Bundesverwaltungsgericht
16.02.2022
W142 2191090-2
W142 2191090-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2021, Zl. 1124785810/210157511, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 68, AVG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Erstes Asylverfahren:
1.1 Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 01.08.2016 den ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei gab er an, er sei in römisch 40 geboren, sei verheiratet und spreche muttersprachlich Somalisch sowie schlechtes Englisch. Er bekenne sich zum sunnitischen Islam und gehöre der Volksgruppe der Gaal Gale an. Er habe in Mogadischu 12 Jahre lang die Grundschule und ein Jahr lang eine berufsbildende höhere Schule (Krankenpflegerschule) besucht. Er sei (bis 01.01.2016) Krankenpfleger gewesen. Seine Frau, seine 5 Kinder, seine Eltern sowie ein Bruder und eine Schwester würden in Somalia leben.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er für die Regierung in einem Krankenhaus gearbeitet habe. Da in Mogadischu zuletzt wieder mehrere Leute durch Angehörige der Al-Shabaab getötet worden seien, habe er sich entschlossen zu fliehen.
1.2. Am 23.11.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) statt. Dabei gab er an, gesund zu sein. Er sei in römisch 40 geboren, habe aber zwischendurch auch bei seiner Tante in Mogadischu gelebt und dort die Schule (Grundschule, Mittelschule, höher bildende Schule) besucht. Er habe in Krankenhäusern im Labor bzw. für Organisationen gearbeitet. Ab Dezember 2015 habe er in einem staatlichen Krankenhaus für Regierungsangehörige gearbeitet. Er sei etwa zwei Monate beschäftigt gewesen, bis er Probleme erlebt habe.
Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er ergänzend an, dem Clan der Gaal Gale, Sub Clan der Aden, Sub Sub Clan der Aprone, anzugehören. Seine Frau, seine 5 Kinder, seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester würden in Somalia leben. Weitere Verwandte gebe es im Heimatland nicht. Sein Vater sei Tierhändler und könne damit die Familie versorgen. Den letzten Kontakt habe er vor zwei Monaten über Telefon gehabt. Er benutze auch Facebook und sei mit Schulfreunden, Arbeitskollegen und Bekannten in Somalia in Kontakt. Seine Familie habe in Somalia ein Grundstück mit einem Haus. Die Reise habe er durch Erspartes bzw. durch Geld von Arbeitskollegen finanziert.
Die Frage, ob er aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit im Herkunftsstaat Probleme gehabt habe, verneinte der BF. Er habe aber Probleme mit der Al Shabaab gehabt, deshalb sei er ausgereist.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, er habe 2016 seine Arbeit verloren, sei dann auf der Straße spazieren gewesen, als plötzlich zwei Männer auf ihn geschossen hätten. Er sei davongelaufen, habe dann bei einem Bekannten übernachtet und habe geplant Somalia zu verlassen. Andere Fluchtgründe gebe es nicht. Nach der Rückübersetzung führte der BF aus, dass vielleicht die Al Shabaab oder jemand anderer auf ihn geschossen habe. Er habe eine Anzeige gemacht gegen die Personen. Er sei im Krankenhaus Ende Jänner 2016 gekündigt worden, weil man erfahren habe, dass er einem Minderheitenclan angehöre. Zu dem Vorfall gab er ergänzend an, dieser sei Ende Februar 2016 auf einer Bushaltestelle gewesen. Dort hätten sich 20-30 Personen aufgehalten. Es sei zweimal geschossen worden, dann sei er zu einem Regierungsstützpunkt gelaufen, die Männer seien weggefahren und seien er und die Passanten von der Polizei befragt worden. Er habe gesehen, dass die Männer nur auf ihn geschossen haben. Warum auf ihn ein Attentat verübt werden sollte, wisse er nicht. Nach dem Vorfall sei er noch ca. 2 Monate in Mogadischu gewesen. In dieser Zeit habe es keine Probleme gegeben.
Der BF legte Integrationsunterlagen, ein „Work Certificate“ betreffend eine Tätigkeit als Labortechniker von 8.12.2012 bis 08.03.2013 in Mogadischu, Kopie des somalischen Reisepasses sowie der ID-Card, medizinische Unterlagen, wonach sich der BF bei einem Fahrradunfall in Österreich das Bein gebrochen habe und operiert worden sei.
1.3. Mit Bescheid vom 22.02.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.) ab und erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III.). Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt römisch IV. und römisch fünf.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).
1.4. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein.
1.5. Am 02.12.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) eine mündliche Verhandlung durch.
Hierbei gab der BF an, gesund zu sein. Wenn er lange stehe bzw. etwas Schweres aufhebe, habe er Schmerzen im rechten Bein, weil er sich dieses gebrochen habe.
Er habe immer die Wahrheit gesagt, aber er wolle einige Fehler korrigieren. Er habe während der Einvernahme beim BFA Schmerzen bekommen. Es würde einiges noch fehlen und würde es auch Fehler geben, weil er den Dolmetscher aufgrund des Unterschiedes im Dialekt missverstanden habe. Er habe die Frage betreffend die Probleme mit seiner Clanzugehörigkeit/Religionszugehörigkeit missverstanden. Es habe deshalb doch Probleme gegeben und auch wegen seiner Religion habe er Probleme gehabt. Ihm sei vorgeworfen worden ein Abtrünniger zu sein. Man habe ihm Probleme gemacht, weil er für die Regierung gearbeitet habe. Sein Clan heiße richtig Galgalo. Er habe seine Probleme wegen der Schmerzen nicht ganz erzählt. Sein Bauch sei angeschwollen gewesen und er habe damals Medikamente genommen, dazu gebe es Befunde.
Auf Nachfrage gab er an, den Dolmetscher bei der Polizei gut verstanden zu haben, beim BFA habe er diesen nicht so gut verstanden, aber das meiste habe er verstehen können. Beide Einvernahmen seien rückübersetzt worden, er habe aber wegen seiner Schmerzen nicht gut zugehört. Er habe Angst gehabt, von den Schmerzen zu erzählen, da er gedachte habe, dass man ihm nicht glaube.
Er gehöre dem Clan der Galgalo, Aden, Abrone Qot, Dabe Yare, Daba Tunr, Ali Sanbor an. Einen Clan, dem die Galgalo alliiert seien gebe es nicht. Der BF habe zuletzt in Mogadischu gelebt und dort gearbeitet. Er habe in Mogadischu die Schule besucht und abgeschlossen, eine Ausbildung zum Laborant gemacht und als Laborant an verschiedenen Orten bzw. für Organisationen gearbeitet. Mit seinem Verdienst habe er auch seiner Familie geholfen.
Seine gesamte Familie habe Somalia verlassen und sei nach Äthiopien gegangen, weil sein Vater Probleme mit der Al Shabaab bekommen habe. Dies sei im Juni 2019 gewesen, seitdem habe er auch keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Er habe versucht den Vater zu kontaktieren, die Nummer funktioniere nicht mehr. Er mache sich große Sorgen um seine Familie und könne oft nicht schlafen. Er habe von Österreich aus keinen Kontakt zu Verwandten, Freunden oder sonstigen Personen in Somalia.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF zusammengefasst an, er sei aus Somalia geflüchtet, um sein Leben zu retten und nicht getötet zu werden. Er habe auch wegen seiner Clanzugehörigkeit Probleme gehabt und deswegen keinen fixen Job und keinen Dienstvertrag bekommen. Er habe im Jänner 2016 einen Job in einem Spital für die Regierung begonnen, wobei ihm dann vorgeworfen worden sei, ein Gerät für einen Bluttest gestohlen zu haben. Er sei gekündigt und von den Wachen geschlagen worden. Er habe sich beim Spitalsleiter beschweren wollen, dieser sei aber nicht zum vereinbarten Termin erschienen. Ein anderer Mann habe ihm dann gesagt, er solle mit den Beschwerden aufhören, sonst könne er später sein Leben verlieren. Der BF sei dann gegangen und von einem Auto verfolgt worden. An einer Haltestelle sei er ausgestiegen und seien auch die Verfolger stehengeblieben und hätten den Kopf aus dem Fenster gehalten und den Namen des BF gerufen. Der BF hab Angst bekommen und sei weggelaufen. Der Mann habe auf ihn geschossen, ein anderer sei aus dem Auto ausgestiegen und habe auch geschossen. Zwei Schüsse hätten sein Hemd getroffen, er persönlich sei nicht getroffen worden. Der BF sei davongelaufen und zu einer Polizeistation gekommen. Die Polizisten hätten ihm gesagt, dass sein Leben in Gefahr sei und hätten dann die Leute am Vorfallsort befragt. Der BF hab sich im Haus eines Freundes versteckt, wobei auch dort nach ihm gesucht worden sei, als er nicht dort gewesen sei. Ab diesem Tag sei er zum Schlepperhaus gegangen. Befragt warum die Leute den BF umbringen wollen, gab dieser an, er habe davor telefonische Bedrohungen durch die Al Shabaab bekommen. Alle die für die Regierung arbeiten würden, seien ihre Feinde. Die Drohungen hätten begonnen, als er zu arbeiten angefangen habe. Er habe für die Regierung als Laborant gearbeitet.
Zur Verfolgung wegen der Clanzugehörigkeit befragt, gab der BF an, er habe deswegen seit klein auf Probleme und sei diskriminiert worden. Wegen dem Clan habe er keinen fixen Job bekommen. Nach konkreten Vorfällen befragt, gab der BF an, er sei auf der Straße manchmal beschimpft worden und sei den anderen nicht gleichgestellt gewesen. Hinsichtlich der Verfolgung wegen der Religion, führte der BF aus, dass man für die Al Shabaab ein Abtrünniger sei, wenn man sich anders verhalte.
Abschließend wurde mit dem BF das LIB zu Somalia (Stand 17.09.2019) sowie die ÖIF-Länderinfo, Die Parias Somalias: Ständische Berufskasten als Basis sozialer Diskriminierung, Dezember 2010, erörtert und ihm die Möglichkeit gegeben, binnen einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Der BF übermittelte durch seine Rechtsvertretung dazu am 16.12.2018 eine Stellungnahme.
1.6. Mit Erkenntnis des BVwG, GZl. W252 2191090-1/11E, vom 03.02.2020, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 22.02.2018 als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erachtet.
Das erkennende Gericht stellte zur Person des BF insbesondere fest, dass dieser ein somalischer Staatsangehöriger sei, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne und Somali als Muttersprache spreche. Er sei verheiratet und habe fünf Kinder. Der BF gehöre dem Clan der Galgale an. Er sei in römisch 40 geboren und 1993 zu seiner Tante nach Mogadischu gezogen. Er habe in Mogadischu 12 Jahre die Grundschule, danach eine berufsbildende höhere Schule und ein Jahr eine Krankenpflegeschule besucht. Er habe Arbeitserfahrung in Mogadischu und Johwar gesammelt, zuletzt sei er als Laborant in einem Krankenhaus in Mogadischu tätig gewesen. Die Familie des BF sei im Juni 2019 nach Äthiopien geflüchtet. Der BF habe seinen Lebensunterhalt in Somalia durch seine Berufstätigkeit bestritten. Seine Familie besitze in Somalia ein Haus und ein Grundstück. Der Vater des BF sei Tierhändler gewesen und habe die Familie versorgt. Der BF sei gesund und leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Er habe in Österreich einen Oberschenkelhalsbruch erlitten und sei diesbezüglich operativ behandelt worden.
Zu den Fluchtgründen des BF wurde ausgeführt, dass der BF in Somalia nicht aufgrund seiner Clanzugehörigkeit angegriffen, verletzt oder diskriminiert worden sei. Eine Bedrohung/Verfolgung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit habe er nicht glaubhaft darlegen können. Er sei auch nicht von Mitgliedern der Al Shabaab aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit mit dem Tod bedroht worden. Seine Angaben betreffend eine Verfolgung durch die Al Shabaab wegen seiner Tätigkeit als Laborant in einem Krankenhaus der Regierung komme keine Glaubwürdigkeit zu. Ihm drohe im Falle einer Rückkehr nach Somalia weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Angehörige der Al Shabaab oder aufgrund seiner Clanzugehörigkeit.
Zur Rückkehrsituation wurde ausgeführt, dass dem BF eine Rückkehr nach Mogadischu zumutbar sei. Er habe dort bereits mehrere Jahre gelebt, seine gesamte Schul- und Berufsausbildung genossen und jahrelang berufliche Erfahrungen knüpfen können. Er sei bei mehreren Arbeitgebern in Mogadischu beschäftigt gewesen und habe selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen können. Er sei mit den infrastrukturellen Gegebenheiten in Mogadischu bestens vertraut und könne angenommen werden, dass er, trotz Auswanderung seiner Familie nach Äthiopien, aufgrund seines jahrelangen Schulbesuchs und seiner vermehrten beruflichen Tätigkeiten in Mogadischu über soziale Kontaktpersonen (ehemalige Schulkollegen, Arbeitskollegen) verfüge. Er würde im Falle einer Rückkehr in keine existenzbedrohende Notlage geraten bzw. würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er laufe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine auswegslose Situation zu geraten. Er könne auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und seien in Mogadischu die meisten Hilfsorganisationen beheimatet.
Dieses Erkenntnis erwuchs ins Rechtskraft.
2. Gegenständliches Verfahren:
2.1. Am stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der diesbezüglichen Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, er gehöre der Volksgruppe der Gaalgalo an. Seine Frau und Kinder würden sich in Äthiopien aufhalten. Er habe keine Beschwerden oder Krankheiten, die ihn an dieser Einvernahme hindern oder das Asylverfahren beeinträchtigen könnten.
Befragt, warum er neuerlich einen Asylantrag stelle bzw. was sich seit der Rechtskraft konkret gegenüber dem bereits entschiedenen Verfahren (in persönlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Gefährdungslage im Herkunftsstaat) verändert habe, gab der BF an:
„Ich stelle neuerlich einen Asylantrag, weil es mir gesundheitlich nicht gut geht. Ich habe eine psychische Erkrankung (Posttraumatische Belastungsstörung) und werde in Österreich von einem Arzt therapiert. Ich werde im Therapiezentrum römisch 40 behandelt. Ich lege eine Therapiebestätigung bei. Aufgrund dieser psychischen Erkrankung stelle ich einen Asylantrag.“
Bei einer Rückkehr habe er Angst, dass er in Somalia keine medizinische Behandlung für seine psychische Erkrankung erhalte, da es diese dort nicht gebe.
Auf die Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe oder er mit Sanktionen zu rechnen habe, gab der BF an: „Das habe ich in meinem früheren Verfahren angegeben.“
Befragt, seit wann ihm die Änderung der Situation/der Fluchtgründe bekannt sei, gab der BF an, er werde seit Dezember 2019 medikamentös gegen seine psychische Erkrankung behandelt. Die Diagnose habe er im Dezember 2020 erhalten.
Die Frage des Rechtsberaters, ob die entfernten Verwandten in Mogadischu ihn aufgrund seiner Krankheit unterstützen würden, beantwortete der BF mit „Nein.“ Wenn seine Krankheit unbehandelt bleiben würde, befürchte er die Orientierung zu verlieren und von seinen Verwandten aufgrund seiner Krankheit vernachlässigt und verstoßen zu werden. Falls seine Krankheit in Somalia unbehandelt bleiben würde, fürchte er, dass sich seine Situation verschlimmere, er auf der Straße lande und verwahrlose. Auf die Frage des Rechtsberaters, ob er auch Angst vor körperlicher Misshandlung habe, gab der BF an, dass in Somalia psychisch kranke Menschen von ihren Angehörigen angekettet und körperlich misshandelt werden würden. Auf die Frage des Rechtsberaters, wie seine Krankheit ihn in seiner Existenz und bei der Arbeitssuche beeinträchtigen würde, gab der BF an, er würde keine Arbeit bekommen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Er könnte auch nicht bei seiner Familie sein und die Kontrolle über sich selbst behalten. Befragt, ob die Gesellschaft seine Krankheit bemerken würde, führte der BF aus, dass die Gesellschaft dies sofort bemerken würde und würde man beginnen ihn zu diskriminieren, zu misshandeln und auszugrenzen. Die Frage des Rechtsberaters, ob der somalische Staat bzw. Hilfsorganisationen ihn vor der Verfolgung/Misshandlung durch Privatpersonen schützen könnten, beantwortete der BF mit „Nein“ und gab er an, dass es so etwas bei ihnen nicht gebe. Psychisch kranke Menschen würden sich auf der Straße aufhalten und seien verwahrlost. In ganz Mogadischu gebe es nur einen Arzt, der psychisch kranke Menschen behandle. Dieser behandle aber nur ausländische Patienten. Der Staat selbst habe keine Einrichtung für solche Menschen und würde auch ihn nicht vor Verfolgung schützen.
Aus der vom BF vorgelegten Therapiebestätigung vom 10.12.2020 einer Gesundheitspsychologin-Psychotherapeutin geht hervor, dass der BF am 17.09.2020 ein Erstgespräch im Therapiezentrum römisch 40 gehabt habe und im Anschluss daran die Zuteilung des BF bzw. die Einladung zum ersten Therapiegespräch am 10.12.2020 erfolgt sei. Es wurde ausgeführt, dass beim BF eine Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) (kurz: PTBS) diagnostiziert werden könne. Die für eine PTBS typischen Symptome seien bei ihm sozialer Rückzug, Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Gleichgültigkeit, Schlafstörungen mit Albträumen und Flashbacks (Nachhallerinnerungen), erhöhte Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten mit teilweiser Unfähigkeit sich an einige wichtige Aspekte des belastenden Ereignisses zu erinnern, vor allem in Stresssituationen wie z.B. Interviews des BFA bzw. Befragung vor Gericht, Vermeidungsverhalten, Überregung und Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit) und psychosomatische Beschwerden. Weiters wurde ausgeführt, dass der BF in ärztlicher Behandlung sei und Medikamente: das Antidepressivum Trittico und das Schlafmittel Halcion erhalte.
In der ebenso vorgelegten Stellungnahme (vom 03.02.2021) wird ausgeführt, dass der BF an einer psychischen Erkrankung leide, welche noch nicht Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gewesen sei, sondern habe er nun ein neues Fluchtvorbringen erstattet, zumal er an einer PTBS leide, sich in psychiatrischer Behandlung befinde und Medikamente einnehme. Es liege daher eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes seit Rechtskraft des Vorverfahrens vor, weshalb der Folgeantrag nicht wegen res iudicata zurückgewiesen werden könne. Weiters wurde ausgeführt, dass die Fortführung der Behandlung des BF aus medizinischer Sicht angezeigt sei. Aufgrund der in Somalia weit verbreiteten Vorurteile und der ablehnenden Haltung der meisten Somalis gegenüber psychisch Kranken, drohe dem BF Verfolgung wegen seiner Erkrankung. Die Stigmatisierung, Herabwürdigung und Misshandlung psychisch Kranker in Somalia sei von solchem Ausmaß, dass ihm Asyl zuzuerkennen sei. Zudem wäre es dem BF aufgrund seiner psychischen Erkrankung, in Verbindung mit der Tatsache, dass sich seine Kernfamilie in Äthiopien befinde und ihn im Falle der Rückkehr nicht unterstützen könnte, nicht möglich, sich wirtschaftlich selbst zu erhalten und bestünde auch eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK. Es wurde auf diverse Berichte zur Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen in Somalia verwiesen (etwa ACCORD- Anfragebeantwortung vom 30.04.2020 betreffend die Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen, WHO Bericht: A Situation Analysis Of Mental Health In Somalia aus 2010, Bericht von USDOS: Country Report on Human Rights Practices 2019). Demnach seien psychisch Kranke in Somalia massiver Diskriminierung sowie schwersten Misshandlungen (etwa Anketten/Einsperren in Käfigen) ausgesetzt und würden psychische Erkrankungen spirituell (von bösen Geistern besessen) oder religiös (als Strafe Allahs für schlechte Taten) bzw. mangelnder Frömmigkeit begründet werden, weshalb Betroffene sozial isoliert und nicht bzw. inadäquat behandelt werden würden. In vielen Fällen könne die gesellschaftliche Isolation/Ächtung zu einer Verschlimmerung der Krankheitssymptome führen und sei der Irrglaube verbreitet, dass sich psychisch Kranke nicht vollständig erholen könnten. Das Anketten sei gesellschaftlich akzeptiert und werde auch in medizinischen Einrichtungen (oft jahrelang) angewendet. Bis zu 90% der psychiatrischen Patienten in Somalia würden zumindest einmal im Leben angekettet werden. Auch BBC bzw. somalische Psychiater würden von gesundheitsgefährdenden traditionellen „Behandlungsmethoden“ (wie dem Anketten oder dem Einsperren von psychisch Kranken, etwa mit einer Hyäne in einem Käfig) oder von Straßenmobs in Mogadischu berichten, welche Patienten verfolgen/beleidigen bzw. an einer Behandlung hindern würden. Zudem müssten Patienten die medizinische Behandlung/die Medikamente – sofern diese verfügbar seien – selbst bezahlen. Auch der VwGH habe sich bereits in seiner Entscheidung vom 14.02.2019 (VwGH Ra 2018/18/0442) mit der Asylrelevanz einer psychischen Behinderung beschäftigt. Analog zu dieser Entscheidung würde dem BF bei einer Rückkehr nach Somalia wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe psychisch Erkrankter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte drohen. Laut den Länderfeststellungen würde der BF keinen Zugang zu der gebotenen Gesundheitsversorgung bekommen, wodurch sich sein Gesundheitszustand/die Ausprägung der Symptome verschlimmern würden und wäre er auch gefährdet, Diskriminierung, Misshandlung und Freiheitsentzug ausgesetzt zu sein. Der somalische Staat wäre nicht in der Lage bzw. nicht willens ihn vor einer solchen Verfolgung durch Private schützen. Der BF habe nur wenige, in Mogadischu befindliche, entfernte Verwandte und würde ihm keine Alternative bleiben, als sich an jene Verwandte zu wenden und diese zu bitten, ihn bei sich aufzunehmen, da er andernfalls Hunger und Obdachlosigkeit ausgesetzt wäre. Es sei aber unklar, ob diese ihn aufnehmen würden und müsste der BF seine psychische Krankheit permanent verheimlichen/verbergen, da er befürchte, dass ihn die Angehörigen ächten oder misshandeln würden. Er wäre gezwungen, stets die Kontrolle über sich und seine emotionale Verfassung zu bewahren, was mit einer PTBS nicht gewährleistet sei. Der BF habe auch Angst vor der Polizei, vor Waffen und Explosionen. Er habe traumatisierende Erlebnisse mit der somalischen Polizei durchlebt und sei in Somalia mit Waffengewalt konfrontiert worden. Bei einer Rückkehr wäre er dem Risiko ausgesetzt, sollte er neuerlich in eine Situation mit Waffengewalt gelangen, die Kontrolle über sich zu verlieren und einen mentalen Zusammenbruch zu erleiden. Selbst in Österreich stellen sich beim BF Angstzustände ein, wenn er mit der Polizei in Kontakt gerate, da entsprechende Situationen eine Re-Traumatisierung bei ihm hervorrufen. Es wäre ihm in Somalia in dieser Situation nicht möglich, adäquate psychologische Behandlung zu erhalten. Das Unbehandeltlassen der Störung würde zu einer gravierenden Verschlechterung seiner Situation führen, was die Gefahr erhöhte, dass er die Kontrolle über sich selbst verliere und seine Verwandte oder Außenstehende dies mitbekommen würden. Daraus könne eine gefährliche Wechselwirkung resultieren, da der permanente Druck und da Unbehandeltlassen der Erkrankung diese noch verschlimmern würden und die Gefahr eines emotionalen und unkontrollierten Ausbruchs erheblich gesteigert wäre. Spätestens in einer solchen Situation würde die psychische Erkrankung des BF nach Außen treten bzw. könnte er diese nicht mehr verstecken und wäre er der Gefahr einer körperlichen Misshandlung ausgesetzt. Verfolgungshandlungen aufgrund der psychischen Erkrankung würden nach den Länderinformationen im ganzen Staatsgebiet drohen. Ihm sei daher Asyl, jedenfalls aber subsidiärer Schutz zu gewähren, da – unabhängig von der Situation der medizinischen Versorgung bzw. seiner psychischen Erkrankung – auch die Arbeitsmarktsituation angespannt sei, er Angehöriger eines Minderheitsclans sei und ohne Kernfamilie auf sich alleine gestellt sei, weshalb er nicht dazu in der Lage wäre sich in Somalia eine Existenz aufzubauen und daher eine reale Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Artikel 2 und 3 EMRK drohe.
2.2. Am 14.04.2021 brachte der BF durch seine Vertretung erneut eine Stellungnahme ein. Darin wird zunächst (betreffend die Asylrelevanz seiner psychischen Erkrankung) auf den Inhalt der Stellungnahme vom 03.02.2021 verwiesen und zusätzlich ausgeführt, dass dem BF kürzlich das Medikament Trittico verschrieben worden sei. Der BF sei bisher in Linz beim Therapiezentrum römisch 40 in Behandlung gewesen. Durch seine Überstellung nach Kärnten in Folge der Folgeantragstellung sei er nun an die Partnerorganisation römisch 40 verwiesen worden, mit welcher er in Kontakt stehe. Weiters wurde ausgeführt, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Somalia Verletzungen seiner Rechte nach Artikel 2 und 3 EMRK drohen würden. Die Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia (auch in Mogadischu) sei volatil. Dem BF sei es unmöglich in Somalia seine Grundbedürfnisse zu decken, weil er in seinem Herkunftsstaat bzw. in Mogadischu über keinerlei soziales oder familiäres Netzwerk mehr verfüge und dem Minderheitenclan der Galgale angehöre. Minderheitsclans und psychisch kranke Personen seien Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dem BF stehe auch keine IFA offen. An späterer Stelle der Stellungnahme wird dann ausgeführt, dass unklar sei, ob seine in Somalia verbliebenen Verwandten den BF aufnehmen könnten bzw. er seine psychische Erkrankung vor diesen permanent geheim halten müsste, andernfalls dies ihn ächten oder sogar misshandeln würden. Die entfernten Verwandten des BF würden in Chadley (Region Middle Shabelle) leben, in der Stellungnahme vom 03.02.2021 sei aufgrund sprachlicher Kommunikationsschwierigkeiten ausgeführt worden, dass diese in Mogadischu leben würden. Dies sei jedoch ein Missverständnis. Über ein anderweitiges soziales Netzwerk im Herkunftsland verfüge der BF auch durch seinen langjährigen Aufenthalt außerhalb Somalias nicht und würde der BF aufgrund des Fehlens von sozialen und familiären Netzwerken gezwungen sein in Somalia als Binnenvertriebener zu leben. Aufgrund von COVID-19 sei die Lage für Rückkehrer noch schwieriger. Insgesamt sei dem BF eine Rückkehr nach Somalia nicht zumutbar.
Mit der Stellungnahme wurde ein Foto des Medikaments Trittico, 150mg Filmtabletten, vorgelegt.
2.3 Am selben Tag fand auch die Einvernahme des BF vor dem BFA statt.
Dabei gab der BF wie folgt an (LA: Leiter der Amtshandlung, AW: Antwort des BF):
„[…]
LA: Fühlen Sie sich heute psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?
AW: Ich kann der Einvernahme folgen, aber ich bin krank.
LA: Was genau fehlt Ihnen?
AW: Ich habe ein Trauma. Ich leide an PTBS.
LA: Leiden Sie an einer Krankheit welche Sie als Covid Risikogruppe ausweist?
AW: Nein an einer solchen Krankheit leide ich nicht. Ich hatte Gastritis, wurde ich behandelt dahingehend.
LA: Befinden Sie sich dzt. in ärztlicher Behandlung/Therapie oder müssen Sie Medikamente einnehmen?
AW: Ich nehme Tabletten gegen Depressionen. Ich besuchte in Linz einen Psychologen und auch Psychotherapie. Nachgefragt: Ich nehme Trittico. Ich habe bei einer Organisation um Psychotherapie ersucht und warte ich nun auf eine Antwort. Ich habe mit einem Arzt Kontakt aufgenommen und hat er mich zu einer Organisation geschickt wo eine Therapie nur auf Deutsch angeboten wird. Er hat mich auch Trittico verschrieben. Ich brauche es aber auf Englisch. Meine ehemalige Ärztin in Linz hat mich zu einer anderen Organisation verwiesen worauf ich nun warte.
LA: Nehmen Sie weitere Medikamente?
AW: Schmerzmittel bei Bedarf. Wegen der PTBS nehme ich nur Trittico und keine weiteren Medikamente.
LA: Seit wann nehmen Sie Trittico?
AW: Ich nehme das seit Jänner 2020. Davor habe ich im Dezember 2019 Tropfen bekommen, die haben nicht geholfen. Ich habe Passedan genommen.
LA: Seit wann leiden Sie an einer PTBS?
AW: Im Dezember 2019 habe ich stark gespürt, dass ich nicht mehr schlafen kann. Davor habe ich es auch schon gespürt. Wenn ich gefragt werde, was genau ich meine: Ich hatte davor schon immer Sorgen und Ängste und war ich unruhig. In der Nacht wachte ich oft auf, aufgrund von Albträumen. Ich hatte ständig Sorgen und bin ich daher oft zum Arzt. Ich dachte ich würde an einer Herzerkrankung leiden. Ich litt auch unter Müdigkeit. Ich konnte gewisse Dinge nicht erledigen. Ich war ständig im Bett und Müde. Ich hatte immer negative Gedanken im Kopf. Ich hatte immer das Gefühl, dass mir was schlimmer passieren wird. Ich dachte ich würde an einer organischen Erkrankung leiden. Ich habe oft Ärzte besucht. Die Untersuchungen haben festgestellt, dass ich gesund bin. Aber ich spürte, dass es mir nicht gut geht. Dann hat ein Arzt verstanden, dass ich wohl an einer psychischen Erkrankung leide. Er hat mich zu einem Spezialisten überwiesen.
LA: Wann waren Sie zum ersten Mal in Therapie?
AW: September 2020. Bis Dezember 2020 und auch noch bis Jänner 2021. Ich habe immer einen Termin bekommen. Im Dezember wurde die Diagnose gestellt. Ich hatte dann noch Therapie bis ich hier her verlegt wurde. Nachgefragt: Vor 2 Monaten wurde ich hier her verlegt. Ich habe seit 2 Monaten keine Therapie, weil es eine solche auf Englisch nicht gibt. Ich habe meine ehemalige Therapeutin um Hilfe gebeten. Sie meinte Sie kann den Leute in OÖ helfen, aber ich muss zu einer anderen Organisation gehen.
