Bundesverwaltungsgericht
10.08.2021
G308 2166021-2
G308 2166018-2/8E
G308 2166023-2/7E
G308 2166019-2/7E
G308 2166025-2/10E
G308 2166021-2/7E
G308 2166016-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des römisch 40 (alias: römisch 40 ), geboren am römisch 40 , 2.) der römisch 40 (alias: römisch 40 ), geboren am römisch 40 , 5.) des römisch 40 (alias: römisch 40 ), geboren am römisch 40 , und 6.) der minderjährigen römisch 40 (alias: römisch 40 ), geboren am römisch 40 , alle Staatsangehörigkeit: Irak, die minderjährige Beschwerdeführerin gesetzlich vertreten durch die Mutter römisch 40 , alle vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2019, Zahlen: zu 1.) römisch 40 , zu 2.) römisch 40 , zu 5.) römisch 40 , und zu 6.) römisch 40 , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2021, zu Recht:
A.1.)
römisch eins. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide werden gemäß
§ 3 Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und der minderjährigen römisch 40 (alias: römisch 40 ) gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 sowie römisch 40 (alias: römisch 40 , römisch 40 (alias: römisch 40 ) und römisch 40 (alias: römisch 40 ) jeweils gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG wird der minderjährigen römisch 40 (alias: römisch 40 ) sowie römisch 40 (alias: römisch 40 ), römisch 40 (alias: römisch 40 ) und römisch 40 (alias: römisch 40 ) jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
römisch IV. Die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.
B.1.) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 3.) des römisch 40 (alias: römisch 40 ), geboren am römisch 40 , und 4.) des römisch 40 (alias: römisch 40 ), geboren am römisch 40 , beide Staatsangehörigkeit: Irak, beide vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2019, Zahlen: zu 3.) römisch 40 , und zu 4.) römisch 40 , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2021, zu Recht:
A.2.)
römisch eins. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch eins. bis römisch III. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch IV., römisch fünf. und römisch VII. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben, diese werden behoben und festgestellt, dass gemäß Paragraph 9, Absatz 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
römisch III. römisch 40 (alias: römisch 40 ) wird gemäß Paragraphen 54,, 55 Absatz 2 und 58 Absatz 2, Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
römisch IV. römisch 40 (alias: römisch 40 ) wird gemäß Paragraphen 54,, 55 Absatz eins und 58 Absatz 2, Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B.2.) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe stammen der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sowie die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin.
2. Die Beschwerdeführer reisten alle gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie jeweils am 04.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 stellten.
3. Am 05.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Dritt- bis Fünftbeschwerdeführers zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz statt.
4. Die von den Beschwerdeführern mit Schriftsatz ihrer bevollmächtigten Rechtsvertreterin vom 05.05.2017 erhobene Säumnisbeschwerde wurde nach Stellung eines Fristsetzungsantrages mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.10.2018, Zahlen L526 2166016-1/7E, L526 2166018-1/7E, L526 2166019-1/7E, L526 2166021-1/7E, L526 2166023-1/7E und L526 2166025-1/7E gemäß Paragraph 8, Absatz eins, VwGVG als unbegründet abgewiesen.
5. Die niederschriftlichen Einvernahmen der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, fanden am 10.01.2019 (Erstbeschwerdeführer), am 14.01.2019 (Zweitbeschwerdeführerin und Fünftbeschwerdeführer) und am 17.01.2019 (Drittbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführer) statt.
6. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes jeweils vom 04.02.2019 wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (jeweils Spruchpunkt römisch eins.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gegen sie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer gemeinsam mit Schriftsatz ihrer bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 07.03.2019, beim Bundesamt am 11.03.2019 einlangend (Datum des Poststempels 07.03.2019), fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den Beschwerden stattgeben und den Beschwerdeführern den Status der Asylberechtigten oder allenfalls der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu feststellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und den Beschwerdeführern einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, AsylG erteilen sowie die Unzulässigkeit ihrer Abschiebung feststellen und die Frist zur freiwilligen Ausreise ersatzlos beheben; in eventu die angefochtenen Bescheide aufheben und die Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
8. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 12.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
9. Mit Eingabe vom 11.02.2021, am 12.02.2021 beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, wurden diverse Unterlagen, darunter Arztbriefe, ein Konvolut an Unterstützungsschreiben, Schulbesuchsbestätigungen, Gewerbeanmeldungen und ein Mietvertrag seitens der Beschwerdeführer vorgelegt.
10. Gemeinsam mit der Ladung vom 21.04.2021 zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2021 wurden den Beschwerdeführern vorab aktuelle Länderberichte zur allgemeinen Lage im Irak, nämlich das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020, übermittelt und so in das Verfahren eingebracht. Unter einem wurde den Beschwerdeführern die Möglichkeit eingeräumt, zu diesen Länderberichten bis spätestens zur Verhandlung Stellung zu nehmen.
11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.06.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, ihre Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Die gegenständlichen Beschwerdeverfahren wurden vom Bundesverwaltungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung gemäß Paragraph 39, Absatz 2, AVG in Verbindung mit Paragraph 17, VwGVG verbunden.
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden vom Bundesverwaltungsgericht mit der Ladung vorab übermittelten Länderberichte erörtert und von der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch eine mündliche Stellungnahme dazu abgegeben.
Seitens der Rechtsvertretung wurde darüber hinaus ein Konvolut an Integrationsunterlagen für die Beschwerdeführer vorgelegt und wurden diese in Kopie zum Akt genommen.
Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß Paragraph 29, Absatz 3, VwGVG.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum), sind Staatsangehörige des Irak, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Ihre gemeinsame Muttersprache ist Arabisch. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander seit römisch 40 1992 verheiratet. Aus dieser Ehe stammen ein Sohn, der mit seiner Familie in Schweden lebt und eine verheiratete Tochter, die in der Türkei lebt, sowie der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin vergleiche etwa Erstbefragungen jeweils vom 05.01.2016, jeweils AS 3 ff; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 283 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 230 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 225 ff Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 216 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 210 ff Fünftbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der jeweils im Original vorgelegten irakischen Reisepässe, AS 301 ff Erstbeschwerdeführer, AS 199 ff Zweitbeschwerdeführerin, AS 205 ff Drittbeschwerdeführer, AS 233 ff Viertbeschwerdeführer, AS 223 ff Fünftbeschwerdeführer und AS 163 ff Sechstbeschwerdeführerin; Kopien der jeweils im Original vorgelegten irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise, AS 323 ff Erstbeschwerdeführer, AS 223 Zweitbeschwerdeführerin, AS 245 Drittbeschwerdeführer, AS 249 ff Viertbeschwerdeführer, AS 239 Fünftbeschwerdeführer; Kopie der irakischen Heiratsurkunde, AS 327 Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5).
Alle Beschwerdeführer sind in römisch 40 (im Folgenden. A.H.) im Gouvernement Kirkuk/Irak geboren und aufgewachsen vergleiche etwa Erstbefragungen jeweils vom 05.01.2016, jeweils AS 3 ff; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 283 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 230 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 225 ff Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 216 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 210 ff Fünftbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5).
Der Erstbeschwerdeführer hat in A.H. sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre eine Mittelschule und drei Jahre ein Gymnasium besucht, dieses aber nicht mit Matura abgeschlossen. Direkt im Anschluss an die Schule leistete der Erstbeschwerdeführer von 1991 bis 1993 einen Militärdienst als einfacher Soldat. Im Jahr 2010 absolvierte er für sechs Monate eine Ausbildung zum Journalisten in Bagdad. Der Erstbeschwerdeführer verfügte in A.H. über ein großes Anwesen samt Landwirtschaft von 53 Hektar, die er mit seinen Söhnen bewirtschaftete (Vieh und Getreide), bis sie A.H. im August 2014 nach dem Einmarsch des IS verließen und nach Bagdad umzogen. Mit der Landwirtschaft verdiente der Erstbeschwerdeführer pro Saison etwa USD 15.000,00. Von 2011 bis zur Ausreise war er zudem als selbstständiger Journalist, Fotograf oder Kameramann für diverse Fernsehsender tätig und verdiente dort zusätzlich monatlich etwa USD 1.500,00. Der Vater des Erstbeschwerdeführers verstarb bereits 1988. Die Mutter des Erstbeschwerdeführers verstarb vor wenigen Monaten im Oman, wo sie die letzten Jahre mit dem Bruder des Erstbeschwerdeführers lebte. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers lebt bereits seit 2003 im Oman, die sechs Schwestern des Erstbeschwerdeführers sind allesamt verheiratet und leben alle nach wie vor in A.H./Kirkuk. Es besteht wegen der schlechten Internetverbindung nur sporadisch Kontakt zu den Familienangehörigen und Freunden des Erstbeschwerdeführers. In Österreich hat der Erstbeschwerdeführer keine weiteren Angehörigen, außer die übrigen Beschwerdeführer vergleiche Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 284 ff; diverse Kopien von im Original vorgelegten Presseausweisen, AS 329 ff Erstbeschwerdeführer; Konvolut an Fotos, die den Erstbeschwerdeführer bei der Arbeit als Journalist zeigen sowie vom Anwesen der Beschwerdeführer, AS 349 ff Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, AS 6 ff).
Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Irak nur sechs Jahre die Grundschule und keine Berufsausbildung absolviert. Sie war auch nie berufstätig, sondern Hausfrau und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers. Beide Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sind bereits verstorben, ebenso wie einer ihrer sieben Brüder. Die sechs Brüder und sieben Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin sind nach Rückeroberung von A.H. vom IS wieder dorthin zurückgekehrt und leben dort nach wie vor. Etwa einmal monatlich hat die Zweitbeschwerdeführerin mit den Geschwistern über das Internet Kontakt, wenn eine Verbindung und Strom besteht. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin hat Häuser in A.H., die trotz des IS noch bei der Rückkehr bewohnbar gewesen sind. Sie sind alle ebenfalls Landwirte und betreiben die Landwirtschaften mit Kühen und Schafen nach wie vor vergleiche Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 232 ff Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, AS 6 ff).
Der Drittbeschwerdeführer absolvierte im Irak in A.H./Kirkuk über einen Zeitraum von neun Jahren (2002-2011) die Grundschule und die Mittelschule, schloss diese aber nicht ab. Er hat keinen Beruf erlernt, half in der elterlichen Landwirtschaft mit und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers bzw. der familieneigenen Landwirtschaft. Während seines Aufenthalts in der Türkei arbeitete er von September bis November 2015 als Schweißer und Arbeiter in einer Holzfabrik vergleiche Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 219 f Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 6).
Der Viertbeschwerdeführer besuchte im Irak in A.H./Kirkuk über einen Zeitraum von neun Jahren (2002-2011) die Grundschule und schloss auch die Mittelschule ab. Er hat den Beruf Landwirt gelernt, half in der elterlichen Landwirtschaft mit und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers bzw. der familieneigenen Landwirtschaft vergleiche Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 219 f Viertbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 6).
Der zum Zeitpunkt der Asylantragstellung noch minderjährige Fünftbeschwerdeführer besuchte im Irak in A.H./Kirkuk sechs Jahre die Grundschule und bis zum Umzug nach Bagdad auch drei Jahre die Hauptschule, schloss diese aber nicht ab und besuchte auch in Bagdad die Schule nicht weiter. Er hat keinen Beruf gelernt, war zuletzt Schüler, half in der elterlichen Landwirtschaft mit und lebte vom Einkommen des Erstbeschwerdeführers bzw. der familieneigenen Landwirtschaft vergleiche Erstbefragung vom 05.01.2016, AS 3 ff Fünftbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 231 f Fünftbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 6).
Die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin verließ den Irak bereits vor ihrer Einschulung. Sie hat daher dort keine Schule besucht und kann auf Arabisch weder schreiben noch lesen vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 18).
Die Beschwerdeführer verfügen somit im Irak insbesondere in A.H./Kirkuk über tragfähige familiäre Bindungen und Unterstützung im Fall der Rückkehr.
Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer verließen den Irak bereits am 11.06.2015 legal auf dem Luftweg und reisten nach Ankara in die Türkei vergleiche Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 231 Drittbeschwerdeführer und AS 220 f Viertbeschwerdeführer; Ausreisestempel in den Reisepässen, AS 209 Drittbeschwerdeführer und AS 237 Viertbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 7, 13 & 16 f). Nachdem der minderjährigen Sechstbeschwerdeführer am 12.08.2015 ein Reisepass ausgestellt wurde, verließ auch der Erstbeschwerdeführer am 12.08.2015 den Irak legal auf dem Luftweg und reiste mit einem Touristenvisum zu seinem Bruder und der damals noch lebenden Mutter in den Oman. Da er dort aber kein Aufenthaltsrecht erhielt, reiste er am 11.11.2015 zu seiner sich damals bereits in der Türkei aufhaltenden Familie nach Ankara vergleiche Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 287 f; Aus- und Einreisestempel im Reisepass, AS 307 Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 7 & 16 f). Die Zweitbeschwerdeführerin, der damals noch minderjährige Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin verließen den Irak schließlich ebenfalls legal, aber mit dem Autobus am 19.08.2015 und reisten ebenfalls nach Ankara in die Türkei vergleiche Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 235 Zweitbeschwerdeführerin und AS 212 Fünftbeschwerdeführer; Ausreisestempel in den Reisepässen, AS 203 Zweitbeschwerdeführerin, AS 227 Fünftbeschwerdeführer und AS 167 Sechstbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 7 & 16 f). Von der Türkei aus reisten alle gemeinsam schlepperunterstützt mit dem Flüchtlingsstrom über Griechenland, Nordmazedonien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich, wo sie alle am 04.01.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten vergleiche jeweils Erstbefragungen vom 05.01.2016, jeweils AS 3 ff; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 16).
Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Asylantragstellung ununterbrochen in Österreich auf, leben alle durchgehend im gemeinsamen Haushalt und verfügen hier alle seit 06.01.2016 über im Wesentlichen ununterbrochene Hauptwohnsitzmeldungen. Alle Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten vergleiche Auszüge aus dem Zentralen Melderegister sowie dem Strafregister jeweils vom 16.07.2021).
Der Erstbeschwerdeführer, der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sowie die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin sind jeweils gesund und arbeits- bzw. schulfähig. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich 2016 vorübergehend wegen Magen- und Kopfschmerzen behandelt, aktuell bedarf er keiner Behandlung. Es wird daher festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführer, der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sowie die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leiden, die im Irak nicht behandelbar wäre vergleiche Erstbefragungen jeweils vom 05.01.2016, jeweils AS 7; Niederschrift Bundesamt vom 10.01.2019, AS 283 Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 225 Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 17.01.2019, AS 215 Viertbeschwerdeführer; Konvolut aktenkundiger Befunde, AS 311 ff Viertbeschwerdeführer; Niederschrift vom 14.01.2019, AS 209 Fünftbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 230 Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll S 4).
Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an symptomatischem, tachycard übergeleitetem Vorhofflimmern, einem Zustand nach Linksherzdekompensation, arterieller Hypertonie mit wiederkehrenden Blutdruckentgleisungen, Diabetes mellitus Typ römisch II, einem Zustand nach Operation einer Belastungsinkontinenz 12/2020 und 6/2021 sowie muskulären Verspannungen im gesamten Wirbelsäulenbereich. Sie nimmt täglich eine Vielzahl an Medikamenten ein. An Diabetes mellitus und Bluthochdruck litt die Zweitbeschwerdeführerin bereits im Irak zumindest seit 2014 und wurde dort deswegen auch in Bagdad behandelt. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet jedoch an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak nicht behandelbar sind. Dass die Zweitbeschwerdeführerin arbeitsunfähig ist, konnte nicht festgestellt werden vergleiche Niederschrift Bundesamt vom 14.01.2019, AS 229 f; ärztlicher Befund der Allgemeinmedizinerin vom 16.06.2021; Befundbericht vom 19.05.2021 der Universitätsklinik für Frauenheilkunde; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 4, 9 & 16 ff).
Der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführer sind jeweils volljährig, ledig und haben keine Kinder vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5 ff; etwa auch entsprechende Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom 16.07.2021).
Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin leben nach wie vor vollständig von Leistungen der Grundversorgung, wobei der Fünftbeschwerdeführer bereits im Juli und August 2018, 2019 und 2020 als Arbeiter sozialversichert im Rahmen schulischer Pflichtpraktika erwerbstätig gewesen ist. Der Fünftbeschwerdeführer besucht in Österreich noch eine Schule (Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe). Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind bisher keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen. Die Sechstbeschwerdeführerin ist noch unmündig minderjährig und besucht in Österreich die Schule. Sie geht derzeit in die zweite Klasse einer neuen Mittelschule vergleiche Auszüge aus den Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten jeweils vom 16.07.2021; Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 8 f; aktenkundige Schulbesuchsbestätigungen).
Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer beziehen jeweils insofern Leistungen aus der Grundversorgung, als sie gemeinsam mit den übrigen Familienangehörigen in einer Flüchtlingsunterkunft wohnen vergleiche Auszüge aus den Grundversorgungsdaten jeweils vom 16.07.2021). Darüber hinaus finanzieren sie sich ihren Lebensunterhalt selbst:
Der Drittbeschwerdeführer verfügte ab 12.01.2021 über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (GISA-Zahl römisch 40 ) vergleiche aktenkundigen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem vom 12.01.2021). Zum Entscheidungszeitpunkt konnte nicht festgestellt werden, dass er über eine Gewerbeberechtigung verfügt vergleiche aktenkundige GISA-Abfrage vom 15.07.2021). Er ist zudem seit 01.10.2019 als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger sozialversichert vergleiche Sozialversicherungsdatenauszug vom 16.07.2021) und ist mit einem aufrechten Vertrag als Medienzusteller von Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften und Werbesendungen oder Druckwerke) tätig vergleiche aktenkundiger Vertrag vom 11.12.2020), welche als Tätigkeiten einfachster Art nicht unter die Gewerbeordnung fallen vergleiche https://www.wko.at/service/Taetigkeiten,-die-nicht-unter-die-Gewerbeordnung-fallen.html, Zugriff am 16.07.2021). Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, ob der Drittbeschwerdeführer monatlich Einkünfte in einer Höhe erwirtschaftet, die über der Geringfügigkeitsgrenze gemäß Paragraph 5, Absatz 2, ASVG liegen. Mangels gültigem Gewerbeschein konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführer darüber hinausgehend noch als Zustellfahrer/Subfrächter entsprechend dem vorgelegten Vertrag vom 01.12.2020 tätig ist.
Er hat mehrere Deutschkurse besucht vergleiche Bestätigungen, AS 253 ff Drittbeschwerdeführer), verfügt aber über keine absolvierte Deutschprüfung. Er konnte die an ihn in der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen jedoch verstehen und auch auf Deutsch beantworten vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 8 f). Er arbeitete von April bis November 2018 im Bauhof der Wohnortgemeinde vergleiche aktenkundige Bestätigung, AS 249 Drittbeschwerdeführer), war ehrenamtlich und freiwillig im Oktober 2016 für das Österreichische Rote Kreuz tätig vergleiche aktenkundige Bestätigung, AS 251 Drittbeschwerdeführer).
