Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

18.01.2022

Geschäftszahl

I419 2100302-2

Spruch


I419 2100302-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von römisch 40 alias römisch 40 alias römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 alias römisch 40 , StA. TUNESIEN, gegen den Bescheid des BFA vom 12.01.2022, Zl. römisch 40 :

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß Paragraph 12 a, Absatz 2, AsylG 2005 rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 21.12.2021 den dritten Folgeantrag auf internationalen Schutz.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid hob das BFA gegenüber dem Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete das sinngemäß damit, dass der Beschwerdeführer keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich bringe. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und ihre Durchsetzung werde keinen Eingriff in die durch Artikel 2,, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten.

Da sich auch die Lage im Herkunftsstaat nicht wesentlich geändert habe, sei der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Übermittlung des Akts gilt nach Paragraph 22, Absatz 10, AsylG 2005 als Beschwerde gegen die Aufhebung des Abschiebeschutzes, der Fremde somit als Beschwerdeführer im gerichtlichen Überprüfungsverfahren.

1. Feststellungen:

Die unter Punkt römisch eins getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Tunesiens und Araber. Er ist Anfang 40, arbeitsfähig, gesund und ledig, gehört keiner CoV-Risikogruppe an und hatte am 21.01.2022 einen CoV-Impftermin. Arabisch spricht er als Muttersprache, ferner nach eigener Angabe Französisch und Deutsch auf mittelmäßigem Niveau.

Im Herkunftsstaat, wo er mehrere Jahre die Schule besuchte und die Berufe des römisch 40 , des römisch 40 und des römisch 40 erlernt hat, erwarb er auch Berufserfahrung als Installateur. Er wohnte in der Hauptstadt Tunis, wo er auch zur Welt kam. Dort leben seine Schwester und sein Schwager, denen es gut geht.

2. Er gelangte im Mai 2011 illegal nach Österreich und beantragte anschließend internationalen Schutz. Als Fluchtgrund führte er im Wesentlichen an, dass in seinem Land Krieg herrsche und es keine Demokratie gebe. Er wolle in Österreich leben und arbeiten. Das sei sein einziger Fluchtgrund. Er sei in seiner Heimat nicht politisch tätig gewesen und habe auch sonst keine anderen religiösen oder ethnischen Flucht- und Asylgründe. Er habe in seiner Heimat keine Probleme mit den Behörden oder der Polizei. Er habe jedoch Angst zu sterben, wenn er wieder zurückmüsse.

Die gegen den abweisenden, mit einer Ausweisung verbundenen Bescheid des BAA vom 31.05.2011 erhobene Beschwerde wies dieses Gericht als verspätet zurück ( römisch 40 , römisch 40 ), der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 06.11.2014 zugestellt.

3. Der Beschwerdeführer hielt sich von Mitte 2015 bis Anfang 2020 an unbekannten Orten auf, ab Anfang 2016 mehrfach in römisch 40 , dann von römisch 40 2020 bis römisch 40 2022 in Justizanstalten. Seither befindet er sich in Schubhaft.

Das LG römisch 40 hat den Beschwerdeführer wie folgt rechtskräftig verurteilt:

- Am 20.07.2012 zu 6 Monaten bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch versuchtes gewerbsmäßiges Überlassen und durch vollendetes Erwerben und Besitzen zum persönlichen Gebrauch,

- am 01.10.2014 zu 9 Monaten Freiheitsstrafe wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch versuchtes gewerbsmäßiges Überlassen und durch vollendetes Erwerben und Besitzen zum persönlichen Gebrauch, weil er am 18.08.2014 mit einem weiteren abgelehnten Asylwerber 3 g brutto Kokain für € 1.800,-- an zwei Vertrauenspersonen des LKA römisch 40 zu überlassen versucht, dem Mittäter 0,4 g Kokain als Provision überlassen, diese zuvor besessen und mit dem Genannten zusammen bis zu diesem Tag 503,59 g brutto Cannabiskraut sowie 14,3 g brutto Kokain besessen hatte, wobei die bedingte Nachsicht der Vorstrafe widerrufen wurde, und zuletzt

- am 03.08.2020 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels durch Überlassen in einer die Grenzmenge um das 15-fache übersteigenden Menge, weil er von Jänner 2016 bis Mitte Jänner 2020 Cannabiskraut, 2,4 kg mit durchschnittlich 4,6 % THCA und 3,2 kg mit durchschnittlich 13,3 %, an vier genannte und weitere unbekannte Personen sowie 120 g Kokain mit Reinheitsgehalt 54 % an drei genannte und weitere unbekannte Personen überlassen hatte, wobei der Strafrahmen nach Paragraph 28 a, Absatz 3, SMG bis fünf Jahre reichte, da der Beschwerdeführer an Suchtmittel gewöhnt war und die Taten vorwiegend begangen hatte, um sich für den Eigengebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und die einschlägigen Vorstrafen sowie der langen Deliktszeitraum erschwerend wirkten, aber kein Umstand mildernd.

Deswegen verbrachte er außer der Zeit seit römisch 40 2020 auch bereits die Zeiten römisch 40 bis römisch 40 .2012 und römisch 40 .2014 bis römisch 40 2015 in Justizanstalten. Ansonsten war er seit 2012, außer mit einer Obdachlosenanschrift bis 2014, nicht im Inland gemeldet.