LA: Wie geht es Ihnen ohne Therapie?
AW: Schwer. Ich leide an Schlaflosigkeit.
LA: Waren Sie jemals in Psychiatrischer Behandlung? Waren Sie jemals im Krankenhaus um sich behandeln zu lassen?
AW: Nein, wegen der PTBS war ich nie im Krankenhaus. Ich war auch bei keinem Psychiater, sondern bei der Therapeutin wo mich mein Arzt hingeschickt hat.
LA: Sind Sie arbeitsfähig?
AW: Die Krankheit schränkt mich ein. Daher geht das derzeit nicht.
LA: Aber an einem Deutschkurs können Sie teilnehmen?
AW: Derzeit habe ich keinen Deutschkurs. Davor hatte ich schon einen. Wenn ich gefragt werde, ob mich die Krankheit zwar beim Arbeiten aber nicht beim Deutschlernen einschränkt, gebe ich an, dass sich meine Störung jetzt verschlechtert hat. Wenn es mir bessergeht, würde ich auch arbeiten gehen.
….
LA: Aus Ihrer Stellungnahme entnehme ich, dass die Organisation von der Sie sprachen römisch 40 ist. Wie sieht es aus, wann können Sie mit einer Behandlung rechnen?
AW: Ich habe noch keine Antwort bekommen, ich habe diesen eine SMS geschickt, wenn ich gefragt werde, wer die Ansprechperson dort für mich ist, gebe ich an, dass ich mich an den Namen nicht erinnere.
Ich habe es in meinem Handy.
…
LA: Können Sie mir von Ihrem Tagesablauf in Österreich erzählen?
AW: Ich lebe in einem Dorf und gehe ich jeden Tag spazieren. Sonst mache ich aber nichts.
LA: Haben Sie ärztliche Unterlagen welche Sie vorlegen können?
AW: Nein ich habe sonst keinerlei Unterlagen die ich heute vorlegen kann.
[…]
Nach weiterer Befragung, gab der BF an, im bisherigen Verfahren immer die Wahrheit gesagt zu haben. Er habe auch vollständige Angaben gemacht bzw. alles erzählt, was seine Gesundheit betreffe. Bei seinen früheren Einvernahmen sei er aber krank gewesen, was er damals aber noch nicht gewusst habe, da er erst später davon erfahren habe.
Weiters gab der BF an, dass derzeit kein Kontakt nach Somalia bestehe. Er habe zuletzt im Juni 2019 mit seinem Vater telefoniert. Er könne seine Familie nicht finden. Dann habe er noch eine negative Entscheidung bekommen und seien seine Sorgen noch größer geworden. Er habe gesagt, nicht arbeiten zu können, weil er dafür psychisch die Motivation nicht habe. Er habe Sorgen wegen seiner Gesundheit und Angst verrückt zu werden und den Verstand zu verlieren. Körperlich könnte er schon arbeiten. Befragt, inwiefern eine aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff in sein Familienleben in Österreich darstellen würde, gab der BF an, weniger Kontakt zu seinen Leuten zu haben, weil es ihm psychisch schlechter gehe. Es werde ihm noch schlechter gehen, wenn man wieder negativ entscheide. Es gebe aber Leute, mit denen er immer noch Kontakt habe. Er versuche aber so zu sein, dass die Leute nicht merken, dass er krank sei. Das mache es noch schwerer.
Befragt, warum er den gegenständlichen Folgeantrag gestellt habe, gab der BF wie folgt an:
[…]
„AW: Wegen meinem gesundheitlichen Zustand. Ich werde dort keine medizinische Versorgung finden. Ich habe auch Angst vor Misshandlungen.
LA: Gab es Änderungen an Ihren Fluchtgründen?
AW: Es handelt sich um dieselben Gründe. Sie sind nicht verändert. Aufgrund meiner psychischen Probleme konnte ich diese nicht genau erzählen. Jetzt kommt noch meine Gesundheit dazu.
LA: Gibt es etwas, dass Sie bisher nicht anführten, weil Sie nicht konnten?
AW: Ich habe damals nichts von Problemen in Jowhar erzählt. Seit dem Jahr 2008 konnte ich nicht mit meiner Familie in derselben Ortschaft leben. Meine Frau hat mich in Jowhar und Mogadischu besucht. Einige Kinder von mir habe ich selbst nicht gesehen, genau 2 davon. In Jowhar habe ich Probleme bekommen und wurde ich geschlagen, ich habe eine Narbe auf der Stirn. Ich habe in einem Spital gearbeitet damals. Al Shabaab hat damals die Stadt erobert. Ich habe für MSF Medizin gearbeitet. Einige Mitarbeiter von Krankenhaus konnten flüchten. Wir sind geblieben. Al Shabaab hat entschieden, dass wir die Stadt nicht verlassen durften.
LA: Diese Angaben haben Sie bereits gemacht. Ich habe Sie um Angaben gebeten, welche Sie nicht vorbringen konnten?
AW: Ich habe nur gesagt warum ich aus Jowhar weg bin und nicht was genau war. Ich bin aus Jowhar weg und nach Mogadischu gegangen. Ich habe bis 2016 Angst gehabt. Sie haben mich verfolgt. Ich konnte nur dort arbeiten wo eine Bewachung war. Al Shabaab hat mich immer bedroht. Zuletzt habe ich in einem Spital gearbeitet welches für die Regierung arbeitet. Ich wurde dann gekündigt. Ich konnte nicht woanders arbeiten, weil ich nicht frei bin. Ich kann nur dort arbeiten wo es von Regierung oder UN bewacht wird. Ich wollte doch bleiben, ich gehöre aber zu einem kleinen Clan, der mich nicht schützen kann. Dann bin ich ohne Arbeit auf der Straße gelandet und bin ich daher geflüchtet. Davor habe ich immer geschaut, dass ich bleibe und die Probleme meistern kann.
LA: Welche berufliche Ausbildung haben Sie?
AW: Laborant. Ich habe immer im medizinischen Sektor gearbeitet. Einmal auch in einem Lager, welches immer bewacht wurde. Dieses gehörte einer Organisation.
LA: Gab es Verfolgungshandlungen seit Abschluss Ihres Erstverfahrens?
AW: Nein
AW: Ich habe noch etwas vergessen: Ich habe in Somalia aufgrund meiner Clanzugehörigkeit Rassismus und Diskriminierungen erlitten, ich habe aber versucht damit zu leben.“
[…]
Nach Befragung durch seine Vertreterin gab der BF wie folgt an (VR: Fragen der Vertreterin des BF, AW: Antwort des BF, LA: Leiter der Amtshandlung):
[…]
(VR): Welche Auswirkungen hätte eine Rückkehr auf Ihre psychische und körperliche Gesundheit?
AW: Meine Erkrankung würde sich verschlechtern, weil ich keine medizinische Behandlung, wegen der Lage in Somalia, bekommen würde. In Somalia wird eine psychisch kranke Person diskriminiert und beschimpft. Die Rechte werden unterdrückt und bekommen sie diese nicht. Es ist eine Schande psychisch krank zu sein. Ich habe dort keine Familie mehr und bin ich gezwungen zu Hilfsorganisationen zu gehen und dort zu leben. Man könnte mich aufgrund er psychischen Erkrankungen misshandeln und auch fesseln.
VR: Sie haben angegeben, dass Ihre Kernfamilie in Äthiopien leben. In Somalia leben nur mehr entfernte Verwandte. Für den Fall dass Sie diese aufnehmen würden. Was wäre, wenn diese von Ihrer Krankheit erfahren würden?
AW: Sie würden mich fesseln, damit die Leute nicht erfahren, dass sie einen psychisch Kranken zuhause haben. Es ist eine Schande psychisch krank zu sein.
VR: Könnte der Staat Somalia bzw. NGOs Sie vor Verfolgung Privater schützen?
AW: Nein, können sie nicht. Psychisch Kranke leben auf der Straße.
LA: Wer würde Sie verfolgen?
AW: Die Leute die mir damals Probleme gemacht habe, dieses Problem besteht noch immer. Die politische Lage hat sich verschlechtert. Die Regierung ist gestürzt. Es gibt keine andere Regierung mehr, es wurde wegen Wahlen gestritten.
VR: Würden private Leute Sie verfolgen, wenn diese von der Erkrankung erfahren würden?
AW: Sie würden mich schlecht behandeln und misshandeln. Sie würden mich beschimpfen und beleidigen. Ich würde schlechte gesehen und die Kinder würden mich mit Steinen bewerfen.
LA: Von wem konkret sprechen Sie?
AW: Die Gesellschaft.
LA: Woher wissen Sie, dass dies so wäre?
AW: Weil ich dort gelebt habe und es selbst gesehen habe, wie mit den psychisch Kranken dort umgegangen wird. Sie bekommen keine Rechte dort. Es gilt nicht für alle, aber es gibt Leute bei denen es so ist.
VR: Keine weiteren Fragen. Ich verweise dazu auf die bisherigen Stellungnahmen.
Wir haben auch schon eine Stellungnahme zum aktuellen LIB eingebracht mit Stand 31.03.2021.“
[…]
Nach der Rückübersetzung führte der BF noch aus, dass er auch, wenn es schlimm sei, Halcion gegen die Schlaflosigkeit nehme. Auf Dauer dürfe er dies nicht nehmen.
2.4. Am 22.07.2021 wurde dem BF vom BFA erneut Parteiengehör gewährt und er dazu aufgefordert zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, seiner ärztlichen/psychiatrischen/psychologischen Behandlung und den benötigten Medikamenten eine schriftliche Stellungnahme abzugeben bzw. aktuelle Befunde vorzulegen.
2.5. Am 05.08.2021 brachte die Vertretung des BF dazu beim BFA eine Stellungnahme ein. Darin wird zum aktuellen Gesundheitszustand des BF ausgeführt, dass der BF Schlafstörungen habe, die er nur mit Einnahme von Medikamenten bewältigen könne. Er leide unter Angstzuständen und schweren Sorgen. Er berichte von emotionalen Ausbrüchen, die aus einer tiefen Traurigkeit resultieren würden. Weiters davon, dass er in den Momenten, in denen seine psychische Verfasstheit besonders schlecht sei, des Öfteren den Drang verspüre einen Arzt aufzusuchen, da er das Gefühl der Hilfslosigkeit erlebe, in der Hoffnung, dass der Arzt ihm helfen könne. Gleichzeitig habe der BF große Angst davor, dass ihm eine neue, gravierende Krankheit diagnostiziert werde, sodass er eine Terminvereinbarung hinauszögere. Der BF berichte auch davon, dass er sich des Öfteren derart schlapp und ausgelaugt fühle, dass er nicht die Energie aufbringen könne, aus dem Bett aufzustehen und brauche er dafür nicht selten 1-2 Stunden. Er fühle sich in solchen Momenten wie gelähmt. Auch berichte er von Somatisierungen seiner Erkrankung. Er leide unter starken Schmerzen, die sich von seinem Rückgrat bis zu seinen Beinen erstrecken würden sowie Kopfschmerzen, häufigem Herzrasen und juckender Haut. Zudem habe er Essstörungen und eine funktionale Störung seines Magen-Darm-Traktes, wenn er seine Tabletten nicht einnehme (gestörter Stuhlgang). Er berichte von starken Konzentrations- und Erinnerungsstörungen und Stimmungsschwankungen bzw. von sich abwechselnden und unkontrolliert auftretenden „Höhen und Tiefen“ seines Stimmungsbildes. Dem BF sei es seither nicht möglich gewesen, mit seiner Familie in Äthiopien in Kontakt zu treten. Darüber sei er in tiefer Trauer, Bestürzung und Sorge. Um seinen psychischen Zustand nicht weiter zu verschlechtern, versuche er die Gedanken an seine Familie zwanghaft zu unterdrücken. Dies schaffe er jedoch oft nicht und resultiere dann seine psychische Verfasstheit in Angstzuständen, Sorgen und Traurigkeit, die er wiederum ohne Einnahme von Medikamenten nicht zu überwinden vermöge. Aufgrund der fluchtauslösenden Ereignisse in Somalia leide der BF vermehrt unter schweren Schlafstörungen und ständiger Angespanntheit. Er habe eine tiefgreifende Angst vor einer ungewissen Zukunft, einer Rückführung und einer sich daran anschließenden Verfolgung. Weiters wurde ausgeführt, dass der BF am 21.04.2021 bei einem therapeutischen Erstgespräch beim psychosozialen Zentrum römisch 40 vorstellig gewesen sei. Seit 14.07.2021 sei er in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung (Gesprächstherapie) bei römisch 40 , alle zwei Wochen, wo seine Krankheitsbilder (PTBS und Depression) behandelt werden würden. Laut der behandelnden Psychotherapeutin sei eine langfristige psychotherapeutische Behandlung angezeigt. Zudem nehme der BF regelmäßig Medikamente ein (1x pro Tag 100mg Sertralin Genericon und 15 bzw. 30mg Mirtazipin Sandoz sowie 75mg ½ Tablette Trittico retard). Falls ihm Trittico nicht ausreichend beim Einschlafen helfe, nehme er stattdessen Mirtazipin. Jedenfalls nehme er jeden Abend einmal eines dieser beiden Medikamente ein. Die Medikamente würden ihm von einem Arzt für Allgemeinmedizin ausgestellt werden, bei welchem der BF bis jetzt 4 Mal in Behandlung gewesen sei. Er besuche ihn auch, wenn er neue Medikamente benötige. Einmal sei er bei der Urlaubsvertretung in ärztlicher Behandlung gewesen, welche ihm Trittico verschrieben habe.
Mit der Stellungnahme wurden insbesondere folgende Unterlagen vorgelegt:
- unleserliche Bestätigung von römisch 40 ;
- psychotherapeutischer Befundbericht vom 02.08.2021 von römisch 40 , wonach der BF seit 14.07.2021 in psychotherapeutischer Behandlung sei und an einer PTBS (F43.1) und einer Depression (F32.1) leide. Er sei in ärztlicher Behandlung und erhalte Antidepressiva (Sertralin 100mg) und Mirtazapin (schlafanstoßen und angstlösend, 25mg). Zudem wurde ausgeführt, dass die Allgemeinbelastung des BF sehr hoch sei und er einer langfristigen psychotherapeutischen Begleitung bedürfe;
- Fotografien der Medikamentenverpackungen Sertralin, Mirtazapin und Trittico und der Öffnungszeiten des Hausarztes des BF.
2.6. Am 13.08.2021 legte der BF einen Befund eines Allgemeinmediziners vom 11.08.2021 mit den Diagnosen „PTBS und Depression“ vor. Zudem wurde darin festgehalten, dass der BF bei „ römisch 40 “ in Therapie stehe, als Medikation wurden Sertralin 100mg und Trittico 150mg angeführt.
2.7. Mit Bescheid des BFA vom 14.10.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.02.2021 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkte römisch II. und römisch III.).
Die Behörde führte im Wesentlichen aus, dass der BF Staatsangehöriger von Somalia sei, dem Clan der Gaa Gale angehöre und sich zum muslimischen Glauben bekenne. Er sei verheiratet und habe Kinder. Er sei körperlich gesund, leide jedoch an einer PTBS sowie Depressionen und nehme regelmäßig Medikamente ein. Der BF habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen Flucht- und Asylgründe vorgebracht, welche nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden seien, sondern liege res iudicata vor. Er habe lediglich Nebenumstände der schon im ersten Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründe modifiziert bzw. sich auf eine Verfolgung wegen seiner psychischen Erkrankung (durch die somalische Gesellschaft bzw. seine entfernten Verwandten) berufen, welche jedoch konstruiert wirke und nicht glaubhaft sei. Es liege auch keine Gruppenverfolgung von psychisch Kranken in Somalia vor. Aufgrund seines psychischen Zustandes sei jedoch davon auszugehen, dass er derzeit keine notwendige und adäquate gesundheitliche Behandlung in Somalia erlangen würde und wäre er derzeit kaum in der Lage für sich zu sorgen, da er derzeit über keine gesicherten familiären Anknüpfungspunkte verfüge. Es sei ihm daher subsidiärer Schutz zu gewähren. Im Falle einer Besserung seines Gesundheitszustandes stünde einer Rückkehr nach Somalia nichts entgegen.
2.8. Am 18.10.2021 legte der BF dem BFA einen AMS-Bescheid vom 06.10.2021 vor, wonach ihm eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Buffetkassierer für die Zeit vom 06.10.2021 bis 05.10.2022 für eine Ganztagsbeschäftigung im Ausmaß von 40h/Woche und mit einem Stundenlohn von 9,25€ erteilt werde.
2.9. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Darin wird nach Wiederholung des Verfahrensganges zunächst auf die bereits eingebrachten Stellungnahmen verwiesen und sodann ausgeführt, dass die Behörde ausgehende von seinem Vorbringen, er werde in Somalia aufgrund seiner bestehenden psychischen Krankheitsbilder asylrelevant verfolgt, aktuelle und spezifische Länderberichte zu dieser Thematik einholen müssen. Da das BFA dies nicht gemacht habe, sei das Verfahrens mit Mangelhaftigkeit belastet. Es wurde erneut auf die bereits in der Stellungnahme vom 03.02.2021 zitierten Berichte und Vorbringen verwiesen und ausgeführt, dass der Bescheidinhalt rechtswidrig sei, da die Entscheidung des BVwG vom 03.02.2020 maßgeblich auf der psychischen und physischen Gesundheit des BF sowie der sich verbessernden Versorgungs- und Sicherheitslage in Mogadischu und die sozialen Kontakte des BF in Somalia gestützt worden sei. Diese Feststellungen seien aktuell jedoch nicht mehr der Fall, da sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage geändert habe. Schon wegen der Auswirkungen durch COVID-19 auf die allgemeine Versorgungslage in Somalia könne von keiner Identität der Sachlage zum Erstverfahren gesprochen werden. Das BFA handle somit rechtswidrig, wenn es trotz Pandemie von einer res iudicata ausgehe und hätte das Anbringen zu einer inhaltlichen Entscheidung führen müssen. Zudem würden die Feststellungen im Erstverfahren von keinerlei gesundheitlichen Einschränkungen des BF sprechen, sondern diesen als „gesund“ beschreiben. Nunmehr werde im Bescheid aber festgestellt, dass der BF an einer PTBS leide und ihm im Falle einer Rückkehr eine adäquate und angemessene Behandlung nicht möglich wäre bzw. es ihm nicht möglich wäre, für sich zu sorgen und sich eine unabhängige Existenz zu sichern; dies aufgrund seines Krankheitsbildes in Verbindung damit, dass er derzeit über keine gesicherten familären Anknüpfungspunkte in Somalia verfüge. Da das BFA diese Tatsachen festgestellt habe, sei umso verwunderlicher, dass das BFA von einer res iudicata in Bezug auf das Fluchtvorbringen ausgehe. Die von der Behörde festgestellten Krankheiten würden einen geänderten Sachverhalt bezeugen, da bei ihm nicht mehr von einer gesunden Person ausgegangen werden könne. Selbst wenn die Behörde in einem inhaltlichen Verfahren zum Schluss kommen sollte, dass dem BF aufgrund seiner Erkrankung keine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr nach Somalia drohen würde, hätte sich die Behörde in einem inhaltichen Verfahren mit dem Gesundheitszustand des BF insbesondere hinsichtlich der verschlechternden Sicherheits- und Versorgungslage im Hinblick auf kumulative Bedrohungsmomente auseinandersetzen müssen. Keineswegs könne von der Identität der Sachlage zum Erstverfahren ausgegangen werden. Die maßgebliche Sachlage habe sich seit letzter Entscheidung in wesentlichen Punkten verändert, weshalb neue Umstände vorliegen würden. Diese neuen Umstände würden augrund ihrer Tragweite (massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes) erheblich zur Wahrscheinlichkeit beitragen, dass dem BF internationaler Schutz in Form des Stauts des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Das neue Vorbringen sei damit wesentlich und relevant iSd Rechtsprechung des VwGH. Die Gesundheitssituation des BF sei nicht nur für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten relevant, sondern drohe dem BF überdies in Somalia asylrelevante Verfolgung aufgrund seines psychischen Krankheitsbildes. Es wurde erneut auf die Entscheidung des VwGH vom 14.02.2019 hingewiesen und ausgeführt, dass dem BF analog dazu bei einer Rückkehr nach Somalia aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe psychisch Erkrankter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte drohe. Der BF leide an einer PTBS und gehe aus den Länderberichten hervor, dass er in Somalia nicht nur keinen Zugang zur gebotenen Gesundheitsversorgung bekomme, sondern sich sein Gesundheitszustand und die Ausprägung der Symptome verschlimmern würde und wäre er als Folge davon auch gefärhdet, Diskriminierung, Misshandlungen und Freiheitsenziehung ausgesetzt zu sein. Der somalische Staat wäre nicht dazu in der Lage bzw. willens den BF zu schützen. Der BF wäre in Somalia als Angehöriger eines Minderheitenclans und ohne in Somalia lebende Kernfamilie, die ihn im Umgang mit seiner psychischen Krankheit unterstützen oder vor Misshanldung schützen könnte, besonders gefährdet. Der BF befürchte, dass andere, sich in Mogadischu befindliche Angehörige, ihn im Falle einer Rückkehr ebenfalls ächten oder sogar misshandeln würden und könne er sich keine Unterstüzung von diesen erwarten. Verfolgungshandlungen aufgrund der psychischen Erkrankung würden nach den angeführten Länderberichten im ganzen Staatsgebiet drohen. Dem BF sei daher der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Mit der Beschwerde wurde ein aktueller Meldezettel des BF vorgelegt.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 01.08.2016 den ersten Antrag auf internationalen Schutz, der in 2. Instanz vom BVwG mit Erkenntnis vom 03.02.2020, GZl.: W252 2191090-1/11E, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen als unbegründet abgewiesen wurde. Das Fluchtvorbringen des BF wurde dabei als nicht glaubhaft beurteilt, kein subsidiärer Schutz gewährt und wurde eine Rückkehrentscheidung bezogen auf den Herkunftsstaat Somalia erlassen.
Der BF ist seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen, sondern stellte am den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 14.10.2021 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt.
Der BF hat im gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vorgebracht. Eine maßgebliche Änderung der asylrelevanten Lage im Herkunftsstaat Somalia seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz kann nicht festgestellt werden.
Beim BF wurde im Dezember 2020 eine PTBS und im August 2021 (zusätzlich dazu) noch eine Depression diagnostiziert. Er war wegen seiner psychischen Probleme erstmals im Dezember 2020 bei einer Psychotherapeutin vorstellig, seit Juli 2021 besucht er regelmäßig (alle 2 Wochen) eine psychotherpeutische Gesprächstherapie. Der BF nimmt die Medikamnete Sertralin, Mirtazapin und Trittico ein (Antidepressiva und Schlafmittel).
Der BF ist arbeitsfähig. Ihm wurde vom AMS für die berufliche Tätigkeit als Buffettkassierer eine Beschäftigungsbewilligung (im Ausmaß von 40h/Woche) erteilt (Zeitraum 06.10.2021 bis 05.10.2022).
Der BF war von 12.10.2021-19.11.2021 und von 23.11.2021-27.12.2021 als Arbeiter gemeldet. Auch derzeit (seit 02.01.2022) ist er wieder als Arbeiter nach dem ASVG angemeldet. Der BF bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur Lage in Somalia wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte folgendes festgestellt (Die Länderberichte wurden vom erkennenden Gericht auf die für das gegenständliche Verfahren relevanten Teile gekürzt):
COVID-19
Letzte Änderung: 07.07.2021
Zwischen 19.3.2020 und 2.1.2021 wurden über 81.000 Menschen getestet, knapp 4.700 waren infiziert (HIPS 2021, Sitzung 24). Im ersten Quartal 2021 entwickelte sich eine neue Welle. Im Zeitraum
16.3.-7.5.2021 wurden 11.504 Infektionen bestätigt, 537 Personen starben an oder mit Covid-19
(UNSC 19.5.2021, Absatz 61,). Mit Stand 27.6.2021 waren in Somalia 7.235 aktive Fälle registriert, insgesamt 775 Personen waren verstorben. Seit Beginn der Pandemie waren nur 140.128 Tests durchgeführt worden (ACDC 27.6.2021). Mitte März 2021 trafen die ersten Impfstoffe in Somalia ein. Mit Stand 29.4.2021 waren 121.700 Personen immunisiert (UNSC 19.5.2021, Absatz 61,).
Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, Sitzung 9).
Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, Sitzung 24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend – ohne Besucherbeschränkung – offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, Sitzung 16).
Die tatsächlichen Infektionszahlen sind aufgrund wenig verfügbarer bzw. erreichbarer Testmöglichkeiten, Stigma, wenig Vertrauen in Gesundheitseinrichtungen sowie teilweise der Leugnung von COVID-19 völlig unklar (UC 13.6.2021, Sitzung 9). Testungen sind v.a. auf Städte beschränkt (UC 13.6.2021, Sitzung 2) und generell so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX
13.8.2020).
Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden – aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).
Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, Sitzung 1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Absatz 51,). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und
AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Absatz 69,). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Insgesamt bleiben Test- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19-Infizierte aber beschränkt (UNFPA 12.2020, Sitzung 1).
Nachdem die Bildungsinstitutionen ihreArbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv – nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).
Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, Sitzung 2; vergleiche UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, Sitzung 2). Auch der Export von
Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA
12.2020, Sitzung 1). Aus Somaliland hingegen wird berichtet, dass die Remissen im Jahr 2020 um 15 % auf 1,3 Milliarden US-Dollar angewachsen sind (SLP 7.4.2021).
Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden
Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als drei Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 11.6.2021).
Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 11.6.2021).
Quellen:
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• DEVEX / Sara Jerving (13.8.2020): Stigma and weak systems hamper the Somali COVID-19 response, https://www.devex.com/news/stigma-and-weak-systems-hamper-the-somali-covid-19response-97895 , Zugriff 12.10.2020
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• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
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Politische Lage
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 07.07.2021
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 18.4.2021, Sitzung 4f). Während Süd/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, Sitzung 4).
Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Absatz 78,), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 18.4.2021, Sitzung 4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen
(FH 3.3.2021a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, Sitzung 33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 3.3.2021a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS
30.3.2021, Sitzung 23). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen
Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).
Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 2; USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Absatz 5,). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer
Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Absatz 6,). Seit Feber 2021 regiert Farmaajo ohne Mandat, seine Amtszeit ist abgelaufen (TNH 20.5.2021). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, Sitzung 34/40).
Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, Sitzung 11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, Sitzung 20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 18.4.2021, Sitzung 6; vergleiche BS 2020, Sitzung 20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 30.3.2021, Sitzung 26f; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3; BS 2020, Sitzung 11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister
wenig Einfluss (BS 2020, Sitzung 20).
Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021).
Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die
Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, Sitzung 11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 18.4.2021, Sitzung 6). 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratischen Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Die errungenen Fortschritte wurden von der Regierung Farmaajo allerdings weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021).
Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Absatz 7,), bis es im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten kam. Das vereinbarte Modell entsprach in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt
(UNSC 13.11.2020, Absatz 2 f, ;, vergleiche FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC
13.11.2020, Absatz 21,). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 88,).
Aktuelle Politische Lage: Allerdings hatte sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed Madobe, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vergleiche FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vergleiche ECFR 16.2.2021). Damit verfügte Somalia im Feber 2021 plötzlich über keine legitime Regierung mehr, und Präsident Farmaajo weigerte sich sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021).
Die Präsidenten von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vergleiche Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, haben Farmaajo danach nicht mehr als Präsidenten anerkannt (Sahan 9.2.2021b; vergleiche IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a). Dabei hat das Versagen, einen Kompromiss zu finden, nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021).
Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vergleiche UNSOM 2.3.2021). Die Verhandlungen verliefen ohne Ergebnis. Daraufhin hat das parlamentarische Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, mit welchem die Legislaturperiode des Parlaments und auch die Amtszeit des Präsidenten um zwei Jahre verlängert wurden. Das National Salvation Forum - eine Allianz der Präsidentschaftskandidaten und der Präsidenten von Puntland und Jubaland - hat diesen Vorgang scharf zurückgewiesen. In der Folge kam es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition am 25.4.2021 zu Kampfhandlungen. Am 1.5.2021 wurde das Gesetz schließlich vom Parlament zurückgezogen und man kehrte zum Abkommen vom September 2020 zurück. Neuer Verantwortlicher für die Umsetzung der Wahlen ist nun Premierminister Roble. Dieser hat in Verhandlungen mit der Allianz der Präsidentschaftskandidaten am 5.5.2021 eine Einigung zur Entflechtung [Disengagement] bzw. zum Rückzug der jeweiligen bewaffneten Kräfte in ihre Stützpunkte erzielt (UNSC
19.5.2021, Absatz 3 -, 11,). Ende Mai 2021 wurden - nach enormem nationalen und internationalen Druck - Verhandlungen wieder aufgenommen. Maßgeblich verantwortlich dafür war wieder Premierminister Roble (TNH 20.5.2021). Am 27.5.2021 wurde eine Einigung verkündet, demnach sollen die Wahlen im Sommer 2021 stattfinden (BAMF 31.5.2021). Nach neueren Angaben sind die Präsidentschaftswahlen für den 10.10.2021 angesetzt (TSD 29.6.2021). Nun stolpert das Land also in Richtung eines stark verzögerten und komplexen Wahlvorganges, der wieder von Clanältesten getragen werden wird (BBC 31.5.2021). Derweil höhlt al Shabaab den immer noch angeschlagenen Staat in Somalia aus (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).
Föderalisierung: Auch wenn die Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster
Bundesstaat erachtet (BS 2020, Sitzung 10; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, Sitzung 13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, Sitzung 55f).
Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Zahlreiche Befugnisse wurden nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche „Hoheiten“ über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 4).
Generell versuchte Farmaajo die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden sollte, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vergleiche ECFR 16.2.2021). So hat etwa der Geheimdienst NISA die Zusammensetzung von
Wahlversammlungen manipuliert (TNYT 14.4.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt
(Sahan 11.2.2021b). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).
Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, Sitzung 41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).