Der Viertbeschwerdeführer verfügte von 01.10.2019 bis 02.11.2020 über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (GISA-Zahl römisch 40 ). Seit 02.11.2020 bis laufend verfügt er über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service)“ (GISA-Zahl römisch 40 ) und seit 01.02.2021 über eine Gewerbeberechtigung (freies Gewerbe) zur „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ (GISA-Zahl römisch 40 ) vergleiche aktenkundige Auszüge aus dem Gewerbeinformationssystem vom 15.07.2021). Er ist zudem seit 01.10.2019 als gewerblich selbstständig erwerbstätiger sozialversichert vergleiche Sozialversicherungsdatenauszug vom 16.07.2021). Seit 03.10.2019 ist der Viertbeschwerdeführer als Zustellfahrer/Subfrächter für römisch 40 tätig und erhält dafür pro Tag eine pauschale Zustellvergütung von Brutto EUR 170,00 vergleiche aktenkundiger Vertrag vom 03.10.2019). Seit 26.04.2020 ist der Viertbeschwerdeführer weiters als Zeitungsverteiler auf festgelegten Abholplätzen tätig vergleiche aktenkundiger Vertrag). Es ist daher festzustellen, dass der Viertbeschwerdeführer jedenfalls ein über der Geringfügigkeitsgrenze nach Paragraph 5, Absatz 2, ASVG liegendes monatliches Einkommen erwirtschaftet.
Der Viertbeschwerdeführer war zudem auch bei einer örtlichen Gemeinde zur Unterstützung der Durchführung einer Triathlonveranstaltung von 24.06.2019 bis 03.07.2019 tätig vergleiche aktenkundige Bestätigung) und engagierte sich dem in einen Naturpark vergleiche aktenkundiges Konvolut, AS 271 ff Viertbeschwerdeführer). Er arbeitete von April bis November 2018 im Bauhof der Wohnortgemeinde vergleiche aktenkundige Bestätigung, AS 295 Viertbeschwerdeführer), verfügt über ein am 17.08.2017 absolviertes ÖSD-Sprachzertifikat auf Niveau A1 vergleiche aktenkundiges Zertifikat, AS 307 ff Viertbeschwerdeführer) und spielt regelmäßig Tischtennis mit Freunden. Er konnte die an ihn in der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen verstehen und auch auf Deutsch beantworten vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 8 f).
Die Beschwerdeführer waren alle keine Mitglieder einer politischen Partei, einer anderen politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung im Irak. Sie wurden bisher staatlicherseits nicht festgenommen, verurteilt oder inhaftiert und hatten auch keine sonstigen Probleme mit Gerichten oder Behörden im Irak. Sie hatten auch keine Probleme aufgrund der Volksgruppe, Rasse, Nationalität, Religion oder der Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe vergleiche insbesondere Niederschriften Bundesamt vom 10.01.2019, AS 281 ff Erstbeschwerdeführer; vom 14.01.2019, AS 227 ff Zweitbeschwerdeführerin und AS 207 ff Fünftbeschwerdeführer; vom 17.01.2019, AS 223 ff Drittbeschwerdeführer und AS 213 ff Viertbeschwerdeführer).
Die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin haben keine eigenen Fluchtgründe und beziehen sich ausschließlich auf das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers in Zusammenhang mit jenem des Dritt- und Viertbeschwerdeführers.
Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind oder, dass hinsichtlich des Dritt- und Viertbeschwerdeführers Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung durch schiitische Milizen, den IS oder von staatlicher Seite ausgesetzt sind.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak bezüglich der COVID-19-Pandemie werden die folgenden, dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entsprechenden, aktuellen Länderberichte auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur Lage hinsichtlich der COVID-19 Pandemie im Irak nachfolgende Feststellungen:
Mit Stand 15.07.2021 gab es im Irak 1.457.192 bestätigte COVID-19 Erkrankungen, 17.677 Todesfälle und wurden zum Stand 05.07.2021 1.087.866 Impfdosen verabreicht vergleiche https://covid19.who.int/region/emro/country/iq, Zugriff am 16.07.2021).
Mit Stand 15.07.2021 ergibt sich aus der Zusammenfassung der WKO (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Zugriff am 16.07.2021), dass im Irak das nationale Impfprogramm gegen das Corona-Virus seit 30.03.2021 läuft, die erste Dosis des COVID-19 Impfstoffes als Voraussetzung für die Ausnahme der nächtlichen Ausgangssperren an Freitagen und Samstagen gilt und der Zentralirak das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder, die Autonome Region Kurdistan für 22 Länder, unter anderem jeweils Österreich, aufgehoben hat. Der 18. bis 22.07.2021 sind Feiertage.
Alle Landgrenzen im Zentralirak sind bis auf weiteres geschlossen. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Reisen in den Iran sind aus dem Irak und der Autonomen Region Kurdistan wieder gestattet. Bei einer Einreise in den Zentralirak gibt es Erleichterungen für Geimpfte und Getestete, nicht jedoch für Genesene; Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19 Test verfügen. Solche Passagiere müssen am Flughafen keinen Test mehr machen. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten dafür (USD 50,00) tragen. Flüge zwischen Irak und Indien sind bis auf Weiteres eingestellt worden. Dabei sind Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen und Experten, die an Serviceprojekten arbeiten, vom Einreiseverbot bei negativem PCR-Test ausgenommen.
Es gilt im Zentralirak eine nächtliche Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen von 21:00 – 05:00 Uhr. Geimpfte Personen (erste Dosis) dürfen sich an Wochenenden während der nächtlichen Ausgangssperre frei bewegen. Parks, Fitnesscenter, Kinos, Schwimmbäder, Veranstaltungsräume, Einkaufszentren. Restaurants, Cafés und Bars sind unter Auflage des Gesundheitskomitees geöffnet. Kindergärten, Schulen und Universitäten sind wieder geöffnet. Ab 15.02. sind Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art und Trauerversammlungen bis auf weiteres verboten. Das Versammlungsverbot bleibt aufrecht. Die irakische Regierung beschränkt das Reisen zwischen Provinzen nicht, aber die Einreise in den Irak zu touristischen und religiösen Zwecken ist verboten. Ministerien arbeiten wieder mit voller Kapazität. Ab dem 20.04. wird nur geimpften Personen oder Personen mit einem negativen PCR Test in Ministerien und Regierungsbehörden der Zutritt erlaubt. Moscheen sind geöffnet. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren.
In der Autonomen Region Kurdistan (ARK) brauchen Passagiere, die in Erbil einreisen wollen, einen negativen COVID-19-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Alle ankommenden Passagiere müssen sich bei Ankunft am Flughafen einem COVID19-Test unterziehen und es gilt eine 2-tägige Quarantäne. Die Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Wenn das Ergebnis positiv ist, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen, um zu erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird. Flüge zwischen der Region Kurdistan und Indien sind bis auf weiteres eingestellt worden. Personen, die von Indien in die Region Kurdistan reisen, müssen sich bei ihrer Ankunft für 14 Tage unter Quarantäne stellen. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind vom Einreiseverbot ausgenommen, sofern sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der 72 Stunden vor ihrer Ankunft durchgeführt wurde. Die Landesgrenze mit der Türkei ist wieder geöffnet. Bei Auftreten von Symptomen muss das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden. Alle Passagiere, die sich in den letzten 30 Tagen im Iran aufgehalten haben, dürfen nicht in Erbil einreisen. Vollständig geimpfte Personen müssen sich bei der Einreise keinem COVID-19 Test unterziehen.
In der ARK sind die nächtlichen Ausgangssperren aufgehoben. Reisen zwischen der Region Kurdistan und dem Irak sind wieder erlaubt. Irakische Patienten, die in der Region Kurdistan dringend medizinische Versorgung benötigen, Geschäftsleute und Investoren dürfen mit einem gültigen, negativen PCR-Test einreisen. Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind von dieser Regelung ausgenommen. Reisen innerhalb der Region Kurdistan ist an Wochenenden wieder erlaubt. Kindergärten und Schulen sind wieder geöffnet. Universitäten sind wieder geöffnet. Öffentliche und private Institute des Bildungsministeriums sind wieder geöffnet. Ministerien und öffentliche Einrichtungen sind wieder geöffnet, es gilt Maskenpflicht für alle. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren. Geschäfte, Restaurants, Einkaufszentren, Cafés, Fitness und Sportzentren sind wieder geöffnet. Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art, Trauerversammlungen sind weiterhin nicht erlaubt. In öffentlichen Einrichtungen und auf öffentlichen Plätzen sowie in Einkaufszentren und Märkten gilt die Pflicht zum Tragen einer Maske und zur Einhaltung der Abstandsregeln.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) widmet USD 22 Mio. des Stabilitätsfonds für Infrastruktur Maßnahmen gegen COVID-19. Geschäftsmänner aus Najaf spendeten der Regierung IQD 350 Mio. zur Anschaffung von Gütern des medizinischen Bedarfs. Ein neues Projekt wurde vom Minister für Migration, Ivan Faeq, vorgestellt, das Arbeitsstellen und Unterstützung für Unternehmer im Irak generieren soll. 30% des Projektes soll gezielt Frauen unterstützen. Das Projekt wird außerdem von der EU gefördert und unterstützt.
Zur allgemeinen Lage im Irak werden darüber hinaus die vom Bundesverwaltungsgericht gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand 17.03.2020) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.
Daraus ergibt sich auszugsweise:
„[…] 1 Politische Lage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vergleiche GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafazāt) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vergleiche RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vergleiche GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vergleiche ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vergleiche Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
1.1 Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 17.3.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
[Grafik gelöscht, Anm]
Quellen:
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
[…]
2 Sicherheitslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vergleiche AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vergleiche Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vergleiche Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.1 Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vergleiche Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vergleiche BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vergleiche UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vergleiche USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vergleiche ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vergleiche ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche NINA 17.1.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020
- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020
- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.2 Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad Anmerkung, ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).
[Grafik gelöscht, Anm]
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).
[Grafik gelöscht, Anm]
Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).
[Grafik gelöscht, Anm]
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
2.3 Sicherheitslage Bagdad
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vergleiche Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel 11.1.1 Protestbewegung entnommen werden.]
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020
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2.5 Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).
In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).
Gouvernement Ninewa
Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).
Gouvernement Diyala
Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vergleiche Joel Wing 9.9.2019) und ist weiterhin ein Kerngebiet des IS (Joel Wing 3.2.2020). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den schwer zugänglichen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.12.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019).
Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala (Joel Wing 5.8.2019), aus denen er einerseits Zivilisten vertreibt, um dort Basen zu errichten, und wo er anderseits wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte angreift (Joel Wing 9.9.2019). So häufen sich Berichte über zunehmende Vertreibung von Zivilisten aus ländlichen Gebieten, beispielsweise aus den Bezirken Khanaqin und Jalawla, wegen der Bedrohung durch den IS und dem Unvermögen der Sicherheitskräfte (Irakische Armee/ISF und PMF) für deren Sicherheit zu sorgen (Joel Wing 25.11.2019; vergleiche Rudaw 3.12.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betrafen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gab es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Ende 2019 und Anfang 2020 hat der IS seinen Aktionsschwerpunkt verschoben. Während sich bisher die meisten Vorfälle im Distrikt Khanaqin, rund um die Städte Khanaqin und Jalawla, ereigneten, verlegte der IS seinen Fokus zunehmend auf das Zentrum des Gouvernements, insbesondere auf den Distrikt Muqdadiya (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche Joel Wing 3.2.2020), sowie auch in die westlichen Gebiete Diyalas. Diese Verlagerung wird im Zusammenhang mit einer Kampagne der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in Khanaqin gesehen. Damit zeigt der IS aber auch, dass er die Kapazität hat im gesamten Gouvernement aktiv zu werden (Joel Wing 3.2.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Diyala 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Toten und 93 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Febraur 2020 waren es 24 Vorfälle mit 16 Toten und 27 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).
Gouvernement Salah ad-Din
Im Gouvernement Salah ad-Din ist der IS hauptsächlich in ländlichen Regionen aktiv. Im Dezember 2019 setzte der IS erstmals seit Mai 2019 wieder Autobomben ein (Joel Wing 6.1.2020). Drei derartige Attacken trafen Sicherheitskräfte der PMF (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche Rudaw 12.12.2019; Anadolu 13.12.2019), zusätzlich zu einem Vorfall mit einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche NINA 29.12.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 27 Toten und 42 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es sechs Vorfälle mit zehn Toten und vier Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für zwei Vorfälle im Jänner 2020 - ein Raketen-, bzw. ein Mörserbeschuss auf den Militärstützpunkt Balad - pro-iranische PMF verantwortlich gemacht (Joel Wing 3.2.2020).
Gouvernement Kirkuk
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück (Joel Wing 5.8.2019). Da der Süden Kirkuks nicht vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, kommt es insbesondere in dieser Region regelmäßig zu Angriffen (Joel Wing 3.2.2020). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements Kirkuk konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019). Im Dezember 2019 hat der IS einen falschen Kontrollpunkt entlang der Straße von Tikrit nach Kirkuk eingerichtet, an dem er sechs Zivilisten hinrichtete (Joel Wing 6.1.2020). Neun der 13 Vorfälle im Jänner 2020 ereigneten sich im Süden, wo der IS im Gouvernement seine Basis hat (Joel Wing 3.2.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Kirkuk 39 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 41 Toten und 60 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es acht Vorfälle mit sieben Toten und zwölf Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für je einen Vorfall im Jänner und Februar 2020 pro-iranische PMF verantwortlich gemacht (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche Joel Wing 5.3.2020).
Gouvernement Anbar
Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum und Schwerpunkt der IS-Aktivitäten, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019; vergleiche Joel Wing 3.2.2020). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat bis Mitte 2019 stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019) und ab Mitte 2019 hat sich Anbar zu einem sekundären Schauplatz entwickelt, mit einem Rückgang der Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im einstelligen Bereich (Joel Wing 3.2.2020).
Im November 2019 gab es im Gouvernement Anbar keine sicherheitsrelevanten Vorfälle. Im Dezember 2019 waren es fünf Vorfälle mit zwölf Toten und zwei Verletzten (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 war Anbar mit einer Steigerung von fünf Vorfällen im Dezember 2019 auf sieben im Jänner 2020, mit acht Toten und 76 Verletzten das einzige Gouvernement mit einer Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit einer Steigerung von fünf Vorfällen. Zu diesen Vorfällen zählen der iranische Raketenangriff auf die Militärbasis Ain Al-Assad, bei dem 64 amerikanische Soldaten verwundet wurden, ein Angriff mit einer Autobombe (VBIED) gegen einen Armeekonvoi, Entführungen und Angriffe mit Schusswaffen (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche BasNews 16.1.2020). Im Februar 2020 waren es fünf Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).
Quellen:
- Anadolu Agency (13.12.2019): Death toll in Iraq from suspected terror blasts hits 15, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/death-toll-in-iraq-from-suspected-terror-blasts-hits-15/1672348, Zugriff 13.3.2020
- BasNews (16.1.2020): Car Bomb Hits Iraqi Army Convoy, Kills Two, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/574768, Zugriff 13.3.2020
- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (25.11.2019): Islamic State Forcing People Out Of Rural Diyala, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/11/islamic-state-forcing-people-out-of.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (23.12.2019): Car bomb kills 2 Iraqi soldiers, wounds one in western Anbar, https://www.kurdistan24.net/en/news/649d80f9-2f80-474a-b371-331269bb7792, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories, https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (29.12.2019): An Officer and /3 / fighters were wounded by a suicide bombing, west of Tharthar Valley, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=804671, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (12.12.2019): ISIS militants kill 11 PMF in Saladin attack: security officials, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/121220193, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (3.12.2019): Diyala villagers flee spike in attacks by resurging Islamic State, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03122019, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 13.3.2020
- USIP - United States Institute of Peace (2011): Iraq‘s Disputed Territories, https://www.files.ethz.ch/isn/128591/PW69.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Xinhua (22.12.2019): Iraqi soldier killed, 7 civilians wounded in separate attacks in Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-12/22/c_138648985.htm, Zugriff 13.3.2020
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3 Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).
Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vergleiche AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).
Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).
Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vergleiche AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).
Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vergleiche HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020).
Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem IS anzugehören, sowie jene anderer Häftlinge (HRW 14.1.2020). Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausernder sunnitischer Moslems, denen eine IS-Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98% (USCIRF 4.2019). Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (FH 4.3.2020; vergleiche CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 11.3.2020). Anwälte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, sind gefährdet durch Sicherheitskräfte bedroht oder sogar verhaftet zu werden (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020).
Laut einer Studie über Entscheidungen von Berufungsgerichten in Fällen mit Bezug zum Terrorismus, haben erstinstanzliche Richter Foltervorwürfe ignoriert, auch wenn diese durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet wurden und die erzwungenen Geständnisse durch keine anderen Beweise belegbar waren (HRW 25.9.2019; vergleiche HRW 14.1.2020). Für das Anti-Terror-Gericht in Ninewa beobachtete HRW im Jahr 2019 eine Verbesserung bei den Gerichtsverhandlungen. So verlangten Richter einen höheren Beweisstandard für die Inhaftierung und Verfolgung von Verdächtigen, um die Abhängigkeit des Gerichts von Geständnissen, fehlerhaften Fahndungslisten und unbegründeten Anschuldigungen zu minimieren (HRW 14.1.2020).
Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).
Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/SharedDocuments/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.12.2019
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (25.9.2019): Iraq: Appeals Courts Ignoring Torture Claims, https://www.ecoi.net/de/dokument/2017141.html, Zugriff 13.3.2020
- LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 13.3.2020
- TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
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4 Sicherheitskräfte und Milizen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische. Stattdessen wurde ein politisch neutrales Militär vorgesehen (Fanack 2.9.2019).
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) (USDOS 11.3.2020). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019).
Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vergleiche GS 18.7.2019).
Quellen:
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
4.1 Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).
Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
4.2 Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vergleiche FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vergleiche FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).
Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vergleiche Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).
Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).
Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vergleiche FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).
Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).
In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).
Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vergleiche TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vergleiche GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).
Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).
Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vergleiche USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).
Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).
Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).
Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).
Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018). Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (FPRI 19.8.2019).
Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hezbollah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und bis zu seinem Tode 2019 auch angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist (Süß 21.8.2017). Kata’ib Hizbullah bilden die 45. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018). Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von mindestens 400 bis zu 30.000 Mann (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center). Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017). Ihr Anführer Jamal Jaafar Ibrahimi alias Abu Mahdi al Muhandis war auch stellvertretender Leiter der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission (Al-Tamini 31.10.2017).
Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center 27.4.2018).