6. In der Haft hat der Beschwerdeführer eine Ausbildung zum Koch absolviert und war dort später als Vorarbeiter mit dem Zusammenbau von Kabeltrommeln beschäftigt, worin er auch Mithäftlinge unterwies.

Im Inland ist er auf legale Weise nicht selbsterhaltungsfähig und lebte außerhalb der Haft von Schwarzarbeit und Drogendelikten. Er führt hier kein Familienleben und hat außerhalb der Haft und des Drogenmarktes einen Bekanntenkreis, der teils aus dem Herkunftsstaat stammt. Schulen, Kurse oder Ausbildungen hat der Beschwerdeführer außer in Haft nicht besucht und war hier nie Mitglied eines Vereins oder ehrenamtlich tätig.

7. Beim Rückkehrberatungsgespräch am 04.01.2022 hat er angegeben, nicht freiwillig ausreisen zu wollen, beim BFA am 12.01.2022, er werde niemals freiwillig in den Herkunftsstaat zurückkehren.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat

Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen zu Tunesien mit Stand 21.10.2021 zitiert. Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Aus Berichten des Auswärtigen Amts (Deutschland) ergibt sich betreffend die Pandemie in Tunesien:

Tunesien ist von COVID-19 weiterhin betroffen. [...] Alle Reisenden ab einem Alter von sechs Jahren müssen bei Einreise einen negativen, maximal 48 Stunden alten PCR-Test vorlegen, der mit einem QR-Code versehen oder von den zuständigen Gesundheitsbehörden ausgestellt ist.

Eine Einreise für ungeimpfte ausländische Staatsangehörige ohne Wohnsitz in Tunesien ist nicht möglich. Auch für Pauschaltouristen gibt es keine Ausnahmegelungen mehr. [...]

Vor Abflug nach Tunesien muss online eine elektronische Einreiseanzeige erfolgen, zu deren Kontrolle die Fluggesellschaften verpflichtet sind.

Sowohl die Bestätigung der elektronischen Einreiseanzeige [...] als auch der in englischer oder französischer Sprache ausgestellte Testnachweis sind in ausgedruckter Form vorzulegen. Die Dokumente werden beim Flughafen Check-In geprüft und müssen bei Ankunft den Verantwortlichen des Gesundheitsministeriums im Rahmen der Temperaturkontrolle übergeben werden.

Für nicht- oder nicht vollständig geimpfte Reisende mit tunesischer Staatsangehörigkeit oder Ausländer mit tunesischem Daueraufenthaltstitel gilt - je nach Einzelfall - eine Pflichtquarantäne in speziellen Quarantänehotels auf eigene Kosten oder eine zehntägige häusliche Quarantäne. [...] Vollständig geimpft sind diejenigen, deren Impfschema mindestens 14 Tage vor der Einreise bzw. bei Impfung mit Johnson & Johnson mind. 28 Tage vor der Einreise abgeschlossen wurde. [...]

Der internationale Flug- und Fährverkehr findet in reduziertem Umfang statt. [...]

Mit Wirkung vom 13. Januar 2022 gelten zunächst für zwei Wochen landesweit nächtliche Ausgangssperren zwischen 22 Uhr und 5 Uhr, die streng kontrolliert werden.

Für den Zugang zu öffentlichen Gebäuden, Restaurants, Cafés, Flughafen, etc. benötigt man einen tunesischen Gesundheitsausweis. Personen, die aus dem Ausland kommen und dort geimpft wurden, können diesen Nachweis durch ein Ausweisdokument und einen Impfpass erbringen. Es wird empfohlen, einen Ausdruck der Bestätigung der gegenseitigen Anerkennung von tunesischen und europäischen Impfzertifikaten des tunesischen Gesundheitsministeriums bei sich zu führen.

Einzelne, besonders von COVID-19 betroffene Gebiete können von den Gouvernoraten eigenständig abgeriegelt bzw. mit anderweitigen Beschränkungen versehen werden.

Restaurants und Cafés dürfen nur 50 % ihrer Platzkapazitäten für die Bewirtung nutzen. [...]

Landesweit gilt in öffentlichen Gebäuden, Hotels und Geschäften die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes; im Großraum Tunis im gesamten öffentlichen Raum. Dies gilt auch beim Fahren eines PKW ab einem Beifahrer.

Es gelten spezielle Hygieneregeln für die Gastronomie: Maskenpflicht (außer am Tisch), Einhaltung von Mindestabständen, konstante Belüftung der Räumlichkeiten, sowie Verbot [...] von Wasserpfeifen. (www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/ tunesiensicherheit/219024 [unverändert gültig seit 12.01.2022, Abfrage 18.01.2022])

Andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl aktiv Infizierter (788.012 Fälle – (25.803 + 704.030 Verstorbene und Genesene), 58.179 (www.worldometers.info/coronavirus/country/tunisia), zur Bevölkerungszahl (ca. 12 Mio.), einen Anteil von ca. 4.850 pro Million per 17.01.2022, was verglichen mit Österreich und dem Anteil hier von ca. 15.900 pro Million (141.381 von ca. 8,9 Mio. am 17.01.2022; www.derstandard.at/story/2000131167404/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-weltweit) nur etwa 30,5 % der hier festgestellten Quote ist.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Länderinformationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Politische Lage

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die erste Phase nach der Flucht des Präsidenten Ben Ali am 14.1.2011 prägten Übergangsregierungen, unterstützt von der "Hohen Instanz zur Verwirklichung der Ziele der Revolution" als Ersatzparlament. Die Verfassung betont den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Sie sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik - mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in die Zuständigkeit des Staatspräsidenten fallen (ÖB 1.10.2020; vergleiche AA 19.2.2021). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 11.2020a). [...]

