Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

07.02.2022

Geschäftszahl

W103 2208259-2

Spruch


W103 1435475-5/6E

W103 1435474-5/4E

W103 2138890-4/4E

W103 2208258-2/4E

W103 2208259-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 3.) römisch 40 , geb. römisch 40 , gesetzlich vertreten durch die Mutter, 4.) römisch 40 , geb. römisch 40 , gesetzlich vertreten durch die Mutter und 5.) römisch 40 , geb. römisch 40 , gesetzlich vertreten durch die Mutter; alle StA. Russische Föderation und vertreten durch RA römisch 40 ; gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl 15.06.2021, Zln. 1 römisch 40 zu Recht:

A) römisch eins. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch eins. bis römisch III. werden gemäß den Paragraphen 3, Absatz eins,, 8 Absatz eins,, 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

römisch II. In Erledigung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch IV. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG idgF in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

römisch III. Gemäß Paragraphen 54 und 55 AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 10, Absatz 2, Ziffer 3, Integrationsgesetz, jeweils idgF, wird 3.) römisch 40 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ und 1.) römisch 40 2.) römisch 40 , 4.) römisch 40 sowie 5.) römisch 40 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

römisch IV. Die Spruchpunkte römisch fünf. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation aus der Teilrepublik Tschetschenien, der tschetschenischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern und gesetzliche Vertreter der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer.

1. Erstes Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten am 22.09.2012 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten sie beide am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.09.2012 gab der Erstbeschwerdeführer zum Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates an, dass sein Bruder im ersten Krieg für die Regierung römisch 40 gekämpft habe. Nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt sei, habe man seinen Bruder verfolgt. Im Jahr 2006 sei er dann ermordet worden. Daraufhin habe die Familie des Erstbeschwerdeführers Blutrache geschworen und den Mörder seines Bruders getötet. Nun wolle die Familie des Getöteten jemanden aus der Familie des Erstbeschwerdeführers töten. Der Erstbeschwerdeführer habe deshalb Angst bekommen und habe seinen Herkunftsstaat verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab anlässlich ihrer Erstbefragung am gleichen Tag an, keine individuellen Fluchtgründe zu haben. Sie leide an Epilepsie und hoffe in Österreich auf eine bessere medizinische Behandlung.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 25.02.2013 durch das Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

Nach seinem Fluchtgrund befragt, meinte der Erstbeschwerdeführer, dass er einen älteren Bruder gehabt habe. Dieser sei infolge der Teilnahme am 1. Tschetschenienkrieg im Mai 2006 ermordet worden. Der Erstbeschwerdeführer habe gehört, dass ein gewisser Mann seinen Bruder damals verraten habe. Dieser Mann sei noch im Jahr 2006 vom Onkel des Erstbeschwerdeführers (väterlicherseits) getötet worden. Nun würde auf der Familie des Erstbeschwerdeführers Blutrache liegen. Aus diesem Grund habe er seine Heimat verlassen. Der Erstbeschwerdeführer habe gehört, dass dieser verstorbene Mann viele Verwandte habe, die zu Kadyrov gehören würden. Da der Erstbeschwerdeführer beruflich überall in Russland unterwegs gewesen sei, hätten ihn diese Leute nicht finden können. Weitere Gründe für die Ausreise habe der Erstbeschwerdeführer nicht. Der Erstbeschwerdeführer sei stolz, Tschetschene zu sein. Er habe keinerlei Probleme mit den Leuten Kadyrovs, noch mit Kadyrov persönlich gehabt. Er habe nur Angst vor den Angehörigen des verstorbenen Mannes. Nach Problemen mit den Verwandten des Mannes, der seinen Bruder getötet habe, gefragt, meinte der Erstbeschwerdeführer, dass er an einem ihm unbekannten Tag im Jahr 2008 in römisch 40 gewesen sei, die Verwandten davon erfahren und auf ihn geschossen hätten. Er sei nicht verletzt worden und habe flüchten können. Seit dieser Zeit habe er von besagtem Verwandten des Mannes, der seinen Bruder getötet habe, nichts mehr gehört. Er habe diesen Vorfall nicht bei der Polizei in römisch 40 zur Anzeige gebracht, da dies sinnlos gewesen wäre. Bis zu besagtem Vorfall im Jahr 2008 habe es auch niemals irgendwelche Übergriffe auf ihn gegeben. In römisch 40 habe er keine Probleme zu gewärtigen gehabt. Er sei dort einer Beschäftigung nachgegangen. Er sei dort nicht verblieben, weil er Angst gehabt habe, dass er dort früher oder später gefunden worden wäre. Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte er, dass er von den Verwandten des getöteten Mannes gesucht und umgebracht werden würde. Auf seiner Familie liege Blutrache.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab anlässlich ihrer am gleichen Tag vor dem Bundesasylamt abgehaltenen niederschriftlichen Einvernahme im Wesentlichen an, dass sie persönlich keinerlei Probleme im Herkunftsstaat gehabt habe. Ihr Ehemann habe Probleme gehabt, über die dieser jedoch nicht mit der Zweitbeschwerdeführerin spreche. Die Zweitbeschwerdeführerin habe den Herkunftsstaat bloß aufgrund ihres Ehemannes verlassen. Im Übrigen sei sie nach Österreich gekommen, um hier eine bessere medizinische Betreuung hinsichtlich ihrer Epilepsie-Erkrankung zu bekommen. Sie wisse, dass ihre Krankheit nicht heilbar sei. Mit Hilfe der Ärzte und mit den richtigen Medikamenten habe sie ihren Zustand im Griff.

Seitens des Bundesasylamtes wurde in weiterer Folge eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation im Hinblick auf die Behandelbarkeit von Epilepsie in der Russischen Föderation sowie die dortige Erhältlichkeit der von der Zweitbeschwerdeführerin benötigten Medikamente eingeholt und deren Ergebnis der Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.

1.2. Mit Bescheiden jeweils vom 10.05.2013, Zln. 12 13.209-BAI und 12 13.210-BAI, wies das Bundesasylamt die Anträge des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ab und erkannte diesen den Status der Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkte römisch eins). Auch wurde diesen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkte römisch II) und sie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkte römisch III). Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers erachtete das Bundesasylamt – aus näher dargelegten Gründen – als unglaubwürdig. Im Fall des Erstbeschwerdeführers habe keine Verfolgung im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen festgestellt werden können. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine individuellen Verfolgungsgründe ins Treffen geführt. Hinsichtlich deren Epilepsie-Erkrankung würden sich anhand der vorliegenden Länderinformationen ausreichende Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation ergeben. Auch die Ausweisung sei im Lichte des Artikel 8, EMRK notwendig und geboten gewesen.

1.3. Gegen diese Bescheide erhoben die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien fristgerecht Beschwerde, in der diese vollumfänglich wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts angefochten wurden.

1.4. Mit Erkenntnissen des damaligen Asylgerichtshofs jeweils vom 01.08.2013, Zln. römisch 40 wurden die Beschwerden des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraphen 3, Absatz eins,, 8 Absatz eins, Ziffer eins und 10 Absatz eins, Ziffer 2, Asylgesetz 2005 idgF (AsylG 2005), als unbegründet abgewiesen.

Dabei hielt der Asylgerichtshof im Rahmen der Beweiswürdigung im den Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: Beschwerdeführer) betreffenden Erkenntnis auszugsweise wie folgt fest:

„(…) Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes folgt den beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesasylamtes insbesondere deshalb, da sich das Vorbringen des Beschwerdeführers vollkommen unplausibel und lebensfremd dargestellt hat. Im Übrigen waren die Ausführungen des Beschwerdeführers – abgesehen von der Aufzählung einiger Eckpunkte – ausgesprochen vage und oberflächlich.

Für den Beschwerdeführer soll seit dem Jahr 2006 aufgrund einer Blutfehde im Zusammenhang mit seinem getöteten Bruder und im Übrigen – wie in der Beschwerde behauptet – aufgrund seines getöteten Bruders, der am 1. Tschetschenienkrieg teilgenommen habe, eine Gefährdungssituation im Herkunftsstaat bestanden haben.

Führt man sich vor Augen, dass der Beschwerdeführer letztlich im September 2012 aus dem Herkunftsstaat ausgereist ist, ist evident, dass bereits die zeitliche Komponente respektive der jahrelange Aufenthalt des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat gegen die dargelegte Verfolgung durch die Angehörigen des von seinem Onkel getöteten Mörders seines Bruders spricht.

Aus den Ausführungen vor dem Bundesasylamt ist im Übrigen unzweifelhaft hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer sich – auch nach dem Jahr 2006 – frei im Herkunftsstaat bewegt hat. So erklärte er vor dem Bundesasylamt, dass er überall in Russland unterwegs gewesen sei. Auch meinte er, dass er im Herkunftsstaat keinerlei finanzielle Probleme gehabt habe. Er besitze in Tschetschenien ein eigenes Grundstück, ein eigenes Haus. Auch das Haus seiner Eltern gehöre ihm. Im Herkunftsstaat habe er weiters seine nunmehrige Ehefrau im Jahr 2012 traditionell und standesamtlich geheiratet. Der Beschwerdeführer erklärte auch, dass er in Tschetschenien keine Probleme gehabt habe. Er habe nur Angst vor den Angehörigen des getöteten Mannes. (AS 73 und 74) Der Beschwerdeführer ist demnach nach seinen Ausführungen in den Jahren vor seiner Ausreise in Tschetschenien und außerhalb – auf dem Gebiet der Russischen Föderation – unterschiedlichen Beschäftigungen nachgegangen.

Der Beschwerdeführer schilderte lediglich von einem Vorfall im Jahr 2008, bei dem er sich in römisch 40 aufgehalten habe. Dieser Vorfall wurde aber dermaßen vage und oberflächlich geschildert, dass der erkennende Senat des Asylgerichtshofes nicht davon ausgeht, dass dieser den Tatsachen entspricht.

An einem dem Beschwerdeführer unbekannten Tag im Jahr 2008 sei der Beschwerdeführer in römisch 40 gewesen. „Diese Leute“ hätten erfahren, dass er dort sei. Man habe auf ihn geschossen. Es sei auf die Tür geschossen worden und habe er flüchten können. Seit dieser Zeit habe er von den Leuten nichts mehr gehört. Bis zum besagten Vorfall im Jahr 2008 habe er keinerlei Kontakt zu diesen Leuten gehabt. Er habe diese Leute weder gesehen noch getroffen. Auf Nachfrage, wer konkret im Jahr 2008 auf seine Tür in römisch 40 geschossen habe, meinte er, gehört zu haben, wie Autos vor seiner Tür angehalten hätten und Leute aus dem Auto ausgestiegen seien. Mehr könne er dazu nicht sagen. Auf weitere Nachfrage, woher er konkret wisse, dass dieselben Leute auf die Tür geschossen hätten, meinte er, dass er diese Frage nicht konkret beantworten könne. Er habe sonst keine Feinde. Deshalb gehe er davon aus, dass die Verwandten des verstorbenen Mannes ihn verfolgen würden. (AS 75)

Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer diesen Vorfall in keiner Weise zeitlich einordnen habe können, basiert das gesamte Vorbringen um diesen Vorfall auf bloßen Vermutungen. Nach diesem Vorfall soll es auch zu keinen weiteren Vorfällen gekommen sein. Der Beschwerdeführer habe sich vielmehr zuvor seit dem Jahr 2006 und danach bis zum Jahr 2012 im Herkunftsstaat aufgehalten, obwohl eine lebensbedrohliche Gefahr seitens der Familie des Mörders seines Bruders ausgegangen sein soll.

Zu besagter Familie des Verstorbenen erklärte der Beschwerdeführer im Übrigen, dass sich darunter viele Personen finden würden, die zu Kadyrov gehören würden (AS 74). Bei einem derartigen Naheverhältnis seiner Verfolger zu Kadyrov und Kadyrovs Leuten ist umso weniger nachvollziehbar, wie sich der Beschwerdeführer zwischen 2006 und 2012 unentdeckt im Herkunftsstaat aufhalten habe können.

Gewichtigstes Indiz gegen die behauptete Blutracheproblematik ist schließlich, dass sich im Herkunftsstaat nach wie vor Angehörige des Beschwerdeführers aufhalten, die bei Zutreffen der geschilderten Blutracheproblematik ebenso von dieser betroffen sein müssten wie der Beschwerdeführer.

(…)

Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb gerade der Beschwerdeführer und seine Geschwister Hauptbetroffene der Blutrache sein sollten, jedoch nicht die Kinder des Auslösers der Blutfehde. Folgt man nämlich seinen Ausführungen in der Beschwerde, sollen lediglich seine Geschwister Tschetschenien bzw. den Herkunftsstaat verlassen haben. Er erklärte darüber hinaus ausdrücklich, dass seine Mutter und seine weiteren Verwandten alle noch immer in Tschetschenien leben würden. Würde jedoch tatsächlich die geschilderte Blutracheproblematik bestehen, wären seine weiteren Verwandten im Herkunftsstaat genauso bzw. die Kinder seines Onkels umso mehr von der Blutracheproblematik betroffen und spricht der Umstand, dass seine Verwandten sich nach wie vor im Herkunftsstaat aufhalten, gegen die Glaubwürdigkeit der von ihm behaupteten Blutracheproblematik.

Das Bundesasylamt hat im Ergebnis sohin völlig zu Recht den Umstand des Aufenthaltes von Angehörigen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat gegen die Glaubwürdigkeit der von ihm behaupteten Blutfehde ins Treffen geführt.

Der bloße Umstand, dass dem Bruder des Beschwerdeführers (AIS 07 07.706) im Bundesgebiet Asyl gewährt worden ist, vermag an der Überzeugung des erkennenden Senates, dass der Beschwerdeführer nicht aufgrund der von ihm geschilderten Blutracheproblematik seinen Herkunftsstaat verlassen hat, nichts zu ändern. Der genannte Bruder ist bereits vor Jahren – nämlich im Jahr 2007 – ins Bundesgebiet eingereist. Aus dem bloßen Umstand, dass der Bruder in seinem Asylverfahren ebenfalls eine Blutfehde erwähnt hat, war für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, zumal er sich wie seine weiteren Angehörigen über viele Jahre bis zum Jahr im Herkunftsstaat aufgehalten hat, wobei sich seine Angehörigen nach wie vor im Herkunftsstaat aufhalten. Das Vorbringen des Beschwerdeführers musste in Zusammenhalt mit den zuvor dargelegten Umständen als unglaubwürdig bewertet werden.

Es war schließlich auch noch zu bedenken, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2012 seine nunmehrige Ehefrau geheiratet hat, die selbst quer durch das ganze Verfahren angeführt hat, im Herkunftsstaat keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Auch erklärte die Ehefrau quer durch das ganze Verfahren, in der Hoffnung auf eine bessere medizinische Versorgung ihrer Epilepsieerkrankung ausgereist zu sein. Im Lichte dieser Ausführungen sowie dem gewählten Zeitpunkt der Ausreise – ausgerechnet in dem Jahr, in dem er seine Ehefrau geheiratet hat, kommt der erkennende Senat des Asylgerichtshofes zum Schluss, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau in der Hoffnung auf eine bessere medizinische Versorgung aus dem Herkunftsstaat ausgereist ist. Bei tatsächlichem Bestehen einer Blutracheproblematik seit dem Jahr 2006 wäre der Beschwerdeführer wohl wesentlich früher aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

(…)

Der Beschwerdeführer hat keinerlei Probleme mit den staatlichen Behörden in diesem Zusammenhang geltend gemacht. Sein lapidarer Verweis in der Beschwerde, wonach er im Zusammenhang mit der Teilnahme seines Bruders am Tschetschenienkrieg gefährdet sei, reicht nicht hin, um eine Verfolgung im Herkunftsstaat zu begründen. Probleme mit den staatlichen Behörden oder irgendein Interesse der staatlichen Behörden an ihm oder seinen Angehörigen hat der Beschwerdeführer nämlich während seines gesamten Verfahrens nicht dargelegt. Vielmehr hat der Beschwerdeführer als einzigen Verfolgungsgrund im Herkunftsstaat die dargelegte Blutracheproblematik geltend gemacht, die sich jedoch als nicht glaubhaft erwiesen hat. Dass der Beschwerdeführer offensichtlich keine Probleme im Zusammenhang mit seinem angeblich im 1. Tschetschenienkrieg kämpfenden Bruder gehabt hat, ergibt sich auch daraus, dass sich der Beschwerdeführer bis zum Jahr 2012 problemlos im Herkunftsstaat aufhalten hat können und sich dort auch seine Angehörigen unverändert aufhalten. Dieses erstmals in der Beschwerde in den Raum gestellte Vorbringen stellt demnach offensichtlich eine reine Schutzbehauptung dar.

Der primär dargelegte Fluchtgrund – die behauptete Blutracheproblematik – hat sich als nicht glaubhaft erwiesen. Dahingehend wird auf die zuvor dargelegten ausführlichen Überlegungen verwiesen. Weitwendige Überlegungen zur Schutzwilligkeit bzw. Schutzfähigkeit der staatlichen Behörden im Falle der Betroffenheit von Blutrache können im Lichte des Umstandes, dass das Grundvorbringen nicht glaubhaft ist, unterbleiben.

(…)

Gewichtiges Indiz gegen eine allgemeine Verfolgungsgefahr in Tschetschenien ist im Übrigen der Umstand, dass sich zahlreiche Angehörige des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau – auch männliche Angehörige – unverändert und unbehelligt in Tschetschenien aufhalten.

Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen ebenso wenig folgern.
(…)

Die wirtschaftliche Lage stellt sich für den Beschwerdeführer und seine Ehefrau bei einer Rückkehr offensichtlich ebenfalls ausreichend gesichert dar. Der Beschwerdeführer hat vor der Ausreise sein finanzielles Auslangen gefunden. Er erklärte ausdrücklich, keine finanziellen Probleme zu gewärtigen gehabt zu haben. Er habe genug Geld in Tschetschenien gehabt. Er besitze ein eigenes Grundstück und ein eigenes Haus. Das Haus seiner Eltern gehöre auch ihm (AS 73)

Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird es dem Beschwerdeführer demnach als Mann im arbeitsfähigen Alter möglich sein, einer Beschäftigung nachzugehen und damit den notwendigen Lebensunterhalt für sich und seine Ehefrau zu erwirtschaften, wobei festgehalten werden muss, dass sich unverändert Angehörige des Beschwerdeführers und vor allem seiner Ehefrau im Herkunftsstaat aufhalten und eine Unterstützung durch diese möglich und zumutbar erscheint, zumal die Ehefrau bis zum Jahr 2012 im Kreise ihrer Familie gelebt hat.

Es besteht demnach kein Zweifel daran, dass es dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau für den Fall einer Rückkehr möglich sein wird, die gemeinsame Lebensgrundlage zu sichern.

Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers bleibt auszuführen, dass der Beschwerdeführer sowohl in der Erstbefragung am 23.09.2012 als auch in der Einvernahme am 25.02.2013 ausdrücklich erklärte, gesund zu sein und an keinen Krankheiten zu leiden. Auch medizinische Unterlagen legte der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt nicht vor.

Erst mit der Beschwerde übermittelte der Beschwerdeführer medizinische Unterlagen im Zusammenhang mit einer koronaren Herzkrankheit (Gefäßverschluss). Der Beschwerdeführer wurde im Dezember 2012 drei Tage lang auf der kardiologischen Abteilung eines Krankenhauses medizinisch versorgt, wobei bei den durchgeführten medizinischen Maßnahmen keine Komplikationen entstanden sind. Entsprechende handelsübliche Medikamente für die Blutgerinnung bzw. um das Auftreten von Thrombosen in den Herzkranzgefäßen zu verringern wurden verschrieben. Weiters wurden regelmäßige internistische Kontrollen genannt.

Wesentlich erscheint an den vorgelegten medizinischen Unterlagen, dass darin festgehalten wird, dass der Beschwerdeführer vor drei Jahren einen Herzinfarkt (STEMI) gehabt hat.

Es steht sohin vollkommen außer Zweifel, dass der Beschwerdeführer bereits im Herkunftsstaat Probleme mit seinem Herz gehabt hat. Ein Herzinfarkt erfordert auch zweifellos eine entsprechende medizinische Behandlung, weshalb für den erkennenden Senat evident ist, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine entsprechende medizinische Behandlung seiner Herzprobleme erhalten hat.

Im Übrigen hat sich auch aus den eingeholten Länderinformationen zur medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat ergeben, dass in Tschetschenien mit zunehmendem Wiederaufbau nach dem 2. Tschetschenienkrieg alle Erkrankungen – wie in Westeuropa – behandelbar sind. Bei der dargelegten Herzerkrankung des Beschwerdeführers handelt es sich um eine weite Bevölkerungsschichten und häufig auftretende Erkrankung, die ganz offensichtlich im Herkunftsstaat behandelbar ist, was auch dem hg. Amtswissen entspricht. In den Länderinformationen wird auch explizit die Möglichkeit zur Behandlung von Herznotfällen angeführt.

(…)

Dem Beschwerdeführer wird es für den Fall seiner Rückkehr demnach zumutbar sein, eine notwendige Behandlung im Herkunftsstaat durchzuführen.

Unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers steht eine Abschiebung Artikel 3, EMRK nicht entgegen und haben sich – wie dargelegt – auch sonst keine Hinweise ergeben, die seiner Abschiebung entgegenstehen würden. (…)“

Im Erkenntnis betreffend die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) wurden darüber hinaus auszugsweise die folgenden Erwägungen getroffen:

„(…) Im Falle der Beschwerdeführerin haben sich sohin keine Hinweise für eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat ergeben, zumal sie ihre Ausreise mit der Verfolgung ihres Ehemannes sowie mit der Hoffnung, im Bundesgebiet eine bessere medizinische Behandlung ihrer Epilepsie-Erkrankung zu erhalten, begründet hat.

(…)

Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin bleibt auszuführen, dass die Beschwerdeführerin an Epilepsie leidet.

Am 25.02.2013 schilderte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, dass sie seit ihrem 4. Lebensjahr an Epilepsie leide. Sie stehe deswegen bereits seit ihrem 4. Lebensjahr in ärztlicher Behandlung. Sie habe im Herkunftsstaat Medikamente verschrieben bekommen, die zuletzt nicht mehr gewirkt hätten. Sie hoffe, dass sie in Österreich eine bessere Behandlung bekomme.

In Tschetschenien sei sie bei verschiedenen Fachärzten sowie in vielen psychiatrischen Abteilungen gewesen. Man habe ihr in Tschetschenien verschiedene Medikamente verschrieben. Die österreichischen Ärzte hätten der Beschwerdeführerin dieselben Medikamente verschrieben, die sie in der Heimat genommen habe. Sie solle laut österreichischen Ärzten diese Medikamente weiterhin einnehmen. (AS 64-65)

Das Bundesasylamt hat im angefochtenen Bescheid völlig zu Recht dargelegt, dass der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht entgegensteht.

Aus ihren eigenen Angaben ergibt sich, dass ihre Epilepsie-Erkrankung bis zu ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat über 20 Jahre lang behandelt worden ist. Die Beschwerdeführerin war sowohl bei verschiedenen Fachärzten als auch bei verschiedenen psychiatrischen Abteilungen in Behandlung.

Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet im September 2012 ist die Beschwerdeführerin vorerst auch von den österreichischen Ärzten mit denselben Medikamenten wie zuvor in ihrem Herkunftsstaat behandelt worden.

Aus den eingeholten Recherchen zur medizinischen Versorgung und im Besonderen zur medizinischen Behandlung von Epilepsie haben sich adäquate Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat ergeben, wobei diesem Ergebnis alleine schon deswegen zu folgen war, als die Beschwerdeführerin selbst angegeben hat, im Herkunftsstaat über 20 Jahre hindurch entsprechend medizinisch behandelt worden zu sein.

Für den erkennenden Senat ist demnach überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn in der Stellungnahme vom 26.04.2013 plötzlich angezweifelt wird, dass die Beschwerdeführerin die bislang bezogenen Medikamente für den Fall einer Rückkehr erhält. Die Beschwerdeführerin hat dies doch noch in der niederschriftlichen Einvernahme am 25.02.2013 ausdrücklich erklärt und in dieser Einvernahme auch in keiner Weise erwähnt, dass die Medikamente in Tschetschenien nicht erhältlich gewesen seien. Ihre Ausführungen in der Stellungnahme vom 26.04.2013, wonach das von ihr verwendete Medikament in Tschetschenien nicht erhältlich gewesen sei und sie dieses von ihrer Schwester, die Apothekerin sei, über deren Bekannten aus römisch 40 bezogen habe, müssen demnach als offensichtlich tatsachenwidrige Behauptung gewertet werden. Die Beschwerdeführerin soll besagtes Medikament nämlich von den behandelnden Ärzten in Tschetschenien verschrieben bekommen haben und entspricht es wohl der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Ärzte lediglich im eigenen Land zugelassene Medikamente verschreiben.

Hilfsweise muss jedoch festgehalten werden, dass es der Beschwerdeführerin grundsätzlich möglich gewesen ist, die von ihr benötigten Medikamente zu beziehen.

Auch die weiteren Einwände gegen eine adäquate Versorgung der Epilepsieerkrankung der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat im Hinblick auf die Finanzierbarkeit einer adäquaten Behandlung sowie dem Umstand, dass anspruchsvollere Behandlungen lediglich in Großstädten – wie MOSKAU und St. Petersburg – durchgeführt werden könnten, zielen ebenso ins Leere, konnte sich die Beschwerdeführerin doch in den letzten 20 Jahren eine adäquate medizinische Versorgung im Herkunftsstaat leisten. Auch hat sie dort nach ihren Ausführungen Fachärzte und psychiatrische Abteilungen aufgesucht. Im Krankenhausbefund vom 05.04.2013 finden sich auch Ausführungen, wonach die Mutter der Beschwerdeführerin telefonisch kontaktiert wurde. Die Mutter schilderte die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin und erwähnte dabei auch, dass die Beschwerdeführerin wiederholt in römisch 40 – zuletzt im Jahr 2008 – stationär behandelt worden ist (AS 97). Die Beschwerdeführerin wurde demnach im Herkunftsstaat problemlos außerhalb von Tschetschenien in der Russischen Föderation – konkret in römisch 40 – wiederholt medizinisch versorgt. Für den erkennenden Senat des Asylgerichtshofes zeigt sich durch die Ausführungen der Mutter der Beschwerdeführerin, dass eine Behandlung innerhalb der Russischen Föderation für die Beschwerdeführerin im Bedarfsfall offensichtlich bislang problemlos möglich war. Weshalb dies nunmehr für den Fall einer Rückkehr nicht mehr möglich sein soll, entbehrt jeglicher Logik.

(…)

Die notwendige medizinische Versorgung steht im Herkunftsstaat offensichtlich zur Verfügung. Der bloße Umstand, dass im Bundesgebiet die Medikation der Beschwerdeführerin umgestellt wurde, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Für die Epilepsieform der Beschwerdeführerin sind offensichtlich unterschiedliche medikamentöse Behandlungsformen möglich. Der bloße Umstand, dass die in Österreich behandelnden Ärzte zu einer anderen Behandlungsmethode greifen, ändert nichts daran, dass in der Russischen Föderation eine entsprechende fachärztliche Behandlung der Erkrankung der Beschwerdeführerin zur Verfügung steht, was sich aus den eingeholten Recherchen aber insbesondere aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter (per Telefon) ergibt.

Zusammengefasst ergibt sich im Fall der Beschwerdeführerin, dass diese seit ihrem 4. Lebensjahr an Epilepsie leidet, die im Herkunftsstaat über 20 Jahre lang auch unter dem Finanzierungsaspekt adäquat behandelt werden konnte, was auch die eingeholten Recherchen und die Länderinformationen zur medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat ergeben haben.

Der Beschwerdeführerin wird es für den Fall ihrer Rückkehr demnach zumutbar sein, ihre notwendige Behandlung im Herkunftsstaat – wie bis vor der Ausreise vor weniger als einem Jahr – fortzusetzen.

Die Beschwerdeführerin konnte schließlich mit ihrem Ehemann trotz ihres beeinträchtigten Gesundheitszustandes die schlepperunterstützte und mehrere Tage dauernde Reise aus dem Herkunftsstaat nach Österreich bewerkstelligen, weshalb der erkennende Senat des Asylgerichtshofes zum Schluss gelangt, dass der Beschwerdeführerin eine Rückkehr in den Herkunftsstaat unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes möglich ist. Eine lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Falle einer Abschiebung auf dem Luftweg ist im Lichte der vorgetragenen mehrtägigen Reisebewegung von römisch 40 nach Österreich und zuvor von Tschetschenien nach römisch 40 nicht erkennbar, zumal im Herkunftsstaat – wie bereits vor der Ausreise – eine adäquate medizinische Behandlung der Beschwerdeführerin gewährleistet ist. Auch die Unterstützung durch ihren Ehemann ist im Zusammenhang mit ihrem Gesundheitszustand besonders hervorzuheben. Dieser verfügt im Herkunftsstaat auch über ausreichenden Besitz. (…)“

1.6. Die angeführten Erkenntnisse erwuchsen infolge ordnungsgemäßer Zustellung in Rechtskraft.

2. Zweites Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

2.1. Am römisch 40 wurde der nunmehrige Drittbeschwerdeführer als Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren. Mit Eingabe vom 18.09.2015 wurde durch dessen gesetzliche Vertreter um die Gewährung internationalen Schutzes im Rahmen des Familienverfahrens angesucht. Dabei wurde ausgeführt, dass der minderjährige Drittbeschwerdeführer über keine eigenen Fluchtgründe verfüge, sondern sich vollinhaltlich auf die Gründe seines Vaters, des Erstbeschwerdeführers, berufe.

2.2. Am 11.02.2016 stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in Bezug auf ihre eigenen Personen neuerliche Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen sie am gleichen Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurden.

Der Erstbeschwerdeführer brachte hinsichtlich der Gründe seiner neuerlichen Antragstellung im Wesentlichen vor, bereits im Rahmen seiner ersten Antragstellung alles angegeben zu haben. Vor rund drei Monaten habe er vorgehabt, in seine Heimat zurückzukehren. Seine Mutter habe ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass die tschetschenische Polizei nach ihm suchen würde.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab anlässlich ihrer Erstbefragung im Wesentlichen an, über die Gründe der neuerlichen Antragstellung nicht Bescheid zu wissen, lediglich ihr Mann habe in der Heimat Probleme.

Am 23.05.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin jeweils im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Der Erstbeschwerdeführer gab kurz zusammengefasst an, herzkrank zu sein und Probleme mit dem Atmen zu haben, zudem hinke er. Er müsse ein Leben lang Medikamente einnehmen, diesbezüglich wurde ein Konvolut an ärztlichen Unterlagen vorgelegt. Auf Vorhalt seines rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens gab der Erstbeschwerdeführer an, seine damals erstatteten Angaben seien wahrheitsgemäß, jedoch nicht vollständig gewesen; er habe noch weitere Gründe. Im Jahr 1999 habe er auf Seiten der „Republik Tschetschenien Itskheria“ an Kampfhandlungen in Tschetschenien teilgenommen. Vor rund einem Jahr habe der Erstbeschwerdeführer gemeinsam mit anderen Personen begonnen, die tschetschenische Regierung, insbesondere über die Plattformen „ römisch 40 im Internet zu kritisieren. Diese Gruppen seien durch den FSB überwacht worden und seien viele ihrer Mitglieder, welche sich in Tschetschenien befunden hätten, verhaftet worden. Der Erstbeschwerdeführer selbst habe ein Video zugeschickt bekommen, auf welchem er in Uniform zu sehen sei, zudem sei bei seiner Mutter in Tschetschenien nach ihm gefragt worden. Seine Beteiligung an Kampfhandlungen habe er bis dato nicht ins Treffen geführt, da er die Vergangenheit hinter sich habe lassen wollen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab kurz zusammengefasst an, an Hepatitis B zu leiden; bezüglich ihrer Epilepsie-Erkrankung sei sie vor rund einem Jahr operiert worden, seither hätte sie keine Anfälle mehr gehabt. Bezüglich ihrer Krankengeschichte wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vorgelegt. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie sowohl aufgrund ihrer eigenen, als auch aufgrund der gesundheitlichen Probleme ihres Mannes, Schwierigkeiten. Ihr Mann habe auch darüber hinausgehende Sorgen, über welche die Zweitbeschwerdeführerin jedoch nicht Bescheid wisse; davon, dass die tschetschenische Polizei nach ihm suchen würde, habe ihr Mann ihr, nachgefragt, nichts erzählt.

Im Hinblick auf den minderjährigen Drittbeschwerdeführer wurde durch seine gesetzlichen Vertreter vorgebracht, dass dieser gesund sei und keine individuellen Rückkehrbefürchtungen habe.

2.3. Mit den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2016 wurden die Anträge der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz vom 11.02.2016 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte römisch eins.) und die Anträge gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraphen 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz 1 Ziffer 3 AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkte römisch III.). Gemäß Paragraph 55, Absatz 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, einer Beschwerde gegen die vorliegenden Entscheidungen wurde gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 6, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte römisch IV. und römisch fünf.).

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen von einer Unglaubwürdigkeit der Angaben des Erstbeschwerdeführers – auf welche sich mangels Erstattung individueller Fluchtgründe auch die Anträge der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers stützen – ausgegangen, zumal sich diese als widersprüchlich und oberflächlich erwiesen hätten, im Übrigen sei eine Steigerung seines Vorbringens gegenüber seinen bisher erstatteten Angaben zu erkennen gewesen. Nicht nachvollziehbar sei demgemäß, weshalb der Erstbeschwerdeführer seine Teilnahme an Kampfhandlungen bislang hätte unerwähnt lassen sollen, auch im Rahmen seines Folgeverfahrens habe er anlässlich der Erstbefragung noch davon gesprochen, in seinem vorangegangenen Verfahren bereits alles vorgebracht zu haben. Im Zuge seiner Einvernahme vor der belangten Behörde habe der Erstbeschwerdeführer zudem widersprüchliche Erklärungen für das bisherige Verschweigen jenes Umstandes abgegeben. Aus den im Rahmen seines vorangegangenen Verfahrens aufgenommenen Niederschriften ergibt sich zweifelsfrei, dass diesem jedenfalls Gelegenheit zu einer umfassenden Erstattung seiner Fluchtgründe geboten worden wäre, weshalb der diesbezügliche Einwand des Erstbeschwerdeführers ins Leere ginge. Die Angaben hinsichtlich einer nunmehr in Zusammenhang mit im Internet erstatteten regierungskritischen Äußerungen drohenden Verfolgung hätten sich als vage erwiesen und auf Nachfrage hin keine plausible Konkretisierung erfahren. Als widersprüchlich hätten sich insbesondere die Schilderungen des Erstbeschwerdeführers in Bezug auf die nunmehrige Suche der tschetschenischen Polizei nach seiner Person im Herkunftsstaat dargestellt. Auch habe dieser divergierende Angaben dahingehend erstattet, ob ihm das Video, auf welchem er in Uniform zu sehen wäre, zugesendet worden, oder ob dieses öffentlich ins Internet gestellt worden sei. Darüber hinaus habe der Erstbeschwerdeführer auch keinerlei sein Vorbringen untermauernde Beweismittel in Vorlage bringen können. Im Ergebnis werde davon ausgegangen, dass der Erstbeschwerdeführer ein wahrheitswidriges Vorbringen lediglich zum Zwecke der Verhinderung einer Abschiebung erstattet habe.