Die Harakat Hezbollah al Nujaba (HHN, Bewegung der Partei der Edlen Gottes) ist ein Ableger von Kata’ib Hizbullah und Asa‘ib Ahl al-Haqq, die 2013 zur Unterstützung des Assad Regimes in Syrien von Sheikh Akram al Ka‘abi gegründet wurde. Die pro-iranische HHN hat eigenen Angaben zufolge etwa 9.000 Kämpfer, von denen einige nach wie vor in Syrien aktiv sind. Sie stellt die 12. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017).
Die Kata‘ib Sayyid al Shuhada (KSS, Meister der Märtyrerbrigade), ist eine Miliz, die im Mai 2013 gegründet wurde, um an der Seite des Assad-Regimes in Syrien zu kämpfen. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 dehnte die KSS ihre Operationen auf den Irak aus und war insbesondere im Gouvernement Salah ad-Din, aber auch in Anbar und Ninewa aktiv. Geschätzt auf über 2.000 Kämpfer im Jahr 2017, wird die KSS von den Iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutionary Guards Corps, IRGC) unterstützt und finanziert (Wilson Center 27.4.2018). Sie stellt die 14. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017).
Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus anti-iranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).
Auch die Kata’ib al-Imam Ali (KIA, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Sie ist den PMF als 40. Brigade beigetreten (Wilson Center 27.4.2018). Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi stand in engem Kontakt zu Muhandis (bis zu dessen Tod) und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azra‘el erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017). Kata’ib al-Imam Ali hat im Dezember 2014 die kleine syriakische Anmerkung, aramäisch- assyrisch) Christenmiliz Kata‘ib Roh Allah Issa Ibn Miriam (Die Brigade vom Geist Gottes, Jesus, Sohn der Maria) gegründet und ausgebildet (Wilson Center 27.4.2018).
Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF
Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).
Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).
Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).
Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.aymennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index, Zugriff 13.3.2020
- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-06/PB_Power_in_perspective.pdf, Zugriff 13.3.2020
- DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 13.3.2020
- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm, Zugriff 13.3.2020
- MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis's killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hashd-al-shaabi-after-muhandis-killing, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail
- Reuters (29.8.2019): Baghdad's crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.reuters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance-idUSKCN1VJ0GS, Zugriff 13.3.2020
- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.3.2020
- TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integration/, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
[…]
5 Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte (AA 12.1.2019), oder auch um Geständnisse zu erzwingen (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020; AI 10.4.2019) und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren (USDOS 11.3.2020) auch für die Vollstreckung von Todesurteilen (AI 10.4.2019). Laut Informationen von UNAMI sollen u.a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören (AA 12.1.2019). Ehemalige Häftlinge berichten auch über Todesfälle aufgrund von Folter (AI 26.2.2019). Auch Minderjährige werden Folter unterzogen, um Geständnisse zu erpressen (HRW 6.3.2019).
Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den Volksmobilisierungskräften (PMF) verbundenen Milizen und Asayish, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung (KRG). Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 11.3.2020). Eine Studie zu Berufungsgerichtsentscheidungen zeigt, dass Richter bei fast zwei Dutzend Fällen aus den Jahren 2018 und 2019 Foltervorwürfe ignorierten und auf Grundlage von Geständnissen ohne weitere Beweise Schuldsprüche erließen. Einige dieser Foltervorwürfe waren durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet. Die Berufungsgerichte sprachen die Angeklagten in jedem dieser Fälle frei (HRW 14.1.2020). Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.1.2019).
Trotz der Zusage des damaligen Premierministers Haidar Abadi im September 2017, den Vorwürfen von Folter und außergerichtlichen Tötungen nachzugehen, haben die Behörden im Jahr 2019 keine Schritte unternommen, um diese Missstände zu untersuchen (HRW 14.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): Iraq: ISIS Child Suspects Arbitrarily Arrested, Tortured, https://www.hrw.org/news/2019/03/06/iraq-isis-child-suspects-arbitrarily-arrested-tortured, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
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6 Korruption
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um. Im Laufe des Jahres 2018 gab es zahlreiche Berichte über staatliche Korruption. Beamte waren häufig ungestraft in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Erwägungen hinsichtlich Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beeinflussen Regierungsentscheidungen auf allen Ebenen maßgeblich. Bestechung, Geldwäsche, Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder sind üblich. Obwohl Antikorruptionsinstitutionen zunehmend mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiten, ist die Wirkung der erweiterten Zusammenarbeit begrenzt. Medien und NGOs versuchen Korruption unabhängig aufzudecken, obwohl ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 11.3.2020). Korruption war einer der Auslöser für die Massenproteste am 1.10.2019 im Süd- und Zentralirak, inklusive Bagdad (UNAMI 10.2019).
Auf dem Corruption Perceptions Index 2020 von Transparency International wird der Irak mit 20 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 3.2020).
Quellen:
- TI - Transparency International (3.2020): Iraq, https://www.transparency.org/country/IRQ, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019); Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
7 NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 17.3.2020
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müssen sich registrieren (FH 4.3.2020). Mit Stand September 2019 waren laut der irakischen Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 4.365 NGOs registriert (USDOS 11.3.2020). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 im Jahr 2018 (USDOS 13.3.2019). In der KRI sind die Registrierungen jährlich zu erneuern (FH 4.3.2020).
Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 26.6.2019). NGOs, die nur in Bagdad registriert waren, konnten nicht in der KRI tätig werden, und vice versa (USDOS 11.3.2020).
Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 368 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden „Besuchen“ durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die KRI, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.1.2019).
Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren untersuchen. In Basra im Südirak wurden Berichten zufolge mehrere Menschenrechtsvertreter willkürlich festgenommen und gezwungen Dokumente ihnen unbekannten Inhalts zu unterzeichnen, bevor sie wieder freigelassen wurden(USDOS 11.3.2020). Ende 2019 gibt es im Zuge der Protestbewegung auch Berichte über Entführungen und Ermordnungen von regierungskritischen Aktivisten (FH 4.3.2020). Die KRI verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (26.6.2019): Civic Freedom Monitor: Iraq, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
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9 Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).
Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).
Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Es wird berichtet, dass tausende Männer und Buben, die aus Gebieten unter IS-Herrschaft geflohen sind, von zentral-irakischen und kurdischen Kräften willkürlich verhaftet wurden und nach wie vor als vermisst gelten. Sicherheitskräfte einschließlich PMFs haben Personen mit angeblichen IS-Beziehungen auch in Lagern inhaftiert und gewaltsam verschwinden lassen (AI 26.2.2019).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).
Im Zuge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste haben Sicherheitskräfte unter anderem scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und hunderte Menschen getötet (HRW 31.1.2020).
Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (31.1.2020): Iraq: Authorities Violently Remove Protesters, https://www.ecoi.net/en/document/2023934.htm, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
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10 Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt (AA 12.1.2019), Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 11.3.2020).
Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.1.2019). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 11.3.2020). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 4.2.2018).
Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 11.3.2020). Das „Gesetz zum Schutz von Journalisten“ von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.1.2019).
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 12.1.2019). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2019 auf Platz 156 von 180 (RSF 2020).
Journalisten sind häufig Opfer von bewaffneten Angriffen, Verhaftungen oder Einschüchterungen durch regierungsnahe Milizen und Sicherheitskräfte in allen Teilen des Landes. Morde an Journalisten bleiben ungestraft (RSF 2020). So wurden etwa auch im Zuge der am 1.10.2019 begonnenen Massenproteste im Südirak und Bagdad Journalisten durch willkürliche Verhaftungen, Belästigungen, Drohungen und die widerrechtliche Beschlagnahme von Equipment daran gehindert über die Demonstrationen zu berichten (UNAMI 10.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Neun Journalisten gelten seit 2014 nach wie vor als vermisst. Zwei Journalisten wurden 2019 getötet (CPJ 2020). Zwei Journalisten, die in Basra über die Proteste berichteten, wurden am 10.1.2020 erschossen (CPJ 10.1.2020). Seit Mitte Oktober verließen die meisten internationalen Medien und viele lokale Journalisten Bagdad in Richtung Erbil und andere Oerte in der Kurdischen Region im Irak (KRI), nachdem berichtet wurde, dass die Sicherheitskräfte eine Liste von Journalisten und Aktivisten in Umlauf brachten, die verhaftet und eingeschüchtert werden sollten (USDOS 11.3.2020).
Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des „Committee to Protect Journalists“ zudem den weltweit drittletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 25 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.1.2019).
Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 4.3.2020). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CPJ - Committee to Protect Journalists (10.1.2020): Gunmen open fire on car, kill 2 Dijlah TV journalists at Iraq protest, https://cpj.org/2020/01/dijlah-tv-journalists-killed-protest-basra.php, Zugriff 13.3.2020
- CPJ - Committee to Protect Journalists (2020): Iraq / Middle East & North Africa, Journalists attacked in Iraq since 1992, https://cpj.org/mideast/iraq/, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- RSF - Reporters sans frontiers (2020): Iraq, Still dangerous for journalists, https://rsf.org/en/iraq, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
10.1 Internet und soziale Medien
Letzte Änderung: 17.3.2020
Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 11.3.2020).
Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 4.3.2020). Trotz Einschränkungen nutzen politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung räumt ein in manchen Gebieten den Internetzugang beschränkt zu haben, angeblich aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der Nutzung von Social Media Plattformen durch den IS (USDOS 11.3.2020). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.1.2019).
Im Zuge der am 1.10.2019 begonnen Massenproteste hat die Regierung wiederholt das Internet gedrosselt, um zu verhindern, dass Fotos und Videos der Proteste hochgeladen und ausgetauscht werden (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020), und blockierte Messaging-Apps. Einige Iraker wurden verhaftet, weil sie mit Facebook-Nachrichten ihre Unterstützung für die Proteste zum Ausdruck gebracht hatten (HRW 14.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
11 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
11.1 Versammlungsfreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration „nach den Regeln des Gesetzes“ vor (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.3.2020). Entsprechend einfach gesetzlichen Bestimmungen fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende „Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit“ eingeschränkt, das u.a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.1.2019).
Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, der Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 11.3.2020).
Demonstranten sind häufig der Gefahr von Gewalt oder Verhaftung ausgesetzt (FH 4.3.2020). Als die Demonstrationen ab Oktober 2019 eskalierten, versäumten es die Behörden, die Demonstranten vor Gewalt zu schützen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
11.1.1 Protestbewegung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit 2014 gibt es eine Protestbewegung, in der zumeist junge Leute in Scharen auf die Straße strömen, um bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus zu fordern (WZ 9.10.2018).
So kam es bereits 2018 im Südirak zu weitreichenden Protesten in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Ebenso kam es im Jahr 2019 zu Protesten, wobei pro-iranische Volksmobilisierungskräfte (PMF) beschuldigt wurden, sich an der Unterdrückung der Proteste beteiligt und Demonstranten sowie Menschenrechtsaktivisten angegriffen zu haben (Diyaruna 7.8.2019; vergleiche Al Jazeera 25.10.2019).
Seit dem 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vergleiche Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vergleiche BBC 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019).
Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma (Carnegie 14.11.2019; vergleiche ICG 10.10.2019), sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala (RFE/RL 4.11.2019) und Najaf (RFE/RL 1.12.2019).
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweiig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus (AI 18.2.2020; vergleiche Al Jazeera 5.10.2019; ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und implementierten zeitweilige Internetblockaden (UNAMI 10.2019; vergleiche AI 18.2.2020; USDOS 11.3.2020).
Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden (AAA 28.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020), darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden (AAA 28.12.2019). Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste (AI 23.1.2020).
Quellen:
- AAA - Asharq Al-Awsat (28.12.2019): Iraq: Human Rights Commission Says 490 Protesters Killed Since October, https://aawsat.com/english/home/article/2056146/iraq-human-rights-commission-says-490-protesters-killed-october, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2025831.html, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (23.1.2020): Iraq: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023297.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Mada (2.10.2019): ساحاتالاحتجاجتتحولإلىمناطقحرب („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 13.3.2020
- Carnegie - Carnegie Middle East Center (14.11.2019): How Deep römisch eins s Anti-Iranian Sentiment in Iraq?, https://carnegie-mec.org/diwan/80313, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (10.10.2019): Widespread Protests Point to Iraq’s Cycle of Social Crisis, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018263.html, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.12.2019): Iraqi Protesters Torch Iranian Consulate For Second Time Within Week, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022938.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.11.2019): Security Forces Shoot At Baghdad Protesters, Several Killed In Karbala, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019395.html, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters,https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 13.3.2020
11.2 Vereinigungsfreiheit / Opposition
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 11.3.2020). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 12.1.2019).
Die Arbeitsgesetze garantieren Arbeitsnehmern das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften, von Tarifverhandlungen und auf das Abhalten von Streiks, schützen sie aber nicht vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung bis hin zu Entlassungen (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
13 Todesstrafe
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.1.2019; vergleiche HRC 5.6.2018; HRW 14.1.2020). Problematisch sind die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 12.1.2019). So beinhalten beispielsweise die irakischen Anti-Terrorismus-Gesetze die Vollstreckung der Todesstrafe auch für ein breites Spektrum an Handlungen, die nicht als schwere Verbrechen, wie Mord, definiert sind (FP 31.1.2020). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.1.2019).
Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben macht. Soweit UNAMI bekannt, wurden 2018 112 Personen zum Tode verurteilt, 36 Todesurteile wurden vollzogen. UNAMI schätzt jedoch, dass tatsächliche Zahlen deutlich darüber liegen (AA 12.1.2019). Amnesty International zufolge wurden 2018 271 Todesurteile ausgesprochen und 52 Hinrichtungen vollzogen (AI 10.4.2019). Zwischen Jänner und August 2019 wurden Angaben des irakischen Justizministeriums zufolge über 100 Personen hingerichtet. 8.022 Gefangene saßen im August 2019 in der Todeszelle (HRW 14.1.2020). Aktuell werden insbesondere ehemalige IS-Kämpfer – oder Personen, die dessen beschuldigt werden – in großer Zahl in unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt (AA 12.1.2019). Über zwei Dutzend Frauen wurden wegen der wahrgenommenen IS-Mitgliedschaft eines männlichen Angehörigen, meist des Ehemanns, zum Tode verurteilt (AI 26.2.2019).
Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat (HRC 5.6.2018; vergleiche HRW 14.1.2020), sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FP - Foreign Policy (31.1.2020): U.N. Faults Iraq for Islamic State Prosecutions, https://foreignpolicy.com/2020/01/31/united-nations-faults-iraq-islamic-state-prosecutions/, Zugriff 13.3.2020
- HRC - Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/A_HRC_38_44_Add.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
14 Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt 15 (Minderheiten) behandelt.
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.1.2019). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht. In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 21.6.2019).
Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.1.2019; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 12.1.2019; vergleiche ROI 15.10.2005).
Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 21.6.2019).
Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 21.6.2019; vergleiche UNHCR 5.2019).
Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen (AA 12.1.2019). Die Religionen, die auf dem Antrag für den nationalen Personalausweis angegeben werden können, sind christlich, sabäisch-mandäisch, jesidisch, jüdisch und muslimisch. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Sabäer-Mandäer, Jude oder Christ deklarieren (USDOS 21.6.2019) Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.1.2019). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil als Muslime angeführt werden müssen. Christen, die formell als Muslims registriert sind, aber den christlichen oder einen anderen Glauben praktizieren, berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 21.6.2019; vergleiche USCIRF 4.2019).
Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und Faili Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.1.2019)
Institutionelle und gesellschaftliche Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen Minderheitengruppen sind nach Ansicht von Religionsführern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich auf Religionsfreiheit konzentrieren, nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen in Kirkuk, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 11.3.2020).
Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren (USDOS 11.3.2020).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikane und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 21.6.2019).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 21.6.2019).
Die Kurdische Region im Irak (KRI) war für viele religiöse und ethnische Minderheiten im Nordirak ein wichtiger Zufluchtsort, während der Phase der konfessionellen Gewalt nach 2003 und während der IS-Krise (USCIRF4.2019). Einige jesidische und christliche Führer berichten über Schikanen und Misshandlungen durch Peshmerga und Asayesh im von der kurdischen Regionalregierung (KRG) kontrollierten Teil von Ninewa, jedoch sagen einige dieser Führer, dass die Mehrheit dieser Fälle eher politisch als religiös motiviert seien (USDOS 21.6.2019).
[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel 15 Minderheiten entnommen werden.]
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
15 Minderheiten
Letzte Änderung: 17.3.2020
Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.1.2019). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).
Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 12.1.2019). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.1.2019).
Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.1.2019).
In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.1.2019; vergleiche KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.1.2019).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in dem ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Gouvernement Diyala (AA 12.1.2019). Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angeordnet, dem Bundesgesetz von 2017 folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019).
[Grafik gelöscht, Anm]
BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Religious Groups
[Grafik gelöscht, Anm]
BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Ethnic Groups
Anmerkung zu beiden Karten: Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).
Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdische Bewohner auszogen, und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).
Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 – Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (2019): Integrated Location Assessment römisch IV, IOM Iraq, https://publications.iom.int/system/files/pdf/integrated_location_assessment_4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan-Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417, Zugriff 13.3.2020
- Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 13.3.2020
- MRG - Minority Rights Group International (5.2018): Iraq - Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
15.1. Sunnitische Araber
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).
Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
16. Relevante Bevölkerungsgruppen
16.1. Frauen
Letzte Änderung: 17.3.2020
In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament verankert (AA 12.1.2019). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30% (AA 12.1.2019; vergleiche OHCHR 11.9.2019). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, sie führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben, bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017).
Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 4.3.2020). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.1.2019). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.1.2019; vergleiche FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.1.2019). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 4.3.2020). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 4.3.2020).
Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17% (AA 12.1.2019; vergleiche Frontline 12.11.2019). Jene rund 85% der Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).
Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer. Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen doppelt so stark von Analphabetismus betroffen wie Buben (GIZ 1.2020b). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 28.2.2020). Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 28,2% und ist damit etwa doppelt so hoch wie jene von Männern und Buben (13%) (UN Women 12.2018). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate für Mädchen weit niedriger als jene für Buben (GIZ 1.2020b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- Frontline (12.11.2019): How Conflict in Iraq Has Made Women and Girls More Vulnerable, https://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/how-conflict-in-iraq-has-made-women-and-girls-more-vulnerable/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 13.3.2020
- K4D - Knowledge, evidence and learning for development (24.11.2017): Women‘s participation in peacebuilding and reconciliation in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/239-Womens-Participation-in-Peacebuilding-Iraq.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnisch Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 13.3.2020
- OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.9.2019): Committee on the Rights of Persons with Disabilities discusses the impact of the armed conflict on persons with disabilities in Iraq, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24976&LangID=E, Zugriff 13.3.2020
- UN Women - United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women (12.2018): Gender Profile – Iraq,A situation analysis on gender equality and women’s empowerment in Iraq, https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/620602/rr-gender-profile-iraq-131218-en.pdf, Zugriff 13.3.2020
16.1.1. Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.3.2020), vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 17.1.2019). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 14.1.2020; vergleiche FIS 22.5.2018). Der Irak hat zwar eine nationale Strategie gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen angenommen, aber noch kein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt verabschiedet (OHCHR 11.11.2019).
Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 14.1.2020). Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als „rechtmäßig“ interpretiert werden können. Nach Artikel 128 Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der „Ehre“ oder „vom Opfer provoziert“ begangen wurden, ungestraft bleiben, bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden. Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als „normal“ und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (FIS 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vergleiche FIS 22.5.2018). Viele Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei und halten den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (FIS 22.5.2018).
Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Dies trifft auch zu, wenn das Opfer minderjährig ist (FIS 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (FIS 22.5.2018; vergleiche USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020).
Zwischen 2014 und 2017 etablierte der Islamische Staat (IS) ein System organisierter Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Zwangsheirat von jesidischen Frauen und Mädchen und anderen Minderheiten. Es wurde jedoch kein IS-Mitglied wegen dieser spezifischen Verbrechen strafrechtlich verfolgt oder verurteilt (HRW 14.1.2020). Im Zuge des IS-Vormarsches auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als „Trophäen“ an IS-Kämpfer übergeben oder nach Syrien „verkauft“ wurden. Diese Frauen wurden anschließend oftmals von ihren Familien aus Gründen der Tradition verstoßen oder sie wurden gezwungen, die aus den Zwangsehen entstandenen Kinder zu verstoßen (AA 12.1.2019; vergleiche USCIRF 4.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002196.html, Zugriff 13.3.2020
- OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.11.2019): UN women’s rights experts issue findings on Andorra, Bosnia and Herzegovina, Cambodia, Iraq, Kazakhstan, Lithuania, and Seychelles, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25277&LangID=E, Zugriff 13.3.2020
- UNFPA - United Nations Population Fund (2016): The GBV Assessment in Conflict Affected Governorates in Iraq, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/The%20GBV%20Assesment.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
16.2.2. Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen, um Frauen und Kinder vor häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen (FIS 22.5.2018).
Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen (USDOS 11.3.2020; vergleiche FIS 22.5.2018). Manchmal werden Schutzhäuser Ziel von Gewalt (USDOS 11.3.2020, vergleiche Lattimer EASO 26.4.2017). Per Gesetz genehmigt das Arbeits- und Sozialministerium den Betrieb von Schutzhäusern, hat dies jedoch für NGOs nicht getan. Manche NGOs betreiben daher inoffizielle Schutzhäuser unter der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (USDOS 11.3.2020). UNFPA unterstützt fünf Frauenhäuser im gesamten Irak, davon eines in Bagdad, mit einem Aufnahmevermögen von 80 Personen in zehn Schlafräumen, sowie einem Beratungsraum und einem Raum für psychosoziale Unterstützung (UNFPA 20.2.2019). Aufgrund von Druck durch die Gemeinschaften, die Frauenhäuser häufig als Bordelle ansehen, werden diese regelmäßig durch das Ministerium geschlossen, um später an anderer Örtlichkeit wieder eröffnet zu werden (USDOS 11.3.2020).
Im Jahr 2011 wurde vom kurdischen Regionalparlament Gesetz Nr. 8 zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt erlassen (PKI 21.6.2011). Auch danach hat die kurdische Regionalregierung ihre Anstrengungen zum Schutz von Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NGOs betrieben (AA 12.1.2019). Nach anderen Angaben gibt es in der KRI ein privat betriebenes und vier staatliche Frauenhäuser. Letztere werden vom Arbeits- und Sozialministerium betrieben (USDOS 11.3.2020). Um dort aufgenommen zu werden, benötigen Frauen einen Gerichtsbeschluss (Lattimer EASO 26.4.2017). Es gibt jedenfalls nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, die Serviceleistungen sind schlecht (USDOS 11.3.2020).
Vereinzelt werden Frauen „zum eigenen Schutz“ inhaftiert. Einige Frauen werden mangels Notunterkünften obdachlos (USDOS 11.3.2020). Frauen, die in Frauenhäusern oder Notunterkünften untergebracht sind, verfügen nur über wenige Alternativen, abgesehen von einer Eheschließung oder der Rückkehr zu ihren Familien, was oft zu weiterer Bestrafung oder Diskriminierung durch die Familie oder die Gemeinschaft führt (USDOS 11.3.2020; vergleiche Lattimer EASO 26.4.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNFPA - United Nations Population Fund (20.2.2019): The First Lady of Iraq and the UN SRSG visit the UNFPA-Supported Women Shelter in Baghdad, https://iraq.unfpa.org/en/news/first-lady-iraq-and-un-srsg-visit-unfpa-supported-women-shelter-baghdad; Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
16.1.3. Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-ehe (Fasliya)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Zwangs- und Kinderehen sind weit verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit Vertreibung und Armut (FH 4.3.2020; vergleiche AA 12.1.2019). Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen. Rund 20% der Frauen werden als Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 bis14 Jahren (AA 12.1.2019). Ein Gesetzesentwurf der u.a. die Möglichkeit der Verheiratung von Mädchen im Alter ab acht Jahren beinhaltet hätte, wurde im Dezember 2017 vom Parlament abgelehnt (HRW 17.12.2017).
Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.3.2020). Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte „Ehen auf Zeit“ (zawaj al-mut‘a) finden im ganzen Land statt (USDOS 11.3.2020). „Ehe auf Zeit“ ist eine im zwölferschiitischen Islam erlaubte Möglichkeit auf religiös gebilligten Geschlechtsverkehr. Im sunnitischen Islam sind diese Ehen nicht erlaubt, auch wenn manche sunnitische Geistliche eine ähnliche Form der Ehe auf Zeit, misyar, gestatten (BBC 4.10.2019). Zwangsehen und „Ehen auf Zeit“ werden benutzt, um Frauen und Mädchen innerhalb des Irak sowie in Ländern wie Syrien, Jordanien und Kuwait zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu verkaufen (OHCHR 11.11.2019).
Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der kurdischen Regionalregierung (KRG) tragen Flüchtlinge und IDPs in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei (USDOS 11.3.2020). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass Mädchen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen, oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Mädchen (AA 12.1.2019).
Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen bzw. Mädchen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (USDOS 11.3.2020; vergleiche Musawah 11.2019). Dies geschieht ohne die Zustimmung der betreffenden Frauen (Musawah 11.2019). Obwohl die „Blutgeld-Ehe“ seit den 1950er Jahren mit dem irakischen Personenstandsgesetz von 1959 gesetzlich verboten ist, erlebt diese Praxis vor allem im Südirak, wo sich Bürger zur Konfliktbewältigung wieder vermehrt an Stämme wenden, einen Aufschwung. Die Praxis existiert auch in anderen Teilen des Landes (z.B. im Zentralirak) (Al-Monitor 18.6.2015) und wird auf kurdisch als badal khueen oder jin be xwên bezeichnet (FO 29.12.2015). Frauen, die im Zuge solcher Arrangements „als Kompensation“ bzw. „als Ersatz“ für den Toten bzw. für das vergossene Blut verheiratet werden, können sich nicht scheiden lassen und sind häufig Missbrauch ausgesetzt (Raseef22 17.8.2016; vergleiche France 24 18.4.2019; Al-Monitor 18.6.2015). Sogar Kinder, die in einer solchen Ehe geboren werden, werden als „Kinder der Fasliya" gebrandmarkt (France 24 18.4.2019).
Im Jahr 2011 hat das kurdische Regionalparlament mit Gesetzt Nr. 8 ein Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt erlassen, das auch die Zwangsehe, die Kinderehe und die Blutgeld-Ehe unter Strafe stellt (PKI 21.6.2011).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al-Monitor (18.6.2015): Blood money marriage makes comeback in Iraq, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/06/iraq-tribes-women-blood-money-marriage-dispute-settlement.html, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (4.10.2019): The teenager married too many times to count, https://www.bbc.co.uk/news/extra/iuKTEGjKgS/teenage_iraq_brides, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FO - Fair Observer (29.12.2015): Woman-for-Blood Marriages Persist in Iraq, https://www.fairobserver.com/region/middle_east_north_africa/woman-for-blood-marriages-persist-in-iraq-21101/, Zugriff 13.3.2020
- France 24 (18.4.2019): In Iraq, tribal traditions rob women, girls of rights, https://www.france24.com/en/20190418-iraq-tribal-traditions-rob-women-girls-rights, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls, https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-year-old-girls, Zugriff 13.3.2020
- Musawah, publiziert durch CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (11.2019): Thematic Report on Article 16, Muslim Family Law and Muslim Women's Rights in Iraq; 74th CEDAW Session, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37333_E.docx, Zugriff 13.3.2020
- OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.11.2019): UN women’s rights experts issue findings on Andorra, Bosnia and Herzegovina, Cambodia, Iraq, Kazakhstan, Lithuania, and Seychelles, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25277&LangID=E, Zugriff 13.3.2020
- PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Raseef22 (17.8.2016): In Iraq, Women are Offered as Tributes to Settle Tribal Vendettas, https://raseef22.com/en/life/2016/08/17/fasliya-marriage-iraq-girls-peace/, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
16.1.4. Ehrenverbrechen an Frauen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Familien- und die individuelle Ehre wird ausschließlich von Männern gehalten und kann verloren oder wiedergewonnen werden. Frauen dagegen können nur eine Quelle der Familien- oder individuellen „Schande“ sein und können nicht aktiv Ehre in ihre Familie oder ihren Stamm bringen (TCF 7.11.2019).
Sogenannte Ehrenverbrechen sind Gewalttaten, die von Familienmitgliedern gegen Verwandte ausgeübt werden, weil diese „Schande“ über die Familie oder den Stamm gebracht haben. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. „Entehrung“. Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können. Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen (MRG 11.2015).
Ehrenverbrechen finden in allen Gegenden des Irak statt und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen. Sie werden gleichermaßen von Arabern und Kurden ausgeübt, von Sunniten und Schiiten, wie auch von einigen ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist schwer, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen und Ehrenmorden im Irak zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt werden bzw. oft als Selbstmord oder Unfall angeführt werden (MRG 11.2015). Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 11.3.2020).
Das Strafgesetzbuch sieht für Gewalttaten aus „ehrenhaften Motiven“, inklusive Ehrenmorde, milde, reduzierte Strafen vor (FH 4.3.2020; vergleiche HRW 14.1.2020). In der Regel werden Ehrenverbrechen nicht angezeigt und auch nicht strafrechtlich verfolgt. Von der Polizei und den zuständigen Behörden werden die Fälle in der Regel als Familiensache erachtet, die dem Ermessen männlicher Familienmitglieder obliegt (MRG 11.2015). In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht zudem den Grund der „Ehre“ als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis (USDOS 11.3.2020). Strafen für Ehrenverbrechen sind selten (FH 4.3.2020). Täter werden oft freigesprochen oder zu sehr milden Strafen verurteilt, selbst wenn eindeutige, belastende Beweise vorliegen (MRG 11.2015).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 13.3.2020
- TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
16.1.5. Genitalverstümmelunge (FGM – Female Genital Mutilation)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Thema der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen im Irak war lange Zeit ein Tabu, über das kaum gesprochen wurde. Erst als durch Studien die alarmierend hohe FGM-Rate im kurdischen Norden aufgezeigt wurde, hat sich dies geändert (MRG 11.2015). Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Kurdischen Region im Irak (KRI) die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 12.1.2019; vergleiche PKI 21.6.2011). Die UNO arbeitet mit Regierungsinstitutionen und lokalen NGOs zusammen, um FGM durch Sensibilisierungskampagnen zu verhindern (UNICEF 6.2.2019). NGOs berichten jedoch, dass die Praxis weiter betrieben wird, vor allem in ländlichen Gebieten. Allerdings geht die FGM-Rate kontinuierlich zurück (USDOS 11.3.2020; vergleiche UNICEF 6.12.2018). Etwa 7,4% der irakischen Frauen im Alter von 15-49 Jahren sind einer FGM unterzogen worden, In der KRI sind es 37,5%, im Zentral- und Südirak hingegen nur 0,4%. Bei Mädchen im Alter von 0 bis14 Jahren ist der Prozentsatz mittlerweile auf 1% gesunken, bzw. auf 3% in der KRI (UNICEF 6.12.2018).
Außerhalb der KRI gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von FGM (AA 12.1.2019). Dabei gibt es laut einer Studie in Kirkuk auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung, wenn auch in geringerem Ausmaß (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 13.3.2020
- PKI - The Parliament of Kurdistan – Iraq (21.6.2011): Act No. 8 from 2011, The Act of Combating Domestic Violence in Kurdistan Region-Iraq, http://www.ekrg.org/files/pdf/combat_domestic_violence_english.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.12.2018): 2018 Muliple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.2.2019): Protecting Girls in Iraq from Female Genital Mutilation, https://www.unicef.org/iraq/press-releases/protecting-girls-iraq-female-genital-mutilation, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
16.1.6. Weibliche Fammilienoberhäupter, Witwen, Geschiedene, alleinstehende Frauen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die hohe Anzahl an Todesopfern in den Konfliktjahren, die meisten davon männlich, hat zu einem hohen Anteil an Haushalten mit weiblichen Familienoberhäuptern geführt (IOM 4.2019). Einer Studie zufolge haben etwa 8,9% der Haushalte einen weiblichen Haushaltsvorstand (UNICEF 6.12.2018). Gemäß einer anderen Quelle sind allein 10% der irakischen Frauen Witwen und viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien (AA 12.1.2019).
Weiblich geführte Haushalte haben nicht unbedingt Zugang zu Finanzanlagen, Sozialleistungen oder dem öffentlichen Verteilungssystem (PDS). Viele sind auf Unterstützung durch ihre Familien, Behörden und NGOs angewiesen. Während theoretisch die meisten Frauen im Irak theoretisch Anspruch auf öffentliche oder NGO-Hilfe haben, erhalten in der Praxis nur 20-25% von ihnen diese Hilfe. Darüber hinaus deckt die Hilfe nur einen Teil des jeweiligen Haushaltsbedarfs ab (FIS 22.5.2018). Haushalte mit weiblichen Familienoberhäuptern sind besonders anfällig für Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNHCR 11.2018). Aufgrund vieler Hindernisse beim Zugang zu Beschäftigung müssen Frauen auf andere Mittel zurückgreifen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, wie Geld leihen, Essen rationieren und ihre Kinder zur Arbeit schicken (FIS 22.5.2018; vergleiche UNHCR 11.2018).
Im Kontext einer Gesellschaft, in der die Erwerbstätigkeit von Frauen traditionell gering ist, sind solche Haushalte mit erhöhten bürokratischen Hindernissen und sozialer Stigmatisierung, insbesondere auch im Rückkehrprozess konfrontiert (IOM 4.2019).
Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.1.2019). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 11.3.2020).
Männer können sich einseitig von ihren Ehefrauen scheiden lassen, während Frauen nur aus bestimmten Gründen Scheidungsverfahren einleiten können, wie z.B. die Inhaftierung des Mannes für mehr als drei Jahre, Impotenz oder Unfruchtbarkeit des Mannes (OECD 12.2018; vergleiche HRW 25.2.2018), die Abwesenheit des Mannes für mehr als zwei Jahre, oder wenn der Ehemann für vier oder mehr Jahre als vermisst gilt (HRW 25.2.2018). Darüber hinaus haben sowohl Männer als auch Frauen das Recht, aus Gründen wie Untreue, Glücksspiel im Ehehaus oder Gewalt in einer Weise, die das Eheleben unmöglich macht, die Trennung zu verlangen. Frauen können zusätzlich eine „Khula“-Scheidung beantragen, bei der sie ihre Brautgabe zurückgeben und jede zukünftige finanzielle Unterstützung verlieren (OECD 12.2018). 2018 wurde ein Anstieg von Scheidungsanträgen, insbesondere durch Frauen verzeichnet. Obwohl nicht verfolgt wurde, ob es sich dabei um IS-bezogene Scheidungen handelte, wurde insbesondere in sunnitischen Regionen unter vormaliger IS-Herrschaft, wie Anbar und Ninewa, ein Anstieg verzeichnet (NBC 5.7.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 12.1.2019). Nach anderen Angaben bleibt eine Scheidung im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vergleiche FIS 22.5.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (28.8.2019): Iraq: School Doors Barred to Many Children, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015675.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (25.2.2018): Iraq: Families of Alleged ISIS Members Denied IDs, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425202.html, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (4.2019): reasons to remain: an in-depth analysis of the main districts of displacement, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/IDP_Districts_of_Displacement_Factsheets.pdf, Zugriff 13.3.2020
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 13.3.2020
- NBC News (5.7.2018): Divorce on the rise in Iraq as wives cut ties to ISIS militants, https://www.nbcnews.com/news/world/divorce-rise-iraq-wives-cut-ties-isis-militants-n888541, Zugriff 13.3.2020
- OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development (12.2018): SIGI - Social Institutions & Gender Index 2019 - Iraq, https://www.genderindex.org/wp-content/uploads/files/datasheets/2019/IQ.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2018): Humanitarian Needs Overview 2019, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/67416; Zugriff 13.3.2020
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.12.2018): 2018 Muliple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
16.1.7. Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil
Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 4.3.2020). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.1.2019). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 21.6.2019).
Auch Frauen, die in politischen und sozialen Bereichen tätig sind, darunter Frauenrechtsaktivistinnen, Wahlkandidatinnen, Geschäftsfrauen, Journalistinnen sowie Models und Teilnehmerinnen an Schönheitswettbewerben, sind Einschüchterungen, Belästigungen und Drohungen ausgesetzt. Dadurch sind sie oft gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen oder aus dem Land zu fliehen (UNHCR 5.2019). Im Jahr 2018 gab es einige Morden an Frauen, die in der Öffentlichkeit standen und als gegen soziale Gebräuche und traditionelle Geschlechterrollen verstoßend wahrgenommen wurden, darunter Bürgerechtlerinnen und Personen, die mit der Beauty- und Modebranche in Verbindung standen (FH 4.3.2020; vergleiche UNHCR 5.2019).
Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe ist, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine „frühe Ehe" für sie vor (GIZ 1.2020b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
16.2. Kinder
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.1.2019). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 11.3.2020). Im Dezember 2019 waren noch mehr als 1,4 Millionen Menschen, darunter 658.000 Kinder, IDPs, vor allem im Norden und Westen des Landes (UNICEF 31.12.2019).
Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.1.2019). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 14.1.2020).
Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 45.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 11.3.2020). [siehe Abschnitt 16.7]
Nach dem Gesetz ist der Vater der Vormund der Kinder, auch wenn eine geschiedene Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder bis zum Alter von zehn Jahren erhalten kann. Dies kann per Gerichtsentscheid auch bis zum Alter von 15 Jahren verlängert werden, zu welchem Zeitpunkt das Kind wählen kann, mit welchem Elternteil es leben möchte (USDOS 11.3.2020). Das irakische Familienrecht unterscheidet zwischen zwei Arten der Vormundschaft (wilaya und wasiya), sowie der Pflege bzw. Sorge (hanada). Dem Vater kommt immer die Vormundschaft (wilaya) zu. Wenn dieser nicht mehr lebt, dem Großvater bzw. nach Entscheidung eines Shari‘a-Gerichts einem anderen männlichen Verwandten. Nur ein Mann kann demnach wali sein. Die Fürsorgeberechtigung (hanada), d.h. die Verantwortung für die Erziehung, Sicherheit und Betreuung eines Kindes, kommt im Falle einer Scheidung der Mutter zu. D.h. die Kinder leben bei der Mutter, im Falle von Knaben bis zum 13. Lebensjahr und im Falle von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr (Migrationsverket 15.8.2018).
Einem Bericht aus 2018 zufolge sind fast alle irakischen Kinder (92%) in der Grundschule eingeschrieben, aber nur etwas mehr als die Hälfte der Kinder aus ärmeren Verhältnissen absolvieren die Grundschule (UNICEF 19.11.2018). Dabei ist die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 11.3.2020). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern allerdings mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7%), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 12.1.2019). Mindestens 70% der Kinder von IDPs haben mindestens ein Jahr Schulunterricht verpasst (USDOS 11.3.2020). Mehr als 3,3 Millionen Kinder im Irak benötigen Unterstützung im Bildungsbereich (UNICEF 31.12.2019).
Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vergleiche UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).
Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 20.6.2019). Auch Kinderprostitution ist ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der KRI elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 11.3.2020).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, kam im ganzen Land vor (USDOS 11.3.2020).
Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern
Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden. Der Regierung mangelt es jedoch an Kontrolle über einige PMF-Einheiten, sie kann die Rekrutierung von Kindern durch diese Gruppen nicht verhindern, darunter die Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH), Harakat Hezbollah al-Nujaba (HHN) und die Kata’ib Hizbollah (KH) (USDOS 11.3.2020). Es gibt auch keine diesbezüglichen Untersuchungen (USDOS 20.6.2019). Die Vereinten Nationen untersuchen die Rekrutierung und Verwendung von 39 Kindern durch die Konfliktparteien, darunter fünf Buben im Alter von zwölf bis 15 Jahren, die von der irakischen Bundespolizei im Gouvernement Ninewa zur Verstärkung eines Kontrollpostens eingesetzt wurden (UN General Assembly 30.7.2019). Berichten zufolge rekrutieren sowohl die Volksverteidigungskräfte (HPG), der militärische Arm der Kurdische Arbeiterpartei (PKK), und die jesidische Miliz Shingal Protection Unit (YBS) nach wie vor Kinder und setzen diese als Soldaten ein. Genaue Zahlen sind zwar nicht verfügbar, aber sie werde auf einige Hundert geschätzt (USDOS 11.3.2020). Seit der territorialen Niederlage des IS im Jahr 2017 gibt es keine neuen Informationen über den Einsatz von Kindern durch den IS (USDOS 11.3.2020). Zuvor hatte der IS ab 2014 tausende Kinder rekrutiert. Diese wurden als Frontkämpfer, Selbstmordattentäter, zur Herstellung und Anbringung von Sprengsätzen, zur Durchführung von Patrouillen, als Wächter und Spione und für eine Vielzahl von Unterstützungsaufgaben eingesetzt (HRW 6.3.2019). Die Zentralregierung sowie die Regierung der Kurdischen Region im Irak verfolgen solche Kinder gemäß ihren Terrorismusbekämpfungsgesetzen. Etwa 1.500 irakische Kinder werden wegen des Vorwurfs einer IS-Angehörigkeit in Gefängnissen festgehalten und gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen (The New Arab 8.3.2019; vergleiche HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über Verurteilungen von Kindern als Terroristen (HRW 6.3.2019).
[Anm.: Informationen zu Kinderehen können dem Kapitel 16.1.3 Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya) entnommen werden, Informationen zu Kindern, die unter dem IS geboren sind finden sich in Kapitel 16.7 (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und „IS-Familien“ (Dawa‘esh).]
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): “Everyone Must Confess” Abuses against Children Suspected of ISIS Affiliation in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458729/4792_1552027742_iraq0319-web-1.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Migrationsverket (Schweden) (15.8.2018): Irak - familjerätt och vårdnad, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442095/4792_1535708243_180815601.pdf, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (8.3.2019): The Iraq Report: Thousands of children tortured by Iraqi authorities, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/3/8/the-iraq-report-thousands-of-children-tortured-by-authorities, Zugriff 13.3.2020
- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.12.2019): Iraq 2019 Humanitarian Situation Report, https://www.unicef.org/appeals/files/Iraq_Humanitarian_Situation_Report_End_of_Year_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (19.11.2018): Deep inequality continues to shape the lives of children in Iraq, https://www.unicef.org/press-releases/deep-inequality-continues-shape-lives-children-iraq, Zugriff 13.3.2020
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq-analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national, Zugriff 13.3.2020
- UN News – United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace – UNICEF, https://news.un.org/en/story/2018/01/1000811, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (20.6.2019): 2019 Trafficking in Persons Report: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010829.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
16.5. Berufsgruppen & Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Übergriffe auf Regierungsziele durch den Islamischen Staat (IS) sind trotz eines generellen Rückgangs an Vorfallzahlen gestiegen (CSIS 30.11.2018). Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte sowie Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten (AA 12.1.2019).
Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vergleiche USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CSIS - Center for Strategic & Internbational Studies (30.11.2018): The Islamic State and the Persistent Threat of Extremism in Iraq, https://www.csis.org/analysis/islamic-state-and-persistent-threat-extremism-iraq, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
17 Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 11.3.2020).
Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vergleiche Zeidel/al-Hashimis 6.2019).
Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 11.3.2020).
Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.2019). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 4.3.2020).
Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 11.3.2020). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen – auch kurzfristig – gerechnet werden (AA 12.1.2019).
Einreise und Einwanderung in die Kurdische Region im Irak (KRI)
Die Kurdischen Region im Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 11.3.2020). Während die Einreise in die Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah ohne Bürgen möglich ist, wird für die Einreise nach Dohuk ein Bürge benötigt. Insbesondere Araber aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten, sowie Turkmenen aus Tal Afar im Gouvernement Ninewa benötigen einen Bürgen aus Dohuk, es sei denn, sie erhalten eine vorübergehende Reisegenehmigung vom Checkpoint in der Nähe des Dorfes Hatara. Diese Genehmigung wird für kurzfristige Besuche aus medizinischen oder ähnlichen Gründen erteilt (UNHCR 11.2019).
Inner-irakische Migration aus dem Zentralirak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert (AA 12.1.2019). Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden (AA 12.1.2019; vergleiche UNHRC 11.2019). Eine Sicherheitsfreigabe ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig (UNHCR 11.2019). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, dass sie einen in der Region ansässigen Bürgen vorweisen können (USDOS 11.3.2020). Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen (UNHCR 11.2019). In Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltskarte („Informationskarte“) zu erhalten (UNHCR 11.2019). Die Aufenthaltsgenehmigung ist in der Regel einjährig erneuerbar (UNHCR 11.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung (UNHCR 11.2019). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.1.2019). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 11.3.2020).
Die KRI-Behörden wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 11.3.2020).
Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung
Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. Für den Zugang zu den Gouvernements Maysan und Muthanna wird hingegen ein Bürge benötigt, der die Person an einem Grenz-Checkpoint in Empfang nimmt, oder mit ihr bei der zuständigen Sicherheitsbehörde für eine Freigabe vorstellig wird. Ohne Bürge wird der Zugang wahrscheinlich verweigert, auch wenn die Sicherheitsbehörden über einen Ermessensspielraum für Ausnahmen verfügen (UNHCR 11.2019).
Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar Anmerkung, etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Migrations Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020
- NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, römisch eins Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2019): Iraq: Country of Origin Information on Access and Residency Requirements in Iraq (Update römisch eins), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019573/5dc04ef74.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- Zeidel, Ronan, al-Hashimis Hisham in Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/26681907, Zugriff 13.3.2020
18 IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15% der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Anfang 2019 waren noch etwa 1,8 Millionen Menschen intern Vertrieben (IDPs) (FIS 17.6.2019; vergleiche HRW 14.6.2019). Anfang 2020 betrug die Zahl der IDPs noch 1,4 Millionen (IOM 28.2.2020; vergleiche UNICEF 31.12.2019; UNOCHA 27.1.2020). Die Zahl der IDPs sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (IOM 28.2.2020); die Zahl der Rückkehrer ist gestiegen (IOM 10.2019). Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen an IDPs im Irak von März 2014 bis Februar 2020. Das Diagramm mit den blauen Balken links unten veranschaulicht die Verteilung der IDPs auf die jeweiligen Gouvernements.
[Grafik gelöscht, Anm]
(IOM 29.2.2020)
[Grafik gelöscht, Anm]
Wie den folgenden Grafiken zu entnehmen ist, sind die Gouvernements mit den höchsten Zahlen an IDPs Ninewa, gefolgt von Anbar, Salah ad-Din, Kirkuk, Diyala, Bagdad, Erbil und Dohuk (IOM 31.12.2019).
[Grafik gelöscht, Anm]
(IOM 31.12.2019)
Etwa 450.000 bis 500.000 Personen leben in Lagern, die meisten davon seit ungefähr zwei bis drei Jahren (FIS 17.6.2019; vergleiche HRW 14.6.2019), während die übrigen in privaten oder informellen Unterkünften leben (HRW 14.6.2019).
Erzwungene Rückkehr und die Blockierung der Rückkehr dauerten im Jahr 2019 an (HRW 14.1.2020). Personen aus vormals vom IS kontrollierten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten werden in vielen Gebieten, wegen mutmaßlicher Nähe zum IS und aus ethno-konfessionellen Gründen, von lokalen Behörden oder anderen Akteuren, wie den Volksmobilisierungskräften (PMF) unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatregionen zurückzukehren (UNHCR 11.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020).
Behörden der Zentralregierung und der Gouvernements unternahmen manchmal Maßnahmen zur Schließung oder Konsolidierung von Flüchtlingslagern, um IDPs zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete zu zwingen. Aufgrund der verordneten Lagerschließungen ist die Zahl der formellen IDP-Lager zwischen August und September 2019 von 89 auf 77 gesunken. Häufig resultierte eine zwangsweise Rückkehr in neuerlicher Vertreibung (USDOS 11.3.2020). So gibt es Berichte über die Ausweisung von tausenden Flüchtlingen aus Lagern in Ninewa, die aus anderen Gouvernements stammten (HRW 4.9.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Ende August 2019 wurden schätzungsweise 1.600 IDPs (300 Haushalte) aus Flüchtlingslagern im Gouvernement Ninewa (Hamam Al Alil (HAA), As Salamiyah und Nimrud) nach Anbar, Kirkuk und Salah ad-Din verbracht. Dabei gab es einen Mangel an Informationsweitergabe an die betroffenen Personen und zwischen den jeweiligen Behörden. Trotz vorangegangener Sicherheitsüberprüfungen wurde einigen IDPs der Zugang zu Lagern in Anbar verwehrt (UN OCHA 15.9.2019).
Rückkehrer riskieren Landminen, Racheangriffe von Nachbarn oder die Zwangsrekrutierung in lokale bewaffnete Gruppen (HRW 14.6.2019). Anfang Juli 2019 begannen Sicherheitskräfte damit hunderte IDPs aus Lagern in Ninewa und Salah ad-Din zwangsweise in deren Heimatgouvernements zu verbringen, ungeachtet der Sicherheitsbedenken (HRW 14.1.2020). Vertreibungen ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Personen hat häufig neuerliche Vertreibung zur Folge (UNHCR 11.2019). In vielen Fällen führt erzwungene Rückkehr zu sekundärer oder tertiärer Vertreibungen (USDOS 11.3.2020).
Einige IDPs werden auch an der Rückkehr gehindert und effektiv in Lagern festgehalten (HRW 14.6.2019). Etwa eine Million Menschen aufgrund angeblicher Verbindungen zum IS an einer Rückkehr in ihre Heimat gehindert (FIS 17.6.2019). IDPs, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, müssen laut lokalen Organisationen über bestimmte Ausweispapiere verfügen, etwa einen irakischen Personalausweis, eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung und eine Aufenthaltsgenehmigung. Manchmal wird auch ein Reisepass angefordert (FIS 17.6.2019). Manche IDPs konnten verlorene Dokumente wieder einholen (IOM 13.11.2019).
Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, gewähren IDPs Schutz und andere Hilfe. Humanitäre Akteure unterstützen IDP-Lager und gewähren auch IDPs außerhalb der Lager Dienstleistungen, um die Belastung der Ressourcen der Gastgebergemeinden zu begrenzen (USDOS 11.3.2020). Der Großteil der humanitären Hilfe kommt Projekten in den Gouvernements Ninewa und Dohuk zugute, in denen sich auch die meisten IDPs befinden (UN OCHA 15.9.2019). Der Zugang zu humanitärer Hilfe hat sich allerdings verringert. Weniger als 10% der IDP-Haushalte berichten, dass sie Hilfe erhalten, meist in Form von Nahrungsmitteln und Wasser durch NGOs (IOM 13.11.2019). Von befragten IDP-Haushalten in Lagern im gesamten Irak wurde am häufigsten der Bedarf an Nahrungsmitteln (76% der Haushalte) angegeben, gefolgt von Beschäftigung (59 %) und medizinischer Versorgung (54%). Der Anteil der Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand in IDP-Lagern lag Mitte 2019 bei etwa 21%. Etwa 90% der befragten IDP-Haushalte gab an, dass sie bei Tageslicht ohne Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit das Lager verlassen und wieder betreten konnten (REACH 8.2019).
Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI), Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten. Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren. Nicht alle IDPs können in jedem Gouvernement auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen, insbesondere nicht in den befreiten Gebieten. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrem eingetragenen Gouvernement einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 11.3.2020).
Die lokalen Behörden entscheiden oft darüber, ob IDPs Zugang zu örtlichen Leistungen erhalten. Humanitäre Organisationen berichten, dass einige IDPs mangels erforderlicher Unterlagen Schwierigkeiten bei der Registrierung haben. Viele Bürger, die zuvor in den vom IS kontrollierten Gebieten gelebt haben, besitzen keine Personenstandsdokumente, was die Schwierigkeit, einen Ausweis und andere persönliche Dokumente zu erhalten, noch vergrößerte. Laut einem Bericht von Februar 2018 hat die lokale Polizei Ausweispapiere von Personen in Lagern beschlagnahmt, was ihre Bewegungsfreiheit, einschließlich ihrer Möglichkeit das Lager zu verlassen beeinträchtigte (HRW 4.2.2018; vergleiche USDOS 11.3.2020). Die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen unterstützen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei den Behörden, um den Zugang zu Dienstleistungen und Bezugsrechten zu verbessern (USDOS 11.3.2020).
Die schwierigsten Rückkehrbedingungen finden sich unter anderem in den Distrikten Al-Khalis, Al-Muqdadiya und Khanaqin im Gouvernement Diyala, in den Distrikten Daquq und Kirkuk im Gouvernement Kirkuk, in den Distrikten Al-Ba'aj, Hatra, Sinjar und Telafar im Gouvernement Ninewa und in den Distrikten Balad, Samarra und Tooz im Gouvernement Salah ad-Din. Ninewa (196.644) und Salah ad-Din (154.674) sind die Gouvernements mit der höchsten Anzahl von Rückkehrern, die unter schweren Bedingungen leben. Verbesserungen in der Versorgung mit Elektrizität und Wasser haben die Lebensbedingungen für Rückkehrer in einigen Bezirken, darunter auch Ost-Mossul in Ninewa und Khanaqin in Diyala etwas verbessert (IOM 10.2019).
Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen, sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 4.3.2020). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 11.3.2020).
Haushalte mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind stigmatisiert und werden mit einem erhöhten Risiko ihrer Grundrechte beraubt. Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Zivildokumente und die häufig vorenthaltenen Sicherheitsfreigaben schränken ihre Bewegungsfreiheit ein, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, wegen der Gefahr von Verhaftungen und eines Verbots ins Lager zurückzukehren (USDOS 11.3.2020).
Ausländische Flüchtlinge
Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 11.3.2020). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 249.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten, sowie knapp 50.000 Staatenlose. Ihren Status regelt das „Gesetz über politische Flüchtlinge“, Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 12.1.2019). Die Regierung arbeitet im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 11.3.2020).
Seit 2014 hat die KRI mehr als eine Million IDPs aus verschiedenen Teilen des Irak aufgenommen. Es bestehen etwa 39 Lager für IDPs und Flüchtlinge, in denen die Mehrzahl der vertriebenen religiösen Minderheiten leben (OHCHR 11.9.2019). Darunter befinden sich, je nach Quelle auch über 228.000, bis mehr als 240.000 syrische Flüchtlinge (USAID 30.9.2019; vergleiche OHCHR 11.9.2019). Es wird erwartet, dass die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Zuge des anhaltenden militärischen Konflikts in Nordost-Syrien weiter ansteigen wird (USAID 30.9.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Migrations Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020
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- IOM - International Organization for Migration (31.12.2019): Iraq Mission: Displacement Tracking Matrix (DTM): IDPs, http://iraqdtm.iom.int/DTMReturnDashboards.aspx, Zugriff 13.3.2020
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- UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humantitarian Affairs (27.1.2020): Iraq Humanitarian Response Plan 2020 (January 2020), https://reliefweb.int/report/iraq/iraq-humanitarian-response-plan-2020-january-2020, Zugriff 13.3.2020
- UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.9.2019): Iraq: Humanitarian Bulletin, August 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016706/humanitarian_bulletin_august_2019_en.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USAID - Unites States Agency for International Development (30.9.2019): Food Assistance Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/iraq/food-assistance, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
19 Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vergleiche USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).
Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).
Wirtschaftslage
Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).
Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).
Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).
Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).
Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD Anmerkung, ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD Anmerkung, ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).
Stromversorgung
Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.1.2019). Sie deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 17.9.2019). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.1.2019).
Wasserversorgung
Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes, vor allem in der Türkei und im Iran. Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark reduziert. Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt und dient somit als Lebensgrundlage für etwa 13 Millionen Menschen (GRI 24.11.2019).
Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Insbesondere Dammprojekte der irakischen Nachbarländer, wie in der Türkei, haben großen Einfluss auf die Wassermenge und Qualität von Euphrat und Tigris. Der damit einhergehende Rückgang der Wasserführung in den Flüssen hat ein Vordringen des stark salzhaltigen Wassers des Persischen Golfs ins Landesinnere zur Folge und beeinflusst sowohl die Landwirtschaft als auch die Viehhaltung. Das bringt in den besonders betroffenen südirakischen Gouvernements Ernährungsunsicherheit und sinkenden Einkommensquellen aus der Landwirtschaft mit sich (EPIC 18.7.2017).
Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.1.2019). Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten (HRW 22.7.2019; vergleiche HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).
Nahrungsmittelversorgung
Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 (USAID 30.9.2019; vergleiche FAO 31.1.2020). Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk (FAO 31.1.2020). 22,6% der Kinder sind unterernährt (AA 12.1.2019).
Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurden unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des Tigris (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020).
Trotzdem ist das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig (FAO 31.1.2020). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNFAO) schätzt, dass der Irak zwischen Juli 2018 und Juni 2019 etwa 5,2 Millionen Tonnen Mehl, Weizen und Reis importiert hat, um den Inlandsbedarf zu decken (USAID 30.9.2019).
Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vergleiche HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).
Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vergleiche USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).
[Anm.: Informationen zum Unterkünften können dem Kapitel 21 Rückkehr entnommen werden.]
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 13.3.2020
- EPIC - Enabling Peace in Iraq Center (18.7.2017): Drought in the land between two rives, https://www.epic-usa.org/iraq-water/, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (17.9.2019): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 18.2.2020
- FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (31.1.2020): Country Briefs, Iraq, http://www.fao.org/giews/countrybrief/country.jsp?code=IRQ, Zugriff 13.3.2020
- FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020c): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 13.3.2020
- GRI - Global Risk Insights (24.11.2019): Water Shortage and Unrest in Iraq, https://globalriskinsights.com/2019/11/water-shortage-and-unrest-in-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (22.7.2019): Irak: Wasserkrise in Basra, https://www.hrw.org/de/news/2019/07/22/irak-wasserkrise-basra, Zugriff 13.3.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020
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- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.10.2019): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 13.3.2020
20. Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD Anmerkung, ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).
Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 13.3.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (17.2.2020): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/humanitarian-bulletin-january-2020.pdf, Zugriff 13.3.2020
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 13.3.2020
21. Rückkehr
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).
Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vergleiche REACH 30.6.2017).
Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD Anmerkung, ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD Anmerkung, ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD Anmerkung, ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD Anmerkung, ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD Anmerkung, ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD Anmerkung, ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).
Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).
Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Ekurd Daily (8.1.2019): Property prices increasing in Iraqi Kurdistan after years of stagnation, https://ekurd.net/property-prices-kurdistan-2019-01-08, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 13.3.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf, Zugriff 13.3.2020
- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles, Drivers and Return, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNDP - United Nations Development Programme (28.4.2019): UN-Habitat and UNDP Upscale Support on Housing Rehabilitation and Secure Tenure for the Returnees in Sinjar, https://www.iq.undp.org/content/iraq/en/home/presscenter/pressreleases/2019/04/28/un-habitat-and-undp-upscale-support-on-housing-rehabilitation-an.html, Zugriff 13.3.2020
22. Staatsbürgerschaft und Dokumente
Letzte Änderung: 17.3.2020
Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vergleiche HRW 28.8.2019; USDOS 11.3.2020). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist per Staatsbürgerschaftsgesetz No.26/2006, Artikel 10 erlaubt (RoI MoFA 2020).
Nach dem Geburts- und Todesregistergesetz (1971) und dem Zivilstandsgesetz (1972), muss für den Erhalt einer Heiratsurkunde der Eheschluss von beiden Ehepartnern bezeugt werden, bzw. muss im Fall einer Wiederverheiratung die Sterbeurkunde des früheren Ehepartners vorgelegt werden. Es sind jeweils zwei Zeugen notwendig (HRW 25.2.2018).
Der irakische Personalausweis (arabisch: bitaqat hawwiyat al-ahwal al-shakhsiya) wird für alle behördlichen Angelegenheiten benötigt, wie beispielsweise Gesundheits- und Sozialdienste, Schulen, sowie für den Kauf und Verkauf einer Unterkunft und eines Autos. Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt. Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen. Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und die erforderlichen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. So werden etwa nach Angaben der irakischen Behörden in Teilen der Gouvernements Ninewa, Diyala, Salah ad-Din und Anbar immer noch alte Personalausweise und Staatsangehörigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Von den 356 Ausweisämtern des Landes stellen derzeit 266 die neuen elektronischen Ausweise aus. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).
Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.3.2020), noch einen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (FIS 22.5.2018; vergleiche USDOS 11.3.2020).
Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten, im Vergleich zu den Vorgängermodellen, als fälschungssicherer. Vor allem können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden (AA 12.1.2019; vergleiche FIS 17.6.2019), da Fingerabdrücke aller Finger, ein Foto und ein Iris-Scan angefertigt werden. Davon ausgenommen sind Kinder unter zwölf Jahren (FIS 17.6.2019). Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, diese Pässe auszustellen (AA 12.1.2019). Nur etwa 25-30 Millionen Iraker (etwa 60-75% der Bevölkerung) besitzen einen Reisepass (FIS 17.6.2019). Der Islamische Staat (IS) konfiszierte in Gebieten unter seiner Kontrolle regelmäßig offizielle Dokumente, die von staatlichen irakischen Stellen ausgestellt worden waren und stellte eigene Dokumente aus, wie z.B. Heirats- und Geburtsurkunden. Diese werden von den irakischen Behörden jedoch nicht anerkannt (HRW 28.8.2019; vergleiche NRC 4.2019).
Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (28.8.2019): Iraq: School Doors Barred to Many Children, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015675.html, Zugriff 13.3.2020
- Irakisches Innenministerium (2017): تعليمات الحصول على جواز سفر مقروء آليا, http://www.iraqinationality.gov.iq/InstructionstoapplyforElectronicallyReadPassport.html, Zugriff 13.3.2020
- Irakische Nationalversammlung (7.3.2006): Irakisches Nationalitätsgesetz, http://www.refworld.org/topic,50ffbce524d,50ffbce525c,4b1e364c2,0,,LEGISLATION,IRQ.html, Zugriff 13.3.2020
- Irakische Nationalversammlung (15.10.2005): Verfassung der Republik Irak, http://www.refworld.org/topic,50ffbce524d,50ffbce525c,454f50804,0,,LEGISLATION,IRQ.html, Zugriff 13.3.2020
- NRC - Norwegian Refugee Council (4.2019): Barriers from birth: Undocumented children in Iraq sentenced to a life on the margins, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/barriers-from-birth---report.pdf, 13.3.2020
- RoI MoFA - Republic of Iraq, Ministry of Foreign Affairs (2020): Passport Issuance, https://www.mofa.gov.iq/passport-issuance, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020“
Insgesamt konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers in den Irak gemäß Paragraph 46, FPG unzulässig wäre.
2. Beweiswürdigung:
Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Familienstand der Beschwerdeführer getroffen wurden, beruhen diese auf den in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.
Zur Identität der Sechstbeschwerdeführerin (Namen) ist jedoch festzuhalten, dass bereits im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesamt der originale Reisepass vorgelegt wurde, welcher auch laut Eintragung im Fremdenregister als authentisch (echt) beurteilt wurde. Aus diesem Reisepass ergibt sich der von der Sechstbeschwerdeführerin auch in der mündlichen Verhandlung angegebene, korrekte Name und wurde dieser im Übrigen bereits auch im Zentralen Melderegister korrigiert vergleiche dazu Verhandlungsprotokoll vom 21.06.2021, S 5; Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 16.07.2021). In Anbetracht dessen, dass die bisherige Identität auch lediglich als Verfahrensidentität der Sechsbeschwerdeführerin geführt wurde, diese nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedoch feststeht, war ihre Identität im Spruch des gegenständlichen Erkenntnisses entsprechend auf jene zu korrigieren, die im vorgelegten Reisepass aufgeführt wird und an welcher keine Zweifel aufgekommen sind.
Aktenkundig sind zudem Kopien originaler irakischer Dokumente der Beschwerdeführer (irakischer Reisepass und Staatsbürgerschaftsnachweis) und liegen bei den meisten Beschwerdeführern auch ihre originalen irakischen Personalausweise im jeweiligen Akt ein.
Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich aller Beschwerdeführer Einsicht in das Fremdenregister, das Zentrale Melderegister, die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten sowie das Strafregister und holte die aktenkundigen Auszüge ein.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ergeben sich einerseits aus den jeweils entsprechenden Angaben der Beschwerdeführer. Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers, des Dritt- bis Fünftbeschwerdeführers und der Sechstbeschwerdeführerin ergeben sich aktuell keine behandlungsbedürftigen Erkrankungen oder Einschränkungen in ihrer Arbeits- bzw. Schulfähigkeit und wurde dergleichen auch zu keiner Zeit vorgebracht. Es wurde zudem keinerlei substanziiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass der Erstbeschwerdeführer, der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführers und die Sechstbeschwerdeführerin hinsichtlich einer potenziellen Infektion mit dem COVID-19-Virus einer Risikogruppe angehören würden oder warum sonst mit Nachdruck davon auszugehen wäre, dass konkret sie im Falle einer Rückkehr mit einer Gesundheitsgefährdung zu rechnen hätten, zumal zum Entscheidungszeitpunkt keine Erkrankung vorgebracht wurde. Es kann nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführer durch eine Rückkehr in den Irak einem höheren Risiko ausgesetzt wären, an COVID-19 zu erkranken, als in Österreich.
Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin wurden in der mündlichen Verhandlung aktuelle ärztliche Befunde vorgelegt und entsprechende Feststellungen getroffen. Keine der Erkrankungen stellt eine akut lebensbedrohliche Erkrankung im Endstadium dar. Angesichts dessen, dass die Zweitbeschwerdeführerin aktuell ihren Angaben nach auch einen Deutschkurs besucht, ist nicht von einer völligen Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Jedoch leidet die Zweitbeschwerdeführerin an arterieller Hypertonie, einer chronischen Herzerkrankung, Diabetes mellitus Typ römisch II nicht näher bekannten Schweregrades, welche jedoch für sich genommen zur Zuordnung der Zweitbeschwerdeführerin zu einer COVID-19-Risikogruppe gemäß Paragraph 2, der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 203 aus 2020, führen.
Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren von den Beschwerdeführern diesbezüglich gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und zu keiner Zeit bestritten wurden.
Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien:
Die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates und ihrer Situation im Fall der Rückkehr beruhen auf den jeweiligen Angaben Beschwerdeführer im Rahmen ihrer Erstbefragungen, der niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt, den Ausführungen in der Beschwerde sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Im Zuge der Erstbefragung gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe den Irak verlassen, weil er ein Journalist im Bezirk römisch 40 (im Folgenden: A.H.) nahe Kirkuk gewesen sei. Als die islamischen Extremisten im Jahr 2014 ihre Stadt erobert hätten, sei der Erstbeschwerdeführer zur Hinrichtung verurteilt worden, weshalb er mit seiner Familie nach Bagdad geflüchtet und von dort zu seinem Bruder nach Oman und anschließend weiter Richtung Europa gereist sei. Im Fall einer Rückkehr fürchte er, dass die islamischen Extremisten ihn hinrichten würden. Staatlicherseits bestünden keine Hinweise auf Sanktionen im Fall der Rückkehr. Das seien alle Gründe und die Angaben seien vollständig.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der Erstbefragung an, sie hätten den Irak verlassen, weil der Erstbeschwerdeführer Journalist sei und zur Hinrichtung verurteilt worden sei. Die islamischen Extremisten hätten das gesamte Familienvermögen, Immobilien, landwirtschaftliche Grundstücke und Privatautos an sich genommen. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie sich vor den islamischen Extremisten. Staatlicherseits hätte sie im Fall der Rückkehr nichts zu befürchten. Das seien alle Gründe und die Angaben seien vollständig.
Im Rahmen der Erstbefragung des Drittbeschwerdeführers brachte dieser vor, er hätte den Irak verlassen, weil sein Vater Journalist gewesen sei und von islamischen Extremisten in A.H. zu einer Hinrichtung verurteilt worden sei. Aus Angst sei die Familie geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr fürchte er sich, dass sein Vater hingerichtet werde. Staatlicherseits hätte sie im Fall der Rückkehr nichts zu befürchten. Das seien alle Gründe und die Angaben seien vollständig.
Der Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführer gaben im Zuge der Erstbefragung zu den Fluchtgründen im Wesentlichen gleichlautend an, wegen ihres Vaters seien sie von islamischen Extremisten bedroht worden, um den Vater hinzurichten. Im Fall einer Rückkehr fürchten sie, dass sie von islamischen Extremisten geköpft werden würden. Staatlicherseits hätte sie im Fall der Rückkehr nichts zu befürchten. Das seien alle Gründe und die Angaben seien vollständig.
Der Erstbeschwerdeführer brachte vor dem Bundesamt im Wesentlichen zusammengefasst vor, die Angaben zu seinen Fluchtgründen in der Erstbefragung seien korrekt, er sei aber auch von einer Miliz bedroht worden, nachdem er mit der Familie von A.H. nach Bagdad in die Grüne Zone umgezogen sei. Er hätte als Journalist einen Ort namens römisch 40 (im Folgenden: J.A.S.) Anfang April 2015 nach IS-Befreiung gemeinsam mit einer Gruppe von etwa 15 bis 20 Journalisten fotografieren bzw. filmen sollen. Die Gruppe der Journalisten sei dazu angehalten worden, nur positive Dinge zu fotografieren oder filmen, etwa wie die Miliz, konkret die AAH, das Volk gut behandle, Menschen helfe und an Kinder Süßigkeiten verteile. Dann wäre verlangt worden, dass die Journalisten ihre Kameras ausschalten und in ihren Bus einsteigen, was vier oder fünf bewaffnete Personen kontrolliert hätten. Dann seien die Milizen auf die Bevölkerung losgegangen. Frauen und Kinder seien von den Männern getrennt worden. Geldtaschen und Handys hätten abgegeben werden müssen und seien die Menschen mit dem Gewehr geschlagen worden. Sunniten würden unter Generalverdacht stehen, dem IS anzugehören bzw. diesen zu unterstützen. Die Gruppe der Journalisten habe dann gemeint, sie würden ihre Videos und Fotos nicht an die Fernsehkanäle weiterleiten, da diese nicht der Wahrheit entsprechen würden. Einer der Journalisten hinter dem Erstbeschwerdeführer, der für einen Fernsehkanal arbeite, der dem Generalsekretär der schiitischen Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq (im Folgenden: AAH) gehört habe, hätte ihn daraufhin beschimpft und ein anderer Kollege hätte gemeint, es wäre besser, wenn er solche Dinge nicht sagen würde. Er habe das Video dann doch an die Fernsehsender weitergeleitet, aber mit dem Vermerk, dass diese nicht den wahren Begebenheiten entsprechen würden. Er selbst habe den Vorfall aber weder weitergemeldet noch als Journalist darüber berichtet. Nach der Rückkehr nach Bagdad habe er normal weitergelebt und gearbeitet, bis schließlich am 02.06.2015 zwischen 07:30 Uhr und 08:00 Uhr sieben bis neun Personen der AAH-Miliz in das Haus der Beschwerdeführer in Bagdad eingedrungen seien. Der Erstbeschwerdeführer sei damals nicht zuhause gewesen, da er auf der Hochzeit von Freunden in einem anderen Gouvernement (Salah ad-Din, Anmerkung gewesen sei und auswärts übernachtet habe. Die älteren Söhne, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer, wären mit einem Gewehr am Kopf geschlagen und verhaftet worden, weil der Erstbeschwerdeführer nicht da gewesen sei. Man hätte ihnen die Augen verbunden, sie in Autos gebracht und seien dann etwa eine Stunde gefahren. Man habe sie in ein Haus in getrennte Zimmer gebracht. Lösegeld sei keines gefordert worden und habe der Erstbeschwerdeführer auch nicht die Polizei oder sonstige Behörden informiert. Die Zweitbeschwerdeführerin habe den Erstbeschwerdeführer angerufen und berichtet, dass der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer von einer Miliz mitgenommen worden wären. Über die Nachbarn hätten sie später erfahren, dass es Fahrzeuge der AAH gewesen wären. Der Erstbeschwerdeführer habe dann einen Scheich des Stammes der Zweitbeschwerdeführerin kontaktiert und ihn um Hilfe gebeten. Die Zweitbeschwerdeführer sei am selben Tag von einem Freund des Erstbeschwerdeführers ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er selbst habe sich nicht mehr nach Hause getraut, jedoch sei es ihm persönlich gegenüber zu keinem Übergriff gekommen. Am 06.06.2015 seien der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer freigelassen worden. Sie hätten ihn an diesem Tag zu Mittag angerufen. Er habe sie in römisch 40 abgeholt und zu einem Freund des Erstbeschwerdeführers gebracht. Auch die Zweitbeschwerdeführerin habe das Krankenhaus verlassen und sei sofort zu diesem Freund des Erstbeschwerdeführers gegangen. Schon am 11.06.2015 habe er den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer in die Türkei geschickt. Der Erstbeschwerdeführer hätte mit der Zweitbeschwerdeführerin, dem Fünftbeschwerdeführer und der Sechstbeschwerdeführerin immer ihrer Aufenthaltsorte gewechselt, bis sie für die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin ebenfalls einen Reisepass erhalten hätten. Der Scheich habe ihn dann verständigt, dass seine Familie nicht mehr sicher sei und er ihm kein weiteres Mal helfen könnte. Der Erstbeschwerdeführer habe am 12.08.2015 das Land verlassen und sei zu seinem Bruder mit einem Visum in den Oman gereist, die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin seien am 19.08.2015 in die Türkei gereist. Als der IS in das Heimatdorf der Beschwerdeführer in A.H. eingedrungen sei, sei er sofort mit der Familie nach Bagdad geflüchtet. Danach seien das Haus und die Landwirtschaft der Familie vom IS beschlagnahmt und als IS Eigentum beschriftet worden. Er habe schon in A.H. vor dem Einmarsch des IS auch als Journalist gearbeitet. Etwa zehn Tage nach dem Einmarsch des IS seien sie ungehindert nach Bagdad gereist. Der IS habe erst danach herausbekommen, dass der Erstbeschwerdeführer Journalist sei und dann das Anwesen beschlagnahmt. Es seien auch Häuser von Offizieren der irakischen Armee vom IS markiert worden. Einen persönlichen Übergriff auf den Erstbeschwerdeführer seitens des IS habe es aber nicht gegeben. Er habe nur gefürchtet, auch getötet zu werden, da bereits einige Kollegen ermordet worden seien. Die Milizen wären im gesamten Irak gut vernetzt. Nach der Rückeroberung von A.H. vom IS sei sein Haus von der Miliz am 17.12.2017 bombardiert und zerstört sowie alle landwirtschaftlichen Geräte beschlagnahmt worden. Der Erstbeschwerdeführer sei weder im Irak noch in einem anderen Land vorbestraft oder habe Strafrechtsdelikte begangen, er werde im Irak weder von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht, sei auch nie angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe auch sonst keine Probleme mit Behörden. Er sei im Irak kein Mitglied einer politischen Partei oder Gruppierung gewesen und staatlicherseits auch nie wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Auf ihn persönlich hätten keinerlei Übergriffe stattgefunden und sei an ihn persönlich auch niemand herangetreten. Im Fall der Rückkehr habe er von staatlichen Behörden keinerlei Probleme zu befürchten, er fürchte sich vor den Milizen und den Truppen, die überall wären. Es würde jedoch keinen konkreten Hinweis geben, dass die Miliz nach wie vor nach dem Erstbeschwerdeführer suchen würde.
