte eine Verfassung ein, die zahlreiche Menschenrechtsbestimmungen enthält. Das Machtvakuum infolge des Regimesturzes und die Misswirtschaft der Besatzungstruppen führten hingegen zu einem langwierigen Aufstand gegen die US-geführten Koalitionstruppen (DFAT 17.8.2020, S.9). Dieses gemischte Bild ist das Ergebnis der intensiven politischen Dynamik, die durch den Aufstieg des sog. Islamischen Staates auf eine harte Probe gestellt wurde (KAS 2.5.2018, S.2). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2021a).

Gemäß der Verfassung von 2005 ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine der Hauptquellen der Gesetzgebung (AA 22.1.2021, S.8; vergleiche Fanack 8.7.2020). Das Land ist in 18 Gouvernements (muhafazāt) unterteilt (Fanack 8.7.2020), jedes mit einem gewählten Rat, der einen Gouverneur ernennt (DFAT 17.8.2020; S.17). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (BS 29.4.2020, S.11; vergleiche GIZ 1.2021a, RoI 15.10.2005). An der Spitze der Exekutive steht der Präsident, welcher mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (arab.: majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 8.7.2020). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und repräsentiert die Souveränität und Einheit des Staates (DFAT 17.8.2020, S.17). Das zweite Organ der Exekutive ist der Premierminister, welcher vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt wird (Fanack 8.7.2020; vergleiche RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 8.7.2020; vergleiche DFAT 17.8.2020, S.17). Die Legislative wird durch den Repräsentantenrat, d.h. das Parlament, ausgeübt (Fanack 8.7.2020; vergleiche KAS 2.5.2018, S.2). Er besteht aus 329 Abgeordneten, die für eine Periode von vier Jahren gewählt werden (FH 3.3.2021; vergleiche GIZ 1.2021a). Neun Sitze sind per Gesetz für Minderheiten reserviert (AA 22.1.2021, S.11; vergleiche FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021) - fünf für Christen und je einer für Jesiden, Manäer-Sabäer, Schabak und für Faili-Kurden aus dem Gouvernement Wassit (AA 22.1.2021, S.11; vergleiche FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die Judikative wird vor allem durch den Bundesgerichtshof repräsentiert (KAS 2.5.2018, S.2).

Die Grenzen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind jedoch häufig fließend (FH 3.3.2021). Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a). In Artikel 19 der Verfassung heißt es beispielsweise, dass die Justiz unabhängig ist, und keine Macht über der Justiz steht, außer dem Gesetz selbst. Die Justiz ist jedoch eine der schwächsten Institutionen des Staates, und ihre Unabhängigkeit wird häufig durch die Einmischung politischer Parteien über Patronage-Netzwerke und Klientelismus untergraben (BS 29.4.2020, S.11).

Das politische System des Iraks wird durch das sogenannte Muhasasa-System geprägt. Muhasasa im irakischen Kontext bedeutet die Vergabe von staatlichen Ämtern entlang ethnisch-konfessioneller (Muhasasa Ta’ifiyya) oder parteipolitischer (Muhasasa Hizbiyya) Linien. Der Aufteilung wird ein geschätzter Zensus zu Grunde gelegt, sodass die drei größten Bevölkerungsgruppen (Kurden, Sunniten, Schiiten) ihren Bevölkerungsanteilen gemäß proportional repräsentiert werden. Einige Minderheiten wie Christen und Jesiden sind durch für sie reservierte Sitze repräsentiert. Mit der Vergabe staatlicher Ämter ergibt sich auch ein Zugang zu staatlichen Ressourcen, z.B. durch Zugang zu Budgets von Ministerien oder lokalen Behörden (BAMF 5.2020, S.2f.). Das Muhasasa-System gilt auch für die Staatsführung. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018; vergleiche FH 3.3.2021). Das konfessionelle Proporzsystem im Parlament festigt den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindert die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 2.3.2020, S.8). Das seit 2003 etablierte politische Muhasasa-System steht in weiten Teilen der Bevölkerung in der Kritik (BAMF 5.2020, S.30), insbesondere bei säkularen und nationalen Kräften (GIZ 1.2021a). Seit 2015 richten sich die Demonstrationen im Irak zunehmend auch gegen das etablierte Muhasasa-System als solches. Das Muhasasa-System wird für das Scheitern des Staates verantwortlich gemacht (BAMF 5.2020, S.1). Vom Muhasasa-System abgesehen, stehen viele sunnitische Iraker der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber (AA 2.3.2020, S.8).

Für die Durchführung der Wahlen im Irak ist die Unabhängige Hohe Wahlkommission (IHEC) verantwortlich. Sie genießt generell das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und der irakischen Bevölkerung. Der Irak hält regelmäßig, kompetitive Wahlen ab. Die verschiedenen parteipolitischen, ethnischen und konfessionellen Gruppen des Landes sind im Allgemeinen im politischen System vertreten. Allerdings wird die demokratische Regierungsführung in der Praxis durch Korruption und Sicherheitsbedrohungen behindert (FH 3.3.2021). Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünften landesweiten Wahlen seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September 2018 zusammen (ZO 2.10.2018; vergleiche FH 3.3.2021).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (FH 3.3.2021; vergleiche DW 2.10.2018, ZO 2.10.2018, KAS 5.10.2018). Bereits ein Jahr nach seiner Ernennung, reichte Premierminister Adel Abdul Mahdi Ende November 2019 als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste seinen Rücktritt ein. Die Proteste richteten sich gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020; GIZ 1.2021a). Nachdem Muhammad Tawfiq Allawi an der Regierungsbildung scheiterte und nach einem Monat am 1.3.2020 seinen Rücktritt verkündete (GIZ 11.2020a; vergleiche Standard 2.3.2020; Reuters 1.3.2020), misslang auch dem als säkular geltenden Adnan az-Zurfi (GIZ 1.2021; vergleiche Reuters 17.3.2020), wegen des Widerstands der drei schiitischen Koalitionen Fatah, Dawlat al-Qanoon und Hikma, die Bildung einer Regierung. Präsident Salih beauftragte daraufhin am 9.4.2020 den von den schiitischen Blöcken favorisierten Kandidaten Mustafa al-Kadhimi mit der Regierungsbildung (GIZ 1.2021a), auf den sich die großen Blöcke im Parlament und ihre ausländischen Unterstützer letztlich einigten (FH 3.3.2021).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche NYT 24.12.2019; Al Monitor 2.11.2020). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass künftig für Einzelpersonen statt für Parteilisten gestimmt werden soll (NYT 24.12.2019; vergleiche FH 3.3.2021). Die Gouvernements werden hierzu in eine Reihe neuer Wahlbezirke unterteilt, in denen für jeweils 100.000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt wird (FH 3.3.2021). Unklar ist für diese Einteilung jedoch, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (FH 3.3.2021; vergleiche NYT 24.12.2019). Einige politische Parteien befürchten Wahlbetrug und lehnen die Einteilung der Wahlbezirke ab. Besonders die traditionellen Parteienblöcke befürchten einen Verlust an Einfluss durch die Aufteilung ihrer Wählerschaft in die neuen, kleineren Wahlbezirke (Al Monitor 2.11.2020).

Die aus den letzten Wahlen im Mai 2018 hervorgegangenen vier größten Allianzen wurden alle von schiitischen Parteien angeführt, wobei unterschiedliche Anstrengungen unternommen wurden, die konfessionellen Grenzen zu überwinden. Unter den verschiedenen kurdischen Parteien dominierten die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Die restlichen Sitze verteilten sich auf sunnitisch geführte Bündnisse, kleinere Parteien und Unabhängige (FH 3.3.2021), wobei die sunnitische politische Szene im Irak durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet ist. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Sairoun, das Bündnis aus der schiitischen Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei, erlangte bei den Wahlen 2018 54 Sitze im Parlament, gefolgt von den vier schiitisch geprägten Bündnissen, der Fatah-Koalition mit 47, der Nasr-Allianz mit 42, der Dawlat al Qanoon-Allianz mit 25 Sitzen sowie der Hikma-Koalition mit 19 Sitzen. Die säkulare Wataniya-Allianz, angeführt von Ex-Premier Allawi, errang 21 Mandate. Das größte sunnitische Bündnis unter Osama al-Nujaifi errang 11 Sitze. Die beiden großen Kurden-Parteien KDP und PUK gewannen 25 bzw. 18 Sitze (LSE 7.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen, ist eigentlich verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Die Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018). Etliche errangen tatsächlich auch Sitze im Parlament (FH 3.3.2021).

Im Juli 2020 hat Premierminister al-Kadhimi ein Versprechen an die Protestbewegung erfüllt und die Vorverlegung der Parlamentswahlen auf 6.6.2021 beschlossen (Reuters 31.7.2020; vergleiche GIZ 1.2021a; Al Monitor 9.12.2020). Auf Vorschlag der Unabhängigen Hohen Wahlkommission (IHEC), die um mehr Zeit für die Umsetzung der rechtlichen und logistischen Maßnahmen bat, hat das Kabinett einstimmig entschieden, die Parlamentswahlen auf den 10.10.2021 zu verschieben. Die Amtszeit für das aktuelle Parlament endet offiziell 2022 (Al Jazeera 19.1.2021). Am Vorabend der Parlamentswahlen im Oktober 2021 sahen sich reformorientierte Kandidaten bei Vorbereitung gegen die etablierten Parteien des Landes anzutreten, zu denen auch bewaffnete Milizen gehören, die das irakische Parlament seit 2018 dominieren, mit beunruhigenden Hindernissen konfrontiert (MEI 22.3.2021).

Nach wiederholten Verzögerungen wurden die ursprünglich für 2017 geplanten Wahlen zu den Provinzräten im November 2019 auf unbestimmte Zeit verschoben (FH 3.3.2021). Das irakische Parlament hatte Ende Oktober 2019 beschlossen, die Provinzräte aufzulösen, mit Ausnahme jener in der Region Kurdistan (KRI). Es beschloss jedoch, die Gouverneure im Amt zu belassen, welche die Aufgaben der Räte übernehmen, aber unter der Kontrolle der Zentralregierung stehen. Das irakische Bundesgericht bestätigte Anfang Juni 2021 nach einer vorausgegangenen Klage die Entscheidung des Parlaments von 2019 (Rudaw 2.6.2021).

Quellen:

             AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021),
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             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.3.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027997/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_02.03.2020.pdf, Zugriff 13.8.2021

             Al Jazeera (19.1.2021): Iraqi cabinet votes to delay general election until October 10, https://www.aljazeera.com/news/2021/1/19/iraqi-cabinet-votes-to-delay-general-election-until-october-10, Zugriff 16.8.2021

             Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/9/15/deadlock-broken-as-iraqi-parliament-elects-speaker, Zugriff 16.8.2021

             Al Monitor (9.12.2020): Iraqi government presses ahead with early elections next year, https://www.al-monitor.com/originals/2020/12/iraq-elections-parliament.html, Zugriff 16.8.2021

             Al Monitor (2.11.2020): Iraqi parliament votes on final version of electoral law, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/11/iraq-elections-law-parliament.html, Zugriff 16.8.2021

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             BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029486/country_report_2020_IRQ.pdf, Zugriff am 10.8.2021

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             Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 16.8.2021

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             Rudaw (2.6.2021): Top Iraqi court defends suspension of provincial councils, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/020620211, Zugriff 16.8.2021

             Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 16.8.2021

             USDOS – US Department of State (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html, Zugriff 13.8.2021

             Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 16.8.2021

             ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 16.8.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den sog. Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen (AA 22.1.2021). Der sog. IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig. Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 22.1.2021). Die Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 22.1.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den sog. IS (UNSC 30.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter Volksmobiliserungskräfte (PMF) sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 22.1.2021).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut der Türkei gegen die PKK gerichtet sind, und die Türkei unterhält temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vergleiche Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den sog. IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). - Jene Sicherheitslücken werden vom sog. IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der sog. IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-iraq, Zugriff 25.8.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             Garda World (15.7.2021): Iraq: Improvised explosive device targets convoy carrying military supplies in Dhi Qar Governorate July 15, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/502161/iraq-improvised-explosive-device-targets-convoy-carrying-military-supplies-in-dhi-qar-governorate-july-15, Zugriff 25.8.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             Reuters (18.6.2020): Turkey plans more military bases in north Iraq after offensive: official, https://www.reuters.com/article/us-turkey-security-iraq/turkey-plans-more-military-bases-in-north-iraq-after-offensive-official-idUSKBN23P12U, Zugriff 16.3.2021

             Rudaw (21.6.2021): Coalition ‘very happy’ with Peshmerga reform, Kurdish-Iraqi coordination: colonel, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/210620212, Zugriff 21.6.2021

             Rudaw (25.5.2021): In Makhmour, Iraqi and Kurdish forces collaborate against common enemy ISIS, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/25052021, Zugriff 21.6.2021

             Rudaw (14.5.2021): Erbil, Baghdad agree on joint deployment to combat ISIS threat: Peshmerga ministry, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/14052021, Zugriff 21.6.2021

             UNSC - United Nations Security Council (30.3.2021): Conflict-related sexual violence; Report of the Secretary-General [S/2021/312], https://www.ecoi.net/en/file/local/2049397/S_2021_312_E.pdf, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html, Zugriff 25.8.2021

Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 15.10.2021

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vergleiche MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021).

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(Quelle: NI 19.5.2020)

Der verstärkte Einsatz von mobilen Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat Anmerkung, Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der Popular Mobilization Forces (PMF), Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal Afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vergleiche CISAC 2021). Dem neuen Kalifen sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020). Ende Jänner 2021 wurde der Wali [Anm.: Gouverneur] für den Irak Jabbar Salman Ali Farhan al-Issawi, bekannt als Abu Yasser, in einer Operation als Vergeltung für den IS-Bombenanschlag in Bagdad vom 21.1.2021 im Süden Kirkuks getötet (WIng 4.2.2021; vergleiche Al-Monitor 1.3.2021, VOA 7.2.2021). Abu Yasser hatte Berichten zufolge seit 2017 den IS-Aufstand im Irak angeführt (VOA 7.2.2021).

Quellen:

             Al Monitor (11.7.2021): Islamic State uses hit-and-run tactics in Iraq, https://www.al-monitor.com/originals/2021/07/islamic-state-uses-hit-and-run-tactics-iraq, Zugriff 25.8.2021

             Al Monitor (1.3.2021): Prominent Islamic State leaders killed in Iraq, https://www.al-monitor.com/originals/2021/03/iraq-security-isis-tarmiya.html, Zugriff 12.4.2021

             AN - Arab News (14.8.2021): West Baghdad without water after ‘attack’ on power grid, https://www.arabnews.com/node/1911056/middle-east, Zugriff 25.8.2021

             CISAC - Center for International Security and Cooperation (2021): The Islamic State, https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/islamic-state#highlight_text_12400, Zugriff 25.8.2021

             CPG - Center for Global Policy (5.5.2020): ISIS in Iraq: From Abandoned Villages to the Cities, https://cgpolicy.org/articles/isis-in-iraq-from-abandoned-villages-to-the-cities/, Zugriff 4.6.2020

             DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-iraq, Zugriff 25.8.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             Garda World (15.4.2021): Iraq: At least five people killed, 21 injured in car bomb explosion in Baghdad April 15 /update 1, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/467636/iraq-at-least-five-people-killed-21-injured-in-car-bomb-explosion-in-baghdad-april-15-update-1, Zugriff 25.8.2021

             MEE - Middle East Eye (4.2.2021): Islamic State regrouping in northern Iraq and relying on women operatives, https://www.middleeasteye.net/news/iraq-islamic-state-regrouping-northern-women-operatives, Zugriff 10.4.2021

             NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl, Zugriff 20.5.2021

             NI - Newlines Institute (19.5.2020): ISIS 2020: New Structures and Leaders in Iraq Revealed, https://newlinesinstitute.org/isis/isis-2020-new-structures-and-leaders-in-iraq-revealed/, Zugriff 4.6.2021

             USDOS - US Department of State (USA) (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032435.html, Zugriff 28.5.2021

             Rudaw (8.8.2021): More than 18 attacks on electricity towers thwarted in Iraq in two weeks: military spox, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/080820212, Zugriff 25.8.2021

             VOA - Voice of America (7.2.2021): Kurds Warn of Growing Islamic State Capabilities in Iraq, https://www.voanews.com/extremism-watch/kurds-warn-growing-islamic-state-capabilities-iraq, Zugriff 12.4.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (4.2.2021): Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-iraq.html, Zugriff 12.4.2021

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 15.10.2021

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem sog. Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im dritten Quartal 2020, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im dritten Quartal 2020, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 25.3.2021).

C:\Users\mitte31\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\34531EDA.tmp

(ACCORD 25.3.2021)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2021 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2021).

C:\Users\mitte31\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\BFBF1BF8.tmp

(IBC 8.2021)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2020 902 zivile Todesopfer. Im Jahr 2021 wurden bis Juli 2021 bisher 417 zivile Todesopfer verzeichnet. Bis auf die Monate April und Juli waren es jeweils weniger als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres (IBC 8.2021).

C:\Users\mitte31\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\A98FFCC6.tmp

(IBC 8.2021)

Quellen:

             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (25.3.2021): Iraq, third quarter 2020: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050684/2020q3Iraq_en.pdf, Zugriff 25.8.2021

             IBC - Iraq Bodycount (8.2021): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (6.9.2021): Islamic State’s Summer Offensive In Iraq Ends In August, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/09/islamic-states-summer-offensive-in-iraq.html, Zugriff 7.9.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (6.7.2021): Security In Iraq June 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/07/security-in-iraq-june-2021.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (7.6.2021): Islamic State’s Offensive Appears Over While Pro-Iran Groups Maintain Campaign In May 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/islamic-states-offensive-appears-over.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (3.5.2021): Islamic State Ramadan Offensive Begins, Pro-Iran Groups Increase Attacks In April 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/05/islamic-state-ramadan-offensive-begins.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (5.4.2021): Violence In Iraq, March 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/04/violence-in-iraq-march-2021.html,Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (8.3.2021): IS Winter Break Continues In Feb While Pro-Iran Groups Picking Up Attacks, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/03/is-winter-break-continues-in-feb-while.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (4.2.2021): Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-iraq.html, Zugriff 25.8.2021

Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Aktivitäten des sogenannten Islamischen Staates (IS) nehmen in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad-Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zu, vor allem in abgelegenen Gegenden der zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Bundesregierung "umstrittenen Gebiete". IS-Kämpfer wenden "Hit-and-Run"-Taktiken an und verüben Entführungen und Erschießungen in diesen Gebieten (K24 3.7.2021). Der IS infiltriert bereits seit Jahren die Sicherheitslücken, die sich zwischen den irakischen und kurdischen Sicherheitskräften in den umstrittenen Gebieten gebildet haben (JP 1.5.2021).

Die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din sind, ebenso wie viele südirakische Gouvernements von Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs) durch schiitische Milizen (PMF) betroffen, die gegen militärische Versorgungskonvois der USA gerichtet sind. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).

In den umstrittenen Gebieten gibt es große Sicherheitslücken zwischen den Sicherheitskräften Bagdads und Erbils, die in den nördlichen Gebieten bis zu 60 km und in Diyala um die 40 km breit sind. Diese territorialen Sicherheitslücken haben sich zu sicheren Zufluchtsorten für den sog. IS entwickelt, von wo aus die Kämpfer Anschläge gegen irakische Streitkräfte und kurdische Peshmerga in den Gebieten von Ninewa, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk verüben (EPC 13.7.2021).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel, der zwischen dem arabischen und kurdischen Teil des Irak liegt, und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (ICG 14.12.2018). Die umstrittenen Gebiete umfassen Territorien in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya und Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom sog. IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die umstrittenen Gebiete umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (ICG 14.12.2018).

In dem Bemühen, die zunehmenden Aktivitäten des sog. IS in den Sicherheitslücken einzudämmen, richten die kurdische Regionalregierung (KRG) und die irakische Bundesregierung gemeinsame Koordinationszentren ein (Al Monitor 26.5.2021). Ein Abkommen zwischen Bagdad und Erbil soll die Wiederherstellung der gemeinsamen militärischen Verwaltung dieser Gebiete und die Rückkehr der kurdischen Peschmerga in diese Gebiete, insbesondere in Kirkuk und einigen Teilen von Diyala, mit sich bringen (EPC 13.7.2021).

Gouvernement Salah ad-Din

Das Gouvernement Salah ad-Din zählt neben Kirkuk zu den Schwerpunkten des sog. Islamischen Staates (IS) (Wing 2.8.2021). Der IS hat durch Sprengungen von Strommasten zunehmend Angriffe auf das irakische Stromnetz ausgeführt (Wing 6.9.2021).