Auch die im Falle des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vorliegenden Erkrankungen würden keine einer Rückkehr in deren Heimatsstaat entgegenstehende Umstände darstellen. Die seitens des Erstbeschwerdeführers benötigten Medikamente seinen zufolge einer Information der Staatendokumentation auch in der Russischen Föderation erhältlich, auch könnten die in Zusammenhang mit seiner Herzerkrankung erforderlichen Kontrolluntersuchungen in der Russischen Föderation durchgeführt werden. Auch die von der Zweitbeschwerdeführerin benötigten Medikamente seien in deren Herkunftsstaat erhältlich, in diesem seien Behandlungsmöglichkeiten in Bezug auf ihre Epilepsie-Erkrankung – aufgrund derer sie bereits seit ihrem vierten Lebensjahr in der Russischen Föderation in Behandlung gestanden habe – vorhanden und der Zweitbeschwerdeführerin zugänglich. Hinsichtlich der momentan nicht behandlungsbedürftigen Hepatitis B-Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin bestünden im Bedarfsfall ebenfalls entsprechende Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation. In Bezug auf den minderjährigen Drittbeschwerdeführer seien durch seine gesetzlichen Vertreter zu keinem Zeitpunkt individuelle Rückkehrhindernisse ins Treffen geführt worden. Es bestünden desweiteren keine Anhaltspunkte dafür, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende (wirtschaftliche) Notlage geraten könnten. Hinweise auf ein in Österreich bestehendes schützenswertes Familien- oder Privatleben hätten sich im Verfahrensverlauf nicht ergeben.

Die angeführten Bescheide wurden den beschwerdeführenden Parteien mitsamt einer Verfahrensanordnung über die Beigebung einer Rechtsberatungsorganisation für eine allfällige Beschwerdeerhebung zugestellt.

2.4. Mit für alle Familienmitglieder gleichlautendem Schriftsatz vom 02.11.2016 erhoben die beschwerdeführenden Parteien fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher die erstinstanzlichen Erledigungen wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Mangelhaftigkeit des Verfahrens im vollen Umfang angefochten und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurden. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde habe es fallgegenständlich unterlassen, dem Erstbeschwerdeführer zu der ihm vorgeworfenen Unglaubwürdigkeit Stellung beziehen zu lassen, andernfalls hätte dieser klarstellen können, dass er anlässlich seines ersten Verfahrens auf internationalen Schutz aus Angst, dadurch seine Familie in Gefahr zu bringen, nicht über seine Rolle als Widerstandskämpfer habe sprechen wollen. Anschließend habe er sich jedoch nicht mehr verstecken wollen und auf mehreren Internetseiten Kommentare zur Situation in Tschetschenien verfasst. Daraufhin sei ihm jenes Video geschickt worden, von welchem er bereits im Zuge seiner Einvernahme berichtet habe. Im Winter 2015 habe die Bezirkspolizei die Mutter des Erstbeschwerdeführers in Tschetschenien aufgesucht und nach diesem gesucht. Dies habe ihm seine Mutter sofort mitgeteilt, woraufhin die gegenständlichen Folgeanträge eingebracht worden seien. Aus einem näher angeführten Bericht der Zeitung The Guardian ergebe sich, dass Personen, welche die tschetschenische Regierung in Online-Medien kritisieren, verfolgt würden und mit harten Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen hätten. Hätte sich die Behörde unter Berücksichtigung einschlägiger Länderberichte eingehend mit den Fluchtgründen des Erstbeschwerdeführers auseinandergesetzt, so wäre diese zum Schluss gekommen, dass diesem mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung bzw. der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe drohe. Im Hinblick auf den minderjährigen Drittbeschwerdeführer habe die Behörde zudem eine Einbeziehung des Artikel 24, der Grundrechtecharta sowie des BVG-Kinderrechte unterlassen. In Bezug auf Spruchpunkt römisch II. seien zudem die prekäre Sicherheitslage in Tschetschenien sowie die Erkrankungen der beschwerdeführenden Parteien zu berücksichtigen. Insbesondere die Medikamente, welche die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Epilepsie-Erkrankung einnehmen müsse, seien in Tschetschenien nur schwer erhältlich und für diese unerschwinglich. Den beschwerdeführenden Parteien sei daher Asyl, in eventu subsidiärer Schutz, zu gewähren.

2.5. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 07.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.6. In Folge der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde wurde diese mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Februar 2017, römisch 40 , gemäß Paragraph 3, Absatz eins,, Paragraph 8, Absatz eins,, Paragraphen 57 und 55, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 idgF in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG sowie Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 und Absatz 9,, Paragraph 46, FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen und erwuchsen diese in Rechtskraft.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus:

„Zunächst ist festzuhalten, dass in Hinblick auf die vom Erstbeschwerdeführer ursprünglich als Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates angegebenen Umstände (auf welche sich auch die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer ersten Antragstellung auf internationalen Schutz berief) bereits eine rechtskräftige inhaltliche Entscheidung vorliegt. Der Asylgerichtshof hat sich in seinen rechtskräftigen Erkenntnissen vom 01.08.2013, Zln. römisch 40 , umfassend mit dem in Bezug auf die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien ursprünglich als deren Ausreisegrund vorgebrachten Sachverhalt auseinandergesetzt und im Ergebnis den seitens der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien ins Treffen geführten Fluchtgründen nach Sichtung der vorgelegten Beweismittel aufgrund näher dargestellter Widersprüchlichkeiten und teils nicht nachvollziehbarer Schilderungen die Asylrelevanz abgesprochen vergleiche die oben unter Punkt römisch eins.1.4. auszugsweise wiedergegebenen beweiswürdigenden Erwägungen des Asylgerichtshofs). Insoweit die beschwerdeführenden Parteien daher im gegenständlichen Verfahren ein Fortbestehen ihrer ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe ins Treffen führten, kann vollinhaltlich auf die oben wiedergegebenen Erwägungen des Asylgerichtshofs verwiesen werden. Ebensowenig konnten im vorangegangenen Verfahren Umstände glaubhaft gemacht oder von Amts wegen festgestellt werden, welche die Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Der Asylgerichtshof hat sich überdies mit den im Falle der beschwerdeführenden Parteien vorliegenden gesundheitlichen Leiden in umfassender Weise auseinandergesetzt und in diesen aufgrund der in der Russischen Föderation gegebenen Behandlungsmöglichkeiten kein Rückkehrhindernis erblicken können. Eine zwischenzeitliche wesentliche Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien ist aus den im Rahmen des nunmehrigen Verfahrens vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht ersichtlich, auch erstatteten die beschwerdeführenden Parteien selbst kein Vorbringen in diese Richtung. Die Zweitbeschwerdeführerin gab vielmehr an, zwischenzeitlich aufgrund ihrer Epilepsie-Erkrankung operiert worden zu sein und seit diesem Zeitpunkt unter keinen Anfällen mehr gelitten zu haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat darüber hinaus im Rahmen der angefochtenen Bescheide nachvollziehbare Feststellungen in Bezug auf die Erhältlichkeit der durch die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien konkret benötigten Medikamente in deren Herkunftsstaat getroffen, welchen sich das Bundesverwaltungsgericht vollinhaltlich anschließt. Auch seitens der beschwerdeführenden Parteien wurde eine Erhältlichkeit der Medikamente im Herkunftsstaat im Verfahrensverlauf nicht bestritten. Vielmehr wurde (lediglich) die Erschwinglichkeit der von der Zweitbeschwerdeführerin benötigten Medikamente angezweifelt. Diesbezüglich ist jedoch auszuführen, dass sich einerseits aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen ergibt, dass Epilepsie-Medikamente kostenfrei erhältlich sind vergleiche Seite 93 des Bescheides der Zweitbeschwerdeführerin); andererseits war es dieser seit ihrem vierten Lebensjahr bis zu ihrer Ausreise möglich, entsprechende Behandlung in verschiedenen Städten ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen und entsprechende Medikamente zu erhalten, weshalb der dahingehende Beschwerdeeinwand ins Leere geht.

Im Rahmen des nunmehrigen Verfahrens brachte der Erstbeschwerdeführer darüber hinaus erstmals vor, selbst an Kampfhandlungen im ersten Tschetschenienkrieg beteiligt gewesen zu sein. Zudem habe er vor rund einem Jahr damit begonnen, sich in Online-Medien kritisch gegenüber der russischen und tschetschenischen Regierung und den Verhältnissen in seiner Heimatregion zu äußern. Aus den genannten Gründen würde ihm im Falle einer Rückkehr Verfolgung asylrelevanter Intensität aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung sowie aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe drohen. Die Zweitbeschwerdeführerin berief sich auch im nunmehrigen Verfahren ausschließlich auf die Gründe ihres Ehemannes, im Hinblick auf den in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführer wurde ebenfalls kein individueller Verfolgungssachverhalt ins Treffen geführt. Im Übrigen wurde die neuerliche Antragstellung, wie dargelegt, mit gesundheitlichen Leiden der beschwerdeführenden Parteien und dem Wunsch einer entsprechenden Behandlung in Österreich begründet (siehe dazu auch unten Punkt 3.4.).

Im Hinblick auf das im gegenständlichen Verfahren erstmals erstattete Vorbringen bezüglich einer Beteiligung des Erstbeschwerdeführers am ersten Tschetschenienkrieg bleibt zunächst festzuhalten, dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb der Erstbeschwerdeführer jenen Umstand während seines ersten Verfahrens auf internationalen Schutz bewusst hätte verschweigen sollen, insbesondere wenn dieser in diesem Zusammenhang tatsächlich eine ihm im Falle einer Rückkehr drohende Verfolgung durch staatliche Behörden befürchtet. Keineswegs lebensnah erscheint es, einen im Hinblick auf ein Ansuchen um internationalen Schutz derart zentralen Sachverhalt bewusst zu verschweigen, zumal davon ausgegangen werden muss, dass eine schutzsuchende Person, dem Zweck eines Verfahrens auf internationalen Schutz entsprechend, die Gründe ihrer Flucht in umfassender Weise darlegt. Dass der Erstbeschwerdeführer den Umstand seiner Beteiligung am ersten Tschetschenienkrieg – sollte eine solche tatsächlich erfolgt sein – erstmals im vorliegenden Folgeverfahren auf internationalen Schutz ansprechen würde, erscheint demgegenüber in keiner Weise nachvollziehbar, sondern muss vielmehr von einem gesteigerten Vorbringen zum Zwecke der Schaffung eines Asylgrundes ausgegangen werden.

Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Erstbeschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinerlei plausiblen Erklärungsansatz für sein Aussageverhalten bieten konnte. So gab dieser auf diesbezüglichen Vorhalt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zunächst an, die in Frage stehenden Umstände im Rahmen seines ersten Verfahrens bewusst nicht angesprochen zu haben, da er mit der Vergangenheit abschließen habe wollen. Eine derartige Erklärung muss jedoch vor dem Hintergrund der Intention hinter der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz im Sinne der Erlangung eines Schutzstatus im Aufnahmeland als keinesfalls plausibel erachtet werden. Zu einem späteren Zeitpunkt seiner Einvernahme änderte der Erstbeschwerdeführer seine Erklärung dahingehend, im Rahmen seines Erstverfahrens keine Gelegenheit hinsichtlich einer umfassenden Schilderung seiner Fluchtgründe erhalten zu haben. Diesbezüglich zeigte die Behörde zutreffend auf, dass dieser Erklärungsansatz anhand der im Akt einliegenden Einvernahmeprotokolle keineswegs nachvollzogen werden kann, vielmehr ergibt sich aus den aufgenommenen Protokollen, dass der Erstbeschwerdeführer ausdrücklich nach dem Vorliegen weiterer Gründe gefragt wurde und dies verneinte. Der Erstbeschwerdeführer begründete seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich mit einer von privater Seite ausgehenden Blutrache gegenüber seiner Familie. Demgegenüber wiederum widersprüchlich wird im Rahmen der Beschwerdeschrift ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer seine Beteiligung am ersten Tschetschenienkrieg bislang aus Angst um seine Familie unerwähnt lassen hätte. Vor diesem Hintergrund muss jedenfalls von einer unglaubwürdigen Steigerung seiner Angaben ausgegangen werden, wobei die diesbezüglichen Erklärungsversuche des Erstbeschwerdeführers als bloße Schutzbehauptungen zu werten sind.

In diesem Zusammenhang war zu bemerken, dass der Erstbeschwerdeführer seine Beteiligung an Kampfhandlungen und damit allenfalls einhergehende Rückkehrbefürchtungen sowie eine regimekritische Einstellung im Rahmen seines ersten Verfahrens nicht lediglich unerwähnt lassen hat, sondern Derartiges explizit verneinte vergleiche etwa dessen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.02.2013, Verwaltungsakt, Seite 400: „F: Haben Sie zum Fluchtgrund sonst noch etwas zu sagen? Ich frage Sie jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe? A: Ich bin stolz, ein Tschetschene zu sein. Ich hatte keinerlei Probleme, weder mit den Leuten von Kadyrow, noch mit ihm persönlich. Ich hatte keine Probleme in Tschetschenien. Ich habe nur Angst von den Angehörigen des verstorbenen Mannes. Sonst hatte ich keine Probleme in meiner Heimat.“)

Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, ein zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt lassen (VwGH 7.6.2000, 2000/01/0250).

Dieses Ergebnis wird fallgegenständlich, wie bereits seitens der belangten Behörde dargelegt, noch dadurch verstärkt, dass der Erstbeschwerdeführer auch noch anlässlich der im Rahmen des nunmehrigen Verfahrens stattgefundenen Erstbefragung ausdrücklich zu Protokoll gab, anlässlich seines ersten Verfahrens auf internationalen Schutz bereits alles angegeben zu haben vergleiche Seite 819 des seine Person betreffenden Verwaltungsakts).

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine allfällige Beteiligung des Erstbeschwerdeführers an Kampfhandlungen im ersten Tschetschenienkrieg keinen neu entstandenen Sachverhalt darstellt und sohin von der Rechtskraft des Erstverfahrens umfasst wäre.

In Bezug auf das darüber hinaus fallgegenständlich erstattete Vorbringen hinsichtlich einer dem Erstbeschwerdeführer in seiner Heimat drohenden staatlichen Verfolgung aufgrund während des letzten Jahres im Internet erstatteter regimekritischer Äußerungen ist vorweg festzuhalten, dass der Erstbeschwerdeführer aufgrund seines oben dargestellten Aussageverhaltens einen persönlich höchst unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen hat, vor dessen Hintergrund auch der Wahrheitsgehalt jenes Vorbringen anzuzweifeln ist. Darüber hinaus ist der Behörde dahingehend beizupflichten, dass sich die diesbezüglichen Schilderungen des Erstbeschwerdeführers zum Teil als widersprüchlich erwiesen haben und dieser konkrete Nachfragen teils nicht in plausibler Weise beantworten konnte.

Im Übrigen würde sich alleine aus der Tätigung kritischer Äußerungen in Online-Medien – auch im Falle einer diesbezüglichen Wahrunterstellung – noch kein reales Risiko hinsichtlich einer dem Erstbeschwerdeführer aus diesem Grund im Falle einer Rückkehr tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden staatlichen Verfolgung ergeben. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Tschetschenien im Zusammenhang mit online getätigten kritischen Äußerungen in jüngerer Vergangenheit in einigen Fällen zu schwerwiegenden Repressalien gekommen ist, wie sich aus dem im Rahmen der Beschwerdeschrift angeführten Artikel der Zeitung The Guardian vom 10.10.2016 ergibt.

Der Erstbeschwerdeführer konnte jedoch fallgegenständlich keinerlei glaubhaften Hinweise dafür bieten, dass er – sollte er sich in den von ihm genannten Online-Medien tatsächlich betätigt haben – aus diesem Grund bereits individuell in das Visier tschetschenischer Behörden geraten ist oder ihm dies im Falle einer Rückkehr drohen würde.

Diesbezüglich hat die Behörde zunächst in zutreffender Weise die widersprüchlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers im Hinblick auf Zeitpunkt und nähere Umstände der Suche nach seiner Person durch die tschetschenische Polizei als gegen eine Glaubwürdigkeit einer diesem drohenden Verfolgungsgefahr sprechend gewertet. Der Erstbeschwerdeführer gab anlässlich seiner Erstbefragung im Februar 2016 an, rund drei Monate zuvor – sohin im Dezember 2015 – von seiner Mutter darüber informiert worden zu sein, dass tschetschenische Polizisten nach ihm gefragt hätten. Demgegenüber sprach er anlässlich seiner Einvernahme vor der belangten Behörde im Mai 2016 davon, dass seine Mutter rund acht bis neun Monate zuvor von der Polizei aufgesucht worden wäre, was einem Zeitraum zwischen September und Oktober 2015 entspräche. Der belangten Behörde ist beizupflichten, dass es wenig plausibel erscheint, weshalb die Mutter des Erstbeschwerdeführers diesen erst rund zwei bis drei Monate nach besagtem Vorfall über die Nachfragen der Polizisten hätte informieren sollen. Im Rahmen der Beschwerdeschrift wird gegenüber den vorherigen Angaben wiederum divergierend ausgeführt, dass die Mutter des Erstbeschwerdeführers im Winter 2015 durch die tschetschenische Bezirkspolizei aufgesucht worden sei und dem Erstbeschwerdeführer diesen Umstand sogleich mitgeteilt hätte.

Überdies hat der Erstbeschwerdeführer auch hinsichtlich des behauptetermaßen erhaltenen Videos insofern divergierende Angaben erstattet, als er zunächst ins Treffen geführt hat, dieses zugesandt bekommen zu haben, seine Angaben später jedoch dahingehend änderte, dass dieses ins Internet gestellt worden wäre. Nähere Angaben über den hierfür Verantwortlichen vermochte der Erstbeschwerdeführer nicht zu erstatten.

Anzumerken bleibt auch, dass es dem Erstbeschwerdeführer im Falle seiner tatsächlichen Betätigung in Online-Medien auch offen gestanden wäre, dies durch entsprechende Beweismittel zu untermauern, etwa durch die Vorlage von Internet-Ausdrucken oder Ähnlichem.

Der Eindruck, dass den gegenständlichen Folgeanträgen seitens des Erstbeschwerdeführers ein wahrheitswidriges Vorbringen zugrunde gelegt wurde, wird durch die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiter untermauert:

Auffällig war dabei, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Hinblick auf die Gründe ihrer Ausreise primär die gesundheitlichen Probleme ihrer eigenen Person sowie ihres Mannes ins Treffen führte und dabei erklärte, über die darüberhinausgehenden Probleme ihres Mannes nicht informiert zu sein. Insbesondere wisse sie auch nichts über eine Suche nach ihrem Mann durch die tschetschenischen Behörden. Ihre nunmehrige Folgeantragstellung begründete diese mit ihrer aktuell problematischen Wohn- bzw Versorgungssituation vergleiche etwa Seiten 1412 f des ihre Person betreffenden Verwaltungsaktes: „[…] F: Was hat Ihr Mann Ihnen erzählt? A: Mein Mann hat mir erzählt, dass er sich Sorgen macht. Aber warum genau, hat er mir nicht gesagt. Über seinen Gesundheitszustand weiß ich Bescheid. Über die anderen Probleme weiß ich nicht Bescheid. F: Warum haben Sie einen Folgeantrag gestellt? A: Unsere Zeit ist abgelaufen. Wir konnten keinen neuen Platz zum Wohnen finden. […] F: Wann haben Sie erfahren, dass die tschetschenische Polizei nach Ihrem Mann sucht? A: Ich weiß nicht, dass die tschetschenische Polizei ihn sucht. […] F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? […] A: Mein Mann und ich hatten Probleme mit der Gesundheit. Es ist zwar zurzeit kein Krieg mehr. Die Folgen des Krieges sind aber überall noch spürbar. […] Außerdem gibt es dort keine normalen Kindergärten und Schulen. Es ist gefährlich, die Kinder aus dem Haus zu lassen. Einen anderen Grund weiß ich nicht. […]“).

Es erscheint – auch unter Berücksichtigung des kulturellen Kontexts sowie des Gesundheitszustandes der Zweitbeschwerdeführerin – keineswegs lebensnah, dass diese – im Falle einer tatsächlich vorliegenden Verfolgungsgefahr von staatlicher Seite, welche Grund für die ursprüngliche Ausreise bzw die nunmehr gestellten Folgeanträge auf internationalen Schutz gewesen sein soll – nicht einmal in grundlegender Weise über jene Gründe bzw die Probleme ihres Mannes Bescheid wissen würde. Vielmehr wäre anzunehmen, dass sich diese bei ihrem Mann, sollte dieser ihr tatsächlich von sich aus nichts berichten, bezüglich der Gründe ihrer Ausreise bzw der neuerlichen Antragstellung erkundigen würde. Der Umstand, dass die Zweitbeschwerdeführerin keinerlei Angaben zu den Problemen ihres Mannes erstatten konnte, untermauert den Eindruck, dass der Erstbeschwerdeführer keinen wahren Sachverhalt geschildert hat. Auch der Erstbeschwerdeführer selbst brachte mit diesem Ergebnis in Einklang stehend anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2016 hinsichtlich der Gründe seiner Folgeantragstellung unter anderem vor vergleiche Verwaltungsakt, Seite 931: „[…] Ich war praktisch gezwungen, einen Folgeantrag zu stellen. Wir waren auf der Straße mit einem kleinen Kind ohne Unterkunft. […]“).

In einer Gesamtschau der vorliegenden Umstände – der rechtskräftig abgeschlossenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz, welche seitens des Erstbeschwerdeführers auf einen gänzlich anderen Sachverhalt gestützt worden waren, damit einhergehend einer im hohen Maße persönlichen Unglaubwürdigkeit seiner Person, der auch im nunmehrigen Verfahren aufgetretenen Widersprüche, der Nichtvorlage von Beweismitteln, sowie der Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin, welche ausdrücklich die gesundheitlichen Probleme als ausreisekausal ins Treffen führte – wird davon ausgegangen, dass der Erstbeschwerdeführer in seiner Heimat weder in der Vergangenheit, noch im Falle einer aktuellen Rückkehr eine Verfolgung maßgeblicher Intensität zu befürchten hätte. In Übereinstimmung mit der belangten Behörde sowie des Asylgerichtshofs wird davon ausgegangen, dass der Grund der Ausreise der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien aus ihrer Heimat in ihrer gesundheitlichen Situation und dem Wunsch nach einer qualitativen medizinischen Behandlung begründet lag und die nunmehrigen Folgeanträge lediglich zum Zwecke der Verhinderung einer Abschiebung bzw. in Zusammenhang mit ihrem Umzug von Tirol nach römisch 40 gestellt wurden, ohne dass diesen ein neu entstandener asylrelevanter Sachverhalt zugrunde gelegen hat.

Diesem Ergebnis vermochten die beschwerdeführenden Parteien auch mit ihren Ausführungen in der Beschwerdeschrift in keinster Weise entgegenzutreten. Fallgegenständlich wird den beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in der Beschwerdeschrift nicht substantiiert entgegengetreten, insbesondere lässt diese jegliche mögliche Erklärung für die durch die Behörde angeführten Widersprüche und das dargestellte Aussageverhalten des Erstbeschwerdeführers vermissen und können dieser ebensowenig eine Konkretisierung des bisherigen Vorbringens bzw. neue Sachverhaltsaspekte entnommen werden.“

Zur Frage des Eingriffs in das Privat- und Familienleben begründete das Bundesverwaltungsgericht seine abweisende Entscheidung wie folgt:

„In Österreich lebt ein Bruder des Erstbeschwerdeführers gemeinsam mit seiner Familie. Die beschwerdeführenden Parteien leben seit Februar 2016 vorübergehend in dessen Wohnung in römisch 40 und werden von ihm finanziell unterstützt. Davor waren die beschwerdeführenden Parteien in Tirol wohnhaft. Ein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu dem genannten Bruder wurde zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens behauptet. Darüber hinaus verfügen die beschwerdeführenden Parteien über ein Familienleben lediglich untereinander. Da jedoch für alle beschwerdeführenden Parteien mit heutigem Tage eine gleichlautende Entscheidung ausgesprochen wurde und eine Rückkehr nur gemeinsam erfolgen wird, handelt es sich insoweit nicht um einen Eingriff in das Familienleben.“

…Die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien stellten am 22.09.2012 erste Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, über welche mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofs vom 01.08.2013 jeweils rechtskräftig negativ abgesprochen wurde. Die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien verblieben dennoch im Bundesgebiet und brachten am 11.02.2016 die verfahrensgegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz ein. Der Drittbeschwerdeführer wurde im August 2015 im Bundesgebiet geboren. Ihr bisheriger Aufenthalt im Bundesgebiet war ihnen bis jetzt nur durch diese Anträge auf internationalen Schutz möglich und musste ihnen bekannt sein, dass die damit verbundene sogenannte vorübergehende Aufenthaltsberechtigung lediglich ein Aufenthaltsrecht nur für die Dauer des Asylverfahrens darstellt. Es war demnach vorhersehbar, dass es im Falle einer negativen Entscheidung zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Dies umso mehr, da in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin bereits rechtskräftig negative Entscheidungen über deren erste Anträge auf internationalen Schutz vorgelegen haben.

Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich die BeschwerdeführerInnen nicht darauf verlassen konnten, ihr Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, sich also zum Zeitpunkt, in dem das Privatleben entstanden ist, des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätten müssen.

Die unbescholtenen erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien, welche sich seit knapp vier Jahren in Österreich befinden, sind in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig und leben von der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer besuchte einen Deutschkurs, in Österreich lebt, wie dargelegt, einer seiner Brüder gemeinsam mit seiner Familie. Überdies machten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin den Wunsch nach einer Weiterbehandlung ihrer gesundheitlichen Leiden in Österreich geltend. Darüber hinaus wurden im gegenständlichen Verfahren keine Integrationsbemühungen oder sonstigen Bindungen zu Österreich ins Treffen geführt.

Ein besonderes Maß an sozialer und wirtschaftlicher Integration haben die beschwerdeführenden Parteien daher gesamtbetrachtend nicht dargetan. Die Beziehungen der beschwerdeführenden Parteien zu Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt insgesamt relativ schwach ausgeprägt, während sie in ihrem Herkunftsstaat, in welchem der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin den weit überwiegenden Teil ihres bisherigen Lebens verbrachten, über enge familiäre Bindungen sowie über eine Wohnmöglichkeit, Kenntnisse der Amtssprache und abgeschlossene Schulbildung verfügen. Wie an anderer Stelle dargelegt, bestehen auch im Herkunftsstaat Behandlungsmöglichkeiten für die diagnostizierten Krankheitsbilder und sind die benötigten Medikamente auch dort erhältlich. Ein Vergleich der Situation der Lebensumstände der Familie in Österreich zu ihrer Situation im Herkunftsstaat macht ein deutliches Überwiegen ihrer nach wie vor vorhandenen engen Bindungen zum Herkunftsstaat ersichtlich.

Beim Drittbeschwerdeführer handelt es sich um ein einjähriges Kind, welches auf Fürsorge und Unterstützung seiner Eltern angewiesen ist. Im Rahmen der Beschwerdeschrift in Bezug auf den Drittbeschwerdeführer ins Treffen geführte ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen wiederum nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 8. 7. 2003, 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 Paragraph 1666, Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet das persönliche Interesse derselben am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Artikel 8, EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.“

3. Drittes Verfahren (rechtskräftig abgeschlossen):

Am 23. Februar 2017, sohin nicht einmal einen Monat danach, stellten der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und den minderjährigen Drittbeschwerdeführer Folgeanträge auf internationalen Schutz.

Dabei gab der Erstbeschwerdeführer vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge der Erstbefragung zum Grund für die neuerliche Antragstellung an, er habe gestern über die DIAKONIE erfahren, dass er einen rechtskräftig negativen Bescheid erhalten habe. Die alten Gründe seien nach wie vor aufrecht, er möchte beim nächsten Interview noch einiges erzählen. Befragt nach seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr gab der Erstbeschwerdeführer an, in Tschetschenien sei es für ihn und seine Familie gefährlich. Die Änderungen der Situation bzw. seiner Gründe seien ihm seit seiner Einreise in Österreich bekannt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge ihrer Erstbefragung am selben Tag an, die alten Gründe würden aufrecht erhalten bleiben. Ihr Gatte habe gestern einen negativen Bescheid erhalten. Nach Tschetschenien könnte sie nicht zurückkehren, weil sie, die Zweitbeschwerdeführerin hier in Österreich kostenlos teure Medikamente erhalte. Die Änderungen ihrer Situation seien ihr seit ihrer Einreise in Österreich bekannt.

Mit Verfahrensanordnungen vom 1. März 2017 wurde den Beschwerdeführern mitgeteilt, dass seitens der belangten Behörde beabsichtigt ist, ihre Anträge wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und über die Beschwerdeführer eine Meldeverpflichtung erlassen.

Am 11. Mai 2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor der EAST-Ost statt. Der Erstbeschwerdeführer erklärte zu Beginn nach erfolgter Rechtsberatung, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren.

Nach Darlegung seines Werdegangs, seiner familiären und wirtschaftlichen Situation im Herkunftsstaat und in Österreich führte der Erstbeschwerdeführer befragt zu den Gründen für seine neuerliche Antragstellung aus, er habe diesen dritten Asylantrag gestellt, da er in Österreich bleiben möchte. Er habe früher versucht nur mündlich zu beweisen, dass eine Rückkehr gefährlich sei. Er habe damals gegen Russland und die Politik Kadyrovs gekämpft. Befragt, ob er Beweise für seinen Fluchtgrund vorlegen könne, gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei damals unter einem anderen Namen bekannt gewesen. Vielleicht sei er deswegen nicht gesucht worden. Er habe sich im Jahre 2002 neue Dokumente ausstellen lassen. Es gebe viele Männer, die anerkannte Flüchtlinge seien, die auch gekämpft hätten. Diese könnten bestätigen, wer er gewesen sei. Dokumente als Beweis besitze er nicht. Er könne nicht nach Tschetschenien zurückkehren, solange Kadyrov an der Macht sei. Er habe jetzt Familie, seine Gattin, sein erstes Kind und das zweite Kind. Er habe dieselben Fluchtgründe wie damals. In Österreich habe er versucht mit politischen Mitteln gegen Kadyrov zu kämpfen. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er verhaftet oder umgebracht zu werden. Er werde weiter gegen Kadyrov kämpfen.

Der Erstbeschwerdeführer verzichtete zu dem ihm vorgehaltenen Länderbericht Stellung zu beziehen, er könne gar nichts sagen, da er nichts beweisen könne.

Über Vorhalt, wonach seine Fluchtgründe aus der Einvernahme keinen glaubhaften Kern aufweisen würden, seit dem Erst- und Zweitverfahren die unveränderten Fluchtgründe nicht asyl- non-refoulment- oder entscheidungsrelevant seien, er mit seiner Folgeantragstellung einerseits die neuerliche Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache, andererseits die Außerlandesbringung verzögert oder verhindert werden solle, führte der Erstbeschwerdeführer aus, er werde in Tschetschenien umgebracht, falls er zurückkehre. Beweise könne er keine vorlegen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu Beginn ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde an, sie fühle sich physisch und psychisch in der Lage, der Einvernahme zu folgen, ihre Erkrankungen, insbesondere die Epilepsie sei bekannt und sie sei im fünften Monat schwanger. Die Schwangerschaft verlaufe ohne Probleme, sie habe öfters Nasenbluten. Ihr minderjähriges Kind sei gesund.

Ihre bisherigen Angaben entsprechen der Wahrheit. Die Zweitbeschwerdeführerin erstattete sodann ihre familiäre Situation im Herkunftsland und gab an, dass nach wie vor regelmäßig Kontakt zu ihren Angehörigen bestehe.

Befragt nach den Gründen für die neuerliche Antragstellung führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, sie könnten wegen der Probleme ihres Mannes auf keinen Fall nach Hause fahren. Sie persönlich habe keine neuen Gründe. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, dass sie ihre Familie verliere. Ihr Gatte bekomme neue Probleme, die sie lediglich vermuten könne, sicher wisse sie dies nicht. In Tschetschenien gebe es keinen Krieg, aber es würde Kinder und Männer über 14 Jahre spurlos verschwinden. Über die Probleme ihres Gatten wisse sie nichts. Beweise hiefür könne sie ebenfalls nicht vorlegen. Sie wisse nur das, was ihr Gatte ihr sage.

Über Vorhalt der ihr übermittelten Verfahrensanordnung, wonach ihr Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde, gab die Zweitbeschwerdeführer an, sie leide seit Jahren an Epilepsie. Sie habe keine medizinische Behandlung in der Klinik in römisch 40 erhalten, lediglich Tabletten. In Österreich habe sie hingegen eine medizinische Behandlung erhalten. Sie benötige diese Behandlung, sie wisse, dass es teure Medikamente seien. In Tschetschenien würde sie diese nicht erhalten und würde nicht richtig behandelt werden.

3.2. Mit den Bescheiden Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom jeweils 23. Mai 2017 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 23. Februar 2017 gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchteil römisch II. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurden erneut eine Rückkehrentscheidungen gemäß Paragraph 52, Absatz 3, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Unter Spruchteil römisch III. wurde gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt.

Die Bescheide wurde im Wesentlichen damit begründet, dass entschiedene Sache vorliege, das Vorbringen in einem rechtskräftig beendeten Verfahren bereits als nicht glaubwürdig erachtet worden sei und die neuerliche Antragstellung nicht geeignet sei, an dieser Einschätzung etwas zu ändern. Im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer und der Integration hätten sich für die belangte Behörde keine Umstände ergeben, die zu einer anderen Einschätzung als in den rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahren geführt hätten.

Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3.3. Mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.06.2017, Zln. römisch 40 wurden A) die Beschwerden gemäß Paragraph 28, Absatz 2, Ziffer eins, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 68, Absatz eins, AVG, Paragraph 57, AsylG 2005, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, Paragraph 52, Absatz 2, FPG 2005, Paragraph 52, Absatz 9, FPG, Paragraph 46, FPG, Paragraph 55, Absatz eins a, FPG als unbegründet abgewiesen und B) die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG für nicht zulässig erklärt.