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt zusammengefasst vor, sie habe keine eigenen Fluchtgründe. Für sie und auch für die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin, deren gesetzliche Vertreterin sie sei, sowie den Fünftbeschwerdeführer würden die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers gelten. Die Familie sei geflüchtet, weil der Erstbeschwerdeführer von der Miliz bedroht worden sei. Er habe in Bagdad als Journalist gearbeitet. Sie wisse jedoch nicht genau, was er gemacht bzw. worüber er berichtet habe. Im Irak habe er ihr darüber nichts erzählt. Später habe er in der Türkei nur gesagt, er hätte in J.A.S. nach dessen Befreiung 2015 etwas fotografiert und, dass die Leute dann aber tatsächlich anders behandelt worden wären. Man hätte Männer von Frauen getrennt und die Männer geschlagen. Die Journalisten seien gezwungen worden, die Kameras auszuschalten. In Bagdad hätten sie in der Grünen Zone in einer Mietwohnung gewohnt. nach dem Vorfall in J.A.S. sei der Erstbeschwerdeführer immer nervös gewesen und habe zuhause viel geraucht. Es sei aber bis zum 02.06.2015 zu keinen Vorfällen gekommen. Zu diesem Zeitpunkt sei ein weiterer Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, römisch 40 , bereits in der Türkei gewesen. Dieser habe sich schon zwei Monate nach dem Umzug nach Bagdad für eine Ausreise entschieden, da er alleine habe leben wollen. Er befinde sich nunmehr in Schweden. Am 02.06.2015 um 07:00 Uhr früh sei sie in der Küche gewesen und habe das Frühstück vorbereitet. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer hätten in einem Zimmer geschlafen, der Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin in einem eigenen Zimmer. Der Erstbeschwerdeführer sei nicht zuhause gewesen, da er von Journalisten (später korrigiert auf Freunde) eingeladen worden sei. Mehr wisse sie dazu nicht, auch nicht, wo er eingeladen gewesen sei bzw. zu welchem Anlass. Es habe sehr laut an der Tür geklopft. Sie habe dem Viertbeschwerdeführer gesagt, er solle die Tür öffnen. Es seien zwischen acht und zehn Männer in Militäruniform, überwiegend mit langem Bart, gewesen. Sie hätten gesagt sie seien von der AAH. Sie seien in die Zimmer gegangen, einige seien auch bei der Zweitbeschwerdeführerin geblieben. Zwei hätten den Viertbeschwerdeführer auf den Kopf geschlagen, als dieser die Tür aufgemacht habe. Dem Drittbeschwerdeführer hätten sie auf die Nase geschlagen. Auch den Fünftbeschwerdeführer hätten sie geschlagen, obwohl er noch jung gewesen sei. Nur die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin hätten sie nicht geschlagen. Die Männer hätten die Zweitbeschwerdeführerin angeschrien und nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Sie habe geantwortet er sei eingeladen worden und nicht da. Dann hätten sie sie als Hure beschimpft und, dass sie wisse, wo der Erstbeschwerdeführer sei. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer seien mitgenommen worden. Die Zweitbeschwerdeführerin habe sofort den Erstbeschwerdeführer verständigt und hätten die Nachbarn dann erzählt, es wären Leute von der AAH gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zusammengebrochen und ins Krankenhaus gebracht worden. Der Erstbeschwerdeführer sei davon vom Krankenhaus verständigt worden und habe daraufhin einen Freund kontaktiert, dessen Ehefrau zur Zweitbeschwerdeführerin ins Krankenhaus gefahren sei. Sie sei vier Tage im Krankenhaus gewesen. Der Erstbeschwerdeführer habe den Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin zum Haus eines Freundes gebracht und den Anführer des Stammes der Zweitbeschwerdeführerin verständigt, um bei der Entlassung der Söhne zu helfen. Am 06.06.2015 seien der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer aus dem Gefängnis entlassen worden. Lösegeld sei keines gefordert worden. Ein Taxifahrer habe den Erstbeschwerdeführer angerufen, dass sie in römisch 40 freigelassen worden wären. Der Stammesführer habe ihnen geraten, den Irak zu verlassen, da er nicht für ihre Sicherheit garantieren könnte. Alle Beschwerdeführer wären dann im Haus des Freundes des Erstbeschwerdeführers in römisch 40 gewesen und hätten der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer den Irak am 11.06.2015 verlassen. Sie hätten nur erzählt, sie wären gefoltert und geschlagen worden. Nachdem für die Sechstbeschwerdeführerin die Reisedokumente ausgestellt worden wären, sei der Erstbeschwerdeführer in den Oman ausgereist. Die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin seien mit dem Bus in die Türkei gereist, da eine Flugreise wegen des Gesundheitszustandes der Zweitbeschwerdeführerin zu gefährlich gewesen sei. Der Erstbeschwerdeführer sei dann auch in die Türkei gereist, nachdem er im Oman kein längeres Visum erhalten habe. Gemeinsam seien sie anschließend nach Europa gereist. Die Zweitbeschwerdeführerin sei weder im Irak noch in einem anderen Land vorbestraft oder habe Strafrechtsdelikte begangen, sie werde im Irak weder von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht, sei auch nie angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe auch sonst keine Probleme mit Behörden. Sie sei im Irak kein Mitglied einer politischen Partei oder Gruppierung gewesen und staatlicherseits auch nie wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Sie habe den Irak nur wegen der Probleme des Erstbeschwerdeführers verlassen. Auf sie persönlich hätten keinerlei Übergriffe stattgefunden und sei an sie persönlich auch niemand herangetreten. Im Fall der Rückkehr habe sie von staatlichen Behörden keinerlei Probleme zu befürchten, sie mache sich nur Sorgen um den Erstbeschwerdeführer und ihre Kinder. Sie selbst hätte bei einer Rückkehr nichts zu befürchten. Eine Anzeige hätten sie nicht erstattet, die Milizen wären zudem überall.
In der Einvernahme vor dem Bundesamt brachte der Drittbeschwerdeführer auf Vorhalt seiner Angaben zum Fluchtgrund in der Erstbefragung vor, dass er dies genauso geschildert habe. Mit „Islamische Extremisten“ wäre der IS gemeint. Journalisten seien in A.H. gezielt vom IS verfolgt worden. Ein Freund seines Vaters sei vom IS getötet worden. Deswegen sei die Familie nach Bagdad geflohen. Der IS habe in A.H. alle Besitztümer der Familie beschlagnahmt. Sie hätten dann in Bagdad ein normales Leben geführt und in der Grünen Zone gewohnt. Der Erstbeschwerdeführer habe in dieser Zeit weiter als Journalist gearbeitet, dem Drittbeschwerdeführer und dem Viertbeschwerdeführer jedoch davon abgeraten, einer Beschäftigung nachzugehen, da es gefährlich wäre. In Bagdad habe sich das Leben des Vaters verändert, man habe gemerkt, dass ihn etwas beschäftige. Sie hätten vermutet, dass er Probleme gehabt habe. Am 02.06.2015 (den Wochentag wisse er nicht mehr), habe es um 07:00 Uhr in der Früh laut an der Wohnungstür geklopft und geläutet. Es seien Männer in ihm unbekannter Zahl in die Wohnung eingedrungen, vor der Zimmertür hätte einer der Männer eine Waffe auf ihn gerichtet und gefragt, wer er sei und wo sich der Erstbeschwerdeführer befinde. Dann habe man ihn auf die Nase geschlagen und er sei zu Boden gegangen. Er sei angewiesen worden, sich nicht zu bewegen. Die Männer hätten die ganze Familie beschimpft. Man habe ihm später erzählt, es wären neun oder zehn Männer gewesen. Er sei gefesselt und seine Augen verbunden worden. Man habe ihn in ein Auto gezerrt, dass dann losgefahren sei. Es seien andere Männer verständigt worden, die die Wohngegend überwachen sollten, falls der Erstbeschwerdeführer nach Hause komme. Er wisse aber nicht, ob sein Bruder im gleichen Fahrzeug gewesen sei, denn sie hätten sehr laute Musik gespielt und herumgeschrien. Sie seien solange gefahren, bis sie außerhalb der Stadt gewesen seien. Das wisse er, weil er kein Hupen mehr gehört habe. Er wurde immer wieder geschlagen und beschimpft. Zwei Männer hätten ihn ein Haus gezerrt. Er sei mehrere Tage verhört und nach seinem Vater ausgefragt worden. Man habe ihn ständig geschlagen, beschimpft, mit dem Umbringen bedroht und sonst in ein Zimmer eingesperrt, wo nur ein stinkender Stahlbehälter als Toilette vorhanden gewesen sei. Er habe entweder nichts oder nur halb verdorbenes Essen bekommen. Es seien auch noch andere Personen gekommen und mit ihm in das Zimmer gesperrt worden. Auch diese habe man immer wieder geholt und habe er sie schreien gehört. Dann sei er wieder mit verbundenen Augen und gefesselten Händen zu einem Auto gebracht worden. Bei römisch 40 habe man ihn am 06.06.2015 aus dem Auto gelassen und befreit. Er wisse nicht, was es für ein Wochentag gewesen sei und auch nicht welche Uhrzeit, jedenfalls irgendwann in der Früh. Da habe er gesehen, dass man auch seinen Bruder, den Viertbeschwerdeführer, befreit habe. Sie seien dann losgelaufen und hätten in einem Lebensmittelgeschäft dem Besitzer von der Entführung berichtet. Dieser habe dann den Erstbeschwerdeführer angerufen, der den Drittbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführer dann abgeholt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe sie aber nicht nach Hause, sondern zu einem seiner Freunde gebracht, wo auch die restliche Familie gewesen sei. Der Erstbeschwerdeführer und dieser Freund hätten dem Drittbeschwerdeführer dann vom Vorfall in J.A.S. erzählt und dass sie deswegen den Irak verlassen müssten. Dann seien der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer kurze Zeit später aus dem Irak legal auf dem Luftweg in die Türkei ausgereist. Der Drittbeschwerdeführer sei weder im Irak noch in einem anderen Land vorbestraft oder habe Strafrechtsdelikte begangen, er werde im Irak weder von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht, sei auch von staatlichen Behörden nie angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe auch sonst keine Probleme mit Behörden. Er sei im Irak kein Mitglied einer politischen Partei oder Gruppierung gewesen und staatlicherseits auch nie wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Auf ihn persönlich hätten, abgesehen von der vorgebrachten Entführung, keinerlei Übergriffe stattgefunden und sei an ihn persönlich auch niemand herangetreten. Im Fall der Rückkehr fürchte er von der Miliz wegen des Erstbeschwerdeführers getötet, inhaftiert oder gefoltert zu werden. Von staatlichen Behörden habe er keinerlei Probleme zu befürchten.
Vor dem Bundesamt brachte der Viertbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen zusammengefasst auf Vorhalt seiner Angaben zum Fluchtgrund in der Erstbefragung vor, dass er dies genauso geschildert habe. Mit „Islamische Extremisten“ wären sowohl der IS als auch die Milizen gemeint. Auch in Bagdad sei es zu einem Vorfall gekommen, den er nunmehr schildern wolle. Die Familie habe sich in ihrer Wohnung in Bagdad in der Grünen Zone aufgehalten. An den Wochentag könne er sich nicht erinnern, es sei aber der 02.06.2015 gewesen. Dann habe seine Mutter, die Zweitbeschwerdeführerin seinen Namen gerufen. Es sei sehr laut gewesen, es sei an die Wohnungstür geklopft und geklingelt worden. Er habe mit dem Drittbeschwerdeführer in einem Zimmer geschlafen und sei dann zur Wohnungstür gelaufen und habe geöffnet. Vor der Tür seien mindestens zehn Militärpersonen in Uniform mit langen Bärten gestanden. Einer habe den Viertbeschwerdeführer direkt gegen die Brust gestoßen und in die Wohnung gezogen. Sie hätten die Mutter nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Diese habe geweint und geschrien. Er sei nach seinem Namen gefragt worden und in den Bauch geschlagen worden, als er nur seinen Vornamen genannt habe. Man habe ihm mit dem Gewehr auf den Kopf geschlagen und dann seien die Personen in die Wohnung eingedrungen. Alle hätten geschrien. Die Mutter sei beschimpft worden. Dann hätte man dem Viertbeschwerdeführer die Augen verbunden, die Hände gefesselt, aus der Wohnung und in ein Auto gebracht. Er sei ständig beschimpft worden. Im Auto hätte jemand per Funk durchgegeben, dass der Vater nicht gefunden worden sei. Daraufhin sei per Funk die Anweisung gekommen, die Gegend zu beobachten. Die Fahrt habe etwa eine Stunde gedauert und sei laute Musik gespielt worden. Als er den Lärm der Stadt nicht mehr habe hören können, habe er gewusst, dass sie sich außerhalb der Stadt befinden müssen. Er sei in ein Haus gebracht und immer wieder am Körper geschlagen worden, sodass er sich in die Hose gemacht habe. Dann habe man ihn in ein Zimmer gesperrt. Er sei immer wieder befragt und dabei geschlagen und gefoltert worden. Man habe wissen wollen, wo sein Vater sei, was er gearbeitet habe und ob er Baathist oder „Saddami“ wäre. Er habe verneint oder gesagt, er wisse es nicht. Er habe im gesamten Haus Schüsse und Schreie gehört. Es seien auch andere Personen in sein Zimmer gebracht worden. Auch diese seien offensichtlich geschlagen und misshandelt worden. Man habe dem Viertbeschwerdeführer mit der Exekution gedroht. Schließlich habe man ihn am vierten Tag, dem 06.06.2015, irgendwann zwischen Früh und Mittag wieder mit verbundenen Augen und gefesselten Händen nach draußen in ein Auto gebracht. Man habe ihn dann aus dem Auto gelassen und befreit. Das Auto sein ein Landcruiser mit verdunkelten Scheiben gewesen. Der Drittbeschwerdeführer sei hinter dem Viertbeschwerdeführer im Auto gesessen, das habe er aber erst bemerkt, als man sie befreit habe. Sie wären dann beide losgelaufen und hätten den Besitzer eines kleinen Geschäftes gefragt, ob sie sein Telefon benützen könnten. Sie hätten dann den Erstbeschwerdeführer angerufen, der sie zwanzig bis dreißig Minuten später abgeholt habe und zum Haus eines seines Freundes in Bagdad - römisch 40 gebracht habe. Dann habe der Vater für sie Kleidung und Taschen gekauft um die Ausreise vorzubereiten. Bereits im Mai 2015 habe sich der Erstbeschwerdeführer Gedanken zur Ausreise der gesamten Familie aus dem Irak gemacht. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer hätten ohne Probleme auf legalem Wege den Irak auf den Luftweg in die Türkei verlassen können. In der Türkei seien sie dann vom damals bereits ausgereisten Bruder römisch 40 (im Folgenden: M.) abgeholt worden. Nachdem auch für die Sechstbeschwerdeführerin endlich die Reisedokumente ausgestellt worden seien, sei der Erstbeschwerdeführer in den Oman gereist. Dort habe er keinen Aufenthaltstitel bekommen, sodass er ebenfalls in die Türkei gereist sei, wohin auch die Mutter und die beiden anderen Geschwister gekommen seien. Dann wären sie gemeinsam nach Europa ausgereist. Der Viertbeschwerdeführer sei weder im Irak noch in einem anderen Land vorbestraft oder habe Strafrechtsdelikte begangen, er werde im Irak weder von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht, sei auch von staatlichen Behörden nie angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe auch sonst keine Probleme mit Behörden. Er sei im Irak kein Mitglied einer politischen Partei oder Gruppierung gewesen und staatlicherseits auch nie wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Auf ihn persönlich hätten, abgesehen von der vorgebrachten Entführung, keinerlei Übergriffe stattgefunden und sei an ihn persönlich auch niemand herangetreten. Im Fall der Rückkehr fürchte er, hingerichtet zu werden. Von staatlichen Behörden habe er keinerlei Probleme zu befürchten.
Der Fünftbeschwerdeführer gab schließlich vor dem Bundesamt zu seinen Fluchtgründen an, er habe keine eigenen Fluchtgründe. Für ihn sollen die Gründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin gelten. Auf neuerliches Nachfragen gab der Fünftbeschwerdeführer dann an, der Vater und seine beiden Brüder, der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer, wären vom IS und von der Miliz mit dem Tod bedroht worden. Der Vater habe ihm nichts Genaueres erklärt und nur gesagt, sie müssten das Land verlassen. Einmal sei in das Haus der Beschwerdeführer in Bagdad eingedrungen worden, gegen 07:00 Uhr in der Früh. Es seien acht bis elf Männer mit Militäruniformen und langen Bärten in das Haus eingedrungen. Sei seine bewaffnet gewesen und hätten die Brüder und den Fünftbeschwerdeführer geschlagen. Die Mutter sei als Hure beschimpft und nach dem Vater gefragt worden. Schließlich hätten sie den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer mitgenommen. Auf Befragen, ob diese Personen bewaffnet gewesen wären, gab der Fünftbeschwerdeführer nunmehr an, er wisse es nicht mehr. Seine Mutter sei ohnmächtig geworden, die Frau eines Freundes des Vaters sei dann zu ihr ins Krankenhaus gefahren. Genaueres könne er nicht angeben. Der Drittbeschwerdeführer habe bei der Verhaftung an der Nase geblutet, der Viertbeschwerdeführer an der rechten Schläfe. Er habe sie nie nach der Gefangenschaft gefragt, das sei ihm nicht so wichtig gewesen. Als sie zurückgekommen seien, hätten sie aber schlecht ausgeschaut, weil sie Hunger gehabt hätten. Die Brüder seien glaublich sechs Tage in Gefangenschaft gewesen, jedenfalls aber von 02.06.2015 bis 06.06.2015. Der Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin hätten die Zweitbeschwerdeführerin ins Krankenhaus begleitet. Die Frau des Freundes des Vaters habe sie beide dann mit zu sich nachhause genommen. Die Angaben in der Erstbefragung würden der Wahrheit entsprechen. Der Fünftbeschwerdeführer sei weder im Irak noch in einem anderen Land vorbestraft oder habe Strafrechtsdelikte begangen, er werde im Irak weder von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht, sei auch von staatlichen Behörden nie angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe auch sonst keine Probleme mit Behörden. Er sei im Irak kein Mitglied einer politischen Partei oder Gruppierung gewesen und staatlicherseits auch nie wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Auf ihn persönlich hätten keinerlei Übergriffe stattgefunden und sei an ihn persönlich auch niemand herangetreten. Im Fall der Rückkehr fürchte er, jedoch, dass die Probleme wieder zurückkommen. Er fürchte sich allgemein vor den religiösen Konflikten, Entführungen und Tötungen. Einen konkreten Hinweis darauf, dass der Fünftbeschwerdeführer konkret davon betroffen wäre, gebe es aber nicht.