Quellen:
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• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
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Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
Letzte Änderung: 07.07.2021
Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region
Benadir – und damit den Status von Mogadischu – entscheiden muss. Es kam auch zu einer Kampagne, wonach Benadir zu einem eigenen Bundesstaat werden sollte. Dadurch wäre aber die künstliche Clanbalance der Bundesstaaten insgesamt gefährdet (HIPS 2021, Sitzung 18). Als Konsequenz ist der Status der Bundeshauptstadt nach wie vor nicht geklärt. Die BRA ist kein Bundesstaat, verfügt aber über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020, Sitzung 13). Die Hauptstadt untersteht direkt der Bundesregierung (HIPS 2021, Sitzung 9), der somalische Präsident ernennt Bürgermeister und Stellvertreter (HIPS 2021, Sitzung 18).
In Mogadischu bleiben die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir in ihren Machtpositionen; in Dayniile auch die Hawiye/Murusade (FIS 7.8.2020, Sitzung 38).
Quellen:
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• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Letzte Änderung: 29.03.2021
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
…
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/ , Zugriff 26.1.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff 17.3.2021
• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-mapof-al-shabaab-control.html
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 07.07.2021
Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2020, Sitzung 38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 275 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die meisten Vorfälle gingen auf das Konto der al Shabaab. Dabei handelte es sich vorwiegend um sogenannte hit-and-run-Angriffe sowie um Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen (UNSC 19.5.2021, Absatz 14,). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 3.2020, Sitzung 2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen berichtet (AA
18.4.2021, Sitzung 4/8).
AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Während die somalische Regierung und ihre Alliierten zwar im Großen und Ganzen territoriale Gewinne verzeichnen und die Kontrolle über die meisten Städte halten können, ist es ihnen nicht gelungen, die Kontrolle in ländliche Gebiete auszudehnen (BS 2020, Sitzung 6). Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 3.12.2020). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf AMISOM, aber auch auf Unterstützung durch die USA – angewiesen. Dies wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern (IP 1.11.2019; vergleiche BS 2020, S.
11). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (ÖB 3.2020, Sitzung 2).
Trend: Im Zeitraum von Anfang 2018 bis zum Ende 2020 gab es hunderte terroristische Vorfälle. In den Jahren 2018 und 2019 war die Zahl an Vorfällen zunächst rückläufig – v.a. wegen der intensivierten Operationen gegen al Shabaab. Die Gruppe konnte dabei aus einigen strategisch wichtigen Punkten vertrieben werden – etwa von den fünf Shabelle-Brücken zwischen Sabid Anoole und Janaale (Sahan 11.2.2021a). Dadurch und durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Mogadischu konnte al Shabaab auch nur mehr selten Sprengstoffanschläge mit Fahrzeugen durchführen. Die Zahl an zivilen Opfern durch Sprengstoffanschläge ging demnach 2020 gegenüber 2019 um 50 % zurück (UNSC 17.2.2021, Absatz 13,). Im Jahr 2020 haben sich aber zuletzt die Angriffe auf somalische Kräfte und AMISOM wieder gemehrt (Sahan 11.2.2021a; vergleiche JF
28.7.2020).
Dies kann direkt mit den politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Bundesstaaten in Zusammenhang gebracht werden, da dadurch für den Kampf gegen al Shabaab notwendige Ressourcen umgeleitet wurden (Sahan 11.2.2021a). Schon Anfang Feber 2021 befand sich die Sicherheitslage aufgrund des politischen Streits rund um das Ende der Präsidentschaft Farmaajos in einer Abwärtsspirale. Zudem hatten Sicherheitskräfte teilweise seit Monaten keinen Sold erhalten und hielten sich in Mogadischu und anderen Landesteilen an der Bevölkerung schadlos (SG 8.2.2021). Später im Jahr hatte die politische Krise eine Rückkehr zum Bürgerkrieg befürchten lassen (ICG 16.4.2021; vergleiche HO 12.4.2021a; AJ 14.4.2021a). Viele Sicherheitskräfte sind v. a. ihrem Kommandanten oder ihrem Clan gegenüber loyal. So kann nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition Bewaffnete ins Feld stellen (Reuters 19.2.2021; vgl.
AJ 14.4.2021a). Dies ist im April 2021 in Mogadischu auch geschehen, und es ist auch zu Kampfhandlungen gekommen (BBC 31.5.2021; vergleiche TNH 20.5.2021).
Dahingegen stagniert der Kampf gegen al-Schabaab bereits seit mehreren Jahren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 7). Laut Einschätzung eines Experten kann ein weiteres Zurückdrängen von al
Shabaab durch AMISOM auf der aktuellen Grundlage nicht erwartet werden (BMLV 25.2.2021).
In Lower Juba und Lower Shabelle kommt es nur noch sporadisch zu Störoperationen gegen al Shabaab (UNSC 13.11.2020, Absatz 60,). In der Vergangenheit hat die Bundesarmee wiederholt dabei versagt, von AMISOM geräumte Gebiete auch tatsächlich abzusichern (UNSC 1.11.2019, Sitzung 24). Trotzdem berät AMISOM die Übergabe weiterer Forward Operating Bases (FOBs) an die somalische Armee bzw. die Aufgabe einzelner FOBs (UNSC 13.11.2020, Absatz 61,).
Entlang der Hauptversorgungsrouten hat al Shabaab die Angriffe auf Sicherheitskräfte verstärkt
(USDOS 30.3.2021, Sitzung 15). Von der politischen Krise hat al Shabaab - wie erwähnt - profitiert. Sicherheitskräfte wurden aus Frontgebieten abgezogen (Sahan 18.3.2021a). Die Gruppe sah sich schon zuvor durch den Abzug der USA und einen Teilabzug äthiopischer Kräfte gestärkt und als Sieger (ICG 16.4.2021). Al Shabaab gewinnt an Boden (TNYT 14.4.2021). Die Fähigkeit, mittlerweile auch die am sichersten eingestuften Ziele angreifen zu können, verdeutlicht dies umso mehr (JF 18.6.2021). Ein durch inneräthiopische Zwänge verursachter Rückzug äthiopischer Truppen aus Hiiraan, Galmudug und Gedo scheint möglich. Gerade in den letztgenannten Regionen ist al Shabaab zuletzt erstarkt und würde ein Vakuum rasch füllen (Sahan 1.7.2021a).
Ein Vordringen größerer Kampfverbände der al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und AMISOM – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (BMLV 25.2.2021).
Al Shabaab führt nach wie vor einen Guerillakrieg (USDOS 12.5.2021, Sitzung 6). Al Shabaab bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Die Gruppe führt ihren Kampf mit zunehmender Intensität und Häufigkeit. Die Angriffe auf sogenannten high-profile-Ziele in Mogadischu und anderswo wurden verstärkt (HIPS 2021, Sitzung 20). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels (FIS 7.8.2020, Sitzung 25; vergleiche AA 3.12.2020). Al Shabaab führt weiterhin regelmäßige Angriffe auf Regierungsstellungen durch. Vor allem der Korridor Mogadischu–Merka ist für Angriffe anfällig (PGN 10.2020, Sitzung 2). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, z.B. in Mogadischu koordinierte Angriffe durchzuführen. Die Zahl an Mörserangriffen ist zurückgegangen. Derartige Angriffe richten sich in erster Linie gegen AMISOM und regionale Sicherheitskräfte in Lower Juba, Lower Shabelle und Middle Shabelle (UNSC 13.11.2020, Abs.
12), aber auch in Hiiraan und Benadir (UNSC 13.8.2020, Absatz 19,). Hingegen hat die Zahl an Selbstmordattentaten zugenommen. Es kommt auch weiterhin zu sogenannten komplexen Angriffen, etwa am 16.8.2020 auf das Elite Hotel in Mogadischu mit zwanzig Todesopfern oder am
17.8.2020 auf einen Stützpunkt der somalischen Armee in Goof Gaduud Burey (Bay) (UNSC 13.11.2020, Absatz 14,); auf ein Restaurant in Xamar Jabjab am 5.3.2021 mit zehn Toten oder auf zwei Stützpunkte der Armee in Lower Shabelle (Bariire und Aw Dheegle) am 3.4.2021 (UNSC 19.5.2021, Absatz 15 /, 18,).
Kampfhandlungen: Die Kriegsführung der al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet – jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Im Zeitraum November 2020 bis Feber 2021 waren davon die Regionen Lower und Middle Shabelle, Benadir, Bay, Hiiraan, Bakool, Lower Juba, Gedo, Galgaduud und Mudug betroffen (UNSC 17.2.2021, Absatz 15,). Im folgenden Quartal waren es Benadir sowie Lower und Middle Shabelle (UNSC 19.5.2021, Absatz 14,). Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 14.1.2020). In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen
Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab
(AA 18.4.2021, Sitzung 18; vergleiche AA 3.12.2020). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Der durch AMISOM und die somalische Armee in der Region Lower Shabelle auf al Shabaab ausgeübte militärische Druck hat dazu beigetragen, dass die Gruppe ihre Aktivitäten in HirShabelle und Galmudug verstärkt hat (UNSC 13.11.2020, Absatz 15,). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).
Immer wieder überrennt al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Daynuunay oder Goof Gaduud im Bereich Baidoa - um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (PGN 10.2020, Sitzung 9f). Andernorts greift al Shabaab Stützpunkte erfolglos an – etwa die FOB äthiopischer AMISOM-Truppen in Halgan im Feber 2021 (Halbeeg 22.2.2021).
Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 3.2020, Sitzung 2). Seit der weitgehenden Einstellung offensiver Operationen durch AMISOM seit Juli 2015 hat sich die Aufteilung der Gebiete nicht wesentlich geändert. Während AMISOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 10; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 2; USDOS 12.5.2021, Sitzung 6). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 18.4.2021, Sitzung 5).
Die Bundesregierung selbst besitzt kaum Legitimität und kontrolliert lediglich Mogadischu - und das nicht zur Gänze. In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 12). Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 25.2.2021). Gegen einige dieser Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 14.1.2020). Al Shabaab ist in der Lage, Hauptversorgungsrouten abzuschneiden und Städte dadurch zu isolieren (UNSC 1.11.2019, Sitzung 10; vergleiche BMLV 25.2.2021).
Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind
1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; sowie Qunya Baarow in Lower Juba;
2. Teile von Lower Shabelle um Sablaale;
3. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;
4. weites Gebiet recht und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;
5. sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 2.2021).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BMLV 25.2.2021).
Andere Akteure: Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2020, Sitzung 31). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2020, Sitzung 7). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 3.12.2020) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 18.4.2021,
Sitzung 18). Kämpfe zwischen (Sub-)Clans - vorrangig um Land und Wasser - gab es 2020 v.a. in Galmudug, Hiiraan, Lower und Middle Shabelle und Sool (USDOS 30.3.2021, Sitzung 3f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13). Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, Sitzung 8).
Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 18.4.2021, Sitzung 18).
Der sogenannte Islamische Staat bleibt in Somalia in Puntland konzentriert, in Mogadischu gibt es nur eine minimale Präsenz. Größere Aktivitäten des IS gab es in Puntland in den Jahren 2016 und 2017. In Mogadischu richtet sich der IS mit gezielten Tötungen v.a. gegen Sicherheitskräfte (JF 14.1.2020). Für den Zeitraum Mai-August 2020 werden dem IS allerdings nur zwei Attacken – beide in Mogadischu – zugeschrieben (UNSC 13.8.2020, Absatz 24,). Im Zeitraum August-Oktober 2020 (UNSC 13.11.2020, Absatz 16,) sowie November 2020-Feber 2021 gab es keine Aktivitäten (UNSC 17.2.2021, Absatz 17,), im Zeitraum Feber-Mai 2021 lediglich defensive Aktivitäten im eigenen Bereich (UNSC 19.5.2021, Absatz 19,).
Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Allerdings greift al Shabaab Zivilisten nicht spezifisch an. Doch auch wenn die Gruppe eigentlich andere Ziele angreift, enden oft Zivilisten als Opfer, da sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden haben (NLMBZ 3.2020, Sitzung 17/37).
Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer unklar und heterogen. Der Experte Matt
Bryden veranschaulicht dies mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS
(Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote und Verletzte: 454 zu 1.140 im Jahr 2019. Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische
Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von AMISOM bestätigt:
Demnach richteten sich 2019 28% der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es nur 20% (Sahan 6.4.2021a).
Von der UN werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:
…
Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 15,4 Millionen Einwohnern (WHO 12.1.2021) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:14064.
Luftangriffe: Im Jahr 2017 führten die USA 35 Luftschläge in Somalia durch, 2018 waren es
47 und 2019 63. Im Jahr 2020 ist die Zahl auf 51 gesunken. Die Luftangriffe auf al Shabaab und den IS, bei denen seit 2017 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden sind (HIPS 2021, Sitzung 21) konzentrierten sich vor allem auf die Regionen Lower Shabelle, Lower Juba, Middle Juba, Gedo und Bari (UNSC 13.8.2020, Absatz 24,). Die Luftangriffe werden in der Regel mit bewaffneten Drohnen geflogen (PGN 10.2020, Sitzung 8). Neben den offiziell bekannt gegebenen Luftschlägen kommen noch verdeckte hinzu. Zusätzlich führt auch die kenianische Luftwaffe Angriffe durch, vorwiegend in Gedo und Lower Juba (PGN 10.2020, Sitzung 15ff). Insgesamt gab es demnach 2020 72 Luftangriffe, bei welchen die USA als Angreifer bestätigt sind oder vermutet werden (PGN
2.2021, Sitzung 11).
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• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/661], https://www.ecoi.net/en/file/local/2015615/S_2019_661_E.pdf , Zugriff 15.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SOMALIA-2020-I NTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 21.6.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
• WHO - World Health Organization (12.1.2021): Health for all is Somalia’s answer to COVID-19 and future threats to health, https://www.who.int/news-room/feature-stories/detail/health-for-all-is-som alia-s-answer-to-covid-19-and-future-threats-to-health , Zugriff 16.2.2021
Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
Letzte Änderung: 07.07.2021
Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 2.2021, Sitzung 1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren aber verbessert (FIS 7.8.2020, Sitzung 4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Absatz 18,). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen
(FIS 7.8.2020, Sitzung 9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021).
Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, Sitzung 20).
Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, Sitzung 9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, Sitzung 4). So kam es etwa im Zuge der politischen Krise im Feber und dann wieder im April 2021 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung loyalen Kräften einerseits und oppositionellen Kräften andererseits (UNSC 19.5.2021, Absatz 20 f,). Im Zuge dieser Krise haben sich unterschiedliche Fraktionen unterschiedliche Teile von Mogadischu „gesichert“ (BBC 31.5.2021). Hawiyemilizen der Opposition - zum Teil Soldaten der somalischen Armee - hatten große Teile der Stadt unter Kontrolle genommen, rund 200.000 Menschen haben die Stadt verlassen (TNH 20.5.2021). Anfang Mai 2021 wurden rund drei Viertel der Stadt von der Opposition kontrolliert (Sahan 5.5.2021) während sich die in der Stadt befindlichen Farmaajo-loyalen Kräfte maßgeblich aus - irregulären - Einheiten der NISA zusammensetzten (Sahan 4.5.2021).
Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, Sitzung 23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen – wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, Sitzung 5).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).
Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, Sitzung 5; vergleiche BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25f; vergleiche BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 19.5.2021, Absatz 15,). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, Sitzung 13; vergleiche BBC 23.11.2020). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, Sitzung 6f/12; vergleiche BMLV 25.2.2021).
Anschläge und Attentate: Mogadischu bleibt ein Hotspot terroristischer Gewalt (ACCORD
31.5.2021, Sitzung 11/14). Al Shabaab ermordet dort immer noch regelmäßig Menschen (BBC
23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf
Vertreter des Staates [„officials“], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte,
Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden – z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, Sitzung 14).
Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, Sitzung 6f/12).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, Sitzung 14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25/42; vgl.
FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff).
Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, Sitzung 22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, Sitzung 22f).
Die Gewaltkriminalität in der Stadt ist hoch. Monatlich sterben mehrere Menschen bei Raubüberfällen oder aus anderen Gründen verübten Morden (FIS 7.8.2020, Sitzung 19). Bei manchen
Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und
Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS
7.8.2020, Sitzung 5). Gleichzeitig haben die Bewohner eine hohe Hemmschwelle, um sich an die
Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020, Sitzung 15/20; vergleiche BMLV 25.2.2021). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei – aufgrund der Unterwanderung selbiger – die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 15/20).
Die Kapazitäten des sogenannten Islamischen Staates sind in Mogadischu sehr beschränkt (FIS 7.8.2020, Sitzung 18).
Vorfälle: 2020 waren die Bezirke Dayniile (28 Vorfälle), Dharkenley (35), Hodan (39) und Yaqshiid (22), in geringerem Ausmaß die Bezirke Hawl Wadaag (17), Heliwaa (14), Karaan (18) und
Wadajir/Medina (19) von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2020 v.a. in den Bezirken Dharkenley,
Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile (15 Vorfälle), Dharkenley (16), Hodan
(18) und Yaqshiid (12) von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).
In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, Sitzung 31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 134 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 120 dieser 134 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 96 derartige Vorfälle (davon 86 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):
…
Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)
Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians“ (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, daACLED einige Unschärfen aufweist; auch „normale“ Morde sind inkludiert):
…
Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somali asicherheit/203132#content_6 , Zugriff 3.12.2020
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2021): Curated Data - Africa (21 January 2021), https://acleddata.com/curated-data-files/ , Zugriff 26.1.2021
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2020): Africa (Data through 11 January 2020), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 16.1.2020
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 23.1.2019
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 10.1.2018
• ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/ , Zugriff 21.12.2017
• BBC - BBC News (31.5.2021): Somaliland elections: Could polls help gain recognition? https: //www.bbc.co.uk/news/world-africa-57255602 , Zugriff 21.6.2021
• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BBC - BBC News (23.11.2020): Life after al-Shabab: Driving a school bus instead of an armed pickup truck, https://www.bbc.co.uk/news/stories-55016792 , Zugriff 2.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
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• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww
w.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf , Zugriff 17.3.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
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• Sahan - Sahan / Ahmed Abdullahi Sheikh (5.5.2021): Editor’s Pick – Roble and struggle to „demilitarise“ Somalia’s vote, in: The Somali Wire Issue No. 137, per e-Mail
• Sahan - Sahan / Matt Bryden (4.5.2021): Editor’s Pick – A way forward for Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 136, per e-Mail
• SG - Somali Guardian (8.2.2021): Somalia on Knife Edge as President’s Term Ends,https://somaliguardian.com/somalia-on-knife-edge-as-presidents-term-ends/ , Zugriff 12.2.2021
• TNH - The New Humanitarian (20.5.2021): Somalia’s political crisis explained, https://www.thenew humanitarian.org/news-feature/2021/5/20/somalias-political-crisis-explained , Zugriff 21.6.2021
• UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia, https:
//somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Population-Estimation-Survey-of-Somalia-PESS-2 013-2014.pdf , Zugriff 28.1.2021
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• UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf , Zugriff 26.3.2020
Rechtsschutz, Justizwesen
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA
18.4.2021, Sitzung 5).
Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v. a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017,
Sitzung 31; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr
1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia hat es als Grundlage allen Rechts in die Übergangsverfassung und in die Verfassung von Puntland geschafft (BS 2020, Sitzung 9).
Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung von 2012 niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 18.4.2021, Sitzung 7; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f). Al Shabaab untergräbt die Rechtsstaatlichkeit durch die Einhebung von Steuern und Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, Sitzung 9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, Sitzung 10). Andererseits ist auch bekannt, dass staatliche Sicherheitskräfte manchmal bei Clankonflikten Partei ergreifen (BS 2020, Sitzung 34).
Formelle Justiz - Kapazität: In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. U.a. gibt es zwei Bezirksgerichte in HirShabelle, sechs im SWS, acht in Jubaland und eines in Galmudug. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2020, Sitzung 16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2020, Sitzung 9). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2020, Sitzung 17; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Oft werden diese nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5), und ernannte Richter erhielten keine Ausbildung (BS 2020, Sitzung 17). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 18.4.2021, Sitzung 4). Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 3.3.2021a, F1), v.a. außerhalb urbaner Zentren nicht vorhanden. Einige lokale Gerichte sind bei ihrer Rechtsdurchsetzung vom örtlich dominanten Clan abhängig (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Durchgesetzt wird formelles Recht eher noch im urbanen als im ländichen Kontext (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36).
Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In der Verfassung ist die Unabhängigkeit der
Justiz vorgesehen (BS 2020, Sitzung 9). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 7), und nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2020, Sitzung 16; vergleiche USDOS 30.3.2021,
Sitzung 10; FH 3.3.2021a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires
Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vorgerichtstellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 18.4.2021, Sitzung 9; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 10f).
Auch Korruption behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11; vergleiche FH 3.3.2021a, F1; FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Von Richtern oder Staatsanwälten werden Bestechungsgelder verlangt. Verdächtige und Verurteilte werden gegen Geld, oder weil sie einem bestimmten Clan angehören, auf freien Fuß gesetzt (SIDRA 11.2019, Sitzung 5). Zusätzlich halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; FH 3.3.2021a, F1). In anderen Worten ist [Zitat] die somalische Justiz ein Marktplatz, an welchem Gefallen, Einfluss und Geld ausgetauscht werden (Sahan 9.4.2021). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2020, Sitzung 16). Insgesamt stehen Zivilisten ernsthaften Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 3.3.2021a, F1).
Formelle Justiz - Militärgerichte: Militärgerichte verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche BS 2020, Sitzung 16; vergleiche FH 3.3.2021a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen teilweise nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 3; HRW 13.1.2021;
FH 3.3.2021a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11).
Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2020, Sitzung 16). Diese Art der Justiz dient im ganzen Land bei der
Vermittlung in Konflikten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung – z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern – angewendet (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, Sitzung 100). Es kommt also auch dort zu tragen, wo
Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).
Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib – die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet – je nach Region, Clan und Status – ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat – z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde – sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind – insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 8ff).
Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen – oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Der Clanschutz funktioniert generell – aber nicht immer – besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, Sitzung 36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).
Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, Sitzung 8; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 10), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM
31.5.2017, Sitzung 35). Die patrilineare Abstammungsgemeinschaft - der Clan - schaltet sich also in Konfliktfällen ein, etwa bei Landkonflikten, Unfällen mit Personenschaden, bei Tötungsdelikten und Vergewaltigungen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 31).
Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, Sitzung 3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, Sitzung 35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 10). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Absatz 60,). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, Sitzung 32).
Scharia: Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia nicht mehr nur in Zivil-, sondern auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, Sitzung 34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird, bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt. Schariagerichte werden auch für andere Rechtsdienste herangezogen – sie werden als effizienter, weniger korrupt, schneller und fairer angesehen (BS 2020, Sitzung 16). Frauen können im Rahmen der Scharia effektiver Recht bekommen als im sehr patriarchalen und oft auch intransparenten traditionellen Recht (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32).
Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der
Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe nicht anerkannt (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, Sitzung 33; ÖB 3.2020, Sitzung 4) bzw. ist Letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2020, Sitzung 17); nach anderen Angaben kommt Xeer fallweise zum Einsatz (USDOS 12.5.2021, Sitzung 4). Jedenfalls gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 30.3.2021, Sitzung 11). Der Clanschutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, Sitzung 33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, Sitzung 3).
Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2020, Sitzung 17). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme
Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge,
Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 18.4.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Al Shabaab inhaftiert Personen für Vergehen wie Rauchen, unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören, Fußballschauen oder -spielen und das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, Sitzung 3).
Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv, weniger korrupt, schnell und im Vergleich fairer beschrieben (BS 2020, Sitzung 16) – zumindest im Vergleich zur staatlichen Rechtsprechung (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab urteilt oder vermittelt u.a. in Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden (HI 10.2020, Sitzung 7). Viele Menschen bevorzugen die Gerichte der al Shabaab – selbst Personen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten (BS 2020, Sitzung 17) – etwa aus Mogadischu (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Von dort begeben sich Streitparteien extra nach Lower Shabelle, um dort bei al Shabaab Klage einzureichen (FIS 7.8.2020, Sitzung 16; vergleiche LIFOS 1.7.2019, Sitzung 4). Denn der Rechtsprechung durch al Shabaab wird mehr Vertrauen entgegengebracht als jener der staatlichen Justiz (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14). Auch für benachteiligte Gruppen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu anderen Rechtssystemen kann die
Justiz von al Shabaab anziehend wirken. So sind diese Gerichte für manche Frauen etwa die einzige Möglichkeit, um finanzielle Ansprüche an vormalige Ehemänner oder männliche Verwandte geltend zu machen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14). Gerichte von al Shabaab hören alle Seiten, fällen Urteile und sorgen dafür, dass Urteile auch umgesetzt bzw. eingehalten werden – wo nötig mit Gewalt (FIS 7.8.2020, Sitzung 16). Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (UNSC 1.11.2019, Sitzung 14; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 10).
Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen. Für dieseAmnestiemöglichkeit gibt es aber keine rechtliche Grundlage (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Allerdings wird üblicherweise ehemaligen Kämpfern im Austausch für Informationen über al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 24).
Puntland: Puntland hat ein eigenes Gerichtswesen geschaffen (BS 2020, Sitzung 16). Abseits der Zivilgerichtsbarkeit gibt es in Puntland Militärgerichte. Deren Personal wird direkt vom Präsidenten aus den Reihen des Militärs ernannt und muss über keine fachliche Ausbildung verfügen. Die Spezialeinheit „Puntland Security Force“ (PSF) ist gemäß Anti-Terrorgesetz mit den Militärgerichten in enger Verbindung. Es kommt an diesen Gerichten – in Zusammenhang mit Prozessen bei Terrorismusverdacht – mitunter zu Verurteilungen unter Verwendung erzwungener Geständnisse. Zuständig sind Militärgerichte in Puntland u.a. im Falle von Spionage, Verrat, Kontakt mit dem Feind und Terrorismus (UNSC 1.11.2019, Sitzung 38/138ff).
Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal – Richter, (Staats-)Anwälte – entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019).
Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 18.4.2021, Sitzung 14).
Quellen:
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• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
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GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Sicherheitsbehörden
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Ausländische Kräfte
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit 2007 in Somalia stationiert (EU o.D.). Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Sie gilt als mächtigster Gegner der al Shabaab (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 6). Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung (BBC
18.1.2021), die in großem Maße von den Kräften der AMISOM abhängig ist (BS 2020, Sitzung 6/13; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 8, BBC 18.1.2021). AMISOM ist ein beispielgebender Fall internationaler Kooperation bei einer militärischen Intervention. Afrikanische Länder stellen die Truppen, während die EU und andere für die Finanzierung aufkommen. Die UN wiederum sind für Ausrüstung und Logistik verantwortlich. Einzelne Länder, wie etwa die USA und Großbritannien, gewährleisten zusätzliche Unterstützung bei finanziellen Ressourcen, Logistik und Ausbildung (BS 2020, S.
39).
Die UN haben im März 2021 das Mandat von AMISOM mit 19.626 Mann uniformiertem Personal verlängert (UNSC 12.3.2021). Im Dezember 2018 gab es noch ca. 21.600 uniformiertes AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, Sitzung 9). AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (AMISOM 2021a). Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.448; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v.a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle (BMLV 2.3.2021). UNSOS hat die Stationierung der Hubschrauber in Bali Doogle unterstützt (UNSC 13.11.2020, Absatz 76,). Auch private Firmen sind mit Hubschraubern dabei. Ob diese künftig auch in einer Kampfrolle eingesetzt werden, ist unklar
(IP 4.2.2021). Insgesamt verfügt AMISOM über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert (UNSC 17.2.2021, Absatz 78,).
Hinsichtlich des Exit-Plans für AMISOM, der einen Abzug der Truppe eigentlich für Dezember 2021 vorgesehen hätte (ISS 28.2.2019), gibt es Rückschläge - v.a. in Zusammenhang mit den negativen Effekten der Streitigkeiten rund um die Wahl 2021 sowie jenen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten. Zudem leidetAMISOM an den Spannungen zwischen der somalischen Bundesregierung und Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien. Befürchtet wird z.B., dass Kenia Truppenteile aus AMISOM abzieht (ISS 15.12.2020).
AMISOM wird maßgeblich von der EU finanziert (ÖB 3.2020, Sitzung 7). Mehr als 2,1 Mrd. Euro wurden bisher von der Europäischen Kommission fürAMISOM ausgegeben. Die EU beteiligt sich am Sold von Soldaten, finanziert das Gehalt von AMISOM-Polizisten und zivilen Angestellten sowie die Infrastruktur (EU o.D.). UNSOS unterstützt AMISOM logistisch, z.B. mit mehr als tausend Flugstunden pro Monat, um AMISOM-Stützpunkte zu versorgen (UNSC 13.5.2020, Absatz 78 f,). Die Ausbildung für AMISOM erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BMLV 2.3.2021).
Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Zumindest drei sogenannte Formed Police Units wurden aus Nigeria, Uganda und Sierra Leone entsendet (AMISOM 2021b). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).
Neben den fünf Armeen der AMISOM-Truppenstellerstaaten sind in Somalia noch Militärberater aus zahlreichen anderen Staaten aktiv (BBC 18.1.2021). Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von AMISOM ausgestattet (BMLV 25.2.2021). Eine Quelle berichtet von bis zu 15.000 bilateral eingesetzten äthiopischen Truppen (PGN 2.2021, Sitzung 5). Eine andere Quelle berichtet von vermutlich drei (teils verstärkten) Bataillonen und insgesamt geschätzten 2.200-2.800 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug
(BMLV 2.3.2021). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, Sitzung 17f). Dies ist aufgrund des inneren Konflikts in Äthiopien Ende 2020 dann auch geschehen, das Land hat bis zu 3.000 bilateral in Somalia eingesetzte Truppen abgezogen (ISS 15.12.2020; vergleiche PGN 2.2021, Sitzung 5). Bereits abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt (BMLV 2.3.2021).
Nach der Räumung der Stützpunkte in Buusaar und Faafax Dhuun (Süd-Gedo) Anfang 2020 befinden sich vermutlich keine bilateralen Truppen Kenias mehr in Somalia (BMLV 2.3.2021).
Die USA führen in Somalia eigene Angriffe durch, um führende Mitglieder der al Shabaab gefangenzunehmen oder zu töten (BS 2020, Sitzung 40). Zudem haben die USA die Eliteeinheit Danaab ausgebildet und unterstützen diese bei Einsätzen (BBC 18.1.2021; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 28). Damit wurden Anti-Terrorismus-Kapazitäten geschaffen. Außerdem haben die USA auch Teile regionaler Kräfte ausgebildet (BS 2020, S.40; vergleiche ISS 15.12.2020). Schließlich unterstützen die USA auch maßgeblich AMISOM (ISS 15.12.2020) und haben insgesamt entscheidend zur Beschneidung der Kapazitäten von al Shabaab beigetragen (HIPS 2021, Sitzung 28). Mitte Jänner 2021 gaben die USA bekannt, dass der Abzug der Bodentruppen aus Somalia abgeschlossen ist; Luftschläge werden aber weiterhin geflogen (PGN 2.2021, Sitzung 12f; vergleiche IP 3.2.2021).