Im Herbst 2019 fanden zum dritten Mal in Folge freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt (AA 16.12.2020a). Die Wahlen verliefen grundsätzlich frei und fair (AA 19.2.2021). Der neue Präsident Kaïes Saïed gilt als unbestechlich und politisch unerfahren. Den Tunesiern verspricht er neben der Bekämpfung der Korruption eine rigorose Überarbeitung der Verfassung und des Wahlsystems sowie mehr Demokratie auf lokaler Ebene. Saïed ist zudem für seine sehr konservativen Ansichten in gesellschaftlichen Fragen bekannt (BAMF 21.10.2019). Bei den Parlamentswahlen wurden die traditionellen Parteien abgestraft und viele unabhängige Kandidaten gewählt, was zu einer weiteren Zersplitterung des Parlaments geführt hat. Die muslimisch-konservative Ennahdha-Partei bleibt zwar stärkste Partei, stellt aber nur rund ein Viertel der 217 Abgeordneten im neuen Parlament. Zweitstärkste Kraft ist die Partei Qalb Tounes (Das Herz Tunesiens) des Medienmoguls und Präsidentschaftskandidaten Nabil Karoui (GIZ 11.2020a) mit 30 Sitzen (ÖB 1.10.2020).

Seit Jahresbeginn 2021 kommt es regelmäßig zu Protesten und Demonstrationen. Im Jänner 2021 kam es trotz Pandemie-bedingter Ausgangssperren und Versammlungsverbot zu landesweiten Protesten und gewaltsamen Unruhen gegen die Regierung. Dabei kam es auch zu gewaltsamen Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften (BAMF 25.1.2021). Im Feber 2021 protestierten Hunderte Menschen gegen die Polizeigewalt (BAMF 8.2.2021) und am 27.2.2021 kam es zu Demonstrationen Tausender Unterstützer der regierenden Partei Ennahdha (BAMF 1.3.2021; vergleiche DW 27.2.2021).

Präsident Saïed und die Ennahda-Partei, zu der Regierungschef Mechichi und Parlamentspräsident Rached Ghannouchi gehören, lieferten sich einen Machtkampf. Es ging u. a. um die Verteilung der Macht zwischen Präsident, Regierung und Parlament (Tagesschau 27.7.2021; vergleiche SZ 26.7.2021). Saïed hatte bei seinem Amtsantritt 2019 geschworen, das komplexe und von Korruption geprägte System zu reformieren (FAZ 26.7.2021b). Am Abend des 25.7.2021, nach einem Krisentreffen mit Vertretern von Militär und Sicherheitsbehörden, hat Staatspräsident Kaïs Saïed, den Ministerpräsident Hichem Mechichi seines Amtes enthoben und die Arbeit des Parlaments vorerst ausgesetzt (ÖB 23.9.2021). Um Mitternacht des 24.8.2021 wurde per Twitter ein präsidentielles Dekret verkündet, wonach die Verlängerung der Maßnahmen vom 25.7.2021, die Aussetzung der parlamentarischen Arbeit sowie die Aufhebung der Immunität aller Abgeordneten „bis auf weiteres“ in Kraft bleiben (ÖB 24.8.2021). [...]

Bei gewaltsamem Widerstand drohte der Präsident mit einem Einsatz der Armee. Am 26.7.2021 entließ der Präsident auch Verteidigungsminister Ibrahim Bartaji und die amtierende Justizministerin Hasna Ben Slimane (DW 26.7.2021; vergleiche ÖB 23.9.2021). Das Parlamentsgebäude in Tunis wurde noch am Abend [des 25.7.2021] geschlossen und von Sicherheitskräften umstellt und hielten in der Nacht auch Parlamentspräsident Ghannouchi davon ab, das Gebäude zu betreten. Aufgebrachte Demonstranten und Ennahda-Anhänger forderten Zugang und eine „Umkehrung des Staatsstreichs“. Laut Augenzeugen kam es auch zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Unterstützern Saïeds. Teils gab es Berichte über Angriffe auf Parteibüros der Ennahda (SZ 26.7.2021). Vereinzelt kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden; zahlreiche Demonstrierende wurden verhaftet (BAMF 26.7.2021). [...]