Begründend traf das Bundesverwaltungsgericht insbesondere die folgenden Ausführungen:

„(…) Im Rahmen des ersten und zweiten Rechtsganges wurde das Vorbringen der Beschwerdeführer zu den (behaupteten) Fluchtgründen einer umfassenden Beurteilung unterzogen. Dabei wurde verneint, dass die Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung im asylrelevanten Ausmaß ausgesetzt wären, dies aufgrund der festgestellten Unglaubwürdigkeit der Angaben. Auf die im Verfahrensgang wiedergegebenen Entscheidungen des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 2013 und 3. Februar 2017 wird verwiesen, in denen ausführlich dargelegt wurde, warum den Beschwerdeführern keine Verfolgung iSd. Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Im dritten, nunmehrigen Antrag haben sich die Beschwerdeführer auf dasselbe Vorbringen wie in den rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren bezogen und gemeint, dass unvermindert die im Erstverfahren geschilderte Verfolgung im Herkunftsstaat bestehe, Beweise könnten sie keine vorlegen.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid vollkommen zu Recht ausgeführt, dass die Beschwerdeführer sich auf dieselben Gründe beziehen, die bereits vor Rechtskraft des ersten Verfahrens bestanden haben, weshalb diese nicht geeignet sind, einen neuen Antrag zu begründen, sondern vielmehr die Rechtskraft der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Februar 2017 einer neuerlichen Sachentscheidung entgegensteht.

Der erkennende Richter sieht dem zu Folge keinerlei Grund, von der Einschätzung im rechtskräftigen, inhaltlichen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Februar 2017 abzuweichen, dass nämlich die Beschwerdeführer ihren Herkunftsstaat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen haben.

Die Beschwerdeführer haben im gegenständlichen Verfahren kein Beweismittel vorgelegt, sondern neuerlich auf das Vorbringen aus dem ersten Verfahren verwiesen.

Die belangte Behörde ist im Lichte des Gesagten vollkommen zutreffend davon ausgegangen, dass das Beharren auf diesem Vorbringen diesem nicht mehr Glaubwürdigkeit verleihen kann, ist doch, wie dargelegt, das Vorbringen der Beschwerdeführer dem Grunde nach, nämlich eine Verfolgung des Erstbeschwerdeführers, im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren als unglaubwürdig beurteilt worden.

Nochmals ist in diesem Zusammenhang in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zu betonen, dass die Antragstellung just zu jenem Zeitpunkt stattfand, als die neuerliche Frist zur Ausreise der Beschwerdeführer abgelaufen ist.

Sämtliche Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, die schlussendlich zur Wertung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens gelangten, konnten keinesfalls widerlegt werden. Das Bundesamt ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Angaben zur behaupteten Verfolgung im Herkunftsstaat auch im Lichte der neuerlichen Antragstellung nicht glaubhaft sind und von keinem glaubhaften Kern auszugehen ist.

Die Beschwerdeführer haben weder in den Einvernahme vor dem Bundesamt noch in der Beschwerde konkret dargelegt, inwieweit sich die allgemeinen Lage im Herkunftsstaat im Vergleich zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2017 derart verändert haben soll, dass nunmehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung bzw. Gefährdung der Beschwerdeführer auszugehen sein soll. Der Erstbeschwerdeführer verzichtete auch auf eine Stellungnahme.

Weiters ist auszuführen, dass sich ein Antrag auf internationalen Schutz auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet und daher auch Sachverhaltsänderungen die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen sind vergleiche VwGH 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344).

Auch im Hinblick auf Artikel 3, EMRK ist nicht erkennbar, dass die Rückführung der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat zu einem unzulässigen Eingriff führen würde und sie bei einer Rückkehr in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihnen jedwede Lebensgrundlage fehlen würde. Es haben sich keine Hinweise auf eine schwerwiegende bzw. lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigung der Beschwerdeführer ergeben. Auch der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer hat sich seit rechtskräftigem Abschluss des Erst- und Zweitverfahrens nicht entscheidungswesentlich verändert, wobei in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, dass die Schwangerschaft ohne Probleme verläuft und im momentanen Zustand (die Zweitbeschwerdeführerin ist im 6. Monat) eine Ausreise auch zumutbar ist.

In den Erkenntnissen vom 3. Februar 2017 wurde bezugnehmend auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer umfassend dargelegt, dass diese nicht geeignet sind, eine Verletzung von Artikel 3, EMRK im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation zu begründen, zumal adäquate Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation vorhanden sind.

Wie im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren waren die Beschwerdeführer unverändert darauf zu verweisen, dass ihnen für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Bestreitung ihres lebensnotwendigen Unterhalts zumutbar ist.

Die Beschwerdeführer verkennen offensichtlich, dass durch die Rechtskraft einer Entscheidung deren Überprüfung oder Wiederholung jedenfalls unzulässig und ausgeschlossen ist. Bescheide, die – selbst auf einer unvollständigen Sachverhaltsbasis ergangen – in Rechtskraft erwachsen sind, sind verbindlich. Im gegenständlichen Fall ist jedenfalls eine andere Beurteilung der seinerzeit im ersten Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu einem anderen Spruch führen würden, von vornherein als ausgeschlossen zu qualifizieren.

Im gegenständlichen Fall sind die Beschwerdeführer im Jahre 2012 nach Österreich eingereist und beruhte ihr Aufenthalt auf mittlerweile drei Anträgen auf internationalen Schutz, die sich jedoch als nicht berechtigt erwiesen haben.

Bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2017 wurde berücksichtigt, dass die Beschwerdeführer in Österreich integrative Schritte gesetzt haben und ihr Kind den Kindergarten besucht. Auch hat sich das Bundesverwaltungsgericht in diesen Erkenntnissen umfassend mit der Anpassungsfähigkeit des minderjährigen Beschwerdeführers auseinandergesetzt und eine Wiedereingliederung und (Re)Sozialisierung für möglich befunden.

Die Beschwerdeführer verfügen auch über starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo sie ihr Leben bis zur Ausreise verbracht haben, die Landessprache sprechen und ihre Schulbildung genossen haben. Sie haben Familienangehörige und weitere Verwandte im Herkunftsstaat. Eine Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft ist – auch mit Unterstützung ihrer dortigen Verwandten – jedenfalls zumutbar. Der Erstbeschwerdeführer war auch beruflich im Herkunftsstaat tätig, während die Beschwerdeführer in Österreich von der Grundversorgung leben, nach wie vor nicht selbsterhaltungsfähig sind und der Erstbeschwerdeführer in Österreich noch keiner legalen Erwerbstätigkeit nachging. Die neuerliche Antragstellung vermag an der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts in den bisherigen Erkenntnissen vom 3. Februar 2017 nichts zu ändern.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Artikel 8, EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. (…)“

4. Gegenständliche Verfahren auf internationalen Schutz:

4.1. Am römisch 40 wurde der nunmehrige Viertbeschwerdeführer als Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren, für welchem mit schriftlicher Eingabe vom 05.10.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz durch seine gesetzlichen Vertreter gestellt wurde, in welchem ausgeführt wurde, dass der Neugeborene über keine eigenen Rückkehrbefürchtungen verfüge, sondern sich ausschließlich auf die Gründe seiner gesetzlichen Vertreter beziehe.

Am 16.10.2017 stellten auch die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien neuerliche Anträge auf internationalen Schutz.

Anlässlich der am gleichen Tag abgehaltenen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie habe sich seit Abschluss ihres vorangegangenen Verfahrens durchgehend in Österreich aufgehalten und könne die Frage nach den Gründen ihrer nunmehrigen neuerlichen Antragstellung nicht beantworten; diese müsste man ihrem Mann stellen. Ihr Mann erzähle ihr nichts, damit sie sich keine Sorgen mache. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen führte sie an, sie habe Gesundheitsprobleme, weil sie so vergesslich sei. Sie sollte ständig unter Beobachtung sein und wolle ihre Kinder in einem friedlichen Land großziehen. Sie wisse nur, dass ihr Mann nicht in die Heimat zurückkehren dürfe; mehr könne sie nicht angeben. Vorgelegt wurde eine mit dem 16.10.2017 datierte Vollmachtsurkunde des Vereins römisch 40 .

Mit Ladungen vom 14.06.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für den 25.07.2018 zu einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geladen. Aus den in den Verwaltungsakten einliegenden Rückscheinen ergibt sich, dass eine ordnungsgemäße Zustellung jener Ladungen an den zustellbevollmächtigten Verein römisch 40 erfolgt ist.

Nachdem die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien den Einvernahmeterminen unentschuldigt ferngeblieben waren, wurden die Genannten mit Schreiben vom 26.07.2018 neuerlich zu – für den 05.09.2018 – angesetzten Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geladen, wobei diese Ladungen laut Anschreiben an die Meldeadresse der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien persönlich an diese zuzustellen sei und nicht an den Zustellungsbevollmächtigten. Auf den in den Verwaltungsakten einliegenden Ausfertigungen der Ladungen findet sich jeweils der handschriftliche Vermerk „versendet 26.07.2018 Rsa.“ Mangels im Akt einliegender Rückscheine lässt sich eine tatsächlich erfolgte Zustellung (ob rechtmäßig oder unrechtmäßig) der Ladungen für den 05.09.2018 nicht eruieren. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin blieben auch dem neuerlichen Ladungstermin fern.

Am römisch 40 wurde der nunmehrige Fünftbeschwerdeführer als Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren, für welchen seine gesetzlichen Vertreter mit schriftlicher Eingabe vom 21.09.2018 um die Gewährung internationalen Schutzes ansuchten, dies unter der Angabe, dass das Kind über keine eigenen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen verfüge und sich ausschließlich auf die Gründe seiner Eltern beziehe.

4.2. Mit den Bescheiden vom 20.09.2018 (Erst- bis Viertbeschwerdeführer) sowie vom 05.10.2018 (Fünftbeschwerdeführer) hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz vom 16.10.2017 (Erst- bis Drittbeschwerdeführer) bzw. vom 05.10.2017 (Viertbeschwerdeführer) bzw. vom 21.09.2018 (Fünftbeschwerdeführer) bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte römisch eins.) und die Anträge gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG jeweils nicht erteilt (Spruchpunkte römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3 AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkte römisch IV.) und wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkte römisch IV.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkte römisch VI).

Im Rahmen der Entscheidungsbegründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Identität und Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien fest und traf Feststellungen zur Lage in deren Herkunftsstaat. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hätte sich seit Rechtskraft ihres ersten Asylverfahrens nicht geändert. Im Hinblick auf die Erstbefragung werde festgestellt, dass das neuerliche Vorbringen auf das frühere Fluchtvorbringen aufbaue bzw. dieselben Fluchtgründe geltend gemacht worden wären. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten ihre Mitwirkungspflichten verletzt, indem sie zweimaligen Ladungen im Rahmen des Parteiengehörs nicht nachgekommen wären. Der relevante Sachverhalt habe für die Behörde auch ohne erneute mündliche Einvernahme festgestellt werden können. Es werde daher festgestellt, dass keines der Familienmitglieder im Heimatland einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder dies im Fall einer Rückkehr zu gewärtigen hätte. Weder die Zweitbeschwerdeführerin, noch die minderjährigen Kinder, würden eigene Fluchtgründe aufweisen.

Beweiswürdigend wurden hierzu im Verfahren des Erstbeschwerdeführers insbesondere die folgenden Ausführungen getroffen:

„(…) Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat sich seit Rechtskraft Ihres ersten Asylverfahrens nicht geändert.

Während Ihrer nunmehr vier Asylverfahren behaupteten Sie zunächst, dass Sie aufgrund einer Blutrache aus Ihrer Heimat geflohen wären. Während Ihres zweiten Verfahrens behaupteten Sie die tschetschenische Regierung in verschiedenen Internetforen kritisiert zu haben. Während Ihres dritten Verfahrens gaben Sie nunmehr an, in Tschetschenien gegen Kadyrovs Politik gekämpft zu haben und dieser Sie nun verfolgen würde.

Alle Ihre Behauptungen wurden sowohl von der Behörde als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als unglaubhaft befunden.

Bei Ihrer Erstbefragung in Ihren nunmehr vierten Verfahren gaben Sie erneut an, keine neuen Fluchtgründe zu haben. Die Behörde versuchte Ihnen, trotz unveränderter Lage in Ihrem Herkunftsland und trotz Ihrer Angabe keinerlei neue Fluchtgründe zu haben, zweimal mittels Ladung zur Einvernahme die Möglichkeit des Parteiengehörs zu geben. Sie kamen diesen Ladungen unentschuldigt nicht nach, woraus die Behörde schließt, dass Sie einerseits keine neuen Fluchtvorbringen oder Rückkehrbefürchtungen haben und andererseits Ihren Mitwirkungspflichten am Verfahren nicht nachkommen, mit dem Ziel Ihr Asylverfahren und Ihren weiteren Verbleib in Österreich unrechtmäßig zu verlängern.

Zum Ausbleiben des Parteiengehörs sei auch angeführt, dass es seit Ihrer Erstbefragung am 16.10.2017 zu keinen wesentlichen Änderungen betreffend die Sicherheitslage in Ihrem Heimatland gekommen ist. Der Grund für die Zulassung zu einem neuerlichen Verfahren erfolgt einzig und allein aufgrund der Geburt Ihres Sohnes römisch 40 – IFA: römisch 40 . Jedoch erwächst durch die Geburt Ihres zweiten Kindes keinerlei neue Gefahr für Sie oder ein anderes Mitglied Ihrer Familie im Falle einer Rückkehr. Sie legten auch keinerlei medizinischen Befunde vor, dass eine Rückkehr Ihrerseits oder die eines Mitglieds Ihrer Familie aufgrund einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht zumutbar sei. Betreffend Ihre in den Vorverfahren angegebenen Erkrankungen wurde bereits im letzten Verfahren mit Verweis auf eine Anfrage der Staatendokumentation dargelegt, dass sowohl eine medizinische Behandlung wie auch die von Ihnen angeführten Medikamente in der Russischen Föderation erhältlich sind. Es liegen der Behörde keine Informationen vor, wonach sich Ihr Gesundheitszustand derart verschlechtert hätte, dass eine Rückkehr in Ihr Heimatland Ihnen und Ihrer Familie nicht mehr zumutbar wäre.

Auch ergeben sich auch durch die Geburt Ihres zweiten Sohnes keinerlei neuen Asylgründe. Obschon dieser am römisch 40 und somit nach den Entscheidungen des BFA und des BVwG geboren wurde, war Ihre Frau zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides bzw. des Erkenntnis bereits schwanger und wurde dies, also die zukünftige Geburt Ihres Kindes, in die Entscheidungen der Behörde und des BVwGs mit einbezogen. Jedenfalls wäre es auch nicht ersichtlich, wieso die Geburt Ihres zweiten Kindes Auswirkungen auf die Ihrer Rückkehr haben könnte, zumal dies auch bei Ihrem ersten Kind nicht der Fall war.

Zusätzlich sei angemerkt, dass der Zeitraum zwischen Erstbefragung und Bescheiderlassung nicht derart erheblich ist, dass sich automatisch neue Gründe für eine Asylgewährung ergeben würden bzw. dies einer weiteren Einvernahme vor der Behörde erfordern würde. Vor allem im Hinblick auf Ihr drei vorherigen Verfahren. Sie bleiben im Wesentlichen während sämtlicher Verfahren bei Ihren Fluchtgründen, steigerten diese lediglich während der Verfahren auf unglaubhafte Weise und gaben bei der Erstbefragung im gegenständlichen Verfahren an, keine neuen Fluchtgründe zu haben. Die Behörde hat somit keinen Grund zu der Annahme, dass sich an Ihren Flucht- bzw. Rückkehrbefürchtungen etwas geändert haben könnte.

Es existieren unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände, welche gegen eine Ausweisung von Ihnen aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich nach Tschetschenien bzw. die Russische Föderation sprechen würden. Sie sind das Mitglied einer großer Familie, welche im Falle der Rückkehr als soziales Auffangnetz zur Verfügung stünde. Selbst wenn Sie über kein Auffangnetz der Familie verfügen würden, würde Ihnen Sozialhilfe zustehen. (…)“

Es habe nicht festgestellt werden können, dass eines der Familienmitglieder eine besondere Integrationsverfestigung im Bundesgebiet aufweise oder an einer psychischen oder physischen Beeinträchtigung leide, vor deren Hintergrund eine Rückkehr in das Heimatland nicht zumutbar wäre. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin würden nach einer Rückkehr in keine wirtschaftlich aussichtslose Lage geraten, da sie auch vor ihrer Ausreise zu einer Finanzierung ihres Lebensunterhalts in der Lage gewesen wären und nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsland aufweisen würden.

In rechtlicher Hinsicht wurde von der Erstinstanz ausgeführt, eine asylrelevante Verfolgung habe von den Beschwerdeführern nicht glaubhaft gemacht werden können. Auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ergäben sich keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK zur Gewährung von Asyl führe. Den Angaben der Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer Fluchtgründe hätte keine Glaubwürdigkeit beschieden werden können, da sie eine individuelle asylrelevante Gefährdungslage nicht glaubhaft machen haben können.

Zu Spruchpunkt römisch II. wurde nach Wiedergabe des Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins und Absatz 3, AsylG 2005 ausgeführt, dass sachliche Gründe für die Annahme sprechen müssten, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssten, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichten nicht aus. Die Beschwerdeführer hätten während des gesamten Verfahrens keinerlei glaubhaften Indizien oder Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, welche die Annahme hätten rechtfertigen können, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr laufen würde, im Falle ihrer Rückkehr in den Heimatsstaat, der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und zur ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Wiedergabe der entsprechenden rechtlichen Grundlagen und auf Artikel 8, EMRK bezugnehmender höchstgerichtlicher Judikatur aus, dass weder ein ungerechtfertigter Eingriff in das Familienleben vorliege, noch der Eingriff in das Privatleben ungerechtfertigt wäre, zumal sie sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung erst seit einem vergleichsweise kurzen Zeitraum in Österreich aufgehalten hätten und sie in dieser Zeit keine nennenswerten wirtschaftlichen oder sozialen Kontakte aufgenommen hätten.

Mit Schreiben vom 02.10.2018 bestätigte der Verein römisch 40 , dass die Familie infolge eines technischen Fehlers von der Ladung am 25.07.2018 nicht in Kenntnis gesetzt worden sei.

Im Rahmen eines an das BFA gerichteten Schreibens vom 17.10.2018 gab der Verein römisch 40 im Verfahren des Erstbeschwerdeführers bekannt, dass sie offensichtlich beide Ladungen nicht erhalten hätten und der Klient daher schuldlos wäre.

Mit Schreiben vom 29.10.2018 wurde mitgeteilt, dass auch eine Betreuerin in der ehemaligen Unterkunft (ASB römisch 40 ) mit dem BFA Kontakt aufgenommen habe, um zu erklären, dass an dieser Unterkunft nie Ladungen zugestellt worden seien.

4.3. Mit für alle Familienmitglieder gleichlautenden Schriftsätzen vom 19.10.2018 wurden durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständlichen Beschwerden eingebracht. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verfahrensverlaufs und Bekanntgabe der zwischenzeitlichen Auflösung der Vollmacht des Vereins römisch 40 zusammenfassend ins Treffen geführt, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien zwar laut Bescheid sowohl am 25.07.2018 als auch am 05.09.2018 zur Einvernahme geladen worden, wobei die Ladungen an den damaligen Vertreter, den Verein römisch 40 , ergangen wären. Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin sei weder für den 25.07.2018, noch für den 05.09.2018, eine Ladung zugestellt oder übermittelt worden; der Verein römisch 40 habe die Ladungen wegen eines technischen Fehlers nicht an die beschwerdeführenden Parteien weitergeleitet, wie mit Schreiben vom 02.10.2018 bestätigt worden sei. Somit habe der Erstbeschwerdeführer keine Gelegenheit zur ausführlichen Darlegung seines nunmehrigen Vorbringens gehabt. Der Genannte hätte sich endlich dazu entschlossen, über seine Vergangenheit als Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg und seine Angst vor Verfolgung aus diesem Grund zu berichten. Der Erstbeschwerdeführer habe bis jetzt versucht, nicht mehr an diese Zeit zu denken und habe den Krieg vergessen wollen. Aus diesem Grund habe er dieses Anhaben bis jetzt auch nicht in der Detailliertheit und mit Beweisen gemacht, wie er es für dieses Verfahren geplant hätte – mit der Nennung von Zeugen und Namen und der Vorlage von Fotos, welche ihn als Kämpfer zeigen, als Beweisen. Der Erstbeschwerdeführer hätte in der inhaltlichen Einvernahme vorbringen wollen, dass er Angst habe, vom russischen Geheimdienst FSB sowie vom tschetschenischen Sicherheitsdienst und von der tschetschenischen Regierung verfolgt zu werden. Dies deshalb, weil er im ersten Tschetschenienkrieg in einem Bataillon unter Kommandant römisch 40 in einem Unterbataillon unter Führung des Kommandanten römisch 40 an der Südwestfront gekämpft hätte. Dem Erstbeschwerdeführer sei bekannt, dass bereits viele Mitglieder dieses Bataillons umgebracht worden seien, da dieses von der Russischen Föderation als besonders gefährlich eingestuft worden wäre; hauptverantwortlich für die Tötungen sei laut Angaben des Erstbeschwerdeführers eine namentlich bezeichnete Person, welche auch heute noch in Tschetschenien aktiv sei. Im zweiten Tschetschenienkrieg habe der Erstbeschwerdeführer nicht mehr aktiv gekämpft, aber die Aufständischen und die Zivilbevölkerung durch Hilfsleistungen unterstützt. Ein Freund aus dem Heimatort des Erstbeschwerdeführers hätte diesen angerufen und ihm mitgeteilt, dass er zum FSB geladen worden wäre, um über seine Beziehung zum Erstbeschwerdeführer zu berichten und sei nach dessen Aufenthaltsort gefragt worden. Auch bei der Mutter des Erstbeschwerdeführers sei vor etwa drei Monaten von Männern – vermutlich des FSB – wieder nach dem Aufenthaltsort des Erstbeschwerdeführers gefragt worden. Sowohl der Anruf seines Freundes, als auch die Information, dass der FSB bei der Mutter des Erstbeschwerdeführers gewesen wäre, seien erst nach der Erstbefragung erfolgt. Der Erstbeschwerdeführer habe mit seiner Vergangenheit abschließen wollen und habe daher in seinem Asylverfahren nicht genau über seine Fluchtgründe oder darüber, in welchen Verbänden und unter welchen Kommandanten er gekämpft hätte, erzählt. In der Einvernahme habe der Erstbeschwerdeführer seine Angst vor Verfolgung genauer und detaillierter darlegen und folgende (gemeinsam mit der Beschwerde übermittele) Schreiben vorlegen wollen:

●             Brief des Herrn römisch 40 , ehemaliger römisch 40 , welcher die Teilnahme des Erstbeschwerdeführers am ersten Tschetschenienkrieg 1994 bis 1996 unter dem erwähnten Kommandanten bestätige und in dem auch angermerkt werde, dass dem Erstbeschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine Gefängnisstrafe oder der Tod drohen würde;

●             Brief des Herrn römisch 40 , derzeit in England aufhältig, Kommandant des „ römisch 40 und später römisch 40 welcher ebenfalls die Rolle des Erstbeschwerdeführers im ersten Tschetschenienkrieg bestätige. Es werde die Einvernahme der beiden genannten Personen als Zeugen für die Teilnahme des Erstbeschwerdeführers am ersten Tschetschenienkrieg beantragt.

●             Schreiben des Herrn römisch 40 , ehemaliger Anführer des Unterbataillons römisch 40 an der Südwestfront im ersten Tschetschenienkrieg, welches ebenfalls bestätige, dass der Erstbeschwerdeführer im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft hätte und bei einer Rückkehr aufgrund seiner patriotischen Einstellung zur Republik Itschkeria Verfolgung ausgesetzt wäre.

Der Erstbeschwerdeführer verfüge zudem über ein Video, welches ihn als jungen Mann in Uniform im ersten Tschetschenienkrieg zeigen würden, entsprechende Fotos seien der Beschwerde beigefügt. Im Asylverfahren des Fünftbeschwerdeführers sei offensichtlich weder eine Erstbefragung noch eine Einvernahme durchgeführt worden. Wie dargelegt, hätten die beschwerdeführenden Parteien aus nicht von ihnen zu vertretenden Gründen nicht am Verfahren teilnehmen können und hätten von den Ladungen erst durch die Bescheide erfahren. Somit könne erst in der Beschwerde geltend gemacht werden, dass die beschwerdeführenden Parteien an der Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht schuld wären. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt offensichtlich nicht festgestanden hätte, hätte das BFA das Verfahren einzustellen gehabt oder noch einmal versuchen müssen, mit den beschwerdeführenden Parteien über deren Privatadresse oder deren Vertreter in Kontakt zu treten. Das BFA hätte den beschwerdeführenden Parteien respektive deren Vertreter eine Aufforderung zur Stellungnahme zukommen lassen müssen, auch im Hinblick auf die den Bescheiden zugrunde gelegten Länderberichte. Die Lage der minderjährigen Kinder bei einer etwaigen Rückkehr in die Russische Föderation sei überhaupt nicht erhoben worden. Das BFA habe durch sein Vorgehen das Recht der Parteien auf Parteiengehör gem. Paragraph 45, Absatz 3, AVG verletzt. Der relevante Sachverhalt stünde nicht fest, weshalb das BFA ohne inhaltliche Einvernahme keine Entscheidung hätte treffen dürfen. Die Vorgehensweise des BFA entspreche nicht den Vorgaben des Paragraph 19, Absatz 2, AsylG, welcher zumindest eine Einvernahme nach Zulassung vorsehe. Aus diesen Gründen würden die gegenständlichen Bescheide zu beheben sein. Zudem wurde auf ergänzende Berichte zur Lage in der Russischen Föderation verwiesen, darunter eine Anfragebeantwortung von ACCORD vom 07.10.2016 zur Behandlung von Teilnehmenden an den Tschetschenienkriegen, welcher zusammengefasst zu entnehmen sei, dass klare Aussagen über das Vorgehen sowohl von tschetschenischen als auch von russischen Behörden gegenüber Kämpfern, die im ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen hätten, nicht wirklich getroffen werden könnten; manche Aussagen würden darauf hindeuten, dass sie mit keinen Repressionen zu rechnen hätten, andere wiederum würden darlegen, dass das Verhalten von Behörden aus unterschiedlichen Gründen unvorhersehbar sei und dass auch Teilnehmer des ersten Tschetschenienkrieges bzw. sogar Personen, die ein Naheverhältnis zu Regierungsmitgliedern der Republik Itschkeria hätten, in der Russischen Föderation und Tschetschenien mit Folgen – Festnahme, Verurteilung oder auch Tötung zu rechnen hätten, vor allem, wenn sie mit speziellen Kampeinsätzen in Verbindung gebracht würden. Wenn das BFA vermeine, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin kein neues Vorbringen erstattet hätten, sondern nur die Geburt des Viertbeschwerdeführers Grund für die Zulassung der Verfahren gewesen wäre und der Familie keine neue Gefahr aus der Geburt des Sohnes erwüchse, sei zu korrigieren, dass selbst wenn die vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe im Hinblick auf die Verfahren der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien nicht als neues Fluchtvorbringen gelten sollten, die nunmehr vorgelegten Beweise für eine Verfolgung des Erstbeschwerdeführers im Herkunftsstaat zumindest sehr wahrscheinlich machen würden, was auch auf das Leben des Viertbeschwerdeführers Einfluss haben würde. Der Erstbeschwerdeführer werde in der Russischen Föderation wegen seiner Beteiligung am ersten Tschetschenienkrieg aus politischen Gründen verfolgt, seine Familie werde aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt, was für alle beschwerdeführenden Parteien die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK zutreffen lasse. Hinzu komme die nachgewiesene gesundheitliche Beeinträchtigung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, weshalb diesen zumindest der Status von subsidiär Schutzberechtigten hätte zuerkannt werden müssen. Der Erstbeschwerdeführer habe trotz seiner psychischen Probleme (anbei übermittelt wurde eine Bestätigung, wonach sich der Genannte in psychotherapeutischer Betreuung befinde) Stellenzusagen sowie österreichische Bekannte. Die Zweitbeschwerdeführerin leide an mehreren Erkrankungen, die in Österreich medikamentös behandelt werden könnten und sei Mutter von drei Kindern, die Genannten würden zudem seit langem Deutschunterricht nehmen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

4.4. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 24.10.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

4.5. Mit Eingabe vom 29.10.2018 übermittelten die beschwerdeführenden Parteien die oben erwähnten Schreiben des Vereins römisch 40 vom 02.10.2018 sowie vom 17.10.2018, Bestätigungen über die Teilnahme des Erstbeschwerdeführers an Deutschlerngruppen, eine Absichtserklärung bezüglich des Angebots über eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an den Erstbeschwerdeführer vom 02.10.2018 sowie eine Einstellungszusage über eine Einstellung als Hilfsarbeiter vom 05.10.2018.

4.6. Mit Eingabe vom 08.11.2018 wurden im Verfahren der Zweitbeschwerdeführerin ein Sozialbericht sowie ein psychiatrischer Befund vom 07.06.2018 übermittelt, aus welchen hervorginge, dass die Genannte an Epilepsie leide, Hepatitis B-Antikörper aufweise und wegen posttraumatischer Belastungsstörung in Behandlung stünde.

4.7. Mit Beschlüssen des BVwG vom 20.12.2019, Gzen römisch 40 , wurden die zunächst angefochtenen Bescheide vom 20.09.2019 behoben und gemäß Paragraph 28, Absatz 3, zweiter Satz VwGVG zur Erlassung neuerlicher Bescheide an das BFA zurückverwiesen. Ausgeführt wurde darin im Wesentlichen, dass die BF1-BF2 über ihren damaligen gewillkürten Vertreter zur Einvernahme vor dem BFA geladen worden seien, ihnen diese jedoch aufgrund eines technischen Versehens nicht zur Kenntnis gebracht wurde. In der Folge seien die BF1-BF2 neuerlich geladen worden, wobei die Ladungen an sie persönlich und nicht ihren damals rechtsfreundlichen Vertreter erfolgt seien, weshalb die an die BF1-BF2 verfügten Ladungen nicht rechtswirksam gewesen seien. Es kann, entgegen der Ansicht des BFA, nicht davon ausgegangen werden, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt lediglich aufgrund der Erstbefragung feststehe. Eine Einvernahme des BF1 vor dem BFA zu seinen Asylgründen wäre unerlässlich gewesen.

4.8. In der Folge wurden die BF1-BF2 am 20.09.2020 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Die Niederschrift des BF1 lautet auszugsweise:

[…]

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich, nehmen Sie Medikamente, sind Sie in ärztlicher Behandlung oder haben Sie Beschwerden? Haben Sie neue Befunde oder ärztliche Gutachten, die Sie noch nicht vorgelegt haben?

VP: Ich bin gesund. Ich habe weder ärztliche Behandlungen noch nehme ich Medikamente bis auf Trombass. Es sind Tabletten gegen meinen hohen Blutdruck.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP:         Ja.

LA: Gibt es Gründe, die gegen eine Befragung am heutigen Tage sprechen. Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen eine der anwesenden Personen vor?

VP:         Nein

LA: Haben Sie in den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt und stimmen diese Angaben?

VP: Ich habe nicht die ganze Wahrheit gesagt.

LA: Warum nicht?

VP: Ich habe Angst gehabt.

LA: Wovor?

VP: Ich wollte es nicht öffentlich machen

LA: Wovor haben Sie Angst gehabt?

VP: Ich wollte nicht über dieses Thema sprechen.

LA: Welches Thema?

VP: Es gibt einen Straftäter, ich werde bei meinem Fluchtgrund darüber konkret erzählen.

LA: Wie heißen Sie, bitte nennen Sie Ihren richtigen Familiennamen und Vornamen sowie etwaige frühere Namen auch Aliasnamen etc?.

VP: Familienname römisch 40 Vorname: römisch 40 .

LA: Wann und wo sind Sie geboren?

VP: Ich wurde römisch 40 im Dorf römisch 40 in Tschetschenien geboren.

LA: Können Sie entsprechende identitätsbezeugende Dokumente vorlegen wie z.B. Reisepass oder sonstige ID-Ausweise, bzw. haben Sie solche Dokumente vorgelegt.

VP: Ich besitze keine Dokumente, welche meine Identität belegen können und habe auch keine Dokumente vorgelegt.

LA: Haben Sie je einen russischen Reisepass gehabt bzw. der Behörde vorgelegt.?

VP: Ja.

LA: Wo befinden nun der Reisepass bzw. diese Dokumente?

VP: Als ich den Antrag gestellt habe, habe ich keine Dokumente vorgelegt.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Die Dokumente befinden sich in Dagestan. Ich habe sie aus Österreich nach Dagestan übermittelt.

LA: Warum haben Sie Ihre Dokumente nach Dagestan geschickt, das verstehe ich nicht?

VP: Ich bekam verschiedene Ratschläge. Ich möchte jetzt die Wahrheit sagen.

LA: Können Sie sich diese Dokumente übermitteln lassen.?

VP: Ja, ich kann mir meine Reisepässe (Inlands- und Auslandspass) übermitteln lassen.

LA: Wann können Sie sich diese Dokumente übermitteln lassen?

VP: Ich werde mir diese Dokumente übermitteln lassen, wenn ich es für notwendig halte.

LA: Sie werden auf Ihre Mitwirkungspflichten zur Identitätsfeststellung hingewiesen?

VP: ok.

LA: Was meinen Sie mit ok?

VP: Ich werde die Reisepässe im Original, die sind aber bereits abgelaufen, ich weiß nicht wie lange es dauert. Ich bemühe mich, es so schnell wie möglich zu erledigen. Ich werde die Dokumente spätestens Anfang Oktober 2020 vorlegen.

LA: Haben Sie weitere Beweismittel vorzulegen. Im Besonderen heimatliche Dokumente bzw. neue Beweismittel, welche Sie noch nicht vorgelegt haben, die wichtig für das Verfahren sind?

VP:         Ein Foto des Kdt.
Schreiben meines Stv. Kdt. Des Bat., er lebt in römisch 40 .
2 Fotos aus dem Jahr 1996, die Fotos zeigen mich als Soldat. Ich war 18 Jahre alt.

Bestätigung vom 9.10.2018 in Russisch, dass ich ein aktiver Anhänger der Unabhängigkeit ist
Bestätigung, das ich in den Jahren 1994 bis 1996 Kämpfer war
Teilnahmebestätigungen vom 8.9.2020 VHS Deutsch A1
Zertifikat Deutsch A2 vom 3.8.2017
Div. Schreiben bezgülich Grundvesorgung Deutsch
Empfehlungsschreiben v. Mag.a Kappel vom 21.7.2020
Einstellungsbestätigung Firma Quick & Top Dienstleistung GmbH v. 5.10.2018
HEMAYAT v. 11.10.2018
Absichtserklärung des Arbeitgebers vom 2.10.2018

Fotos über eine gerichtliche Entscheidung, dass meine zwei Brüder umgebracht wurden. Das war im Jahr 1996 in Kopie

Anmerkung: Fotos wird als Anlage 1 -3 zum Akt genommen.