Quellen:
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• AMISOM (2021a): AMISOM Military Component, https://amisom-au.org/mission-profile/military-c omponent/ , Zugriff 8.2.2021
• AMISOM (2021b): AMISOM Police, https://amisom-au.org/mission-profile/amisom-police/ , Zugriff 8.2.2021
• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
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• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
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Somalische Kräfte
Letzte Änderung: 08.07.2021
Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben fließen dorthin (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Der Sektor ist nach wie vor eine Mischung aus formellen und informellen Institutionen und Akteuren, welche von innerstaatlichen und externen Kräften finanziert werden. De facto gibt es auch kaum einen Unterschied zwischen polizeilichen und militärischen Kräften, Ausrüstung und Auftrag sind oftmals identisch (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 5).
Somalische Sicherheitskräfte sind auch weiterhin nicht in der Lage, ohne internationale Unterstützung für die Sicherheit im Land zu garantieren (TDP 12.2.2020). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2020, Sitzung 6; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 1), sie ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2020, Sitzung 6; vergleiche BBC 18.1.2021). Die Loyalität der Sicherheitskräfte liegt eher bei den Clans bzw. der patrilinearen Abstammungsgruppe als beim Staat (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29). Zudem sind sie von al Shabaab unterwandert (GO 25.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 12; BMLV 25.2.2021). Immerhin ist es der Armee mittlerweile möglich, sporadisch eigenständige Operationen durchzuführen – etwa in Middle Shabelle (UNSC 13.2.2020, Absatz 68,).
Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte
(USDOS 30.3.2021, Sitzung 1) bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency
(NISA). Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 18.4.2021, Sitzung 8f/20). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, bleibt Straflosigkeit die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). Da die Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung oft auch als Gewalt- und nicht als Sicherheitsakteure auftreten, genießen sie einen schlechten Ruf (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29).
Polizei: Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit (USDOS
30.3.2021, Sitzung 1).
Aktuelle Mannstärke der Polizei [inkl. Polizei einzelner Bundesstaaten]:
• Benadir/Mogadischu: Zum Stand 8.000-9.000 Mann vom September 2019 gibt es keine neuen Informationen (BMLV 2.3.2021).
• Galmudug: mindestens 700; diese wurden laut UN in Menschenrechten und Polizeiarbeit unterrichtet (UNSC 17.2.2021, Absatz 69,).
• HirShabelle: rund 600 Mann (UNSC 13.2.2020, Absatz 71 ;, vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 68,).
• Jubaland: Zum Stand vomAugust 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BMLV 2.3.2021).
• South West State: Stand August 2017 gab es 600-700 Polizisten (BFA 8.2017, Sitzung 12). Ende 2019 traten 400 neue Polizisten ihren Dienst an – u.a. in neu eroberten Gebieten von Lower Shabelle (UNSC 13.2.2020, Absatz 71,).
Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen von AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v.a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC sowie IOM (ÖB 3.2020, Sitzung 8). Auch die USA unterstützen die Ausbildung – maßgeblich mit dem Einsatz von Privatfirmen; so unterstützt die Firma Engility die somalische Kriminalpolizei (IP 13.3.2020). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, Sitzung 4). AMISOM hat bereits mehr als 4.000 somalische Polizisten in unterschiedlichen Bereichen ausgebildet (AMISOM 2021b). So bildet AMISOM etwa in Baidoa Polizisten aus und unterstützt diese auch beim Einsatz (RD 22.2.2021). Generell tragen auch die UN auf regionaler und nationaler Ebene zur Aus- bzw. Weiterbildung von Polizisten bei (UNSC 13.11.2020, Absatz 64 f, f,). So lassen etwa UNSOM und UNFPA einigen somalischen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit Fällen sexueller Gewalt eine angemessene Ausbildung zukommen (UNSC 13.11.2020, Absatz 49,); auch AMISOM ist in diesem Bereich tätig (AMISOM
11.6.2021; vergleiche AMISOM 28.5.2021). Die Polizei in Kismayo wurde ebenfalls von AMISOM und UN ausgebildet (BMLV 25.2.2021).
Die Türkei hat eine Spezialeinheit der Polizei ausgebildet und ausgerüstet. Ihr Name ist Haramcad (Gepard). Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wird allerdings von der Regierung v.a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen (HIPS 2021, Sitzung 28). Im März 2021 lieferte die Türkei gepanzerte Fahrzeuge für die Haramcad (SG 22.3.2021).
Die Bezahlung erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption (AA 18.4.2021, Sitzung 8; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 20). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BMLV 2.3.2021).
Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1). Der Bundesarmee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute (BS 2020, Sitzung 6). Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren (Reuters 19.2.2021). Allerdings ist es nicht gelungen, eine vereinte Bundesarmee zu schaffen. Vor zehn Jahren hieß es noch, dass, wenn AMISOM abzieht, al Shabaab binnen einer Stunde Mogadischu einnehmen wird; nun heißt es, al Shabaab würde dafür zwölf Stunden brauchen (BBC 18.1.2021). Denn die Loyalität von Truppen zu einzelnen Kommandanten und Clans bleibt stark (Reuters 19.2.2021; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 4). Dementsprechend können sowohl Regierung als auch Opposition jederzeit Truppen ins Feld stellen. Laut einer Quelle zeigt die Armee sogar Auflösungserscheinungen (Reuters 19.2.2021). Gerade im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Präsident Farmaajo und der Opposition im Frühjahr 2021 haben sich diese Auflösungstendenzen verstärkt. Die Sicherheitskräfte und die
Armee hatten sich entlang von Clanlinien fragmentiert (TNH 20.5.2021; vergleiche Sahan 15.4.2021a; Sahan 4.5.2021). Einige Einheiten sind zur von Hawiye dominierten Opposition übergelaufen
(TNH 20.5.2021). Selbst einige Soldaten der Eliteeinheiten Gorgor und Haramcad hatten ihre Einheiten verlassen und sich in die Hochburgen ihrer eigenen Clans zurückgezogen (Sahan
14.4.2021; vergleiche ICG 16.4.2021).
Zudem nehmen einige Kommandanten Bestechungsgelder und kooperieren mit al Shabaab – mit ein Grund für die mangelnden Fortschritte im Kampf gegen die Gruppe (Sahan 3.3.2021). Obwohl es eigene Militärgerichte gibt, bleiben Vergehen durch Armeeangehörige häufig ungeahndet (AA 18.4.2021, Sitzung 14).
Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat (FIS 7.8.2020, Sitzung 22). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen (HIPS 2020, Sitzung 12; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 20, BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Danaab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (BMLV 2.3.2021).
Der Armee mangelt es an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 22). Im vergangenen Jahrzehnt hat die Armee von zahlreichen Akteuren Unterstützung bei Ausrüstung, Ausbildung und Logistik erhalten, namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN (Williams 2019, Sitzung 2ff). Selbst in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet (BMLV 25.2.2021). Insgesamt wurden zigtausende Soldaten ausgebildet. Diese Ausbildung erfolgte aber unkoordiniert und ohne Gesamtkonzept (Williams 2019, Sitzung 2ff). Außerdem hat Somalia alleine in den Jahren 2013-2015 17.500 Waffen von außen erhalten. Trotzdem stellte sich im Jahr 2017 heraus, dass nur 70 % der Soldaten überhaupt eine Waffe besitzen (Williams 2019, Sitzung 22).
Die EU und die USA unterstützen weiterhin somalische Sicherheitskräfte, u.a. auch mit Ausbildung (BS 2020, Sitzung 40). Aus den USA sind einige Sicherheitsfirmen (z.B. Sincerus Global Solutions, Halcyon Group International, Barbaricum, People Technologies & Processes, Bancroft Global Development Group) in Somalia engagiert. Sie werden als Berater oder in der Ausbildung eingesetzt (IP 14.9.2020; vergleiche IP 20.8.2020). Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus (IP 13.12.2019; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 28). Die UN haben die Unterstützung von UNSOS von 10.900 Soldaten der
Bundesarmee auf 13.900 ausgedehnt (UNSC 12.3.2021). Katar hat der somalischen Armee
Anfang 2019 68 gepanzerte Fahrzeuge geschenkt. Die Türkei schenkte der Armee im August 12 gepanzerte Fahrzeuge und 12 Geländewagen; die USA haben angekündigt, 96 Geländewagen zu schenken (IP 10.9.2020). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird international zunehmend unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 18.4.2021, Sitzung 8).
Armee/Stärke: Die Zahl aktiver Kräfte in der Bundesarmee, ihre Größe, Kommandostrukturen und die interne Organisation bleiben undurchsichtig (BS 2020, Sitzung 6).
Die genaue Stärke ist unbekannt bzw. unklar (BMLV 2.3.2021). Mit internationaler Hilfe wurden
Anfang 2020 zwei neue Bataillone aufgestellt; zwei weitere wurden mit bestehenden Truppen neu geformt (UNSC 13.5.2020, Absatz 66,).
Spezialeinheiten: Danaab – von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut – ist die einzige
Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und
Können eine Rolle spielen (Williams 2019, Sitzung 2/9). Eine weitere Spezialeinheit ist die von der
Türkei ausgebildete und ausgerüstete Gorgor (Adler) (HIPS 2021, Sitzung 28; vergleiche AN 22.2.2021). Diese Einheit ist in Mogadischu, Dhusamareb und Belet Xaawo stationiert und steht unter direktem Befehl des Präsidenten. Die ca. 4.500-5.000 Mann umfassende Einheit steht einer
Quelle zufolge zum Teil auch unter Führung türkischer Offiziere (AN 22.2.2021). Nach Angaben einer anderen Quelle hat die türkische Armee erst 2.500 Mann fertig ausgebildet, strebt aber die Ausbildung von insgesamt 10.000 Mann an (JF 20.11.2020). Eine dritte Quelle berichtet von insgesamt sechs ausgebildeten Gorgor-Bataillonen, die sich v.a. in Mogadischu und in Lower Shabelle im Einsatz befinden (BMLV 25.2.2021).
Regionale Kräfte: Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden. Beim Operational Readiness Assessment wurden in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland sogar fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ (auch Darawish) gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Absatz 45,). Darawish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre – u.a. von AMISOM und EUTM gestaltete – Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen. Diese Kräfte sollen in neu gewonnenen Gebieten in Lower Shabelle stationiert werden (AMISOM 14.2.2020).
NISA (National Intelligence and Security Agency): Die NISA ist vergleichbar mit einem Inlandsgeheimdienst. Sie hat die Aufgabe als Sicherheitspolizei vornehmlich gegen al Shabaab vorzugehen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29), bzw. ist sie auch für den Staatsschutz zuständig. Die exekutiven Einheiten der NISA sind zwar 2018 formal in die Polizei integriert worden. Trotzdem bleibt die NISA mit exekutiven Vollmachten augestattet und übt weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus, die über eine rein nachrichtendienstliche Tätigkeit hinausgeht. So führt die NISA etwa Razzien durch und nimmt Menschen fest (AA 18.4.2021, Sitzung 8). Unter der Führung eines der engsten Vertrauten von Präsident Farmaajo entwickelt sich die NISA zunehmend zu einem Instrument der politischen Einflussnahme. Die Organisation der Ausbildung eines – eigentlich militärischen – Kontingents in Eritrea und der Einsatz der fertig ausgebildeten Kräfte in Gedo unterstreichen diese Entwicklung. Die Stärke der NISA wird mit ca. 1.500 Mann angegeben, weitere ca. 600 Mann stehen – wie erwähnt – in Gedo. Die Finanzierung der NISA erfolgt weitgehend durch Katar (BMLV 2.3.2021). Die Führung der NISA soll von al Shabaab infiltriert worden sein (BS 2020, Sitzung 7). So steht etwa der Kommandant der NISA im Naheverhältnis zur al Shabaab. Überhaupt rekrutiert die NISA stark bei ehemaligen Kämpfern der al Shabaab
- etwa in Rehabilitationszentren (GO 25.3.2021). Nunmehr verfügt auch die NISA über eigene Einheiten: die in Eritrea ausgebildeten Duufaan (Sturm) und die in Zivil gezielt gegen Anhänger der Opposition vorgehenden Ruuxaan (Geister) (Sahan 5.5.2021).
Puntland: Insgesamt beläuft sich die Stärke der Streit- und Sicherheitskräfte Puntlands (Darawish, Polizei, Puntland Maritim Police Force und andere) auf rund 10.000-12.000 Mann (BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Puntland Security Force (PSF) dient als Anti-Terrorismuseinheit und besteht aus rund 600 Soldaten. Die PSF wird von den USA ausgebildet und unterstützt. Die Einheit unterliegt nur eingeschränkter ziviler Kontrolle und unterhält in Bossaso eigene Haftanstalten (UNSC 1.11.2019, Sitzung 38f/138f). Ausstehende Soldzahlungen sind nach wie vor ein wiederkehrendes Problem, das zwar punktuell zu Störungen des öffentlichen Lebens durch Straßenblockaden führen kann; diese Störungen dauern gewöhnlich aber nicht mehr als einige Stunden an (BMLV 2.3.2021). Insgesamt hat die puntländische Regierung ein gewisses Problem, an allen Orten wirklich Sicherheit zu gewähren (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30).
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• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2019/393], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009264/S_2019_393_E.pdf , Zugriff 28.1.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
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Folter und unmenschliche Behandlung
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Staatlichen Akteuren werden gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung, Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder diese wurden dokumentiert (AA 18.4.2021, S.8f). Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden jedoch nicht erhoben. Es kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei gehen (AA 18.4.2021, Sitzung 20).
Tötungen: Sicherheitskräfte der Regierung, alliierte Milizen und andere Personen, die Uniformen tragen verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2; vergleiche BS 2020, Sitzung 18). Sporadisch kommt es auch bei friedlichen Demonstrationen zum Einsatz tödlicher Gewalt (HRW 14.1.2020).
Folter: Auch wenn Folter und unmenschliche Behandlung gesetzlich verboten sind, kommt es zu derartigen Vorfällen. Regierungskräfte und alliierte Milizen setzen exzessiv Gewalt ein darunter auch Folter. NISA misshandelt Personen bei Verhören (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5/14), es kommt dabei zu Folter (BS 2020, Sitzung 18; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 30). Verhaftete sind also dem Risiko ausgesetzt, gefoltert (FH 3.3.2021a, F3; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25) bzw. unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und misshandelt zu werden (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Vorwürfe gibt es mitunter auch gegen Angehörige der Spezialeinheit Haramcad. Solche haben z.B. am 19.2. einen Journalisten verhaftet und dann gefoltert (WQ 21.2.2021). Außerdem wenden auch Clanmilizen - auch mit der Regierung affiliierte - Folter und unmenschliche Behandlung an. Aufgrund des Clanschutzes für Täter herrscht diesbezüglich eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5).
In Puntland gibt es einige Vorwürfe gegen die Puntland Security Force (PSF), wonach diese gegen Terrorismusverdächtige in Haft Folter anwendet (UNSC 1.11.2019, Sitzung 39/138f). Nach anderen Angaben sind diese Vorwürfe gegen die Puntland Intelligence Agency gerichtet (BS 2020, Sitzung 18).
Verhaftungen: Im Zeitraum Feber-Mai 2021 wurden 49 Personen willkürlich verhaftet (UNSC
19.5.2021, Absatz 47,). NISA verhaftet Menschen und hält diese über längere Zeit ohne Anklage fest (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5). Der Geheimdienst unterliegt keinerlei Aufsichts- und Kontrollmechanismen, und es ist davon auszugehen, dass bestehendes Recht bei Festnahme, Inge-
wahrsamnahme und Vorgerichtstellung nur selten eingehalten wird (AA 18.4.2021, Sitzung 9).
Rechenschaft: Die Armee hat mehrere Angehörige von Sicherheitskräften verhaftet, die o.g.
Verbrechen beschuldigt werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Ein Polizist wurde im Feber 2020 in
Baidoa aufgrund einer Vergewaltigung zum Tode verurteilt und hingerichtet (UNSC 13.5.2020,
Absatz 58,). Ein anderer Polizist wurde in Mogadischu zum Tode verurteilt, weil er im Zuge der Überwachung von Covid-19-Maßnahmen zwei Menschen erschossen hat (AI 7.4.2021). Ein Soldat der Bundesarmee wurde in Belet Xaawo im März 2021 aufgrund einer Vergewaltigung hingerichtet (UNSC 19.5.2021, Absatz 55,). Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2/30; vergleiche FH 3.3.2021a, F3). Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte, dieses bleibt in der Regel ungeahndet (AA 18.4.2021, Sitzung 9), und es gibt oft keine legale Möglichkeit juristisch dagegen vorzugehen (AA 18.4.2021, Sitzung 13).
Al Shabaab: Die Gruppe verhängt und vollstreckt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin harte Strafen; mitunter wird auch Folter angewendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 5; vergleiche BS 2020,
Sitzung 17). Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden (AA 18.4.2021, Sitzung 20).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 – Somalia, https: //www.ecoi.net/en/document/2048608.html , Zugriff 13.4.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
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• UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf , Zugriff 21.6.2021
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
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• WQ - Warqaad (21.2.2021): FESOJ Condemns Brutal Assault of Journalist by Security Forces in Mogadishu, https://www.warqaad.info/fesoj-condemns-brutal-assault-of-journalist-by-security-for ces-in-mogadishu/ , Zugriff 22.2.2021
Korruption
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Korruption ist endemisch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27; vergleiche BS 2020, Sitzung 17/36f; FH 3.3.2021a, C2). Korruption und Clanpatronage ziehen sich durch alle Ebenen der Verwaltung (BS 2020,
Sitzung 5). Zudem durchdringt Korruption alle Teile der Gesellschaft (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34). Für Politiker stehen persönliche und Claninteressen im Vordergrund (BS 2020, Sitzung 36). Kleptokratie, Korruption und Entscheidungsfindung nach Claninteressen verhindern, dass auch nur die wesentlichsten Regierungsinstitutionen unabhängig funktionieren. Richter werden regelmäßig korrupter Praktiken beschuldigt, und auch bei den Sicherheitskräften ist Korruption weit verbreitet (BS 2020, Sitzung 15ff). Somalia findet sich am Index von Transparency International 2020 zum
wiederholten Male auf dem letzten Platz von 180 untersuchten Ländern (TI 2021, Sitzung 3).
Al Shabaab hebt in den von ihr kontrollierten Gebieten nicht vorhersagbare und hohe Zakat- und Sadaqa-Steuern ein (USDOS 30.3.2021, Sitzung 28).
Maßnahmen: Es gibt zwar ein Gesetz gegen Korruption in der Verwaltung, dieses wird aber nicht effektiv angewendet. Antikorruptionsbehörden sind nicht effektiv. Für öffentlich Bedienstete ist Straflosigkeit bei Korruption die Norm (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27; vergleiche BS 2020, Sitzung 17f/37; FH 3.3.2021a, C2).Allerdings wurden 2020 mehrere hochrangigeAngestellte des Gesundheitsministeriums für Diebstahl und Fehlverwendung von Geldern zu Haftstrafen verurteilt (GN 15.2.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 28). Zudem hat das Justizministerium gemeinsam mit UNDP ein Projekt auf den Weg gebracht, um die Korruptionsbekämpfung zu stärken (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 35). Die von Präsident Farmaajo versprochene Einrichtung einer Anti-Korruptions-Kommission wurde nicht eingelöst (USDOS 30.3.2021, Sitzung 27).
Quellen:
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• GN - Goobjoog News (15.2.2021): Auditor General asks MoH to explain COVID-19 funds use, http://goobjoog.com/english/auditor-general-asks-moh-to-explain-covid-19-funds-use/ , Zugriff 22.2.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff 17.3.2021
• TI - Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://images.trans parencycdn.org/images/CPI2020_Report_EN_0802-WEB-1_2021-02-08-103053.pdf , Zugriff
17.3.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI
GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Schon Mitte der 1990er wurden in Somalia zahlreiche NGOs und auf Gemeinden fußende Organisationen gegründet. Viele arbeiten mittlerweile professionell (BS 2020, Sitzung 33). Im gesamten somalischen Kulturraum gibt es zahlreiche internationale Organisationen und NGOs, die sich um Belange vulnerabler Personen (u.a. IDPs, Frauen, Kinder und andere sozial benachteiligte Gruppen) kümmern (SEM 31.5.2017, Sitzung 43).
Lokale Gruppen der Zivilgesellschaft, internationale NGOs und UN-Agenturen können in Teilen des Landes eine breite Palette an Aktivitäten durchführen – allerdings unter schwierigen und oft auch gefährlichen Umständen (FH 3.3.2021a, E2). Aktiv sind derartige Gruppen und Organisationen vor allem in jenen Gebieten, die sich nicht unter der Kontrolle von al Shabaab befinden. Sie untersuchen Vorfälle, veröffentlichen Ergebnisse (USDOS 30.3.2021, S.28f) und werden ggf. politisch gebilligt und gefördert (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Die Regierung ist hinsichtlich der Ergebnisse einigermaßen kooperativ und reagiert auf deren Ansichten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 29). Menschenrechtsorganisationen sehen sich trotzdem in aller Regel Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren, ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 7).
Außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete können diese Organisationen nicht arbeiten (AA 18.4.2021, Sitzung 7). Al Shabaab untersagt den meisten NGOs sowie allen UN-Agenturen das Arbeiten auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle (HRW 14.1.2020; vergleiche FH 3.3.2021a, E2; ACCORD 31.5.2021, Sitzung 8).
Die Bewegungsfreiheit von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia ist aufgrund von Sicherheitserwägungen eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 29; vergleiche HRW 14.1.2020). Somalia ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für humanitäre Kräfte (BS 2020, Sitzung 14), auf welche mitunter gezielte Angriffe durchgeführt werden. Unsicherheit (HRW 14.1.2020), Fahrzeugraub, Erpressung und bürokratische Hürden für humanitäre Organisationen stellen ernste Hindernisse dar (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15). Im Zeitraum von Mai bis August 2020 waren humanitäre Organisationen von 76 sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen. Neun ihrer Angestellten wurden dabei getötet, 17 entführt und elf in Haft genommen (UNSC 13.8.2020, Absatz 68,). Vor allem in der Region Gedo kommt es immer wieder zu Entführungen durch al Shabaab, die mit Geiseln Lösegeld lukrieren
will (UNSC 1.11.2019, Sitzung 35).
Die Präsenz von UN-Agenturen und Organisationen ist in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden: Ende 2014 befanden sich 331 internationale und 951 nationale Angestellte der UN in Somalia (UNSC 23.1.2015, Sitzung 16), im Feber 2020 waren es 683 bzw. 1.308 (UNSC 13.2.2020, Absatz 89,). Büros befinden sich in Baidoa, Belet Weyne, Berbera, Bossaso, Dhobley, Dhusamareb, Doolow, Galkacyo, Garoowe, Hargeysa, Jowhar, Kismayo und Mogadischu. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde das internationale Personal vor Ort reduziert (UNSC 13.8.2020, Absatz 95 ;, vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 89,). Anfang Mai 2021 befanden sich 388 internationale und 1.299 nationale UN-Bedienstete im Land (UNSC 19.5.2021, Absatz 90,).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf , Zugriff 10.12.2020
• UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf , Zugriff 21.6.2021
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General
[S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• UNSC - UN Security Council (13.2.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/121], https://www.ecoi.net/en/file/local/2025872/S_2020_121_E.pdf , Zugriff 26.3.2020
• UNSC - UN Security Council (23.1.2015): Report of the Secretary-General on Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/1235688/1226_1423052016_n1501704somal.pdf , Zugriff 11.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI
GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Wehrdienst und Rekrutierungen (durch den Staat und Dritte)
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee (BFA 8.2017, S.14). Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig – und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie – junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei der al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (AA 18.4.2021, S.14).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
(Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten
Letzte Änderung: 08.07.2021
Kindersoldaten: Alle Konfliktparteien rekrutieren Kinder (BS 2020, Sitzung 19). Hauptverantwortlich bleibt aber weiterhin al Shabaab. Die Gruppe hatte im Jahr 2019 81 % der entsprechenden Vorfälle zu verantworten, 2020 waren es 75 %. Für weitere rund 20 % trugen staatliche Sicherheitskräfte und Clanmilizen die Verantwortung (AA 18.4.2021, Sitzung 15). Im Jahr 2020 gab es immer
wieder Berichte über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Bundesarmee, alliierte Milizen, die Sufi-Miliz Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) und al Shabaab (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Im ersten Halbjahr 2020 sind insgesamt 535 Kinder rekrutiert worden, mehr als 400 davon durch al Shabaab (UNSC 28.9.2020, Absatz 137,). Im Jahr 2019 waren noch1.169 durch al Shabaab rekrutiert worden, 2018 waren es 2.300 (UNSC 28.9.2020, Absatz 138,). Die Regierung versucht der Rekrutierung von Kindern durch die Armee mit Ausbildungs- und Screening-Programmen entgegenzuwirken. Dass es keine Geburtenregistrierung gibt, macht diese Arbeit schwierig (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14).
Beim Konflikt in der äthiopischen Region Tigray sind auch somalische Rekruten eingesetzt worden, die sich in Eritrea zur Ausbildung befunden haben. Nach Angaben betroffener Eltern sind die Jungmänner unter Vorspiegelung falscher Aussichten in die somalische Armee und damit in den Krieg gelockt worden (HIPS 2021, Sitzung 27).
Kindersoldaten - al Shabaab: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren. Betroffen sind in erster Linie ländliche, von al Shabaab kontrollierte Gebiete der Region Bay aber auch Middle Shabelle und Bakool (UNSC 1.11.2019, Sitzung 37). Allerdings ist die Zahl an derartigen Rekrutierungen seit 2019 rückläufig. Anfang 2020 betraf eine Rekrutierungskampagne die Regionen Bay, Bakool und Lower Shabelle (UNSC 28.9.2020, Absatz 138 f,).
Al Shabaab hat Kinder teils mit aggressiven und gewaltsamen Methoden rekrutiert (BS 2020, S.
19; vergleiche HRW 14.1.2020). Es wird davon ausgegangen, dass al Shabaab Kinder von Minderheitengruppen systematisch entführt, um sie in die eigene Armee zu integrieren (BS 2020, Sitzung 19). Die Gruppe führt zu diesem Zweck Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch
(USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Außerdem indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder gezielt in Schulen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 5). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14). Es wird mitunter auch Gewalt angewendet, um von Gemeinden und Ältesten junge Rekruten zu erpressen (BS 2020, Sitzung 19). An Gemeinden, die sich einer Herausgabe von Kindern verweigern,
wird Vergeltung geübt (HRW 14.1.2020). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und
Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 18.4.2021, Sitzung 15).
In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren. Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 30.3.2021, Sitzung 14f).
Manchmal werden Kinder aus den Händen der al Shabaab befreit, so etwa durch Sicherheitskräfte im August 2020, als 33 Buben aus einer Madrassa in Kurtunwareey (Lower Shabelle) befreit wurden. Alle Kinder wurden mit ihren Eltern wiedervereint (UNSC 13.11.2020, Absatz 46,). Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.000 Kinder an UNICEF übergeben (UNSC 13.2.2020, Absatz 56,).
(Zwangs-)Rekrutierung: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB 3.2020, Sitzung 5). Dabei versucht die Gruppe junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können trotz fehlenden religiösem Verständnis auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner der al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020, Sitzung 17; vergleiche Khalil 1.2019, Sitzung 33). Bei manchen spielt auch Abenteuerlust eine Rolle (Khalil 1.2019, Sitzung 33). Jugendliche selbst geben an, dass der Hauptgrund zum Beitritt zu al Shabaab oder zur Armee das Einkommen ist (DI 6.2019, Sitzung 22f). Mindestens 50 % schließen sich al Shabaab aus ökonomischen Gründen an (ÖB 3.2020, S.
5). Dies betrifft insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019a, Sitzung 4). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen der al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, Sitzung 16). Im Übrigen ist auch die Loyalität von al Shabaab ein Anreiz. Während die Regierung kriegsversehrten Soldaten keinerlei Unterstützung zukommen lässt, sorgt al Shabaab sogar für die Hinterbliebenen gefallener Kämpfer (FIS 7.8.2020, Sitzung 17).
Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, Sitzung 14f). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, Sitzung 34). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34).
Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen (FIS 7.8.2020, Sitzung 18; vergleiche ICG 27.6.2019, Sitzung 2). Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene Taten dadurch zu minimieren (Khalil 1.2019, Sitzung 14). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 36/40). Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (BMLV 2.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 17f). Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).
Verweigerung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer (BFA 8.2017, Sitzung 52), denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden (DIS 3.2017,
Sitzung 21). Entweder der Clan oder das Individuum zahlt oder aber die Nicht-Zahlung wird durch
Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens.
Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus der al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BFA 8.2017, Sitzung 54f).
Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht (DIS 3.2017, Sitzung 21). Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BFA 8.2017, Sitzung 54f). Eine Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021,
Sitzung 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen der al Shabaab
Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt – so etwa geschehen im Gebiet Toosweyne westlich von Baidoa. Dort wurden Ende 2019 und Anfang 2020 mehrere Gemeindeführer von al Shabaab in Haft genommen, weil sich die Bevölkerung weigerte, 100 Buben und 200.000 US-Dollar abzuführen. Tausende Familien sind in der Folge aus dem Gebiet geflüchtet. Im Bezirk Xudur (Bakool) hat al Shabaab Gemeinden Enteignung und Deportation angedroht. Die
Gemeinden wehrten sich mit ihrer Miliz, die 2020 in mehrere Kampfhandlungen mit al Shabaab verwickelt wurde. Im Juli 2020 entführte al Shabaab in Reaktion 60 Personen, danach wurde ein Waffenstillstand ausverhandelt (UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).