Im Februar 2021 wurden in Salah ad-Din vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden in Salah ad-Din 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Bei acht der Toten und einem der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, zwei davon IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und Raketenbeschüsse der Balad Luftwaffenbasis, werden pro-iransichen Milizen zugeschrieben (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden in Salah ad-Din 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und sieben der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Raketenbeschüsse der Luftwaffenbasis, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden in Salah ad-Din 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 22 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden im Gouvernement Salah ad-Din zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Bei den Toten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, zwei davon IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 24 Toten und 41 Verletzten verzeichnet. Bei 13 der Toten und 29 der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Einer der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden in Salah ad-Din 32 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 17 Toten und 31 Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Toten und drei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.9.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             ICG - International Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 28.5.2021

             EPC - Emirates Policy Center (13.7.2021): Disputed territories in Iraq: Security Dilemma and geopolitics, https://epc.ae/topic/disputed-territories-in-iraq-security-dilemma-and-geopolitics, Zugriff 25.8.2021

             Garda World (15.7.2021): Iraq: Improvised explosive device targets convoy carrying military supplies in Dhi Qar Governorate July 15, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/502161/iraq-improvised-explosive-device-targets-convoy-carrying-military-supplies-in-dhi-qar-governorate-july-15, Zugriff 25.8.2021

             JP - The Jerusalem Post (1.5.2021): Kurdistan Region calls for unity against ISIS threats, https://www.jpost.com/middle-east/kurdistan-region-calls-for-unity-against-isis-threats-666902, Zugriff 25.8.2021

             K24 - Kurdistan 24 (12.7.2021): ISIS continues to regroup in Iraq's disputed territories: Report, https://www.kurdistan24.net/en/story/25000-ISIS-continues-to-regroup-in-Iraq%27s-disputed-territories:-Report, Zugriff 25.8.2021

             K24 - Kurdistan 24 (3.7.2021): ISIS targets fishing party in horrific massacre in western Anbar, https://www.kurdistan24.net/en/story/24910-ISIS-targets-fishing-party-in-horrific-massacre-in-western-Anbar, Zugriff 25.8.2021

             NINA - National Iraqi News Agency (13.6.2021): Two electric power towers targeted southeast of Mosul, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=909663, Zugriff 25.8.2021

             NINA - National Iraqi News Agency (1.7.2021): New Targeting To Energy Towers Near Tulul Al-Baj, South of Mosul, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=913184, Zugriff 25.8.2021

             USIP - United States Institute of Peace (2011): Iraq‘s Disputed Territories, https://www.files.ethz.ch/isn/128591/PW69.pdf, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (6.9.2021): Islamic State’s Summer Offensive In Iraq Ends In August, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/09/islamic-states-summer-offensive-in-iraq.html, Zugriff 7.9.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (6.7.2021): Security In Iraq June 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/07/security-in-iraq-june-2021.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (7.6.2021): Islamic State’s Offensive Appears Over While Pro-Iran Groups Maintain Campaign In May 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/islamic-states-offensive-appears-over.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (3.5.2021): Islamic State Ramadan Offensive Begins, Pro-Iran Groups Increase Attacks In April 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/05/islamic-state-ramadan-offensive-begins.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (5.4.2021): Violence In Iraq, March 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/04/violence-in-iraq-march-2021.html, Zugriff 25.8.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (8.3.2021): IS Winter Break Continues In Feb While Pro-Iran Groups Picking Up Attacks, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/03/is-winter-break-continues-in-feb-while.html, Zugriff 25.8.2021

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Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 8.7.2020). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 22.1.2021). Das Rechtssystem basiert auf einer Mischung aus zivilem und islamischem Recht (Fanack 8.7.2020).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vergleiche AA 22.1.2021, USDOS 30.3.2021, GIZ 1.2021a). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 30.3.2021). Die Justiz ist von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 3.3.2021).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 22.1.2021). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 3.3.2021). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen erheblich ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 22.1.2021).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 30.3.2021) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vergleiche HRW 13.1.2021). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 30.3.2021).

Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem sog. IS anzugehören (FH 3.3.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Menschenrechtsgruppen kritisierten, insbesondere in Terrorismusverfahren, die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (HRW 13.1.2021; vergleiche CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 30.3.2021). 2018 dauerten einige Prozesse, die ein Todesurteil zur Folge hatten nur etwa 20 Minuten und hunderte von Familienangehörigen mutmaßlicher IS-Kämpfer wurden willkürlich inhaftiert (FH 3.3.2021). Anwälte, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, berichten bedroht zu werden (USDOS 30.3.2021).

Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018; vergleiche UK Home Office 2.2020). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).

In Ermangelung von Recht und Ordnung - oder zumindest des Vertrauens in das Rechtssystem - greifen immer mehr Iraker auf die Stammesjustiz zurück (AW 29.6.2019; vergleiche FH 3.3.2021, UK Home Office 3.2021). Stammesgerichte beschäftigen sich mit kommerziellen und kriminellen Angelegenheiten, Diebstahl, bewaffneten Konflikten, Körperverletzung und Mord sowie deren Beilegung durch Entschädigungszahlungen (Blutgeld oder diya), den Austausch von Frauen und Mädchen, Heirat und Vergeltung (UK Home Office 3.2021).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen haben demnach gegen Strafgesetze verstoßen. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht. Eine Beurteilung ist kaum möglich, aufgrund mangelnder Transparenz seitens der Regierung, Korruption während der Verfahren und wegen des eingeschränkten Zugangs zu Gefangenen, insbesondere solchen, die in Einrichtungen der Terrorismusbekämpfung, der Geheimdienste und des Militärs inhaftiert sind (USDOS 30.3.2021).

Im südirakischen Basra berichten Einwohner über sogenannte "degga ashairiya" (Stammeswarnungen). Bei diesem alten Brauch zur Beilegung von Streitigkeiten versammeln sich bewaffnete Angehörige eines Stammes vor dem Haus eines Angehörigen eines gegnerischen Stammes und beschießen dieses, bis sich dieser bereit erklärt, herauszukommen und einen Streit durch Verhandlungen beizulegen. Wenn er sich weigert zu verhandeln oder keine Einigung erzielt wird, kann dies zu mehr Gewalt und manchmal auch zu Todesopfern führen (AW 29.6.2019).

In den von Bagdad kontrollierten Gebieten können Kinder ab dem Alter von neun Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt. Ein Komitee in Mossul verbesserte den Umgang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Kindern, die verdächtigt werden dem sog. IS anzugehören (HRW 13.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html, Zugriff 2.2.2021

             AW - The Arab Weekly (29.6.2019): Tribal feuds pushing many Iraqis to leave Basra, https://thearabweekly.com/tribal-feuds-pushing-many-iraqis-leave-basra, Zugriff 28.1.2021

             CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 28.1.2021

             Fanack (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 28.1.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 28.1.2021

             Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 28.1.2021

             TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 2.2.2021

             UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UK Home Office [UK] (2.2020): Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025236/Iraq_-_Blood_Feuds_-_CPIN_v2.0_-_Feb_2020_-_EXT__004_.pdf, Zugriff 2.2.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Sicherheitskräfte und Milizen

Letzte Änderung: 15.10.2021

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause.Statt des bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS). Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land, oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der PMF, einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle, insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 30.3.2021).

Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des sog. IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Quellen:

             Fanack (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 28.1.2021

             NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl, Zugriff 20.5.2021

             Rudaw (23.5.2021): Peshmerga-Iraq cooperation will ‘close that gap,’ cut off ISIS: Coalition, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/230520212, Zugriff 3.6.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Letzte Änderung: 13.09.2021

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 30.3.2021).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000 bis 185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitreichend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 22.1.2021).

Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 30.3.2021). Den Sicherheitskräften werden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen („forced disappearance“) zur Last gelegt: Im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints, wurden nach 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer gefangen genommen (AA 22.1.2021).

Internationale Militär-und Polizeiausbildung unterstützt die irakischen Sicherheitskräfte bei ihrer Professionalisierung (AA 22.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.202

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Letzte Änderung: 15.10.2021

Der Name "Volksmobilisierungskräfte" (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 30.3.2021; vergleiche FPRI 19.8.2019, Clingendael 6.2018, S.1f, Wilson Center 27.4.2018), die, je nach Quelle, zwischen 45.000 und 142.000 Kämpfer umfassen (ICG 30.7.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgutachtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf gegen den vorrückenden, sog. Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016; S.2-4; vergleiche TCF 5.3.20218, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volksmobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016; S.4).

Die PMF, deren Wurzeln teilweise auf die Zeit vor 2003 zurückgehen, sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwerken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (CH 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.3f). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3).

Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Milizen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen "Sinjar Widerstandseinheiten". Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3f). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 30.3.2021).

Die PMF wurden im Dezember 2016 (erstmals) formell in die irakischen Streitkräfte integriert (AA 22.1.2021, S.16; vergleiche FPRI 19.8.2019). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als "unabhängig" definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 22.1.2021, S.16; vergleiche FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1000 IT 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppierungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF-Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (WI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 22.1.2021, S.19).

Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen haben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (CH 2.2021, S.2).

Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der sog. Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (Süß 21.8.2017). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6).

Insbesondere mit dem Iran verbündete Einheiten operieren im ganzen Land oft außerhalb der Kontrolle der Regierung oder gar in Opposition zur Regierungspolitik. Selbiges gilt auch für die (offizielle) PMF-Kommission (USDOS 30.3.2021), welche wiederum tendenziell pro-iranische Gruppen bevorzugt hat (ICG 30.7.2018). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 30.3.2021). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbollah und Harakat Hizbollah an-Nujaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (USDOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata'ib Hizbollah und der Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlaufe des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021).

Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den sog. IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (CH 2.2021, Sitzung 18f).

Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ihrem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch den Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitäten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ bescheiden (Clingendael 6.2018, S.7f). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (CH 2.2021, S.19). - Darüberhinaus aquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus halb-legalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Abgaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (CH 2.2021, S.29-31). Außer durch die Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat (Posch 8.2017).

Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Polarisierungen. Für mehrere Befragte sind die PMF-Milizen Helden, die ihr Leben geopfert haben, um den IS zu besiegen - ganz im Gegensatz zu den Regierungstruppen und den kurdischen Peshmerga, die sich als unzuverlässig erwiesen und die Christen und Assyrer im Stich gelassen haben, als sich der IS näherte. Für andere kontrollieren die PMF weiterhin gewaltsam Gebiete gegen den Willen der Anwohner. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte von Anwohnern, Menschenrechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). So klagten nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt durch PMF-Gruppen und Sicherheitskräfte der Regierung (DFAT 17.8.2020, S.20). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 30.3.2021). Die Medien meldeten zahlreiche Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk eindrangen, sie plünderten und niederbrannten (DFAT 17.8.2020, S.20, 26, 32). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit dem Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl. Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF-Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus konfessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehörigen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 30.3.2021). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, angeblich aus Rache für Verbrechen seitens des sog. IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 12.5.2021).

Einige PMF-Einheiten in den südlichen Gouvernements Najaf und al-Qadisiya sollen Kinder rekrutiert und militärische Ausbildungslager für Schüler unter 18 Jahren gesponsert haben. Einige mit dem Iran verbündete PMF-Gruppen, insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und Harakat Hizbollah an-Nujaba (HHN), rekrutierten weiterhin Burschen unter 18 Jahren für den Kampf in Syrien und im Jemen (DFAT 17.8.2020, S.47).

Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwortlich waren (EASO 10.2020, S.31; vergleiche WI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischen Saraya Talia al-Khorasani, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, Asa'ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf Demonstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (WI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben unbekannte Bewaffnete und Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriya und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres wurden 56 Aktivisten gewaltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktionen gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (Al Monitor 8.1.2021).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Anlässlich der sozialen Proteste zeigten die PMF ihre Fähigkeit Kritiker zu verfolgen. Beispielsweise können kritische Kommentare in sozialen Medien zur Verfolgung seitens Asa‘ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hizbollah oder der Saraya as-Salam führen, welche im Stande sind, die Personen ausfindig zu machen und sie anschließend zu bedrohen und zu attackieren. Namentlich Kata’ib Hizbollah kann jeden ins Visier nehmen und kennt etwa die Namen aller, die über den Internationalen Flughafen einreisen (AQ1 27.5.2021).

Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (CH 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Abu Mahdi Al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 21.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata'ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 21.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels innerhalb der Hashd ash-Sha'bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten "Muhandis-Kern" zugeordnet werden (Warsaw Institute 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 21.2.2020).

Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entscheidung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einheiten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verantwortlich sind (Warsaw Institute 9.7.2020; vergleiche AAA 23.4.2020, Al Monitor 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreise der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (Al Monitor 4.12.2020; vergleiche Diyaruna 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (Diyaruna 22.2.2021).

Diese fortschreitende Zersplitterung der PMU lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Einer der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den sog. IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (AIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak Al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata'ib Hizbollah, die ihn als den unrechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, vom Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervor tun (AIIA 12.1.2021).

Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji'iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji'i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vergleiche ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini "Schrein"-Milizen bzw. Saraya al-'Atabat (kurz: Atabat) (WI 5.2.2021; vergleiche ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala'i bezeichnet werden - wala' ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den sog. IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.3f).

Die Badr-Organisation, die mächtigste schiitische Miliz, gilt als Irans ältester Stellvertreter im Irak. Sie wurde 1982 im Iran gegründet, um Saddam Hussein zu bekämpfen, und wurde zunächst vom Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und geführt (Soufan 20.3.2020; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Nach der US-Invasion im Jahr 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die neue irakische Regierung integriert. Ihre Kräfte wurden zur größten Fraktion innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere der Polizei (Wilson Center 27.4.2018), die wiederum zu einem Instrument der Badr-Organisation erwuchs (SWP 2.7.2021, S.26). Sie nahm an Wahlen teil; ihre Führer wurden in die neue Regierung in Kabinettspositionen aufgenommen. Sie behielt jedoch ihre Miliz bei (Wilson Center 27.4.2018). Sie umfasst rund 20.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2020) und unterhält mindestens zehn Brigaden der staatlich finanzierten PMF, möglicherweise sogar siebzehn. Badr schickte ihre Kämpfer auch nach Syrien, um das Assad-Regime zu unterstützen (WI 2.9.2021). Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt. Viele Badr-Mitglieder waren oder sind Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). So haben einige Mitglieder der PMF auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi, beispielsweise, führte die 5. PMF-Brigade, eine Badr-Brigade, und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (CH 2.2021, S.18f). Oder das Badr-Führungsmitglied Qassim al-Araji war Innenminister (2017-2018) und ist nun der nationale Sicherheitsberater. Die Badr ist eine große und komplexe Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen politischen Flügel und viele Unterfraktionen hat. Im Großen und Ganzen hat sich Badr durch seine Wahlerfolge, seine paramilitärische Macht und seine Patronagenetzwerke tief in den irakischen Staat eingebettet. Badr war die Quelle für viele jüngere und und radikalere Gruppen, einschließlich Kata'ib Hisbollah. Zwar setzt sich die Badr-Organisation für den Abzug der US-Kampftruppen aus der Region ein, doch hat sie sich im Gegensatz zu den anderen pro-iranischen PMF von Angriffen auf die USA und deren Verbündete öffentlich distanziert. Innerhalb der Muqawama nimmt die Badr-Organisation weiterhin eine wichtige Rolle ein und bleibt gleichzeitig ihren Wurzeln als iranischer Stellvertreter treu, mit weiterhin engen institutionellen und personellen Beziehungen zum IRGC (WI 2.9.2021).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffen) mit ihrem Anführer Qais Al-Khaz'ali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018; vergleiche EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in iranischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson Center 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (ITIC 8.1.2020). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson Center 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khazali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den für die USA als einer der Verantwortlichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz'ali als "Specially Designated Global Terrorist" ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).

Die seit 2020 vermehrt in Erscheinung tretenden pro-iranischen Splittergruppen haben ein zweifelhaftes Maß an Autonomie. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen um unabhängige Gruppen handelt, die von den größeren "Mutter"-Milizen unterstützt werden, oder ob sie lediglich eine Fassade für diese größeren Milizen bilden, um sich den US-Sanktionen durch die Einstufung als terroristische Organisation zu entziehen (AIIA 12.1.2021; vergleiche JS 10.3.2021). Sie werden diesbezüglich insbesondere Kata'ib Hizbollah, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und der Harakat Hizbollah an-Nujaba zugeordnet (JS 10.3.2021). Ihre Anzahl ist vage und wird auf 10 bis 20 Gruppen geschätzt (Al Arabiya 18.11.2020). Die neuen Splittergruppen treten durch primär zwei unterschiedliche Handlungsweisen in Erscheinung: Zum einen bewaffnete Milizen, die in der Lage sind, Anschläge auf US-Einrichtungen im Irak zu verüben, und zum anderen Straßenbanden, die eine Art sozialen Krieg auf den Straßen Bagdads führen. Zu den ersteren gehören Usbat al-Tha'ireen (Liga der Revolutionäre) und Ashab al-Kahf (die Gefährten der Höhle), die sich regelmäßig zu Raketen- oder IED-Angriffen auf US-Ziele bekennen (AIIA 12.1.2021). Usbat al-Tha'ireen übernahm beispielsweise die Verantwortung für den Angriff auf Camp Taji im März 2020, bei dem zwei amerikanische Soldaten und ein britischer Soldat getötet wurden (WI 10.4.2020; vergleiche Al Arabiya 18.11.2020), während Ashab al-Kahf zahlreiche Angriffe auf Konvois sowie einen Raketenangriff auf die US-Botschaft im November 2020 für sich reklamierte (JS 10.3.2021). Zur zweiten Gruppe gehören Raba Allah/Rab'Allah (das Volk Gottes), Jund Soleimani (die Soldaten Soleimanis) und Jabhat Abu Jadahah (eng. People of the Lighter's Front), die, getragen von stark religiösen Anwandlungen, als Sittenpolizei agieren und das liberalere Leben Bagdads unterdrücken, indem sie beispielsweise Massagesalons angriffen oder Bombenanschläge auf Geschäfte verübten, die Alkohol verkauften (AIIA 12.1.2021; vergleiche WI 9.4.2021). Rab'Allah gilt als wichtigste Gruppe. Im Oktober 2020 verübte sie Brandanschläge auf Büros von Fernsehsendern sowie der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP). Weiters führte sie Hetzkampagnen gegen Personen aus Politik und Medien durch und drohte ihnen mit Gewalt. Zudem organisierte sie Proteste vor ausländischen Vertretungen (WI 9.4.2021).

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             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 23.8.2021

             USDOS - United States Department of State [USA] (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 23.8.2021

             Warsaw Institute (9.7.2020): Iraq: Security Sector Reform regarding paramilitary units, https://warsawinstitute.org/iraq-security-sector-reform-regarding-paramilitary-units/, Zugriff 25.8.2021

             WI - Washington Institute (2.9.2021): Profile: Badr Organization, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/profile-badr-organization, Zugriff 6.9.2021

             WI - Washington Institute (9.4.2021): Profile: Raba Allah, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/profile-raba-allah, Zugriff 31.8.2021

             WI - Washington Institute (5.2.2021): How the United States Should View Iraq’s Shrine Militias, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/how-united-states-should-view-iraqs-shrine-militias, Zugriff 24.8.2021

             WI - Washington Institute (28.5.2020): The Future of Iraq's Popular Mobilization Forces, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/future-iraqs-popular-mobilization-forces, Zugriff 25.8.2021

             WI - Washington Institute (10.4.2020): Qaani’s Surprise Visit to Baghdad and the Future of the PMF, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/qaanis-surprise-visit-baghdad-and-future-pmf, Zugriff 31.8.2021

             WI - Washington Institute [Knights, Michael et alia] (23.3.2020): Honored, not Contained - The Future Of Iraq’s Popular Mobilization Forces, https://www.washingtoninstitute.org/media/4125?disposition=attachment, Zugriff 26.8.2021

             Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 24.8.2021

             WoR - War on the Rocks (11.11.2019): A State with Four Armies: How to Deal with the Case of Iraq, https://warontherocks.com/2019/11/a-state-with-four-armies-how-to-deal-with-the-case-of-iraq/, Zugriff 19.8.2021

             Zenith (3.1.2020): Der Mann, der an Soleimanis Seite starb, https://magazin.zenith.me/de/politik/us-drohnenangriff-gegen-abu-al-muhandis, Zugirff 24.8.2021

             1000 TI - 1000 Iraqi Thoughts (11.7.2019): Interpreting the Iraqi Prime Minister’s PMF Decree, https://1001iraqithoughts.com/2019/07/11/interpreting-the-iraqi-prime-ministers-pmf-decree/, Zugriff 24.8.2021

Korruption

Letzte Änderung: 15.10.2021

Korruption ist nach wie vor ein großes Problem im Irak (FH 3.3.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Weniger als 5% der Korruptionsfälle werden angezeigt (GIZ 1.2021b).