LA: Wer ist der Herr auf d. Foto Anhang 1?

VP: Das ist ein Oberst vom GRU. Ich weiß nicht, ob er da noch arbeitet. Er heißt römisch 40 .

LA: Woher haben Sie das Foto?

VP: Ich habe einen Freund gebeten, mir dieses Foto zukommen zu lassen. Ich habe das Foto vor ca. 2 Jahren erhalten.

LA: Was möchten Sie mit dem Foto aussagen?

VP: 1994 hat es in römisch 40 einen Kommandaten gebeben. Er hat römisch 40 geheißen. 1996 als wir in die Stadt gekommen sind, gab es dort ein Heim v. KGB. Wir haben dieses Heim besetzt. Dort gab es die Miliz. Der Kommandatn der russ. Miliz hat römisch 40 geheißen. Unsere Einheit hat alle seine Leute umgebracht. Nur er ist am Leben geblieben.

LA: Erzählen Sie mir etwas über diesen Kommandanten Kakiev?

VP: Das ist ein Straftäter. Er ist in römisch 40 und Tschetschenien. Er hat 20 Personen aus unserem Dorf umgebracht. Das war im Jahr 2003 bis 2005.

LA: Wie heißt der Kommandant, der Ihnen das Schreiben gegeben hat?

VP: römisch 40 . Er lebt in römisch 40 .

LA: Seit wann lebt er in römisch 40 ?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Bitte nennen Sie den konkreten Namen des Kdt.?

VP: Ich weiß es nicht genau. Auf Russisch heißt er römisch 40 .

LA: Die Dolmetscherin wird ersucht, den Namen auf d. Schreiben zu übersetzen?

VP. römisch 40 (bzw. römisch 40 ).

LA: Was steht im Schreiben?

VP: Er bestätigt, das ich beim Bataillon dabei war.

LA: Bei welchem Bataillon waren Sie?

VP: Das war ein Bataillon von römisch 40 . Ich war von 1994 bis 1997 dort.

LA: Welche Funktion haben Sie beim dem Bataillon gehabt?

VP: Wir haben die Heimat beschützt.

LA: Haben Sie von der Waffe gebraucht gemacht?

VP: Ich war einfacher Soldat.

LA: Haben Sie jmd. umgebracht?

VP: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.

LA: Haben Sie diese Fluchtgründe schon vorgebracht?

VP: Nein.

LA: Warum nicht?

VP: Das war ein Fehler.

LA: Sie wurden mehrmals ausdrücklich aufgefordert Ihre Fluchtgründe zu schildern, warum haben Sie es nicht gesagt?

VP: Ich habe Angst vor der Abschiebung. Ich habe 3 Söhne hier.

LA: Was haben Sie bisher zu Ihren Fluchtgründen angegeben?

VP: Ich habe es gesagt, was war. Diesen Fluchtgrund habe ich noch nicht genannt. Das ist alles schon lange her.

LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie:

VP: Ich bin Staatsangehörige der Russischen Föderation.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Ich bin Tschetschene.

LA: Welche Religionszugehörigkeit haben Sie?

VP: Ich bin Muslima.

LA: Sie wurden bereits mehrmals einvernommen, haben Sie bisher die Wahrheit gesagt, möchten Sie etwas korrigieren, hat sich seitdem etwas geändert?

VP: Nein, ich möchte nichts korrigieren. Ich habe die Wahrheit gesagt und halte meine Aussagen aufrecht.

LA: Haben Sie wegen Ihrer Religionszugehörigkeit oder Volksgruppenzugehörigkeit Probleme in der Russischen Föderation gehabt?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Haben Sie sich oder Familienangehörige in Ihrer Heimat religiös oder politisch betätigt?

VP: Nein

LA: Welche Ausbildungen haben Sie absolviert, welche Schulen und Berufsausbildungen haben Sie absolviert?

VP: Ich habe 7 Klassen die Grundschule abgeschlossen.

LA: Wie haben Sie sich Ihren Lebensunterhalt in der Russischen Föderation finanziert?

VP: Ich konnte nicht zu Hause leben. Ich war auf der Flucht.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Ich habe verschiedene Arbeiten gemacht. Ich habe auch gehandelt und war Schweißer.

LA: Wo konkret haben Sie zuletzt in der Russischen Föderation gelebt?

VP: Ich habe es bereits in den vorherigen Einvernahmen angeführt, die Daten stimmen.

LA: Seit wann sind Sie in Österreich?

VP: Ich bin seit 2012 hier in Österreich. Ich habe Österreich seither nicht verlassen.

LA: Wie sind Sie in Österreich eingereist?

VP: Ich bin legal gekommen.

LA: Können Sie belegen, dass Sie legal eingereist sind?

VP: Nein, vlt. wenn die Pässe kommen. Ich bin mit einem Bus nach römisch 40 und von dort mit einem Zug nach römisch 40 und dann nach Österreich.

LA: Gab es Grenzkontrollen bei Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation?

VP: Nur Zollbeamte. Es gab aber keine Probleme. Sie wollten Geld kassieren. Ich habe den Beamten Visa gezeigt und Sie hatten keinen Grund daher Geld von mir zu kassieren.

LA: Welches Visum haben Sie gehabt?

VP: Touristenvisum.

LA: Machen Sie zum Visum konkrete Angaben?

VP: Es war ein Touristenvisum für Ungarn.

LA: Wie haben Sie das Visum bekommen?

VP: Ein Bekannter hat es gemacht. Ich habe 3000 für eine Vollmacht bezahlt. 1200 für ein Visum und 3.000 Rubel für die Vollmacht.

LA: Bekommt man so einfach ein Visum?

VP:         Ja.

LA: Können Sie nun entsprechende Beweise vorlegen, die Ihre Einreise belegen?

VP: Dzt. nicht.

LA: Wie viele Asylanträge haben Sie in Österreich bereits eingebracht?

VP: 4 Anträge.

LA: Wie wurden diese Anträge entschieden?

VP: Es gab negative Entscheidungen.

LA: Sie haben bisher 4 Asylanträge eingebracht, es gab bereits mehrmals eine negative Entscheidung mit Rückkehrentscheidung und Sie hätten zurück in die Russische Föderation reisen müssen, warum sind Sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen?

VP: Soll ich hinfahren, damit man mich umbringt.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Ich werde nicht nach Russland fahren, solange die Verbrecher dort sind. Ich habe jetzt entschieden, alles zu erzählen, wie es war.

LA: Haben Sie mit Ihrer Frau über Ihre Probleme gesprochen?

VP: Nein.

LA: Wie lautet Ihr Familienstand?

VP: Ich bin verheiratet.

LA: Bitte nennen Sie die Personendaten Ihrer Ehefrau?

VP: FN: römisch 40 .

LA: Wann und wo haben Sie geheiratet?

VP: Wir haben uns über das Internet kennengelernt. Wir haben bei meiner Schwester in Dagestan geheiratet. Danach hat meine Mutter es irgendwie erledigt, dass wir eine standesamtliche Bestätigung bekommen haben. Ich habe diese Bestätigung bereits vorgelegt. Ich war nicht beim Standesamt.

LA: Haben Sie Kinder, auch adoptierte oder uneheliche Kinder bzw. Unterhaltspflichten oder Sorgepflichten?

VP: Ich habe 3 Söhne 
römisch 40 .
römisch 40
römisch 40
Nachgefragt gebe ich an, dass ich keine weiteren Kinder oder Sorgepflichten haben.

LA: Stimmen die bisherigen Angaben bezüglich Ihrer Eltern, hat sich etwas geändert?

VP: Die Angaben stimmen. Es hat sich nichts geändert.

LA: Stimmen die bisherigen Angaben bezüglich Ihrer Geschwister?

VP: Die Angaben stimmen. Es hat sich nicht geändert.

LA: Haben Sie noch Angehörige in der Russischen Föderation, Verwandte, Onkel, Tanten, etc.?

VP: Meine Mutter und Schwester leben in Russland. Sie leben in römisch 40 . Meine Schwester lebt in Dagestan. Ich habe mit meiner Mutter jeden Tag Kontakt. Meiner Mutter ist schon alt.

LA: Hat Ihnen Ihre Mutter etwas erzählt?

VP: Es hat einen Vorfall gegeben.

LA: Welchen Vorfall, was wissen Sie darüber, was hat Ihnen Ihre Mutter erzählt, machen Sie dazu konkrete Angaben?

VP: Äh.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Der letzte Vorfall war vor einem Monat.

LA: Machen Sie konkrete Angaben, was ist passiert?

VP: Es gab eine Kundgebung.

LA: Machen Sie konkrete Angaben?

VP: Leute sind gekommen. Ich habe mich hier an einer Kundgebung in Österreich vor der Russischen Botschaft begeben. Ich habe eine Maske gehabt. Ich wollte nicht dulden, dass unsere Staatsbürger von den Russen umgebracht wurden. Kadyrow hat begonnen, alle zu bedrohen, die bei der Kundgebung in Österreich dabei waren. Ich wurde erkannt, es waren Leute aus meinem Dorf, die mich erkannt haben. Sie haben diese Information weitergeleitet. Es gibt einen Minister für Informationen und Presse. Es sind deswegen Leute zu Ihr gekommen.

LA: Welche Leute, machen Sie dazu konkrete Angaben, wie viele, etc., Datum, etc., was wollten Sie, was haben Sie gesagt?

VP: Kadyrow Leute.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Sie haben gesagt, dass sie mich bestrafen werden, wenn Sie mich in Russland erwischen. Wenn ich weiter bei solchen Kundgebungen teilnehmen werde, wird meine Mutter umgebracht und das Haus in Brand gesetzt.

LA: Haben Sie Angehörige bzw. Bekannte hier in Österreich, bzw. besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zu hier in Österreich lebenden Personen?

VP: Mein Bruder und meine Frau und 3 Söhne leben hier in Österreich. Mein Bruder hat 8 Kinder.

LA: Können Sie sich auf die gestellten Fragen konzentrieren und verstehen Sie die Dolmetscher?

VP: Ja

LA: Sie haben bereits mehrmals Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Sie sind am 22.9.2012 illegal in das Bundesgebiet eingereist und haben am selben Tag einen Asylantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde negativ entschieden. Ihre Beschwerde gegen den Bescheid wurde vom damaligen Asylgerichtshof als unbegründet abgewiesen. Am 11.2.2016 haben Sie einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Dieser Antrag wurde ebenfalls negativ entschieden und die Rückkehrentscheidung in zweiter Instanz gem. Erkenntnis des BvWG vom 3.2.2017 bestätigt. Am 16.10.2017 haben Sie erneut einen Folgeantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 18.9.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und festgestellt, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen diesen Bescheid des BFA haben Sie fristgerecht Beschwerde eingebracht. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Möchen Sie dazu etwas anführen? Warum haben Sie im Oktober 2017 einen Folgeantrag eingebracht? Gibt es neue Fluchtgründe? Bitte nennen Sie nun Ihre konkreten und individuellen Gründe für den Folgeantrag. Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe in freier Erzählung. Nehmen Sie sich ruhig Zeit dafür. Erzählen Sie so viele Details wie möglich. Sprechen Sie bitte auch über Ihre Emotionen Gefühle usw?

VP: Die Situation ist ernsthaft. Es wäre anders gewesen, wenn ich allein wäre. Ich habe jetzt Kinder, die heranwachsen. Das Leben wird für sie schwer ohne mich. Ich weiß, dass man mich zu Hause inhaftieren bzw. umbringen wird. Ich möchte hier bleiben, wegen meiner Sicherheit, wegen meiner Kinder. Es ist für mich nicht sicher, wenn ich nach Russland fahre. Wenn ich dort sicher wäre, wäre ich weggefahren, meine Mutter lebt dort. Ich möchte hier leben und bleiben. Ich möchte, dass meine Kinder hier aufwachsen und eine Ausbildung bekommen.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein

LA: Möchten Sie noch etwas zu Ihren Fluchtgründen ergänzend vorbringen?

VP: Nein. Ich verstehe nicht, warum man in Europa nicht versteht, dass es in Tschetschenien unsicher ist. Ich würde den Leuten die Pässe wegnehmen die nach Hause fahren und Sie dort lassen.

LA: Wer fährt nach Hause?

VP: Man spricht, dass Tschetschenien aus Österreich nach Tschetschenien fahren.

LA: In der Erstbefragung führten Sie an, dass Sie keine neuen Fluchtgründe haben, stimmt das nun?

VP: Ich habe nicht viel bei der ersten Einvernahme gesagt, ich wollte nicht darüber sprechen. Ich dachte, Tschetschenen bekommen leicht einen positiven Bescheid.

LA: Warum sind Sie erst im Jahr 2012 ausgereist?

VP: Ich bin weggefahren, als ich die erste Möglichkeit hatte. Ich war in der Ukraine, Russland und römisch 40 . Ich konnte nicht nach Hause. Im Jahr 2005 wurde mein Onkel und mein Cousin umgebracht. Ich bin 2012 ausgereist. Nur ich habe Fluchtgründe, meine Frau und Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe. Ich habe Probleme, deswegen haben auch meine Kinder Probleme.

LA: Welche Probleme?

VP: Ich habe es bereits gesagt.

Nach vorheriger Manuduktion gebe ich an, dass sich die Anträge meiner Frau und meiner Kinder auf mein Asylverfahren beziehen sollen. Meine Familie hat keine eigenen Fluchtgründe. Ich stelle den Antrag auf ein Familienverfahren gem. Paragraph 34, AsylG. Diese Anträge sollen sich auf mein Verfahren beziehen! Meine Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe!

LA: Wer hat die Obsorge über Ihre Kinder?

VP: Ich und meine Frau.

LA: Wie geht es Ihren Kindern?

VP: Sie sind gesund. Der Ältere geht in einen Kindergarten. Es ist ein privater Kindergarten. Ich glaube den Kindergarten führt jmd. aus Dagestan.

LA: Welche Sprachen sprechen Ihre Kinder?

VP. Tschetschenisch und Russisch und Deutsch. Deutsch lernen die Kinder im Kindergarten.

LA: Wie finanzieren Sie sich Ihr Leben hier in Österreich, gehen Sie einer Beschäftigung nach?

VP: Ich bekomme staatliche Unterstützung. Ich gehe keiner Beschäftigung nach. Ich möchte eine Schweißerausbildung machen.

LA: Wie hoch ist ihr gesamtes monatliche Einkommen?

VP: Ca. 1.000 Euro für uns alle.

LA. Wo wohnen Sie hier in Österreich?

VP: In römisch 40 .

LA: Wer wohnt an dieser Adresse?

VP: Meine Ehefrau und meine 3 Söhne und ich.

LA: Sind Sie in einer Organisation oder in einem Verein tätig oder Mitglied, welche Integrationsschritte haben Sie seit ihrem Aufenthalt gesetzt? Immerhin sind Sie bereits seit dem Jahr 2012 hier in Österreich?

VP: Ich bin im Verein Wajnach. Wir helfen dort.

LA: Welche Kurse haben Sie absolviert hier in Österreich?

VP: Ich besuche nochmals den Kurs A1, weil es mir schwerfällt, Deutsch zu lernen.

LA: Hat Ihre Ehefrau bereits Kurse besucht?

VP: Bisher hat sie noch keine Kurse besucht, wenn mein Sohn in den Kindergarten geht, wird sie Kurse besuchen.

LA: Sprechen Sie Deutsch, bzw. haben Sie bereits Schritte unternommen um die deutsche Sprache zu lernen, Kurse etc.?

VP: Etwas. Ich habe viel vergessen.

Anmerkung: Die Dolmetscherin wird ersucht die folgenden Fragen nicht zu übersetzen?

LA: Welche Sehenswürdigkeiten haben Sie in Österreich bereits besucht?

VP: Stephansplatz und Donau, 20. Bezirk, alles schön Österreich.

LA: Kennen Sie österr. Politiker?

VP: Ja. Strache, Kurz. Nichts interessant.

LA: Was gefällt Ihnen besonders in Österreich?

VP: Tirol. Innsbruck, schöne Stadt.

LA: Haben Sie schon Bundesländer besucht?

VP: Mein Bruder. Mein Freund.

Anmerkung: Dolmetscherin wird ersucht zu übersetzen. Festgestellt wird, dass Genannter über rudimentäre Deutschkenntnisse verfügt.

LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit, wie schaut Ihr Tagesablauf bzw. Alltag hier in Österreich aus, haben Sie Freunde, Bekannte etc.? Was machen Sie den ganzen Tag?

VP: Ich kümmere mich um die Kinder. Ich bringe das Kind in den Kindergarten und hole es ab. Wir gehen auch mit den Kindern zum Spielplatz. Ich besuche einen Kurs und treffe mich mit Freunden.

LA: Welche Freunde?

VP: Gute Freunde aus Tschetschenien.

LA: Was macht Ihre Frau den ganzen Tag?

VP: Wir gehen gemeinsam spazieren. Sie geht zur Frau meines Bruders. Sie hat auch Freundinnen, trifft sie aber nicht oft. Sie beschäftigt sich nun mit Fitness und möchte nähen. Meine Frau ist immer zu Hause. Wenn es notwendig ist, geht sie dorthin.

LA: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft hier in Österreich vor?

VP: Ich möchte eine Schweißerausbildung machen und arbeiten. Ich werde mich um die Erziehung der Kinder kümmern. Mir gefällt es in Österreich. Wenn es nicht so wäre, würde ich nach Frankreich fahren.

LA: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation? Russland ist ein sehr großes Land, was würde passieren?

VP: Man wird auf mich warten. Man würde mich mitnehmen und inhaftiert.

LA: Wer würde Sie mitnehmen und warum?

VP: Dieser Mann und die Kadyrow Leute. Dieser Straftäter. Die Russen brauchen mich vlt. nicht, aber die Straftäter die in Tschetschenien sind.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend die Möglichkeit Ihr Vorbringen darzustellen oder möchten Sie noch etwas hinzufügen? Möchten Sie bezüglich Ihrer Fluchtgründe noch etwas anführen, wonach ich nicht explizit gefragt habe?

VP: Nein, ich habe alles gesagt. Ich glaube, dass ich es allgemein alles gesagt habe. Ich könnte mehr Details sagen wie brutal die Leute sind.

[…]

Die niederschriftliche Einvernahme der BF2 vom 09.09.2020 lautet auszugsweise:

[…]

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich, nehmen Sie Medikamente, sind Sie in ärztlicher Behandlung oder haben Sie Beschwerden? Haben Sie neue Befunde oder ärztliche Gutachten, die Sie noch nicht vorgelegt haben?

VP: Ich weiß nicht, wie es heißt. Ich habe im Kopf einen Faden. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht schwanger bin.

LA: Was konkret meinen Sie damit?

VP: Ich hatte vor der Operation Anfälle. Seit der OP hatte ich keine mehr. Ich nehme aber Medikamente.

LA: Welche Anfälle?

VP: Ich habe epileptische Anfälle gehabt. Nun nicht mehr. Der letzte Anfall war vor ca. 6-7 Jahren. Ansonsten bin ich gesund.

LA: Welche Medikamente nehmen Sie ein?

VP: Levopon (phon). Es sind Tabletten. Die Schachtel ist gelb. Es ist gegen die epileptischen Anfälle.

LA: Wann war die Operation?

VP: Vor 6 oder 7 Jahren. Seither geht es mir gut. Ich nehme das Medikament und es passt. Ansonsten nehme ich keine weiteren Medikamente ein. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht in ärztlicher Behandlung bin. Ich gehe aber jedes Jahr zur Kontrolle.

LA: Haben Sie ärztliche Befunde im Besonderen aktuelle ärztliche Befunde, die Sie vorlegen können?

VP: Mein Ehemann hat die Unterlagen.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Ja.

LA: Gibt es Gründe, die gegen eine Befragung am heutigen Tage sprechen. Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen eine der anwesenden Personen vor?

VP: Nein

LA: Haben Sie in den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt und stimmen diese Angaben?

VP: Ja. Ich habe immer die Wahrheit gesagt. Die Angaben stimmen.

LA: Wie heißen Sie, bitte nennen Sie Ihren richtigen Familiennamen und Vornamen sowie etwaige frühere Namen auch Aliasnamen etc?

VP: Familienname römisch 40 Vorname: römisch 40 .

LA: Wann und wo sind Sie geboren?

VP: Ich bin am römisch 40 , Tschetschenien geboren.

LA: Können Sie entsprechende identitätsbezeugende Dokumente vorlegen wie z.B. Reisepass oder sonstige ID-Ausweise?

VP: Ich habe keine Dokumente, mein Ehemann weiß, was mit den Dokumenten ist. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht weiß, welche Dokumente er mitgenommen hat.

LA: Haben Sie je einen russischen Reisepass gehabt bzw. der Behörde vorgelegt.?

VP: Mein Mann macht alles, ich weiß nichts über meine Dokumente. Mein Ehemann kümmert sich um alles.

LA: Haben Sie weitere Beweismittel vorzulegen. Im Besonderen heimatliche Dokumente bzw. neue Beweismittel, welche Sie noch nicht vorgelegt haben, die wichtig für das Verfahren sind?

VP: Nein, mein Ehemann hat alles. Ich weiß es nicht.

LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie:

VP: Ich bin Staatsangehörige der Russischen Föderation.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Ich bin Tschetschenin

LA: Welche Religionszugehörigkeit haben Sie?

VP: Ich bin Muslima.

LA: Sie wurden bereits mehrmals einvernommen, haben Sie bisher die Wahrheit gesagt, möchten Sie etwas korrigieren, hat sich seitdem etwas geändert?

VP: Nein, ich möchte nichts korrigieren. Ich habe die Wahrheit gesagt und halte meine Aussagen aufrecht.

LA: Haben Sie wegen Ihrer Religionszugehörigkeit oder Volksgruppenzugehörigkeit Probleme in der Russischen Föderation gehabt?

VP: Ich war als Kind immer zu Hause.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Ich wurde weder wegen meiner Religion noch wegen meiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt.

LA. Wurden Sie je verfolgt in der Russischen Föderation?

VP: Nein. Ich wurde nie verfolgt, zumindest habe ich nichts gehört.

LA: Haben Sie sich oder Familienangehörige in Ihrer Heimat religiös oder politisch betätigt?

VP: Nein

LA: Welche Ausbildungen haben Sie absolviert, welche Schulen und Berufsausbildungen haben Sie absolviert?

VP: Ich konnte wegen meiner Anfälle keine Schule besuchen. Meine Mutter hat mich zu Hause unterrichtet. Ich habe auch keine Berufsausbildung und nie in der Russischen Föderation gearbeitet.

LA: Wie haben Sie sich Ihren Lebensunterhalt in der Russischen Föderation finanziert?

VP: Meine Mutter hat in der Schule als Lehrerin gearbeitet. Meine Schwester ist Krankenschwester. Meine Schwester arbeitet nun in Tschetschenien als Schulkrankenschwester.

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Schwester und Mutter?

VP: Ja, ich habe regelmäßig telefonischen Kontakt., ca 3-5x in der Woche.

LA: Wie geht es Ihrer Schwester und Mutter?

VP: Meine Mutter ist krank und meine Schwester verheiratet. Meine Mutter hatte eine Operation an der Wirbelsäule. Meine Schwester wohnt in der Nähe meiner Mutter und ist oft bei ihr. Mein Bruder ist Hilfsarbeiter und besucht Sie, wenn er Zeit hat.

LA: Wo konkret haben Sie zuletzt in der Russischen Föderation gelebt?

VP: In der Stadt römisch 40 . Ich war die ganze Zeit dort. Straße römisch 40 Es war das Haus meiner Mutter. Derzeit lebt meine Mutter noch dort, ansonsten niemand. Dort leben 3 Familien, ein Haus gehörte meinem Vater die anderen seinen Brüdern. Meine Onkel leben noch dort.

LA: Seit wann sind Sie in Österreich?

VP: Ich bin vor 8 Jahren im Jahr 2012 hier in Österreich eingereist. Ich bin mit einem Pass eingereist. Nachgefragt gebe ich an, dass ich es nicht weiß, welchen Pass ich gehabt habe.

LA: Wo sind die Pässe nun?

VP: Ich weiß es nicht. Mein Mann weiß, wo die Pässe sind.

LA: Wie viele Asylanträge haben Sie in Österreich bereits eingebracht?

VP: Ich weiß es nicht, mein Mann weiß es. Ich sitze zu Hause, mein Mann erledigt alles.

LA: Wie wurden diese Anträge entschieden?

VP: Wir waren schon auf der Straße.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Ich weiß es nicht, mein Mann weiß es.

LA: Haben Sie Österreich seither verlassen?

VP: Nein, wir sind hiergeblieben und nicht ausgereist.

LA: Sie haben bisher 4 Asylanträge eingebracht, es gab bereits mehrmals eine negative Entscheidung mit Rückkehrentscheidung und Sie hätten zurück in die Russische Föderation reisen müssen, warum sind Sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen?

VP: Mein Mann hat Probleme.

LA: Welche Probleme hat Ihr Mann?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Seit wann hat der diese Probleme?

VP: Er lebte in römisch 40 .

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Ich weiß nichts über sein Leben.

LA: Was wissen Sie über die Fluchtgründe Ihres Ehemannes, was hat er Ihnen erzählt?

VP: Ich weiß es nicht. Ich habe nicht gefragt.

LA: Wie lautet Ihr Familienstand?

VP: Ich bin verheiratet.

LA: Bitte nennen Sie die Personendaten Ihres Ehemannes?

VP: FN: römisch 40 , VN: römisch 40 , geb. römisch 40 .

LA: Wann und wo haben Sie geheiratet?

VP: Wir haben uns über das Internet kennengelernt. Er ist zu seiner Schwester nach römisch 40 . Das ist eine Stadt in Dagestan. Das war vor 10 Jahren.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Wir haben nach muslimischen Ritus in römisch 40 vor 9 oder 10 Jahren geheiratet.

LA: Haben Sie auch standesamtlich geheiratet?

VP: Wahrscheinlich schon.

LA: Haben Sie Dokumente, wie z.B. Heiratsurkunde, die Sie vorlegen können?

VP: Ich habe die Heiratsurkunde gesehen.

LA: Haben Sie nun standesamtlich geheiratet?

VP: Ich weiß nur, dass wir in römisch 40 traditionell geheiratet haben.

LA: Haben Sie Dokumente?

VP: Ich habe keine Dokumente. Fragen sie meinen Mann.

LA: War Ihr Mann bereits verheiratet?

VP: Nein. Ich bin seine erste Frau. Er hat auch keine weiteren Frauen.

LA: Haben Sie Kinder, auch adoptierte oder uneheliche Kinder bzw. Unterhaltspflichten oder Sorgepflichten?

VP: Ich habe 3 Söhne 
römisch 40
römisch 40
römisch 40

Nachgefragt gebe ich an, dass ich keine weiteren Kinder oder Sorgepflichten haben. Nachgefragt gebe ich an, dass mein Mann sonst keine Kinder hat. Ich bin die leibliche Mutter der o.a. Kinder und mein Ehemann der leibliche Vater.

LA: Stimmen die bisherigen Angaben bezüglich Ihrer Eltern, hat sich etwas geändert?

VP: Die Angaben stimmen.

LA: Stimmen die bisherigen Angaben bezüglich Ihrer Geschwister?

VP: Die Angaben stimmen. Es hat sich nicht geändert. Mein Bruder und meine Schwester leben in Tschetschenien.

LA: Haben Sie noch Angehörige in der Russischen Föderation, Verwandte, Onkel, Tanten, etc.?

VP: Meinen Bruder, Schwester und Mutter leben in der Russischen Föderation. Ansonsten habe ich noch mehrere Verwandte in der Russischen Föderation. Ein Onkel ist erst gestorben, jetzt lebt seine Familie.

LA: Wie ist Ihr Verhältnis zu ihrer Mutter, Geschwister und Verwandten?

VP: Wir haben ein gutes Verhältnis.

LA: Wann, mit wem und wie haben Sie die Russische Föderation nun konkret verlassen

VP: Ich habe gemeinsam die Russische Föderation gemeinsam mit meinem Ehemann im Jahr 2012 verlassen.

LA: Sind Sie illegal oder legal ausgereist?

VP: Ich bin normal gekommen.

LA: Was meinen Sie mit „normal“?

VP: Fragen Sie meinen Mann. Wir sind mit einem Autobus nach römisch 40 . Von römisch 40 sind wir mit dem Zug nach Österreich.

LA: Gab es Grenzkontrollen?

VP: Ich weiß es nicht. Ich habe geschlafen.

LA: Haben Sie Angehörige bzw. Bekannte hier in Österreich, bzw. besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zu hier in Österreich lebenden Personen?

VP: Ich habe nur Kontakt zu Frauen aus Tschetschenien. Mein Mann macht alles, wenn ich etwas brauche.

LA: Können Sie sich auf die gestellten Fragen konzentrieren und verstehen Sie die Dolmetscher?

VP: Ja

LA: Sie haben bereits mehrmals Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Sie sind am 22.9.2012 illegal in das Bundesgebiet eingereist und haben am selben Tag einen Asylantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde negativ entschieden. Ihre Beschwerde gegen den Bescheid wurde vom damaligen Asylgerichtshof als unbegründet abgewiesen. Am 11.2.2016 haben Sie einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Dieser Antrag wurde ebenfalls negativ entschieden und die Rückkehrentscheidung in zweiter Instanz gem. Erkenntnis des BvWG vom 3.2.2017 bestätigt. Am 16.10.2017 haben Sie erneut einen Folgeantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 18.9.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und festgestellt, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen diesen Bescheid des BFA haben Sie fristgerecht Beschwerde eingebracht. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Möchen Sie dazu etwas anführen? Warum haben Sie im Oktober 2017 einen Folgeantrag eingebracht? Gibt es neue Fluchtgründe? Bitte nennen Sie nun Ihre konkreten und individuellen Gründe für den Folgeantrag. Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe in freier Erzählung. Nehmen Sie sich ruhig Zeit dafür. Erzählen Sie so viele Details wie möglich. Sprechen Sie bitte auch über Ihre Emotionen Gefühle usw?

VP: Ich war schwanger mit meinem zweiten Kind. Dann war ich mit dem dritten Kind schwanger, deswegen habe ich einen Asylantrag eingebracht, dass entscheidet mein Mann. Ich weiß nicht, warum ich einen Folgeantrag gestellt habe, mein Mann entscheidet das alles. Ich weiß, dass es für meinen Mann dort gefährlich ist. Ich habe gemeint, dass ich nicht entschieden habe, weil ich schwanger war.

LA: Warum wissen Sie, dass es für Ihren Mann gefährlich in Russland ist, machen Sie konkrete Angaben?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein

LA: Möchten Sie noch etwas zu Ihren Fluchtgründen ergänzend vorbringen?

VP: Nein.

LA: Haben Sie nun eigene Fluchtgründe?

VP: Nein. Ich habe keine Angst. Ich habe Angst um die Kinder. Ich könnte bedroht werden, weil ich seine Frau bin.

LA: Warum sollten Sie oder die Kinder bedroht werden?

VP: Jugendliche wurden erst vor kurzem abgeholt.

LA: Machen Sie dazu konkrete Angaben, was meinen Sie damit?

VP: Weil Sie seine Kinder sind. Mein Mann hat Probleme, deswegen werden wir auch verfolgt.

Nach vorheriger Manuduktion gebe ich an, dass sich die Anträge für meine drei oben genannten Kinder und mein Asylantrag auf das Asylverfahren meines Ehemannes beziehen sollen. Wir haben keine eigenen Fluchtgründe. Ich stelle den Antrag auf ein Familienverfahren gem. Paragraph 34, AsylG. Diese Anträge sollen sich auf das Verfahren meines Ehemannes beziehen! Meine Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe!

LA: Wie geht es Ihren Kindern?

VP: Sie sind gesund. Zwei Söhne sind zu Hause und der Ältere geht in den Kindergarten. Er bereitet sich auf die Schule vor. Die Erzieherin ist eine Tschetschenin.

LA: Ist es ein öffentlicher oder privater Kindergarten?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Welche Sprachen sprechen Ihre Kinder?

VP. Zuerst tschetschenisch, russisch.

LA: Sprechen Ihre Kinder auch Deutsch?

VP: Die Erzieherin im Kindergarten spricht auch Deutsch, wenn das Kind es auf Deutsch nicht versteht auf tschetschenisch. Ansonsten bemüht sich die Erzieherin Deutsch zu sprechen.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Mein zwei Söhne sprechen noch kein Deutsch. Der Ältere lernt Deutsch im tschetschenischen Kindergarten.

LA: Wer hat die Obsorge über Ihre Kinder?

VP: Mein Ehemann hat die Obsorge über mich und meine Kinder.

LA: Was meinen Sie damit, haben Sie einen Erwachsenenvertreter?

VP: Nein ich habe keinen Erwachsenenvertreter. Mein Ehemann kümmert sich um alles.

LA: Waren Sie je einer Verfolgung ausgesetzt, gab es Vorfälle?

VP: Nein. Ich habe keine Probleme in der Russischen Föderation und war auch nie Verfolgungshandlungen ausgesetzt.

LA: Wie finanzieren Sie sich Ihr Leben hier in Österreich, gehen Sie einer Beschäftigung nach?

VP: Ich bekomme staatliche Unterstützung.

LA: Wie hoch ist ihr gesamtes monatliche Einkommen?

VP: Ca. 1.000 Euro für uns alle.

LA. Wo wohnen Sie hier in Österreich?

VP: In römisch 40 .

LA: Wo genau, bitte nennen Sie die konkrete Adresse?

VP: Ich weiß es nicht, wir wohnen in einem Heim.

LA: Wer wohnt an dieser Adresse?

VP: Mein Ehemann, meine 3 Söhne und ich.

LA: Sind Sie in einer Organisation oder in einem Verein tätig oder Mitglied, welche Integrationsschritte haben Sie seit ihrem Aufenthalt gesetzt? Immerhin sind Sie bereits seit dem Jahr 2012 hier in Österreich?

VP: Mein Mann besucht Kurse. Ich bin zu Hause. Ich konnte keine Kurse wegen meinem Gesundheitszustand besuchen. Ich habe bisher keine Kurse besucht.

LA: Welche Kurse besucht Ihr Mann?

VP: Deutsch B1, glaube ich.

LA: Sprechen Sie Deutsch, bzw. haben Sie bereits Schritte unternommen um die deutsche Sprache zu lernen, Kurse etc.?

VP: Nein.

LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit, wie schaut Ihr Tagesablauf bzw. Alltag hier in Österreich aus, haben Sie Freunde, Bekannte etc.? Was machen Sie den ganzen Tag?