Frauen: In den Führungsgremien und Kampfkräften von al Shabaab finden sich keine Frauen. Deren Rolle reicht von jener der einfachen Ehefrau bis hin zu Rekrutierung, Missionierung, Spionage, Waffenschmuggel und Spendensammlung (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019, Sitzung 12).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-im proved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf , Zugriff 14.12.2020
• DIS - Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016, https://flygtning.dk/media/3189161/south-and-central-s omalia-report-march-2017.pdf , Zugriff 2.2.2021
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• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69
44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf , Zugriff 17.3.2021
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• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Deserteure und ehemalige Kämpfer von al Shabaab
Letzte Änderung: 08.07.2021
Allgemein geben Deserteure für das Verlassen der al Shabaab folgende Gründe an: inadäquate
Bezahlung, familiäre Verpflichtungen, schlechte Lebensbedingungen, Risiko für Leib und Leben (Khalil 1.2019, Sitzung 33/16f). Mit letzterem ist nicht bloß die Gefahr von Kampfhandlungen gemeint, sondern auch die von al Shabaab angewandte Bestrafung bei (vermeintlichen) Regelbrüchen
(Khalil 1.2019, S.16f). Generell stellt die Desertion eines Einzelnen für al Shabaab ein kleineres
Problem dar, als der Seitenwechsel ganzer Clans und der zugehörigen Milizen, z.B. als AbgaalSubclans sich in Galgaduud derAhlu Sunna Wal Jama’a zuwandten, oder als Hawadle-Subclans der al Shabaab in Hiiraan die Miliz Macawiisley entgegenstellten (SEMG 9.11.2018, Sitzung 27).
Verfolgung: Generell gestattet al Shabaab keinen Austritt (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Allerdings sind nicht alle ehemaligen Kämpfer der al Shabaab Deserteure. Es gibt Beispiele, wo Angehörige die Entlassung eines Familienmitglieds durch die al Shabaab erwirken konnten. Oft gleicht eine Desertion jedoch einer Flucht – mit entsprechender Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seitens al Shabaab. Manche Deserteure warten Monate oder sogar Jahre, bevor sich ihnen eine Gelegenheit zur Flucht bietet (Khalil 1.2019, Sitzung 17f).
In manchen Fällen kann ein Deserteur bei seinem eigenen Clan Schutz finden (FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Al Shabaab ist aufgrund eines Systems von Informanten in der Lage, Deserteure nahezu im gesamten Land aufzuspüren. Die Gruppe nutzt dafür unter anderem Clannetzwerke. In Mogadischu sind Deserteure nicht sicher. Ob sie jedoch zum Ziel werden oder nicht, hängt auch von ihrer früheren Rolle bei al Shabaab ab (ÖB 3.2020, Sitzung 6f). Ein Deserteur befindet sich dann in einer gefährlichen Situation, wenn al Shabaab ihn aufspüren konnte (FIS 7.8.2020, S.8). Es gibt Berichte, wonach Deserteure von al Shabaab als Abtrünnige (murtadd) verfolgt und teilweise exekutiert werden (ÖB 3.2020, Sitzung 6). Dies gilt insbesondere für Deserteure mittleren Ranges. Doch auch einfache Mannschaftsgrade können zum Ziel werden (BFA 8.2017, Sitzung 43f; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 6, FIS 7.8.2020, Sitzung 8).
Allerdings gibt es kaum bekannte Beispiele für getötete Deserteure (BMLV 2.3.2021; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8). Überhaupt gibt es keine konkreten Zahlen bzw. Berichte zu Tötungen von Deserteuren (ÖB 3.2020, Sitzung 6). Interessanterweise sind auch die vorhandenen Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab nie zum Angriffsziel geworden [siehe unten] (NLMBZ
3.2019, Sitzung 12f; vergleiche BFA 8.2017, Sitzung 45ff). Inwiefern al Shabaab also tatsächlich Energie in das Aufspüren und Töten von desertierten Fußsoldaten investieren will, ist unklar. Insgesamt besteht in einigen Fällen offenbar auch die Möglichkeit, dass sich ein Deserteur mit der al Shabaab verständigt – etwa durch die Zahlung von Geldbeträgen (BFA 8.2017, Sitzung 43ff; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 6).
Deserteure in Somaliland und Puntland gelten grundsätzlich nicht als gefährdet. Deserteure aus Süd- oder Zentralsomalia befinden sich jedoch in Somaliland in einer schwierigen Lage, da sie nicht wissen, wem sie vertrauen können oder wer al Shabaab nahe steht (ÖB 3.2020, Sitzung 6f).
Amnestie: Präsident Farmaajo hat zwar eine Amnestie für Angehörige der al Shabaab ausgesprochen, welche sich freiwillig ergeben. Allerdings ist diese Amnestie nur mündlich ausgesprochen worden. Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür. Trotzdem geben Deserteure an, dass die Aussicht auf eine Amnestie ein maßgeblicher Faktor für ihre Desertion war (Khalil 1.2019, Sitzung 17).
Rehabilitation/Reintegration: Die somalische Regierung betreibt mehrere Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab (NLMBZ 3.2020, Sitzung 27f). Dies sind in erster Linie Zentren in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (UNSC 13.8.2020, Absatz 82,). Im Mai 2021 befanden sich in diesen Zentren 361 Männer und 203 Frauen; 69 Frauen und 42 Männer konnten von Jänner bis Mai 2021 als rehabilitiert entlassen werden (UNSC 19.5.2021, Absatz 79,). Alleine im Zeitraum August-Oktober 2020 durchliefen 248 Männer und 226 Frauen die Rehabilitationsprogramme an den fünf Rehabilitationszentren (zwei für Frauen, drei für Männer). Frauen erhalten dort auch handwerkliche Ausbildung (UNSC 13.11.2020, Absatz 75,). IOM unterstützt in Baidoa ein Projekt zur Demobilisierung und Reintegration von männlichen und weiblichen „disengaged combatants“ der al Shabaab. Dabei wird die Grundversorgung gesichert, Zugang zu Berufsausbildung ermöglicht und Mediationsarbeit zur langfristigen Reintegration geleistet. Nach der Ausbildung wird Geld zur Verfügung gestellt, um gegebenenfalls ein Unternehmen gründen zu können (ÖB 3.2020, Sitzung 6).
Für Minderjährige (unter 18 Jahre) gibt es eigene Zentren (NLMBZ 3.2020, Sitzung 27f). Über Reintegrationsprogramme werden knapp 1.000 minderjährige ehemalige Kombattanten unterstützt (UNSC 13.8.2020, Absatz 56,). U.a. werden bei von UNICEF unterstützten Reintegrationsprojekten für ehemalige Kindersoldaten Minderjährige in ihren Gemeinden resozialisiert. Sie erhalten außerdem Zugang zu einer Ausbildung (ÖB 3.2020, Sitzung 6). Alleine in den ersten vier Monaten 2020
wurden an UNICEF 1.283 Kinder (699 Buben, 314 Mädchen) zur Rehabilitation übergeben. Diese waren zuvor bei den Sicherheitskräften oder bewaffneten Gruppen aktiv (UNSC 13.5.2020, Absatz 53,).
Reintegration - Beispiel Serendi Rehabilitation Centre (SRC), Mogadischu: Das SRC steht jenen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab offen, die als „low-risk“ eingestuft wurden (Khalil 1.2019, Sitzung vii).Als „low-risk“ wird von der NISAherausgefiltert, wer al Shabaab freiwillig verlassen hat; wer sich gegen die Ideologie der Gruppe ausspricht; und wer nicht als künftiges Risiko für die öffentliche Sicherheit erachtet wird (Khalil 1.2019, Sitzung 19/2; vergleiche BBC 23.11.2020). Trotzdem gibt es in Rehabilitationszentren auch Agenten von al Shabaab (BBC 23.11.2020).
Die Aufenthaltsdauer im SRC beträgt 6-12 Monate (Khalil 1.2019, Sitzung 19). Am SRC erhalten die Bewohner neben psycho-sozialer Unterstützung auch eine schulische und eine Berufsausbildung (Khalil 1.2019, Sitzung 23/12). Ein Rehabilitierter erzählt, dass er nun Schulbusfahrer ist, ein anderer ist Friseur. Im Zentrum gibt es z.B. auch Ausbildung in Mechanik, Schweißen, IT,
Basisbildung und Englisch (BBC 23.11.2020). Das SRC unterstützt die Bewohner bei der Wiederherstellung des Kontakts zu Familie und Clan (Khalil 1.2019, Sitzung 24). Spätestens im Zuge der Reintegration in Mogadischu wenden sich viele aus dem SRC Entlassene an (teils entfernte) Verwandte. In vielen Fällen konnten positive Beziehungen zur Familie wieder hergestellt werden, die meisten wurden von ihrer Kernfamilie wieder aufgenommen (Khalil 1.2019, Sitzung 27f).
Nach der Entlassung aus dem SRC stellt gesellschaftliche Diskriminierung kaum ein relevantes
Problem für ehemalige Angehörige der al Shabaab dar, wohl auch, weil es vielen gelingt, ihre
Vergangenheit zu verschweigen (Kahlil 1.2019, Sitzung 29/34). Viele der Deserteure stammen zwar aus Mogadischu (Kahlil 1.2019, Sitzung 3), die Mehrheit jedoch aus Lower Shabelle, Middle Juba, Hiiraan oder Galgaduud (Kahlil 1.2019, Sitzung 3/27). Trotzdem entscheiden sich viele für eine Reintegration in Mogadischu – mitunter, weil dort relative Anonymität herrscht (Khalil 1.2019, Sitzung 29/27).
Bereits entlassene rehabilitierte ehemalige Angehörige von al Shabaab bleiben auch in Mogadischu und versuchen, dort in der Masse unerkannt zu bleiben (BBC 23.11.2020). Viele der aus dem SRC Entlassenen sind aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht in ihre eigentliche Heimat zurückgekehrt. Einige von ihnen meiden auch in Mogadischu bestimmte Stadtgebiete, da sie Angst haben, dort als ehemalige Angehörige der al Shabaab identifiziert zu werden. Insgesamt äußern aus dem SRC Entlassene häufig Sicherheitsbedenken bezüglich al Shabaab – natürlich besteht eine latente Bedrohung, von ehemaligen Kameraden erkannt zu werden. Allerdings ist nur in einem Fall auch tatsächlich eine Drohung (über SMS) ausgesprochen worden (Khalil
1.2019, Sitzung 27f). Schon in ihrer Zeit im halb-offenen SRC haben Deserteure am Wochenende Ausgang, und fast alle nehmen diesen auch in Anspruch (Khalil 1.2019, Sitzung 22).
Quellen:
• BBC - BBC News (23.11.2020): Life after al-Shabab: Driving a school bus instead of an armed pickup truck, https://www.bbc.co.uk/news/stories-55016792 , Zugriff 2.12.2020
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• Khalil - Khalil, James / Brown, Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation
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• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020):AlgemeenAmbtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+2020.pdf, Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
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• SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), https://www.ecoi.net/en/file/local/1452043/1226_1542897099_n1830165.pdf , Zugriff 2.2.2021
• UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf , Zugriff 21.6.2021
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General
[S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General
[S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 18.4.2021, Sitzung 19).
Trotzdem werden Zivil- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Alle politischen Akteure, die um politische und ökonomische Macht streiten, sind in schwere Menschenrechtsvergehen involviert (BS 2020, Sitzung 18; vergleiche AI 7.4.2021). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen - u.a. von Zivilisten - durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 1f; vergleiche BS 2020, S.
34). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 2).
Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen. In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 2.4.2020, Sitzung 21).
Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur
Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten und anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (ÖB 3.2020, Sitzung 2; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 13). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach staatliche Sicherheitskräfte, alliierte Milizen und andere uniformierte Personen willkürlich und außergesetzlich Personen töten. Für die meisten derartigen Tötungen sind aber al Shabaab und Clanmilizen verantwortlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2). Im Zeitraum 5.11.2020 bis 9.2.2021 kamen landesweit 363 Zivilisten bei Kämpfen oder Anschlägen ums Leben oder wurden verletzt. Für 144 Opfer trug dabei al Shabaab die Verantwortung (UNSC
17.2.2021, Absatz 44,). Im Zeitraum 5.8.2020 bis 4.11.2020 waren es vergleichsweise 257 Opfer gewesen, davon 163 durch al Shabaab zu verantworten (UNSC 13.11.2020, Absatz 39,).
Es liegen Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich sind. Betroffen davon sind v.a. Journalisten aber auch politische Gegner (USDOS 30.3.2021, Sitzung 4). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 8). Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab (USDOS 30.3.2021, Sitzung 9; vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 47,).
Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 30.3.2021, S.
2).
Al Shabaab begeht in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2020, Sitzung 18). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 2; vergleiche HRW 14.1.2020). Al Shabaab entführt Menschen und nimmt Geiseln (USDOS 30.3.2021, Sitzung 4). Al Shabaab verhängt in Gebieten Bestrafungen wie Amputationen und Exekutionen (BS 2020, Sitzung 17). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen
Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 18.4.2021, Sitzung 14). Frauen werden für die Missachtung strenger Kleidungsvorschriften geschlagen (BS 2020, S.
19). Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit (USDOS 30.3.2021, Sitzung 38). Im Zeitraum Feber - August 2020 trug al Shabaab für rund ein Drittel (207 von 596) der zivilen Todesopfern und Verletzten die Verantwortung (AI 7.4.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 – Somalia, https: //www.ecoi.net/en/document/2048608.html , Zugriff 13.4.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General
[S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI
GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Meinungs- und Pressefreiheit
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Gesetze und Verfassung sehen Meinungs- und Pressefreiheit vor (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche BS 2020, Sitzung 14; FH 3.3.2021a, D1; AI 13.2.2020, Sitzung 17), allerdings halten sich weder die Bundes- noch regionale Regierungen daran (USDOS 30.3.2021, S.15f). Die Meinungsfreiheit unterliegt in Somalia schweren Einschränkungen (BS 2020, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist sie zumindest in Gebieten unter Kontrolle der Regierung weitgehend gegeben und wird durch die sehr weit verbreiteten sozialen Medien auch intensiv wahrgenommen (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Demnach gibt es in den sichereren Gebieten des Landes ein gewisses Maß an Meinungsfreiheit. Allerdings können Personen, welche sich kritisch über Mächtige in Staat und Gesellschaft äußern, Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sein (FH 3.3.2021a, D4). Nach anderen Angaben schränken Clanmilizen, kriminelle Organisationen und al Shabaab die Meinungsfreiheit ein (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18). Zudem wird ein im August 2020 neu in Kraft getretenes Mediengesetz von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. In diesem Gesetz sind u.a. mehrere, ungenau definierte Verbote enthalten, welche Journalisten zur Selbstzensur zwingen (AI 5.10.2020). So
wird u.a. die Verbreitung von nicht näher definierten
„Falschnachrichten“ [false news] kriminalisiert, das Strafmaß reicht dabei bis zu sechs Monaten Haft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 16).
Medienvereinigungen setzen sich für die Rechte der Medien, Meinungsfreiheit und Qualität im
Journalismus ein (BS 2020, Sitzung 14). Die National Union of Somali Journalists beobachtet die Lage der Medien und berichtet über Übergriffe gegenüber Medien und Journalisten. Ein Bericht zu allen 2019 verzeichneten Vorfällen findet sich auf der Homepage der Organisation (NUSOJ o.D.).
In Somalia wurden zahlreiche regionale Medien etabliert, darunter Zeitungen, Fernseh- und Radiosender sowie Onlinemedien (BS 2020, Sitzung 14). In Print- und v. a. Online-Publikationen spiegelt sich die Meinungsvielfalt in Mogadischu wider (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Unabhängige Medien verbreiten eine große Anzahl unterschiedlicher Meinungen; allerdings ist aufgrund der Erfahrung mit willkürlichen Verhaftungen und anderen Folgen Selbstzensur üblich, was die Kritik an der Regierung betrifft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 17).
Mobiles Internet ist in weiten Teilen des Landes ohne Zugangseinschränkung verfügbar (AA
18.4.2021, Sitzung 12). Nach anderen Angaben schränkt die Regierung den Zugang zum Internet ein.
Es gibt aber keine Berichte hinsichtlich widerrechtlicher Überwachung privater Kommunikation (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18). Die Verwendung von Sozialen Medien in Somalia hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Eine signifikante Zahl an Menschen in der Diaspora sowie Junge und Urbane in Somalia sind mit dem Internet und mit sozialen Medien verbunden (AI 13.2.2020, Sitzung 12).
Journalisten sehen sich regelmäßig Einfluss- oder sogar Zwangsmaßnahmen durch staatliche Stellen ausgesetzt (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Es kommt zu Drohungen, Belästigungen, Einschüchterungen, Schlägen und willkürlichen Verhaftungen (AI 7.4.2021). Kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft oder in Medien werden oft bedroht und zum Schweigen gebracht (BS 2020, Sitzung 38). Zudem manipuliert die Regierung Medien durch Bestechung und durch Drohungen. Einerseits fördert die Bestechung von Medienbesitzern und Redakteuren die Selbstzensur (AI 13.2.2020, Sitzung 13/39ff; vergleiche LI 8.3.2016, Sitzung 7).
Am World Press Freedom Index 2020 von Reporter ohne Grenzen rangiert Somalia auf Platz
163 von 180 bewerteten Ländern (RSF 3.7.2020). Angriffe auf Medien (u.a. Belästigungen,
Einschüchterungen, physische Attacken) sind an der Tagesordnung (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Die Bundesregierung, Regierungen von Bundesstaaten, affiliierte Milizen, ASWJ, al Shabaab und andere Akteure töten, misshandeln und belästigen Journalisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 16; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 24). In Süd-/Zentralsomalia waren in den Jahren 2018 und 2019 mindestens
14 Journalisten physischen Übergriffen ausgesetzt (AI 13.2.2020, Sitzung 26). Journalisten werden nicht nur in von al Shabaab kontrollierten Gebieten, sondern auch außerhalb dieser immer
wieder von Angehörigen der al Shabaab und anderen Auftraggebern ermordet (BS 2020, Sitzung 15). In den letzten zehn Jahren wurden über 50 Medienvertreter getötet (AA 18.4.2021, Sitzung 11). In den Jahren 2019 und 2020 wurden jeweils zwei Journalisten getötet (AI 13.2.2020, Sitzung 19; vergleiche HIPS 2021, Sitzung 26). Angriffe auf oder Morde an Journalisten werden nur selten untersucht (HRW
14.1.2020; vergleiche AI 13.2.2020, Sitzung 12/19; AA 18.4.2021, Sitzung 11f), es herrscht Straflosigkeit (USDOS
30.3.2021, Sitzung 16).
Journalisten arbeiten in Somalia generell in einer feindseligen Umgebung. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, zu Drangsalierung, zur Verhängung von Geldbußen und auch zur Ausübung von Gewalt; Täter sind sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure (FH 3.3.2021a, D1; vergleiche BS 2020, Sitzung 14; USDOS 30.3.2021, Sitzung 16ff). Bundes- und Regionalbehörden verhaften Journalisten und andere Personen, die sich über die Behörden kritisch äußern (USDOS 30.3.2021, Sitzung 12). Gemäß einer anderen Quelle ist dies nicht der Fall (AI 13.2.2020). Dabei kommt es mitunter auch zur Verhaftung von Journalisten, die sich weigern, Bestechungsgelder des Präsidenten anzunehmen (AQ3 5.2020).
2020 sind landesweit 56 Journalisten verhaftet und fünf Medienanstalten geschlossen worden
(HIPS 2021, Sitzung 26). Besonders im Zuge der Covid-19-Pandemie kam es zu einem Anstieg an Festnahmen. Manche sind nach Strafzahlungen wieder freigelassen worden (AA 18.4.2021, S.
11f).
Al Shabaab verbietet den Menschen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle das Hören internationaler Medien (USDOS 30.3.2021, Sitzung 18). Generell ist die Meinungsfreiheit in ihren Gebieten massiv eingeschränkt (FH 3.3.2021a, D4), unabhängige Medien sind verboten. Al Shabaab betreibt eigene Radiosender, welche v.a. religiöse Inhalte und politische Propaganda verbreiten (BS 2020, Sitzung 15). Al Shabaab verbietet Telekommunikationsunternehmen Zugang zum Internet anzubieten. Die Unternehmen wurden gezwungen, ihre Datendienste einzustellen (USDOS
30.3.2021, Sitzung 18), es gibt dort kein Internet (FIS 7.8.2020, Sitzung 18).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21 – Somalia, https: //www.ecoi.net/en/document/2048608.html , Zugriff 13.4.2021
• AI - Amnesty International / Committee to Protect Journalists / Human Rights Watch (5.10.2020): Re: Concerns and recommendations on Somalia’s new media law, https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2038685/AFR5231642020ENGLISH.PDF , Zugriff 9.10.2020
• AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear“: Violations and Abuses of Free-dom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024685/A FR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020
• AQ3 - Anonyme Quelle 3 (5.2020): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOS-REPORT-2020-Final-2.pdf , Zugriff 12.2.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• LI - Landinfo [Norwegen] (8.3.2016): Somalia - Media and Journalism, https://landinfo.no/asset/35 68/1/3568_1.pdf , Zugriff 12.7.2019
• NUSOJ - National Union of Somali Journalists (o.D.): About us, http://www.nusoj.org/about-us/ , Zugriff 9.12.2020
• RSF - Reporters Sans Frontières (3.7.2020): Somalia: Already 20 journalists arrested in the first half of 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032832.html , Zugriff 9.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI
GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Gesetzlich werden grundsätzlich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährt, erstere wird von der somalischen Regierung aber eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 19f; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 11; BS 2020, Sitzung 14). Für alle öffentlichen Versammlungen ist eine Genehmigung durch das Innenministerium erforderlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 19; vergleiche FH 3.3.2021a, E1). Die Regierung macht bei sicherheitsrelevanten Themen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geltend (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Aufgrund der Sicherheitslage bleibt die Versammlungsfreiheit daher in vielen Gebieten effektiv eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 19; vergleiche BS 2020, Sitzung 14).
Dabei bekräftigt die Regierung regelmäßig ihren Willen, diese Rechte auch zu gewährleisten. Hinsichtlich der Versammlungsfreiheit ist jedoch in staatlich kontrollierten Gebieten nie genau absehbar, wie die lokalen Sicherheitskräfte reagieren. Generell sind Handfeuerwaffen weit verbreitet, eine blutige Eskalation kann nie ausgeschlossen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 11). In allen Teilen Somalias kommt es regelmäßig zu Gewaltanwendung bei Protesten (HRW 14.1.2020). Die Regierung geht mit Sicherheitskräften gegen Demonstranten vor (AA 18.4.2021, Sitzung 11; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 19). Immer wieder setzen Sicherheitskräfte dabei auch scharfe Munition ein (Sahan 16.2.2021a), so etwa die von der Türkei ausgebildete Spezialeinheit Gorgor gegen demonstrierende Zivilisten in Mogadischu im Feber 2021, als mehrere Menschen getötet wurden (AN 22.2.2021); oder zuvor am 15. und am 25.12.2020 bei Demonstrationen der Opposition (ein Todesopfer) (UNSC 17.2.2021, Absatz 4,).
Aufgrund des meist informellen Charakters politischer Gruppen und der Schwäche von Gewerkschaften ist eine Aussage zur Vereinigungsfreiheit nur schwer möglich (AA 18.4.2021, Sitzung 11). Personen außerhalb der von al Shabaab kontrollierten Gebiete können Organisationen der Zivilgesellschaft ungehindert beitreten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 20).
In von der al Shabaab kontrollierten Gebieten bestehen weder Versammlungs- noch Vereinigungsfreiheit (AA 18.4.2021, Sitzung 11; vergleiche BS 2020, Sitzung 14). Die meisten internationalen Organisationen dürfen dort nicht tätig werden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 20).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• AN - Ahval News (22.2.2021): Turkish-trained special forces take Somalia back to days of civil war, https://ahvalnews.com/turkey-somalia/turkish-trained-special-forces-take-somalia-back-days-civil -war , Zugriff 22.2.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• Sahan - Sahan / Matt Bryden (16.2.2021a): Editor’s Pick - Somalis have right to peaceful protest, in: The Somali Wire Issue No. 83, per e-Mail
• UNSC - UN Security Council (17.2.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/154], https://www.ecoi.net/en/file/local/2046029/S_2021_154_E.pdf , Zugriff 2.3.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die Haftbedingungen sind in den meisten Landesteilen hart, da es an sanitären Einrichtungen, an Hygiene, an adäquater Ernährung und an Wasser sowie an medizinischer Versorgung mangelt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 6; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 13). Zum Teil sind die Haftbedingungen lebensbedrohlich (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Besser sind die Bedingungen in neu errichteten Haftanstalten, im Mogadishu Prison and Court Complex, auch wenn dort, wie in anderen städtischen Haftanstalten, Überbelegung manchmal ein Problem darstellt. Das Gefängnis in Garoowe erfüllt internationale Standards und wird ordentlich geführt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 6). Unterstützung von UNDP, UNODC und IKRK beim Gefängnisaufbau und der Schulung von Gefängnispersonal in allen Regionen schafft langsam Abhilfe (AA 18.4.2021, Sitzung 13). So wurde etwa Anfang 2020 durch UNSOM Gefängnispersonal für Puntland, Belet Weyne und Kismayo in Verwaltung und menschenrechtlichen Belangen ausgebildet (UNSC 13.5.2020, Absatz 71,). Um die Überbelegung zu reduzieren, wurden über 362 Häftlinge in mehreren Bundesstaaten und in Mogadischu eine Amnestie verhängt (UNSC 13.5.2020, Absatz 49,). Im August 2020 kam es in einem Gefängnis in Mogadischu zu einem Aufstand, bei welchem 15 Häftlinge und vier Wachen getötet wurden (PGN 10.2020, Sitzung 10).
In Somaliland sind Haftanstalten gemäß einer Quelle überbelegt und die Bedingungen dort sind hart (FH 3.3.2021b, F3). Nach anderen Informationen entspricht das Hargeysa-Prison internationalen Standards und wird gut geführt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 6). UNODC und andere UN-Agenturen unterstützen Somaliland bei der Verbesserung der Haftbedingungen (ÖB 3.2020,
Sitzung 17). Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Häftlinge bei den Justizbehörden Beschwerden vorbringen dürfen, und dies geschieht auch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7). Um dem Problem der Überbelegung zu begegnen, gewährte Somaliland 2020 939 Gefangenen eine Amnestie (UNSC
13.8.2020, Absatz 53 ;, vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz 49,).
Die Behörden arbeiten aktiv mit internationalen Organisationen und Beobachtern zusammen. UNODC kann regelmäßig Haftanstalten besuchen und dort auch mit Ausbildungsmaßnahmen und bei der Infrastruktur unterstützend tätig werden. Somaliland gestattet unabhängigen Beobachtern von NGOs Zutritt zu Haftanstalten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7).
Al Shabaab hält Personen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle in Haft, teils für verhältnismäßig geringfügige Vergehen und unter inhumanen Bedingungen. Die Haftbedingungen in Haftanstalten von al Shabaab und in von traditionellen Autoritäten geführten Gebieten sind oft hart und lebensbedrohlich (USDOS 30.3.2021, Sitzung 7).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• FH - Freedom House (3.3.2021b): Freedom in the World 2021 – Somaliland, https://freedomhou se.org/country/somaliland/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
• PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, per e-Mail, mit Zugriffsberechtigung verfügbar auf: https://www.polgeonow.com/2020/10/somalia-mapof-al-shabaab-control.html
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398], https://www.ecoi.net/en/file/local/2030188/S_2020_398_E.pdf , Zugriff 13.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI
GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Todesstrafe
Letzte Änderung: 30.06.2021
In allen Landesteilen wird die Todesstrafe verhängt und vollzogen, allerdings [im Gegensatz zu Gebieten von al Shabaab] deutlich seltener in Gebieten unter der Kontrolle der jeweiligen Regierung – und dort nur für schwerste Verbrechen (AA 18.4.2021, Sitzung 20). Allerdings kommt es dort auch nach Verfahren, die nicht internationalen Standards genügen, zur Ausführung der Todesstrafe (AA 18.4.2021, Sitzung 13f; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 3). Die von Bundes- aber auch von Regionalbehörden verhängten Todesurteile werden oft innerhalb weniger Tage vollstreckt; in manchen Fällen wird Verurteilten eine bis zu dreißigtägige Berufungsfrist eingeräumt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 3/11).
Im Zeitraum Mai-August 2020 wurden in Kismayo und Bossaso je ein Todesurteil (an Mitgliedern der Sicherheitskräfte) vollstreckt. Acht Todesurteile wurden von Militärgerichten in Jubaland, Puntland und Mogadischu ausgesprochen, vier davon gegen Angehörige der al Shabaab, vier gegen Angehörige der Sicherheitskräfte (UNSC 13.8.2020, Absatz 52,). Am 18.8.2020 wurden in Baidoa zwei Männer wegen sexueller Vergehen an einem Minderjährigen öffentlich exekutiert
(UNSC 13.11.2020, Absatz 46,). Insgesamt wurden im Jahr 2020 mindestens acht Hinrichtungen in Süd-/Zentralsomalia und Puntland vollstreckt (AA 18.4.2021, Sitzung 20). Nach anderen Angaben waren mindestens 24 Todesurteile verhängt und mindestens 12 vollstreckt worden. Exekutionen erfolgen grundsätzlich durch Erschießen (AI 4.2020, Sitzung 8ff/44).
Im Jahr 2020 wurden in Somaliland mindestens sechs Personen hingerichtet (AA 18.4.2021, Sitzung 20).
In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten kommt es zu öffentlichen Exekutionen, z.B. wegen vorgeworfener Apostasie (USDOS 12.5.2021, Sitzung 6) oder wegen Ehebruchs und „Kooperation mit den Feinden des Islam“ (d.h. mit der Regierung, AMISOM, UNO oder Hilfsorganisationen). Exekutionen durch al Shabaab werden öffentlich vollzogen (AA 18.4.2021, Sitzung 20).
Eine Zusicherung der Nichtverhängung oder des Nichtvollzugs der Todesstrafe erscheint im Hinblick auf die jeweiligen Regierungen sehr unwahrscheinlich, im Hinblick auf die von al Shabaab kontrollierten Gebiete aussichtslos (AA 18.4.2021, Sitzung 20).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• AI - Amnesty International (4.2020): Death Sentences and Executions 2019,https://www.ecoi.net/en/file/local/2028355/ACT5018472020ENGLISH.PDF , Zugriff 12.10.2020
• UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General
[S/2020/1113], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041334/S_2020_1113_E.pdf , Zugriff 2.12.2020
• UNSC - UN Security Council (13.8.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/798], https://www.ecoi.net/en/file/local/2036555/S_2020_798_E.pdf , Zugriff 9.10.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SOMALIA-2020-I NTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 21.6.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 30.06.2021
Die somalische Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt sozial inakzeptabel, und nur eine sehr kleine Minderheit hängt tatsächlich einer anderen Religion oder islamischen Richtung an (USDOS
12.5.2021, Sitzung 2).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SOMALIA-2020-I
NTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 21.6.2021
Gebiete unter Regierungskontrolle
Letzte Änderung: 08.07.2021
Somalia ist seinem verfassungsmäßigen Selbstverständnis nach ein islamischer Staat, der nicht vorrangig auf religiöse Vielfalt und Toleranz ausgelegt ist (AA 18.4.2021, Sitzung 9). Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt (AA 18.4.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 9; USDOS 12.5.2021, Sitzung 1ff), alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1ff).
Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber wird die Scharia entsprechend interpretiert. Blasphemie und „Beleidigung des Islam“ sind Straftatbestände (USDOS 12.5.2021, Sitzung 3). Nach anderen Angaben ist es Muslimen verboten, eine andere Religion anzunehmen (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Jedenfalls sind Missionierung oder Werbung für andere Religionen laut Verfassung verboten (FH 3.3.2021a, D2; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 13). Andererseits bekennen sich die Verfassungen zu Religionsfreiheit, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Auch sind dort ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion (FH 3.3.2021a, D2) sowie die freie Glaubensausübung festgeschrieben (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1/3).
Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (AA 18.4.2021, Sitzung 13). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 12.5.2021, Sitzung 8). Insgesamt spielen Repressionen aufgrund der Religion in Somalia aber fast keine Rolle, da es kaum Nicht-Muslime im Land gibt (AA
18.4.2021, Sitzung 9).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SOMALIA-2020-I
NTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 21.6.2021
Minderheiten und Clans
Letzte Änderung: 08.07.2021
Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen
Generell steht Diskriminierung in Somalia oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben (AA 18.4.2021, Sitzung 10).
Recht: Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 3). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 3.2020, Sitzung 3). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).
Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhält (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 26f; FH 3.3.2021a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 3.3.2021a, B4). Selbst die gegebene, formelle Vertretung ist jedoch nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen. Politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 3.2020, Sitzung 3).
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vgl.AA18.4.2021, Sitzung 12f; FH 3.3.2021a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 18.4.2021, Sitzung 12f).
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).
Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2020, Sitzung 19). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, Sitzung 11; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist auch ein Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, Sitzung 21). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 3.2020, Sitzung 4).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-im proved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf , Zugriff 14.12.2020
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff 9.12.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhetssektorn Version 1.0, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012758/190704400.pdf , Zugriff 17.3.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf , Zugriff 10.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Bevölkerungsstruktur
Letzte Änderung: 08.07.2021
In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen; allerdings ist schon alleine der Anteil ethnischer Minderheiten unklar (AA 18.4.2021, S.
12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, Sitzung 42; vergleiche SEM, 31.5.2017, Sitzung 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2020, Sitzung 33). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, Sitzung 8).
Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, Sitzung 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:
• Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der
wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
• Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedirund Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
• Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten DirClans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
• Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
• Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, Sitzung 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, Sitzung 9).
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, Sitzung 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, Sitzung 38ff).
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringerenAnzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen
„nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, Sitzung 5).
Die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation, welche immer wichtiger werden, kann eine
„falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensieren (BS 2020, Sitzung 25). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, Sitzung 9).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021 • GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
• LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Report-SomaliaPractical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in-Southern-Somalia-4-April-201 6.pdf , Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf , Zugriff 10.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung: 08.07.2021
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums (SEM 31.5.2017, Sitzung 11). Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017, S.
14).
In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten nicht systematischer Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3). In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020).
Nach anderen Angaben leiden Angehörige von Minderheiten an Arbeitslosigkeit und unter einem Mangel an Ressourcen. Sie werden amArbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung
v.a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig, wie für die Älteren (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).
Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f; vergleiche FIS 7.8.2020, S.
41). Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017, Sitzung 12f). Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten, sind rund 700.000 Bantu (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff).
Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab (SEM 31.5.2017, Sitzung 14). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2020, Sitzung 9) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Ihre Situation ist sehr schlecht (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Sie sind auch weiterhin Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche GIGA 3.7.2018). Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36; vergleiche LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen (FIS 7.8.2020, Sitzung 42ff). Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 9f). Bantu sind besonders schutzlos (ÖB 3.2020, Sitzung 3; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 42). Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020, Sitzung 44).
Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 7). Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung (LIFOS 19.6.2019,
Sitzung 7ff).
Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 13f). In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 41ff). Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem (LI 14.6.2018, Sitzung 17). Viele von ihnen sind relativ wohlhabend, befinden sich in relevanten Positionen und sind in der Lage, Schutz zuzukaufen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 43). Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LI 21.5.2019b, Sitzung 2f), und der Verwaltungsdirektor des Bezirks ist Angehöriger der Reer Xamar (FIS 7.8.2020, Sitzung 40).
Die Bajuni sind ein kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017, Sitzung 14).
Kinder von Mischehen der al-Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z. B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019, Sitzung 9).
Quellen:
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021 • GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff 9.12.2020
• LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https: //landinfo.no/wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolkningen-i-Mogadish u-21052019.pdf , Zugriff 2.2.2021
• LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.no/wp-conte nt/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf , Zugriff 2.12.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (19.6.2019): Minoritetsgruppen bantu i Somalia Version 1.0, https://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=43198 , Zugriff 2.2.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
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• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
Letzte Änderung: 08.07.2021
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, Sitzung 14ff).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, Sitzung 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, Sitzung 3).
Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM
31.5.2017, Sitzung 44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelneAngehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, Sitzung 49).
Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 3.3.2021a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff; vergleiche FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, Sitzung 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, Sitzung 7f).
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 3.2020, Sitzung 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, Sitzung 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, Sitzung 26).
Quellen:
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69
44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf , Zugriff 17.3.2021
• GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
• ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf , Zugriff 9.12.2020
• LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https: //landinfo.no/wp-content/uploads/2019/05/Respons-Somalia-Rer-Hamar-befolkningen-i-Mogadish u-21052019.pdf , Zugriff 2.2.2021
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf , Zugriff 10.12.2020
Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose
Letzte Änderung: 08.07.2021
Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter DirClan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als „Gast“ ist schwächer als jene des „Gastgebers“. Im System von „hosts and guests“ sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als „Gäste“. Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, Sitzung 11f/32f).
Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 30.3.2021, Sitzung 36). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, Sitzung 12). In Mogadischu ist es im allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).
Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, Sitzung Sitzung 46f/103).
Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben (ACCORD 29.5.2019, Sitzung 2f). Allerdings gibt es laut Experten bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37/39f).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (29.5.2019): Anfragebeantwortung a-11008 (Auskunftsperson: Lidwien Kapteijns)
• EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/public/COI-Report-Somalia.pdf , Zugriff 2.2.2021
• SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf , Zugriff 10.12.2020
• UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service (Dänemark) (25.6.2020): SkypeInterview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www. nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?l a=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E60C , Zugriff 7.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen
Letzte Änderung: 08.07.2021
Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:
• Angehörige der AMISOM (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1; vergleiche BS 2020, Sitzung 34, FIS 7.8.2020, S.
8);
• nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS
12.5.2021, Sitzung 1, BS 2020, Sitzung 34);
• Angehörige der Sicherheitskräfte (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1; vergleiche HRW 14.1.2020, BS 2020, Sitzung 14, FIS 7.8.2020, Sitzung 8);
• Regierungsangehörige, Parlamentarier und Offizielle (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche USDOS 12.5.2021, Sitzung 1, BS 2020, Sitzung 34, FIS 7.8.2020, Sitzung 8); al Shabaab greift z.B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich die politische Elite trifft (BS 2020, Sitzung 14).
• mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche FIS
7.8.2020, Sitzung 8);
• Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 8);
• Wirtschaftstreibende (FIS 7.8.2020, Sitzung 8; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23f); diese werden unter gewissen Umständen zum Ziel. Dies hängt von ihrem Status ab, und von der Frage, ob sie von al Shabaab geforderte Schutzgeldabgaben entrichten. Verweigert ein Wirtschaftstreibender eine Schutzgeldzahlung, wird er und/oder sein Betrieb zum Angriffsziel (NLMBZ 3.2020, Sitzung 47; vergleiche BS 2020, Sitzung 7, HI 10.2020, Sitzung 4ff). Ein Risiko besteht auch für Unternehmer, die für die Regierung tätig sind (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 24);
• Älteste und Gemeindeführer (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche HRW 14.1.2020, FIS 7.8.2020, Sitzung 8);
• Wahldelegierte und deren Angehörige bzw. Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben (UNSC 1.11.2019, Sitzung 5; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 13, HRW 14.1.2020, BS 2020, Sitzung 21); dabei hat al Shabaab die Delegierten vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen.
Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019).
• Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13);
• prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13; vergleiche BS 2020, Sitzung 34);
• religiöse Führer (FIS 7.8.2020, Sitzung 8);
• Journalisten (BS 2020, Sitzung 34) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40);
• Telekommunikationsarbeiter (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40);
• mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 30.3.2021, Sitzung 13);
• Deserteure (FIS 7.8.2020, Sitzung 8);
• (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 18.4.2021, Sitzung 14); den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020).
Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017, Sitzung 34; vergleiche HI 10.2020). Gemäß einer Studie richteten sich Angriffe von al Shabaab im Zeitraum 2006-2017 zu 36,6 % gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), zu 24,5 % Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter AMISOM) und zu 32,4 % gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (NLMBZ 3.2019, Sitzung 12).
Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Dort werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 18.4.2021, Sitzung 10). Menschen werden wegen angeblicher Spionage exekutiert (USDOS 12.5.2021, Sitzung 1/6). Im Zeitraum Feber-Mai 2021 betraf dies insgesamt zwölf Männer (UNSC 19.5.2021, Absatz 46,). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften bezichtigt werden (HRW 14.1.2020). Im März 2021 wurden z.B. fünf der Spionage verdächtige Personen in Buale (Middle Juba) exekutiert (Sahan 8.3.2021). Dabei ist die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, mitunter sehr niedrig angesetzt (BFA 8.2017, Sitzung 40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan 15.2.2021a). Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, S.
40ff).
Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein „Angebot“ der al Shabaab abzulehnen (BMLV 25.2.2021).
Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 23). Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, Sitzung 35f).
Insgesamt muss hinzugefügt werden, dass al Shabaab nicht für alle an den o.g. Personengruppen begangenen Morde die Verantwortung übernimmt (HRW 14.1.2020). Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde politisch motiviert oder einfach Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 26).
Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (NLMBZ 3.2020, Sitzung 17; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25; FIS 7.8.2020, Sitzung 24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 24). So greift al Shabaab etwa Cafés, Restaurants oder
Hotels an, die von Behördenvertretern, Politikern oder Sicherheitskräften frequentiert werden. Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind (FIS 7.8.2020, Sitzung 25). Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt Zivilisten an. Die Intention ist, der Bevölkerung vor
Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 10ff). Dies führt Zivilisten in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 27).
Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des
Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind – vor allem prominente – Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA8.2017, Sitzung 36). NachAngaben eines Journalisten wiederum kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (AI 13.2.2020, A.
36).
Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017, Sitzung 47f).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland [siehe dazu Kapitel Sicherheitslage] (JF 14.1.2020). Die Hauptziele des IS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 35).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• AI - Amnesty International (13.2.2020): „We live in perpetual fear“: Violations and Abuses of Free-dom of Expression in Somalia [AFR 52/1442/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024685/A FR5214422020ENGLISH.PDF , Zugriff 25.2.2020
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021 • HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https: //hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf , Zugriff 30.10.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Somalia, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2022682.html , Zugriff 16.1.2020
• JF - Jamestown Foundation (14.1.2020): Islamic State’s Mixed Fortunes Become Visible in Somalia, Terrorism Monitor Volume: 18 Issue: 1, https://jamestown.org/program/islamic-states-mixed-fortu nes-become-visible-in-somalia/ , Zugriff 3.2.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww
w.ecoi.net/en/file/local/2015777/190827400.pdf , Zugriff 17.3.2021
• Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, https://www.hiiraan.com/op4/2019/aug/165221/the_recent_al_shabab_resur gence_policy_options_for_somalia.aspx , Zugriff 2.2.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2020):AlgemeenAmbtsbericht Somalië, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029776/Algemeen+Ambtsbericht+Somalie+maart+2020.pdf , Zugriff 18.12.2020
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
• Sahan - Sahan / Amiirnuur (8.3.2021): The Somali Wire Issue No. 97, per e-Mail, Originallink auf Somali: http://www.amiirnuur.com/?p=10647
• Sahan - Sahan / Keydmedia (15.2.2021a): The Somali Wire Issue No. 82, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.keydmedia.net/news/meydadka-3-ruux-oo-lasoo-dhigay-muqdisho
• UNSC - UN Security Council (19.5.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/485], https://www.ecoi.net/en/file/local/2052226/S_2021_485_E.pdf , Zugriff 21.6.2021
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/05/240282-SOMALIA-2020-I NTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 21.6.2021
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen („Steuern“)
Letzte Änderung: 08.07.2021
In den Gebieten von al Shabaab wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, Sitzung 2f; vergleiche BBC
18.1.2021). In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung der al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020, Sitzung 2f).
Al Shabaab hebt mehr „Steuern“ ein als die Bundesregierung. Dabei agiert die Gruppe wie eine mafiöse Organisation (FIS 7.8.2020, Sitzung 18; vergleiche HI 10.2020, Sitzung 5). Ziel ist es, aus kriminellen
Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020, Sitzung 18). Dafür hat al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia ein komplexes System der Schutzgelderpressung etabliert. Landwirtschaftliche Produkte (UNSC 1.11.2019, Sitzung 13) sowie Güter und auch manche Dienstleistungen werden sowohl in den eigenen Gebieten als auch in jenen der Regierung „besteuert“ (HIPS 2020, Sitzung 13). Sogar Bundesbedienstete – darunter hochrangige
Angehörige der Armee – führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer“ an al Shabaab ab. Dieser
Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöse Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, Sitzung 6f).
Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15
Millionen US-Dollar – davon die Hälfte in Mogadischu (HI 10.2020, Sitzung 5). Generell werden alle
Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeld belegt (FIS 7.8.2020, Sitzung 13).
Wirtschaftstreibende werden angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (WP 31.8.2019), denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (HI 10.2020,
Sitzung 9). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (HI
10.2020, Sitzung 1).Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche Steuer. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen den Zakat nicht abführen. Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert – etwa die Nutzung von Bewässerungsanlagen durch Bauern (HI 10.2020, Sitzung 3). Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt (VOA 3.12.2018), für Importe am Hafen von Mogadischu (UNSC 1.11.2019, Sitzung 13; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 13) sowie am Immobilienmarkt hebt al Shabaab Steuern ein (HI 10.2020, Sitzung 4). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017, S.
33).
Kommt es zu einem Anschlag auf ein Hotel, dann steht für al Shabaab eine Strafaktion für ausständige Steuerzahlungen im Vordergrund. Allfällig anwesende Regierungsvertreter oder Staatsbedienstete sind hierbei nur nebenrangige Ziele (BMLV 25.2.2021). Jene, die sich weigern an al Shabaab Abgaben abzuführen, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Manche Personen müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben (HI 10.2020, Sitzung 4ff). Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, Sitzung 1).
Auch der sog. Islamische Staat fordert „Steuern“ – v.a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen
Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer“ widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen
(USDOS 30.3.2021, Sitzung 15). Dies gilt jedenfalls für Unternehmen in Puntland – etwa in Bossaso und Galkacyo (UNSC 1.11.2019, Sitzung 19).
Quellen:
• BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021
• BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, https://www.ecoi.net/en/file/local/1406268/5209_1502195321_ffm-report-somalia-si cherheitslage-onlineversion-2017-08-ke.pdf , Zugriff 3.12.2020
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021 • HI - Hiraal Institute (10.2020): A Losing Game: Countering Al-Shabab’s Financial System, https: //hiraalinstitute.org/wp-content/uploads/2020/10/A-Losing-Game.pdf , Zugriff 30.10.2020
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-SOS-2019-Rep ort-English-Version.pdf , Zugriff 17.3.2021
• UNSC - UN Security Council (1.11.2019): Letter dated 1 November 2019 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Letter dated 27 September 2019 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2019/858], https://www.ecoi.net/en/file/local/2019947/S_2019_858_E.pdf , Zugriff 22.1.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
• VOA - Voice of America / Harun Maruf (3.12.2018): In Somalia, Businesses Face ‚Taxation‘ by Militants, https://www.voanews.com/a/in-somalia-businesses-face-taxation-by-militants/4684759 .html , Zugriff 2.2.2021
• WP - The Washington Post (31.8.2019): ‘If römisch eins don’t pay, they kill me’: Al-Shabab tightens grip on Somalia with growing tax racket, https://www.washingtonpost.com/world/africa/if-i-dont-pay-they-k ill-me-al-shabab-tightens-its-grip-on-somalia-with-growing-tax-racket/2019/08/30/81472b38-beac -11e9-a8b0-7ed8a0d5dc5d_story.html , Zugriff 2.2.2021
Bewegungsfreiheit und Relokation
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 20) – v.a. durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 3.2020, Sitzung 9f).
Überlandreisen: Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren, an welchen Wegzoll erpresst wird, einer Gefahr ausgesetzt (FH 3.3.2021a, G1; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 20). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (LI 28.6.2019, Sitzung 8; vergleiche FH 3.3.2021a, G1). Generell werden Überlandreisen als riskant und teuer erachtet. Die Hauptstraßen Süd-
/Zentralsomalias werden nur teilweise von AMISOM und der Armee kontrolliert, weswegen AMISOM und die Armee aufgrund des Risikos Truppen und Versorgungsgüter oft auf dem Luftweg transportieren (NLMBZ 3.2020, Sitzung 33). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift Zivilisten an, welche die Blockade durchbrochen haben (HRW 13.1.2021).
Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen (LI 28.6.2019, Sitzung 4/9). Nach anderen Angaben sind die Möglichkeiten für Überlandreisen von Mogadischu in Richtung Baidoa, Kismayo oder Belet Weyne stark eingeschränkt. Weniger weit entfernte Ziele – etwa Afgooye – sind demnach aber auf der Straße erreichbar. Allerdings finden sich auch an dieser Route Straßensperren unterschiedlicher Akteure. An der Straße nach Merka verwendet al Shabaab mobile Kontrollen. Generell werden Überlandreisen in Süd-/Zentralsomalia als nicht wirklich sicher erachtet. Al Shabaab ist in der Lage, alle Straßen, die nach Mogadischu führen, zu kontrollieren. Auch andere Akteure können Reisenden unterschiedlichste Probleme verursachen. Daher gibt es auch nur wenig Verkehr (FIS 7.8.2020, Sitzung 27f).
Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, Sitzung 4/9). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere
Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, Sitzung 7).
Die Straße zwischen Mogadischu und Jowhar wird fallweise blockiert. Anfang 2021 konnten dort LKW über fast zwei Wochen nicht verkehren (Sahan 1.3.2021b). Die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne ist grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat (BMLV 2.3.2021). Allerdings beklagten sich Bewohner im März 2021, dass Buulo Barde von al Shabaab abgeriegelt worden ist (Sahan 2.3.2021b). Der Verkehr entlang der Route Belet Weyne - Garoowe ist von al Shabaab unbeeinträchtigt (BMLV 2.3.2021). Nur punktuell konnte al Shabaab in Galmudug an die Hauptverbindungsroute vordringen (PGN 2.2021, Sitzung 12). An den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba kann es zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen (BMLV 2.3.2021). Allerdings hat al Shabaab offenbar mehrere Straßen in der Region unter Blockade gesetzt (Sahan 10.3.2021b). In Bakool befinden sich die Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde einigermaßen unter Kontrolle. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab (BMLV 2.3.2021), Xudur ist von al Shabaab eingekreist (PGN 2.2021, Sitzung 12). In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der
Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al
Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach
Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 2.3.2021).
In Hiiraan kommt es an der Straße von Belet Weyne in Richtung Dhusamareb mitunter zu Clanauseinandersetzungen (RE 18.2.2021).
Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, Sitzung 8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen (LI 28.6.2019, Sitzung 8; vergleiche USDOS 30.3.2021, Sitzung 20f).
In Mogadischu gibt es mehrere Hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt (FIS 7.8.2020, Sitzung 21ff). Zeitweise sperren Sicherheitskräfte ganze Straßenzüge, wodurch die Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren erheblich behindert wird (HIPS 2020, Sitzung 2). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39).
Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken – v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt (LI 28.6.2019, Sitzung 11f). Bezüglich dieser besteht für Frauen an Straßensperren ein erhöhtes Risiko (FIS 7.8.2020, Sitzung 23).
Straßensperren von al Shabaab:Al Shabaab kontrolliert Versorgungsrouten zwischen Städten
(BS 2020, Sitzung 6). Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.23019, Sitzung 4/10). Doch auch an anderen wichtigen Straßenverbindungen betreibt al Shabaab Checkpoints (NLMBZ 3.2020, Sitzung 33).
Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern ab und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, Sitzung 9f). Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät, und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z.B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40).
Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die tatsächlich Verbindungen zur Regierung haben, oder aber die diesbezüglich verdächtigt werden (LI 28.6.2019,
Sitzung 9f; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an
Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen.
Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones,
Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der
Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, Sitzung 9f).
Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, Sitzung 4/11).
Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al
Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, Sitzung 11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, Sitzung 4).
Ausweichmöglichkeiten und Binnenmigration: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts bedroht (AA 18.4.2021, Sitzung 18).
Menschen aus Süd-/Zentralsomalia können sich auch in Somaliland und Puntland ansiedeln. Dort werden sie jedoch nur „halb“ akzeptiert, in Somaliland kommen ihnen keine Staatsbürgerrechte zu (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 25f). Trotzdem herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 18.4.2021, Sitzung 18). Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z.B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, Sitzung 9). Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen (z.B. Checkpoints), die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr nicht passierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich:
von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen (BMLV 2.3.2021).
Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v.a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben (FIS 7.8.2020, Sitzung 36; vergleiche ACCORD
31.5.2021, S.16/24).
Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen (FIS 7.8.2020, S.
29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f). Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo,
Bossaso, Hargeysa, Dhobley und Doolow mit Linienflügen erreicht werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 29). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar (FIS 7.8.2020, Sitzung 29; vergleiche LI 28.6.2019, Sitzung 6f).
Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 18.4.2021, Sitzung 25).
Quellen:
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• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
• BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (2.3.2021): Auskunft eines Länderexperten an die Staatendokumentation
• FH - Freedom House (3.3.2021a): Freedom in the World 2021 – Somalia, https://freedomhouse.o rg/country/somalia/freedom-world/2021 , Zugriff 30.6.2021
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-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2020): State of Somalia Report 2019, Year in Review, http://www.heritageinstitute.org/wp-content/uploads/2020/01/HIPS_2020-SOS-2019-Rep ort-English-Version.pdf , Zugriff 17.3.2021
• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Somalia, https://www.ecoi.net/en/ document/2043509.html , Zugriff 28.1.2021
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• LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Report-SomaliaPractical-issues-and-security-challenges-associated-with-travels-in-Southern-Somalia-4-April-201
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• Sahan - Sahan / Gedo Times (2.3.2021b): The Somali Wire No. 93, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.gedotimes.com/2021/03/01/sawirobulshada-buulo-barde-oo-ka-cabanaya-g odoon-ay-galiyeen-alshabaab/
• Sahan - Sahan / Badweyn Times (1.3.2021b): The Somali Wire No. 92, per e-Mail, Originallink auf Somalia: https://badweyntimes.net/sawirro-gaadiid-uu-fasaxay-al-shabaab-oo-gudaha-u-galay-j owhar-ujeedka/
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die somalische Regierung arbeitet mit dem UNHCR und IOM zusammen, um Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere relevante Personengruppen zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21f).
IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es – v.a. in Süd-/Zentralsomalia – mehr als 1,1
Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, Sitzung 5). Die Gesamtzahl an IDPs belief sich 2020 auf rund 2,7 Millionen Menschen, die Zahl an im Jahr 2020 neu Vertriebenen betrug mehr als 893.000 Personen. Die meisten davon waren wegen Überflutungen vertrieben worden (716.000) (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21; vergleiche IPC 3.2021, Sitzung 3). Im Zeitraum JuliDezember 2020 betrug der Anteil jener, die wegen eines Mangels an Lebensgrundlage oder wegen Unsicherheit und Konflikt vertrieben wurden, jeweils 14 % (IPC 3.2021, Sitzung 3). Rund 1,7 der 2,7 Millionen IDPs sind Kinder (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34).
Es gibt ca. 2.300 IDP-Lager und -Siedlungen (UNSC 13.11.2020, Absatz 52,), nach anderen Angaben sogar knapp 3.000 (UNOCHA 1.2021, Sitzung 4). Alleine aus Baidoa werden 483 IDP-Ansiedlungen berichtet (UNOCHA 31.3.2020, Sitzung 3). Die Migration vom Land in die Stadt hat zu einem ernormen und unregulierten Städtewachstum geführt. Hinsichtlich der IDP-Zahlen müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Einerseits gibt es für Somalia keine Zahlen zur „normalen“
Urbanisierung. Andererseits werden in der Regel nur jene IDPs gezählt, die in Lagern wohnen. Mitglieder großer Clans kommen aber üblicherweise bei Verwandten unter und leben daher nicht in Lagern (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 16/26f).
Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem. Im Jahr 2020 waren davon 150.000 Menschen betroffen, zwei Drittel davon im Großraum Mogadischu und außerdem v.a. auch in Baidoa und Kismayo (AA 18.4.2021, Sitzung 21). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, Sitzung 37). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt (AA 18.4.2021, Sitzung 21).
Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt (IOM 25.6.2019; vergleiche RD 27.6.2019). Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019. Auch die UN versuchen, Land für IDPs zu pachten (UNSC 13.11.2020, Absatz 52,). Generell befinden sich derartige Relocation Areas am Stadtrand oder sogar weit außerhalb der jeweiligen Stadt. Allerdings bieten diese Lager wesentlich bessere Unterkünfte - etwa Häuser aus Wellblech oder sogar Stein (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 21).
Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA 6.2.2020, Sitzung 4; vergleiche RI 12.2019, Sitzung 11f). Auch auf Bundesebene wurde ein Rahmen für nachhaltige Lösungen geschaffen (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, Sitzung 4).
Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 18.4.2021, Sitzung 21); es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 14.1.2020). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDPLagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen
(FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Weibliche und minderjährige IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22; vergleiche HRW 14.1.2020; AA 18.4.2021, Sitzung 15). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten (HRW 14.1.2020). Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, Sitzung 36).
Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, Sitzung 36). Landesweit fehlen in 80
% der IDP-Lager Wasserstellen – v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021, Sitzung 5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI 12.2019, Sitzung 9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. Sitzung 36). Oft wurde dort auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Trotzdem werden noch weniger Kinder von IDPs eingeschult, als es schon bei anderen Kindern der Fall ist (USDOS 30.3.2021, Sitzung 33f).
Unterstützung: Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt [siehe dazu Kapitel Rückkehrspezifische Grundversorgung] (EC o.D.). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen (RI 12.2019, Sitzung 18f). Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (RI 12.2019, Sitzung 9). UNSOM hat mit der somalischen Regierung ein Drei-Jahres-Programm begonnen, das ausschließlich auf IDPs abzielt. Mit diesem Programm namens Saameynta sollen für IDPs in Baidoa, Bossaso und Belet Weyne dauerhafte Lösungen gefunden und geschaffen werden. 100.000 IDPs sollen ordentlich angesiedelt und mit sozialen Diensten und Arbeitsmöglichkeiten versehen werden (UNSOM 31.1.2021). Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein
Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei
Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund (IOM 9.3.2021a).
Die Situation von IDPs in Puntland wird von NGOs als durchaus positiv beschrieben, sie können z. B. geregelter Tätigkeit nachgehen (ÖB 3.2020, Sitzung 12). Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen, wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 9).
Flüchtlinge: Somalia ist ein äußerst unattraktives Zufluchtsland für Asylsuchende. Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt und beschränkte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf ethnische Somali aus dem äthiopischen Somali Regional State. Die Zahl an Asylsuchenden aus dem Jemen und aus Syrien hat zugenommen. Auch aus dem äthiopischen Tigray kommen Flüchtlinge. Insgesamt handelt es sich um etwa 24.000 Menschen, sie halten sich v.a. in Somaliland und Puntland auf (AA 18.4.2021, Sitzung 21). Asylwerbern aus dem Jemen wird prima facie der Asylstatus zuerkannt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22). Der UNHCR betreibt ein Unterstützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (AA 18.4.2021, Sitzung 21).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
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Grundversorgung/Wirtschaft
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Wirtschaft und Arbeit
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die somalische Wirtschaft hat mit dem dreifachen Schock aus Covid-19, einer Heuschreckenplage und Überschwemmungen zu kämpfen. Dabei hat sich die Wirtschaft als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,), tatsächlich sind es dann nur minus 1,5 % geworden (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,). Für 2021 wird ein Wachstum von 2,9 % prognostiziert (UNSC 17.2.2021, Absatz 19 ;, vergleiche UNSC 19.5.2021, Absatz 22,). Jedenfalls ist der Viehexport im Rahmen der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, Sitzung 1).
Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt die Diaspora – etwa durch Investitionen (v. a. in Mogadischu und anderen Städten) (BS 2018, Sitzung 5/28; vergleiche UNSC 17.2.2021,
Absatz 19,). Remissen stabilisieren auch weiterhin Haushalte und Betriebe (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,). Diese Rückflüsse sind 2020 im Vergleich zu 2019 noch einmal gestiegen (UNSC 17.2.2021,
Absatz 19,), nach Angaben einer anderen Quelle sind sie aufgrund der Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, Sitzung 2). Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB 3.2020, Sitzung 20).
Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4), die Bevölkerung wuchs schneller als das BIP. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500 US-Dollar
(BS 2020, Sitzung 30). Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil.
Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte aus (BS 2020, Sitzung 25/30). Die Exporte – vor allem von Vieh – sind im ersten Halbjahr 2020 um 22 % zurückgegangen (UNSC 13.11.2020, Absatz 17,). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB
3.2020, Sitzung 2/15) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2020, Sitzung 30).
Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 29; vergleiche BS 2020, Sitzung 39). Alleine die offizielle Entwicklungshilfe betrug 2017 1,75 Milliarden US-Dollar – 26 % des BIP (BS 2020, Sitzung 39). Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen (BS 2020, Sitzung 36). Im Jahr 2020 sollte sich das Budget auf 460 Mio. US-Dollar erhöhen (UNSC 13.2.2020, Absatz 4,). Die eigenen Einnahmen betrugen 2016 nur rd. 113 Millionen US-Dollar, 2017 waren es 143 Millionen (BS 2020, Sitzung 27). Im ersten Halbjahr 2020 wurden Steuereinnahmen in Höhe von 99 Millionen US-Dollar lukriert (UNSC 13.11.2020, Absatz 18,). Ca. 36 % der Staatsausgaben entfallen auf die nationale Sicherheit (HIPS 2020, Sitzung 11); nach anderen Angaben sind es sogar bis zu 90 % (BS 2020, Sitzung 36). Aufgrund der Streitigkeiten um die Wahlen im Frühjahr 2021 hat die EU ihre finanzielle Unterstützung zurückbehalten. Dies hinterläßt im Budget ein großes Loch, viele Beamte können nicht bezahlt werden (Sahan 16.4.2021a).
Im Jahr 2020 wurde in Somalia ein Meilenstein erreicht. Endlich kann das Land wieder an internationalen Finanzinstitutionen partizipieren. Im März 2020 erklärte die Afrikanische Ent-
wicklungsbank nach einer Einzahlung durch die EU und das Vereinigte Königreich, dass alle Schulden und Rückstände Somalias beglichen sind. Die Weltbank, der IMF und die Afrikanische Entwicklungsbank haben alle Zahlungsrückstände und Darlehen bereinigt und ihre Beziehungen mit Somalia nach 30 Jahren normalisiert. Ende März bewilligte der Internationale Währungsfonds einen dreijährigen Kreditplan zur Unterstützung des Nationalen Entwicklungsplans (HIPS 2021, Sitzung 4/23).
Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor (USDOS 30.3.2021, Sitzung 40). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort (Stadt-Land- und Nord-Süd-Gefälle) ab (BS 2020, Sitzung 30). Generell zeigt vor allem die urbane Ökonomie in Somalia – allen voran in Mogadischu – eine Erholung. Es gibt einen Bau-Boom. Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet (BS 2020, Sitzung 25). Alleine der Telekom-Konzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (RD 14.2.2021). In Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – boomt der Bildungsbereich (BS 2020, Sitzung 32).
Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind. So berichten etwa Personen, die aus Kenia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23). Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle (USDOS 30.3.2021, Sitzung 39). Gerade um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, Sitzung 22f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, Sitzung 10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, Sitzung 22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM
6.2018, Sitzung 10).
Programme, wie die von der EU finanzierte Dalbile-Youth-Initiative, sollen Abhilfe schaffen.
Dieses Programm, in welches sechs Millionen Euro investiert werden, dient der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit. Junge Menschen werden mit Fähigkeiten und Ressourcen ausgestattet, Start-ups mit bis zu 2.000 US-Dollar gefördert (UNFPA 2.3.2021b).
Einkommen: Am Bau kann man beispielsweise als Träger arbeiten. Der Verdienst für eine derartige Tätigkeit beläuft sich auf rund 100 US-Dollar im Monat. Auch am Hafen gibt es Verdienstmöglichkeiten. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar, besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z.B. IDPs
– die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten. Damit erzielen sie ein Einkommen von 1-2 US-Dollar pro Tag (FIS 7.8.2020, Sitzung 33f). Von in der Reintegrationsphase befindlichen ehemaligen Angehörigen der al Shabaab wurden im September 2017 folgende Berufe genannt: Köhler; Hilfsarbeiter am Bau in Dayniile (10 Tage pro Monat; 10 US-Dollar pro Tag); Koranlehrer am Vormittag in Dayniile (120 US-Dollar pro Monat); Rickshaw-Fahrer; Transporteur mit einer Eselkarre (10-12 US-Dollar pro Tag); Transporteur mit einer Scheibtruhe (Khalil 1.2019, Sitzung 30).
Ärzte verdienen im Banadir-Hospital 1.500-2.000 US-Dollar, Krankenschwestern 400-600 US-
Dollar (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Ein angestellter Fahrer, der Güter und Personen von Hiiraan nach Galgaduud befördert, verdient 300 US-Dollar pro Monat, ein anderer, der selbständig Personen transportiert, rechnet auf dieser Strecke pro Fahrt mit einem Verdienst von 75 US-Dollar
(RE 18.2.2021). Eine Fleischverkäuferin in Belet Weyne verdient 4-8 US-Dollar am Tag (RE
19.2.2021).
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 30.3.2021, Sitzung 23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58 %, bei Frauen bei 37 % (UNSC 21.12.2018, Sitzung 4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58 % der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016, Sitzung 4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2018 mit 14 % angeführt (BS 2020, Sitzung 23). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24-Jährigen eine Quote von 48 % (OXFAM 6.2018, Sitzung 22, FN8) und eine andere Quelle berichtet von einer Arbeitslosenquote von 47,4 % bei der erwerbstätigen Bevölkerung (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Eine aktuellere Quelle erklärt, dass 37,5% der arbeitsfähigen und arbeitssuchenden Frauen arbeitslos sind (SLS 6.4.2021). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3 % der befragten Jugendlichen
(Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z. B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).
[Zur Arbeitsmarktlage in Somalia gibt es kaum aktuelle Informationen.) In einer eingehenden
Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):
• Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen
• Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen
• IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen
• Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)
Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29):
…
In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen.
Folglich sind in Puntland und Süd-/Zentralsomalia 13,8 % der Männer und 9 % der Frauen im
Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 55,8 % der Männer und 32,9 % der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 2016, Sitzung 31):
…
Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36f):
Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019, Sitzung 10f). Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben (DI 6.2019, Sitzung 22). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener (OXFAM 6.2018, Sitzung 10).
Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z.B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i.d.R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80 % - 90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f), oder sie verkaufen Kleidung und Essen (RE 19.2.2021). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 10). All diese Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM 6.2018, Sitzung 10). Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrer werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z.B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation bei (DW 11.3.2021). Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SLS 6.4.2021).
Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2020, Sitzung 25). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, Sitzung 2; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (UNFPA 2016, Sitzung 22).
Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20 % der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2 % der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung:
30 %) (LI 1.4.2016, Sitzung 10). Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Aufgrund des Wiederaufbaus der Städte werden viele davon gebraucht. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Männer arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v. a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, Sitzung 10; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z.B. nur 2-3 Tage in der Woche (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Allerdings bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDP-Lagern - v.a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23).
In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüberAußenstehenden aus (GIGA3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (BS 2020, Sitzung 29).
Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debtcredit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen (RVI 9.2018, Sitzung 4).
Remissen: Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,3 Milliarden bzw. 20 % des BIP (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 7.8.2020, Sitzung 34). Sie ermöglichen größeren Teilen der Bevölkerung den Lebensuntererhalt - und damit Wasser, Gesundheitsleistungen, Bildung und Strom - zu finanzieren (BS 2020, Sitzung 25). Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2020, Sitzung 29) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, Sitzung 5). Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, Sitzung 1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, Sitzung 2). Vorerst wurde geschätzt, dass die Remissen aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 um 17 % zurückgehen würden (UNSC 13.8.2020, Absatz 26,). Schließlich waren sie aber 2020 noch einmal höher als schon 2019 (UNSC 17.2.2021, Absatz 19,).
Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, Sitzung 2f).
Quellen:
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Grundversorgung und humanitäre Lage
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die humanitären Bedürfnisse bleiben weiter hoch, angetrieben vom anhaltenden Konflikt, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der dreifachen Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen (UNSC 13.11.2020, Absatz 50 ;, vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 54,). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem viertgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (AA 18.4.2021, Sitzung 4/22). Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen (DEVEX 13.8.2020). Die Aussicht für das Jahr 2021 ist düster, die Gesamtzahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen wird von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen steigen (UNSC 17.2.2021, Absatz 60,).
Seit dem Jahr 2000 hat Somalia 19 schwere Überschwemmungen und 17 Dürren durchgemacht. Das ist dreimal so viel wie im Zeitraum 1970-1990. Im Jahr 2017 stand Somalia nach einer schweren Dürre am Rand einer Hungersnot. 2019 gab es nach einer ungewöhnlichen GuRegenzeit die schlechteste Ernte seit der Hungersnot im Jahr 2011 (UNSOM 31.1.2021).
Überschwemmungen: Schon im Zuge der überaus positiv ausgefallenen Deyr-Regenzeit (September-Dezember) 2019 kam es in HirShabelle, Jubaland und dem SWS zu Überschwemmungen. Besonders betroffen war Belet Weyne. 570.000 Menschen waren betroffen, 370.000 mussten ihre Häuser verlassen. Humanitäre Organisationen haben mehr als 350.000 Menschen Unterstützung geleistet (UNSC 13.2.2020, Absatz 60 f,). Doch auch die Gu-Regenzeit (April-Juni) 2020 sorgte für Überschwemmungen. Erneut waren in 39 Bezirken 1,3 Millionen Menschen betroffen, ca. 500.000 wurden vertrieben (UNSC 13.8.2020, Absatz 64,). Bei saisonalen Überflutungen im September 2020 wurden erneut 630.000 Menschen vertrieben (UNSC 13.11.2020, Absatz 53,). Dies betraf v. a. die Bezirke Merka, Afgooye, Balcad, Jowhar und Jalalaqsi (PGN
10.2020, Sitzung 9). In der Gu-Regenzeit 2021 trafen Überschwemmungen vor allem die Bezirke Jowhar und Belet Weyne; rund 166.000 Menschen waren betroffen (UNOCHA 26.5.2021).
Bei den Überschwemmungen im April-Juni 2020 wurden Felder zerstört (UNSC 13.8.2020, Absatz 64,). Im September 2020 wurden bei Überschwemmungen mehr als 1.320 Quadratkilometer bewirtschaftetes Land verwüstet (UNSC 13.11.2020, Absatz 53,). Insgesamt wurden 2020 alleine im Bundesstaat HirShabelle fast 1.500 Quadratkilometer Ackerland zerstört (HIPS 2021, Sitzung 18).
Heuschrecken: Im Jahr 2020 war Somalia von der größten Heuschreckenplage seit 25 Jahren betroffen, die Bundesregierung rief den nationalen Notstand aus (BBC 2.2.2020; vergleiche UNSC
13.2.2020, Absatz 65,). Zumindest Anfang 2020 blieben die durch Heuschrecken verursachten Schäden begrenzt und lokal (FSNAU 3.2.2020c). Die damals am meisten betroffenen Gebiete waren Somaliland, Puntland und Galmudug (UNSC 13.2.2020, Absatz 65,). Die Gu-Regenfälle
2020 haben dafür gesorgt, dass die Heuschrecken erneut ideale Brutbedingungen vorfinden. Die FAO und die Regierung hatten vorsorglich 437 Quadratkilometer mit Bio-Pestiziden besprühen lassen (UNSC 13.8.2020, Absatz 65,). Später im Jahr wurden neuerlich 396 Quadratkilometer in Somaliland, Puntland und Galmudug besprüht. Damit wurden rund 90.000 Tonnen Nahrung gesichert. Luft- und Bodenoperationen gegen die Plage werden fortgesetzt (UNSC 13.11.2020,
Absatz 55,). Trotzdem hat sich die Plage auch in die zentralen und südlichen Landesteile verbreitet.
Insgesamt sind rund 3.000 Quadratkilometer und 700.000 Menschen betroffen. Humanitäre
Organisationen unterstützten 25.900 agro-pastorale Haushalte, davon rd. 7.500 mit Geld (UNSC 17.2.2021, Absatz 56,). Jedenfalls werden die Heuschrecken noch bis mindestens Mitte 2021 eine ernste Bedrohung für Weide und Ernte darstellen (FEWS 4.2.2021). Anfang Feber 2021 wurde dann auch von der somalischen Regierung ein diesbezüglicher Notstand ausgerufen. Diesmal betrifft die Plage eher den Süden des Landes (AAG 4.2.2021). Nach anderen Angaben bzw. Prognosen ist die Heuschreckenplage zurückgegangen. Vor allem in Puntland und Somaliland wachsen noch Schwärme heran. Klimatische Bedingungen werden aber aller Voraussicht nach die Ausbreitung in landwirtschaftliche Gebiete in Süd-/Zentralsomalia verhindern (FSNAU 17.5.2021, Sitzung 5).
Regenfälle: Die Deyr-Regenzeit 2020 (Oktober-Dezember) setzte um drei bis vier Wochen zu spät ein. Insgesamt blieb Deyr unterdurchschnittlich – und dies v. a. in den meisten Gebieten Nordsomalias (IPC 3.2021, Sitzung 2). Vor allem die Regionen Sanaag, Bari, Nugaal und Mudug waren von Wassermangel betroffen (FAO 1.3.2021). Nur in Zentralsomalia fiel mehr Regen als üblich (IPC 3.2021, Sitzung 2). Damit herrschte vor den Gu-Regenfällen (April-Juni) in mehr als
80 % des Landes moderate bis schwere Dürre (UNOCHA 17.6.2021; vergleiche FSNAU 17.5.2021,
Sitzung 1). Diese wurde von der Bundesregierung am 25.4.2021 schlussendlich auch ausgerufen. Angesichts der globalen La-Niña-Lage wird prognostiziert, dass sich die Situation mittelfristig nicht entspannen wird (UNSC 19.5.2021, Absatz 56 /, 59,). Die Gu-Regenfälle (April-Juni) 2021 verliefen gering, sie endeten bereits sehr früh - nämlich im Mai. Bis zur nächsten Regenzeit im Herbst werden milde bis moderate Dürrebedingungen vorherrschen (UNOCHA 17.6.2021, S.1).
Im November 2020 hat der Zyklon Gati Puntland getroffen und auch Teile Somalilands erreicht. Dies war der stärkste Zyklon in der Region, seit es Aufzeichnungen gibt. Der Zyklon brachte doppelt so starke Niederschläge wie in einem Jahr durchschnittlich üblich. Dutzende puntländische Ortschaften und auch ein Teil von Bossaso wurden überschwemmt (PGN 2.2021, Sitzung 5f). Infrastruktur, Häuser und 120 Fischerboote wurden beschädigt oder zerstört, 7.500 Stück Vieh getötet (USAID 8.1.2021, Sitzung 2). 120.000 Menschen waren betroffen, 42.000 wurden temporär vertrieben. 78.000 Betroffenen wurde von humanitären Organisationen Hilfe geleistet (UNSC 17.2.2021, Absatz 55,).
Ernte: In Südsomalia wird die Ernte nach der Deyr-Regenzeit um 20 % niedriger ausfallen, als üblich. Im Norden viel die Gu/Karan-Ernte im November 2020 um 58% niedriger aus als im langjährigen Durchschnitt. Die Heuschreckenplage hat signifikant zum Ernterückgang beigetragen (IPC 3.2021, Sitzung 2; vergleiche FEWS 4.2.2021). Die Gu-Ernte 2021 wird um 20-40 % unter dem Durchschnitt liegen (FSNAU 17.5.2021, Sitzung 1).
Armut: Rund 77 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen
– insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern (ÖB 3.2020, Sitzung 14; vergleiche BS 2020, Sitzung 22). Nach anderen Angaben leben 69 % der Bevölkerung in Armut (HIPS 2020, Sitzung 14), nach wieder anderen Angaben sind es 73 %. 43 % werden als extrem arm eingestuft (SIDRA 6.2019a, Sitzung 5). Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten (USDOS 30.3.2021, Sitzung 34). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB 3.2020, Sitzung 14). 60 % der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23 % sind Subsistenz-Landwirte (OXFAM 6.2018, Sitzung 4). Zwei
Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlt das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen (TG 8.7.2019).
Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Die Zahl an Menschen, die in ganz Somalia stark oder sehr stark von Lücken in der Nahrungsmittelversorgung betroffen sind (IPC 3 und höher), ist von 1,3 Millionen Anfang 2020 (FSNAU 3.2.2020c) auf 1,6 Millionen Anfang 2021 angewachsen. Weitere 2,5 Millionen
Menschen leiden ebenfalls an Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung (IPC 2) (IPC 3.2021, Sitzung 2). Die Dürre Anfang des Jahres hat die Situation verschlimmert. Im Norden werden viele der ärmeren Nomaden zwischen April und September 2021 IPC 3 durchleben. Auch in Südsomalia wirken eine schlechte Ernte und die Dürre zusammen. Dort fallen die meisten Gebiete unter IPC 2; mehrere Gebiete werden sich aber im Zeitraum Juli-September auf IPC 3 verschlechtern. Die armen Stadtbewohner [„urban poor“] sowie IDPs in den größeren Städten befinden sich in IPC 3 und werden dort auch verbleiben (FSNAU 17.5.2021, Sitzung 1). Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21).
Szenario für April-Juni 2021 – wohlgemerkt bei ausbleibender humanitärer Hilfe: Während die städtische Bevölkerung (Ausnahme Kismayo bei IPC 3) und die meisten ländlichen Gebiete weitgehend in IPC 2 verharren werden, finden sich die meisten IDPs sowie einige über ganz Somalia verteilte, ländliche Gebiete in IPC 3 wieder. Lediglich Southern Inland pastoral (Teile von Hiiraan, Lower und Middle Shabelle, Bakool, Bay sowie Lower und Middle Juba) bleiben in IPC 1 (IPC 3.2021, Sitzung 3). Insgesamt wären dann 2,7 Millionen Menschen in ganz Somalia von IPC 3 oder IPC 4 sowie 2.9 Millionen von IPC 2 betroffen (FEWS 4.2.2021). Tatsächlich fielen im Mai 2021 bereits ca. 2,7 Millionen Menschen unter IPC 3 und darüber (WV 28.6.2021; vergleiche FSNAU 17.5.2021, Sitzung 1).
Die Mehrheit der IDPs in städtischen Gebieten sind arm und haben nur eingeschränkte Reserven und Einkommensmöglichkeiten. Sie sind stark von externer humanitärer Hilfe abhängig.
Sie, sowie Teile der armen Stadtbevölkerung (urban poor) werden bis Mitte 2021 vor moderaten bis großen Lücken bei der Nahrungsmittelversorgung stehen (FEWS 4.2.2021). Gedo ist Anfang 2021 schwer getroffen, es mangelt an Wasser und Weide. Die Krise wird durch den ungelösten Konflikt zwischen der Regierung von Jubaland und der Bundesregierung verstärkt (Sahan 1.3.2021a). Auch aus Puntland kommen Meldungen zur Dürre - 124.000 Familien waren dort Anfang März akut von Nahrungs- und Wassermangel betroffen (RE 10.3.2021). Mit Stand 9.3.2021 galten folgende Bezirke als schwer von Wassermangel betroffen (nur rote und orange Ringe sind relevant):
…
In der Region Middle Juba ist im März 2021 Vieh verendet und mehrere Menschen sind den Hungertod gestorben (Sahan 4.3.2021). Auch aus dem Ceel Raage (Middle Shabelle) (Sahan
10.3.2021a) und aus Ceel Waaq (Gedo) kommen Berichte über an Hunger verstorbene Kinder und ältere Menschen (GN 8.3.2021).
Die folgenden IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Jänner 2019 bis März 2021:
…
Dabei ist angesichts der IPC-Karten die Stadtbevölkerung i.d.R. von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weit weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten; und letztere sind weit weniger betroffen als IDPs (FEWS 4.2.2021).
…
Verteilung nach Gebieten in Prozent der Bevölkerung für Jänner-März 2020 bzw. Jänner-März 2021:
…
Eine weitere Kartensammlung, in welcher ausschließlich alarmierende Werte mehrere, für die Nahrungsmittelversorgung relevanter Werte zusammengefasst dargestellt werden, zeigt die Entwicklung der vergangenen Jahre (je dunkler das Rot, desto mehr Alarmwerte wurden überschritten):
…
Ca. 838.900 Kinder unter fünf Jahren werden bis Dezember 2021 vor einer Situation der akuten
Unter- oder Mangelernährung stehen, 143.200 vor schwerer akuter Unterernährung (IPC 3.2021,
Sitzung 1; vergleiche FEWS 4.2.2021). Nach neueren Angaben ist die Zahl bereits im Juni auf eine Million Kinder angestiegen (UNOCHA 17.6.2021, Sitzung 2). Die Daten unten zeigen, dass IDPs in manchen Städten besonders von Unterernährung betroffen sind, in anderen weniger stark [GAM = akute Unterernährung; SAM = schwere akute Unterernährung]:
…
Besorgniserregend ist die Unter- und Mangelernährung in folgenden Gebieten bzw. bei folgenden Gruppen: Shabelle und Juba riverine; Southern Inland pastoral (Ceel Barde); Xudur Stadt; Bay agropastoral; Bezirke Belet Weyne, Jalalaqsi, Buulo Barde; Matabaan; IDPs in Xudur, Baidoa, Mogadischu, Bossaso, Garoowe und Galkacyo; Hawd pastoral (zentrale Regionen) (FEWS
4.2.2021; vergleiche IPC 3.2021, Sitzung 6). Die IPC-Stufen zur Unter- und Mangelernährung für Jänner 2021 und die Prognose bis April 2021:
…
Humanitäre Hilfe: Ein von der Bundesregierung und Hilfsorganisationen neu aufgelegter Somalia Humanitarian Response Plan (HRP) hat drei Millionen Menschen notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen lassen (UNOCHA 6.2.2020, Sitzung 1). Die Kosten werden mit über einer Milliarde US-Dollar beziffert (UNOCHA 6.2.2020, Sitzung 1; vergleiche UNSC 13.2.2020, Absatz 67,). Im Zeitraum Juli-Dezember 2020 erreichten humanitäre Organisationen durchschnittlich 1,8 Millionen Menschen pro Monat mit Nahrungsmittelhilfe (IPC 3.2021, Sitzung 3). Im Zeitraum Jänner-April 2021 waren es jeweils 1,6 Millionen (FSNAU 17.5.2021, Sitzung 1). Diese Hilfe verhindert eine stärkere Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und eine höhere Rate an Unterernährung (FEWS 4.2.2021). Für Mogadischu gibt es ein spezielles Sicherheitsnetz, das von der Regierung gemeinsam mit dem World Food Programme betrieben wird. Dieses erreicht seit Juli 2018 monatlich 125.000 Menschen (IPC 3.2021, Sitzung 3).
Die humanitäre Unterstützung für Somalia ist eine der am besten finanzierten humanitären Maßnahmen weltweit (RI 12.2019, Sitzung 16). Alleine die USA geben in den Jahren 2020 und 2021 mehr als einen halbe Milliarde US-Dollar dafür aus (USAID 8.1.2021, Sitzung 1). Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen. Allerdings kann aufgrund großer internationaler humanitärer Kraftanstrengungen und einer zunehmenden Professionalisierung der humanitären Hilfe bei den regelmäßig wiederkehrenden Dürren sowie Überschwemmungen inzwischen weitgehend verhindert werden, dass es zu Hungertoten kommt (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Laut UN-Generalsekretär sind die Spitzen bei der Notwendigkeit humanitärer Hilfe in Somalia schon zur Routine geworden (UNSC 13.11.2020, Absatz 96,). In der Regel erreichen humanitäre Organisationen die Menschen. Im November 2020 hatten Organisationen der Nahrungsmittelhilfe beispielsweise die Erreichung von 2,1 Millionen Menschen angestrebt; erreicht wurden schließlich 1,9 Millionen. Aufgrund von Behinderungen beim Zugang zu den Menschen konnten in diesem Monat etwa nur 3 % der Menschen in Middle
Shabelle und niemand in Middle Juba erreicht werden. In Benadir konnten – aufgrund von Finanzierungsausfällen – nur 22 % erreicht werden. Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk
Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA
27.1.2021, Sitzung 3ff).
Insgesamt nutzen rund 70 % der Bevölkerung mobile Bankdienste, ein Drittel der Menschen haben mobile Konten (BS 2020, Sitzung 26). Aufgrund von Covid-19 hat z.B. die Hilfsorganisation CARE ihre work-for-cash-Programme ausgesetzt. Als Ersatz wird Hilfsbedürftigen das Geld auch ohne Arbeit auf ihr Mobiltelefon überwiesen. 84.000 Menschen nehmen dies in Anspruch. Die Europäische Kommission hat aufgrund der Heuschreckenplage weitere 5,8 Millionen Euro für Geldtransfers an Betroffene zur Verfügung gestellt (DEVEX 13.8.2020).
Folgende Organisationen sind beispielsweise in folgenden Städten in einem oder mehreren der genannten Bereiche tätig:
• Baidoa (Kinderschutz, Gesundheit, Rückkehr/Unterkunft, Lokalverwaltung, Katastrophenmanagement, Kommunikation): World Vision, Save the Children International, Médecins Sans Frontières, International Organization for Migration (IOM), IMC Worldwide, Somalia’s Ministry of Resettlement, Disaster Management and Disability Affairs, Ministry of Humanitarian Affairs, Ministry of Planning, Baidoa District Administration, Bay Regional Administration, Gargaar Relief and Development Organization (GREDO), Social-life and
Agricultural Development Organization (SADO), Radio Baidoa, Baidoa Specialist Hospital;
• Belet Weyne (Bildung, Schutz, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsversorgungssicherheit, humanitäre Hilfe, Geldtransfer-Programme): UNICEF, Danish Refugee Council (DRC), the International Committee of the Red Cross (ICRC), Relief International, World Food Programme (WFP), Merci, World Health Organisation (WHO), UNOCHA, WARDI, Green Hope, Global Guardian Somalia Security Services, Beledweyne Private School;
• Kismayo (handwerkliche Ausbildung, Unterstützung beim Lebensunterhalt mit Lebensmittelgutscheinen und anderen Aktivitäten, Unterkunft, Bildung): Jubaland Chamber of Commerce & Industry (JCCI), American Refugee Committee (ARC), IOM, CARE, Norwegian Refugee Council (NRC), Daallo Airlines, Kismayo University (DI 6.2019, Sitzung 25f);
In Gedo beteiligt sich u.a. auch AMISOM an Hilfsmaßnahmen - etwa durch die Lieferung von
Wasser in Tanklastwagen (RD 14.3.2021). Allerdings ist außerhalb urbaner Zentren der Zugang zu manchen Bezirken nur eingeschränkt möglich – v.a. wegen der Unsicherheit entlang von Versorgungsrouten (UNSC 17.2.2021, Absatz 58,). Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 30.3.2021, Sitzung 15; vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz 58,). In Bakool hat sich die humanitäre Lage aufgrund von Unsicherheit, Drohungen und einer Blockade drastisch verschlechtert. Der Zugang für humanitäre Organisationen ist beschränkt (UNOCHA 1.2021, Sitzung 3). Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (UNOCHA 27.1.2021, S.3ff). Zudem kam es alleine im Zeitraum August-November 2020 zu 44 gewaltsamen Zwischenfällen mit Auswirkungen auf humanitäre Organisationen. Dabei kamen zwei Mitarbeiter ums Leben, einer wurde verletzt (UNSC 13.11.2020, Absatz 57,). Rund ein Drittel des Landes ist für humanitäre Kräfte nur schwer erreichbar (UNSC 13.5.2020, Absatz 64,).
Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2020, Sitzung 29), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2020, S.
29). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, zumindest einen rudimentären Schutz (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche OXFAM 6.2018, Sitzung 11f; BS 2020, Sitzung 29). Vorrangig stellen die patrilinearen (väterlichen) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden in der Regel - wie es ein Experte formuliert - „einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos“. Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 32f).
Eine weitere Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland (BS 2020, Sitzung 29). Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen. Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10 % (IPC 3.2021, Sitzung 2).
In Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) stellt die Hilfe durch Freunde oder
Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar. Neben Familie und Clan helfen also auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, Sitzung 15ff). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4). 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (OXFAM 6.2018, Sitzung 11f).
In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn,
Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (DI 6.2019, Sitzung 20f).
Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 19).
Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer
Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, Sitzung 12).
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Rückkehrspezifische Grundversorgung
Letzte Änderung: 08.07.2021
Einkommen: Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Der UNHCR hat über drei Jahre mehr als 2.000 Haushalte mit fast 12.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Insgesamt haben 66 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird vor allem auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt; seit der Pandemie 2020 auch auf rückläufige Remissen. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 4).
Nach anderen Angaben ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Arbeitslose Rückkehrer im RE-
INTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte
Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30 % der REINTEGRückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit für viele Rückkehrer im REINTEG-Programm ein Hauptthema (IOM 9.3.2021b). Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v.a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (IOM 9.3.2021b; vergleiche ACCORD 31.5.2021, S.
24). Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24).
Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich vielleicht auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37).
Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall-versicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, Sitzung 14). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f).
Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, Sitzung 39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, S.
5).
Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR Rückkehrpakete (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23) bzw. finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt.
Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, Sitzung 6; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 2.4.2020, Sitzung 22). IOM hat über die von der EU finanzierte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration seit März 2017 knapp 6.500 Rückkehrer bei der freiwilligen Rückkehr nach Somalia unterstützt. Fast 12.000 Rückkehrer erhielten Unterstützung nach ihrer Ankunft in Somalia (IOM 8.3.2021). Der UNHCR unterstützt ausgewählte Haushalte in unterschiedlichen Teilen Somalias mit Ausbildungs-, Schulungs- und finanziellen Maßnahmen (UNHCR 27.6.2021, Sitzung 9).
Rückkehrprogramme: In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA
(International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des
Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019). Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleitete Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei
Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft (sieben Tage); medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen (IRARA o.D.a).
Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern – je nach Bedarf – medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit, die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia (IOM 3.12.2020). Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen (IOM 9.3.2021b). Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (IOM 3.12.2020).
Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEGProgramm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2020, Sitzung 25). In den „besseren“ Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt – z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen – kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25 m² 50-100 US-Dollar pro Monat.
Am Stadtrand – z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt – sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter
Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Es gibt keine eigenen Lager für
Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, Sitzung 63; vergleiche AA 18.4.2021, Sitzung 22); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia schlussendlich in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Gemäß der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben hingegen nur 19 % der mehr als 2.000 befragten Rückkehrerhaushalte angegeben, in einem IDP-Lager zu wohnen (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 2).
Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 2.4.2020, Sitzung 22f). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, Sitzung 32).
Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für
Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, Sitzung 23). Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, Sitzung 8). Für eine weiblicheAngehörige von Minderheiten, die wederAussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, Sitzung 11).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
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-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69
44b6d21a7/Somalia_Fact_Finding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf , Zugriff 17.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (9.3.2021b): ‘Returnees can Call us from Sunday to Thursday during Working Hours’, https://migrationjointinitiative.org/news/returnees-can-call-ussunday-thursday-during-working-hours , Zugriff 11.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (8.3.2021): Eintrag auf Twitter, 8:15, https://twitter. com/IOM_Somalia/status/1368822542157438979/photo/1 , Zugriff 11.3.2021
• IOM - Internationale Organisation für Migration (3.12.2020): How Peer Support Can Assist Returnees to Breathe Easy, https://migrationjointinitiative.org/news/how-peer-support-can-assist-return ees-breathe-easy , Zugriff 11.3.2021
• IRARA - International Return and Reintegration Assistance (o.D.a): Country Leaflets – Somalia, https://www.irara.org/leaflets/ , Zugriff 11.3.2021
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (19.6.2019): Minoritetsgruppen bantu i Somalia Version
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• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, https://ww
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21.6.2019
Medizinische Versorgung
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 08.07.2021
Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 18.4.2021, Sitzung 23).
Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können (HIPS 5.2020, Sitzung 38; vergleiche AA 3.12.2020). Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, Sitzung 38).
Folglich zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt ca. 55 Jahre für Männer und 57 Jahre für Frauen (AA 18.4.2021, Sitzung 23; vergleiche HIPS 5.2020, Sitzung 18). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 18.4.2021, Sitzung 23); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44) (HIPS 5.2020, Sitzung 24). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag (Äthiopien: 17). Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit (ÖB 3.2020, Sitzung 15; vergleiche HIPS 5.2020, Sitzung 21ff). Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44 % bzw. 38 % der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut (ÖB 3.2020, Sitzung 15). Al Shabaab hat die medizinische Versorgung eingeschränkt – etwa durch die Behinderung zivilen Verkehrs, die Vernichtung von Medikamenten und die Schließung von Kliniken (USDOS 11.3.2020, S.14).
Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, Sitzung 42). Insgesamt kommen auf 100.000 Einwohner nur zwei im medizinischen Bereich ausgebildete Personen (Standard weltweit: 25 pro 100.000) (UNOCHA 31.3.2020, Sitzung 2). Nach anderen Angaben sind es pro 100.000 Einwohnern fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25 (HIPS 5.2020, Sitzung 27/44ff). In Benadir gibt es 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81. In anderen Bundesstaaten stehen folgende Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung (HIPS 5.2020, Sitzung 39ff):
…
Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia 11 öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es 4 öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, Sitzung 31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, Sitzung 39). In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt
werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (HIPS 5.2020, Sitzung 39). Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo (SRCS 2020, Sitzung 8). Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kismayo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt (ICRC 7.2020). Das Rote Kreuz unterstützt die Somali Red Crescent Society beim Betrieb von 29 Erstversorgungseinrichtungen (20 feste und 9 mobile Kliniken). Auch vier Spitäler mit insgesamt 410 Betten in Mogadischu (Keysaney, Medina), Baidoa und Kismayo werden unterstützt (ICRC 13.9.2019).
Allerdings sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 18.4.2021, Sitzung 23; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31f), was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, Sitzung 36). Zudem bietet die Mehrheit der Krankenhäuser nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, Sitzung 38). Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, Sitzung 35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 31).
Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f; vergleiche ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Oft handelt es sich bei dieser Primärversorgung um sogenannte „Mother Health Clinics“, von welchen es in Somalia relativ viele gibt. Diese werden von der Bevölkerung als Gesamtgesundheitszentren genutzt, weil dort die Diagnosen eben kostenlos sind (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 20). Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen (FIS 5.10.2018, Sitzung 35f). Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 73). Generell gilt, wenn z.B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen (FIS 7.8.2020, Sitzung 31/37). Es gibt keine Krankenversicherung (MoH/DIS
27.8.2020, Sitzung 73).
Aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten musste die SRCS ihre mobilen und stationären Kliniken von 129 auf 72 reduzieren (57 stationäre und 15 mobile). Als Ziel wird die Abdeckung des Bedarfs von rund 1,6 Millionen Menschen angegeben. Im Jahr 2019 konnten mehr als 850.000
Patienten behandelt werden. Davon waren 45 % Kinder und 40 % Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (26 %), Durchfallerkrankungen (9,2 %), Anämie (13 %), Hautkrankheiten (5,2 %), Harnwegsinfektionen (11,6 %) und Augeninfektionen (4,4 %) (SRCS 2020, Sitzung 9f). Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen unterbrochen werden (AA 18.4.2021, Sitzung 23).
Psychiatrie: Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt (WHO Rizwan 8.10.2020):
…
An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Dabei gibt es eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (WHO Rizwan 8.10.2020). Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeitsund Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30 % der Bevölkerung betroffen (FIS 5.10.2018, Sitzung 34; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 16), die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert (HIPS 5.2020, Sitzung 26). Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weitverbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen – etwa in Garoowe (WHO Rizwan 8.10.2020). Aufgrund des Mangels an Einrichtungen werden psychisch Kranke mitunter an Bäume gebunden oder zu Hause eingesperrt (USDOS 30.3.2021, Sitzung 35). Im Zweifelsfall suchen Menschen mit psychischen und anderen Störungen Zuflucht im Glauben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 38).
Verfügbarkeit:
• Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern (UNFPA/DIS
25.6.2020, Sitzung 84). Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes (HIPS 5.2020, Sitzung 26).
• Dialyse: In Mogadischu ist Dialyse nicht möglich (FIS 7.8.2020, Sitzung 31); nach anderen
Angaben steht Dialyse in Städten zur Verfügung, nicht aber auf Bezirksebene (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar (DIS 11.2020, App. F, Sitzung 16).
• HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).
• Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten (MoH/DIS 27.8.2020, Sitzung 74). Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 83).
• Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische Rehabilitationszentren samt Physiotherapie (SRCS 2020, Sitzung 8).An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2020, Sitzung 20ff).
• Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (WHO Rizwan 8.10.2020). Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).
• Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84).
• Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten (UNFPA/DIS 25.6.2020, Sitzung 84). Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8 % der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf (HIPS 5.2020, Sitzung 25).
Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar (FIS 5.10.2018, Sitzung 37; vergleiche FIS 7.8.2020, Sitzung 31), darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderen medizinischen Verbrauchsmaterialien (AA 3.12.2020). Die oben erwähnten, vom Roten Kreuz unterstützten Spitäler erhalten Medikamente vom Roten Kreuz (ICRC 13.9.2019).
Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten (DIS 11.2020, Sitzung 73). Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (FIS 5.10.2018, Sitzung 37). Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen (ÖB 3.2020, Sitzung 16).
Quellen:
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• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.12.2020): Somalia – Reise- und Sicherheitshinweise – Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somali asicherheit/203132#content_6 , Zugriff 3.12.2020
• ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021
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• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_Fact_Fin ding+Mission+to+Mogadishu+and+Nairobi+January+2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1-f69
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• UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service [Dänemark] (25.6.2020): SkypeInterview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84, https://www. nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landenotater/COI_report_somalia_health_care_nov_2020.pdf?l a=en-GB&hash=3F6C5E28C30AF49C2A5183D32E1B68E3BA52E60C , Zugriff 7.12.2020
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• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/SOMALIA-2019-HUMAN-RI GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 17.3.2020
• WHO Rizwan - World Health Organization / Humayun Rizwan (8.10.2020): Mental Health in Somalia, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/docume nts/files/mental_health_presentation.pdf , Zugriff 3.12.2020
Rückkehr
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 07.07.2021
Rückkehr international: Die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia ist eine Tatsache (ÖB 3.2020, Sitzung 13). Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd- und Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017, Sitzung 55). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Repräsentanten der somalischen Gemeinde in London geben an, dass hunderte ihrer Kinder nach Somalia, Somaliland und Kenia ausgeflogen wurden. Grund dafür ist die wachsende Sorge der Eltern vor Drogenbanden und Gewalt in England (TG 9.3.2019).
Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Finnland führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. 2018 hat auch die Schweiz erstmals nach Somalia rückgeführt. Belgien und die Niederlande haben im Jahr 2020 wegen COVID-19 keine Rückführungen durchgeführt, Rückführungen aus Deutschland gestalteten sich schwierig (AA 18.4.2021, Sitzung 24). Im November 2019 wurde Somalia in das ERRIN-Programm für freiwillige Rückkehr aufgenommen. Daran partizipiert auch Österreich (BMI 8.11.2019).
Rückkehr regional: Bis November 2019 sind insgesamt 91.232 Somalis über AVR-Programme
(zur unterstützten freiwilligen Rückkehr) des UNHCR zurückgeführt worden, mehrheitlich aus Kenia, aber auch aus Dschibuti, Libyen und dem Jemen (UNHCR 30.11.2019). Aus dem Jemen sind dort als Flüchtlinge anerkannte Somali zurückgekehrt - sowohl mit als auch ohne Unterstützung durch den UNHCR (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22). Mehr als 75 % der Rückkehrer aus dem Jemen gehen nach Mogadischu (UNHCR 30.6.2019a). Aus dem Jemen kamen mehr als 5.400 somalische Flüchtlinge mit Unterstützung durch den UNHCR zurück in ihr Land. Weitere knapp 40.000 sind aus dem Jemen ohne Unterstützung zurückgekehrt (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche ÖB 3.2020, Sitzung 13). Im Feber 2021 landete ein Boot mit 164 jemenitischen und somalischen Familien in Bossaso, die Menschen wurden dort in einem Flüchtlingszentrum registriert (Sahan
25.2.2021b). Seit 2018 ist die Zahl an Rückkehrern jedenfalls rückläufig (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Im Jahr 2020 waren es insgesamt nur etwa 1.000 Rückkehrer (USDOS 30.3.2021, Sitzung 21) - nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie. Ende 2020 wurden die diesbezüglichen Aktivitäten in begrenztem Ausmaß wieder aufgenommen (UNHCR 31.5.2021, Sitzung 1). Insgesamt zählt der UNHCR Ende Mai 2021 ca. 132.000 zurückgekehrte Flüchtlinge (UNHCR 27.6.2021, Sitzung 1).
Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 18.4.2021, Sitzung 22; vergleiche NLMBZ 3.2019, Sitzung 54). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 84.900 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 18.4.2021, Sitzung 22). Die Remigration von Kenia nach Somalia erfolgt hauptsächlich über Land, wobei die Fahrt bis an die Grenze organisiert wird, und die Rückkehrer dann innerhalb Somalias den Transport selbst arrangieren (NLMBZ 3.2019, Sitzung 54). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, Sitzung 28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikt immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 30.3.2021, Sitzung 22).
Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Zwischen 2014 und 2020 kamen 773 somalische Flüchtlinge aus Dschibuti, 469 aus Libyen, 143 aus dem Sudan, 34 aus Eritrea und weitere aus Angola, Tunesien, Gambia, China und der Ukraine nach Somalia zurück (AA 18.4.2021, Sitzung 22).
Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene
westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 18.4.2021, Sitzung 23). Am Flughafen kann es zu einer
Befragung von Rückkehrern kommen (NLMBZ 3.2019, Sitzung 52). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten (AA 18.4.2021, Sitzung 23f).
Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, Sitzung 52). Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 18.4.2021, Sitzung 23f).
Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis 2020 mehr als 2.000 Haushalte mit fast 12.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 46 % der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 13 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 19 % der befragten Haushalte gaben an, in einem IDP-Lager zu wohnen (wobei der UNHCR diese Bezeichnung dezidiert für inadäquat hält). 95 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschuchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 87 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 92 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 90 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88% der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 43 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 19 % Familienstreitigkeiten (UNHCR 31.5.2021).
Erreichbarkeit: Einen internationalen Standards entsprechenden, regelmäßigen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es mit Turkish Airlines aus Istanbul, Ethiopian Airlines aus Addis Abeba, Kenyan Airways aus Nairobi und Qatar Airways aus Doha. Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor COVID-19 die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte (AA 18.4.2021, Sitzung 24).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM
• BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail
• EASO - European Asylum Support Office (12.2017): Somalia Security Situation, https://www.easo
.europa.eu/sites/default/files/publications/coi-somalia-dec2017lr.pdf , Zugriff 3.12.2020
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
• Sahan - Sahan / Hillaac Net (25.2.2021b): The Somali Wire No. 90, per e-Mail, Originallink auf Somali: https://www.hillaac.net/puntland-oo-qaabishay-in-ka-badan-160-qoys-oo-qaxooti-ka-soo -cararay-yemen/
• TG - The Guardian (9.3.2019): Mothers send sons to Somalia to avoid knife crime,https://www.theguardian.com/uk-news/2019/mar/09/british-somalis-send-sons-abroad-to-protectagainst-knife-crime , Zugriff 3.12.2020
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (27.6.2021): UNHCR Somalia: Operational Update 1-31 May 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNHCR%20Somalia%20Op erational%20Update%20-%20May%202021.pdf , Zugriff 1.7.2021
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (31.5.2021): Somalia Post Return Monitoring Snapshot Round 5 | MAY 2021, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/PRM%20Sn apshot%20May%202021.pdf , Zugriff 1.7.2021
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.11.2019): Refugee returnees to Somalia at 30 November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2022050/document-8.pdf , Zugriff 27.1.2020
• UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.6.2019): UNHCR Somalia Factsheet - 1 - 30
June 2019, https://reliefweb.int/report/somalia/unhcr-somalia-factsheet-1-30-june-2019 , Zugriff 3.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Somalia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/SOMALIA-2020-HUMAN-RI
GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 6.4.2021
Dokumente
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 07.07.2021
Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3 % (ÖB 3.2020). Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose“ Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 13). Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Üblicherweise verfügen nur jene Somali über Dokumente, die vorhaben, ins Ausland zu reisen (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 13).
Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 17) und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten (ÖB 3.2020, Sitzung 4; vergleiche LI 14.6.2018, Sitzung 17; LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 15f). Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt – neben Verwandten – oft durch Älteste eines Dorfes (ÖB
3.2020, Sitzung 4).
Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das
System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34ff). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten (AA 18.4.2021, Sitzung 25).
Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z.B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten (AA 18.4.2021, Sitzung 25). Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen (ÖB 3.2020, Sitzung 4). Für ethnische Somali aus den Nachbarländern scheint es kein Problem zu sein, an echte somalische Dokumente zu gelangen. Sowohl in Kenia als auch in Äthiopien sind zahlreiche eigene Staatsbürger somalischer Ethnie als aus
Somalia stammende Flüchtlinge registriert (BFA 3./4.2017). Die Echtheit von Dokumenten bzw.
Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt von Dokumenten kann von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden (ÖB
3.2020, Sitzung 4).
Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten (ÖB 3.2020, Sitzung 9). Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis (FIS 7.8.2020, Sitzung 45). Pässe können außerhalb Somalias auch an 27 somalischen Botschaften beantragt werden (NLMBZ 3.2019, Sitzung 29ff). Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die
Integrität dieses Dokuments ist untergraben (ÖB 3.2020, Sitzung 5; vergleiche BS 2020, Sitzung 17). Aufgrund von weitverbreitetem Passbetrug erkennen viele Staaten den somalischen Reisepass nicht als gültiges Reisedokument an (ÖB 3.2020, Sitzung 9).
Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig (FIS
7.8.2020, Sitzung 45; vergleiche NLMBZ 3.2019, Sitzung 29ff). Letztere kann ebenfalls an der Botschaft beantragt werden (NLMBZ 3.2019, Sitzung 29ff). Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist aber entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 34f). Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden (FIS 7.8.2020, Sitzung 45). Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen (BFA 3./4.2017).
In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten (LIFOS 9.4.2019, Sitzung 17).
Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die SchariaGerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht (ÖB 3.2020, Sitzung 9). Es gibt keine Zivilehe (LI
14.6.2018, Sitzung 7).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rti ges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesr epublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf , Zugriff 23.4.2021
• BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia [Österreich/Schweiz] (3./4.2017): Informationen aus den Protokollen der FFM
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, https://www.bti-project.org/ content/en/downloads/reports/country_report_2020_SOM.pdf , Zugriff 4.5.2020
• FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia+Fact-Finding+Missio n+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia+Fact
-Finding+Mission+to+Mogadishu+in+March+2020.pdf?t=1602225617645 , Zugriff 17.3.2021
LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, https://landinfo.no/wp-conte nt/uploads/2018/09/Report-Somalia-Marriage-and-divorce-14062018-2.pdf , Zugriff 2.12.2020
• LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007147/190423300.pdf , Zugriff 17.3.2021
• NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische
Version auf https://www.ecoi.net/en/file/local/2006489/Algemeen_ambtsbericht_Zuid-_en_Centr aal-_Somalie__maart_2019.pdf , Zugriff 2.12.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (3.2020): Asylländerbericht Somalia, https:
//www.ecoi.net/en/file/local/2042214/%C3%96B+2020-03-00.pdf , Zugriff 21.1.2021
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang, die Feststellungen hinsichtlich des ersten Asylantrages des BF sowie dem negativen Ausgang des ersten Asylverfahrens ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt und aus dem Erkenntnis des BVwG vom 03.02.2020, GZl.: W252 2191090-1/11E. Die somalische Staatsangehörigkeit des BF wurde ebenfalls schon im ersten Asylverfahrens zweifelsfrei festgestellt.
Die Feststellung, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass sich der BF nach wie vor noch in Österreich aufhält bzw. hier einen zweiten Asylantrag gestellt hat. Das Datum der zweiten Asylantragstellung ergibt sich unzweifelhaft aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung, dass der zweite Asylantrag des BF mit Bescheid des BFA hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 68, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde bzw. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und ihm eine Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt wurde, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt und dem dort einliegenden Bescheid des BFA vom 14.10.2021.
Hinsichtlich der Feststellung, dass der BF keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vorgebracht hat und sich die maßgebliche asylrelevante Lage im Herkunftsstaat nicht geändert hat, wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.
Die Feststellungen zu den diagnostizierten psychischen Erkrankungen des BF (PTBS und Depression), zum Besuch einer Psychotherapie (Gesprächstherapie) sowie der Einnahme von Medikamenten, ergeben sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen (insbesondere aus der Therapiebestätigung vom 10.12.2020, dem psychotherapeutischen Befundbericht vom 02.08.2021 und dem Befund eines Allgemeinmediziners vom 11.08.2021) sowie den eigenen Angabnen des BF während des Verfahrens. Auch das BFA stellte im Bescheid bereits fest, dass der BF an einer PTBS und einer Depression leidet und Medikamente einnimmt.
Die Feststellung zur erteilten Beschäftigungsbewilligung ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Bescheid des AMS vom 06.10.2021 (AS 403 und 405). Die Feststellungen zu den Meldungen des BF als Arbeiter im Bundesgebiet, ergeben sich aus dem vom erkenenden Gericht eingeholten AJ-WEB-Auszug. Der Umstand, dass der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nimmt, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins Gundversorgungssystem. Da der BF auch aktuell im Bundesgebiet als Arbeiter angemeldet ist, steht auch zweifelsfrei fest, dass der BF arbeitsfähig ist.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme ins Strafregister.
2.2. Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, die schon dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurden. Da der BF den herangezogenen Länderinformationen nicht hinreichend konkret entgegentrat und auch angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen kein Grund besteht, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, konnten diese Länderinformationen, die nach wie vor als aktuell anzusehen sind, den Feststellungen zur Situation in Somalia zugrunde gelegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
Gemäß Paragraph 6, des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 122 aus 2013,, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß Paragraph 28, Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
3.1. Zur Entscheidung über die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, AVG:
Gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der Paragraphen 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß Paragraph 68, Absatz 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd Paragraph 68, Absatz eins, AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein vergleiche etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).
Infolge des in Paragraph 17, VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in Paragraph 68, Absatz eins, AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von Paragraph 68, AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist vergleiche Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 7, BFA-VG, K10.; vergleiche auch VfSlg. 19.882/2014).
In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des BFA wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.
Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden Paragraph 21, Absatz 3, BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß Paragraph 68, AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach Paragraph 68, AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde vergleiche Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 7, BFA-VG, K11., K17.).
Bei einer Überprüfung einer gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleich bleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).
Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen vergleiche VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162;10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach Paragraph 68, AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).
Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde vergleiche in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann vergleiche das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vergleiche auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).
Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vergleiche VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt vergleiche VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG ist somit nur die Frage, ob das BFA zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückgewiesen hat.
Der BF behauptet im gegenständlichen Verfahren einerseits ausdrücklich das Fortbestehen der bereits im ersten Asylverfahren geschilderten – und als nicht glaubwürdig befundenen – fluchtauslösenden Umstände. Er gab in der Einvernahme vor dem BFA am 14.04.2021 unter anderem an, dass es sich bei seinen Fluchtgründen um dieselben Gründe handeln würde, sich seine Fluchtgründe nicht verändert hätten und schilderte danach auch konkreter, warum er aus seinem Heimatort (Jowhar) weggehen habe müssen. Zudem gab er an an, in Spitälern (zuletzt in einem Regierungsspital) gearbeitet zu haben, Probleme mit der Al Shabaab gehabt zu haben und er auch aufgrund seiner Clanzugehörigkeit Rassismus und Diskriminierung erfahren habe (AS 145-147). Das Vorbringen des BF, wonach es aufgrund seiner beruflichen Tätigkeiten (insbesondere in einem Krankenhaus für die Regierung) Bedrohungen durch die Al Shabaab gegeben habe bzw. er auch Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe, wurde allerdings bereits im ersten Asylverfahren sowohl vom BFA als auch vom BVwG als unglaubwürdig beurteilt.
Folglich ging das BFA – entsprechend der obzitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes daher zu Recht davon aus, dass über diesen Sachverhalt bereits rechtskräftig abgesprochen wurde.
Weiters wird eine Änderung des asylrelevanten Sachverhaltes aufgrund des psychischen Gesundheitszustandes des BF behauptet und ausgeführt, dass dem BF wegen der Zugehörigkeit zur „sozialen Gruppe der psychisch Erkankten“ in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung drohe bzw. geltend gemacht, dass der BF (wegen seiner psychischen Erkrankungen) von der somalischen Gesellschaft und/oder von seinen entfernten somalischen Verwandten misshandelt werden würde bzw. er einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein würde. Dazu wird in den eingebrachten Stellungnahmen bzw. der Beschwerdeschrift insbesondere auf die Entscheidung des VwGH vom 14.02.2019 (Ra 2018/18/0442) verwiesen. Dabei ist aber zunächst zu betonen, dass der diesbezügliche Sachverhalt nicht mit dem gegenständlichen Fall vergleichbar ist, zumal sich die zitierte Entscheidung des VwGH auf eine afghanische Staatsangehörige (Frau) bezieht, welche an einer chronischen geistigen Behinderung sowie einer Intelligenzminderung leidet, wobei nach der Behebung durch den VwGH durch den vom BVwG bestellten Sachverständigen die Diagnose: „F79.1 - Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltsensstörung, v.a. F51.9 – nichtorganische spezifische Schlafstörung, R26.2 – rezidivierende Stürze bei einer komplexen Gangstörung a.e. im Rahmen einer psychomotorischen Retardierung“ erstellt wurde und ihr daher (im zweiten Verfahrensgang) vom BVwG der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde (W245 2142965-1/34). Im vorliegenden Fall handelt es sich allerdings um einen männlichen Staatsangehörigen Somalias, bei welchem psychische Probleme (PTBS und eine Depression) diagnostiziert wurden und der - abgesehen von den in der letzten Stellungnahme geschilderten (Begleit-) Beschwerden wie Schmerzen, Schlafmangel, Verdauungsproblemen etc., welche allerdings nicht befundmäßig nachgewiesen wurden - an keinen körperlichen Erkrankungen oder Behinderungen leidet. Beim BF liegt daher weder eine schwere, noch eine lebensbedrohliche psychische oder physische Erkrankung vor. Er befand sich in Östereich wegen seiner psychischen Probleme auch nicht in stationärer Behandlung bzw. wurde eine solche auch nicht angeraten und ist der BF auch nicht auf ständige Pflege oder Betreung angewiesen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die psychischen Erkrankungen des BF nach außen hin sichtbar oder für andere Personen als (psychische) Beeinträchtigungen wahrgenommen werden, wobei auch der VwGH in der zitierten Entscheidung explizit festhielt, dass dem „Ausmaß“ der psychischen Behinderung eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Unabhängig davon, ist der vollständigkeitshalber darauf hinzuweisen, dass der BF – wie oben festgestellt wurde – mittlerweile einer beruflichen Tätigkeit im Bundesgebiet nachgeht, er daher arbeitsfähig ist und auch vor diesem Hintergrund nicht davon auszugehen ist, dass der BF bei einer Rückkehr nach Somalia aufgrund seiner psychischen Erkrankungen/Beeinträchtigungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung in Somalia ausgesetzt sein wird.
Unabhängig davon, wird vom erkennenden Gericht auch nicht verkannt, dass es laut den beigezogenen Länderberichten vorkommen kann, dass psychisch kranke Personen in Somalia einer Freiheitsenziehung/Misshandlung (etwa durch „Anketten“) unterliegen bzw. für Personen, die an einer psychischen Erkrakung leiden eine schwierige Situation bestehen kann; wie aber schon das BFA zu Recht im Bescheid betonte, konnte der BF (unabhängig von der fehlenden äußeren Erkennbarkeit seiner psychischen Erkrankung für andere Pesonen) im Verfahren jedoch auch nicht glaubhaft darlegen, weshalb genau ihm eine derartige Behandlung/Misshandlung in Somalia – sei es durch die somalische Gesellschaft oder entfernte Verwandte - individuell drohen sollte. So fällt inbesondere auf, dass der BF in der Erstbefragung am 04.02.2021 erst nach Rückübersetzung der Niederschrift und auf die konkrete Frage seiner Rechtsberaterin („Haben Sie auch Angst vor körperlicher Misshandlung?“) ausführte, dass in Somalia psychisch kranke Menschen von ihren Angehörigen „angekettet“ und körperlich misshandelt werden würden (AS 31), er diesen Umstand aber zuvor, bei der Frage nach seinen nunmehrigen Fluchtgründen durch die Behörde, mit keinem einzigen Wort erwähnte, sondern er zusammengefasst nur davon sprach eine psychische Erkrankung zu haben, in Österreich in Behandlung zu stehen und der Angst habe in Somalia keine mediznische Behandlung zu erhalten (AS 29). In der niederschriftlichen Einvernahme am 14.04.2021 äußerte der BF auf die Frage der belangten Behörde nach dem Grund für die gegenständliche Folgeantragstellung anfangs wiederum nur äußerst vage, dass er wegen seines gesundheitlichen Zustandes keine medizinische Versorgung finden werde bzw. er „Angst vor Misshandlungen“ habe (AS 145), bevor er dann an späterer Stelle der Einvernahme - jedoch wiederum erst nach konkreter Nachfrage durch seine Vertreterin - plötzlich genauere Details dazu nennen konnte und etwa ausführte, dass in Somalia psychisch kranke Personen diskriminiert und beschimpft werden würden, man ihre Rechte unterdrücke oder diese ihre Rechte nicht bekommen würden, es eine Schande sei psychisch krank zu sein bzw. man ihn aufgrund der psychischen Erkrankungen misshandeln und fesseln könnte (AS 147). Auf nochmalige Nachfrage seiner Vertreterin gab der BF dann schließlich noch an, dass ihn seine entfernten Verwandten „fesseln“ würden, damit die Leute nicht erfahren würden, dass sie (die Verwandten) einen psychisch Kranken zu Hause hätten; bevor er dann nach mehrmaligem Nachfragen durch seine Vertreterin auch noch ausführte, dass „die Gesellschaft“ ihn schlecht behandeln, misshandeln, beschimpfen und beleidigen würde bzw. die Kinder ihn mit Steinen bewerfen würden (AS 147 und 148). Als die belangte Behörde den BF dann fragte, woher er wisse, dass dies so sei, gab der BF zunächst an, er habe selbst gesehen, wie mit den psychisch Kranken umgegangen werde bzw. diese keine Rechte bekommen würden, bevor er dann seine eigenen Angaben wieder relativierte und ausführte, dass dies nicht für alle gelte, aber es Leute gebe, bei denen es so sei (AS 148). Wie schon für die belangte Behörde, ist auch für das erkennende Gericht völlig unverständlich, weshalb der BF nur nach konkreter Nachfrage seiner Vertreterin genauere Angaben zu den konkret befürchteten Misshandlungen machen kann. Das diesbezügliche Vorbringen des BF wirkt daher konstruiert bzw. einstudiert und weist keinen glaubwürdigen Kern auf. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der BF tatsächlich selbst eine Misshandlung (durch die somalische Gesellschaft oder seine entfernten Angehörigen) befürchtet, andernfalls anzunehmen wäre, dass der BF dies während des Verahrens von sich aus zur Sprache gebracht hätte bzw. er seine Angaben dann auch nicht wieder relativiert hätte. Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die bloße Möglichkeit einer Gefährdung für eine Asylgewährung nicht ausreicht und ist dem BFA auch zuzustimmen, dass auch eine systematische Gruppenverfolgung von psychisch kranken Personen in Somalia aufgrund der beigezogenen Länderberichte zu verneinen ist.
Insgesamt konnte der BF daher nicht darlegen, dass aufgrund seines psychischen Gesundeitszustandes numehr eine wesentliche und/oder relevante asylrelevante Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist, sondern kommt seinem Vobringen – wie eben dargelegt – kein glaubhafter Kern bzw. keine Asylrelevanz zu.
Soweit vom BF selbst, in den eingebrachten Stellungahmen bzw. der Beschwerdeschrift noch darauf hingewiesen wird, dass sich auch die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage (auch wegen COVID-19) mittlerweile geändert habe und dem BF in Somlia aufgrund seiner psychischen Erkrankung keine hinreichende medizinische Versorgung zur Verfügung stehen würde, so kann auch daraus keine Änderung des maßgeblichen asylrelvanten Sachverhaltes abgleitet werden, sondern ist darauf hinzuweisen, dass dem BF vom BFA bereits subsidiärer Schutz gewährt wurde. Es war daher auch nicht notwendig, weitere oder aktuellere Länderfeststellungen einzuholen.
Da sich sohin weder die maßgebliche Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornhinein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte. Die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, im gegenständlichen Fall erfüllt. Der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung reicht aber bei sonstigem Vorliegen der Voraussetzung des Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG nicht aus, um eine Verhandlungspflicht zu begründen vergleiche VwGH 22.11.2006, Zl. 2005/20/0406 und viele andere).
Zudem kann die Verhandlung gem. Paragraph 24, Absatz eins, Ziffer eins, VwGVG entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
ECLI:AT:BVWG:2022:W142.2191090.2.00