Der tunesische Präsident Kaïs Saïed bestimmte mit Präsidialdekret vom 22.9.2021, dass nur mehr Artikel 1 und 2 der Verfassung 2014 Geltung haben (arabisch, islamisch, rechtsstaatlich, republikanisch, Volkswille) und legte in 23 Artikel und 4 Kapiteln seine nunmehrigen sehr weitreichenden Befugnisse fest [...]. Weiters bleibt das Parlament suspendiert und die Aufhebung der parlamentarischen Immunität. Ferner gilt die ausschließliche Gesetzgebung durch Präsidialdekrete ohne Einspruchsmöglichkeit oder verfassungsmäßige Kontrolle, wie auch die Abschaffung der Befugnis der Kommission zur Überwachung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Auch die Exekutivgewalt wird vom Präsidenten ausgeübt. Die Regierung steht dem Präsidenten zur Seite und ist ausschließlich dem Staatspräsidenten gegenüber verantwortlich. Der Präsident wird mit einer von ihm einberufenen Kommission eine Verfassungsänderung erarbeiten und darüber eine Volksabstimmung abhalten (ÖB 24.9.2021). Nach dem neuen Dekret ist das Handeln des Regierungschefs vollständig von den Entscheidungen des Präsidiums abhängig, was einen radikalen Bruch mit dem halbparlamentarischen System darstellt, das in der Verfassung von 2014 verankert ist (LM 24.9.2021).

Saïed betont, dass sein Handeln im Interesse der nationalen Sicherheit liege und die Maßnahmen im Einklang mit der Verfassung stünden und darauf abzielten, die Rechte der Tunesier zu wahren. Politische Gegner bezeichnen den Schritt als „Putsch“ (DW 22.9.2021). Die Entmachtung der Regierung und die Suspendierung des Parlaments stürzten das Land in eine Verfassungskrise (ZO 29.9.2021). Im Dekret selbst festgehaltenes Ziel dieser Maßnahmen ist die Schaffung einer „wahrhaften Demokratie“, die vom Volk ausgeht, die Gewaltenteilung und die Menschen- und Freiheitsrechte garantiert und die Ziele der Revolution von 2010 verwirklicht (ÖB 24.9.2021). Die größte politische Partei Tunesiens, die gemäßigte Ennahdha-Partei, bezeichnete Saïeds Vorgehen als „eklatanten Putsch gegen die demokratische Legitimität“ und rief die Menschen dazu auf, sich zusammenzuschließen und die Demokratie in einem „unermüdlichen friedlichen Kampf“ zu verteidigen (Daily Sabah 26.9.2021).

Nachdem es erstaunlicher Weise erst nur Stellungnahmen von Seiten der islamistischen Ennahda und ihres Koalitionspartners Qalb Tunes sowie einiger sehr kleiner Parteien, nicht jedoch von anderen Parteien oder den Gewerkschaften gab (ÖB 24.9.2021), hat die mächtige Gewerkschaft UGTT das Vorgehen am 24.9.2021 verurteilt (ÖB 24.9.2021; vergleiche Daily Sabah 26.9.2021, VOA 26.9.2021). Die UGTT lehnte zentrale Elemente der Machtübernahme durch Saïed ab und warnte vor einer Bedrohung der Demokratie (Daily Sabah 26.9.2021). [...]

Die Angst vor einem Rückschritt in die Diktatur wächst, und so demonstrierten am Samstag den 25.9.2021 in Tunis rund 2000 Menschen gegen die weitreichende Ausweitung der Macht von Präsident Saïed, gefolgt von einem großen Polizeiaufgebot. In den Tagen zuvor, hatten auch Demonstrationen von Unterstützern der Verfassungsänderungen stattgefunden (Spiegel 26.9.2021). Mehr als 100 prominente Funktionäre der Ennahda, darunter Gesetzgeber und ehemalige Minister, traten am Samstag [den 25.9.2021] aus Protest gegen das Verhalten der Führung zurück (VOA 26.9.2021).

Präsident Saïed meinte, sein Handeln sei notwendig, um die Krise der politischen Lähmung, der wirtschaftlichen Stagnation und der unzureichenden Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie zu bewältigen. Er versprachen, die Rechte zu wahren und nicht zum Diktator zu werden (Daily Sabah 26.9.2021; vergleiche VOA 26.9.2021). Saïed genießt nach wie vor breite Unterstützung bei vielen Tunesiern, die der Korruption und der schlechten öffentlichen Dienstleistungen überdrüssig sind und der Meinung sind, dass er saubere Hände habe. Dutzende seiner Anhänger erschienen zu der Demonstration. Die Polizei trennte die beiden Lager (VOA 26.9.2021; vergleiche AJ 26.9.2021).

Trotz regelmäßiger Ankündigungen, den Posten des Ministerpräsidenten bald neu zu besetzen, ließ sich Saïed lange Zeit mit der tatsächlichen Umsetzung. Kürzlich hatte sich allerdings der Druck auf den Präsidenten erhöht, endlich den Weg für eine neue Regierung frei zu machen (Spiegel 29.9.2021a; vergleiche ZO 29.92021). In Tunesien wurde am Mittwoch, den 29.9.2021, mit der Universitätsdozentin Najla Bouden erstmals eine Frau zur Ministerpräsidentin ernannt. Zwei Monate nach der Entmachtung der bisherigen Regierung beauftragte Präsident Kaïs Saïed Bouden, „so schnell wie möglich“ eine Regierung zu bilden. Ihre Befugnisse als künftige Regierungschefin sind deutlich eingeschränkt, seitdem Saïed vor einer Woche seine eigenen Machtbefugnisse ausgeweitet hat (n-tv.de 29.9.2021; vergleiche AJ 29.9.2021, Tagesschau 11.10.2021). Faktisch leitet Saïed weiterhin die Regierungsgeschäfte und hat das letzte Wort über Kabinettsentscheidungen (Tagesschau 11.10.2021). [...]