VP: Ich habe nur Kontakt mit tschetschenischen Frauen. Ich kümmere mich um die Kinder und schaue im Internet, wenn ich was brauche. Ich sitze nur zu Hause, ansonsten mache ich nichts.

LA: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft hier in Österreich vor?

VP: Ich möchte, dass es meinen Kindern gut geht und gut ausgebildet werden. In Tschetschenien ist es gefährlich.

LA: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation? Russland ist ein sehr großes Land, was würde passieren?

VP: Ich würde nur zu Hause sitzen. Dort gibt es keine Arbeitsmöglichkeiten. Teenager werden gequält. Ansonsten befürchte ich nichts. Es gibt auch nicht so gute Ärzte wie in Österreich.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend die Möglichkeit Ihr Vorbringen darzustellen oder möchten Sie noch etwas hinzufügen? Möchten Sie bezüglich Ihrer Fluchtgründe noch etwas anführen, wonach ich nicht explizit gefragt habe?

VP: Nein, ich habe alles gesagt.

LA: Möchten Sie die Länderfeststellung zur Russischen Föderation vom 27.03.2020 im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht haben? Es wird Ihnen angeboten, dass diese seitens des Dolmetschers übersetzt wird und können Sie danach eine Stellungnahme dazu abgeben!

VP: Nein. Fragen sie meinen Ehemann. Er wird entscheiden.

LA: Möchten Sie eine Ausfertigung der Niederschrift.

VP: Ja

LA: Konnten Sie sich bei dieser Einvernahme konzentrieren? Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden?

VP: Ja, danke.

VP:         Ich werde nun die Befragung beenden, wollen Sie noch ergänzende Angaben machen?

LA:         Nein, ich habe alles gesagt.

[…]

4.9. Am 04.05.2021 wurden die BF1-BF2 vor dem BFA ergänzend einvernommen. Die Niederschrift des BF1 lautet dabei auszugsweise:

[…]

LA: Werden Sie im Verfahren von jemanden vertreten oder besteht für jemanden eine Zustellvollmacht? Haben Sie einen Anwalt?

VP: Damals war die Diakonie zuständig, das war im Jahr 2018. Ich glaube nicht, dass wir nun einen Anwalt haben.

LA: Möchten Sie anrufen?

VP: Nein. Ich möchte mit der Einvernahme weitermachen, auch wenn die Diakonie noch zuständig wäre, möchte ich ausdrücklich mit der Einvernahme weitermachen.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich, nehmen Sie Medikamente, sind Sie in ärztlicher Behandlung oder haben Sie Beschwerden? Haben Sie neue Befunde oder ärztliche Gutachten, die Sie noch nicht vorgelegt haben?

VP: Ich habe Rückenschmerzen. Ich habe gestern meinen Sohn getragen, vlt. deswegen. Ansonsten bin ich gesund. Ich nehme Trompass für mein Herz bzw. Blutdruck.

LA: Sind Sie aktuell in ärztlicher Behandlung?

VP: Nein. Ich nehme nur das Medikament Trompass. 1x jährlich gehe ich zur Kontrolle zum Internisten. Ich bin gesund.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Ja.

LA: Gibt es Gründe, die gegen eine Befragung am heutigen Tage sprechen. Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen eine der anwesenden Personen vor?

VP: Nein

LA: Haben Sie in den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt und stimmen diese Angaben?

VP: Ja. Ich habe immer die Wahrheit gesagt. Die Angaben stimmen.

LA: Wie heißen Sie, bitte nennen Sie Ihren richtigen Familiennamen und Vornamen sowie etwaige frühere Namen auch Aliasnamen etc?.

VP: Familienname römisch 40 Vorname: römisch 40 , Vatersname: römisch 40 .

LA: Wann und wo sind Sie geboren?

VP: Ich bin am römisch 40 , Tschetschenien geboren.

LA: Können Sie entsprechende identitätsbezeugende Dokumente vorlegen wie z.B. Reisepass oder sonstige ID-Ausweise? Sie haben in der Einvernahme am 9.9.2020 gesagt, dass Sie sich die Reisepässe schicken lassen, bzw. solche Dokumente besorgen, haben Sie die Dokumente?

VP: Ich habe damals im September 2020 die Reisepässe vorbeigebracht. Es wurde eine Kopie angefertigt, wie versprochen.

Anmerkung: Kopien der RP liegen im Akt auf.

LA: Haben Sie weitere neue Beweismittel vorzulegen. Im Besonderen heimatliche Dokumente bzw. neue Beweismittel, welche Sie noch nicht vorgelegt haben, die wichtig für das Verfahren sind? Auch Beweismittel, welche Ihre Ehefrau betreffen. Ihre Frau hat gesagt, dass Sie die Unterlagen haben und vorlegen?

VP: Buchungsbestätigung vom 8.4.2021 VHS
Information über die Kursteilnahme

LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie:

VP: Ich bin Staatsangehöriger der Russischen Föderation.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Ich bin Tschetschene.

LA: Welche Religionszugehörigkeit haben Sie?

VP: Ich bin Muslim.

LA: Sie wurden bereits mehrmals einvernommen, haben Sie bisher die Wahrheit gesagt, möchten Sie etwas korrigieren, hat sich seitdem etwas geändert?

VP: Ich habe die Wahrheit gesagt und halte meine Aussagen aufrecht.

LA: Sie wurden zuletzt am 9.9.2020 einvernommen, was hat sich seit der letzten Einvernahme verändert?

VP: Nein, es gibt nichts Neues. Aber die Situation in Tschetschenien hat sich verschlechtert.

LA: Welche Verwandte sind noch in Tschetschenien?

VP: Meine Mutter lebt noch in Tschetschenien. Ein Bruder arbeitet in römisch 40 . Eine Schwester lebt in Dagestan. Es gibt noch Onkel und Tanten.

LA: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Verwandten, im Besonderen zu Ihrem Bruder und Mutter?

VP: Wir haben ein gutes Verhältnis alle.

LA: Zu wem haben Sie Kontakt in die Russische Föderation?

VP: Ich habe Kontakt mit Freunden, Mutter und meinem Bruder, Schwester.

LA: Worüber sprechen Sie mit Ihren Verwandten?

VP: Mit meiner Mutter telefoniere ich täglich. 1x im Monate spreche ich mit meinen Geschwistern.

LA: Wie geht es Ihrer Mutter?

VP: Sie ist krank. Sie ist Diabetikerin und Probleme mit der Mobilität.

LA: Wer kümmert sich um Ihre Mutter dann?

VP: Meine Schwester und Ihre Kinder und die Ehefrau meines Bruders.

LA: Was arbeitet Ihr Bruder in römisch 40 ?

VP: Auf Baustellen. Er fährt selten nach Tschetschenien. Seine Ehefrau besucht ihn in römisch 40 . Meine Mutter macht sich deswegen Sorgen.

LA: Warum kommt Ihr Bruder selten nach Tschetschenien?

VP: Wegen meiner Probleme, ist es nicht sicher in Tschetschenien. Es kann sein, dass nichts passieren wird in Tschetschenien, in römisch 40 ist er sicher, er arbeitet auch dort. Wir haben trotzdem Angst. Meine Schwester lebt in Dagestan, kommt aber sehr oft nach Tschetschenien zu meiner Mutter. Nachgefragt gebe ich an, dass Herzprobleme hat und keiner Beschäftigung nachgeht. Sie hat gearbeitet, aber ich weiß nicht genau was.

LA: Seit wann sind Sie in Österreich?

VP: Ich bin seit ca. 2012 hier in Österreich. Ich und meine Familie sind durchgehend hier in Österreich aufhältig.

LA: Sie haben bisher 4 Asylanträge eingebracht, es gab bereits mehrmals eine negative Entscheidung mit Rückkehrentscheidung und Sie hätten zurück in die Russische Föderation reisen müssen, warum sind Sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen?

VP: Es ist in Tschetschenien nicht sicher. Falls es nicht gefährlich gewesen wäre, wären wir zurück nach Tschetschenien.

LA: Haben Sie mit Ihrer Frau über Ihre Fluchtgründe gesprochen?

VP: Nein, ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen macht. Ich hatte außerdem Angst, dass im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation, ich und meine Frau dort, verhaftet werden und einvernommen werden.

LA: Wie lautet Ihr Familienstand?

VP: Ich bin mit Frau römisch 40 , geb. römisch 40 verheiratet. Persönlich waren wir nicht am Standesamt. Meine Mutter hat die Behördenwege erledigt. Ich habe die Heiratsurkunde bereits vorgelegt. Meine Mutter hat uns die Heiratsurkunde besorgt.

LA: Haben Sie Kinder, auch adoptierte oder uneheliche Kinder bzw. Unterhaltspflichten oder Sorgepflichten?

VP: Ich habe 3 Söhne 
römisch 40 .
römisch 40
römisch 40

Nachgefragt gebe ich an, dass ich keine weiteren Kinder oder Sorgepflichten haben. Nachgefragt gebe ich an, dass ich und meine Frau die Obsorge haben.

LA: Wie geht es Ihren Kindern?

VP: Alles ist gut, sie sind gesund. Mein Sohn beginnt nun im September mit der Schule.

LA: In welche Schule geht Ihr Sohn römisch 40 ?

VP: Es ist eine öffentliche Volksschule in römisch 40 .

LA: Haben Sie Angehörige bzw. Bekannte hier in Österreich, bzw. besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zu hier in Österreich lebenden Personen?

VP: Ich habe außer meiner Frau und Söhnen noch einen Bruder hier in Österreich. Ansonsten habe ich niemanden.

Anmerkung: römisch 40 , ABE im Laufen (hat Daueraufenthalt EU)

LA: Können Sie sich auf die gestellten Fragen konzentrieren und verstehen Sie die Dolmetscher?

VP: Ja

LA: Sie haben bereits mehrmals Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Sie sind am 22.9.2012 illegal in das Bundesgebiet eingereist und haben am selben Tag einen Asylantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde negativ entschieden. Ihre Beschwerde gegen den Bescheid wurde vom damaligen Asylgerichtshof als unbegründet abgewiesen. Am 11.2.2016 haben Sie einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Dieser Antrag wurde ebenfalls negativ entschieden und die Rückkehrentscheidung in zweiter Instanz gem. Erkenntnis des BvWG vom 3.2.2017 bestätigt. Am 16.10.2017 haben Sie erneut einen Folgeantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 18.9.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und festgestellt, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen diesen Bescheid des BFA haben Sie fristgerecht Beschwerde eingebracht. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Möchen Sie dazu etwas anführen? Warum haben Sie im Oktober 2017 einen Folgeantrag eingebracht? Gibt es neue Fluchtgründe? Bitte nennen Sie nun Ihre konkreten und individuellen Gründe für den Folgeantrag. Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe in freier Erzählung. Nehmen Sie sich ruhig Zeit dafür. Erzählen Sie so viele Details wie möglich. Sprechen Sie bitte auch über Ihre Emotionen Gefühle usw? Sie haben bereits in der Einvernahme am 9.9.2020 Ihre Fluchtgründe dargelegt, möchten Sie noch etwas hinzufügen oder dazu sagen?

VP: Ich bin hier, mische mich nicht in Tschetschenien ein. Jetzt ist alles ruhig. Ich sitze in der Ungewissheit hier, ich weiß nicht ob ich abgeschoben werden. Es gibt einen Mann, der aus Frankreich nach Tschetschenien abgeschoben wurde. Er wurde unmittelbar nach seiner Rückkehr von Kadyrow Leuten festgenommen und verhaftet. Er hat mich um Verzeihung gebeten, falls er über mich erzählen würde, da er dort unter Druck gesetzt wird und während der Einvernahme gefoltert wird.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein

LA: Möchten Sie noch etwas zu Ihren Fluchtgründen ergänzend vorbringen?

VP:Nein.

Nach vorheriger Manuduktion gebe ich an, dass sich die Anträge für meine drei oben genannten Kinder auf mein Asylverfahren beziehen sollen. Meine Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe. Ich stelle den Antrag auf ein Familienverfahren gem. Paragraph 34, AsylG. Diese Anträge sollen sich auf das Verfahren meines Ehemannes beziehen! Meine Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe!

LA: Wann wurde dieser Mann aus Frankreich nach Tschetschenien abgeschoben?

VP: Ca. am 12. April 2021.

LA: Wie heißt der Mann?

VP: FN: römisch 40 .

LA: Was wissen Sie über diesen Mann, vorher kennen Sie ihn?

VP: Seit meiner Einreise in Österreich kenne ich ihn persönlich. Wir haben gemeinsame Bekannte. Er ist auch nach Österreich gekommen. Er weiß viel über mich.

LA: Sie haben miteinander telefoniert, erzählen Sie mir konkretes über ihn, seit wann ist er in Frankreich, wo ist er in Frankreich, etc. wie lange war er dort, erzählen Sie mir über seine Familie? Nennen Sie konkrete Details?

VP: Wir haben eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Er war in Tschetschenien in Haft. Er wurde damals verhaftet. Er war als Zeuge im Verfahren gegen Kadyrow.

LA: Wann war dieses Verfahren, wann war er in Haft, etc?

VP: Ich weiß es nicht. Es gab ein Verfahren. Vlt. 2011. Die Leute von Kadyrow haben Menschen gefoltert. Eine Frau einer Menschenrechtsorganistaion hat ihm geholfen um frei zu kommen. Sie ist sehr berühmt.

LA: Wie heißt diese berühmte Frau?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Haben Sie Beweismittel, Zeitungsausschnitte etc.

PV: Dieser Mann dürfte nicht nach Tschetschenien zurück. Es ist bekannt. Es gibt einen tschetschenischen Verein namens BART MARSCHO in Frankreich, er war dort Mitglied. Der Obmann dieses Vereins war früher römisch 40 . Jetzt ist es anderer Obmann, römisch 40

Anmerkung. Genannter schaut auf sein Handy.

LA: Sie haben gesagt, dass Sie verhaftet werden würden, bei einer Rückkehr nach Tschetschenien, warum und wer würde Sie verhaften?

VP: Es gibt einen Mann namens römisch 40 . Er kann mich umbringen. Er kann mich nicht verhaften aber umbringen. Er hat schon 2 Verwandte umgebracht. Den Sohn meines Onkels väterlicherseits und den Sohn meiner Tante väterlicherseits umgebracht. Ich habe es bereits damals erzählt.

LA: Sie führten an, dass die Situation in Tschetschenien verschlechtert hat, was meinen Sie damit?

VP: Ich bin der Gegner der derzeitigen Regierung in Tschetschenien. Ich schaue mir viele Kritikvideos über die Regierung in den sozialen Netzwerken an. Ich gebe dort auch likes. Man kann wegen einem Like ins Gefängnis kommen. So etwas passiert in Tschetschenien.

LA: Sie sind seit 2012 hier in Österreich, welche Integrationsschritte haben Sie bisher unternommen? Haben Sie Kurse besucht, im Besonderen Deutschkurse?

VP: Ich habe es bereits in der Einvernahme im September gesagt. Nach dem negativen Bescheid, wusste ich nicht, was ich weitermachen soll. Derzeit besuche ich einen Deutschkurs A1. Ich habe in Österreich mehrmals meinen Wohnsitz gewechselt, war mit meiner Frau beschäftigt, da sie operiert wurde, deswegen konnte ich keine Schritte zur Integration setzten.

LA: Warum haben Sie immer den Wohnsitz in Österreich gewechselt?

VP: Nach meiner Einreise in Österreich habe in einer privaten Wohnung gewohnt. Es war zu teuer, deswegen bin ich umgezogen in ein Flüchtlingsheim. Das Flüchtlingsheim wurde geschlossen und es ist nun schon das 5 Flüchtlingsheim wo ich bin.

LA: Wie gestaltet sich Ihr Alltag, was machen Sie den ganzen Tag?

VP: Ich kümmere mich um meine Kinder und bringe meinen Sohn in den Kindergarten und spiele mit meinen Kindern. Ich gehe in den Deutschkurs bis 1500 Uhr. Nach d. Deutschkurs gehe ich meinen Sohn v. Kindergarten abholen. Bei schönem Wetter gehen wir zum Spielplatz.

LA: Haben Sie Hobbies?

VP: Nein. Ich koche gerne.

LA: Sprechen Sie Deutsch, wie gut würden Sie Ihre Deutschkenntnisse einschätzen?

VP: Manchmal kann ich gut sprechen manchmal nicht, wenn ich nervös werde. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte ich die Deutschprüfung für A1 nicht ablegen.

LA: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft hier in Österreich vor?

VP: Das Wichtigste ist, für meine Kinder eine gute Ausbildung zu gewährleisten. Ich möchte hier arbeiten und ein kleines Haus mieten mit Garten, wo ich mit meiner Familie Zeit verbringen kann.

LA: Haben Sie in Österreich schon gearbeitet?

VP: In römisch 40 habe ich beim Roten Kreuz gearbeitet. Ich habe dort im Jahr 2014 geholfen, ca. 6 Monate lang habe ich geholfen.

LA: Was würden Sie gerne hier arbeiten?

VP: Ich möchte als Schweißer arbeiten. Ich bin arbeitsfähig und auch arbeitswillig. Ich brauche nur einen Titel, damit ich hier arbeiten kann.

LA: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation? Russland ist ein sehr großes Land, was würde passieren? Ihre Mutter, Geschwister und Verwandte leben dort? Ihr Bruder lebt und arbeitet in römisch 40 , ist dort sicher, was würde bei einer Rückkehr passieren, z.B. nach römisch 40 zum Bruder?

VP: Ich werde sofort nach meiner Rückkehr am Flughafen von Kadirow-Leuten festgenommen. Da bin ich mir sicher.

LA: Warum sind Sie sich so sicher?

VP: Ich bin mir sicher, ich weiß es. Es ist bekannt in Tschetschenien, was ich hier gemacht habe.

LA: Was ist in Tschetschenien bekannt, was haben Sie hier gemacht?

VP: Die Likes. Sie wissen zu wem ich hier Kontakt habe.

LA: Wer weiß es, und woher?

VP: Es gibt viele Landsleute hier in Österreich, die für Kadyrow arbeiten. Diese forschen solche Leute aus.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend die Möglichkeit Ihr Vorbringen darzustellen oder möchten Sie noch etwas hinzufügen? Möchten Sie bezüglich Ihrer Fluchtgründe noch etwas anführen, wonach ich nicht explizit gefragt habe?

VP: Vor einem Jahr hatte ich kein einziges graues Haar, jetzt habe ich graue Haare. Es ist wegen dem Stress, da ich seit 1 Jahr mir Sorgen mache, was mit mir passiert.

[…]

Die Niederschrift der BF2 lautet auszugsweise:

[…]

LA: Werden Sie im Verfahren von jemanden vertreten oder besteht für jemanden eine Zustellvollmacht? Haben Sie einen Anwalt?

VP: Nein, ich weiß es nicht.

LA: Warum wissen Sie nicht, ob Sie vertreten werden?

VP: Derzeit haben wir keinen Anwalt, ob wir früher einen Anwalt gehabt haben, weiß ich nicht.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich, nehmen Sie Medikamente, sind Sie in ärztlicher Behandlung oder haben Sie Beschwerden? Haben Sie neue Befunde oder ärztliche Gutachten, die Sie noch nicht vorgelegt haben?

VP: Es geht mir derzeit gut. Ich nehme Medikamente. Levopon, ein Medikament gegen Epilepsie. Nach der Operation muss ich das Medikament einnehmen. Ich muss es täglich am Abend eine Tablette einnehmen. Mein letzter Anfall war vor 6 oder 7 Jahren. Sonst habe ich keine Beschwerden. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht schwanger bin.

LA: Wird Epilepsie in der Russischen Föderation behandelt?

VP: In Russland habe ich auch Medikamente genommen. Sie haben aber nicht geholfen. Es gibt natürlich auch Leute mit epileptischen Anfällen in Russland, die behandelt werden.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Ja.

LA: Gibt es Gründe, die gegen eine Befragung am heutigen Tage sprechen. Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen eine der anwesenden Personen vor?

VP: Nein

LA: Haben Sie in den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt und stimmen diese Angaben?

VP: Ja. Ich habe immer die Wahrheit gesagt. Die Angaben stimmen.

LA: Wie heißen Sie, bitte nennen Sie Ihren richtigen Familiennamen und Vornamen sowie etwaige frühere Namen auch Aliasnamen etc?.

VP: Familienname römisch 40 Vorname: römisch 40 .

LA: Wann und wo sind Sie geboren?

VP: Ich bin am römisch 40 , Tschetschenien geboren.

LA: Können Sie entsprechende identitätsbezeugende Dokumente vorlegen wie z.B. Reisepass oder sonstige ID-Ausweise? Ihr Ehemann hat in der Einvernahme am 9.9.2020 gesagt, dass er sich die Reisepässe schicken lässt und der Behörde vorlegt?

VP: Ich weiß es nicht.

LA: Haben Sie weitere neue Beweismittel vorzulegen. Im Besonderen heimatliche Dokumente bzw. neue Beweismittel, welche Sie noch nicht vorgelegt haben, die wichtig für das Verfahren sind?

VP: Nein, mein Mann hat die Unterlagen und wird bei seiner EV die Unterlagen vorlegen.

LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie:

VP: Ich bin Staatsangehörige der Russischen Föderation.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Ich bin Tschetschenin

LA: Welche Religionszugehörigkeit haben Sie?

VP: Ich bin Muslima.

LA: Sie wurden bereits mehrmals einvernommen, haben Sie bisher die Wahrheit gesagt, möchten Sie etwas korrigieren, hat sich seitdem etwas geändert?

VP: Nein, ich möchte nichts korrigieren. Ich habe die Wahrheit gesagt und halte meine Aussagen aufrecht.

LA: Sie wurden zuletzt am 9.9.2020 einvernommen, was hat sich seit der letzten Einvernahme verändert?

VP: Nein, es hat sich nichts geändert. Alles ist gleich. Die Verwandten sind immer noch in Tschetschenien.

LA: Welche Verwandte sind noch in Tschetschenien?

VP: Meine Mutter, Schwester und Bruder sowie meine Onkel und Tanten.

LA: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Verwandten, im Besonderen zu Ihrer Tante, Geschwister?

VP: Wir haben ein normales Verhältnis. Nachgefragt gebe ich an, dass wir keine Probleme miteinander haben.

LA: Zu wem haben Sie Kontakt in die Russische Föderation?

VP: Ich habe regelmäßigen Kontakt zu meiner Mutter und Schwester sowie zu Freundinnen.

LA: Wie oft haben Sie Kontakt?

VP: Ich kann nicht oft mit meiner Schwester telefonieren, weil ich kleine Kinder habe. Ich versuche jeden Tag meine Schwester bzw. Mutter zu kontaktieren.

LA: Was meinen Sie damit, dass Sie nicht oft telefonieren können?

VP: Jetzt telefoniere ich 3x wöchentlich mit meiner Mutter bzw. Schwester. Ich möchte aber täglich mit ihnen reden, wegen der Kinder habe ich keine Zeit und nicht den Zugriff zum Handy. Ich muss mich um die Kinder kümmern.

LA: Was sind die Inhalte Ihrer Gespräche mit den Verwandten, worüber sprechen Sie, was erzählen Sie, wie geht es Ihren Verwandten, im Besonderen Mutter und Schwester?

VP: Ich frage meine Mutter, wie es ihr gesundheitlich geht. Sie hat eine Operation an der Wirbelsäule gehabt, es ist alles gut gegangen. Sie ist zu Hause jetzt. Vorher hat sie als Biologielehrerin an einer staatlichen Schule in römisch 40 gearbeitet. Sie ist seit ca. 10 Jahren in Pension und bekommt auch eine Pension bezahlt. Ansonsten gibt es keine Neuigkeiten. Meine Schwester besucht meine Mutter. Meine Schwester arbeitet als Krankenschwester in der Schule. Nachgefragt gebe ich an, dass mein Bruder verschiedenen Arbeiten nachgeht. Er arbeitet manchmal als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle und nimmt auch andere Hilfsarbeiten an.

LA: Seit wann sind Sie in Österreich?

VP: Ich bin ca. seit 8 Jahren hier in Österreich.

LA: Sie haben bisher 4 Asylanträge eingebracht, es gab bereits mehrmals eine negative Entscheidung mit Rückkehrentscheidung und Sie hätten zurück in die Russische Föderation reisen müssen, warum sind Sie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen?

VP: Wir sind nie ausgereist. Niemals haben wir Österreich verlassen.

LA: Warum nicht, immerhin wurden Ihre Anträge negativ entschieden?

VP: Ich weiß es nicht, mein Mann weiß es. Er erzählt mir nicht alles. Er macht sich große Sorgen um uns. Er hat Angst nach Tschetschenien zurückzukehren. Wir haben Angst, dass wir wegen der Probleme meines Mannes verfolgt werden.

LA: Worüber macht sich Ihr Mann solche Sorgen?

VP: Er erzählt nichts darüber.

LA: Haben Sie Ihren Mann nicht gefragt?

VP: Er erzählt mir nichts.

LA: Wie lautet Ihr Familienstand?

VP: Ich bin traditionell mit römisch 40 verheiratet. Wir haben dann in Russland standesamtlich auch geheiratet. Mein Mann hat die Unterlagen.

LA: Wann konkret haben Sie standesamtlich in Russland geheiratet?

VP: Es war vor 10. Jahren.

LA: Bitte nennen Sie die Personendaten Ihres Ehemannes?

VP: FN: römisch 40 , VN: römisch 40 , geb römisch 40 .

LA:         Haben Sie Kinder, auch adoptierte oder uneheliche Kinder bzw. Unterhaltspflichten oder Sorgepflichten?

VP:         Ich habe 3 Söhne 
römisch 40 .
römisch 40
römisch 40
Nachgefragt gebe ich an, dass ich keine weiteren Kinder oder Sorgepflichten haben.

LA: Wie geht es Ihren Kindern?

VP: Alles ist gut, sie sind gesund. römisch 40 ist zu Hause. Wir müssen ihn anmelden, damit er in den Kindergarten kommt. römisch 40 geht am 6. September 2021 in die Schule.

LA: In welche Schule geht Ihr Sohn römisch 40 ?

VP: Mein Mann hat ihn angemeldet. Ich weiß nicht mehr. Mein Mann hat sich um die Schulanmeldung meines Sohnes mit Hilfe der Sozialarbeiter im Heim. Ich bleibe mit den anderen zu Hause.

LA: Haben Sie Angehörige bzw. Bekannte hier in Österreich, bzw. besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zu hier in Österreich lebenden Personen?

VP: Ich habe keine Angehörige hier. Es besteht auch zu hier in Österreich lebenden Personen ein Abhängigkeitsverhältnis. Ob mein Mann hier Angehörige hat, weiß ich nicht. Ich weiß, dass seine Mutter und sein Bruder in Tschetschenien sind.

LA: Können Sie sich auf die gestellten Fragen konzentrieren und verstehen Sie die Dolmetscher?

VP: Ja

LA: Sie haben bereits mehrmals Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Sie sind am 22.9.2012 illegal in das Bundesgebiet eingereist und haben am selben Tag einen Asylantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde negativ entschieden. Ihre Beschwerde gegen den Bescheid wurde vom damaligen Asylgerichtshof als unbegründet abgewiesen. Am 11.2.2016 haben Sie einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Dieser Antrag wurde ebenfalls negativ entschieden und die Rückkehrentscheidung in zweiter Instanz gem. Erkenntnis des BvWG vom 3.2.2017 bestätigt. Am 16.10.2017 haben Sie erneut einen Folgeantrag eingebracht. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 18.9.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und festgestellt, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gegen diesen Bescheid des BFA haben Sie fristgerecht Beschwerde eingebracht. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Möchen Sie dazu etwas anführen? Warum haben Sie im Oktober 2017 einen Folgeantrag eingebracht? Gibt es neue Fluchtgründe? Bitte nennen Sie nun Ihre konkreten und individuellen Gründe für den Folgeantrag. Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe in freier Erzählung. Nehmen Sie sich ruhig Zeit dafür. Erzählen Sie so viele Details wie möglich. Sprechen Sie bitte auch über Ihre Emotionen Gefühle usw?

VP: Ich habe keine eigenen Fluchtgründe. Meine Gründe sowie die Gründe meiner Kinder beziehen sich auf die Fluchtgründe meines Mannes.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein

LA: Möchten Sie noch etwas zu Ihren Fluchtgründen ergänzend vorbringen?

VP: Ich möchte noch sagen, dass ich während meines Aufenthaltes in Tschetschenien, keine professionelle medizinische Behandlung erhalten habe.

Nach vorheriger Manuduktion gebe ich an, dass sich die Anträge für meine drei oben genannten Kinder und mein Asylantrag auf das Asylverfahren meines Ehemannes beziehen sollen. Wir haben keine eigenen Fluchtgründe. Ich stelle den Antrag auf ein Familienverfahren gem. Paragraph 34, AsylG. Diese Anträge sollen sich auf das Verfahren meines Ehemannes beziehen! Meine Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe!

LA:         Wer hat die Obsorge über die Kinder?

VP:         Mein Mann und ich.

LA: Welche Sprachen sprechen Ihre Kinder?

VP: Sie sprechen tschetschenisch, russisch. Sie schauen im Fernseher russische Zeichentrickfilme. römisch 40 beginnt schon Deutsch zu sprechen.

LA: Sie sind seit 2008 hier in Österreich, welche Integrationsschritte haben Sie bisher unternommen? Haben Sie Kurse besucht, im Besonderen Deutschkurse?

VP: Wegen meiner Behandlung konnte ich keine Kurse besuchen.

LA: Wann waren die letzten Behandlungen?

VP: Vor ca. 7 Jahren.

LA: Was waren das für Behandlungen?

VP: Ich nehme nun Medikamente.

LA: Warum haben Sie keine Kurse gemacht, sie nehmen Medikamente, die letzte Behandlung war vor ca. 6 Jahren?

VP: Wegen der Kinder.

LA: Wie gestaltet sich Ihr Alltag, was machen Sie den ganzen Tag?

VP: Ich betreue meine Kinder und erledige die Haushaltsarbeiten. In meiner Freizeit spreche ich mit meiner Mutter und mit tschetschenischen Freundinnen. Wir wohnen in einem Flüchtlingsheim, dort unterhalte ich mich mit meiner tschetschenischen Nachbarin.

LA: Haben Sie Hobbies?

VP: Manchmal zu Hause mache ich Sport.

LA: Warum gehen Sie nicht raus?

VP: Ich bleibe zu Hause. Ich will nicht draußen sein. Als tschetschenische Frau ist es nicht erlaubt. Die Religion erlaubt es nicht, deswegen gehe ich nicht raus. Ich mache Sport zu Hause.

LA: Sie haben 3 Kinder, gehen Sie mit ihnen nicht nach draußen um zu spielen, etc.?

VP: Ich war schon im Jahr 2021 2x draußen. Manchmal kommt die ganze Familie mit, manchmal nur ich.

LA: Wer besorgt die Einkäufe?

VP: In der Nähe gibt es einen Supermarkt, Lidl. Ich gehe dort alleine hin, wenn es um Kleinigkeiten mache ich es. Ansonsten macht es mein Mann.

LA: Können Sie Deutschkursbestätigungen vorlegen?

VP: Nein

LA: Sprechen Sie Deutsch, immerhin sind Sie schon 8 Jahre in Österreich?

VP: Etwas.

Anmerkung. Dolmetscherin wird ersucht die nachfolgenden Fragen nicht zu übersetzen?

LA: Haben Sie österreichische Freunde oder Bekannte? (Frage auf Deutsch)

VP:        --

Anmerkung: schüttelt den Kopf

LA: Wie ist das Wetter?

VP: …

Anmerkung: schüttelt den Kopf

LA: Wo wohnen Sie?

VP: .----

Anmerkung. Schüttelt den Kopf.

Annmerkung: LA stellt fest, dass Genannte über keine nennenswerten Deutschkenntnisse verfügt. Die Dolmetscherin wird ersucht, die weiteren Fragen wieder zu übersetzen.

LA: Was wissen Sie über die Geschichte Österreichs?

VP: Es gibt einen Dichter. Er hat ein Gebäude für seine Braut gebaut. Er hat ein goldenes Dach gebaut.

LA: Kennen Sie bekannte Österreicher,. z.B. Politiker, Dichter, etc.?

VP: Nein.

LA: Wie gefällt es Ihnen in Österreich, welche Orte bzw. Sehenswürdigkeiten haben Sie schon gesehen, waren Sie schon in Bundesländern?

VP: Es gefällt mir alles. Es gibt Freiheit hier.

LA: Wiederholung der Frage?

VP: Wir waren im Museum, ich weiß nicht welches. Zu Weihnachten wird römisch 40 schön geschmückt. Wir gehen spazieren, das gefällt mir.

LA: Wie finanzieren Sie sich Ihr Leben hier in Österreich, gehen Sie einer Beschäftigung nach?

VP: Wir bekommen die Grundversorgung.

LA: Wie hoch ist ihr gesamtes monatliche Einkommen?

VP: Jeder bekommt 200 Euro. Mehr als 800 ca. bis 1.000 Euro monatlich, bekommt die gesamte Familie.

LA: Was macht Ihr Ehemann den ganzen Tag?

VP: Er erledigt die Behördenwegen. Falls wir einen Termin haben, begleitet er mich immer. Die Kinder lassen wir bei einem Bekannten.

LA: Wer kümmert sich jetzt um die Kinder?

VP: Eine Bekannte.

LA: Hat Ihr Ehemann Hobbies?

VP: Er spielt mit den Kindern und geht mit den Kindern, wenn ich was mache, spazieren.

LA: Besucht Ihr Ehemann Kurse, was macht er den ganzen Tag?

VP: Er besucht dzt. einen Deutschkurs.

LA: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft hier in Österreich vor?

VP:Ich will, dass meine Kinder eine sichere Zukunft haben und eine Ausbildung gekommen. Ich möchte, dass meine Kinder hier in Österreich aufwachsen.

LA: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation? Russland ist ein sehr großes Land, was würde passieren? Ihre Mutter, Geschwister und Verwandte leben dort? Ihre Mutter war Lehrerin in einer staatlichen Schule, bezieht eine Pension, ihre Schwester arbeitet als Krankenschwester, was würde passieren?

VP: Mein Mann hat Feinde, vermute ich. Ich habe deswegen Angst.

LA: Was wissen Sie über den Fluchtgrund Ihres Mannes, welche Feinde?

VP: Ich weiß es nicht. Vlt. während des Krieges.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie ausreichend die Möglichkeit Ihr Vorbringen darzustellen oder möchten Sie noch etwas hinzufügen? Möchten Sie bezüglich Ihrer Fluchtgründe noch etwas anführen, wonach ich nicht explizit gefragt habe?

VP: Nein, ich habe alles gesagt.

LA: Was meinen Sie, während des Krieges, der Krieg ist schon lange vorbei?