Beamte sind häufig ungestraft in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung wurden durch Mangel an Einigkeit bezüglich der institutionellen Rollen, an politischem Willen, und politischem Einfluss, mangelnder Transparenz und durch unklare Rechtsvorschriften und Regulierungsverfahren behindert. Im August 2020 hat Premierminister al-Kadhimi per Verordnung einen ständigen Sonderausschusses zur Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung größerer Korruptionsfälle eingesetzt. Im September 2020 wurden aufgrund der Arbeit des Antikorruptionsausschusses 19 hochrangige Personen verhaftet. Im Oktober 2020 wurden rund 1.000 Beamte entlassen, nachdem sie wegen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, darunter Verschwendung öffentlicher Gelder, Bestechung und Veruntreuung, verurteilt worden waren (USDOS 30.3.2021).

Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 30.3.2021). Korruption war einer der Auslöser für die Massenproteste am 1.10.2019 im Süd- und Zentralirak, inklusive Bagdad (FH 3.3.2021).

Auf dem Corruption Perceptions Index 2020 von Transparency International wird der Irak mit 21 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) und nimmt Rang 160 von 180 Staaten ein (TI 3.2021).

Die Kurdische Region im Irak (KRI) leidet unter ähnlichen Korruptionsproblemen (FH 3.3.2021).

Quellen:

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021b): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             TI - Transparency International (3.2021): Iraq, https://www.transparency.org/country/IRQ, Zugriff 1.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 13.09.2021

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müssen sich registrieren (FH 3.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). Mit Stand September 2020 waren laut der irakischen Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 4.600 NGOs registriert, darunter 168 Niederlassungen ausländischer Organisationen (USDOS 30.3.2021). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind die Registrierungen jährlich zu erneuern (FH 3.3.2021).

Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen für die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 9.4.2021). In Bagdad registrierte NGOs können in der KRI tätig werden, aber NGOs, die nur in der KRI registriert sind, können nicht im Rest des Landes tätig werden (USDOS 30.3.2021).

Im Irak sind über 440 NGOs registriert, die sich im Berich der Menschenrechte engagieren. NGOs, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und bürokratische Hürden erschweren jedoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden Visitationen durch Ministeriumsvertreter (AA 22.1.2021).

Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme. Es gibt jedoch zahlreiche Berichte darüber, dass Mitarbeiter von Hilfsorganisationen schikaniert, bedroht, verhaftet und in einigen Fällen wegen Terrorismusvorwürfen beschuldigt worden sind. Die Internationale Organisation für die Sicherheit von NGOs verzeichnete im Jahre 2020 20 derartige Vorfälle. Rund 700 NGOs wurden wegen diverser Verstöße sanktioniert, etwa weil sie als Deckmantel für politische Parteien dienten oder wegen verdächtiger Vorgänge wider das NGO-Gesetz (USDOS 30.3.2021). Im Zuge der im Oktober 2019 begonnen Proteste wurde im Jahr 2020 eine Reihe von regierungskritischen Aktivisten entführt. Im August 2020 wurden beispielsweise zwei prominente Aktivisten getötet, die Ermordung eines dritten schlug fehl (FH 3.3.2021). Im Dezember 2020 stürmten Kämpfer der Asaib Ahl al-Haq ein Gemeindezentrum des Internationalen Rettungskomitees in Mossul und bedrohten die dort beschäftigten Helfer, woraufhin das Zentrum geschlossen wurde (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (9.4.2021): Civic Freedom Monitor: Iraq, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq, Zugriff 21.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit (AA 22.1.2021; vergleiche GIZ 1.2021a), Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung (AA 22.1.2021). Die Verfassungswirklichkeit weicht jedoch vielfach von diesen Prinzipien ab. Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a).

Der Irak hat auch wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft, und die unabhängige Menschenrechtskommission ist in der Vergangenheit wenig in Erscheinung getreten. Im Zuge der Proteste seit Oktober 2019 versucht die Kommission jedoch sich unabhängig ein Bild von der Lage zu machen und die Zahlen von Toten und Verletzten zu sammeln, zu verifizieren und zu veröffentlichen, da sich die Regierung einer Veröffentlichung verweigert (AA 22.1.2021).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen (IDPs); Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 30.3.2021). Auch Menschenhandel ist ein Problem. IDPs sind davon besonders gefährdet. Die Bemühungen der Regierung, die Gesetze gegen den Menschenhandel durchzusetzen, sind unzureichend (FH 3.3.2021).

Im Irak kam es 2020 zu einer Reihe von Morden an zivilgesellschaftlichen, politischen und Menschenrechtsaktivisten sowie zu vermehrten Drohungen gegen Journalisten (FCO 8.7.2021).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021). Tausende IDPs, die aus Gebieten geflohen sind, die unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) standen, wurden von Irakischen Sicherheitskräften (ISF) und Volksmobilisierungskräften (PMF) willkürlich verhaftet und sind nach wie vor verschwunden (AI 7.4.2021).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt, ohne Kompensationen für die Besitzer (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, die durch die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) begangen wurden, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten. Es fehlt an Rechenschaftspflicht für Gewalt gegen Frauen und Gewaltverbrechen, die sich gegen Angehörige ethnischer Minderheiten richten. Der sog. IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Iraq 2020, https://www.ecoi.net/en/document/2048571.html, Zugriff 10.4.2021

             FCO - UK Foreign, Commonwealth and Development Office (8.7.2021): Human Rights and Democracy: 2020 Foreign, Commonwealth & Development Office report, https://www.ecoi.net/en/document/2056823.html, Zugriff 14.8.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Verfassung garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzen (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021, GIZ 1.2021a, USDOS 30.3.2021). Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei sowie das Befürworten einer gewaltsamen Änderung der Grenzen des Landes sind jedoch verboten. Einzelpersonen und Medien betreiben Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionelle Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung. Sicherheitskräfte haben Demonstranten und Aktivisten, die der Zentralregierung kritisch gegenüberstanden, verhaftet bzw. festgenommen (USDOS 30.3.2021).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 30.3.2021). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensurieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 3.3.2021).

Medienorganisationen sehen sich als Reaktion auf ihre Berichterstattung Einschränkungen und Behinderungen ausgesetzt (FH 3.3.2021). Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 30.3.2021). Das „Gesetz zum Schutz von Journalisten“ von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 22.1.2021).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 22.1.2021). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2021 auf Platz 161 von 180, eine Verschlechterung um einen Platz im Vergleich zum Vorjahr (RSF 2021).

Irakische Journalisten riskieren ihr Leben, wenn sie über Proteste berichten oder über Korruption recherchieren. Seit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 hat sich die Lage verschlechtert. Journalisten müssen damit rechnen, von nicht identifizierten Milizen schikaniert, entführt, körperlich angegriffen oder sogar getötet zu werden (RSF 2021). Vom Iran unterstützte Milizen haben vermeintliche Kritiker bedroht, entführt, gefoltert und ermordet, darunter den bekannten irakischen Analysten Hisham al-Hashimi, der im Juli 2020 erschossen wurde. Mehr als 30 Privatpersonen, die an den Protesten 2019 und 2020 beteiligt waren, darunter mindestens ein Minderjähriger, wurden in den Jahren 2019 und 2020 entführt; ihr Verbleib war zu Jahresende 2020 unbekannt (FH 3.3.2021).

Im Lauf des Jahres 2020 wurden mehrere Journalisten wegen ihrer Tätigkeit verhaftet, entführt oder getötet (FH 3.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). Berichten zufolge von Milizen oder Sicherheitskräften (USDOS 30.3.2021). Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden im Jahr 2020 vier Journalisten und ein Medienmanager getötet (FH 3.3.2021).

Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2010-2020) des "Committee to Protect Journalists" zudem den weltweit dritten Platz in Bezug auf nicht aufgeklärte Journalistenmorde ein (AA 22.1.2021).

Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht-staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 3.3.2021). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             RSF - Reporters sans frontiers (2021): Iraq, Still dangerous for journalists, https://rsf.org/en/iraq, Zugriff 2.8.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Internet und soziale Medien

Letzte Änderung: 15.10.2021

Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 30.3.2021).

Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien. Bestimmte Themen, darunter Korruption, und, in etwas geringerem Maße, Kritik am Iran, werden als Tabu angesehen und führten zuweilen zu Verhaftungen, Gehaltskürzungen, Folter oder Strafverfolgung. Nutzer sozialer Medien sowie Blogger wurden wegen Kritik an Behörden wegen deren "schlechter" Reaktion auf die COVID-19-Pandemie mit Verleumdungsklagen konfrontiert (FH 3.3.2021).

Vom Iran unterstützte Milizen haben viele vermeintliche Kritiker bedroht, entführt, gefoltert und ermordet, darunter den bekannten irakischen Analysten Hisham al-Hashimi, der im Juli 2020 erschossen wurde. Mehr als 30 Privatpersonen, die an den Protesten 2019 und 2020 beteiligt waren, darunter mindestens ein Minderjähriger, wurden in den Jahren 2019 und 2020 entführt; ihr Verbleib war am Jahresende unbekannt. Viele lautstarke Aktivisten haben das Land verlassen oder sind in die Region Kurdistan umgezogen, da sie um ihr Leben fürchten (FH 3.3.2021).

Trotz Einschränkungen nutzen politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung räumt ein, in manchen Gebieten den Internetzugang beschränkt zu haben, angeblich aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der Nutzung von Social Media-Plattformen durch den sog. IS (USDOS 30.3.2021).

Der Internetzugang wurde mit Beginn der Demonstrationen im Oktober 2019 tagelang blockiert. Soziale Medien blieben für mehrere Wochen, bis in den November hinein, gesperrt, bzw. eingeschränkt nutzbar (AA 2.3.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungsfreiheit

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration nach den Regeln des Gesetzes vor (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021), allerdings nur unter der Vorgabe, dass nicht gegen die öffentliche Ordnung und Moral verstoßen wird (AA 22.1.2021; vergleiche GIZ 1.2021a). Ein Gesetzesentwurf von 2014 für eine nähere Ausgestaltung der Regelung wurde bislang nicht verabschiedet (AA 22.1.2021).

Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, der Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 30.3.2021).

Demonstranten sind häufig der Gefahr von Gewalt oder Verhaftung ausgesetzt (FH 3.3.2021). Als die Demonstrationen ab Oktober 2019 eskalierten, versäumten es die Behörden, die Demonstranten vor Gewalt zu schützen (USDOS 30.3.2021). Sicherheitskräfte gingen teils mit großer Härte gegen Demonstranten vor. Es gibt Berichte über Entführung, Folter und Tötung von Demonstranten, Aktivisten und Journalisten, von denen angenommen wird, dass diese der Einschüchterung der Demonstranten und der Beendigung der Proteste dienen sollten (AA 22.1.2021).

Im Zuge der ab Oktober 2019 stattfindenden Protestbewegung wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (FH 3.3.2021; vergleiche GIZ 2021a) und Sicherheitskräfte setzten Tränengas und scharfe Munition gegen Demonstranten ein. Bis Mitte Dezember 2020 wurden bei den Protesten etwa 25.000 Menschen verletzt, mindestens 700 wurden getötet. Irakische Sicherheitskräfte und pro-iranische Milizen schossen routinemäßig mit scharfer Munition auf Demonstranten. Irakische Beamte und Journalisten berichteten auch, dass Scharfschützen unter dem Kommando von iranisch unterstützten Milizeinheiten mit scharfer Munition von Dächern aus auf Demonstranten schossen und eine Welle von Entführungen von Protestorganisatoren und Aktivisten durchführten. Iranische und irakische Medien, die mit den vom Iran unterstützten Milizen in Verbindung stehen, verbreiteten falsche Berichte über Aktivisten, um diese Angriffe zu rechtfertigen (FH 3.3.2021).

Im Jänner 2021 griff in Nasiriya, der Hauptstadt des Gouvernements Dhi Qar, eine Armee-Einheit ein, um Demonstranten vor der Polizei zu schützen. Dabei kam es zu Schusswechseln zwischen den Sicherheitskräften, bei denen ein Polizist getötet wurde (Wing 11.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             Wing, Joel, Musings on Iraq (11.1.2021): Iraqi Army Intervenes To Protect Nasiriya Protesters From Police, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/01/iraqi-army-intervenes-to-protect.html, Zugriff 25.8.2021

Protestbewegung

Letzte Änderung: 13.09.2021

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021a). Bereits von Juli bis September 2018 kam es in Basra und im übrigen Südirak zu Protesten (DFAT 17.8.2020).

Im Oktober 2019 begannen landesweite Massenproteste (ICG 26.7.021; vergleiche AI 7.4.2021). Diese betrafen vor allem die schiitischen Gebiete des Südirak und Bagdad. Die Forderungen umfassten bessere Beschäftigungsmöglichkeiten und öffentliche Dienstleistungen sowie ein Ende der Korruption in der Regierung (DFAT 17.8.2020; vergleiche ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des Muhasasa-Systems, d.h. der ethnisch-konfessionellen Postenbesetzung in der Regierung und Verwaltung (ICG 26.7.2021). Sie waren außerdem gegen die Einmischung ausländischer Mächte, insbesondere des Iran gerichtet (DFAT 17.8.2020). Diese Proteste wurden auch in den ersten Monaten des Jahres 2020 fortgesetzt, bis sie durch den Ausbruch von COVID-19 vorübergehend unterbrochen wurden. Seit Mai 2020 kommt es wieder zu kleineren Demonstrationen, vor allem in den Städten Bagdad, Basra und Nasriyah (AI 7.4.2021).

Es wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (GIZ 1.2021a). Fernsehsender, die über die Proteste berichteten, wurden von bewaffneten Männern überfallen (ICG 27.7.2021). Staatliche Sicherheitskräfte (ISF) und mit dem Iran verbündete Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) waren an gewaltsamer Unterdrückung der Proteste beteiligt (DFAT 17.8.2020; vergleiche ICG 26.7.2021). Im Zuge der Proteste kam es seit Ende 2019 bis ins Jahr 2020 hinein zu willkürlichen Verhaftungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und außergerichtlichen Tötungen von Demonstranten durch ISF und PMF (HRW 13.1.2021). Dutzende Aktivisten wurden im Zuge der Protestbewegung Ziel von Entführungen, Mordversuchen und Morden (MEE 25.7.2021). Mindestens 560 Demonstranten wurden während der Proteste getötet (HRW 13.1.2021). Andere Quellen sprechen von etwa 600 getöteten Demonstranten und über 20.000 Verletzten in den ersten sechs Monaten der Proteste (ICG 26.7.2021). Diese Vorfälle führten zum Rücktritt der Regierung unter Premierminister Adil Abdul al-Mahdi und zur Ernennung eines neuen Premierministers, Mustafa al-Kadhimi, im Mai 2020 (HRW 13.1.2021; vergleiche ICG 26.7.2021).

Die Demonstranten fordern, dass die Sicherheitskräfte für ihre Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden, einschließlich der Tötung und des gewaltsamen Verschwindenlassens von Demonstranten (AI 7.4.2021). Trotz der anfänglichen, scheinbaren Bereitschaft, einige der gravierendsten Menschenrechtsprobleme des Irak anzugehen, gelang es der Regierung al-Kadhimi nicht, die Übergriffe auf Demonstranten zu beenden. Ein im Mai 2020 eingerichteter Ausschuss zur Untersuchung der Tötung von Demonstranten hat bis Ende 2020 noch keine Ergebnisse öffentlich bekannt gegeben. Im Juli 2020 kündigte die Regierung al-Kadhimi an, die Familien der bei den Protesten Getöteten zu entschädigen (HRW 13.1.2021).

Im Oktober 2019 wurden mehrere hochrangige Militärkommandanten wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten von ihren Posten entfernt (FH 3.3.2021). Es wurden jedoch bislang keine hochrangigen Kommandanten strafrechtlich verfolgt. Nach einer Reihe von Tötungen und versuchten Tötungen von Demonstranten in Basra wurden im August 2020 der Polizeichef von Basra und der Direktor für nationale Sicherheit des Gouvernements entlassen. Es wurde jedoch keine Strafverfolgung eingeleitet (HRW 13.1.2021). Diese Maßnahmen wurden von vielen Irakern als unzureichend abgelehnt und hatten wenig abschreckende Wirkung auf Mitglieder der Sicherheitskräfte, die im Laufe des Jahres zahlreiche Demonstranten tödlich verletzten. Trotz eines öffentlichen Versprechens von Premierminister al-Kadhimi im August 2020, die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen und die Ermordungen zu untersuchen und zu bestrafen, befinden sich die Täter weiterhin auf freiem Fuß (FH 3.3.2021).

Quellen:

             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Iraq 2020, https://www.ecoi.net/en/document/2048571.html, Zugriff 10.4.2021

             DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             ICG - International Crisis Group (26.7.2021): Iraq’s Tishreen Uprising: From Barricades to Ballot Box, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056850/223-iraq-tishreen.pdf, Zugriff 2.8.2021

             MEE - Middle East Eye (25.7.2021): Iraq: Son of prominent women's rights activist found shot dead near Basra, https://www.middleeasteye.net/news/iraq-son-prominent-iraqi-rights-activist-shot-dead-near-basra, Zugriff 2.8.2021

Vereinigungsfreiheit / Opposition

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 30.3.2021). Iraker können generell ohne staatliche Einmischung Parteien gründen oder ihnen beitreten. Bei den letzten Wahlen 2018 waren 205 Parteien registriert. Es wird erwartet, dass die Wahlreform von 2019 unabhängige Kandidaturen existenzfähiger macht (FH 3.3.2021). Es liegen keine Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nicht-staatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren, und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 22.1.2021). Irakische Politiker, die gegen iranische Interessen agieren, werden bedroht (FH 3.3.2021).

Die Arbeitsgesetze garantieren Arbeitnehmern das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften, von Kollektivverhandlungen und auf das Abhalten von Streiks, schützen sie aber nicht vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung bis hin zu Entlassungen (FH 3.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). Es ist verboten Gewerkschaften unabhängig vom staatlichen kontrollierten Generalverband der irakischen Arbeiter zu gründen (USDOS 30.3.2021). Angestellten des öffentlichen Sektors ist es nicht gestattet sich gewerkschaftlich zu organisieren. Einige Staatsbeamte und private Arbeitgeber entmutigen Gewerkschaftsaktivitäten mit Drohungen, Degradierungen und anderen Abschreckungsmaßnahmen (FH 3.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Todesstrafe

Letzte Änderung: 13.09.2021

Die Todesstrafe ist in Artikel 15 der Verfassung auf Grundlage einer von einer zuständigen Justizbehörde erlassenen Entscheidung erlaubt (DFAT 17.8.2020). Sie ist auch im irakischen Strafrecht vorgesehen, wird verhängt und vollstreckt (AA 22.1.2021). Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe kann bei 48 verschiedenen Delikten, darunter Mord, terroristische und staatsfeindliche Aktivitäten, Hochverrat, Einsatz von chemischen Waffen und Vergewaltigung verhängt werden (AA 22.1.2021).

Nach dem Antiterrorismusgesetz (2005) kann die Todesstrafe gegen jeden verhängt werden, der terroristische Handlungen begeht, dazu anstiftet, sie plant, finanziert oder unterstützt (DFAT 17.8.2020). Der Großteil der Hinrichtungen erfolgt wegen Terrorismusvorwürfen (AA 22.1.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020). Viele Personen werden im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung wegen ihrer IS-Angehörigkeit verurteilt (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 22.1.2021).

Aktuelle Zahlen zu den vollstreckten Hinrichtungen liegen nicht vor (HRW 13.1.2021; vergleiche AA 22.1.2021). Die Behörden berichten diese nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen und machen auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben (AA 22.1.2021). Amnesty International zufolge wurden 2020 mindestens 27 Todesurteile ausgesprochen (AI 4.2021). Mindestens 50 Hinrichtungen wurden vollzogen (AI 7.4.2021). 21 dieser Hinrichtungen fanden während einer Massenexekution am 17.11.2020 statt (AI 4.2021; vergleiche DW 16.11.2020, HRW 13.1.2021). Unter den Verurteilen waren elf Franzosen und ein Belgier. Bis dahin wurde im Irak noch nie ein ausländisches IS-Mitglied hingerichtet (DW 16.11.2020). 8.022 Gefangene saßen im August 2019 in der Todeszelle (HRW 13.1.2021). Ende 2020 waren es über 7.900 Personen, die zum Tode verurteilt waren (AI 4.2021). Vor allem gegen mutmaßliche IS-Kämpfer werden in fragwürdigen Prozessen zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (AA 22.1.2021).

Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             AI - Amnesty International (4.2021): Death Sentences and Executions 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2049793/ACT5037602021ENGLISH.PDF, Zugriff 2.5.2021

             AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Iraq 2020, https://www.ecoi.net/en/document/2048571.html, Zugriff 10.4.2021

             DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021

             DW - Deutsche Welle (16.11.2020): Irak lässt 21 Todesurteile vollstrecken, https://www.dw.com/de/irak-l%C3%A4sst-21-todesurteile-vollstrecken/a-55619212, Zugriff 13.8.2021

             HRC - Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/A_HRC_38_44_Add.pdf, Zugriff 3.3.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 15.10.2021

Anmerkung: Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt "Minderheiten" behandelt.