Bouden hat sich als neue Regierungschefin vor allem ein Ziel gesetzt: „Unsere Hauptaufgabe wird die Korruptionsbekämpfung sein“, schrieb sie auf Twitter. Korruption ist in Tunesien weitverbreitet. Auch viele Abgeordnete des Parlaments, insbesondere der islamistischen Partei Ennahda, gelten als bestechlich (Spiegel 29.9.2021a). Laut der Nachrichtenagentur Anadolu hat die wenig bekannte Ingenieurin keine politische Zugehörigkeit (AJ 29.9.2021). [...]

Tunesien hat eine neue Regierung (Tagesschau 11.10.2021). Drei Monate, nachdem Präsident Kaïs Saïed die bisherige Regierung entlassen hatte, ernannte der Staatschef am Montag, den 11.10.2021 per Dekret überraschend ein neues Kabinett (SN 11.10.2021; vergleiche Tagesschau 11.10.2021). Staatspräsident Saïed vereidigte 24 Mitglieder des neuen Kabinetts, darunter acht Frauen. Die meisten der Regierungsmitglieder sind parteipolitisch bislang nicht in Erscheinung getreten (BAMF 18.10.2021; vergleiche Tagesschau 11.10.2021, SN 11.10.2021). [...]

1.2.2 Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Nationalpolizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es regelmäßig zu Übergriffen durch die Sicherheitskräfte kommt (USDOS 30.3.2021; vergleiche GIZ 11.2020a). Die Regierung unternahm Schritte, um gegen Beamte zu ermitteln, die mutmaßlich Übergriffe begangen hatten, aber die Untersuchungen waren nicht transparent und es kam häufig zu langen Verzögerungen und verfahrenstechnische Hindernissen (USDOS 30.3.2021).

Im Oktober 2020 erwog das Parlament einen Gesetzesentwurf, der Sicherheitspersonal, das mit tödlicher Gewalt reagiert, während es Versammlungen zerstreut, Immunität gewährt. Das Parlament zog das Gesetz später zurück, nachdem sich nationale und internationale Menschenrechtsgruppen vehement dagegen ausgesprochen hatten. Berichte über exzessive Gewaltanwendung und Folter durch Sicherheitsbeamte hielten auch 2020 an. Demonstranten prangerten die Gesetzesvorschläge an; es kam zu körperlichen Angriffen und Festnahmen (FH 3.3.2021).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011 vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Zwar wurde die Geheimpolizei („police politique“) aufgelöst, allerdings steht eine umfassende Reform des Innenministeriums und der nachgeordneten Behörden bis heute aus (AA 19.2.2021).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z. B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 19.2.2021).

1.2.3 Grundversorgung und Wirtschaft

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 19.2.2021). Tunesien ist eine weitgehend freie Marktwirtschaft. Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft (GIZ 11.2020c). Nachdem das tunesische BIP 2020 Corona-bedingt um -8,6% eingebrochen war, zeichnet sich für das laufende Jahr 2021 wiederum eine Wachstumstendenz ab, die sich im Herbst noch beschleunigen dürfte; so könnte es gelingen, dass das BIP um 3% zulegen wird. Eine Rekordernte an Datteln und Oliven stützt die Handelsbilanz, da sie Exporte von über einer Mrd. Euro generierte und auch die verarbeitende Industrie und das Gewerbe ist wiederum angesprungen; Tunesien gilt als verlängerte Werkbank für viele europäische Industriebetriebe, was die angespannte Devisensituation einigermaßen entlasten könnte, da der Tourismus wohl erst im Sommer 2022 wieder voll in die Gänge kommen wird (WKO 16.9.2021). Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 11.2020c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 11.2020c).

Waren die Herausforderungen in wirtschaftlicher, sozialer, moralischer und kultureller Hinsicht bereits bisher enorm, sind sie nun seit Ausbruch der Covid-19 Krise Mitte März 2020 nochmals um ein Vielfaches verschärft: die Arbeitslosigkeit, seit Jahren gemäß offiziellen Statistiken 15,6 %, ist auf 18 % gestiegen und dürfte weiter auf 20 % bis Jahresende steigen (ÖB 1.10.2020). Die Inflation zieht an und könnte im Jahresverlauf 7% erreichen; die Arbeitslosigkeit steigt auf 17,9 % (WKO 16.9.2021). Die Erhebung tatsächlich zutreffender Zahlen wird durch die Tatsache erschwert, dass 45 % der Arbeitskräfte Tunesiens im informellen Sektor beschäftigt sind. Zu dem hohen Anteil an jungen und diplomierten Arbeitslosen kommen die Schulabbrecher (jährlich ca. 100.000), die vom privaten Sektor und vor allem auch im Tourismus krisenbedingt Entlassenen sowie das Heer an Beschäftigten des informellen Sektors (der auf 50% der Wirtschaftsleistung geschätzt wird), welchen ihre Existenzgrundlage entzogen wurde (ÖB 1.10.2020).

Die vorherige Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu diesen Regionen vorgenommen (AA 19.2.2021). Zur Stärkung der Regionen wurden rund 250 Millionen Dinar zur Verfügung gestellt, außerdem sollen Familien, die unter der Armutsgrenze leben, besser unterstützt werden. Allerdings werden viele der vorhandenen Entwicklungsgelder nicht ausgegeben (GIZ 11.2020c).

Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 1.10.2020). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (ca. 125 Euro) angehoben. Auch das genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24 % der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 11.2020c). Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 11.2020b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Grundschutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95 %. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 1.10.2020).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 19.2.2021).

1.2.4 Rückkehr

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in Paragraph 35, des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bis 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im vergangenen Jahr ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen dann nicht zur Anwendung, wenn Personen das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 19.2.2021).

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 19.2.2021).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und eingeschränkten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch der UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z. B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sogenannten „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 1.10.2020).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

1.3.1 Im angefochtenen Bescheid wurde auf das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Tunesien verwiesen, aus dem oben unter 1.2 zitiert wird. Im Beschwerdeverfahren ist keine relevante Änderung eingetreten, sodass das Gericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und sie zu den seinen erhebt.

1.3.2 Bereits im Dezember 2014 hat der Beschwerdeführer beim BFA (zur beabsichtigten Abschiebung einvernommen) angegeben, er habe für die Regierung und den Präsidenten Ben Ali gearbeitet, und die Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung beantragt. Die Regierung habe die Aufständischen bekämpft, und er habe deren Aufenthaltsort bekannt gegeben. So seien diese verhaftet worden. Nunmehr seien alle in Freiheit, und er werde bedroht. Als er in Griechenland gewesen sei, habe er erfahren, dass er gesucht werde und man ihn umbringen wolle. Er habe in Tunesien als Agent gearbeitet und habe in Österreich nicht um Asyl ansuchen wollen. Bei seiner Festnahme habe er erst den Zwang verspürt, um Asyl anzusuchen. Er habe Angst gehabt, dass die Verfolger im Falle einer Abschiebung etwas davon erfahren würden.

Sein Antrag nach Paragraph 51, FPG war nach dessen Absatz 2, als Antrag auf internationalen Schutz zu behandeln. Somit stellte der Beschwerdeführer den ersten Folgeantrag, zu dem er erstbefragt angab, er habe im Herkunftsstaat als Agent für die alte Regierung von Präsident Ben Ali gearbeitet und den Aufenthalt von Moslembrüdern und Extremisten bekannt gegeben. Jetzt sei die alte Regierung gestürzt, und er werde von den Extremisten gesucht, die jetzt an der Macht seien und sich im Fall seiner Rückkehr rächen würden. Mit dem Gesetz habe er dort kein Problem, jedoch mit den Moslembrüdern, die nun an der Macht seien. Vor diesen sei er damals geflohen.

Beim BFA ergänzte er 2015, er habe im Heimatland mit den Behörden, der Polizei oder dem Militär keine Probleme gehabt. Eine Benachteiligung aufgrund seiner Volks- oder Religionsgruppenzugehörigkeit habe es nicht gegeben.

Aus Angst vor einer Abschiebung habe er falsche Angaben zu seinem Namen gemacht. Er habe für die Behörde gegen einige Terroristen bei Gericht ausgesagt, damit diese verurteilt werden sollten, und angegeben, dass sie Flugblätter verteilt und den Terrorismus verherrlicht hätten. Es seien 27 Angeklagte gewesen, und nun werde er von den Familien der 27 Personen verfolgt und bedroht. Er habe nur drei von ihnen erkannt, aber die Regierung habe ihn gezwungen, gegen alle auszusagen. Diese Fluchtgründe seien ihm seit 2007 bekannt, die tatsächlichen Bedrohungen und Verfolgungen hätten aber erst im Jahr 2008 angefangen. Seine Heimat habe er 2010 verlassen, weil er verfolgt und bedroht worden sei, und sich vor seiner Ausreise zwei Jahre lang an der Grenze zu Libyen versteckt.

1.3.3 Das BFA wies den Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurück, was dieses Gericht bestätigte ( römisch 40 , römisch 40 ). Getrennt davon erließ das BFA am 16.02.2015 wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot für sieben Jahre, was rechtskräftig wurde. Einen zweiten Folgeantrag vom 22.06.2015 wies das BFA im selben Jahr zurück, was rechtskräftig wurde. Zu diesem hatte der Beschwerdeführer angegeben, er habe keine neuen Gründe, alles sei gleichgeblieben, im Herkunftsstaat sei er mit dem Tode bedroht worden, daher könne er nicht zurückkehren. Es gebe keine Hinweise, dass ihm bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder irgendwelche Sanktionen drohen würden.

1.3.4 Zu seinem nunmehrigen dritten Folgeantrag gab der Beschwerdeführer erstbefragt an, er sei Zeuge gewesen, als ein Mann getötet worden sei, und fürchte seither, Polizei und Regierung des Herkunftsstaats würden ihn finden und dann auch töten. Beim BFA brachte er dagegen vor, der Staat habe ihn 2007 als Zeugen eingesetzt. Damals habe ihn die Polizei am Arbeitsplatz verhaftet, und er habe bei Gericht als Zeuge aussagen müssen. Das sei unter dem „Regime“ von Ben Ali gewesen. Man habe ihn aufgefordert, eine Reihe Männern anzusehen, und ihn dann wieder gehen lassen. Die Männer, die ihm vorgeführt worden seien, wären allesamt Oppositionelle gegen das damalige Regime gewesen und auch alle gerichtlich zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt und eingesperrt worden, einer davon sei in der Haft durch Folter verstorben.