VP: Es gibt Leute die vergessen nicht.

LA: Möchten Sie die Länderfeststellung zur Russischen Föderation vom im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht haben? Es wird Ihnen angeboten, dass diese seitens des Dolmetschers übersetzt wird und können Sie danach eine Stellungnahme dazu abgeben!

VP: Nein, ich möchte keine Stellungnahme abgeben. Ich möchte sagen, dass im Fernsehen gezeigt wird, dass das Leben in Tschetschenien so schön ist. Es ist aber nicht so, Leute werden gezwungen es zu sagen. Es wird nicht die Wahrheit berichtet. Die jüngeren Leute werden dort verfolgt.

LA: Möchten Sie eine Ausfertigung der Niederschrift.

VP: Ja

LA: Konnten Sie sich bei dieser Einvernahme konzentrieren? Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden?

VP: Ja, danke.

VP: Ich werde nun die Befragung beenden, wollen Sie noch ergänzende Angaben machen?

LA: Nein, ich habe alles gesagt.

VP: Hatten Sie ausreichend die Möglichkeit Ihr Vorbringen darzustellen?

LA: Ja, alles ok.

[…]

4.10. Mit im Familienverfahren ergangenen, gegenständlichen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2021 wurden die Anträge der BF1-BF5 auf internationalen Schutz vom 16.10.2017 (BF1-BF3) bzw. 05.10.2017 (BF4) bzw. 21.09.2018 (BF5) bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.) und die Anträge gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführer jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt römisch VI.).

Das BFA traf Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer, zu den Gründen des Verlassens des Herkunftsstaats und der Situation im Falle ihrer Rückkehr, ihrem Privat- und Familienleben sowie zur Situation in deren Herkunftsstaat.

Beweiswürdigend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass bereits 3 Asylverfahren hinsichtlich des BF1 und der BF2 rechtskräftig negativ entschieden worden seien und auf das Erkenntnis des BVwG vom 19.06.2017, römisch 40 zu verweisen sei, mit welchem der dritte Antrag auf internationalen Schutz der BF1-BF2 vollinhaltlich abgelehnt worden sei. Die belangte Behörde zitiert im Anschluss ausführlich aus dem genannten Erkenntnis des BVwG und führt dazu aus, dass der BF1 bereits im ersten und zweiten Asylverfahren eine Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Das dritte Asylverfahren sei wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Nunmehr ließen sich dem aktuell vierten Verfahren keine neuen Sachverhalte entnehmen, die etwas an der Glaubwürdigkeit des BF ändern würden. Der BF1 habe eine vermeintliche Blutfehde, ebenso wie seinen vermeintlichen Einsatz für die Unabhängigkeit seiner Heimatregion und seine behauptete Kritik an der aktuellen Regierung auch schon in der Vergangenheit behauptet, wobei er damals keine Verfolgung glaubhaft habe machen können. Auch die Vorlage von neuen Dokumenten, welche von der belangten Behörde als nicht tauglich angesehen würden, könne an diesem Umstand nichts ändern. Die vom BF1 vorgelegten Fotos könnten in jedem erdenklichen Kontext entstanden seien und sei dieser darauf auch nicht wiederzuerkennen. Eine Teilnahme seiner Person an einem kriegerischen Konflikt würde dadurch nicht belegt. Das vom BF1 vorgelegten Schreiben, die teilweise auf Russisch verfasst seien, würden auf Grund der Art und Beschaffenheit lediglich Gefälligkeitsschreiben darstellen, welche keine Beweismittel für eine Verfolgung darstellen würden. In Anbetracht der mehrfach durch das ehemalige BAA, das BFA, den ehemaligen Asylgerichtshof und das BVwG festgestellten Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF1, welches er nunmehr in seinem 4. Verfahren neuerlich erstattet habe, sei festzustellen, dass die geltend gemachte Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspreche, sondern zum Zweck der Aufenthaltserlangung gestellt worden sei.

4.11. Mit für alle Familienmitglieder gleichlautendem Schriftsatz vom 15.07.2021 erhoben die BF1-BF5, gegen die angeführten Bescheide vom 15.06.2021 in vollem Umfang fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Im Wesentlichen wird darin ausgeführt, dass der BF1 bereits mehrfach umgehend in seinem Asylverfahren die Beteiligung an den Kämpfen gegen Russland und die Politik Kadyrows dargelegt habe. Er habe auch umgehend über die Ermordung seines Bruders berichtet und die geschworene Blutrache. Eine Rückkehr nach Tschetschenien stelle für ihn jedenfalls eine erheblich bedrohende Situation dar. Die belangte Behörde verweise beweiswürdigend lediglich darauf, dass der BF1 seine Fluchtgründe im ersten und zweiten Asylverfahren nicht glaubhaft gemacht habe und, dass das dritte Asylverfahren wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei. Der BF1 habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Er habe jedoch auch darauf verwiesen, dass es viele Männer gäbe, die anerkannte Flüchtlinge seien und auch gekämpft hätten. Diese könnten auch bestätigen, wer der BF1 im Krieg gewesen sei und welche Position er dort bezogen habe. Aus dem erstinstanzlichen Bescheid sei nicht erkennbar, dass der BF1 nach den Namen und Adressen der Zeugen befragt worden sei. Nach Aufklärung durch den ausgewiesenen Vertreter mache der BF1 daher die erwähnten Männer namhaft und beantrage deren Einvernahme vor dem BVwG. Die Zeugen werden zum Beweis der Tatsache beantragt, dass der BF1 im Krieg gegen Russland und die Politik Kadyrows gekämpft habe sowie seine Familie im Heimatland aufgrund seiner Teilnahme an dem Krieg verfolgt werden. Außerdem habe er Blutrache wegen der Ermordung seines Bruders geschworen und bestehe eine Blutfehde, die eine Verfolgung durch die Behörden ausgelöst habe. Der BF1 beantrage auch seine eigene Einvernahme vor dem BVwG. Spruchpunkte römisch II. bis römisch IV. würden ebenfalls bekämpft, wobei auf die oben gemachten Ausführungen zu verweisen sei. Auch Spruchpunkt römisch fünf. werde zur Gänze bekämpft, in eventu werde dieser teilweise bekämpft, sodass eine Abschiebung nicht in das Gebiet Tschetschenien, sondern in ein anderes Gebiet Russlands zulässig sei. Eine Abschiebung in das russische Gebiet Tschetscheniens stelle für den BF1 eine erhebliche Gefahr dar.

Da Spruchpunkt römisch VI. der angefochtenen Bescheide nicht in Beschwerde gezogen wurde, ist dieser jeweils in Rechtskraft erwachsen.

4.12. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 23.07.2021 (BF1-BF2) bzw. am 20.08.2021 (BF3-BF5) beim Bundesverwaltungsgericht ein.

4.13. Mit Parteiengehör vom 18.11.2021 wurden die beschwerdeführenden Parteien aufgefordert sämtliche Unterlagen zu ihrer Integration binnen zwei Wochen vorzulegen.

4.14. Mit Schriftsatz vom 02.12.2021, eingelangt am 03.12.2021, übermittelten die beschwerdeführenden Parteien ein Konvolut an Integrationsunterlagen.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennen sich zum islamischen Glauben. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer (BF3-BF5). Die BF1-BF2 reisten spätestens am 22.09.012 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am gleichen Tag ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz, welche in weiterer Folge mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 10.05.2013 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes abgewiesen wurden, unter einem wurde die Ausweisung der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation verfügt. Dagegen eingebrachte Beschwerden wurden mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs vom 01.08.2013, Zln. römisch 40 , gemäß Paragraphen 3, Absatz eins,, 8 Absatz eins, Ziffer eins und 10 Absatz eins, Ziffer 2, Asylgesetz 2005 idgF (AsylG 2005), als unbegründet abgewiesen.

Die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien leisteten ihrer Ausreiseverpflichtung keine Folge. Am 12.08.2015 wurde der BF3 als Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren. Für diesen wurde seitens seiner gesetzlichen Vertreter mit schriftlicher Eingabe vom 18.09.2015 um internationalen Schutz angesucht, am 11.02.2016 brachten die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien Folgeanträge ein. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2016 wurden die Anträge der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte römisch eins.) und die Anträge gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkte römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß Paragraphen 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz 1 Ziffer 3 AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß Paragraph 52, Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkte römisch III.). Gemäß Paragraph 55, Absatz 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, einer Beschwerde gegen die vorliegenden Entscheidungen wurde gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 6, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte römisch IV. und römisch fünf.). Dagegen eingebrachte Beschwerden wurden mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.02.2017, römisch 40 , als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerdeführer kamen ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellten am 23.02.2017 Folgeanträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden vom 23.0.2017, Zlen. römisch 40 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer erneut eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des BVwG vom 19.06.2017 als unbegründet abgewiesen und ausgeführt, dass sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die BF1-BF3 betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in den Personen der Beschwerdeführer gelegenen Umstände ergeben habe. In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat könn auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes und der Schwangerschaft der BF2 keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über die Anträge auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.

Am römisch 40 wurde der BF4 im Bundesgebiet nachgeboren. Am 05.10.2017 wurde für den BF3 ein schriftlicher Antrag auf internationalen Schutz für ein nachgeborenes Kind gestellt. Am 16.10.2017 stellten die BF1-BF3 Folgeanträge auf internationalen Schutz. Der BF5 wurde am 07.09.2018 im Bundesgebiet nachgeboren. Am 21.09.2018 wurde für den BF3 ein schriftlicher Antrag auf internationalen Schutz für ein nachgeborenes Kind gestellt. Mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden wurden die Anträge der BF1-BF5 auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gegen sei eine neuerliche Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch VV.)., festgestellt, dass eine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.). Gegen Spruchpunkt römisch VI. wurde keine Beschwerde erhoben, weshalb dieser in Rechtskraft erwachsen ist.

Die BF1-BF5 halten sich seit ihrer Einreise im September 2012 (BF1-BF2) bzw. seit ihrer Geburt in den Jahren 2015, 2017 und 2018 durchgehend im Bundesgebiet auf. Die BF1-BF2 sprechen muttersprachlich Tschetschenisch und sehr gut Russisch. Die BF1-BF2 sprechen mit den BF3-BF5 Tschetschenisch und Russisch.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation respektive Tschetschenien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat in Bezug auf ihre eigene Person sowie im Hinblick auf die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer keine individuellen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen geäußert.

1.3. Es besteht für die BF1-BF2, die an keinen aktuell lebensbedrohlichen Krankheiten leiden als leistungsfähige Personen im berufsfähigen Alter sowie mit einem familiären und sozialen Netz im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation gemeinsam mit ihren minderjährigen Söhnen keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Die beschwerdeführenden Parteien liefen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF1 ist in Tschetschenien geboren, hat dort 7 Jahre lang die Grundschule besucht und verschiedene Gelegenheitsjobs ausgeführt. Seine Mutter lebt noch in Tschetschenien, in dem Dorf in welchem der BF1 geboren ist. Die Schwester des BF lebt in Dagestan und sein Bruder in römisch 40 . Mit seiner Mutter steht der BF1 täglich in Kontakt und mit seinen Geschwistern einmal im Monat.

Die BF2 wurde aufgrund ihrer Epilepsie von ihrer Mutter, die Lehrerin ist, zu Hause unterrichtet. Die Mutter, die Schwester und Onkeln der BF2 leben noch in Tschetschenien. Die Schwester der BF2 arbeitet in Tschetschenien als Schulkrankenschwester. Mit ihrer Mutter und ihrer Schwester hat die BF2 mehrmals wöchentlich Kontakt. Die BF2 hat keine Berufsausbildung im Herkunftsstaat absolviert und (noch) nicht gearbeitet.

Der BF1 leidet an einer koronaren Herzkrankheit, weshalb zuletzt im Jahr 2021 eine Erweiterung der Herzkranzgefäße stattgefunden hat und ihm ein Stent eingesetzt wurde. Der BF1 nimmt aus diesen Gründen das Medikament Thrombo Ass. Die BF2 leidet an Epilepsie, weshalb sie vor ca. 7 Jahren im Bundesgebiet operiert worden ist. Seit diesem Zeitpunkt hat sie keine epileptischen Anfälle mehr. Die BF2 nimmt das Medikament Levopon gegen Epilepsie. Die BF2 leidet außerdem an Hepatitis B und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der BF1 befand sich zumindest von Juni 2018 bis Oktober 2018 in psychotherapeutischer Behandlung. Die BF3-BF5 sind gesund. Die beschwerdeführenden Parteien leiden jeweils an keinen schwerwiegenden, chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Russischen Föderation respektive Tschetschenien besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen die beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnten.

1.4. Die unbescholtenen BeschwerdeführerInnen leben in einem gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet, führen untereinander ein Familienleben und halten sich seit über 9 Jahren im Bundesgebiet auf. Die beschwerdeführenden Parteien bestreiten ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und waren bislang nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF1 hat sich bemüht gezeigt, die deutsche Sprache zu erlernen. Er hat von Anfang an eine Vielzahl an Deutschkursen besucht und zuletzt einen Deutschkurs auf Sprachniveau A2 absolviert. Die BF1-BF3 sind Mitglieder des Vereines „ römisch 40 “ (Verein für Ausbildung und Integration von Tschetschenen in Österreich). Der BF1 verfügt über eine aktuelle Einstellungszusage und hat bereits zuvor im Jahr 2018 über zwei Einstellungszusagen verfügt. Im Jahr 2015 leistete er ehrenamtliche Tätigkeiten. Die BF2 hat noch keine Deutschkurse besucht und spricht kein Deutsch.

Der BF3 besucht seit September 2021 die Volksschule im Bundesgebiet. Die BF4-BF5 besuchen seit September 2021 den Kindergarten.

Die 6, 4 und 3-jährigen BF3-BF5 halten sich seit ihrer Geburt durchgehend in Österreich auf. Der BF3 spricht Deutsch und besucht seit September 2021 die Volksschule im Bundesgebiet. Die BF4-BF5 besuchen seit September 2021 den Kindergarten.

Die Bindungen der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer zu ihrer Heimat sind aufgrund des Umstandes, dass diese ihr gesamtes bisheriges Leben in Österreich verbracht haben, schwach ausgeprägt, während sie das Leben in Österreich gewohnt sind.

Die beschwerdeführenden Parteien haben sich einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut, mit welchem sie regelmäßig ihre Freizeit verbringen. Zudem lebt im Bundesgebiet der Bruder des BF1.

Der Lebensmittelpunkt der beschwerdeführenden Parteien befindet sich zwischenzeitlich in Österreich. Aufgrund der seitens der beschwerdeführenden Parteien gesetzten Integrationsschritte sowie des aufrechten Familienlebens zwischen den BeschwerdeführerInnen würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen.

1.5. Zu den Feststellungen in der Russischen Föderation:

„[…]

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vergleiche CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vergleiche EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vergleiche EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vergleiche FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vergleiche FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vergleiche OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vergleiche FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vergleiche AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vergleiche Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vergleiche AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

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Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow wurde bei den Wahlen vom 18. September 2016 laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2020). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vergleiche AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

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Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vergleiche GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vergleiche EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vergleiche Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).

In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).

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Nordkaukasus

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Jedoch stellt ein Sicherheitsrisiko für Russland die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020).

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2020). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020). […]

Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (Caucasian Knot 2.7.2020a, Caucasian Knot 2.7.2020b, Caucasian Knot 27.10.2020, Caucasian Knot 24.12.2020, Caucasian Knot 20.2.2021).

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Rechtsschutz/Justiz

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2020). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020)

Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2020). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen von Ende 2018, rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen, und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen. Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6.2020).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2020). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021). Mit Ende 2019 waren beim EGMR 15.050 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2019 wurde die Russische Föderation in 186 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2020).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 2.2.2021).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).

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Tschetschenien und Dagestan

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens und Dagestans. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition (EASO 9.2014).

Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vergleiche, ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält unter anderem auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Die Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art „alternative Justiz“. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für die Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 2.2.2021). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechtssysteme einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagt' lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).

Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben. Er kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 6.2020). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Föderationssubjektes zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz gegenüber dem tschetschenischen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechten und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten sowie Friedensgerichten, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 6.2020). Die föderalen Behörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, politische Entscheidungen in Tschetschenien zu treffen, wo das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow im Gegenzug für das Halten der Republik in der Russischen Föderation unkontrollierte Macht erlangt hat (FH 3.3.2021).

Die Bekämpfung von Extremisten geht laut Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Es gibt ein Gesetz, das die Verwandten von Terroristen zur Zahlung für erfolgte Schäden bei Angriffen verpflichtet. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (USDOS 11.3.2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 6.2020). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 2.2.2021), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 6.2020) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinschaft und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan überworfen haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Elena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021). Kritik und Dissens werden nicht geduldet (HRW 13.1.2021).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige werden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Auch in Dagestan hat sich der Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u.a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug. Auch die Blutrache wird im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan angewendet. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Institution der Blutrache zu verzichten (AA 2.2.2021).

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Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und bekämpft Kriminalität. Die Aufgaben der Föderalen Nationalgarde sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, die Administrierung von Waffenbesitz, der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil. Zivile Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Obwohl das Gesetz Mechanismen für Einzelpersonen vorsieht, um Klagen gegen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen einzureichen, funktionieren diese Mechanismen oft nicht gut. Gegen Beamte, die Missbräuche begangen haben, werden nur selten strafrechtliche Schritte unternommen, um sie zu verfolgen oder zu bestrafen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führte (US DOS 11.3.2020), ebenso wendet die Polizei häufig übermäßige Gewalt an (FH 3.3.2021; vergleiche AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021).

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Spätestens 12 Stunden nach der Inhaftierung muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Behörden müssen dem Inhaftierten auch die Möglichkeit geben, seine Angehörigen telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt stellt einen Haftbefehl aus, um die Inhaftierung geheim zu halten. Die Polizei ist verpflichtet, einen Häftling nach 48 Stunden gegen Kaution freizulassen, es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, den von der Polizei eingereichten Antrag mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haft zu verlängern. Der Angeklagte und sein Anwalt müssen bei der Gerichtsverhandlung entweder persönlich oder über einen Videolink anwesend sein. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 11.3.2020).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen „fremdländischen“ Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 2.2.2021). Am 13.5.2020 wurde von der Regierung der Russischen Föderation ein Antrag auf Änderung des Polizeigesetzes in die russische Duma eingebracht, welche zu einer erheblichen Ausweitung von Polizeibefugnissen führt (Gebrauch der Schusswaffe bei einer Festnahme, Aufbrechen von Fahrzeugen, Absperren von Bereichen, etc.) (ÖB Moskau 6.2020).

Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.3.2020). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen „Kadyrowzy“. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Rebellenkämpfern. Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Aufseiten des tschetschenischen Innenministeriums sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Gründung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hat angeblich 9.000 Bedienstete. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramsan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch 'ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden ‚unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben' (EASO 3.2017).

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem 'langen Arm' des Regimes von Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 2.2.2021).

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Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Artikel 21 Punkt 2, der Verfassung und Artikel 117, des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche EASO 3.2017). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern häufig nur unzureichend untersucht (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche EASO 3.2017, AA 2.2.2021). Folter ist jedoch noch immer allgegenwärtig, und die Täter bleiben häufig straffrei (AI 16.4.2020; vergleiche HRW 13.1.2021, AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020).

Immer wieder gibt es auch Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land (AI 16.4.2020). Laut Amnesty International und dem russischen 'Komitee gegen Folter' kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 2.2.2021). Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Tagen nach der Inhaftierung (USDOS 11.3.2020). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtlichen Tötungen. Ramsan Kadyrow lässt solche Formen von Gewalt anwenden, um die Kontrolle über die Republik Tschetschenien zu behalten. Diese Aktivitäten finden manchmal über die Grenzen Russlands hinaus statt (FH 3.3.2021).

Im August 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta Videos von Wachen, die in Jaroslawl Gefangene organisiert prügelten. Die Behörden verhafteten nach einem öffentlichen Aufschrei mindestens 12 Gefängniswachen, aber die NGO Public Verdict berichtete schon im Dezember 2018 über systematische Misshandlung in einem anderen Gefängnis in der Region. Im Juli 2019 veröffentlichte Public Verdict ein weiteres Video, das anhaltende Misshandlungen in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter und verurteilten sie zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).

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Korruption

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 3.3.2021). Obwohl das Gesetz Strafen für Behördenkorruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (USDOS 11.3.2020; vergleiche EASO 3.2017, BTI 2020). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 11.3.2020; vergleiche EASO 3.2017, BTI 2020). Die meisten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung sind oft nur symbolischer Natur. Korruptionsvorwürfe der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BTI 2020). Zu den Formen von Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördenkorruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 11.3.2020).

Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche BTI 2020). Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dokumentiert regelmäßig Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene, ohne dass die staatlichen Strukturen darauf reagieren (BTI 2020). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung. 2020 nimmt Russland im Ranking des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 129. Platz von 179 ein (GIZ 1.2021a).

Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet, und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die Zeitung 'Kommersant' den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes. Der Fond soll Ende 2017 über 2,2 Mrd. Rubel (über 30 Mio. €) verfügt haben. Allein vom 30.11. bis 5.12.2019 berichteten tschetschenische Beamte über mindestens 12 Initiativen, die aus den Mitteln des Fonds finanziert wurden (ÖB Moskau 6.2020). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.7.2016).

Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70% des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik nicht überrascht (WI 25.2.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 2.2.2021). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen und sofort nach Moskau ausgeflogen. Alle vier standen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.2.2018). Wladimir Wassilews Ernennung [zum Republiksoberhaupt von 2018-2020] bekräftigt die Bedeutung von Dagestan für den russischen Staat und die Tatsache, dass Putin nicht länger bereit ist, die von den Subventionen abgezogenen Mittel zu ignorieren (PONARS Eurasia 11.2018). Der Nachfolger Wassilews ist Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (BPB 26.10.2020).

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Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Artikel 19, Absatz 2,). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Artikel 15, Absatz 4, der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vergleiche Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2020).

Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikanierung bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Menschen für wohltätige Projekte engagieren und Freiwilligenarbeit leisten. Zivile Kammern wurden als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat eingerichtet (ÖB Moskau 6.2020). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in Bezug auf die Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2020) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).

Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine führten vorübergehend zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Gleichzeitig ist aber im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu bemerken, der in Zusammenhang mit sozialen Problemen (Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog zwischen den EU-Botschaften, mit NGOs, der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern (ÖB Moskau 6.2020).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten, soweit dies angesichts der bestehenden Einschränkungen möglich ist, aufmerksam beobachtet (ÖB Moskau 6.2020).

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Tschetschenien

NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, die das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2020). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Jelena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021).

Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen. Nach wie vor gibt es Clans, welche Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche BAMF 11.2019).

2017 und laut der NGO LGBTI Network in geringem Ausmaß bis 2019 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 2.2.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2020, HRW 17.1.2019). Es gibt Berichte über Personen, die nach Folterungen gestorben sind [vgl. Kapitel Homosexuelle] (FH 3.3.2021). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angeblichen außergerichtlichen Tötungen von 27 Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten (ÖB Moskau 6.2020), die nicht im Zusammenhang mit der Verfolgung von LGBTI-Personen stehen sollen (ÖB Moskau 12.2019; vergleiche AI 22.2.2018). Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Die russische Menschenrechtsombudsperson wurde Berichten zufolge bei der Untersuchung dieser Vorgänge in Tschetschenien bewusst getäuscht (ÖB Moskau 6.2020).

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen homosexuelle Männer berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Auch 2019 blieben frühere gewalttätige Übergriffe gegen Menschenrechtsverteidiger ungeahndet (AI 16.4.2020). Im Februar 2020 wurden die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina, und eine Menschenrechtsanwältin angegriffen und mit Schlägen traktiert. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020). In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 6.2020). [Bezüglich Morde bzw. Vorfälle gegen tschetschenische Kritiker in Europa und Russland siehe Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].

Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).

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Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein

Die tschetschenische Führung setzt ihren Angriff auf alle Formen von abweichender Meinung und Kritik fort (HRW 13.1.2021). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020). Ramsan Kadyrow versucht, dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher (AA 2.2.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden (ÖB Moskau 6.2020). Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen, und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigungen, Entführungen, Misshandlungen und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet, für Schäden, die durch einen Anschlag entstanden sind, aufzukommen, und die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt. Es kommt vor, dass Personen, welchen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen können ihre Arbeitsstelle verlieren, Kinder können Schwierigkeiten bei der Aufnahme in die Schule haben, jugendliche und erwachsene Söhne können Schwierigkeiten mit den tschetschenischen Sicherheitsorganen bekommen (inkl. unrechtmäßiger Festnahmen, Prügel, etc.) (ÖB Moskau 6.2020). Weiters hat Ramsan Kadyrow im Jänner 2017 die Sicherheitskräfte angewiesen, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in 'die Irre geführt wurden' (Caucasian Knot 25.1.2017).

Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor (Meduza 31.10.2017). Ausgewiesene Familien können sich grundsätzlich in einer anderen Region der Russischen Föderation niederlassen und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken. Die freie Wahl des Wohnorts gilt für alle Einwohner der Russischen Föderation, auch für jene des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es den Sicherheitsorganen möglich, diesen zu finden. Dies gilt nach Einschätzung von Experten auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser im Einzelfall bestehenden Gefährdungslage wird allerdings auch dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie auch von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte (ÖB Moskau 6.2020).

Salafisten werden als aktive oder potenzielle Extremisten und Terroristen wahrgenommen. Die Verfolgung von Salafisten passiert zu einem großen Teil über außergesetzliche Mechanismen, vor allem in Tschetschenien, wo seit Anfang der 2000er Jahre zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen von Vertretern eines 'nicht traditionellen Islam' stattfanden, der jedoch oft keine Verbindung zum terroristischen Untergrund hatte (Memorial 10.2020). Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand sein Zentrum hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens und bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Von tschetschenischen Sicherheitskräften werden Entführungen begangen. In Tschetschenien selbst ist der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan. Die Kämpfer würden im Allgemeinen auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Nach dem terroristischen Anschlag auf Grosny am 4.12.2014 nahm Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des 'Komitees gegen Folter', dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden sind (Standard.at 14.12.2014; vergleiche Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 niedergebrannte Häuser (The Telegraph 17.1.2015; vergleiche Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall ist das 2016 niedergebrannte Haus von Ramasan Dschalaldinow. Er hatte sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über Behördenkorruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RL 18.5.2016; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Ebenso wurden im Jahr 2016 nach einem Angriff von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grosny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US Department of States (US DOS), Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grosny vom Dezember 2014. 2017, 2018, 2019 und 2020 gab es in den einschlägigen Berichten keine Hinweise auf das Niederbrennen von Häusern (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018, US DOS 13.3.2019, HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019, HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021).

Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Laut einer Analyse des Journalisten Vadim Dubow aus dem Jahr 2016 emigrierten die meisten Tschetschenen aus rein ökonomischen Gründen: Tschetschenien ist zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstreckt sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Dieser Analyse wird von anderen Experten widersprochen. Wirtschaftliche Gründe spielten demnach eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung, Tschetschenien zu verlassen. Andere Kommentatoren verweisen wiederum auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als Fremdkörper kritisierten Salafismus. Menschenrechtsaktivisten wiederum sehen in der Darstellung von Asylwerbern aus Tschetschenien als Wirtschaftsflüchtlinge eine Strategie des regionalen Oberhaupts Kadyrow (ÖB Moskau 6.2020). Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht (CACI 25.2.2020). Beispielsweise wurde im August 2019 der ethnische Tschetschene Selimchan Changoschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal in Berlin auf offener Straße ermordet. Er hat im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und dürfte nicht, wie teilweise in den Medien kolportiert, Islamist gewesen sein, sondern ein Kämpfer in der Tradition der Republik Itschkeria. Auch soll er damals enge Verbindungen zu dem damaligen moderaten Präsidenten Aslan Maschadow gehabt haben (Tagesschau.de 28.8.2019). Der sehr prominente tschetschenische Separatistenpolitiker im Exil, Achmad Sakaew [Ministerpräsident der tschetschenischen Exilregierung und Vertreter von Itschkeria], gab 2020 eine Erklärung ab, in der er Folterungen in Tschetschenien verurteilte. Die tschetschenischen Behörden zwangen Sakaews Verwandte sofort, sich öffentlich von ihm loszusagen (HRW 13.1.2021).

Ramsan Kadyrow droht öffentlich und ungestraft damit, Bloggerwegen der Verbreitung von 'Zwietracht und Klatsch' einzuschüchtern, ins Gefängnis zu stecken und zu töten (AI 16.4.2020). Ein Beispiel hierfür ist der wohl populärste Kritiker Kadyrows. Der Blogger Tumso Abdurachmanow wird häufig von hochrangigen Leuten aus Kadyrows Umfeld bedroht und angegriffen (Deutschlandfunk.de 11.3.2019). Mitte 2019 erklärte der Vorsitzende des tschetschenischen Parlaments und enger Vertrauter von Ramsan Kadyrow, Magomed Daudov (auch bekannt als 'Lord'), dem Blogger die Blutfehde (BBC 27.2.2020), nachdem Abdurachmanow den verstorbenen Vater von Ramsan Kadyrow, Achmad Kadyrow, als Verräter bezeichnet hatte (RFE/RL 27.2.2020). Im Februar 2020 wurde Abdurachmanow in seiner Wohnung von einem mit einem Hammer bewaffneten Mann angegriffen. Er konnte den Angreifer abwehren und hat überlebt (BBC 27.2.2020; vergleiche RFE/RL 27.2.2020). Ein anderer Blogger wurde Anfang des Jahres 2020 mit 135 Stichwunden tot in einem Hotel im französischen Lille gefunden (SZ 4.2.2020; vergleiche Zeit.de 5.7.2020). Der aus Tschetschenien stammende Imran Aliew war als Blogger unter dem Namen 'Mansur Stary' bekannt (Caucasian Knot 28.5.2020). Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Caucasian Knot hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Auf Youtube hatte der Tschetschene Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020). Im Juli 2020 wurde in Gerasdorf bei Wien ein weiterer politischer Blogger getötet. Der Mann, der sich Ansur aus Wien nannte, hat auf Youtube mehrere Videos veröffentlicht, in denen er den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte. Die Angehörigen in Tschetschenien haben sich - vermutlich unter Druck - in einem Video von ihrem Verwandten distanziert. Gleichzeitig haben sie die Verantwortung für seine Tötung übernommen (Kurier.at 23.7.2020). Im September 2020 wurde Salman Tepsurkaew, Moderator eines Tschetschenien-kritischen Telegram-Kanals aus der Region Krasnodar vermutlich gewaltsam nach Tschetschenien verbracht. Anschließend wurde im Internet ein Video zirkuliert, auf dem er sich – offenbar unter Zwang – selbst sexuell erniedrigt. Er ist seitdem verschwunden, und tschetschenische Behörden verweigern bislang eine Aufklärung des Falls (AA 2.2.2021). Ein weiteres Beispiel ist der prominente Menschenrechtsaktivist und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien, Ojub Titiew, der nach Protesten aus dem In- und Ausland inzwischen unter Auflagen aus der Haft entlassen wurde. Er war wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes im März 2019 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Er selbst und Familienangehörige haben nach Angaben von Memorial Tschetschenien verlassen (AA 2.2.2021).

Ein Sicherheitsrisiko für Russland stellt die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen. Der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB informierte im Dezember 2019, dass ca. 5.500 russische Bürger sich im Ausland einer terroristischen Organisation angeschlossen und an Kriegshandlungen teilgenommen haben und dass gegenüber 4.000 in Russland eine Strafverfolgung eingeleitet wurde. Von 337 zurückgekehrten Kämpfern sind 224 bereits verurteilt und 32 festgenommen worden. Etwa 3.000 der insgesamt 5.000 Kämpfer stammten aus dem Nordkaukasus. Laut einem Bericht des Conflict Analysis & Prevention Center vom März 2020 wurde von den Tausenden Kämpfern, die aus dem Nordkaukasus nach Syrien oder in den Irak zogen, der Großteil getötet. In den letzten Jahren repatriiert Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen dieser Kämpfer zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weiterer Kinder ist geplant. Der Umgang mit Familienangehörigen von (ehemaligen) Kämpfern variiert von Region zu Region. Die Maßnahmen reichen von Beobachtung, über soziale Diskriminierung bis zu strafrechtlichen Verurteilungen (ÖB Moskau 6.2020).

Laut einem Experten für den Kaukasus kehren nur sehr wenige IS-Anhänger nach Russland zurück. Bei einer Rückkehr aus Gebieten, die unter Kontrolle des sogenannten IS stehen, werden sie strafrechtlich verfolgt. Nachdem der sogenannte IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen wurde, besteht die Möglichkeit, dass überlebende IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus kann sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben (ÖB Moskau 6.2020).

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Haftbedingungen

Straftäter werden entweder in sogenannten Ansiedlungskolonien (ähnelt dem freien Vollzug), Erziehungskolonien, Besserungsheileinrichtungen, Strafkolonien mit allgemeinem, strengem oder besonderem Regime (hier sitzt der ganz überwiegende Anteil der Häftlinge ein), oder in einem Gefängnis untergebracht (AA 2.2.2021). Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam, aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. Im Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall 'Ananjew und andere gegen Russland' hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gemäß Artikel 3, EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge aufgrund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12% bzw. 13% gesunken ist. Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 6.2020). Gefangene können Beschwerden bei öffentlichen Aufsichtskommissionen oder beim Büro der Ombudsperson einreichen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird diese Option aber nicht immer genutzt. Aktivisten berichten, dass nur Gefangene, die glauben, keine andere Option zu haben, die Konsequenzen einer Beschwerde riskieren. Beschwerden, die bei den Aufsichtskommissionen eingingen, konzentrierten sich häufig auf geringfügige persönliche Anfragen. Die Behörden gestatten Vertretern der öffentlichen Aufsichtskommissionen regelmäßig, Gefängnisse zu besuchen, um die Haftbedingungen zu überwachen. Es gibt in fast allen Regionen öffentliche Aufsichtskommissionen. Menschenrechtsaktivisten äußern sich besorgt darüber, dass einige Mitglieder der Kommissionen behördennahe Personen sind und Personen, die in der Strafverfolgung arbeiten. Laut Gesetz haben Mitglieder von Aufsichtskommissionen das Recht, Insassen in Haftanstalten und Gefängnissen mit ihrer schriftlichen Genehmigung auf Video aufzunehmen und zu fotografieren. Mitglieder der Kommission können auch Luftproben sammeln, andere Umweltinspektionen durchführen, Sicherheitsbewertungen durchführen und Zugang zu psychiatrischen Einrichtungen in Gefängnissen erhalten. Es gibt Berichte, dass die Gefängnisbehörden die Mitglieder der Aufsichtskommissionen daran hindern, Beschwerden von Gefangenen entgegenzunehmen (US DOS 11.3.2020).