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 22.1.2021; vergleiche GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 12.5.2021 ). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 22.1.2021 ). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 12.5.2021 ).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 22.1.2021; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 14.10.2020; vergleiche ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 3.3.2021).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 12.5.2021).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 12.5.2021; vergleiche USCIRF 4.2021).

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 22.1.2021; vergleiche USDOS 12.5.2021). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 22.1.2021). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Sabäer-Mandäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 12.5.2021).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer/Sabäer, Schabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).

Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der PMF, die Freizügigkeit innerhalb des Landes aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 30.3.2021).

Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wieviele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 30.3.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 12.5.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 12.5.2021).

In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Sabäer-Mandäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 12.5.2021).

[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel Minderheiten entnommen werden.]

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 3.3.2021

             SCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf, Zugriff 2.2.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Minderheiten

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80% Araber, 15-20% Kurden und etwa 5%, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 22.1.2021).

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 22.1.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 3.3.2021). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 30.3.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt (AA 22.1.2021).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 22.1.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 22.1.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 12.5.2021). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und vor allem der schiitischen Milizen (AA 22.1.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI sogenannten "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 22.1.2021).

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BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Religious Groups

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BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Ethnic Groups

Anmerkung zu beiden Karten:

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können Hunderttausende Iraker, die vom IS vertrieben wurden nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 3.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 15.5.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021

             Lattimer EASO - Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 25.8.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Sunnitische Araber

Letzte Änderung: 13.09.2021

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 22.1.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 22.1.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von Flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 30.3.2021). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 12.5.2021). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der PMF, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 30.3.2021). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 12.5.2021).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 22.1.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 30.3.2021).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemalige Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe schiitische Milizen (PMF) sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben würden und versuchen, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seiner Provinz gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.202

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 28.1.2021

             USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf, Zugriff 2.2.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 15.10.2021

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament verankert. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30% (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Diese formale Repräsentation hat geringe Auswirkungen auf die staatliche Politik gegenüber Frauen, die von politischen Debatten und Führungspositionen üblicherweise ausgeschlossen sind (FH 3.3.2021).

Frauen sind im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben einschränkt. Sie werden selten in Entscheidungspositionen und andere einflussreiche Positionen ernannt (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die traditionelle Rollenverteilung in der Familie lässt weniger Möglichkeiten für Frauen, sich im Studium oder beruflich weiter zu entwickeln. Dies wird zum Teil aus der religiösen Tradition begründet, aber auch patriarchalische Strukturen sind weit verbreitet (AA 22.1.2021).

Frauen sind gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit als eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung (AA 22.1.2021). Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsbürgerschaftsrecht (AA 22.1.2021; vergleiche FH 3.3.2021). So können Frauen in Bezug auf das Erbrecht unter Druck geraten, ihre Rechte an männliche Verwandte abzutreten (FH 3.3.2021). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 22.1.2021; vergleiche FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen, insbesondere unter Binnenflüchtlingen (IDPs) (AA 22.1.2021). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen durch gesetzliche Beschränkungen stärker eingeschränkt als für Männer (FH 3.3.2021 ). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 3.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 3.3.2021 ).

Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen liegt bei etwa 11,5% (Stand 2019) (WB 29.1.2021a). Die geschätzte Arbeitslosigkeit bei Frauen, die an der Arbeitswelt teilhaben, liegt laut Weltbank bei etwa 30,6% (Stand 2019) (WB 29.1.2021b). Der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak zufolge liegt sie bei 13% (UNIraq 2021). Die Jugendarbeitslosigkeit bei Frauen und Mädchen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren wird auf etwa 63,3% geschätzt (Stand 2017) (CIA 15.6.2021). Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).

Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer (GIZ 1.2021c; vergleiche AA 14.10.2020). Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen stärker von Analphabetismus betroffen als Buben (GIZ 1.2021c). Etwa 79,9% der Frauen im Alter von über 15 Jahren können lesen und schreiben (Stand 2017) (UNESCO 2021; vergleiche WB 9.2020). In der Altersgruppe der 15 bis 24 jährigen Mädchen und Frauen liegt die Rate bei 92,1% (Stand 2017) (UNESCO 2021). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate bei Mädchen (rund 77%) weit niedriger als jene der Buben (rund 90%). Je höher die Bildungsstufe ist, desto geringer ist der Anteil an Mädchen. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.pdf, Zugriff 3.3.2021

             CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2021): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/iraq/, Zugriff 20.6.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             Frontline (12.11.2019): How Conflict in Iraq Has Made Women and Girls More Vulnerable, https://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/how-conflict-in-iraq-has-made-women-and-girls-more-vulnerable/, Zugriff 1.4.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             FIS - Finnisch Immigration Service [Finnland] (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 14.1.2021

             UNESCO - United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (2021): Iraq, Education and Literacy, http://uis.unesco.org/en/country/iq, Zugriff 1.4.2021

             UNIraq (2021): Country Profile, http://www.uniraq.com/index.php?option=com_k2&view=item&layout=item&id=941&Itemid=472&lang=en, Zugriff 18.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             WB - World Bank (29.1.2021a): Labor force participation rate, female (% of female population ages 15+) (modeled ILO estimate), https://data.worldbank.org/indicator/SL.TLF.CACT.FE.ZS?locations=IQ, Zugriff 1.4.2021

             WB - World Bank (29.1.2021b): Unemployment, female (% of female labor force) (modeled ILO estimate) - Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SL.UEM.TOTL.FE.ZS?locations=IQ, Zugriff 1.4.2021

             WB - World Bank (9.2020): Literacy rate, adult female (% of females ages 15 and above) - Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SE.ADT.LITR.FE.ZS?end=2017&locations=IQ&start=2017&view=bar, Zugriff 1.4.2021

Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung

Letzte Änderung: 13.09.2021

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 30.3.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Im Jahr 2020 kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt (FH 3.3.2021). Auch Tötung von Frauen und Mädchen durch ihre Familien und Ehemänner wurden 2020 verzeichnet (HRW 13.1.2021). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, aber nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau, sowie seine Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 13.1.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021).

Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als rechtmäßig interpretiert werden können (FIS 22.5.2018). Nach Artikel 128, Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der Ehre oder vom Opfer provoziert begangen wurden, ungestraft bleiben, bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (FIS 22.5.2018; vergleiche HRW 13.1.2021, USDOS 30.3.2021). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als normal und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen. Frauen tendieren dazu, häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen. Viele Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei und halten den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (FIS 22.5.2018).

Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021, UNSC 30.3.2021, StC 25.6.2021). Dies gilt sowohl im Irak als auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI) (StC 25.6.2021). Eine Bestimmung verhindert hierbei eine Scheidung innerhalb der ersten drei Ehejahre (USDOS 30.3.2021). Dies trifft auch zu, wenn das Opfer minderjährig ist (FIS 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Es gab keine zuverlässigen Schätzungen über die Häufigkeit von Vergewaltigungen oder Informationen über die Effektivität der staatlichen Durchsetzung des Gesetzes (USDOS 30.3.2021). Berichten zufolge sind besonders binnenvertriebene Frauen und Mädchen, insbesondere solche, die mit dem sog. IS in Verbindnung gebracht werden, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (EMHRM 6.2021).

Fälle von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt bleiben weitgehend ungemeldet. Gründe dafür sind fehlender Zugang zu gerichtlichen oder administrativen Mechanismen, Angst vor Stigmatisierung und Repressalien (EMHRM 6.2021; vergleiche UNSC 30.3.2021) sowie fehlende strafrechtliche Verantwortung der Täter und Schutzmechanismen für Opfer (EMHRM 6.2021). Auch Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte haben Frauen in den von ihnen kontrollierten Lagern, wie z. B. in Ninewa, belästigt und sexuell missbraucht. 2020 wurden 30 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt durch bewaffnete Akteure, hauptsächlich gegen Frauen verzeichnet, einer gegen einen inhaftierten Mann (UNSC 30.3.2021).

Frauen die infolge einer Vergewaltigung Kinder geboren haben, haben Probleme für ihre Kinder Identitätspapiere zu erhalten und damit einhergehend Zugang zu Dienstleistungen (UNSC 30.3.2021).

Der Irak hat zwar eine nationale Strategie gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen angenommen, die Verabschiedung eines Gesetzesentwurfs zum Schutz vor häuslicher Gewalt steht jedoch noch aus (UNFPA 2020). Bemühungen des irakischen Parlaments, einen Gesetzesentwurf gegen häusliche Gewalt zu verabschieden, sind 2019 und 2020 ins Stocken geraten (HRW 13.1.2021). Die erneuten Bemühungen irakischer Frauenrechtsorganisationen, das Parlament zur Verabschiedung eines Gesetzes zum Verbot geschlechtsspezifischer Gewalt zu bewegen, blieben erfolglos (FH 3.3.2021).

Obwohl der sog. IS ein System organisierter Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Zwangsheirat von jesidischen Frauen und Mädchen und anderen Minderheiten etablierte, wurde kein IS-Mitglied wegen dieser spezifischen Verbrechen strafrechtlich verfolgt oder verurteilt (HRW 13.1.2021). Im Zuge des IS-Vormarsches auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als Trophäen an IS-Kämpfer übergeben oder nach Syrien verkauft wurden. Diese Frauen wurden anschließend oftmals von ihren Familien aus Gründen der Tradition verstoßen oder sie wurden gezwungen, die aus den Zwangsehen entstandenen Kinder zu verstoßen (AA 22.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (6.2021): Exiled At Home: Internal displacement resulted from the armed conflict in Iraq and its humanitarian consequences, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IraqReportEN.pdf, Zugriff 1.7.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             FIS - Finnisch Immigration Service [Finnland] (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 14.1.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             StC - Save the Children (25.6.2021): Married by exception: Child marriage policies in the Middle East and North Africa, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/married_by_exception.pdf, Zugriff 28.6.2021

             UNFPA - United Nations Population Fund (2020): The National Strategy to Combat Violence against Women and Girls 2018-2030, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/the_national_strategy_to_combat_violence_against_women_and_girls_2018-2030.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UNSC - UN Security Council (30.3.2021): Conflict-related sexual violence; Report of the Secretary-General [S/2021/312], https://www.ecoi.net/en/file/local/2049397/S_2021_312_E.pdf, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser

Letzte Änderung: 15.10.2021

Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen. NGOs zufolge meiden es Opfer häuslicher Gewalt, sich an die Familienschutzeinheiten zu wenden, weil sie vermuten, dass die Polizei ihre Familien über ihre Aussage informieren würde. Einige Stammesführer im Süden des Irak haben Berichten zufolge ihren Stammesmitgliedern verboten, sich an Familienschutzeinheiten der Polizei zu wenden (USDOS 30.3.2021).

Die meisten Familienschutzeinheiten unterhalten keine Schutzräumlichkeiten für Opfer häuslicher Gewalt (USDOS 30.3.2021). NGOs ist es nicht explizit verboten Schutzhäuser zu betreiben. Per Gesetz muss der Betrieb von Schutzhäusern durch das Arbeits- und Sozialministerium genehmigt werden. NGOs wurde ein solcher Betrieb jedoch nicht erlaubt (USDOS 11.3.2020). Manche NGOs betreiben daher inoffizielle Schutzhäuser unter der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (USDOS 11.3.2020; vergleiche Al Jazeera 12.2.2021). So betreibt die Organisation für die Freiheit der Frauen im Irak mehrere Frauenhäuser in Bagdad. Im Jahr 2020 hat die Regierung ein gerichtliches Auflösungsverfahren gegen die Organisation eingeleitet. Ihr wird die Spaltung von Familien, die Ausbeutung von Frauen und Fluchthilfe vorgeworfen (Al Jazeera 12.2.2021). UNFPA unterstützt fünf Frauenhäuser im gesamten Irak, davon eines in Bagdad, mit einem Aufnahmevermögen von 80 Personen in zehn Schlafräumen, sowie einem Beratungsraum und einem Raum für psychosoziale Unterstützung (UNFPA 20.2.2019). Aufgrund von Druck durch die Gemeinschaften, die Frauenhäuser häufig als Bordelle ansehen, werden diese regelmäßig durch das Ministerium geschlossen, um später an anderer Örtlichkeit wieder eröffnet zu werden. Manchmal werden Schutzhäuser Ziel von Gewalt. (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             Al Jazeera (12.2.2021): Iraqi women struggle to escape abuse as domestic violence rises, https://www.aljazeera.com/features/2021/2/12/iraqi-women-struggle-to-escape-abuse-as-domestic-violence-rises, Zugriff 3.3.2021

             PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq [Irak] (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UNFPA - United Nations Population Fund (2019): UNFPA-Supported Women Shelters - Offering Women a Second Chance, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/resource-pdf/Women%20shelters%3B%20Giving%20survivors%20a%20second%20chance.pdf, Zugriff 3.3.2021

             UNFPA - United Nations Population Fund (20.2.2019): The First Lady of Iraq and the UN SRSG visit the UNFPA-Supported Women Shelter in Baghdad, https://iraq.unfpa.org/en/news/first-lady-iraq-and-un-srsg-visit-unfpa-supported-women-shelter-baghdad, Zugriff 3.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 2.2.2021

Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya)

Letzte Änderung: 13.09.2021

Zwangs- und Kinderehen sind weit verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit Vertreibung und Armut (FH 3.3.2021; vergleiche AA 14.10.2020). Traditionelle Formen von arrangierten, frühen und erzwungenen Ehen sind besonders unter der überwiegend ungebildeten ländlichen und der Stammesbevölkerung vertreten (UK Home Office 3.2021). Fast jede vierte irakische Frau im Alter von 20 bis 24 Jahren war bereits mit 18 Jahren verheiratet (FH 3.3.2021). Rund 20% der Frauen werden als Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 bis 14 Jahren (AA 14.10.2020).

Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte Ehen auf Zeit (zawaj al-mut‘a) finden im ganzen Land statt (USDOS 30.3.2021). Zwangs-Kinderehen werden als passive Bewältigungsmechanismen für vertriebene, in Armut lebende Familien mit nachteiligen Lebensumständen eingesetzt (EMHRM 6.2021).

Ehen auf Zeit oder sogenannte Vergnügungs-Ehen sind ein Problem im Irak (StC 25.6.2021). Ehe auf Zeit ist eine im zwölferschiitischen Islam erlaubte Möglichkeit auf religiös gebilligten Geschlechtsverkehr. Im sunnitischen Islam sind diese Ehen nicht erlaubt, auch wenn manche sunnitische Geistliche eine ähnliche Form der Ehe auf Zeit, misyar, gestatten (BBC 4.10.2019). Dabei werden junge Mädchen und Frauen für kurze Zeit mit älteren Männern verheiratet (StC 25.6.2021). Zwangsehen und Ehen auf Zeit werden benutzt, um Frauen und Mädchen innerhalb des Irak zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu verkaufen (OHCHR 11.11.2019; vergleiche USDOS 30.3.2021 ). Dabei zahlt ein Mann der Familie der Betroffenen eine Mitgift für die Erlaubnis sie für einen bestimmten Zeitraum zu heiraten. Besonders junge Frauen, die durch den Konflikt mit dem sog. IS verwitwet oder verwaist sind, werden für diese Art der Ausbeutung als anfällig angesehen (USDOS 30.3.2021). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass Mädchen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen, oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Mädchen (AA 22.1.2021).

Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (USDOS 30.3.2021; vergleiche Musawah 11.2019). Dies geschieht ohne die Zustimmung der betreffenden Frauen (Musawah 11.2019). Ende der 1950er Jahre wurde die Blutgeld-Ehe gesetzlich verboten (Al-Monitor 18.6.2015). Es kommt jedoch nach wie vor zu Blutehen zur Beilegung von Stammeskonflikten (UK Home Office 3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). Diese Tradition wird besonders in Gebieten fortgesetzt, in denen der Einfluss der Stämme größer als der staatlicher Institutionen ist. Großayatollah as-Sistani fordert ein Ende dieser Praxis (USDOS 30.3.2021).

Im Jahr 2011 hat das kurdische Regionalparlament mit Gesetzt Nr. 8 ein Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt erlassen, das auch die Zwangsehe, die Kinderehe und die Blutgeld-Ehe unter Strafe stellt (PKI 21.6.2011). Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung mit elterlicher Erlaubnis beträgt in der Kurdischen Region im Irak (KRI) 16 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (USDOS 30.3.2021).

Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der kurdischen Regionalregierung (KRG) tragen Flüchtlinge und IDPs in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei. Die Kurdische Regionalregierung hat die Polizei und Beamte des Büros zur Bekämpfung häuslicher Gewalt beauftragt, Eltern davon abzuhalten, ihre Kinder zwangszuverheiraten und führt Aufklärungskampagnen zur Bekämpfung sexueller Gewalt durch (USDOS 30.3.2021). Der kurdische Hohen Rat für Frauenangelegenheiten hat mit Unterstützung von UNFPA einen Plan zur Verringerung der Kinderheirat entwickelt, der sich auf Aufklärung konzentriert (StC 25.6.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.pdf, Zugriff 3.3.2021

             Al-Monitor (18.6.2015): Blood money marriage makes comeback in Iraq, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/06/iraq-tribes-women-blood-money-marriage-dispute-settlement.html, Zugriff 3.3.2021

             BBC News (4.10.2019): The teenager married too many times to count, https://www.bbc.co.uk/news/extra/iuKTEGjKgS/teenage_iraq_brides, Zugriff 3.3.2021

             EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (6.2021): Exiled At Home: Internal displacement resulted from the armed conflict in Iraq and its humanitarian consequences, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IraqReportEN.pdf, Zugriff 1.7.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             Musawah, publiziert durch CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (11.2019): Thematic Report on Article 16, Muslim Family Law and Muslim Women's Rights in Iraq; 74th CEDAW Session, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37333_E.docx, Zugriff 1.4.2021

             OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.11.2019): UN women’s rights experts issue findings on Andorra, Bosnia and Herzegovina, Cambodia, Iraq, Kazakhstan, Lithuania, and Seychelles, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25277&LangID=E, Zugriff 1.4.2021

             PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq [Irak] (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 1.4.2021

             StC - Save the Children (25.6.2021): Married by exception: Child marriage policies in the Middle East and North Africa, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/married_by_exception.pdf, Zugriff 28.6.2021

             UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Ehrenverbrechen an Frauen

Letzte Änderung: 13.09.2021

Die Familien- und die individuelle Ehre wird ausschließlich von Männern gehalten und kann verloren oder wiedergewonnen werden. Frauen dagegen können nur eine Quelle der Familien- oder individuellen „Schande“ sein, und können nicht aktiv Ehre in ihre Familie oder ihren Stamm bringen (TCF 7.11.2019).

Als Ehrenverbrechen werden Praktiken beschrieben, die zur Verhaltenskontrolle innerhalb von Familien oder sozialen Gruppen eingesetzt werden, um wahrgenommene kulturelle und religiöse Überzeugungen und/oder die Ehre zu schützen. Ehrenverbrechen können auftreten, wenn die Täter der Meinung sind, dass ein Verwandter die Familie und/oder die Gemeinschaft beschämt hat, indem er ihren Ehrenkodex gebrochen hat (CPS o.D.). Sogenannte Ehrenverbrechen sind Gewalttaten, die von Familienmitgliedern gegen Verwandte ausgeübt werden, weil diese „Schande“ über die Familie oder den Stamm gebracht haben. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. „Entehrung“. Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können. Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen (MRG 11.2015).

Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 11.3.2020; vergleiche EASO 1.2021, AA 22.1.2021). Ehrenverbrechen kommen in allen Teilen des Landes vor und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen (EASO 1.2021). Das Ausmaß der Ehrenmorde ist aufgrund einer hohen Dunkelziffer nicht bekannt (UK Home Office 3.2021). UNAMI berichtete 2018, dass jedes Jahr mehrere hundert Frauen durch Ehrenmorde sterben. Einige Familien sollen Ehrenmorde so arrangiert haben, dass sie wie Selbstmord aussehen (UK Home Office 3.2021, vergleiche USDOS 30.3.2021). Obwohl einige Gemeinschaften Dekrete erlassen und Schritte unternommen haben, um Frauen von der vermeintlichen Schuld freizusprechen, die mit ihrer sexuellen Ausbeutung durch IS-Kämpfer verbunden ist, bleiben Ehrenmorde ein Risiko (USDOS 30.3.2021).