Die Familie, die den Leichnam des Gefolterten entgegengenommen hätte, habe dem Beschwerdeführer gegenüber Rache geschworen, weil er als Zeuge gegen diesen fungiert habe. Er habe aber gar nichts gesagt, und dies auch der Familie zu verstehen gegeben. Das Regime habe ihn missbraucht, und diese streng muslimische Familie denke, dem Beschwerdeführer müsse das gleiche Schicksal wie ihrem Sohn widerfahren, um Genugtuung zu bekommen, also ebensolche Folter.

Da auch die anderen Gefangenen Familien gehabt hätten, habe das Gerücht die Runde gemacht, der Beschwerdeführer würde mit dem Regime kollaborieren und die Leute ins Gefängnis bringen, weshalb er „weg gehöre“. Deswegen habe er sein Geschäft verlassen und sei geflohen.

1.3.5 Mit dem Ben-Ali-Regime habe er nie ein Problem gehabt, auch einen Reisepass erhalten und das Land legal verlassen. Er habe mit den Muslimbrüdern ein Problem, die jetzt die Macht hätten. Von diesen sei ein Mordversuch gegen den Beschwerdeführer 2017 in Österreich ausgegangen, bei dem dieser mit einem Messer angegriffen worden sei. Zwei der drei Attentäter hätte man gefasst und verurteilt, einer sei noch flüchtig. Die Polizei habe ihm nicht geglaubt, dass es sich um Muslimbrüder gehandelt habe, er aber vermute dies wegen der Heftigkeit des Angriffs. Es handle sich um eine Vermutung: „Ja. Wer sollte es sonst sein?“

Die Muslimbrüder seien früher „normale Menschen gewesen“, nun aber an der Macht, die sie ausspielen könnten. Er habe 2012 noch einen Reisepass vom Konsulat des Herkunftsstaats erhalte, aber 2018, als er heiraten wollen hätte, vom neuen Botschafter keinen mehr. Dieser habe ihm gesagt, dass er einen solchen erst „auf dem Weg zum Flughafen bzw. in Tunesien“ bekomme. Es sei für den Beschwerdeführer also klar, dass der Botschafter dafür sorgen werde, dass der Beschwerdeführer in Tunesien verhaftet werden würde.

Der Innenminister sei auch ein Moslembruder, und diese würden nur darauf warten, dass der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat zurückkehre, damit sie ihn foltern und töten könnten.

1.3.6 Tunesien ist nach Paragraph eins, Ziffer 11, HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des Paragraph 19, BFA-VG. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Tunesien eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2,, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

1.3.7 Der Beschwerdeführer hat keinen Fluchtgrund behauptet, der seit der Entscheidung seines vorigen Asylverfahrens entstanden oder bekannt geworden wäre.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation in Tunesien ist seit der Entscheidung über den vorigen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz nicht eingetreten, insbesondere nicht auf sein Vorbringen bezogen.

Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

1.3.8 Der Folgeantrag wird voraussichtlich vom BFA zurückzuweisen sein.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des Gerichtsaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Herkunft, seiner Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Bezüglich seines Glaubensbekenntnisses unterblieb eine Feststellung, weil er im aktuellen Verfahren – im Gegensatz zu früher – angegeben hat, konfessionslos zu sein.

Betreffend die Straftaten des Beschwerdeführers wurde das in 1.1 erwähnte jüngste Strafurteil gegen den Beschwerdeführer ( römisch 40 ) angefordert. Ferner konnte dem Beschwerdeakt des Mittäters ( römisch 40 ) bei der zweiten Verurteilung dessen damaliger Aufenthaltsstatus entnommen werden.

Beim BFA hat der Beschwerdeführer zuletzt angegeben, er habe 2018 eine namentlich genannte Österreicherin heirateten wollen, mit der er zusammengelebt und eine Tochter habe, die aber nicht auf seinen Namen „registriert“ sei, sondern auf den eines Bruders der Frau. Eine Person mit dem angegebenen Namen der Frau fand sich indes im ZMR im angegebenen Alter weder im angegebenen Bezirk noch bundesweit. Ebenso scheint eine Frau mit dem angegebenen Namen der Tochter nicht auf. (AS 209 ff)

Der Beschwerdeführer hat dazu jeweils lediglich angegeben, er könne sich das „nicht vorstellen“ (AS 211), und zur Frage der Anerkennung seiner behaupteten Vaterschaft, das sei ausgeschlossen für ihn, solange er nicht über einen Aufenthaltstitel und finanzielle Mittel verfüge. Da er in Haft sei, habe er auch keine Möglichkeit, Alimente zu zahlen.

Bereits im Verfahren über den ersten Folgeantrag hatte der Beschwerdeführer in der Einvernahme von 12.01.2015 angegeben, eine Freundin zu haben, und zwar mit demselben Vornamen und aus derselben Gemeinde wie die nun genannte (den Nachnamen wusste er damals seiner Aussage nach nicht), die aber – vor sechs Jahren – schon das nun genannte Alter aufgewiesen hätte. Mit Vor- und Nachnamen und einem fünf bis sieben Jahre höheren Alter fand sich im ZMR auch keine Person.