Die häufigsten Vorwürfe betreffen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020), Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020), Korruption und fehlende Resozialisierungsmaßnahmen (ÖB Moskau 6.2020). Bei einem Haftbesuch der österreichischen Botschaft in einem Untersuchungsgefängnis in Moskau im Dezember 2019 wurden etwa die beengten Verhältnisse, die fehlende Privatsphäre, schleppende medizinische Betreuung und die unzureichenden Besuchsmöglichkeiten auch für den Rechtsbeistand moniert (ÖB Moskau 6.2020). Kritisiert werden auch die Bedingungen bei der Verbringung von Häftlingen in oft weit entfernte Strafkolonien (ÖB Moskau 6.2020). 2020 ist eine Gesetzesnovelle, gemäß dieser Häftlinge in Russland ihre Haftstrafe in der Nähe ihres Wohnorts oder in der Nähe des Wohnorts ihrer Angehörigen verbüßen sollen, in Kraft getreten (ÖB Moskau 6.2020).

Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Häftlinge stetig gesunken, von über 1 Mio. auf ca. 520.000 im Februar 2020. Dennoch ist Russland mit 360 Häftlingen auf 100.000 Einwohner in Europa immer noch führend. Ca. 18% der Häftlinge befinden sich in Untersuchungshaftanstalten (ÖB Moskau 6.2020). In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Häftlinge kontinuierlich um durchschnittlich 32.000 pro Jahr gesunken (WPB 8.3.2019). Die Regierung ist bestrebt, die Anzahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte einen Gesetzesentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsätze statt Freiheitsstrafen) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als 'Folterkolonien' berüchtigt sind. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt (AA 2.2.2021). Vorwürfe in Bezug auf Folter und andere Misshandlungen in den Haftanstalten werden weiterhin gemeldet. Täter werden so gut wie nie zur Verantwortung gezogen. Aus ganz Russland trafen unzählige Foltervorwürfe ein. Im Dezember 2019 erhielt die gemeinnützige Stiftung 'Nuschna Pomosch' (Nötige Hilfe) von der Ermittlungsbehörde Statistiken über Folterungen in Haftanstalten. Demzufolge wurden von 2015 bis 2018 jährlich zwischen 1.590 und 1.881 Beschwerden wegen 'Amtsmissbrauchs' durch Strafvollzugsbeamte verzeichnet. Nur bei 1,7 - 3,2% dieser Beschwerden wurden Ermittlungen durchgeführt (AI 16.4.2020).

Die medizinische Versorgung ist nicht überall befriedigend (AA 2.2.2021; vergleiche US DOS 11.3.2020). Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung kommen laut NGOs vor. Die COVID-19-Prävention und die medizinische Versorgung Infizierter richten sich nach den Vorgaben des russischen Föderalen Strafvollzugsdienstes und den ihm unmittelbar unterstellten Einrichtungen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist auch hier die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer verlängerten Gerichte die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 2.2.2021). Der Chef der föderalen Strafvollzugsbehörde (FSIN) behauptete, dass es an Personal fehle, um Menschen mit Beeinträchtigungen in Haftanstalten zu betreuen (ÖB Moskau 6.2020).

Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen in Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese bleiben unter dem Standard (US DOS 11.3.2020).

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog. Somit können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnete im Jänner 2017 vier 'Besserungszentren' – in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet – und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe sind die Täter 'nicht von der Gesellschaft isoliert'. Sie können Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung eines Drittels der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben – vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen. Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vergleiche auch Standard.at 10.1.2017).

Im Juli 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta ein durchgesickertes Video von Strafvollzugspersonal in Jaroslawl, das einen Gefangenen brutal schlägt. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung verhaftete die russische Kriminalpolizei bis November 15 Verdächtige. Die schnelle und effektive Untersuchung war beispiellos in Russland, wo die Behörden typischerweise Beschwerden von Gefangenen über Misshandlungen ablehnen (HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019). Laut Freedom House veröffentlichte die NGO Public Verdict ein Video, das den anhaltenden Missbrauch in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 3.3.2021).

Laut Berichten des 'Komitees Ziviler Beistand' müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. Laut den Moskauer Vertretern des 'Komitees gegen Folter' gibt es hingegen keine gezielte staatliche Diskriminierung. Es ist flächendeckend sichergestellt, dass muslimische Strafgefangene Zugang zu Gebetsräumen und Imamen haben. Allerdings werden außer medizinisch indizierten Ernährungsvorgaben keine anderen Speisevorschriften, seien sie religiöser oder sonstiger Art, beachtet (AA 2.2.2021).

In denjenige Fällen, in welchen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich 'normaler' Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Russischen Föderation verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen im Nordkaukasus besser als im Rest Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien in der Regel als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes 'sachfremdes' Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien in der Regel eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 2.2.2021).

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Religionsfreiheit

Artikel 28, der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit (AA 2.2.2021). Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei als 'traditionelle Religionen' de facto eine herausgehobene Stellung (AA 2.2.2021), die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) spielt allerdings eine zentrale Rolle (AA 2.2.2021; vergleiche FH 3.3.2021). Die ROK arbeitet bei bestimmten Themen eng mit der Regierung zusammen (FH 3.3.2021). Rund 68% identifizieren sich als russisch-orthodoxe Christen, 7% als Muslime, und 25% gehören religiösen Minderheiten an, darunter Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Juden und Baha'i (USCIRF 4.2020). Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben zwischen 14 und 20 Millionen Muslime (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche GIZ 1.2021c). 2015 wurde von Präsident Putin in Moskau die größte Moschee Europas eröffnet, 2019 folgte eine noch größere Moschee in der tschetschenischen Stadt Schali (ÖB Moskau 6.2020).

Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens' sowie die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus' vertreten. Darüber hinaus sind zahlreiche andere Konfessionen, wie der Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen -, das Judentum (ca. 200.000 Gläubige) sowie von den christlichen Kirchen die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche und eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 1.2021c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen (GIZ 1.2021c; vergleiche USCIRF 4.2020). Die russische Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als eine Bedrohung für die soziale und politische Stabilität des Landes und pflegt gleichzeitig bedeutende Beziehungen zu den sogenannten 'traditionellen' Religionen des Landes. Die Regierung aktualisiert regelmäßig Gesetze, welche die Religionsfreiheit einschränken, darunter ein Religionsgesetz von 1996, ein Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus von 2002 und neuere Gesetze über Gotteslästerung, wie beispielsweise 'Schüren von religiösem Hass' und 'Missionstätigkeit'. Diese vagen Gesetze geben den russischen Behörden weitreichende Befugnisse, religiöse Reden oder Aktivitäten zu definieren und zu verfolgen oder religiöse Literatur zu verbieten, die sie für schädlich halten. Das Religionsgesetz legt strenge Registrierungsanforderungen an religiöse Gruppen fest und ermächtigt Staatsbeamte, die Tätigkeit der Gruppierungen zu behindern (USCIRF 4.2020).

Seit Ende der Achtzigerjahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer 'religiösen Renaissance' bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als nicht gläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein 'kanonisches Territorium' verfügt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der ROK in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat (GIZ 1.2021c).

Seit einer Änderung des Anti-Extremismus-Gesetzes im Jahr 2007 gerieten bestimmte religiöse Gruppen ins Visier der russischen Behörden, vor allem die Zeugen Jehovas und islamische Gruppierungen wie Hizb ut-Tahrir, aber auch Falun Gong, Scientology, und andere. Im Zuge einer Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Jahr 2016 wurden die Auflagen für Missionarstätigkeiten neu geregelt (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche USCIRF 4.2020). Das Anti-Extremismus-Gesetz wird auch genutzt, um Muslime - insbesondere Anhänger der islamischen Missionsbewegung Tablighi Jamaat und Leser des türkischen Theologen Said Nursi - wegen friedlicher religiöser Aktivitäten zu verfolgen (USCIRF 4.2020).

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, welche die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 2.2.2021; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Im Jahr 2020 erließen russische Gerichte Dutzende Schuldsprüche gegen Zeugen Jehovas (HRW 13.1.2021). Im Laufe des Jahres 2019 wurden mindestens 17 Zeugen Jehovas verurteilt, sieben von ihnen zu Freiheitsstrafen. Viele Weitere wurden zum Beispiel mit Hausdurchsuchungen schikaniert. Einige von ihnen erklärten, während der Vernehmung gefoltert oder misshandelt worden zu sein (AI 16.4.2020).

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Tschetschenien

Die tschetschenische Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weitverbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).

In Tschetschenien setzt Ramsan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Dieser soll moderat, aber streng kontrolliert sein. Salafismus und Wahhabismus duldet er nicht (USCIRF 4.2019). Die Autorität der Kadyrow-Regierung beruht auf der Wirkungskraft einer spezifischen islamischen Ideologie, die als Gegenentwurf zu den Lehren des Wahhabismus bzw. Salafismus konzipiert ist und die Gesellschaft gegen den Einfluss erstarkender fundamentalistischer Kräfte stabilisieren soll (Russland Analysen 21.9.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020). Die Bekämpfung von Extremisten geht laut glaubhaften Aussagen von lokalen NGOs einher mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert werden soll (AA 2.2.2021). Die strafrechtliche Verfolgung dieser Art von Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vergleiche USCIRF 4.2020). Auch Verwandte, Freunde und Bekannte können ins Visier der Behörden geraten (ÖB Moskau 6.2020). Belästigungen von Muslimen bei Gottesdiensten kommen vor, ebenso wie Entführungen zur 'Kontrolle der religiösen Überzeugungen'. Dies dient der Einschüchterung der Bevölkerung (USCIRF 4.2020).

Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden (USCIRF 4.2019). Polygamie kam schon in der Sowjetunion vor, allerdings nur heimlich. Nun wird sie durch die Scharia legitimiert (Welt.de 14.2.2017). Polygamie ist zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich (AA 2.2.2021). Die Religion verdrängt die alten Werte der traditionellen Dorfgemeinde. Der Islam wird dabei in unterschiedlichsten Formen gelebt und dient oft den Männern dazu, ihre Frauen zu unterdrücken (Welt.de 14.2.2017).

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Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht laut Gesetz Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 11.3.2020). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese Rechte jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber ca. vier Millionen Mitarbeiter des Militär- und Sicherheitsdiensts wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 11.3.2020; vergleiche FH 3.3.2021).

Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestanern etc.], das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Wer zur Miete wohnt, benötigt eine Bescheinigung seines Vermieters und wird damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 2.2.2021). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung vor allem von ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein [bez. Registrierung vergleiche Kapitel Meldewesen] (FH 3.3.2021).

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen; 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 2.2.2021; vergleiche ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 2.2.2021). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihren Inlandsreisepass mit sich führen (US DOS 11.3.2020; vergleiche FH 3.3.2021). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018; vergleiche FH 3.3.2021).

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Meldewesen

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018; vergleiche AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015; vergleiche EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12.2011; vergleiche ÖB Moskau 6.2020).

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015; vergleiche EASO 8.2018).

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Tschetschenen innerhalb der Russischen Föderation und Westeuropas

Die Bevölkerung in Tschetschenien ist inzwischen laut offiziellen Zahlen auf 1,5 Millionen angewachsen. Laut Aussagen des Republiksoberhaupts Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020). Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie zogen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation (EASO 8.2018). Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens, z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen), in der Region Rostow (über 11.000 Personen), in der Region Stawropol (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 93.000 Personen), in der Region Wolgograd (knapp 10.000 Personen) und in der Region Astrachan (über 7.000 Personen) (EASO 8.2018; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung die ethnische Zugehörigkeit nicht angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Region Wolgograd um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen in Tschetschenien in die Stadt, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten „Wajnach-Kongress“ (eine Organisation, die oft auch als 'tschetschenische Diaspora' bezeichnet wird) veranstaltet werden, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Anzahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel Bewegungsfreiheit, bzw. Meldewesen] (EASO 8.2018). In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen (Telegraph 24.2.2016; vergleiche EASO 8.2018). Diese kleinen Büros versuchen auch, den Handel zwischen den Regionen zu fördern. In ganz Russland gibt es ein Netz von 50 dieser offiziellen Vertretungen der tschetschenischen Republik. Obwohl es den Büros prinzipiell möglich wäre, Informationen zu einer bestimmten Person nach Grosny weiterzuleiten, können diese Vertretungen nicht als Knotenpunkt für das Sammeln von Informationen angesehen werden. Sie tätigen auch sonst keine weiteren, direkteren Aktionen. Obwohl die tschetschenischen Gemeinden in Russland Kadyrow teilweise behilflich bei der Ausübung von Druck auf hochrangige/bekannte Kritiker sind, scheint es keine Beweise zu geben, dass sie Informationen weitergeben (Galeotti 2019).

Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich zählt rund 35.000 Personen. Das tschetschenische Republiksoberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können (ÖB Moskau 6.2020). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates, misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gelten dessen Möglichkeiten zur Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 6.2020).

Grundsätzlich können Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens an einen anderen Ort in der Russischen Föderation flüchten und dort leben. Dies gilt für alle Einwohner des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es für die Behörden möglich, diesen aufzufinden und zurück in den Nordkaukasus zu bringen. Dies gilt nach Einschätzung von Experten aber auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist (ÖB Moskau 6.2020). Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen (AA 2.2.2021). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Wege zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall auch schlüssig begründet sein muss (DIS 1.2015). Trotz der Rolle nationaler Datenbanken und Registrierungsgesetze, die eine Rückverfolgung von Personen ermöglichen, besteht für betroffene Personen ein gewisser Spielraum, Anonymität und Sicherheit in Russland zu finden, allerdings abhängig von den spezifischen Umständen. Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind im Allgemeinen oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, da sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny sind. Die föderalen Sicherheitsbehörden machen einen deutlichen Unterschied zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt wurden, und von jenen, welchen nur vorgeworfen wird, Verbrechen begangen zu haben. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Tschetschene, der von Tschetschenien aus verfolgt wird, anderswo in Russland aktiv misshandelt wird, wenn nicht bereits ein Gerichtsurteil ergangen ist oder andere Behörden - im Wesentlichen der Inlandsgeheimdienst FSB, Generalstaatsanwaltschaft, Untersuchungskommission- davon überzeugt sind, dass ein substanzielles politisches Fehlverhalten oder ein Fall von organisierter Kriminalität vorliegt (Galeotti 2019). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich aber häufig auch in russischen Großstädten vor Ramsan Kadyrow nicht sicher (AA 2.2.2021), da bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, auch in Moskau präsent sind (AA 2.2.2021; vergleiche EASO 8.2018, New York Times 17.8.2017). Wie viele bewaffnete tschetschenische Kräfte es in Moskau gibt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist immer wieder die Rede davon, dass Kadyrow tausend, wenn nicht sogar Tausende Loyalisten aufbringen kann, die fähig und bereit sind, gegen das Gesetz zu handeln. Dies scheint jedoch höchst fragwürdig. Es gibt auch weniger als hundert Beamte, die offiziell bei den tschetschenischen Sicherheitskräften akkreditiert sind und berechtigt sind, in Moskau zu operieren (Galeotti 2019).

Relative Anonymität und Sicherheit bieten russische Städte, die groß genug sind, um als Neuankömmling nicht aufzufallen, und die weniger stark polizeilich überwacht sind als beispielsweise Moskau und St. Petersburg. Moskau und St. Petersburg sind insofern 'gefährlicher', als sie tendenziell dichter kontrolliert werden, ihre Kommunikationsinfrastruktur moderner ist und die Behörden wachsamer sind. Viel schwieriger ist es, sich in Moskau versteckt zu halten, da hier zum Beispiel viele Dokumentenkontrollen durchgeführt werden, routinemäßig bei Benutzung der U-Bahn die Registrierungen von Mobiltelefonen überprüft und neue Gesichtserkennungssysteme erprobt werden, die mit Straßenkameras verbunden sind. In geringerem Maße gilt vieles davon auch für St. Petersburg (Galeotti 2019).

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Grundversorgung

2019 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49% (WKO 4.2021). Die Arbeitslosigkeit befindet sich im Landesdurchschnitt auf einem moderaten Niveau (GIZ 1.2021b) und wird für das Jahr 2021 auf 5,2% prognostiziert (Statista 19.10.2020). Sie kann regional jedoch stark abweichen. Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2019). Das BIP lag 2020 bei ca. 1.474 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Rückgang um ca. 3%(WKO 4.2021).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der weltweiten Gasreserven (25,2%), circa 6,3% der weltweiten Ölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 70% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2020 den 94. Platz [2019 Platz 98] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. Die Erhöhung des allgemeinen Satzes der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% am Jahresanfang 2019 belastete die Verbrauchernachfrage. Das Wirtschaftsministerium prognostiziert für das Wirtschaftswachstum 2021 nur ein Plus von 2,8%. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 1.2021b).

Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Beeinträchtigungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €] entspricht. Die russische Akademie der Wissenschaften veranschlagt das tatsächliche erforderliche Existenzminimum dagegen bei 33.000 Rubel [ca. 366 €]. Vollbeschäftigte erhalten den Mindestlohn (derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €]), der jährlich zum 1.1. auf die Höhe des Existenzminimums im 2. Quartal des Vorjahres angehoben wird. Für Einkommen unter dem Existenzminimum besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit sechs Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20% für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Auch Migranten verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 2.2.2021).

Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern, vor allem Großfamilien, Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren, wie beispielsweise Moskau oder St. Petersburg, ist die offizielle Armutsquote nur halb so hoch wie im Landesdurchschnitt (knapp 14%), wohingegen beispielsweise in Regionen des Nordkaukasus jeder fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss. Auch ist prinzipiell die Armutsgefährdung am Land höher als in den Städten. Die soziale Absicherung ist über Pensionen, monatliche Geldleistungen für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Kriegsveteranen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Veteranen der Arbeit) und Mutterschaftsbeihilfen organisiert [bitte vergleichen Sie hierzu Kapitel Sozialbeihilfen] (Russland Analysen 21.2.2020a).

Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes bis Ende Juli 2021 beschlossen (Presse.com 10.12.2020).

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Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 1.2021a; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Die Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus ist laut Experten unter den höchsten in Russland. Im Zuge eines Austausches der österreichischen Botschaft mit dem Nordkaukasus-Ministerium im Oktober 2018 wurden von russischer Seite die umfassenden Anstrengungen zur sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus geschildert, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft und des Tourismus. Bei einer Sitzung zur Entwicklung der Region Nordkaukasus im Juni 2020 gab der Vertreter der russischen Regierung allerdings an, dass trotz föderaler Programme zur Unterstützung der Region diese bisher zu keiner entscheidenden Veränderung der sozio-ökonomischen Entwicklung geführt haben (ÖB Moskau 6.2020). Trotzdem ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 2.2.2021).

Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien mit September 2020 bei 23.783 Rubel [ca. 264 €], landesweit bei 49.516 Rubel [ca. 550 €] (Rosstat 19.11.2020). Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im Februar 2021 bei 13.484 Rubel [ca. 150 €] (Chechenstat 2021), landesweit im ersten Quartal 2020 bei 14.924 Rubel [ca. 166 €] (GKS.ru 7.5.2020). Das durchschnittliche Existenzminimum für das vierte Quartal 2020 lag in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 11.572 Rubel [ca. 129 €], für Pensionisten bei 9.196 Rubel [ca. 102 €] und für Kinder bei 11.294 Rubel [ca. 125 €] (Chechenstat 2021). Landesweit liegt das durchschnittliche Existenzminimum für das Jahr 2021 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei 12.702 Rubel [ca. 141 €], für Pensionisten bei 10.022 Rubel [ca. 111 €] und für Kinder bei 11.303 Rubel [ca. 126 €] (RIA Nowosti 9.1.2021).

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Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2019).

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).

Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).

Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2019). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2019). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

Familien mit geringem Einkommen;

Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).

Familienbeihilfe

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2019). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).

Mutterschaft

Mutterschaftsurlaub kann für bis zu 140 Tage bei vollem Gehaltsbezug beantragt werden (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann der Urlaub auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130 €) und der Maximalbetrag bei 61.327 Rubel (ca. 840 €) (IOM 2019). Weiters gibt es landesweite Pauschalzahlungen für die Geburt und die medizinische Registrierung vor der 12. Schwangerschaftswoche und seit 2020 Lohnersatzzahlungen von 40% in den ersten drei Jahren der Elternzeit. Mütter haben auch Anspruch auf zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage bis zum 14. Lebensjahr des Kindes. Bezüglich Betreuungseinrichtungen von Kindern ist zu sagen, dass die Gebühren dafür niedrig sind und hohe Vergünstigungen bei zunehmender Kinderanzahl bieten. Obwohl das Angebot von Betreuungseinrichtungen regional variiert, gibt es im Allgemeinen ein breites Versorgungsnetz (Russland Analysen 21.2.2020b).

Mutterschaftskapital

Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich (RBTH 22.4.2017). Ab dem 1.1.2020 wird das Mutterschaftskapital in Russland erhöht (Russland Capital 7.6.2019). Es beträgt derzeit 616.000 Rubel [ca. 6.835 €] (AA 2.2.2021). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt, und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil dies zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017). Die Höhe des Mutterschaftskapitals entspricht etwa einem durchschnittlichen Jahresgehalt, und bisher profitierten über fünf Millionen Familien davon. Das Mutterschaftskapital soll laut Putin bis Ende 2026 fortgeführt werden und auf die Geburt des ersten Kindes ausgeweitet werden (Russland Analysen 21.2.2020a). Das Mutterschaftskapital muss nicht versteuert werden und ist status- und einkommensunabhängig (Russland Analysen 21.2.2020b).

Behinderung

Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2019). Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 2.2.2021).

Arbeitslosenunterstützung

Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollten Bewerber diesen zurückweisen, werden sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 8.000 Rubel (ca. 111 €). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2019).

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen

Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Bürger ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2019).

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Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2020). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2019; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2020). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2019). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2019; vergleiche ÖB Moskau 6.2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt (ÖB Moskau 6.2020).

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2019; vergleiche ÖB Moskau 6.2020), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vergleiche Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vergleiche AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2020).

Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen' Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen' Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2020).

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2020). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). In Notfällen sind Medikamente in Kliniken, wie auch an Ambulanzstationen, kostenfrei erhältlich. Für gewöhnlich kaufen russische Staatsbürger ihre Medikamente jedoch selbst. Bürgern mit speziellen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. durch kostenfreie Medikamente, Behandlung und Transport. Die Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 2019). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2020). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) vergleiche dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).

Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2020).

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Tschetschenien

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, Schwangere und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos abgegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:

infektiöse und parasitäre Krankheiten

Tumore

endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten

Krankheiten des Nervensystems

Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems

Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde

Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes

Krankheiten des Kreislaufsystems

Krankheiten des Atmungssystems

Krankheiten des Verdauungssystems

Krankheiten des Urogenitalsystems

Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett

Krankheiten der Haut und der Unterhaut

Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen

Geburtsfehler und Chromosomenfehler

bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studierenden, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenpflegern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015; vergleiche GIZ 1.2021c, AA 2.2.2021). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramsan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, welche aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

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Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:

'Achkhoy-Martan RCH' (regional central hospital), 'Vedenskaya RCH', 'Grozny RCH', 'Staro-Yurt RH' (regional hospital), 'Gudermessky RCH', 'Itum-Kalynskaya RCH', 'Kurchaloevskaja RCH', 'Nadterechnaye RCH', 'Znamenskaya RH', 'Goragorsky RH', 'Naurskaya RCH', 'Nozhai-Yurt RCH', 'Sunzhensk RCH', Urus-Martan RCH', 'Sharoy RH', 'Shatoïski RCH', 'Shali RCH', 'Chiri-Yurt RCH', 'Shelkovskaya RCH', 'Argun municipal hospital N° 1' und 'Gvardeyskaya RH' (BDA CFS 31.3.2015).

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:

'The Republican hospital of emergency care' (former Regional Central Clinic No. 9), 'Republican Centre of prevention and fight against AIDS', 'The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova', 'Republican Oncological Dispensary', 'Republican Centre of blood transfusion', 'National Centre for medical and psychological rehabilitation of children', 'The Republican Hospital', 'Republican Psychiatric Hospital', 'National Drug Dispensary', 'The Republican Hospital of War Veterans', 'Republican TB Dispensary', 'Clinic of pedodontics', 'National Centre for Preventive Medicine', 'Republican Centre for Infectious Diseases', 'Republican Endocrinology Dispensary', 'National Centre of purulent-septic surgery', 'The Republican dental clinic', 'Republican Dispensary of skin and venereal diseases', 'Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation', 'Psychiatric Hospital ‘Samashki’, 'Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’', 'Regional Paediatric Clinic', 'National Centre for Emergency Medicine', 'The Republican Scientific Medical Centre', 'Republican Office for forensic examination', 'National Rehabilitation Centre', 'Medical Centre of Research and Information', 'National Centre for Family Planning', 'Medical Commission for driving licenses' und 'National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’' (BDA CFS 31.3.2015).

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:

'Clinical Hospital N° 1 Grozny', 'Clinical Hospital for children N° 2 Grozny', 'Clinical Hospital N° 3 Grozny', 'Clinical Hospital N° 4 Grozny', 'Hospital N° 5 Grozny', 'Hospital N° 6 Grozny', 'Hospital N° 7 Grozny', 'Clinical Hospital N° 10 in Grozny', 'Maternity N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 1 in Grozny', 'Polyclinic N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 3 in Grozny', 'Polyclinic N° 4 in Grozny', 'Polyclinic N° 5 in Grozny', 'Polyclinic N° 6 in Grozny', 'Polyclinic N° 7 in Grozny', 'Polyclinic N° 8 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 1', 'Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 5', 'Dental complex in Grozny', 'Dental Clinic N° 1 in Grozny', 'Paediatric Psycho-Neurological Centre', 'Dental Clinic N° 2 in Grozny' und 'Paediatric Dental Clinic of Grozny' (BDA CFS 31.3.2015).

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Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten, z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom PTBS/PTSD, Depressionen, etc.

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248).

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt auch für Tschetschenien (BMA 14483). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (Kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 14271), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 14483). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 14483).

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebenden Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin 101 wegen psychischer Probleme zwischen 700-2.000 Rubel (ca. 8-24€). In diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

Folgende häufig angefragte Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (v.a. auch in Tschetschenien): Sertralin (BMA 12132, BMA 14483) Escitalopran (BMA 12248, BMA 12977) Paroxetin (BMA 12863, BMA 14483) Citalopram (BMA 12977) Fluoxetin (BMA 14483).

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Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis / Tuberkulose

Ein ernstes Problem bleibt die Bekämpfung von HIV/AIDS. Der Anteil der AIDS-Kranken an der Bevölkerung wächst in Russland schneller als im Rest der Welt. Bis zu 1,7% der Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Bei den 35–39-Jährigen sind es sogar 3,2%. Die Zahl der Neuinfizierten steigt jährlich um mehr als 100.000. Die Krankheit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine ’Nationale Strategie der AIDS-Bekämpfung’ soll die Verbreitung eindämmen. Da jedoch ein korrespondierender Umsetzungsplan fehlt, bleibt die Lage weiterhin außer Kontrolle. Die Kosten der Behandlung werden nur für russische Bürger übernommen. Infizierte Migranten werden nicht behandelt (AA 2.2.2021). HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels bestimmter antiretroviraler Medikamente generell behandelbar (BMA 13876). Dies gilt auch für Tschetschenien (BDA 6757).

Hepatitis ist in der Russischen Föderation generell behandelbar (BMA 12364).

Tuberkulose ist beispielsweise im Central Scientific Research Institute of Tuberculosis in Moskau behandelbar (BMA 13699). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik generell behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Tuberkulose-Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015). 102 In Moskau beispielsweise werden auch die Kosten für die Behandlung der häufig vorkommenden Krankheit Tuberkulose vom Moskauer Forschungs- und Klinikzentrum für Tuberkulosebekämpfung übernommen. Jeder, auch Migranten oder Obdachlose, haben Zugang zu diesen kostenlosen Gesundheitsleistungen (ÖB Moskau 6.2020).

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Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer am Ort ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren [vgl. Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen]. Dies gilt generell für alle russischen Staatsangehörigen, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert, und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 6.2020).

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mithilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 6.2020).

Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 6.2020; vergleiche AA 2.2.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 6.2020).

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten noch immer von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 2.2.2021).

Rückkehrende werden grundsätzlich nicht als eigene Kategorie oder schutzbedürftige Gruppe aufgefasst. Folglich gibt es keine individuelle Unterstützung durch den russischen Staat. Rückkehrende haben aber wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen [vgl. Kapitel Sozialbeihilfen]. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden. Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründungen an. Programme zur Unterstützung kleiner Unternehmen werden auf regionaler Ebene implementiert, aber die verfügbaren Fördersummen sind begrenzt. Projekte und Kandidaten werden deshalb auf Basis eines Auswahlverfahrens der jeweiligen Businesspläne bestimmt. Die Förderung kann in Form eines Zuschusses oder eines Kredites erfolgen (IOM 2019).
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Dokumente

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 13.2.2019). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, wobei die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einen zeitaufwändigen Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte 'Vorladungen' zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).

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2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der vorliegenden Gerichtsakte des Bundesverwaltungsgerichtes.

Aufgrund der in Vorlage gebrachten Identitätsdokumente im Original (russische Auslandsreisepässe der BF1-BF2) in Zusammenschau mit der österreichischen Geburtsurkunden der minderjährigen BF3-BF5 und den insofern glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wird die Identität der beschwerdeführenden Parteien als feststehend erachtet.

Die Feststellungen zu den privaten und familiären Verhältnissen der beschwerdeführenden Parteien sowie zu ihrem Gesundheitszustand resultieren aus deren diesbezüglich glaubhaften Angaben, hinsichtlich derer im Laufe des Verfahrens keine Gründe hervorgekommen sind, an diesen zu zweifeln, sowie aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen. Hinsichtlich der vorgelegten Bestätigung des Psychotherapeuten des BF1 ist festzuhalten, dass diese aus dem Jahr 2018 datiert und keine aktuellen Unterlagen dazu vorgelegt wurden. Medizinische Unterlagen zu einer psychischen Erkrankung des BF1 wurden nicht vorgelegt, weshalb eine solche nicht festzustellen war. Die BF2 leidet hingegen nach dem Befundbericht vom 07.06.2018 des römisch 40 an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Medikamente hat die BF2 aufgrund ihrer Schwangerschaft damals nicht eingenommen. Aktuelle Psychotherapiebestätigungen hat die BF2 jedoch nicht vorgelegt, weshalb nicht anzunehmen ist, dass sie derzeit in psychotherapeutischer Behandlung ist oder Medikamente einnimmt. Selbiges wurde von ihr nicht vorgebracht. Darüber hinaus ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass auch im Herkunftsstaat ausreichende Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankungen im psychischen Bereich vorhanden sind, sodass diesen im Bedarfsfall auch im Herkunftsstaat die Aufnahme einer entsprechenden Behandlung möglich wäre. Auch eine Behandlung von Hepatitis B und Epilepsie der BF2 im Herkunftsstaat ist möglich, zumal die BF2 bereits in der Russischen Föderation an Epilepsie gelitten hat. Die medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation ist generell Gewährleistet und sind koronare Herzerkrankungen ebendort behandelbar.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Parteien ist aktuell eingeholten Auszügen aus dem Strafregister der Republik Österreich zu entnehmen.

2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsland der beschwerdeführenden Parteien beruhen auf den in den angefochtenen Bescheiden dargestellten Länderberichten. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen überwiegend von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen, weswegen es keine Anhaltspunkte dafür gibt, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die beschwerdeführenden Parteien sind den Länderberichten auch nicht substantiiert entgegengetreten. Insofern Quellen älteren Datums herangezogen werden, bleibt festzuhalten, dass sich die aktuelle Lage folglich laufender Medienbeobachtung bezogen auf den zu beurteilenden Fall im entscheidungsrelevanten Aspekt gegenüber den zitierten Feststellungen unverändert darstellt.

2.3. Die negative Feststellung zu potentieller Verfolgungsgefahr und aktuell drohender menschenrechtswidriger Behandlung der beschwerdeführenden Parteien in ihrem Herkunftsstaat beruht auf dem in den wesentlichen Punkten unglaubwürdigen Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien, mit dem sie eine ihnen im Herkunftsstaat drohende Gefahr nicht aufzeigen konnten.

Aufgabe eines Asylwerbers ist es, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen.

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen vergleiche VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472-10 mwN).

2.4. Im Sinne dieser Judikatur ist es den beschwerdeführenden Parteien nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen.

Der Erstbeschwerdeführer brachte bei seiner Erstbefragung seines nunmehr 4. Antrags auf internationalen Schutz im Oktober 2017 vor, dass es keine neuen Asylgründe gäbe. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme im September 2020 berichtete der BF1 von einem Besuch von Kadyrow Leuten bei seiner Mutter, weil er sich in Österreich an einer Kundgebung beteiligt habe, bei welcher er eine Maske getragen habe. Im Rahmen seiner Einvernahme im Mai 2021 gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass es in Tschetschenien nicht sicher sei. Er mische sich in Tschetschenien nicht ein und jetzt sei alles ruhig. Es gäbe einen Mann, der aus Frankreich nach Tschetschenien abgeschoben worden sei, der unmittelbar nach seiner Rückkehr von Kadyrow Leuten festgenommen und verhaftet worden sei. Dieser habe den BF1 um Verzeihung gebeten, falls er etwas über ihn erzählen würde, weil der Mann dort unter Druck gesetzt und während der Einvernahme gefoltert würde.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in Bezug auf ihre eigene Person sowie hinsichtlich der von ihr gesetzlich vertretenen minderjährigen dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien keine darüberhinausgehenden individuellen Verfolgungsbefürchtungen vor, sondern gründete die Stellung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz auf die Probleme des Erstbeschwerdeführers.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat nach Durchführung ergänzender Erhebungen im angefochtenen Bescheid zutreffend aufgezeigt, dass sich der vom Erstbeschwerdeführer geschilderte Fluchtgrund als unglaubwürdig erweist.

Zutreffenderweise ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid des BF1, dass die Fluchtgründe des BF1 nicht glaubhaft seien und bereits zuvor drei Asylverfahren hinsichtlich des BF1 geführt wurden. Zuletzt wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 19.06.2017, römisch 40 die zurückweisende Entscheidung des BFA vollinhaltlich bestätigt. Zunächst bleibt vom erkennenden Gericht ergänzend festzuhalten, dass der BF1 im Rahmen seiner Erstbefragung vorgebrachte, dass es keine neuen Asylgründe gäbe.