Das Strafgesetzbuch des Irak sieht für Gewalttaten aus „ehrenhaften Motiven“, inklusive Ehrenmorde, milde, reduzierte Strafen vor (FH 3.3.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, StC 25.6.2021, AA 22.1.2021). In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht zudem den Grund der „Ehre“ als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis (USDOS 30.3.2021). Strafen für Ehrenverbrechen sind selten (FH 3.3.2021; vergleiche EASO 1.2021).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) wurden "Ehrenmorde" durch eine Abänderung des irakischen Strafrechts im Jahr 2015 anderen Morden strafrechtlich gleichgestellt. In einigen gesellschaftlichen Gruppen gilt der "Ehrenmord" aber immer noch als rechtfertigbar (AA 22.1.2021). Die Generaldirektion für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen des Innenministeriums der Kurdischen Regionalregierung (KRG) hat unter 26 weiblichen Mordopfern in der Kurdischen Region im Irak (KRI) bis September 2020 drei Fälle von Ehrenmord bestätigt. Eine Quelle der Vereinten Nationen vermutet, dass die tatsächliche Anzahl jedoch höher sei (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             CPS - The Crown Prosecution Service [UK] (o.D.): Honour Based Violence and Forced Marriage, https://www.cps.gov.uk/publication/honour-based-violence-and-forced-marriage, Zugriff 1.4.2021

             EASO – European Asylum Support Office (1.2021): Country Guidance: Iraq; Common analysis and guidance note, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             MADRE, The Organization of Women’s Freedom in Iraq (OWFI), Human RightsandGender Justice Clinic (HRGJ) (2020): Seeking Accountability for Gender Based Violence and Human Rights Violations In Iraq, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CAT/Shared%20Documents/IRQ/INT_CAT_ICO_IRQ_42514_E.pdf, Zugriff 1.4.2021

             MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 1.4.2021

             StC - Save the Children (25.6.2021): Married by exception: Child marriage policies in the Middle East and North Africa, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/married_by_exception.pdf, Zugriff 28.6.2021

             TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 2.2.2021

             UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UNHRC - UN Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://www.refworld.org/docid/5b7ad39d4.html, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation)

Letzte Änderung: 13.09.2021

Das Thema der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen im Irak war lange Zeit ein Tabu, über das kaum gesprochen wurde (UK Home Office 2.2020; vergleiche MRG 11.2015). Erst als durch Studien die alarmierend hohe FGM-Rate im kurdischen Norden aufgezeigt wurde, hat sich dies geändert (MRG 11.2015). Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Kurdischen Region im Irak (KRI) die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 22.1.2021; vergleiche PKI 21.6.2011). Die UNO arbeitet mit Regierungsinstitutionen und lokalen NGOs zusammen, um FGM durch Sensibilisierungskampagnen zu verhindern (UNICEF 6.2.2019). NGOs berichten jedoch, dass die Praxis weiter betrieben wird, vor allem in ländlichen Gebieten, insbesondere in den KRI-Gouvernments Erbil und Sulaymaniyah, sowie in Kirkuk (USDOS 30.3.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020). Eine Umfrage aus dem Jahr 2016 ergab, dass fast 45% der befragten Frauen in der KRI FGM ausgesetzt waren, (DFAT 17.8.2020). In Erbil waren 2018 etwa 50,1% der Frauen vom FGM betroffen, in Sulaymaniyah waren es 45,1%. In Dohuk hingegen nur etwa 3,1% (UNICEF 6.12.2018; vergleiche BMC 1.4.2021). Auch unter IDPs wird FGM noch praktiziert (DFAT 17.8.2020). Allerdings geht die FGM-Rate kontinuierlich zurück (USDOS 30.3.2021; vergleiche BMC 1.4.2021). Außerhalb der KRI ist FGM nicht üblich (USDOS 30.3.2021).

Einer Untersuchung aus 2018 zufolge wurden etwa 7,4% der irakischen Frauen im Alter von 15-49 Jahren einer FGM unterzogen. In der KRI waren es 37,5%, im Zentral- und Südirak hingegen nur 0,4%. Bei Mädchen im Alter von 0 bis 14 Jahren ist der Prozentsatz mittlerweile auf 1% gesunken, bzw. auf 3% in der KRI (UNICEF 6.12.2018).

Außerhalb der KRI gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von FGM. Dabei gibt es laut einer Studie in Kirkuk auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung, wenn auch in geringerem Ausmaß (AA 22.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             BMC Women's Health (1.4.2021): Changes in the prevalence and trends of female genital mutilation in Iraqi Kurdistan Region between 2011 and 2018, https://bmcwomenshealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12905-021-01282-9, Zugriff 10.4.2021

             DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021

             MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 1.4.2021

             PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq [Irak] (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UK Home Office [UK] (2.2020): Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025236/Iraq_-_Blood_Feuds_-_CPIN_v2.0_-_Feb_2020_-_EXT__004_.pdf, Zugriff 1.4.2021

             UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2.2019): Protecting Girls in Iraq from Female Genital Mutilation, https://www.unicef.org/iraq/press-releases/protecting-girls-iraq-female-genital-mutilation, Zugriff 1.4.2021

             UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.12.2018): 2018 Muliple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Letzte Änderung: 15.10.2021

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 3.3.2021). Personen, die als nicht konform mit den lokalen sozialen und kulturellen Normen angesehen werden, weil sie ein "westliches" Verhalten an den Tag legen, sind Drohungen und Angriffen von Einzelpersonen aus der Gesellschaft sowie von Milizen ausgesetzt. Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben es auf Personen abgesehen, die Anzeichen für eine Abweichung von ihrer Auslegung der schiitischen Normen zeigen, manchmal mit Unterstützung der schiitischen Gemeinschaft (EASO 1.2021). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 22.1.2021). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 12.5.2021; vergleiche DFAT 17.8.2020). Nicht-schiitische Muslime und nicht-muslimische Frauen berichten, dass sie sich gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bspw. während des heiligen Monats Muharram, insbesondere während Ashura, den Hijab und schwarze Kleidung zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden (DFAT 17.8.2020). Im Jahr 2018 gab es einige Morde an Frauen aus der Schönheits- und Modebranche, die in der Öffentlichkeit standen. Die Angreifer blieben unbekannt, aber die Regierung machte extremistische Gruppen für die Morde verantwortlich (FH 3.3.2021).

Für Frauen außerhalb des Hauses zu arbeiten, wird in weiten Teilen der Gesellschaft als inakzeptabel angesehen. Berufe, wie die Arbeit in Geschäften, Restaurants oder in den Medien, wurden als etwas Schändliches angesehen. Gleiches gilt für die Teilnahme an lokaler und nationaler Politik (IWPR 8.3.2021).

Weibliche Aktivisten, die an den Protesten teilnahmen, wurden in politischen Kampagnen als promiskuitiv verunglimpft (ICG 26.7.2021). Entsprechend sprach sich as-Sadr im Februar 2020 für eine Geschlechtertrennung auf den öffentlichen Plätzen aus (ICG 26.7.2021; vergleiche AIIA 1.4.2020). Im Zuge des darauffolgenden Frauenmarsches am 13.2.2020 wurden weibliche Demonstranten mit Tränengas angegriffen, bedroht, attackiert, entführt und in einigen Fällen getötet (AIIA 1.4.2020). Im August 2020 verübten Unbekannte eine Reihe von Attentaten auf regierungskritische Demonstranten. Die gewalttätigsten Angriffe ereigneten sich im Gouvernement Basra und führten zur Tötung von drei Aktivisten und zwei Zivilisten (MEMO 17.9.2020).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             AIIA - Australian Institute of International Affairs (1.4.2020): The Pink and Purple Protest: Iraqi Women Invert the Gender Game, https://www.internationalaffairs.org.au/australianoutlook/the-pink-and-purple-protest-iraqi-women-invert-the-gender-game/, Zugriff 15.5.2021

             DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf, Zugriff 3.3.2021

             EASO – European Asylum Support Office (1.2021): Country Guidance: Iraq; Common analysis and guidance note, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             ICG - International Crisis Group (26.7.2021): Iraq’s Tishreen Uprising: From Barricades to Ballot Box, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056850/223-iraq-tishreen.pdf, Zugriff 2.8.2021

             IWPR - Institute for War & Peace Reporting (8.3.2021): Iraq: Justice for Survivors as Activists Overturn Taboos, https://iwpr.net/global-voices/iraq-justice-survivors-activists-overturn-taboos, Zugriff 15.5.2021

             MEMO - Middle East Monitor (17.9.2020): Iraq: Female activist and family slaughtered in Baghdad, https://www.middleeastmonitor.com/20200917-iraq-female-activist-and-family-slaughtered-in-baghdad/, Zugriff 15.5.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

Kinder

Letzte Änderung: 15.10.2021

Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 22.1.2021). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 13.1.2021).

Kinder sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 22.1.2021). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 30.3.2021).

Vor der COVID-19-Krise lebte laut UNICEF eines von fünf Kindern in Armut. Über 1,16 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren waren unterernährt (AA 22.1.2021). Ende 2020 lag die Zahl der Kinder im Irak, die humanitäre Hilfe benötigen, bei 1,89 Million (UNICEF 20.1.2021).

Nach dem Gesetz ist der Vater der Vormund seiner Kinder, aber auch einer geschiedenen Mutter kann das Sorgerecht für ihre Kinder bis zum Alter von zehn Jahren zugesprochen werden, verlängerbar durch ein Gericht bis zum Alter von 15 Jahren, wobei die Kinder zu diesem Zeitpunkt wählen können, bei welchem Elternteil sie leben möchten (USDOS 30.3.2021). Das irakische Familienrecht unterscheidet zwischen zwei Arten der Vormundschaft (wilaya und wasiya), sowie der Pflege bzw. Sorge (hanada). Dem Vater kommt immer die Vormundschaft (wilaya) zu. Wenn dieser nicht mehr lebt, dem Großvater bzw. nach Entscheidung eines Shari‘a-Gerichts einem anderen männlichen Verwandten. Nur ein Mann kann demnach wali sein. Die Fürsorgeberechtigung (hanada), d.h. die Verantwortung für die Erziehung, Sicherheit und Betreuung eines Kindes, kommt im Falle einer Scheidung der Mutter zu. D.h. die Kinder leben bei der Mutter, im Falle von Knaben bis zum 13. Lebensjahr und im Falle von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr (Migrationsverket 15.8.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des sog. Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 45.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 30.3.2021).

Gewalt gegen Kinder/Minderjährige

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem (USDOS 30.3.2021). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland (USDOS 1.7.2021). Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln (USDOS 1.7.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Sie werden auch gezwungen Drogen zu verkaufen (USDOS 1.7.2021). Ebenso ist Kinderprostitution ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Aufgrund der Strafmündigkeit ab einem Alter von neun Jahren im Irak, bzw. elf Jahren in der KRI, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 30.3.2021).

Kinderarbeit

Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 30.3.2021; vergleiche AA 21.1.2021). In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Arbeitsgesetz begrenzt für Personen unter 18 Jahren die tägliche Arbeitszeit auf sieben Stunden und verbietet Arbeiten, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral schaden können. Dieses Gesetz gilt jedoch nicht für Jugendliche, die in Familienbetrieben arbeiten, die ausschließlich Waren für den Hausgebrauch herstellen. Es gibt daher Berichte über Kinder, die in Familienbetrieben gefährliche Arbeiten verrichten. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, wie erzwungenes Betteln und kommerzielle sexuelle Ausbeutung, manchmal als Folge von Menschenhandel, kommt im ganzen Land vor (USDOS 30.3.2021). Trotz des Verbotes der Kinderarbeit arbeiten etwa 500.000 Kinder vorrangig in der Landwirtschaft oder im Straßenverkauf. Armut begünstigt Kindesentführungen und Kinderhandel (AA 21.1.2021).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales der Kurdischen Regionalregierung (KRG) schätzt, dass mehrere hundert Kinder in der KRI arbeiten, oft als Straßenverkäufer oder Bettler, was sie besonders gefährdet. Das Ministerium betrieb eine 24-Stunden-Hotline zur Meldung von Arbeitsmissbrauch, einschließlich Kinderarbeit, bei der monatlich etwa 200 Anrufe eingingen (USDOS 30.3.2021).

Strafverfolgung von Kindern/Minderjährigen

Die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung beträgt neun Jahre und elf Jahre in der Kurdischen Region im Irak (KRI) (USDOS 30.3.2021; vergleiche HRW 13.1.2021).

Laut Berichten der Vereinten Nationen sind zahlreiche Jugendliche wegen Terrorismusvorwürfen angeklagt oder verurteilt (AA 21.1.2021; vergleiche HRW 13.1.2021). Bei einigen von ihnen handelt es sich um ehemalige Opfer von Zwangsrekrutierungen (USDOS 1.7.2021). Es mangelt nach wie vor an Jugendstrafanstalten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) berichtet jedoch, dass jugendliche Häftlinge mittlerweile vorwiegend von erwachsenen Straftätern getrennt inhaftiert werden (AA 21.1.2021). Einem Bericht des IHRCKR zufolge sind außerdem bspw. über 50 Minderjährige gemeinsam mit ihren Müttern in der Erziehungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil untergebracht (USDOS 30.3.2021),

Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern/Minderjährigen

Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden (USDOS 30.3.2021).

Rekrutierung von Kindern ist ein Problem (FH 3.3.2021). Kinder sind nach wie vor anfällig für Zwangsrekrutierung und den Einsatz durch diverse bewaffnete Gruppen, die im Irak operieren. Dazu zählen der sog. Islamische Staat (IS), Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Stammesmilizen, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und andere vom Iran unterstützte Milizen (USDOS 1.7.2021).

Es gibt Berichte, wonach der sog. IS in den vergangenen Jahren Kinder als Soldaten eingesetzt hat (AA 21.1.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), ebenso als menschliche Schutzschilde, Informanten, Bombenbauer, Henker und Selbstmordattentäter (USDOS 1.7.2021). Unter anderem aufgrund der territorialen Niederlage des sog. IS liegen für das Jahr 2020 nur wenige Informationen über den Einsatz von Kindern durch den IS vor (USDOS 30.3.2021).

Mehrere Quellen berichten, dass die PKK und die Volksschutzeinheiten (YPG), die in der Kurdischen Region im Irak (KRI) und in Sinjar, Ninewa operieren, weiterhin Kinder rekrutieren und einsetzen. Im Jahr 2021 berichtete eine nicht verifizierte Quelle, dass die PKK Dutzende von Kindern rekrutiert habe, um sie auf den Kampf vorzubereiten, darunter auch Kinder aus Kirkuk (USDOS 1.7.2021).

Laut den Vereinten Nationen wurden im Jahr 2020 keine neuen Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Kindern durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) dokumentiert (USDOS 30.3.2021).

[Anm.: Informationen zu Kinderehen können dem Kapitel Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya) entnommen werden, Informationen zu Kindern, die unter dem IS geboren sind finden sich in Kapitel (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und IS-Familien (Dawa‘esh).]

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             Migrationsverket [Schweden] (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf, Zugriff 25.8.2021

             UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization (20.1.2021): Iraq Humanitarian Situation Report (IDP Crisis): End-Year 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNICEF%20Iraq%20Humanitarian%20Situation%20Report%20%28IDP%20Crisis%29%20-%20End-Year%202020.pdf, Zugriff 25.8.2021

             UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization, Kurdistan Region Statistical Office (2.2019): 2018 Multiple Indicator Cluster Survey, Survey Findings Report, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/English_7.pdf, Zugriff 5.8.2021

             USDOS – US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055124.html , Zugriff 25.8.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Bildungszugang

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die irakischen Bildungseinrichtungen unterstehen dem Bildungsministerium in Bagdad, welches durch Direktorate in allen Gouvernements vertreten ist (GIZ 1.2021c). Die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten (USDOS 30.3.2021). Es existieren vier Schulstufen: Die nicht verpflichtende Vorschule, die verpflichtende Grundschule (Alter 6-11 Jahre), die Sekundarausbildung und die Hochschulausbildung (GIZ 1.2021c).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist ein eigenes, der Kurdischen Regionalregierung (KRG) unterstehendes Bildungsministerium zuständig. Der Lehrplan in der KRI ähnelt dem zentralirakischen Lehrplan weitgehend, es wird jedoch großteils auf Kurdisch gelehrt (GIZ 1.2021c). Schulpflicht besteht hier bis zum Alter von 15 Jahren. Auch sie ist kostenlos (USDOS 30.3.2021). Neben den staatlichen Schulen gibt es auch private, meist mit ausländischer Beteiligung aufgebaute Schulen (GIZ 1.2021c).

Eine flächendeckende Sicherung der Grundbildung konnte nicht gewährleistet werden (GIZ 1.2021c). Die Sicherheitslage, das Einquartieren von Binnenvertriebenen in Schulgebäuden und eine große Zahl zerstörter Schulen verhinderten und verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate seit 2003 drastisch gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten. Nach Angaben von UNESCO auf 85,6%, laut dem irakischen Planungsministerium auf 87%. Zum Unterschied dazu sind in der Kurdischen Region im Irak (KRI) fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. Laut UNESCO waren 2017 79,9% der Frauen und 91,2% der Männer über 15 Jahre des Lesens und Schreibens mächtig. Nach Angaben des Planungsministeriums von Januar 2020 liegt die Alphabetisierungsrate von Frauen bei 83% im Vergleich zu 92% bei den Männern (AA 22.1.2021).

Laut Schätzungen sind etwa 22% der Erwachsenen nie zur Schule gegangen. Während mehr als 90% der Kinder eine Grundschule besuchen, fällt die Schülerzahl in der Altersklasse 15-17 unter die Hälfte (GIZ 1.2021c). Ein gleichberechtigter Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 30.3.2021). Es gibt eine Benachteiligung von Mädchen im Bildungssystem, die nach wie vor einen schlechteren Zugang zu Bildung haben. So sind Mädchen im Alter ab zwölf Jahren doppelt so stark von Analphabetismus betroffen wie Buben (GIZ 1.2021c). Auf dem Land fällt die Einschulungsrate von Mädchen (77%) weit niedriger aus als die von Buben (90%). Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c; vergleiche UN OCHA 2019).

Eine 2018 durchgeführte Umfrage zur Situation von Kindern im Irak hat ergeben, dass 91,6% der Kinder im Irak in der Grundschule eingeschrieben sind (92,7% der Buben, 90,4% der Mädchen). Im Zentralirak sind dies 90,8% (92,2% der Buben, 89,3% der Mädchen), in der KRI sind es 96% (95,8% der Buben, 96,2% der Mädchen). Der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten, die eine Grundschule besuchen, ist dabei mit 93% höher als jener in ruralen Gebieten mit 88,6%. Entsprechend sinkt auch der Anteil der Buben von 93,8% auf 90,5% und der der Mädchen von 92,2% auf 86,7%. Der Anteil der Kinder, die die untere Sekundarstufe (Unterstufe) besuchen liegt bei 57,5%, wobei der Anteil von Buben und Mädchen gleich ist. Im Zentralirak sind dies 55,6% (56,5% der Buben, 54,7% der Mädchen), in der KRI sind es 67,1% (63,1% der Buben, 70,6% der Mädchen). Auch hier ist der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten mit 64,5% (63,7% der Buben, 65,2% der Mädchen) höher als der in ruralen Gebieten mit 43,8% (45,2% der Buben, 42,4% der Mädchen). Der Anteil der Kinder, die die obere Sekundarstufe (Oberstufe) besuchen, liegt bei 24,2% (31% der Buben, 35,3% der Mädchen. Im Zentralirak sind dies 28,8 (28,0% der Buben, 29,7% der Mädchen), in der KRI sind es 52% (44,4% der Buben, 60,7% der Mädchen). Auch hier ist der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten mit 37% (34,4% der Buben, 39,6% der Mädchen) höher als der in ruralen Gebieten mit 24,9% (24,1% der Buben, 25,7% der Mädchen) (UNICEF 2.2019). Aktuelle, verlässliche Statistiken über Einschreibungen, Anwesenheit oder Abschlüsse sind nicht verfügbar (USDOS 30.3.2021).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie waren die Schulen in den von Bagdad kontrollierten Gebieten von März bis November 2020 geschlossen, in der KRI von März 2020 bis zum Ende des Schuljahres (HRW 13.1.2021). Schulen wurden vom irakischen Bildungsministerium angewiesen, den Lehrbetrieb aus der Ferne fortzusetzen, einschließlich der Ablegung von Prüfungen. In den Abschlussjahrgängen müssen die Schüler ihre Prüfungen jedoch in Anwesenheit ablegen. Einige Schulen haben hybride Unterrichtsmodelle eingerichtet, bei denen die Schüler an 2-3 Tagen pro Woche den Unterricht in Anwesenheit besuchen konnten. Ab Mai 2021 wurden jedoch alle Schulen wieder auf Fernstudien umgestellt (IOM 18.6.2021). Familien, die durch den IS-Konflikt vertrieben wurden, sind am meisten durch die Schulschließungen betroffen, da die meisten von ihnen keinen Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten haben (HRW 13.1.2021). Ebenso stehen Familien mit geringem Einkommen oder aus entlegenen Gebieten hinsichtlich eines Fernstudiums vor einem Hindernis, aufgrund der Erfordernis an eine stabile Internetleitung und an ein adäquates Equipment zu kommen (IOM 18.6.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021

             UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization (20.1.2021): Iraq Humanitarian Situation Report (IDP Crisis): End-Year 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNICEF%20Iraq%20Humanitarian%20Situation%20Report%20%28IDP%20Crisis%29%20-%20End-Year%202020.pdf, Zugriff 25.8.2021

             UNICEF - UN Children's Fund, Central Statistical Organization, Kurdistan Region Statistical Office (2.2019): 2018 Multiple Indicator Cluster Survey, Survey Findings Report, https://mics.unicef.org/files?job=W1siZiIsIjIwMTkvMDMvMDEvMTkvMjMvMTgvNTg5L0VuZ2xpc2gucGRmIl1d&sha=aea1de7cc6f6ec09, Zugriff 5.8.2021

             UN OCHA (2019): Iraq - Education Cluster Strategy, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/1_Education-Cluster-Strategy-Iraq-2019-2019_02_10.pdf, Zugriff 16.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 30.3.2021).