Auf dieser Basis kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Angehörige im Bundesgebiet hätte (zumal er in der Strafhaft, wie er selbst angab, gearbeitet hat und nie krank war, sodass er demnach auch Geld verdiente). Fest steht aber nach der bisherigen Haftdauer und dem Fehlen auch nur behaupteter Besuche von Angehörigen in der Haft, dass er kein Familienleben im Inland führt.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Die vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat entstammen dem Länderinformationsblatt mit Stand 21.10.2021 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Bericht stützt sich auf Angaben verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Länderfeststellungen wurden dem Beschwerdeführer am 28.12.2021 zur Einsicht und Stellungnahme ausgehändigt. (AS 27) Dazu gab er beim BFA an: „Ich kenne die Lage dort. Ich habe dazu nichts zu sagen. Ich hoffe[,] es kommt ein Tornado und fegt das Land weg.“ Damit ist er den Länderfeststellungen inhaltlich nicht entgegengetreten.

Die oben in 1.2.1 bis 1.2.4 (d. h. anschließend an die aktuellen zur Pandemie) auszugsweise zitierten Aussagen stimmen mit den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, soweit wiedergegeben, wörtlich überein (dort Sitzung 20 ff).

2.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Beschwerdeführer behauptet im vorliegenden Folgeverfahren weiterhin, mit Muslimbrüdern Probleme zu haben und im Rückkehrfall zu erwarten. Zudem fürchte er Probleme mit den seinerzeit aufgrund seiner Zeugenaussage verurteilten Extremisten und deren Familien. Damit wiederholt er die bereits zu früheren Zeiten geäußerten Fluchtmotive in kaum variierter Art und Weise. Auch das Vorbringen in der Erstbefragung, Zeuge eines Tötungsdeliktes gewesen zu sein, wird dann in der Einvernahme darauf reduziert, es habe einen Mordversuch – vermutlich – der Muslimbrüder am Beschwerdeführer gegeben. Im Kern wird also wieder Verfolgung durch Muslimbrüder geltend gemacht.

Diese Vorbringen sind damit nicht neu, sondern entsprechend variierte und teils gesteigerte Wiederholungen. Sie sind auch wenig substantiiert und beinhalten keinerlei Beweisanbot. Mit dem Verweis auf die Machtübernahme der Muslimbrüder bezieht sich der Beschwerdeführer, wie das BFA richtig aufzeigt (AS 269), auf ein Geschehen, das sich bereits 2011 zutrug.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Abschiebung des Beschwerdeführers die reale Gefahr einer Verletzung der genannten Artikel der EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 dazu bedeuten oder eine ernsthafte Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt in einem internationalen oder innerstaatlichen Konflikt mit sich bringen würde, weil dies bereits geprüft wurde und seither eine diesbezügliche Sachverhaltsänderung weder auf Basis des Vorbringens (auch nicht zu Artikel 8, EMRK) festgestellt noch in den Länderfeststellungen berichtet wurde.

Somit konnte die Feststellung getroffen werden, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückgewiesen werden wird. Selbst eine Substantiierung der Behauptung in der Erstbefragung (Zeuge der Tötung eines Mannes gewesen zu sein und seither zu befürchten, dass ihn Polizei und Regierung fänden und auch töteten) würde daran nichts ändern, zumal der Beschwerdeführer auch den Innenminister als einen der Muslimbrüder bezeichnete, die „an der Macht“ seien und auf ihn warteten, damit sie ihn „foltern und töten“ könnten (AS 207).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

Nach Paragraph 12 a, Absatz 2, AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Ziffer 2,), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2,, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Ziffer 3,).

Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG besteht (Ziffer eins,).

Eine solche ist die im rechtskräftig gewordenen Bescheid des BAA vom 31.05.2011 ausgesprochene Ausweisung anzusehen, da diese, wie bereits im vorangegangenen Verfahren ausgeführt (BVwG römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 ) nach Paragraph 75, Absatz 23, AsylG 2005 als Rückkehrentscheidung gilt. (Vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0354)

Wie auch bereits dargetan, ist kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre.

Nach Paragraph 68, AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Paragraphen 69 und 71 AVG sowie die in Paragraph 68, Absatz 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, insbesondere handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um nachträglich hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in Paragraph 68, AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist.

Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer einen Folgeantrag im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23, AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des Paragraph 12 a, Absatz 2, Ziffer eins bis 3 AsylG 2005 vorliegen, weil dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag des Beschwerdeführers voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal der Beschwerdeführer für Arbeitstätigkeiten ausreichend gesund und daher erwerbsfähig ist.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn ihn Angehörige nicht unterstützen, sei es mit einer bereits ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit. Zudem besteht ganz allgemein in Tunesien keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Beschwerdeführer ein „reales Risiko“ einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein im Sinne des Artikel 8, EMRK geschütztes Familienleben und hat kaum über die Aufenthaltszeit selbst hinausgehende - z. B. sprachlichen, kulturellen, beruflichen oder sozialen - privaten Integrationsmerkmale. Diese Zeit verbrachte er zudem überwiegend untergetaucht oder in Strafhaft.

Somit sind die Voraussetzungen des Paragraph 12 a, Absatz 2, AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da Paragraph 22, Absatz 10, AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach Paragraph 22, Absatz eins, BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2022:I419.2100302.2.00