Das Vorbringen, wonach der BF1 selbst an Kampfhandlungen teilgenommen habe, wurde bereits in seinem zweiten Asylverfahren für unglaubhaft befunden. Das Vorbringen des BF1 wonach er in Österreich an Kundgebungen teilgenommen habe bzw. im Bundesgebiet mit politischen Mitteln versucht habe gegen Kadyrow zu kämpfen, war ebenfalls bereits Gegenstand seines dritten Asylverfahrens, wobei zweitinstanzlich mit Erkenntnis des BVwG vom 19.06.2017 ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführer sich auf dieselben Gründe beziehen würden, die bereits vor Rechtskraft des ersten Verfahrens bestanden hätten bzw. keinen glaubhaften Kern enthielten, weshalb diese nicht geeignet seien, einen neuen Antrag zu begründen, sondern vielmehr die Rechtskraft der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.02.2017 einer neuerlichen Sachentscheidung entgegenstehe. Die belangte Behörde weist im angefochtenen Beschehid zutreffend darauf hin, dass der BF1 eine vermeintliche Blutfehde, ebenso wie seinen vermeintlichen Einsatz für die Unabhängigkeit Tschetscheniens und seine behauptete Kritik an der aktuellen Regierung bereits in der Vergangenheit behauptet hat und damals keine Verfolgung seiner Person glaubhaft habe machen können. Ein diesbezügliches Vorbringen in der gegenständlichen Beschwerde ist daher von der Rechtskraftwirkung der bereits ergangenen Erkenntnisse des BVwG umfasst und geht daher ins Leere. Aus diesem Grund sind auch die Beweisanträge, die namhaft gemachten Zeugen zur Tätigkeit des BF1 im Tschetschenienkrieg zu befragen, abzuweisen, weil daraus keine neuen entscheidungswesentlichen Tatsachen zu erwarten sind und diese die Rechtskraftwirkung der bereits ergangen Erkenntnisse zu durchbrechen nicht geeignet sind. Das erkennende Gericht ist an die rechtskräftigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.06.2017 und vom 03.02.2017 sowie der rechtskräftigen Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 01.08.2013 gebunden.

Darüber hinaus ist der belangten Behörde auch dabei zuzustimmen, dass der BF1 einerseits auf den vorgelegten Fotos nicht wiederzuerkennen ist und diese andererseits in jedem erdenklichen Kontext entstanden sein könnten. Eine Beteiligung des BF1 an einem kriegerischen Konflikt wird dadurch keinesfalls bewiesen und ist davon auszugehen, wie ebenfalls behördenseitig ausgeführt, dass es sich bei den vorgelegten Schreiben um Gefälligkeitsschreiben handelt. Diesen beweiswürdigenden Erwägungen sind die Beschwerdeführer im Übrigen nicht substantiiert entgegengetreten, zumal (bei Wahrannahme) nach den Länderberichten auch Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges keine Verfolgung mehr im Herkunftsstaat droht.

Sämtliche Vorbringen des BF1 im gegenständlichen Verfahren sind von der Rechtskraft der Erkenntnisse des BVwG abgedeckt. Es ist dem BF1 somit nicht gelungen, wie behördenseitig bereits ausgeführt, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat Russische Föderation in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.

Selbst wenn die beschwerdeführenden Parteien subjektive Befürchtungen im Hinblick auf eine Rückkehr in ihre Heimatregion Tschetschenien aufweisen sollten, stünde es diesen im Übrigen frei, sich einer befürchteten Verfolgung durch die lokalen Behörden Tschetscheniens durch Niederlassung in einem anderen Landesteil zu entziehen. Die Länderberichte führen aus, dass der Machtbereich des tschetschenischen Staatsoberhauptes Kadyrow grundsätzlich auf das Territorium der tschetschenischen Teilrepublik beschränkt ist und es haben sich ungeachtet dessen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Erstbeschwerdeführer für die tschetschenischen Behörden von solcher Wichtigkeit wäre, als dass sie diesen im gesamten Staatsgebiet aktiv verfolgen würden. Ebensowenig bestehen Gründe für die Annahme, dass der Genannte durch die außerhalb Tschetscheniens agierenden russischen Sicherheitskräfte einer Verfolgung unterliegen würde.

Die BF1-BF5 haben selbst in der Beschwerde beantragt in eventu ihre Abschiebung in andere Teile der Russische Föderation zu verfügen, weshalb von der Sicherheit und Zumutbarkeit der Niederlassung ihrer Personen in anderen Teilen der Russischen Föderation auszugehen ist.

Angesichts der persönlichen Umstände des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, welche aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes grundsätzlich dazu in der Lage sind, den Lebensunterhalt für sich und ihre minderjährigen Kinder eigenständig zu erwirtschaften, könnte die Familie sich in zumutbarer Weise in anderen Teilen der Russischen Föderation, etwa in Moskau oder St. Petersburg, ansiedeln, wo für die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien künftig ebenfalls Zugang zu Schulbildung bestünde. Auch der Bruder des BF1 lebt in Moskau, sodass sie auch bei einer nunmehrigen Niederlassung in dieser Stadt anfänglich auf Unterstützung durch dort ansässige Verwandte zurückgreifen könnten. Die beschwerdeführenden Parteien haben zudem zahlreiche familiäre Bezugspersonen in Tschetschenien, zu welchen regelmäßig Kontakt besteht und welche die BF1-BF5 im Bedarfsfall zusätzlich finanziell unterstützen könnten. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin beherrschen Russisch und Tschetschenisch und könnten sich ihre Schulbildung, der BF1 zusätzlich seine Arbeitserfahrung auch auf dem Arbeitsmarkt in anderen Landesteilen zu Nutze machen.

2.5. Auch sonst sind keine Umstände ersichtlich, vor deren Hintergrund eine (neuerliche) Niederlassung in der Russischen Föderation, gegebenenfalls auch außerhalb ihrer Heimatregion Tschetschenien, für die beschwerdeführenden Parteien als individuell nicht zumutbar zu erachten wäre. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind volljährig, leiden jeweils an keinen aktuell lebensbedrohlichen Erkrankungen, verfügen über Schulbildung und der BF1 auch über Berufserfahrung. Sie sind mit der tschetschenischen und russischen Sprache sowie den örtlichen und kulturellen Gegebenheiten des Herkunftsstaates vertraut. Den Genannten wäre es daher möglich, sowohl in ihrer Heimatregion Tschetschenien, als auch in anderen Teilen der Russischen Föderation, durch Teilnahme am Erwerbsleben den Lebensunterhalt für sich und ihre minderjährigen Kinder eigenständig zu erwirtschaften. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben entgegenstehende Befürchtungen im Verfahren auch nicht geäußert. Zudem haben diese zahlreiche Angehörige im Herkunftsstaat, welche sie im Falle einer Rückkehr und auch im Falle der Niederlassung außerhalb Tschetscheniens anfänglich (finanziell) unterstützen könnten. Darüber hinaus stünde ihnen als russische Staatsbürger ein Rückgriff auf Leistungen des dortigen Sozialsystems offen, auch könnten sie durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe nach Paragraph 52 a, BFA-VG vorübergehend das Auslangen im Heimatland finden.

Die Behandlung der koronaren Herzerkrankung des BF1, die Epilepsie und die Hepatits B Erkrankung der BF2 sind sowohl in Tschetschenien als auch in anderen Landesteilen der Russischen Föderation nach den Länderberichten behandelbar. Auch psychische Erkrankungen sind in Tschetschenien behandelbar und diverse Antidepressiva verfügbar. Bei den minderjährigen beschwerdeführenden Parteien handelt es sich um gesunde Kinde im Alter zwischen 6 und 3 Jahren, welche in Obhut ihrer Eltern in den Herkunftsstaat zurückkehren würden, welche sie weiterhin betreuen und für ihren Lebensunterhalt aufkommen würden. Da sich die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien in einem mit hoher Lern- und Anpassungsfähigkeit verbundenen Lebensalter befinden, wäre es diesen im Falle einer Niederlassung der Familie in Tschetschenien oder außerhalb Tschetscheniens binnen angemessener Zeit möglich sich dort gut einzuleben. Insgesamt ist daher nicht erkennbar, dass den beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Niederlassung in der Russischen Föderation ein Leben ohne unbillige Härten nicht möglich wäre. Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht dem realen Risiko unterliegen, in eine die Existenz bedrohende Notlage zu geraten.

Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen auch im Herkunftsland bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Artikel 3, EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt (zu den aktuellen Zahlen vergleiche WHO, https://covid19.who.int/region/euro/country/ru), zumal die medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation auch in Hinblick auf Covid-19 gegeben ist. Die Russische Föderation hat als eines der ersten Länder mit landesweiten Impfungen ihrer Bevölkerung begonnen und sind mittlerweile drei heimische Impfstoffe zugelassen, die für die Bevölkerung kostenlos zur Verfügung stehen. Darüber hinaus stehen diverse Medikamente zur Behandlung von Covid-19 zur Verfügung und erfolgt eine medizinische Covid-Versorgung für die Bevölkerung kostenlos. Insgesamt ist, vor dem Hintergrund der umfangreich gegebenen medizinischen Covid-Versorgung in der Russischen Föderation, trotz Zugehörigkeit des BF1 (aufgrund seiner koronaren Herzerkrankung) zu einer Risikogruppe bei einer Infektion mit Covid-19 und der möglichen Gefahr einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden, nicht dazu geeignet ein für eine Schutzgewährung signifikantes Risiko aufzuzeigen, um jene geforderte Schwelle der Exzeptionalität der Umstände zu erreichen.

2.6. Im gegenständlichen Verfahren erscheint daher der Sachverhalt vor dem Hintergrund des unsubstantiierten Beschwerdevorbringens auf Grundlage des ordnungsgemäß durchgeführten erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens in hinreichender Weise geklärt und ist dieser in den entscheidungswesentlichen Belangen nach wie vor als vollständig und aktuell anzusehen. Aufgrund der bisherigen Ermittlungen ergibt sich zweifelsfrei, dass aus dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien kein glaubhafter asylrelevanter Sachverhalt oder eine sonstige konkrete, auf das gesamte Staatsgebiet bezogene, Bedrohungslage abzuleiten ist und muss daher auch eine allfällige Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien vor diesem Hintergrund als ausgeschlossen betrachtet werden.

2.7. Die Feststellungen zum derzeitigen Familien- und Privatleben der BeschwerdeführerInnen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Parteien im Laufe des Verfahrens, aus den vorgelegten Bestätigungen und Schreiben, insbesondere den Zertifikaten über absolvierte Deutschkurse des BF1, seiner vorgelegten Einstellungszusage, der Schulbesuchsbestätigung des BF3 und den Kindergartenbesuchsbestätigungen der BF4-BF5 sowie den Unterstützungsschreiben zum Beleg des sozialen Netzes der beschwerdeführenden Parteien. Dass die BF2 kein Deutsch spricht ergibt sich aus ihrer Einvernahme vor dem BFA, bei welcher sie keine einzige Frage auf Deutsch verstehen, oder gar beantworten konnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Da sich die gegenständliche zulässige und rechtzeitige Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG zur Entscheidung zuständig.

Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Das Verwaltungsgericht hat, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; 18.2.2015, Ra 2015/04/0007; 25.7.2019, Ra 2018/22/0270).

3.1.2. Hinsichtlich der beschwerdeführenden Parteien liegt ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 vor. Die auch nur von einem Familienmitglied erhobenen Beschwerde gilt nach Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen (Paragraph 2, Ziffer 22, AsylG 2005) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich. Da keinem Angehörigen der Kernfamilie der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, konnte weder der Status des Asylberechtigten noch der Status des subsidiär Schutzberechtigten für die anderen Mitglieder der Kernfamilie nach den Bestimmungen des Familienverfahrens (Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005) gewährt werden.

Zu A) Abweisung der Beschwerden:

3.2. Zum Status der Asylberechtigten:

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt der dem Paragraph 3, AsylG 2005 zugrundeliegenden, in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK (in der Fassung des Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,) definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21. 12. 2000, 2000/01/0131; 19. 4. 2001, 99/20/0273).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an vergleiche etwa VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0307, mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Fremde bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203; 27.6.2019, Ra 2018/14/0274, mwN).

3.2.2. Wie beweiswürdigend dargelegt, haben die beschwerdeführenden Parteien im Verfahrensverlauf, vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen, keinerlei Anhaltspunkte auf das Vorliegen eines Sachverhaltes im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung vorgebracht. Aus den Angaben der beschwerdeführenden Parteien ergibt sich keine diesen im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation (Tschetschenien) aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Motive drohende Verfolgung.

3.2.3. Die vom Erstbeschwerdeführer dargelegten Fluchtgründe erwiesen sich als nicht glaubhaft. Die Zweitbeschwerdeführerin machte darüber hinaus weder in Bezug auf ihre eigene Person, noch im Hinblick auf die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer, individuelle Verfolgungsbefürchtungen geltend.

3.2.4. Es kann zudem nicht angenommen werden, dass die beschwerdeführenden Parteien, welche jeweils der Volksgruppe der Tschetschenen angehören und sich zum islamischen Glauben bekennen, im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale einer Verfolgung aus in der GFK genannten Motiven ausgesetzt wären. Derartiges wurde auch weder im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens noch in der Beschwerde konkret vorgebracht.

3.2.5. Da auch sonst keine konkrete gegen die beschwerdeführenden Parteien gerichtete Verfolgung in ihrem Heimatstaat vorliegt, war im Ergebnis die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch eins. der angefochtenen Bescheide gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abzuweisen.

3.3. Zum Status der subsidiär Schutzberechtigten:

3.3.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz „in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen“, so ist einem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, „wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“ Nach Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, zu verbinden. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß Absatz 3, leg.cit. bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 6.11.2018, Ra 2018/01/0106, festgehalten, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen würde. Demnach hält der Verwaltungsgerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 MRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 begründen kann.

3.3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Artikel 3, EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen vergleiche zum Ganzen zuletzt VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 26.6.2019, Ra 2019/20/0050, jeweils mwN).

Überdies hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Artikel 3, EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt vergleiche VwGH 23.3.2017, Ra 2017/20/0038 bis 0040; 6.11.2018, Ra 2018/01/0106, jeweils mwN; sowie EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff; EGMR 1.10.2019, 57467/15, Savran gegen Dänemark, Rz 44 ff ).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, 61204/09, römisch eins gegen Schweden; siehe dazu auch VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; 19.6.2017, Ra 2017/19/0095; 5.12.2017, Ra 2017/01/0236;).

3.3.3. Im gegenständlichen Fall kann keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention für den Fall der Rückkehr der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation (Tschetschenien) erkannt werden. Weder aus den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zu den Gründen, die für ihre Ausreise aus dem Herkunftsstaat maßgeblich gewesen sein sollen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Widerspruch zu Artikel 3, EMRK erscheinen zu lassen:

3.3.3.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Tschetschenien aufgewachsen, sie sprechen die russische und die tschetschenische Sprache. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien beherrschen aufgrund des Aufwachsens in einem tschetschenischen Familienverband ihre tschetschenische Muttersprache und Russisch. Die beschwerdeführenden Parteien haben nach wie vor zahlreiche enge verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Tschetschenien, ein Bruder des BF1 lebt außerdem in Moskau, eine seiner Schwestern in Dagestan. Durch ihr familiäres Umfeld wären die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht auf sich alleine gestellt und könnten zumindest anfänglich von diesen unterstützt werden. Im Übrigen ist dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin eine Teilnahme am Erwerbsleben und eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhalts aufgrund ihrer individuellen Umstände jedenfalls möglich und zumutbar. Beide leiden an keinen aktuell lebensbedrohlichen Erkrankungen und verfügen über Schulbildung. Der Erstbeschwerdeführer verfügt zudem über Berufserfahrung. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb diesen im Falle einer Rückkehr eine (neuerliche) Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht möglich sein sollte. Die beschwerdeführenden Parteien selbst haben entsprechende Befürchtungen im Verfahren auch nicht geäußert. Bei den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern handelt es sich um gesunde Kinder, welche gemeinsam mit ihren Eltern, auf deren Unterstützung sie angewiesen sind, in ihren Herkunftsstaat zurückkehren, weshalb auch insofern nicht angenommen werden kann, dass diese im Falle ihrer Rückkehr eine existenzbedrohende Notlage zu erwarten hätten. Diese befinden sich in einem mit hoher Lern- und Anpassungsfähigkeit verbundenen Lebensalter und werden künftig im Herkunftsstaat Zugang zu Schulbildung haben. Es gibt in der Russischen Föderation auch Organisationen, an die sich Bedürftige wenden können, was auch den BeschwerdeführerInnen offensteht, gleichermaßen könnten sie Leistungen des russischen Sozialhilfesystems in Anspruch nehmen. Ein reales Risiko einer den beschwerdeführenden Parteien nach einer Rückkehr drohenden existenzgefährdenden Notlage war daher nicht zu erkennen.

3.3.3.2. Der BF1 leidet an einer koronaren Herzerkrankung, wobei er zuletzt im Jahr 2021 einen Stent eingesetzt bekommen hat und das Medikament Thrombo Ass nimmt. Dabei handelt es sich um eine häufige und ernstzunehmende „Volkskrankheit“, die jedoch aktuell für den BF1 nicht lebensbedrohlich ist. Die BF2 leidet an Epilepsie und Hepatits B, wobei sie im Bundesgebiet wegen ihrer Epilepsie operiert worden ist und das Medikament Levopon einnimmt. Seit ihrer Operation im Bundesgebiet leidet die BF2 an keinerlei Anfällen mehr, wobei sie bereits im Herkunftsstaat an Epilepsie gelitten hat, weshalb sie zu Hause unterrichtet worden ist. Die BF2 wurde daher bereits auch im Herkunftsstaat gegen Epilepsie behandelt. Koronare Herzerkrankungen, Epilepsie und Hepatitis B sind auch problemlos in der Russischen Föderation behandelbar. Aus den vorliegenden Länderberichten ergibt sich eine ausreichende medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation, sodass die beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich allfälliger künftiger Erkrankungen Zugang zu ärztlicher Versorgung haben werden. Auch psychische Erkrankungen, wie die vorleigende posttraumatische Belastungsstörung bei der BF2 sind in der Russischen Föderation behandelbar und sind sämtliche Antidepressiva erhältlich. Hinsichtlich einer möglichen Infektion mit Covid-19 der BF1-BF5 in der Russischen Föderation ist auszuführen, dass nicht verkannt wird, dass der BF1 durch seine Erkrankung einer Covid-Risikogruppe angehört. Die BF2-BF5 gehören zu keiner Risikogruppe. Bei einer Infektion mit Covid-19 besteht daher für den BF1 eine größere Gefahr einen schwerwiegenden Krankheitsverlauf des Corona Virus zu erleiden. In der Russischen Föderation ist jedoch die medizinische Grundversorgung gewährleistet und steht eine umfangreiche, kostenlose Corona-Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung. So sind mittlerweile mehrere heimische Impfstoffe zugelassen und stehen Medikamente zur Behandlung einer Corona Virus Infektion zur Verfügung. In Moskau wurde ein Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard entwickelt, welcher folgende Komponenten umfasst: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt die Zugehörigkeit des BF1 zur Covid-Risikogruppe den im Hinblick auf den strengen Maßstab der Judikatur die Gewährung von subsidiärem Schutz nicht.

3.3.3.3. Letztlich konnte auch nicht festgestellt werden, dass im gesamten Gebiet der Russischen Föderation – trotz der vom Bundesverwaltungsgericht nicht außer Acht gelassenen in einigen Regionen angespannten Sicherheitssituation – derzeit eine „extreme Gefahrenlage“ vergleiche etwa VwGH 16. 4. 2002, 2000/20/0131) im Sinne einer dermaßen schlechten wirtschaftlichen oder allgemeinen (politischen) Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung als unrechtmäßig erscheinen ließe.

3.3.4. Außergewöhnliche, auf das gesamte Staatsgebiet bezogene, Umstände, angesichts derer die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation respektive Tschetschenien die Garantien des Artikel 3, EMRK verletzen würde, können unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erblickt werden. Eine reale Gefahr, dass den beschwerdeführenden Parteien in ihrem Herkunftsstaat eine Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe drohen könnte, ist somit insgesamt nicht hervorgekommen, weswegen die Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch II. der angefochtenen Bescheide ebenfalls abzuweisen waren.

3.4. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:

3.4.1. Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wird und gemäß Paragraph 58, Absatz 3, AsylG 2005 über das Ergebnis dieser Prüfung im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt (Ziffer eins,), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Ziffer 2,) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Ziffer 3,).

3.4.2. Der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien war zu keinem Zeitpunkt geduldet. Diese sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher jeweils nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde. Die Beschwerden waren daher auch im Umfang der Nichterteilung von Aufenthaltstiteln gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 abzuweisen.

3.5. Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung:

3.5.1. Da den beschwerdeführenden Parteien der Status von Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen war, diesen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 jeweils nicht zu erteilen ist und die beschwerdeführenden Parteien weder begünstigte Drittstaatsangehörige sind, noch aufgrund eines anderen Bundesgesetzes zum Aufenthalt berechtigt sind, liegen die Voraussetzungen für die Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2 F, P, G, vor.

3.5.2. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung steht unter dem Vorbehalt des Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG, wonach dann, wenn (insbesondere) durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, deren Erlassung (nur) zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dazu judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (siehe zum Ganzen etwa VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0218, Rn. 20, mwN).

Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen vergleiche grundlegend etwa VfGH 29.9.2007, B328/07, VfSlg 18223; sowie aus der jüngeren Rechtsprechung VwGH 7.9.2016, Ra 2016/19/0168; VwGH 5.9.2016, Ra 2016/19/0074, VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; VwGH 15.3.2016, Ra 2016/19/0031; ebenso Ra 2016/19/0032 Ra 2016/19/0034 Ra 2016/19/0033 unter Hinweis auf Stammrechtssatz VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265 sowie VwGH 28.4.2014, Ra 2014/18/0146-0149 und 22.7.2011, 2009/22/0183; siehe auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 9, BFA-VG, K15 bis K30.; Ecker/Ziegelbecker, Die Rückkehrentscheidung in Filzwieser/Taucher [Hrsg.], Jahrbuch Asyl- und Fremdenrecht 2017, 151 bis 215).

Im Rahmen der so gebotenen Interessenabwägung kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG) auch der Frage Bedeutung zukommen, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann vergleiche VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; siehe darauf bezugnehmend etwa auch VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, 21.12.2017, Ra 2017/21/0135). Ferner judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass eine in Österreich vorgenommene medizinische Behandlung im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet führen kann. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob diese medizinische Behandlung auch außerhalb Österreichs erfolgen bzw. fortgesetzt werden kann vergleiche dazu etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2017/21/0004, Rn. 12, mwN; 22.8.2019, Ra 2019/21/0026-8).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.8.2011, 2008/21/0605; 14.4.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; 30.6.2016, Ra 2016/21/0165; 4.8.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253-12; 19.12.2019, Ra 2019/21/0185; 15.1.2020, Ra 2017/22/0047).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden vergleiche VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN; 21.3.2018, Ra 2017/18/0333).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste vergleiche VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN). Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt vergleiche VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 bis 0210, mwN; 21.5.2019, Ra 2019/19/0136).

3.5.3. Die beschwerdeführenden Parteien sind unbescholten und leben seit September 2012 (BF1-BF2), sohin seit über 9 Jahren, die BF3-BF5 seit ihrer Geburt im August 2015 (BF3), im September 2017 (BF4) und im September 2018 (BF5) im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt. In dieser Zeit entwickelte die Familie ein schützenswertes Privatleben in Österreich. Die beschwerdeführenden Parteien haben ihre Aufenthaltsdauer jedoch durch wiederholte Stellung unbegründeter Asylanträge zu verlängern versucht vergleiche auch VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0033), der gegenständliche Antrag ist bereits der 4. Antrag auf internationalen Schutz der BF1-BF2 in Österreich. Den mj. BF3-BF5 kann nicht in dem Maß wie ihren Obsorgeberechtigten, den BF1-BF2, der Umstand eines unsicheren bzw. auf Folgeanträgen basierenden Aufenthaltsstatus angelastet werden vergleiche dazu auch VfGH 7.10.2014, U2459/2012; VfGH 12.6.2010, U614/10). Die BF1-BF2 haben sich dadurch auch mehrjährig unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, was den BF3-BF5 ebenso wenig zur Last gelegt werden kann. Das gegenständliche Verfahren ist bereits lange, nämliche seit 4 Jahren anhängig, ohne, dass den beschwerdeführenden Parteien diese Verfahrensdauer zur Last gelegt werden kann.

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen vergleiche VwGH vom 17.03.2016, Ro 2015/22/0016). Der Aufenthaltsdauer der BF1-BF2 von 9 ¼ Jahren ist aufgrund der Nähe zur 10-Jahres-Grenze sohin bereits ein sehr großes Gewicht beizumessen.

Der BF1 war bestrebt, die deutsche Sprache zu erlernen und hat sich durch den Besuch von zahlreichen Deutschkursen mittlerweile Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 angeeignet. Die BF2 hat keine Deutschkurse besucht und spricht kein Deutsch. Die BF1-BF3 sind Mitglieder in einem Verein und hat der BF1 im Jahr 2015 ehrenamtlich gearbeitet. Zudem verfügt der BF1 über eine schriftliche Einstellungszusage. Bereits zuvor hat der BF1 bereits im Jahr 2018 über zwei Einstellungszusagen verfügt, weshalb grundsätzlich von einer künftigen Selbsterhaltungsfähigkeit der BF1-BF5 auszugehen ist. Aufgrund der in Vorlage gebrachten schriftlichen Einstellungszusagen, der Deutschkenntnisse des BF1 sowie der sozialen Vernetzung der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet, ist davon auszugehen, dass es der Familie möglich sein wird, künftig weitgehend unabhängig von staatlichen Leistungen zu leben.

Die BF3-BF5 halten sich seit ihrer Geburt, sohin seit 6, 4 und 3 Jahren durchgehend in Österreich auf. Der BF3 besucht seit September 2021 die Schule im Bundesgebiet und die BF4-BF5 den Kindergarten. Der BF3 spricht Deutsch, die BF4-BF5 lernen Deutsch im Kindergarten. Die Bindungen der BF3-BF5 zu ihrer Heimat sind aufgrund des Umstandes, dass diese ihr gesamtes bisheriges Leben in Österreich verbracht haben, schwach ausgeprägt, während sie das Leben in Österreich gewohnt sind.

Dabei ist hervorzuheben, dass die Verwurzelung von Kindern, insbesondere auch durch den Schulbesuch, in Österreich schneller erfolgt als bei Erwachsenen, wobei auch im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer bei Minderjährigen schon aufgrund der Relation zum Gesamtlebensalter eine kürzere Zeit als bei Erwachsenen ausschlaggebend sein wird vergleiche auch AsylGH vom 12.12.2012, D19 307.392-3/2008). Auch der Verfassungsgerichtshof spricht sich in seinem Erkenntnis vom 07.10.2010, Zl. 950/10 u.a. für eine stärkere Gewichtung der schulischen und gesellschaftlichen Integration von minderjährigen Beschwerdeführern, die einen Großteil ihres Lebens in Österreich verbracht haben, aus, wobei Kindern auch nicht in dem Maß wie ihren Obsorgeberechtigten der Umstand eines unsicheren bzw. auf Folgeanträgen basierenden Aufenthaltsstatus angelastet werden kann vergleiche dazu auch VfGH 07.10.2014, Zl. U2459/2012; VfGH 12.06.2010, Zl. U614/10).

Angesichts der 6, 4 bzw. 3-jährigen Aufenthaltsdauer der BF3-BF5, seit ihrer Geburt im Bundesgebiet, der Eingliederung in das Schul- bzw. Kindergartenleben ist im Falle der BF3-BF5, von einer entsprechend großen Verankerung im Bundesgebiet auszugehen. Die BF3-BF5 haben zu keinem Zeitpunkt im Herkunftsstaat gelebt, sondern ihr gesamtes bisheriges Leben im Bundesgebiet verbracht. Nicht verkannt wird, dass sie in einem tschetschenisch geprägten Familienverband aufwachsen und daher mit den sprachlichen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut sind. Darüber hinaus befinden sie sich in einem anpassungsfähigen Alter und könnten sich an die Gegebenheiten im Herkunftsstaat mit Unterstützung ihrer Eltern rasch gewöhnen.

Die BF1-BF5 eine soziale Verankerung im Bundesgebiet auf, was durch die vorgelegten Unterstützungsschreiben und -erklärungen untermauert wird. Die beschwerdeführenden Parteien haben sich einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut, mit welchem sie regelmäßig ihre Freizeit verbringen. Zudem lebt im Bundesgebiet der Bruder des BF1.

Die BF1-BF2 sind unbescholten und haben den Lebensunterhalt der Familie bislang im Rahmen der Grundversorgung bestritten. Im Falle der BF1-BF2 wurde zwar kein außergewöhnlicher Grad an Integration erlangt, jedoch hat der BF1 zahlreiche Deutschkurse besucht und verfügt er über eine Einstellungszusage. Die in Vorlage gebrachten Unterstützungsschreiben zeigen, dass sie sich bemüht zeigen. Vor dem Hintergrund des 9 ¼ jährigen Aufenthalts des BF1-BF2, dem Wohl der BF3-BF5, der vorliegenden Einstellungszusage und dem Besuch zahlreicher Deutschkurse des BF1 ist in einer Gesamtschau von einem Überwiegen der Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an ihrer Aufenthaltsbeendigung, auszugehen.

3.5.4. Wie dargelegt, ist das Interesse der beschwerdeführenden Parteien an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens als schützenswert anzusehen und überwiegt im konkreten Einzelfall die in Artikel 8, Absatz 2, EMRK angeführten öffentlichen Interessen. Daher liegen die Voraussetzungen für eine Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gemäß Paragraph 55, AsylG 2005 fallgegenständlich vor. Es beruhen die drohenden Verletzungen des Privat- und Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

3.5.5. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn 1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017,, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird. Liegt nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vor, ist gemäß Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß Paragraph 9, Absatz 4, Integrationsgesetz (IntG), idgF, erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.           einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß Paragraph 11, vorlegt,

2.           einen gleichwertigen Nachweis gemäß Paragraph 11, Absatz 4, über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

3.           über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des Paragraph 64, Absatz eins, Universitätsgesetz 2002, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 120 aus 2002,, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4.           einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß Paragraph 41, Absatz eins, oder 2 NAG besitzt oder

5.           als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß Paragraph 43 a, NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer eins bis 3 Kunstförderungsgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 146 aus 1988,, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist gemäß Paragraph 10, Absatz 2, IntG als erfüllt anzusehen, wenn der Drittstaatsangehörige

1.           einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß Paragraph 12, vorlegt,

2.           (Anm.: Ziffer 2, aufgehoben durch Art. römisch III Ziffer 18,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 41 aus 2019,)

3.           minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (Paragraph 3, Absatz 3, Schulorganisationsgesetz (SchOG), Bundesgesetzblatt Nr. 242 aus 1962,) besucht oder im vorangegangenen Semester besucht hat,

4.           minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Sekundarschule (Paragraph 3, Absatz 4, SchOG) besucht und die positive Beurteilung im Unterrichtsgegenstand „Deutsch“ durch das zuletzt ausgestellte Jahreszeugnis oder die zuletzt ausgestellte Schulnachricht nachweist,

5.           einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule in Österreich nachweist und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat oder das Unterrichtsfach „Deutsch“ auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat oder eine positive Beurteilung im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung gemäß Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 72 aus 2012, nachweist,

6.           einen positiven Abschluss im Unterrichtsfach „Deutsch“ nach zumindest vierjährigem Unterricht in der deutschen Sprache an einer ausländischen Sekundarschule nachweist,

7.           über eine Lehrabschlussprüfung gemäß dem Berufsausbildungsgesetz, Bundesgesetzblatt Nr. 142 aus 1969,, oder eine Facharbeiterprüfung gemäß den Land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsgesetzen der Länder verfügt oder

8.           mindestens zwei Jahre an einer postsekundären Bildungseinrichtung inskribiert war, ein Studienfach mit Unterrichtssprache Deutsch belegt hat und in diesem einen entsprechenden Studienerfolg im Umfang von mindestens 32 ECTS-Anrechnungspunkten (16 Semesterstunden) nachweist bzw. über einen entsprechenden postsekundären Studienabschluss verfügt.

Die BF1-BF2 verfügen über kein Integrationszeugnis und gehen keiner Erwerbstätigkeit nach mit welcher die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, weshalb sie weder Modul 1 noch Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllen und ihnen eine „Aufenthaltsberechtigung“ gemäß Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005 zu erteilen ist.

Da der mj. BF3 – wie durch die in Vorlage gebrachte Bestätigung belegt wird – im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule besucht, erfüllt er das Modul 2 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 10, Absatz 2, IntG. Ihm ist daher der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen. Die minderjährigen BF4-BF5 erfüllen die in Paragraph 55, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“ nicht, sodass diesen gemäß Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005 im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Familienlebens mit ihren Eltern der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.6. Zur Behebung der Spruchpunkte römisch fünf. der angefochtenen Bescheide:

Da das Bundesverwaltungsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass in casu die Rückkehrentscheidungen gegen die BF1-BF5 gemäß Paragraph 52, FPG in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG auf Dauer unzulässig sind und ihnen Aufenthaltsberechtigungen gemäß Paragraph 55, AsylG zu erteilen waren, war in Folge hinsichtlich der Spruchpunkte römisch fünf. der angefochtenen Bescheide spruchgemäß zu entscheiden und diese somit zu beheben. Spruchpunkt römisch VI. ist in Rechtskraft erwachsen.

3.7. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt Paragraph 24, VwGVG.

Grundlegend sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und -0018, aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in Paragraph 20, BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt vergleiche aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391, mwN).

Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Artikel 8, EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben vergleiche etwa VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0316; 26.1.2017, Ra 2016/21/0233; 29.8.2019, Ra 2017/19/0532, jeweils mwN).

Wie beweiswürdigend dargelegt, wurde den Argumenten im angefochtenen Bescheid zur fehlenden Glaubwürdigkeit der seitens des Erstbeschwerdeführers dargelegten Fluchtgründen im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes nicht substantiiert entgegengetreten und es wurde im Übrigen aufgezeigt, dass selbst im Falle einer Wahrunterstellung eine lokal auf das Territorium der Teilrepublik Tschetschenien begrenzte Bedrohungssituation vorläge, welcher sich die beschwerdeführenden Parteien in zumutbarer Weise durch Niederlassung in einem anderen Landesteil entziehen könnten. Ebensowenig wurde den Ausführungen der belangten Behörde zum Nichtvorliegen eines auf den Herkunftsstaat bezogenen sonstigen Abschiebehindernisses konkret entgegengetreten.

Da unter Berücksichtigung der in Vorlage gebrachten Unterlagen bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf die beschwerdeführenden Parteien als unzulässig erweist und keine Anhaltspunkte für eine negative Zukunftsprognose bestehen, konnte die zusätzliche Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Beschwerdeverhandlung unterbleiben.

Im gegenständlichen Verfahren konnte somit die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht unterbleiben, da die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Artikel 6, Absatz eins, der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, noch Artikel 47, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 Sitzung 389, entgegenstehen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:W103.2208259.2.00