In vielen Teilen des Landes, die von der IS-Kontrolle befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 30.3.2021). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der sog. Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vergleiche Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des sog. IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vergleiche K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdischen Region im Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 3.3.2021).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 22.1.2021).

Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 16.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             FIS - Finnish Migrations Service [Finnland] (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             K24 - Kurdistan 24 (31.1.2020): ISIS kidnaps 7 civilians at fake checkpoint in Kurdistan’s Garmiyan region, https://www.kurdistan24.net/en/story/21800-ISIS-kidnaps-7-civilians-at-fake-checkpoint-in-Kurdistan%E2%80%99s-Garmiyan-region, Zugriff 16.3.2021

             K24 - Kurdistan 24 (2.2.2020): ISIS abducts two brothers at fake checkpoint in Garmiyan, https://www.kurdistan24.net/en/story/21816-ISIS-abducts-two-brothers-at-fake-checkpoint-in-Garmiyan, Zugriff 16.3.2021

             NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, römisch eins Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html, Zugriff 13.3.2020

             Rudaw (1.2.2020): ISIS kidnaps 9 civilians in two nights in disputed areas of Diyala, Saladin provinces, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/010220201, Zugriff 16.3.2021

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf, Zugriff 1.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             Zeidel, Ronan/ al-Hashimis, Hisham in: Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/26681907, Zugriff 3.3.2021

Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung

Letzte Änderung: 14.09.2021

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 22.1.2021).

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadissiyah und Wassit. Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Maysan und Muthanna wurden 2020 aufgehoben (UNHCR 11.1.2021). Lokale PMF-Gruppen verhinderten in gewissen Gebieten die Rückkehr von Binnenvertriebenen, beispielsweise nach Salah ad-Din oder von Christen in mehrere Städte in der Ninewa-Ebene, darunter Bartalla und Qaraqosh (USDOS 30.3.2021).

Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom sog. IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar Anmerkung, etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Ausnahmen stellen der nördliche Bezirks Muqdadiyah, der Unterbezirk Saadiyah im Bezirk Khanaqin, sowie der Norden des Unterbezriks Al-Udhim im Bezirk Khalis dar, in denen Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS) und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf, Zugriff 1.3.2021

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 15.10.2021

Mit Dezember 2020 waren etwa 4,7 Millionen Iraker, die durch den Krieg gegen den sog. Islamischen Staat (IS) ab 2014 vertrieben wurden, in ihre Heimatregionen zurückgekehrt (FH 3.3.2021). Rund 1,2 Millionen Menschen waren Anfang 2021 weiterhin intern vertrieben (FH 3.3.2021; vergleiche IDMC 5.2021). Mit Stand April 2021 waren noch rund 1,19 Millionen Personen IDPs, während 4,87 Millionen Personen Rückkehrer waren (IOM 18.5.2021). Etwa 700.000 IDPs halten sich in der Kurdischen Region im Irak (KRI) auf (USDOS 12.5.2021).

Etwa 40% der IDPs im ganzen Land sind sunnitische Araber, 30% Jesiden, 13% Kurden (verschiedener Religionszugehörigkeiten) und 7% Christen. Andere religiöse Minderheiten machen die restlichen 10% aus (USDOS 12.5.2021). Die KRI beherbergt einen großen Anteil von Christen, Jesiden, Shabak, Kaka'i und andere ethno-konfessionelle Gruppen aus der Ninewa Ebene. Trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Lage und der Sicherheitsprobleme in der Region berichteten KRG-Beamte, dass sie die Wahrung der Rechte dieser Minderheiten als oberste Priorität ansehen (USDOS 30.3.2021).

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen von IDPs und Rückkehrern im Irak von April 2014 bis April 2021.

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(IOM 18.5.2021)

Die meisten IDPs befinden sich in Ninewa, Dohuk und Erbil (IOM 18.5.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). 57% der IDPs stammen aus dem Gouvernement Ninewa (678.512), insbesondere aus den Distrikten Mossul (251.691), Sinjar (198.852) und Al-Ba'aj (91.723). Die nächstgrößeren IDP-Kontingente kommen aus Salah ad-Din (141.628), Anbar (134.965), Kirkuk (77.530) und Diyala (72.102) (IOM 18.5.2021). Hunderttausende Iraker, die vom sog. IS vertrieben wurden, können nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 3.3.2021). Etwa 76% der IDPs leben in privaten Unterkünften (909.870), 15% in Lagern (183.680) und 9% (104.622) in Notunterkünften (IOM 18.5.2021), darunter unsichere und verlassene Gebäude, religiöse Gebäude und Schulen (USDOS 30.3.2021). Die meisten Personen, die in Notunterkünften wohnen, leben in Dohuk (26.052), Anbar (20.514), Ninewa (19.632) und Salah ad-Din (16.998) (IOM 18.5.2021).

Die erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen an Orte, an denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind, sowie Androhung von Gewalt gegen Binnenvertriebene und Rückkehrer, von denen angenommen wurde, dass sie mit dem sog. IS in Verbindung stehen, zählen zu wichtigen Menschenrechtsproblemen im Irak (USDOS 30.3.2021). Sowohl erzwungene Rückkehr als auch das Verhindern einer Rückkehr dauerten im Jahr 2020 an (GIZ 1.2021c; vergleiche Rudaw 11.9.2020). Personen aus vormals vom sog. IS kontrollierten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten werden in vielen Gebieten wegen mutmaßlicher Nähe zum IS und aus ethno-konfessionellen Gründen von lokalen Behörden oder anderen Akteuren, wie den Volksmobilisierungskräften (PMF), unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatregionen zurückzukehren (UNHCR 11.1.2021). Andererseits erkennen lokale Behörden Sicherheitsgenehmigungen von Rückkehrern nicht immer an oder halten sich nicht an die Anweisungen der Zentralregierung, die Rückkehr zu erleichtern (USDOS 30.3.2021).

Im März 2021 verabschiedete die irakische Regierung einen Nationalen Plan zur Bekämpfung der Vertreibung im Irak, der von den Ministerien für Planung und für Migration und Vertreibung ausgearbeitet wurde. Trotz des erklärten Ziels der Regierung, IDPs in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, verhindern administrative Hürden, dass Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit Dokumente erhalten, darunter Personalausweise, Geburtsurkunden und Lebensmittelkarten. Dies blockiert sowohl ihre sichere Rückkehr als auch den Zugang zu Sozialleistungen und staatlichen Dienstleistungen (HRW 3.6.2021). Insgesamt 58.000 Personen waren bereits mindestens einmal zuvor durch bewaffnete Konflikte und Gewalt vertrieben worden (IDMC 5.2021).

Berichten zufolge ermutigten kurdische Behörden lokale Kräfte dazu, tausende arabische Familien, die durch den Konflikt mit dem sog. IS vertrieben wurden, daran zu hindern, in ihre Dörfer nahe der syrisch-irakischen Grenze und in den sogenannten umstrittenen Gebieten, die de facto unter der Kontrolle der Kurdischen Regionalregierung (KRG) stehen, zurückzukehren, in einem Versuch, die Demografie der Region zu verändern (FH 3.3.2021).

Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, gewähren IDPs Schutz und andere Hilfe. Humanitäre Akteure unterstützen IDP-Lager und gewähren auch IDPs außerhalb der Lager Dienstleistungen, um die Belastung der Ressourcen der Gastgebergemeinden zu begrenzen. Vertriebene Familien, insbesondere solche mit vermeintlichen Verbindungen zum sog. IS, sind oft nicht in der Lage, wichtige Personenstandsdokumente zu erhalten oder zu ersetzen, ohne die sie nicht arbeiten, zur Schule gehen oder sich frei bewegen können (USDOS 30.3.2021). Die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen unterstützen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei den Behörden, um den Zugang zu Dienstleistungen und Bezugsrechten zu verbessern (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI), Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten. Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren. Nicht alle IDPs können in jedem Gouvernement auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen, insbesondere nicht in den vom IS befreiten Gebieten. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrem eingetragenen Gouvernement einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 30.3.2021).

Familien, die an ihren Herkunftsort zurückkehren, sehen sich mit einem Mangel an Unterkünften sowie an Dienstleistungen und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts konfrontiert (USDOS 30.3.2021). Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 3.3.2021). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 30.3.2021).

Vertriebene Familien mit vermeintlichen Verbindungen zum sog. IS, die sich weiterhin in und außerhalb von Lagern aufhalten, sind besonders anfällig für Übergriffe und sexuellen Missbrauch. Viele können nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil ihre ursprünglichen Gemeinschaften ihre Rückkehr ablehnen oder die irakischen Behörden sie verbieten (FH 3.3.2021). Haushalte mit vermeintlichen Verbindungen zum sog. IS sind stigmatisiert und werden mit einem erhöhten Risiko ihrer Grundrechte beraubt. Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Zivildokumente und die häufig vorenthaltenen Sicherheitsfreigaben schränken ihre Bewegungsfreiheit ein, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, wegen der Gefahr von Verhaftungen und eines Verbots ins Lager zurückzukehren (USDOS 30.3.2021).

Behörden der Zentralregierung und der Gouvernements unternahmen manchmal Maßnahmen zur Schließung oder Konsolidierung von Flüchtlingslagern, um IDPs zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete zu zwingen. So wurde die Anzahl der formellen IDP-Lager zwischen August und September 2019 von 89 auf 77 reduziert (USDOS 11.3.2020). Im Oktober 2020 kündigte der Minister für Vertreibung und Migration einen Drei-Phasen-Plan zur Schließung aller Binnenvertriebenenlager des Landes an und begann sofort mit einer Reihe von plötzlichen Lagerschließungen in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kerbala, Kirkuk und Ninewa. Bis Ende November 2020 hat das Ministerium elf IDP-Lager - acht formelle und drei informelle - im gesamten Irak geschlossen, wovon mehr als 25.000 IDPs betroffen waren. Die Schließungen waren nicht mit den zuständigen lokalen Behörden oder humanitären Akteuren koordiniert und nicht alle betroffenen IDPs waren in der Lage oder bereit, an ihren Herkunftsort zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Diese Schließungen zwangen viele IDPs zur Rückkehr in zerstörte Häuser und Dörfer ohne Grundversorgung (UNHCR 27.5.2021). Während einige IDPs nach den Lagerschließungen in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten, war eine beträchtliche Anzahl von ihnen nicht dazu in der Lage, sondern war mit neuerlicher Vertreibung konfrontiert (UNHCR 11.1.2021). Etwa die Hälfte der betroffenen Personen ist in Gefahr, in eine sekundäre Vertreibung zu geraten (USDOS 30.3.2021). Im Zusammenhang mit den Lagerschließungen Ende 2020 gewährten die Behörden vielen der betroffenen Personen eine Sicherheitsfreigabe und stellten ihnen neue zivile Dokumente aus. Da sie die Familien jedoch in einigen Fällen nur 24 Stunden vorher darüber informierten, dass sie die Lager, in denen sie jahrelang gelebt hatten, verlassen mussten, wurden einige von ihnen faktisch ihres Zugangs zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung beraubt und obdachlos gemacht (HRW 13.1.2021). Von lokalen Gemeinschaften wurde insbesondere die Rückkehr von Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder an einer Rückkehr abgelehnt, was diese zu einer Rückkehr in ihre bisherigen Lager oder andernorts zwang (USDOS 30.3.2021). Eine erzwungene Rückkehr resultiert häufig in neuerlicher Vertreibung (USDOS 11.3.2020).

Ausländische Flüchtlinge

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 30.3.2021). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 240.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten, sowie knapp 50.000 Staatenlose. Ihren Status regelt das Gesetz über politische Flüchtlinge, Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 21.1.2021). Die Regierung arbeitet im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             HRW - Human Rights Watch: Iraq (3.6.2021): Inadequate Plans for Camp Closures, https://www.ecoi.net/en/document/2053207.html, Zugriff 3.6.2021

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 28.1.2021

             IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (5.2021): Iraq; Displacement associated with Conflict and Violence; Figures Analysis – 2020, https://www.internal-displacement.org/sites/default/files/2021-05/figure-analysis-irq.pdf, Zugriff 1.6.2021

             IOM - International Organization for Migration (18.5.2021): Iraq Master List Report 121, March - April 2021, http://iraqdtm.iom.int/images/MasterList/20215184359394_DTM_121_Report_March_April_2021.pdf, Zugriff 1.6.2021

             Rudaw (11.9.2020): Iraq is prompting another wave of displacement with rapid closure of camps: aid group, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/091120203, Zugriff 17.3.2021

             UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (27.5.2021): Returning Iraqis face dire conditions following camp closures, https://www.ecoi.net/en/document/2052458.html, Zugriff 1.6.2021

             UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf, Zugriff 1.3.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html, Zugriff 1.4.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 2.2.2021

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 15.10.2021

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 22.1.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 22.1.2021).

Wirtschaftslage

Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanak 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet seit Jahren rund 90 bis 95% der Staatseinnahmen (AA 22.1.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 22.1.2021).

Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Seit Februar 2021 liegt der Ölpreis wieder über 60 US-Dollar/Barrel (Wing 2.6.2021). Es wird daher erwartet, dass sich die irakische Wirtschaft allmählich erholen wird (WB 5.4.2021).

Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).

Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76% im Jahr 2019 auf 13,74% im Jahr 2020 (TE 2021). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11%, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8%. Unter den IDPs sind fast 24% arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18% im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8% und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29% der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22% und 18% bei Rückkehrern (OCHA 2.2021).

Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vergleiche ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32%. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12% (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20% geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7% (DFAT 17.8.2020).

Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD).

Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30% angestiegen (AA 22.1.2021; vergleiche ILO 2021), Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5% (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14% erwartet (WB 5.4.2021).

Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021).

Nahrungsmittelversorgung

Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50% des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).

Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 21.1.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).

Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der irakischen Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8% gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).

Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 30.3.2021).

Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98% des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80% reduziert (GRI 24.11.2019; vergleiche AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29% bzw. 73% (UNICEF 29.8.2021).

Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021).

Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 22.1.2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 22.1.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 22.1.2021).

Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50%. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem Islamischen Staat (IS) vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vergleiche Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vergleiche BBC 2.7.2021). Nur die Kurdische Region im Irak war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021).

Quellen:

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Grundversorgung und Wirtschaft im Zentral- und Nordirak

Letzte Änderung: 15.10.2021

Salah ad-Din

Salah ad-Din ist eines der Gouvernements, in denen infolge des Konflikts mit dem sog. IS besonders hohe Schäden an der Infrastruktur entstanden sind, darunter in der Landwirtschaft, in der Wasserversorgung, sowie im Sanitär- und Hygienesektor. Der Wiederaufbau ging im Jahr 2019 nur langsam voran (EASO 1.2021).

Die Erwerbsquote in Salah ad-Din ist von 10,8% im Jahr 2016 auf 9,5% im Jahr 2017 gefallen. Auch die Arbeitslosenrate ist gefallen, von 40,8% im Jahr 2016 auf 38,2% im Jahr 2017 (CSO 2018c; vergleiche ACCORD 10.9.2021). Einer Umfrage zufolge gingen 21% der befragten Personen in Salah ad-Din einer formellen Beschäftigung nach, 36% einer informellen und 49% gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22%) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Einer Umfrage im Distrikt Baiji vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittseinkommen für Fachkräfte bei 189 USD und reicht von 68 bis 282 USD (~99.380 bis 412.120 IQD). Für ungelernte Arbeiter liegt das Durchschnittsgehalt bei 115 USD (~168.060 IQD) (IOM 9.2021v).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,27% der Bevölkerung des Gouvernements Salah ad-Din von akuter Armut betroffen und 2,58% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Salah ad-Din als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 1,85% der Bevölkerung Salah ad-Dins (rund 26.200 Personen) sind unzureichende ernährt. Für rund 6,17% (rund 87.100 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Salah ad-Din im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Salah ad-Din bei 63,2% (CSO 2018o).

Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements Salah ad-Din zu einem totalem Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021).

Quellen:

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             ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (28.9.2021): Anfragebeantwortung zum Irak: Kirkuk: Arbeitsmarktlage [a-11674-2], https://www.ecoi.net/en/document/2061064.html, Zugriff 1.10.2021

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             WBG, WFP, FAO, IFAD - World Bank Group (WBG), World Food Programme (WFP), Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), International Fund for Agricultural Development (IFAD) (9.2020): Food Security in Iraq - Impact of COVID-19, with a Special Feature on Digital Innovation, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Iraq%20Food%20Security%20Report%20August%202020%20-%20Arabic.pdf , Zugriff 1.10.2021

             WFP - World Food Programme (9.2021): Hunger Map Live, Iraq https://hungermap.wfp.org/, Zugriff 27.9.2021

             WFP - World Food Programme (1.2021): Iraq - Annual Country Report 2020, Country Strategic Plan 2020 – 2024, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000125441/download/, Zugriff 29.9.2021

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 15.10.2021

Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden (GIZ 1.2021b).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor (IOM 1.4.2019). Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Vor allem in größeren Städten und für spezialisierte Behandlungen kann es zu langen Wartezeiten kommen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hängt stark davon ab, ob die Gesundheitsinfrastruktur seit dem jüngsten bewaffneten Konflikt wiederhergestellt wurde, und ob Ärzte und Krankenschwestern zurückgekehrt sind (IOM 18.6.2021).

Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD Anmerkung, ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 1.2021d). Medizinische Kosten und Gesundheitsleistungen werden im Irak nicht von einer Krankenversicherung übernommen (IOM 18.6.2021).

Es gibt im Irak 1146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1185, die von Ärzten geleitet werden. Des weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.). Im Zuge der COVID-19 Krise hat die Regierung einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst. Daten über konkrete Initiativen und die Wirksamkeit der Maßnahmen sind jedoch nicht verfügbar (IOM 18.6.2021)

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 22.1.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 22.1.2021). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Anfang des Jahres 2020, mit Beginn der COVID-19-Pandemie stellten die medizinischen Fakultäten und Gesundheitseinrichtungen die meisten ihrer zur Verfügung gestellten Dienste ein und verlagerten sich auf die Untersuchung des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und Dienstleistungen wieder auf, mit neuen Regelungen, wie dem Zugang zu Krankenhäusern nur nach Terminvereinbarung, Rotationsschichten des medizinischen Personals, längeren erforderlichen Wartezeiten und strengeren Hygienemaßnahmen. Im Jahr 2021 bieten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor ihre Arbeit beinahe wieder normal an, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wie vom irakischen Gesundheitsministerium (MoH) angewiesen (IOM 18.6.2021).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck. Familien haben nicht im gleichen Maße wie 2019 Zugang zu grundlegenden Diensten, einschließlich Impfungen und Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind. Schätzungsweise 300.000 Kinder laufen Gefahr, nicht geimpft zu werden, was zu Masernausbrüchen oder der Rückkehr von Polio führen könnte (UN OCHA 2021).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich (AA 22.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021b): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021

             IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 15.8.2021

             UN OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2021): Global Humanitarian Overview 2021, Iraq, https://gho.unocha.org/iraq, Zugriff 25.8.2021

             WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 3.3.2021

Rückkehr

Letzte Änderung: 15.10.2021

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 22.1.2021).

Zu den größten Herausforderung für Rückkehrer zählen die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychische und psychologische Probleme, sowie negative Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018).

Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnisch-konfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).

Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38% gestiegen ist (im Vergleich zu 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12% der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71% der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56%. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56% seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2020 hatten 59% der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~267,90 EUR) (im Vergleich zu 55% im Jahr 2019 und 71% im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79%. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenen- und Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92% und 93% der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).

Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).

Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).

In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 22.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

             IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021

             IOM - International Organization for Migration (2021): Home Again? Categorising Obstacles to Returnee Reintegration in Iraq, https://iraq.iom.int/files/IOM%20Iraq%20Home%20Again%2C%20Categorising%20Obstacles%20to%20Returnee%20Reintegration%20in%20Iraq.pdf, Zugriff 13.3.2021

             IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf, Zugriff 21.6.2021

             UNSC - UN Security Council (3.8.2021): Implementation of resolution 2576 (2021); Report of the Secretary-General [S/2021/700], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058500/S_2021_700_E.pdf, Zugriff 15.5.2021

Staatsbürgerschaft und Dokumente

Letzte Änderung: 15.10.2021

Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vergleiche USDOS 30.3.2021). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist per Staatsbürgerschaftsgesetz No.26/2006, Artikel 10 erlaubt (RoI MoFA 2021b).

Für die Ausstellung einer Geburtsurkunde für ein im Ausland geborenes Kind ist eine Registrierung bei der Konsularabteilung einer irakischen Botschaft notwendig. Der Vater der Kindes muss in der Konsularabteilung der Botschaft anwesend sein. Im Fall seines Ablebens ist der Ehevertrag ein erforderliches Dokument, um die Vaterschaft des Kindes zu belegen. Innerhalb von zwei Monaten nach dem Geburtstermin muss eine beglaubigte Geburtsbestätigung von der zuständigen Behörde des Landes, in dem die Geburt erfolgte, vorgelegt werden. Bei Verspätung ist eine Gebühr für die verzögerte Registrierung in Höhe von zehntausend irakischen Dinar [Anm.: 5,69 € (Stand April.2021)] zu bezahlen (RoI MoFA 2021a).

Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Ein Personalausweis wird etwa für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt (USDOS 30.3.2021; vergleiche FIS 17.6.2019). Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt (FIS 17.6.2019). Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen (FIS 17.6.2019). In den seit 2016 ausgestellten Personalausweisen ist die Religionszugehörigkeit des Inhabers nicht mehr vermerkt, obwohl bei der Online-Beantragung immer noch nach dieser Information gefragt wird, und ein Datenchip auf dem Ausweis weiterhin Angaben zur Religion enthält (USDOS 12.5.2021). Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und den erforderlichen Staatsbürgerschaftsnachweis. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).

Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 30.3.2021; vergleiche FH 3.3.2021) noch einen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (USDOS 30.3.2021).

Auch Personen, denen ein Naheverhältnis zum sog. Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wird, in der Regel aufgrund ihres Familiennamens, ihrer Stammeszugehörigkeit oder ihres Herkunftsgebiets, sind von Auswirkungen der Verweigerung eines Passes betroffen (HRW 13.1.2021). Der sog. IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen eigene Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden. Heiratsurkunden, die in den vom sog. IS kontrollierten Gebieten ausgestellt wurden, werden zum Beispiel von der irakischen Regierung nicht anerkannt (CCiC 1.4.2021; vfl. NRC 4.2019). Viele Familien haben ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren oder als sie in den Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) ankamen. Fehlende Sicherheitsfreigaben hindern Familien daran, zivile Dokumente zu erhalten oder zu erneuern. Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Binnenvertriebenenlagern leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind in Umlauf. Zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 22.1.2021).

Quellen:

             AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf, Zugriff 3.3.2021

             CCiC - Center for Civilians in Conflict (1.4.2021): Ignoring Iraq’s Most Vulnerable: The Plight of Displaced Persons, https://civiliansinconflict.org/wp-content/uploads/2021/04/CIVIC_Iraq_Report_Final-Web.pdf, Zugriff 8.6.2021

             FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html, Zugriff 3.3.2021

             FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020

             HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 10.2.2021

             Irakische Nationalversammlung [Irak] (9.9.2015): Iraq: Passports Law (2015), inoffizielle englische Übersetzung, https://www.refworld.org/docid/5c755e247.html, Zugriff 10.2.2021

             Irakische Nationalversammlung [Irak] (7.3.2006): Iraqi Nationality Law, Law 26 of 2006,inoffizielle englische Übersetzung, https://www.refworld.org/docid/4b1e364c2.html, Zugriff 10.2.2021

             Irakische Nationalversammlung [Irak] (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, inoffizielle englische Übersetzung, http://www.refworld.org/topic,50ffbce524d,50ffbce525c,454f50804,0,,LEGISLATION,IRQ.html, Zugriff 10.2.2021

             NRC - Norwegian Refugee Council [Norwegen] (4.2019): Barriers from birth: Undocumented children in Iraq sentenced to a life on the margins, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/barriers-from-birth---report.pdf, 1.4.2021

             RoI MoFA - Republic of Iraq, Ministry of Foreign Affairs [Irak] (2021a): Birth Certificate, https://www.mofa.gov.iq/birth-certificate, Zugriff 3.3.2021

             RoI MoFA - Republic of Iraq, Ministry of Foreign Affairs [Irak] (2021b): Passport Issuance, https://www.mofa.gov.iq/passport-issuance, Zugriff 8.6.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html, Zugriff 15.5.2021

             USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html,

römisch II.2. Beweiswürdigung:

römisch II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch die vorliegenden Verwaltungsakte Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

Ergänzend nahm das BVwG in tagesaktuelle länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer Einsicht, welche in den verfahrensrelevanten Teilen als notorisch bekannt vorausgesetzt werden können.

Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben, den vorgelegten Dokumenten sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen.

Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen vergleiche Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

römisch II.2.2. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vergleiche etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.

Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen auseinandergesetzt und auch die von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindende allgemeine Lage mit jener, welche die BF bei Erlassung der Bescheide im Erstverfahren vorfanden, verglichen.

Die BF traten den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, nicht konkret und substantiiert entgegen.

In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Paragraph 45, AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -– z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach Paragraph 7, AsylG [numehr: Paragraph 3, AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen vergleiche zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).

römisch II.2.3. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus vergleiche VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach Paragraph 15, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

römisch II.2.4. Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass die BF im Irak keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt waren bzw. im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Darüber hinaus geht aber auch das BVwG aus folgenden Erwägungen von der Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF zum Ausreisegrund aus:

Ein Indiz dafür ist bereits der Umstand, dass die BF legal unter Verwendung der eigenen Reisepässe den Irak legal mit dem Auto in Richtung Türkei verließen. Dies demonstriert, dass die BF von staatlicher Seite keine Verfolgung zu befürchten haben, weil ansonsten eine Ausreise auf legalem Weg wohl nicht möglich gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Gefahr, dass die BF bereits gesucht werden oder auf einer Fahndungsliste stehen und damit verbunden das Risiko, bei der Ausreise festgenommen zu werden, viel zu groß gewesen.

römisch II.2.5. Zum Fluchtvorbringen selbst muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die BF1 auf die Fluchtgründe ihres ehemaligen Gatten bezog und auch für die BF2 bis BF4 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.08.2016 wurde die Beschwerde des Ex-Gatten der BF1 und Vater der BF2 bis BF4 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

„Vom ehemaligen Gatten der BF1 wurde vorgebracht, dass er im Jahr 2007 entführt und nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen wurde. Darüber hinaus gehende angebliche Drohungen bzw. Drohschreiben vermochte er mit seinem Vorbringen jedoch nicht glaubhaft zu machen.

In der Zusammenschau der verschiedenen Aussagen des BF vor der Behörde und der von ihm vorgelegten Beweismittel war zu den Feststellungen oben zu gelangen, dass er mehrere Monate nach seiner Freilassung im Jahr 2007 aufgrund von generellen Sicherheitsüberlegungen aus dem Syrien verzog um sich im Wesentlichen in den Jahren bis 2013 dort aufzuhalten bzw. wiederholt auch von dort in den Irak zu pendeln, ehe er wegen einer verschlechterten Sicherheitslage in Syrien im Mai 2013 endgültig in seine Heimatstadt im Irak zurückkehrte, von wo er schließlich im Oktober 2013 in Richtung Europa aufbrach, während er seine Familienangehörigen in seiner engeren Heimat zurückließ.

Dieses Gesamtbild ergab sich insbesondere schlüssig aus den Umständen der vom UNHCR in Damaskus im Jahr 2009 dokumentierten Einreise des BF nach Syrien am 09.11.2007, der Geburt seiner beiden Kinder 2009 in Syrien bzw. 2011 im Irak und der behaupteten Heirat des BF im Irak im Jahr 2008 sowie der Aussagen des BF über seine wirtschaftlichen Aktivitäten in diesem Zeitraum im Irak.

In diesem Zusammenhang war der belangten Behörde darin zu folgen, dass diese Umstände gegen die vom BF behaupteter Weise bis 2013 andauernde Bedrohung durch Dritte in seiner Heimat wegen der Vorfälle im Jahr 2007 bzw. einer angeblich daraus entstandenen Aufforderung an ihn „seine frühere Anzeige gegen den Täter zurückzuziehen“ sprachen, wäre doch plausibler Weise anzunehmen, dass gerade eine solche Bedrohungslage gegen diesen Lebenswandel des BF zwischen 2007 und 2013 gesprochen hätte. Nicht zuletzt hat die Behörde zu Recht auch darauf verwiesen, dass es im letzten Halbjahr des Aufenthalts des BF in der Heimat seiner Aussage zufolge auch zu keinen Problemen für ihn gekommen sei. Der belangten Behörde war auch darin zu folgen, dass die genannte Aufforderung an ihn „seine frühere Anzeige gegen den Täter zurückzuziehen“ schon per se sinnwidrig wäre, da es ohnehin schon 2008 zu einer Festnahme und langjährigen Verurteilung des Täters aus 2007 gekommen war.

Wie die belangte Behörde weiter nachvollziehbar darstellte, hat der BF auch kein glaubhaftes Vorbringen hinsichtlich der angeblich an ihn gerichteten Drohbriefe und Drohungen erstattet, zumal sich dieses im Lichte seiner einzelnen Aussagen als in sich mehrfach, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, widersprüchlich und zudem als nur sehr vage darstellte. Die vom BF behauptete Bedrohungssituation vor der Ausreise stellte sich sohin insgesamt als unschlüssig und lebensfremd dar, woran auch die Vorlage von Beweismitteln aus 2013 nichts zu ändern vermochte. Dies zum einen deshalb, weil sich der diesen Beweismitteln zugrundeliegende Sachverhalt schon im Lichte der Erwägungen oben als nicht glaubhaft darstellte. Zum anderen ist im Hinblick auf die Echtheit und Richtigkeit von behaupteter Weise von irakischen Behörden stammenden Urkunden grundsätzlich stets größte Skepsis angebracht, zumal derlei Urkunden, sei es als Totalfälschung oder sei es als bloß mit unrichtigem Inhalt versehen, notorischer Weise im Irak gegen Bezahlung erhältlich sind, wie dies auch wiederkehrend in den Lageberichten des Deutschen Auswärtigen Amtes zum Irak festgehalten wird. Ist ein behaupteter Sachverhalt sohin schon angesichts der Aussagen des Antragstellers dazu nicht glaubhaft geworden, so vermögen auch dahingehend vorgelegte Urkunden alleine durch deren Vorlage nicht zu einer gegenteiligen Annahme gelangen zu lassen, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie einer Überprüfung vor Ort durch die österr. Behörden nicht zugänglich sind.

Aus diesem Vorbringen war sohin – würde man dieses als wahr unterstellen - schon nicht zu gewinnen, dass die teils tatsächlichen und teils vermeintlichen Verfolgungshandlungen einen Anknüpfungspunkt zu den in der GFK bzw. der europäischen Statusrichtlinie genannten Verfolgungsmotiven bieten würden, weshalb dem Vorbringen auch in dieser Hinsicht keine Asylrelevanz zuzubilligen gewesen wäre.

Darüber hinaus ist im Hinblick auf die behauptete Verfolgung durch Privatpersonen festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgungsgefahr nur dann

Asylrelevanz zukommt, wenn der Staat zum einen nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH vom 28. Oktober 2009, Zl. 2006/01/0793).“

römisch II.2.6. Das auf den ohnehin nicht asylrelevanten Fluchtgründen ihres ehemaligen Gatten basierende Vorbringen wurde von der BF1 dann letztlich noch etwas modizifiert vorgetragen. Dieses Vorbringen ist dessen ungeachtet jedoch auch nicht glaubwürdig und nicht nachvollziehbar. So verwickelte sich die BF1 mehrfach in Widersprüche und machte – vermutlich bewusst – nur äußerst vage Angaben.

So führte sie vor dem Bundesamt in der Einvernahme zum Fluchtgrund befragt aus, dass dieser darin liege, weil ihr damaliger Gatte bedroht worden sei. Anschließend seien sie und ihre Kinder bedroht worden. Die Kinder uns sie seien von römisch 40 nach römisch 40 vertrieben worden, es habe Drohungen mit dem Tod gegenüber den Kindern gegeben. Deswegen seien die BF dann in die Türkei und weiter nach Österreich gereist.

Die BF1 führt zudem aus, dass sie 2013 im Irak noch mit ihrem damaligen Gatten gelebt habe. Dieser gab jedoch in seinem Verfahren bekannt, dass er 2008 nach Syrien reiste und nicht mehr in den Irak zurückgekommen sei. Von der BF1 wurde daraufhin mitgeteilt, dass ihr Gatte heimlich zurückgekommen und in der Öffentlichkeit nicht aufgetreten sei. Der BF1 wurde vorgehalten, dass er in der Einvernahme konkret dazu befragt wurde, ob er nach 2008 römisch 40 aufgesucht habe. Dies wurde vom ihm explizit verneint. Ausweichend teilte sie mit: „Nein, wieso? Er wurde bedroht. 2013 wurde er bedroht.“

Die BF1 führte dann weiter aus, dass sie 2015, im fünften Monat, bedroht worden sei. Gegen 03:00 Uhr hätten Unbekannte das Tor des Hauses aufgebrochen und eine mit einem Blatt Papier umwickelte Batterie liegen gelassen. Dem Blatt Papier sei zu entnehmen gewesen, dass ihre Kinder entführt würden, wenn ihr Gatte die Anzeige gegen seine Entführer nicht zurückziehe.

Weil ihre Ausführungen schon ob des nicht vorhandenen zeitlichen Konnexes stimmen können, wurde die BF1 befragt, warum sie erst zwei Jahre nach der Drohung gegen ihren ehemaligen Gatten bedroht worden sei. Und dies auch nur vor dem Hintergrund, dass man den Ausführungen der BF1 Wahrheit unterstellt, weil der ehemalige Gatte ohnehin behauptete, nach 2008 nicht mehr in römisch 40 gewesen zu sein. Jedenfalls wurde die Frage nach dem zeitlichen Zusammenhang von der BF1 damit beantwortet, dass sie – jetzt – mehrmals bedroht worden sei. Sie habe auch einmal zwei Monate das Haus nicht verlassen können. Auf konkrete Nachfragen teilte sie abermals nur vage mit, dass sie mehr als einmal bedroht worden sei. Die Drohungen hätten zu Hause in römisch 40 stattgefunden. Es waren mehrere Nachfragen zu konkreten Szenarien notwendig, weil die BF1 ständig nur vage und stückchenweise Ausführungen tätigte. Schlussendlich teilte sie mit, dass sie bedroht worden sei „im 12. Monat des Jahres 2013 und auch 2014, im 5. Oder 6. Monat 2014. Die letzte Drohung bekam ich im Jahre 2015.“

Hinsichtlich konkreter Vorfälle teilte sie jetzt erstmals mit, dass 2013 auf das Haus geschossen worden sei. Bei der zweiten Drohung hätten Personen um 03:00 Uhr oder 04:00 Uhr zehn bis 15 Minuten heftig an die Haustüre geklopft. Dies hätten auch die Nachbarn mitbekommen und die Personen gesehen. Es seien Vermummte gewesen, die BF1 habe aber die Tür nicht geöffnet. Die dritte Drohung sei die mit einem Blatt Papier umwickelte Batterie gewesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG behauptete die BF dann, von der Geburt bis 2008 in römisch 40 gelebt zu haben. Auf Nachfrage, diese Angabe zu konkretisieren führte sie aus, dass sie bis zum 16. Lebensjahr bei den Eltern und dann bei ihrem Mann gelebt habe. Im Anschluss schweifte sie jedoch ab und erzählte von der Entführung ihres Ehegatten. Schließlich behauptete sie, sie habe nach der Hochzeit nur eine Woche mit ihrem Mann in römisch 40 gelebt. Dann sei sie 2008 nach Syrien gefahren und bis 2011 geblieben. Nach der Rückkehr in den Irak 2011 sei sie bis 2013 in römisch 40 geblieben und zwischen ihrer und der Familie ihres Mannes gependelt. Diese Angaben ließen sich jedoch in keiner Weise mit den Angaben vor dem Bundesamt in Einklang bringen und demonstrieren lediglch die Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF1.

Schlussendlich muss hinsichltich der Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit der BF1 angeführt werden, dass diese in der mündlichen Verhandlung lediglich versuchte, ihre Angaben an die ihres Ex-Gatten anzupassen und mehrfach in mitgebrachten Unterlagen blätterte. Sie konnte auch nicht nachvollziehbar erklären, wie ihr Mann bei seinen angeblich heimlichen Besuchen nach 2013 in den Irak wieder Drohungen erhalten haben soll und ist auch nach wie vor nicht nachvollziehbar, warum der Grund für die Drohungen eine Zurückziehung der Anzeige gegen die Entführer des Mannes gewesen sein sollte, wurde der Entführer doch schon Jahre zuvor verurteilt.

römisch II.2.7. Soweit die BF Befürchtungen hegen, dass die staatlichen Institutionen von der schiitischen Bevölkerungsmehrheit dominiert würden und der Konflikt im Irak immer mehr eine konfessionelle Dimension angenommen habe, ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführer keinerlei aktuellen Probleme mit staatlichen Institutionen geschildert haben, weshalb daraus auch keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden kann. Eine dezidierte, asylrelevante Verfolgung konnte nicht vorgebracht werden.

Darüber hinaus wäre der Umstand, dass sich ein Vorbringen mit den Länderfeststellungen in Einklang bringen lässt, alleine nicht geeignet, um ein Vorbringen als glaubwürdig zu beurteilen. Der Großteil der zitierten Passagen aus Berichten kann nicht mit dem individuellen Vorbringen der BF sowie einer etwaigen Gefährdungssituation für ihre Person in Verbindung gebracht werden.

römisch II.2.8. Sofern in den Beschwerden seitens der BF moniert wird, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft sei, wird festgestellt, dass nach Ansicht des ho. Gerichts die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgehen. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.

Im gegenständlichen Fall wurde die BF1 einerseits ausführlich über die Bedeutung vollständiger Angaben belehrt und andererseits in den Einvernahmen auch befragt, ob sie alles vortragen konnte, was für das Verfahren erheblich erscheint. Dies wurde von ihr mehrfach bejaht. Angesichts der Angaben der BF1 bestand aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls kein Anlass zur Nachfrage, ob den Beschwerdeführern noch andere Nachteile im Irak als die von der BF1 geschilderten befürchten würden. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann somit nicht erkannt werden. Dass die BF1 etwa aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage gewesen sein soll, bestimmte Tatsachen vorzubringen, wurde im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert behauptet und wurde der Einvernahme auch ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch beigezogen.

römisch II.2.9. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschwerdeführer.

römisch II.2.10. Bezüglich der Situation von Frauen im Irak ist festzuhalten, dass wenn sich die weiblichen BF wegen ihrer Eigenschaft als irakische Frauen als verfolgt erachten, eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger des weiblichen Geschlechts im Irak ausweislich der Feststellungen nicht vorliegt. Festzuhalten bleibt weiter, dass nach der Rechtsprechung des VwGH Frauen Asyl beanspruchen können, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden vergleiche etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, m.w.N.). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (zuletzt VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579). Dabei führt nicht jede Änderung in der Lebensführung während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Fall der Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin internationaler Schutz gewährt werden muss, sondern nur eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Inanspruchnahme oder Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt und die im Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).

Die BF1 konnte für sich nicht glaubhaft machen, dass sie im Bundesgebiet einen Lebensstil tatsächlich lebt, der einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein anerkannten und verbreiteten Werten im Herkunftsstaat darstellen würde, wobei insbesondere in diesem Punkt der persönliche Eindruck in der Verhandlung zu berücksichtigen war, wo sie zudem Kopftuch trug.

Der allgemeine Hinweis darauf, dass es für Frauen im Irak gefährlich sei bzw. der pauschale Verweis auf die „Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Frauen im Irak“ ist für sich alleine nicht geeignet, eine Gefährdung im Rückkehrfall glaubhaft zu machen vergleiche dazu VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, worin der Grundsatz wiederholt wird, dass das Vorbringen des Asylwerbers eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen und dass die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, dem nicht gerecht wird).

Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass es im Irak in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund des starken Einflusses von nicht nur in religiöser Hinsicht radikalen politischen Kräften zu einer "Islamisierung" der Gesellschaft im Allgemeinen gekommen ist und dabei auch die Frauen als solche ein Änderung des früheren - unter Saddam Hussein entwickelten - säkulareren Rollenbildes der Frau hinzunehmen hatten, so stellt sich die aktuelle Situation im Irak mangels dahingehender stichhaltiger Hinweise nicht so dar, dass es Frauen per se nicht (mehr) möglich wäre am allgemeinen öffentlichen wie auch beruflichen Leben teilzunehmen oder besonders drakonischen Praktiken sowie Sanktionen in punkto Bekleidung u.ä. unterworfen zu sein.

Da die BF keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens glaubhaft vorgebracht haben, war dem folgend zur Feststellung zu gelangen, dass sie im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würden. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person der BF, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Die BF gehören nicht den staatlichen Sicherheitskräften an und kamen auch keine Anhaltspunkte dafür hervor, dass sie im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung durch gewalttätige Auseinandersetzungen ausgesetzt wären.

römisch II.2.11. Zur in der Beschwerde befürchteten Bedrohung aufgrund der sunnitischen Konfession sind folgende Erwägungen maßgeblich:

Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht im Hinblick auf die Lage der sunnitischen Minderheit hervor, dass im Irak zahlreiche Sunniten leben und sunnitische Araber ca. 17 bis 22% der Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern ausmachen. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Bagdad und die umgebenden Gebiete sind in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel aufgrund von Vertreibungen durch Regierungstruppen und schiitische Milizen zunehmen und es bei Straßensperren zu Beschimpfungen und Diskriminierungen von Sunniten kommen kann.

Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung kann dessen ungeachtet angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden. Ein genereller Ausschluss von Sunniten vom Arbeitsmarkt und von Bildungseinrichtungen liegt in Anbetracht der Quellenlage sowie den vom Bundesverwaltungsgericht bei der Bearbeitung ähnlich gelagerter, den Irak betreffender Verfahren gewonnenen Wahrnehmungen ebenfalls nicht vor. Dazu tritt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten, auch von Sunniten bekleidet werden und diese auch im irakischen Parlament repräsentiert sind, war auch gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak spricht. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak tatsächlich stattfinden, wäre ferner mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass von schiitischen Milizen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen ausgehen und auch eine nicht feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über die vorstehend dargelegten Diskriminierungen hinausgehen. Ausweislich der Feststellungen sind insbesondere in Bagdad von Milizen (wie etwa Asa'ib Ahl al-Haqq) ausgehende Gewaltakte gegen sunnitische Araber dokumentiert und kommen Entführungen und außergerichtliche Hinrichtungen ebenso vorkommen wie die bereits zuvor angesprochenen Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung. Ferner sind Übergriffe seitens Angehöriger der al-Haschd asch-Schaʿbī bekannt, welche von den Verantwortlichen als Einzelfälle abgetan werden und die als Vergeltungsaktionen in Zusammenhang mit den Aktivitäten des Islamischen Staates angesehen werden.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt ebenfalls zu dieser Einschätzung. Zwar wird in Quellen von religiös motivierten Übergriffen auf sunnitische Araber bis hin zu Morden und Entführungen berichtet, jedoch kann den Quellen (einschließlich der Einschätzungen der im Irak agierenden Hilfsorganisationen) in der Regel keine Einschätzung der Häufigkeit solcher Vorfälle entnommen werden bzw. werden die Einzelfälle, die zur Einschätzung führen, nicht offengelegt und bestehen keine belastbaren Erkenntnisse darüber, dass Übergriffe auf sunnitische Araber in einer Anzahl erfolgen würden, dass nicht mehr nur von vereinzelt bleibenden individuellen Übergriffe auszugehen ist. Die Verfolgungshandlungen müssen nämlich, um von einer Gruppenverfolgung sprechen zu können, im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, das daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr bzw. die maßgebliche Wahrscheinlichkeit eigener Betroffenheit entsteht. Derartiges liegt in Bezug auf sunnitische Araber in Bagdad jedenfalls nicht vor. Ferner endeten auch im Jahr 2017 neuerliche zahlreiche Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, weil irakische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens freiwillig in den Irak zurückkehrten. Eine solche freiwillige Rückkehr spricht ebenfalls entschieden gegen eine Gruppenverfolgung sunnitischer Araber. Zudem wurde von keinem der BF auf explizite Befragung nach konfessionellen Problemen im Irak eine solche vorgebracht. Die BF verneinten jeweils die diesbzüglichen Fragen.

Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die BF den Irak lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Dies wird vor allem auch durch die getätigten Äußerungen der BF1 demonstriert. Zusammenfassend ist zum Vorbringen der BF deswegen folgerichtig auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht ansatzweise erkennbar waren.

römisch II.2.12. Die BF1 brachte letztendlich noch vor, Depressionen zu haben und dagegen Tropfen zu nehmen. Der BF4 habe zudem Blutarmut. Aktuelle Atteste oder Befunde konnten allerdings nicht in Vorlage gebracht werden. Die letzten diesbezüglichen Schriftstücke stammen aus dem Jahr 2018. Zur Erkrankung bzw. zum Gesundheitszustand der BF1 und des BF4 wird festgehalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Artikel 3, EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt vergleiche die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).

Aufgrund des hier vorliegenden Krankheitsbildes ist jedenfalls nicht ableitbar, dass eine Überstellung in den Irak zu einer Beeinträchtigung des gesundheitlichen Zustandes der BF1 und des BF4 führt, womit folgerichtig keine Verletzung von Artikel 3, EMRK gegeben ist.

römisch II.2.13. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher auch zu prüfen, ob den Beschwerdeführern zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten haben.

Das Bundesverwaltungsgericht kann keine Rückkehrgefährdung erkennen, da die BF kein exponiertes persönliches Profil aufweisen, welches auf eine gegenüber der Durchschnittsbevölkerung höheres Risiko eines Konfliktes mit Milizionären hindeutet.

Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die BF den Irak lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Dies wird vor allem auch durch die Aussage der BF1 demonstriert, dass sie mit ihren Kindern zum damals schon in Österreich aufhältigen und aktuellen Ex-Gatten reisen wollte. Aus diesem Grund sah das erkennende Gericht, ebenso wie bereits das BFA auch keine Veranlassung für weitergehende Erhebungen im Herkunftsstaat der BF.

römisch II.2.14. In Bezug auf den in der Beschwerdeschrift gestellten Beweisantrag, länderkundliche Ermittlungen anzustellen, wird festgehalten, dass hier kein tauglicher Beweisantrag vorliegt. Ein tauglicher Beweisantrag liegt nach der Rsp des VwGH nur dann vor, wenn darin sowohl das Beweisthema wie auch das Beweismittel genannt sind und wenn das Beweisthema sachverhaltserheblich ist (VwGH 24.1.1996, 94/13/0152; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 174). Das Gericht ist daher nicht verhalten, dem Beweisantrag zu entsprechen.

römisch II.2.15. Zusammenfassend ist zum Vorbringen auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der BF1 glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren und auch sonst keinerlei Gefährdungen der BF im Heimatland erkannt werden können.

Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung der Anträge auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen der BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung der Asylanträge und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – von Aufenthaltstiteln für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

Im Hinblick auf die zur Zeit herrschende Pandemie bzw. die daraus resultierende Krankheit COVID-19 und die Situation im Irak kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF (aus dem Alter und den Angaben der BF zu ihrem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass sie zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehören) und des Umstandes, dass der irakische Staat, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Artikel 2, bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.

römisch II.3. Rechtliche Beurteilung:

römisch II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Paragraph 6, des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, idgF geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Paragraph eins, BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 144 aus 2013, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. Paragraphen 16, Absatz 6,, 18 Absatz 7, BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die Paragraphen 13, Absatz 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß Paragraph 27, VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (Paragraph 9, Absatz 3,) zu überprüfen.

römisch II.3.1.1. Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG:

Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Ziffer eins,); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8,) zuerkannt worden ist (Ziffer 2,) oder einem Asylwerber (Ziffer 3,) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß Paragraph 34, Absatz eins, AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß Paragraph 34, Absatz 5, AsylG gelten die Bestimmungen der Absatz eins bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Die BF1 ist die Mutter der unmündig minderjährigen BF2, BF3 und BF4. Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt daher ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG vor.

Zu A)

römisch II.3.2. Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten

römisch II.3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Paragraph 3, AsylG lauten:

„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) …

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1.

dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder

2.

der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.

...“

Gegenständliche Anträge waren nicht wegen Drittstaatsicherheit (Paragraph 4, AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (Paragraph 4 a, AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (Paragraph 5, AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb die Anträge der BF inhaltlich zu prüfen waren.

Flüchtling im Sinne von Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

römisch II.3.2.2. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (in etwa VwGH vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731; vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre überhaupt fraglich, ob unter solchen Umständen noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann vergleiche VwGH vom 20.05.2015, Zl. Ra 2015/20/0030 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153).

Die StatusRL 2011/95/EU sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 und vom 01.09.2005, 2005/20/0357).

römisch II.3.2.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Es ist festzuhalten, dass die BF1 zur Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat vorbringt, dass sie wegen ihrem ehemaligen Gatten entführt werden oder wieder bedroht werden könnte. Dass die BF durch staatliche Behörden verfolgt worden wären bzw. ihnen eine Verfolgung durch staatliche Behörden drohen würde, wurde von ihnen zu keinem Zeitpunkt in substantiierter Weise behauptet oder belegt.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft, wobei als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ erachtet wird. Diese ist dann gegeben, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erschließt sich jedoch, dass die behauptete Furcht der BF, aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht begründet ist.

römisch II.3.2.4. Wie im gegenständlichen Fall aber bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, bezog sich das Fluchtvorbringen der BF1 auf die Ausführungen ihres ehemaligen Gatten, das schon bei diesem nicht zur Gewährung von Asyl führte. Auch war den daraufhin gesteigerten Ausführungen der BF1, dass sie von maskierten Gruppierungen wegen ihrem ehemaligen Gatten bedroht worden wäre, insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt vergleiche VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von der BF1 behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Im vorliegenden Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Ferner liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Beschwerdeführer eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht.

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten somit aus.

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

römisch II.3.3. Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten:

römisch II.3.3.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung der Beschwerdeführer in den Irak Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein „real risk“ einer gegen Artikel 3, MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Um von der realen Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Artikel 2, oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109).

Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Es ist die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH). Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, MRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005).

Nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt dabei es grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, römisch eins. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen vergleiche VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86).

römisch II.3.3.2. Unter „real risk“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; Regierungsvorlage 952 BlgNR römisch 22 . Gesetzgebungsperiode 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen vergleiche VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

römisch II.3.3.3. Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Artikel 3, EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden vergleiche EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Artikel 3, EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (VfSlg 13.314/1992; EGMR GK 07.07.1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 14038/88). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein ausreichend reales Risiko für eine Verletzung des Artikel 3, EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (EGMR U 04.07.2006, Karim gegen Schweden, Nr. 24171/05, U 03.05.2007, Goncharova/Alekseytev gegen Schweden, Nr. 31246/06).

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Artikel 15, Litera c, der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vergleiche auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Eine besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Artikel 2 und 3 MRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen vergleiche VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479; 30.8.2017, Ra 2017/18/0089-0095, mwN). Im zitierten Revisionsfall war daher insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei den revisionswerbenden Parteien um eine Familie mit vier minderjährigen Kindern und somit - im Hinblick auf die Minderjährigkeit der dritt- bis sechstrevisionswerbenden Parteien - um eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe handelte vergleiche die Definition schutzbedürftiger Personen in Artikel 21, der EU-Richtlinie 2013/33/EU, Aufnahmerichtlinie), was eine konkrete Auseinandersetzung damit verlangt, welche Rückkehrsituation die revisionswerbenden Parteien im Heimatstaat tatsächlich vorfinden (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336).

römisch II.3.3.4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 gegeben sind:

Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei den Beschwerdeführern um eine alleinstehende Frau mit einer unmündig minderjährigen Tochter und zwei unmündig minderjährigen Söhnen, weswegen der Fall somit besonders vulnerable Personen iSd Artikel 21, der EU-Richtlinie 2013/33/EU, Aufnahmerichtlinie betrifft.

Auch wenn der VwGH wiederholt darauf hingewiesen hat, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen, (02.08.2018, Ra 2017/19/0229; 29.05.2018, Ra 2018/20/0146; 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118), ist anzumerken, dass es sich bei den jeweiligen Fremden um alleinstehende Männer handelte.

Aus den herangezogenen Länderberichten ergibt sich insbesondere, dass Kinder im Irak Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre waren und sind. Sie sind in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen. Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus. 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt. Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben. Es gibt keine Berichte, wonach von staatlicher Seite Kinder zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden. Kinder sind jedoch weiterhin in hohem Maße von gewaltsamer Rekrutierung und Verwendung durch mehrere im Irak operierende bewaffnete Gruppen gefährdet, einschließlich (aber nicht nur) durch den IS, die PMF, Stammesgruppierungen, die Kurdische Arbeiterpartei PKK, und vom Iran unterstützte Milizen. PMF-Einheiten rekrutieren weiterhin Kinder, bilden diese militärisch aus und setzen sie ein. Im Südirak und in den schiitischen Gegenden von Bagdad erinnern Plakate an gefallene minderjährige Kämpfer, die vornehmlich für die Brigaden der Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH) und der Kata’ib Hizbollah (KH) gekämpft hatten. Die PMF bot nach eigenen Angaben im Jahr 2017 militärische Ausbildungskurse für Kinder und Jugendliche im Alter von 15-25 Jahren an.

Unter den festgestellten kargen Versorgungsverhältnissen, welche insbesondere Kinder betreffen und dem nicht vorhandenen familiären Netz im Herkunftsstaat hätten die minderjährigen BF mit ihrer Mutter anfangs und auf längere Sicht mit unzureichender Nahrung und Unterkunft zu rechnen. Die minderjährigen BF würden sich zumindest anfangs schwertun, sich wieder an die Verhältnisse im Irak anzupassen. Mit Unterstützungsmöglichkeiten durch den Familienverband kann nicht gerechnet werden. Darin liegt eine Form unmenschlicher Behandlung, die sich im beschriebenen chancenarmen Umfeld und der, zwar nicht per se lebensbedrohlichen, aber nach wie vor besonders für Kinder volatilen Sicherheitslage aus den exzeptionellen Umständen einer Frau mit drei Kindern ohne ausreichenden familiären Rückhalt ergibt.

Dazu kommt generell, dass der Staat den Eintritt der von Artikel 3, EMRK verpönten Beeinträchtigung nicht effektiv verhindern kann.

Wie sich aus jüngst ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen (beispielsweise VfGH, 07.10.2020, E1524/2020 ua, auch VwGH, 07.01.2021, Ra 2020/18/0139) in Zusammenhalt mit der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation für das Bundesverwaltungsgericht vom 20.01.2021 zur Versorgungslage von Familien mit mehreren minderjährigen Kindern in Bagdad ergibt, stellt sich diese für derartige Fälle äußerst schlecht dar. Demnach berichtet die Iraqi Children Foundation in einem Artikel vom August 2018 die Arbeit der "Baghdad Street Lawyers", einem Team von AnwältInnen und SozialarbeiterInnen, die sich darauf spezialisieren würden, Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, zu erkennen und zu unterstützen. Es werden Beispiele von Ausbeutung von Kindern genannt, die von den "Baghdad Street Lawyers" aufgedeckt worden seien: der Verkauf eines kleinen Mädchens an eine Bettlerin, Eltern, die ihre Töchter in die Prostitution verkauft hätten, der Versuch, einem Jugendlichen eine Niere abzukaufen, Zwang zur Prostitution von Minderjährigen und Zwang von unter Siebenjährigen, zu betteln. (Iraqi Children Foundation, 9. August 2018)

Middle East Eye (MEE) schreibt in einem Artikel vom Jänner 2017, dass kriminelle Banden in Bagdad ZivilistInnen entführen würden, um Lösegeld zu erpressen. Der Artikel beschreibt den Fall eines 14-jährigen Teenagers, Ali al-Khafaji, der aus dem Haus seiner Familie in Karrada, einem wohlhabenden Viertel Bagdads, entführt worden sei. Seine Eltern hätten das geforderte Lösegeld bezahlt, doch am nächsten Tag sei Alis Leiche gefunden worden. Laut dem Leiter des Provinzrates seien die Entführten oft Kinder und würden nach der Lösegeldzahlung getötet werden. (MEE, 4. Jänner 2017)

Das U.S. Department of Labor (USDOL), das für Arbeitsangelegenheiten zuständige Ministerium der USA, gibt fürs Jahr 2019 an, dass Kinder im Irak den schlimmsten Formen der Kinderarbeit ausgesetzt seien, einschließlich erzwungenem Betteln und kommerzieller sexueller Ausbeutung, die jeweils manchmal auf Menschenhandel zurückzuführen sei. USDOL führt eine Liste von Arten von Kinderarbeit an, die im Irak vorkommen würden. Diese inkludiert landwirtschaftliche Arbeit, Bauarbeiten, Tischlerarbeiten, Ziegelherstellung, Fabrikarbeiten, Arbeiten auf der Straße, an der Tankstelle und auf Mülldeponien, Hausarbeiten, Arbeiten in Hotels und Restaurants sowie auf Friedhöfen.

Ökonomische Konsequenzen von COVID-19 sowie Bewegungseinschränkungen und Infektionsängste hätten auch den Zugang zu Lebensmitteln im Irak erschwert. Während 2016 rund 1,5% der Menschen mit unzureichendem Lebensmittelkonsum registriert worden seien, habe laut dem Hunger Monitoring System des WFP der Wert von April bis August 2020 zwischen 5 und 9,3 Prozent fluktuiert. Rund 13,7 Prozent der Befragten, was rund 5,3 Millionen Menschen entspreche, habe angegeben, am 9. August negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs angewendet zu haben. Zusätzliche Gesundheits- und Hygienekosten würden dazu führen, dass Personen nicht genügend Lebensmittel für ihre Familie kaufen könnten. Der Tageslohn eines Hilfsarbeiters habe vor COVID-19 31 kg Weizenmehl kaufen können; das sei jedoch auf 27 kg gesunken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, Sitzung 22).

Auch das Abwassersystem in Bagdad sei alt und habe seine Lebensdauer überschritten. Es leide unter vielen Problemen, insbesondere in Regenperioden. Es sei nicht in der Lage, die täglichen Wassermengen zu absorbieren, insbesondere angesichts beispielloser Regenfälle im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die die Entwurfs- und Notfallberechnungen überschreiten würden. (MOP, Juni 2018, Sitzung 163). Die Weltbank berichtet im Jänner 2018, dass die EinwohnerInnen von Bagdad vor allem in den heißen Sommermonaten mit täglichen Unterbrechungen der Wasserversorgung zu kämpfenhätten. Bagdad sei von Ausbrüchen von durch Wasser übertragenen Krankheiten betroffen. Das Trinkwassernetzwerk sei durch Abwasser kontaminiert. Kontaminierte Wasserversorgung und unsachgemäße Entsorgung von Abwasser würden Familien dazu zwingen, einen erheblichen Teil ihres Einkommens für die medizinische Behandlung und Wasser in Flaschen auszugeben. (World Bank, 31. Jänner 2018).

Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht den BF derzeit auch nicht zur Verfügung. Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht davon auszugehen ist, dass die alleinstehende Mutter in einem anderen Landesteil umgehend Beschäftigung und Unterkunft für sich und ihre drei unmündig minderjährigen Kinder finden würde.

römisch II.3.3.5. Den Beschwerden zu den Spruchpunkten römisch II. war daher, ausschließlich unter Abwägung der persönlichen Gründe der minderjährigen BF Folge zu geben, diese Spruchpunkte aufzuheben und die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigen auszusprechen.

Gemäß Paragraph 34, Absatz 3, AsylG hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist, gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 9,) und dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Weil keiner der genannten Ausschließungsgründe vorliegt, war allen BF im Familienverfahren der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Anzumerken ist, dass die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren hinsichtlich des ehemaligen Gatten der BF1 und Vater der minderjährigen BF aufgrund dessen massiver Straffälligkeit, im Zuge derer er zur Verbüßung einer dreieinhalbjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt wurde, in logischer Konsequenz nicht zur Anwendung gelangen kann.

römisch II.3.4. Befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte

Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese gilt für ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über den Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert.

Den Beschwerdeführern wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 zu erteilen war.

römisch II.3.5. Behebung der übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Den Beschwerdeführern wird mit gegenständlichem Erkenntnis der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und daher ihren Anträgen auf internationalen Schutz diesbezüglich stattgegeben.

Die Voraussetzungen gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG zur Erlassung von Rückkehrentscheidungen und damit in weiterer Folge auch der Abspruch über die (Nicht-)Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG, die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG in Verbindung mit Paragraph 46, FPG sowie die Frist zur freiwilligen Ausreise liegen daher nicht mehr vor, weshalb diese Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Artikel 8, EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:L519.2203549.1.00