In der Beschwerde wurde zum Sachverhalt zusammengefasst ausgeführt, der Erstbeschwerdeführer wäre in A.H. als Journalist tätig gewesen und hätte deswegen vom IS getötet werden sollen. Deswegen sei die gesamte Familie nach Bagdad geflohen, wo der Erstbeschwerdeführer weiterhin als Journalist tätig gewesen sei. Nach der Befreiung von J.A.S. hätte er mit anderen Journalisten von der Situation vor Ort berichten sollen. Es sei den Journalisten dort aber nur gestattet worden, beschönigte und inszenierte Szenen aufzuzeichnen. Dann seien die Journalisten abgedrängt, dem Erstbeschwerdeführer das Filmen verboten und anschließend Zeugen von Übergriffen der AAH auf Zivilisten geworden. Der Erstbeschwerdeführer habe sich zunächst geweigert, die beschönigten Filmaufnahmen weiterzuleiten und habe dies letztendlich nur mit der Anmerkung getan, dass die Aufzeichnungen nicht den Tatsachen entsprechen würden. Er habe auch das Vorgehen der Miliz den Journalisten gegenüber kritisiert. Daraufhin sei es zu telefonischen Bedrohungen und Beschimpfungen des Erstbeschwerdeführers gekommen und zwei seiner Söhne, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer von der Miliz zuhause überfallen, misshandelt und entführt worden. Sie seien einige Tage gefangen gehalten, verhört und schwer misshandelt worden. Die Freilassung habe nur mit Hilfe eines in der Nachbarschaft lebenden Scheichs bewirkt werden können, der allerdings künftig nicht mehr für die Sicherheit der Familie habe einstehen wollen. Das Bundesamt habe die Journalisten-Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers in A.H. zwar als glaubhaft beurteilt, jedoch angeführt, dass die Gegend seit 2017 vom IS befreit wäre, weshalb der Erstbeschwerdeführer dorthin zurückkehren könne. Das Bundesamt habe aber nicht ermittelt, inwieweit der IS in A.H. nach wie vor aktiv ist, da sich aus entsprechenden Länderinformationen sehr wohl Aktivitäten des IS in der Gegend ergeben würden. Auch habe sich das Bundesamt nicht mit der Situation von Journalisten im Irak auseinandergesetzt, welche dort durch den IS aber auch durch schiitische Milizen wie die AAH besonders gefährdet wären. Der Erstbeschwerdeführer habe in der Vergangenheit immer wieder kritisch über den IS berichtet, weshalb er vom IS nach wie vor Verfolgung zu fürchten habe. Auch sei der schiitischen Miliz, mit welcher der Erstbeschwerdeführer in Bagdad Probleme gehabt habe, bekannt, dass die Beschwerdeführer aus A.H. stammen. Auch dort seien die Milizen aktiv und hätten das Haus der Beschwerdeführer zerstört. Die Familie des Erstbeschwerdeführers habe deswegen ebenso Verfolgung zu befürchten. Weiters habe das Bundesamt sich nicht mit der Situation von Kindern im Irak auseinandergesetzt, obwohl die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin erst zehn Jahre alt sei, und seien die Beschwerdeführer zu ihren angeblich nach A.H. zurückgekehrten Angehörigen gar nicht befragt worden. Die physischen Verletzungen des Viertbeschwerdeführers würden ohne fachärztliche Meinung in Abrede gestellt werden. Der Umstand, dass die Beschwerdeführer allesamt die Bedrohungssituation in Bagdad in der Erstbefragung überhaupt nicht geschildert hätten, sei den hohen Antragszahlen zu diesem Zeitpunkt in Österreich und der akkordartig durchgeführten Erstbefragung geschuldet. Nach Paragraph 19, AsylG sei die nähere Befragung zu den Fluchtgründen in der Erstbefragung auch verboten. Aufgrund der massiven körperlichen Misshandlungen des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers sei es nachvollziehbar, dass sie diese nicht bereits in der Erstbefragung angegeben hätten. Weiters sei richtigzustellen, dass sich der Vorfall in J.A.S. im Oktober 2014 zugetragen habe und nicht im April 2015. Im April 2015 hätten die Probleme des Erstbeschwerdeführers begonnen, nachdem er den Journalisten, denen gegenüber er die Miliz kritisiert habe, wieder getroffen habe. Auch die Beweiswürdigung zur Entführung und Gefangenschaft des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers sei – in näher ausgeführten Punkten – nicht nachvollziehbar.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht brachte der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe im Irak eine zwölfjährige Ausbildung zum Journalisten bzw. Fotoreporter absolviert und danach als Korrespondent gearbeitet bzw. auch eine Kinder-TV-Sendung moderiert. Ursprünglich sei er für den Sender „ römisch 40 “ (phon.) tätig gewesen, später für eine Nachrichtenagentur namens „ römisch 40 “ (phon.). Als Journalist habe er grundsätzlich immer die Wahrheit transportieren wollen, das sei jedoch im Kriegszustand nicht erwünscht. Nahe Bagdad, in J.A.S., sei er mit weiteren Journalisten von der AAH eingeladen worden, eine Veranstaltung zu filmen. Dazu hätten sie zuerst zu Propagandazwecken Geschenke verteilt. Dann sei der Erstbeschwerdeführer aufgefordert worden, nicht mehr zu filmen. Dann hätten sie Frauen und Kinder von den Männern getrennt. Diese hätten alle ihre Brieftaschen und persönlichen Gegenstände abgeben müssen und wären die Männer mit Gewehren geschlagen worden. Die Journalisten seien aufgefordert worden, den Ort zu verlassen und seien mit Gewalt gezwungen worden, in die Autos einzusteigen. Der Erstbeschwerdeführer habe das kommentiert, indem er sinngemäß gesagt habe, wieso mit Gewalt vorgegangen werde. Ein anderer Mann habe dazu gesagt, dass das vorige Regime unter Saddam sunnitisch gewesen sei und die Sunniten die Macht behalten wollen würden. Danach habe er persönlich keine Probleme gehabt. Etwa acht Monate später im Juni 2015 sei er gesucht worden, weil er Journalist sei. Da man den Erstbeschwerdeführer nicht gefunden habe, habe man die beiden Söhne, nämlich den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer mitgenommen und misshandelt, um von ihnen zu erfahren, wo sich der Erstbeschwerdeführer aufhalte. Er habe den Stammesfürsten des Stammes der Zweitbeschwerdeführerin gebeten, sich für die Freilassung seiner Söhne einzusetzen. Dieser habe dann Verbindungen zu den Scheichs im Süden aufgenommen und seien die Söhne dann freigelassen worden. Der Scheich habe ihm aber dann ausrichten lassen, dass die Familie in Bagdad bzw. im Irak nicht mehr bleiben dürfe, da es keinen Schutz mehr für deren Leben geben würde. Im Dezember 2017 sei A.H. vom IS befreit worden, kurz darauf sei auch das Haus der Beschwerdeführer in A.H. gesprengt worden, weil er Journalist sei.
Konkret zur Entführung befragt, gab der Viertbeschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass am 02.06.2015 um ca. 07:00 Uhr in der Früh etwa zehn bewaffnete Personen in Militäruniform gekommen seien und sie [gemeint den Viertbeschwerdeführer und den Drittbeschwerdeführer, Anm.] erst geschlagen und dann an einen unbekannten Ort verschleppten, wo sie eingesperrt worden seien. Sie seien beschimpft, geschlagen und gefragt worden, wo sich ihr Vater [der Erstbeschwerdeführer, Anm.] aufhalte. All diese Männer hätten einen langen Bart gehabt. Die Fahrt zu dem unbekannten Ort hätte etwa eine Stunde auf einer Landstraße gedauert. Jeder von ihnen sei in ein Einzelzimmer gesteckt worden und habe der Viertbeschwerdeführer immer das Geschrei von seinem Bruder im anderen Zimmer gehört. Bagdad sei ihnen überwiegend unbekannt gewesen, sie hätten nur angeben können, dass der Vater arbeiten gegangen ist. Mit Gewalt habe man versucht herauszufinden, wo dieser gerade sei. Am nächsten Tag in der Morgendämmerung sei wieder jemand gekommen und habe gefragt, wo der Vater sei. Er habe kaum reden können, weil er nichts zu essen und zu trinken bekommen habe. Dann sei er weitergeschlagen worden. Zu Mittag habe er ein kleines Glas Wasser angeboten bekommen und eine Speise, die er nicht essen habe könne, weil sie nicht gut aussah. Ihm sei auch nicht nach Essen gewesen. Dann habe der Mann gesagt, wenn er das nächste Mal wieder zu uns komme und sie ihm nicht verraten würden, wo der Vater sei, würden sie sie vergewaltigen. Der Mann sei dann aber nicht mehr gekommen, sondern eine andere Person. Am dritten Tag sei wieder versucht worden, Informationen über den Vater zu erlangen. Man habe den Viertbeschwerdeführer weitergeschlagen und sei er dann ohnmächtig geworden. Als er am vierten Tag wieder zu sich gekommen sei, habe er sich mit Handschellen in „gebücktem Zustand“ bereits in einem Auto befunden. Ihm sei dann ein Handy angeboten worden um den Vater anzurufen. Ein Freund des Vaters habe sie bei sich empfangen und am 11.06.2015 seien der Viertbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer bereits in die Türkei ausgereist. Wer die beiden entführt habe, wisse er nicht, aber er sei sicher, dass es die Miliz wegen des Vaters gewesen sei. Sie würden im Fernsehen sehen, was im Irak alles passiere und gebe es keine Sicherheit mehr. Außerdem hätte er sich an das System in Österreich, an den Rechtsstaat, die Disziplin und Pünktlichkeit gewöhnt. Im Irak herrsche Chaos.
Der Drittbeschwerdeführer gab auf Befragen durch das Bundesverwaltungsgericht an, dass es stimme, was der Viertbeschwerdeführer angegeben habe. Er wolle noch hinzufügen, dass es der schlimmste Tag seines Lebens gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Entführung seien die Zweit- und Sechstbeschwerdeführerin sowie auch der Fünftbeschwerdeführer zuhause im Haus in Bagdad gewesen, wo sie nach der Flucht vor dem IS in A.H. gewohnt hätten. Im Fall der Rückkehr würden sie getötet werden, weil die Milizen Macht und Einfluss hätten. Er könne sich nicht mehr vorstellen, im Irak zu leben, da er schon viele Jahre in Österreich lebe. Die Milizen wären stärker als der Staat.
Der Fünftbeschwerdeführer brachte vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, es gebe im Irak einfach keine Zukunft mehr. Sie könnten nicht mehr zurückkehren. Würde er mit seinem sunnitischen Namen von den Milizen kontrolliert werden, würden diese ihn hassen. In Bagdad sei es nach wie vor gefährlich für Sunniten.
Zusammengefasst brachten die Beschwerdeführer daher vor, sie hätten etwa im August 2014 ihr Haus und ihre Landwirtschaft in A.H. im Gouvernement Kirkuk wegen des IS und des Umstandes, dass der Erstbeschwerdeführer nebenbei als Journalist tätig gewesen sei und dadurch besonders gefährdet gewesen wäre, verlassen und wären daraufhin nach Bagdad umgezogen (konkret in die Grüne Zone), wo der Erstbeschwerdeführer weiter als Journalist tätig gewesen wäre und im Oktober 2014 mit anderen Journalisten über die Befreiung von J.A.S. nahe Bagdad berichten hätte sollen, dort aber Zeuge von Übergriffen der schiitischen Miliz AAH auf die Zivilbevölkerung geworden sei, was er vor Ort kritisiert habe. Etwa acht Monate später, am 02.06.2015, seien dann der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer aus dem Haus bzw. der Wohnung der Beschwerdeführer in der Grünen Zone in Bagdad von Milizangehörigen der AAH entführt und vier Tage festgehalten und misshandelt worden, um den Aufenthaltsort des Erstbeschwerdeführers zu erfahren. Nur über die Intervention des Stammesführers des Stammes der Zweitbeschwerdeführerin seien der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer freigelassen worden. Nach Befreiung von A.H. vom IS im Dezember 2017 sei zudem das Haus und die Landwirtschaft der Beschwerdeführer in A.H. gesprengt worden bzw. landwirtschaftliche Geräte durch die AAH beschlagnahmt worden, weil der Erstbeschwerdeführer Journalist sei. Die Zweitbeschwerdeführerin, der Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin hätten keine eigenen Fluchtgründe.
Wie das Bundesamt schon in den angefochtenen Bescheiden, insbesondere in dem den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheid, festgehalten hat, erweist sich auch für das Bundesverwaltungsgericht als glaubhaft und nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer ihren Heimatort A.H. im Gouvernement Kirkuk, wo sie über ein großes Haus samt Landwirtschaft verfügten und wegen der Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers als Journalist, nach Einmarsch des IS spätestens im August 2014 verließen und nach Bagdad flüchteten. Die (mündigen) Beschwerdeführer erstatten diesbezüglich alle ein gleichlautendes Vorbringen in ihren Erstbefragungen und den nachfolgenden Einvernahmen vor dem Bundesamt. Auch die vorgelegten Fotos des Hauses und der Landwirtschaft der Beschwerdeführer in A.H. – wenngleich diese tatsächlich nicht verifizierbar sind – unterstreichen das diesbezügliche Vorbringen, welches sich im Übrigen auch mit den entsprechenden Länderberichten deckt. Auch ist allgemein bekannt, dass der IS Gebäude vertriebener Einwohner für sich vereinnahmte und landwirtschaftliche Flächen entweder zerstörte oder aber Vieh und Vorräte zur eigenen Versorgung an sich nahm. Daraus lässt sich jedoch keine individuelle Bedrohung oder Verfolgungsgefahr der Beschwerdeführer, auch nicht im Fall ihrer Rückkehr, ableiten. Nicht glaubhaft erweist sich hingegen das Vorbringen, der Erstbeschwerdeführer wäre konkret vom IS mit Ermordung bedroht worden, weil dieser schlussendlich vor dem Bundesamt selbst eingeräumt hat, an ihn persönlich wäre nie jemand herangetreten, er sei nach Bagdad geflüchtet, weil so viele andere Journalisten vom IS bedroht oder getötet worden seien und er sich davor gefürchtet habe. Weiters hätten sie trotz des Umstandes, dass der IS A.H. bereits erobert hatte, unbehelligt nach Bagdad reisen können.
Zum IS ergibt sich aus den Länderberichten zudem, dass dieser nach wie vor ein Netz von Zellen unterhält, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst. Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch. Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar. Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken. Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten. Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter, dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden, sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen. Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert. Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat. Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab. Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour. Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern.
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Da der Süden Kirkuks nicht vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, kommt es insbesondere in dieser Region regelmäßig zu Angriffen. Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements Kirkuk konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen. Im Dezember 2019 hat der IS einen falschen Kontrollpunkt entlang der Straße von Tikrit nach Kirkuk eingerichtet, an dem er sechs Zivilisten hinrichtete. Neun der 13 Vorfälle im Jänner 2020 ereigneten sich im Süden, wo der IS im Gouvernement seine Basis hat. Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Kirkuk 39 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 41 Toten und 60 Verletzten verzeichnet, im Februar 2020 waren es acht Vorfälle mit sieben Toten und zwölf Verletzten. Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für je einen Vorfall im Jänner und Februar 2020 pro-iranische PMF verantwortlich gemacht.
Nachvollziehbar für das erkennende Gericht ist weiters, dass das Haus der Beschwerdeführer in A.H. im Zuge der Rückeroberung des Gebietes durch das Militär bzw. die schiitischen Milizen vom IS Ende des Jahres 2017 bombardiert und zerstört wurde. Dieses Schicksal traf viele Gebäude und Anwesen in zurückeroberten Gebieten. Nicht erkannt werden kann jedoch, dass das Haus der Beschwerdeführer gezielt wegen des Erstbeschwerdeführers und seiner Tätigkeit als Journalist bzw. dem vorgebrachten Umstand, der Erstbeschwerdeführer wäre in Bagdad von schiitischen Milizen, konkret der AAH, verfolgt worden, zerstört worden wäre, zumal sich das Vorbringen der Beschwerdeführer zu den Vorfällen in Bagdad aus nachfolgenden Gründen für das erkennende Gericht als unglaubwürdig erweist:
Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen der Beschwerdeführer in der Erstbefragung nicht, dass gemäß Paragraph 19, Absatz eins, AsylG die Erstbefragung zwar „insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die „näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden vergleiche VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert Paragraph 19, Absatz eins, AsylG jedoch nicht.
Wie schon das Bundesamt in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt hat, fällt im gegenständlichen Fall schon vorweg besonders auf, dass keiner der mündigen bzw. volljährigen Beschwerdeführer im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragungen auch nur ansatzweise die später als eigentlich ausreisekausal dargestellten Vorfälle in Bagdad, nämlich konkret die vorgebrachte Entführung und Misshandlung des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers durch die schiitische Miliz AAH wegen deren Suche nach dem Erstbeschwerdeführer und seiner Tätigkeit als Journalist, vorbrachte. Nachdem die in den Erstbefragungen angegebenen Fluchtgründe der Beschwerdeführer durchaus unterschiedlich und auch in unterschiedlicher Länger protokolliert wurden, ist nicht nachvollziehbar, dass nicht ein einziger Beschwerdeführer, insbesondere auch nicht der angeblich unmittelbar betroffene Drittbeschwerdeführer sowie der Viertbeschwerdeführer in einem einzigen Satz erwähnten, sie wären zudem von einer schiitischen Miliz entführt und misshandelt worden. Dazu wird in der Beschwerde zudem nur unsubstanziiert ausgeführt, dass dies aufgrund der massiven körperlichen Misshandlungen nachvollziehbar sei. Gerade in dem Falle könnte man jedoch erwarten, dass so besonders einschneidende Verfolgungshandlungen, die schließlich zur Ausreise aus dem Heimatstaat veranlasst haben, auch als solche bei der Frage nach dem Fluchtgrund zumindest erwähnt werden. Dem Bundesamt ist in dessen Ansicht zu folgen, wenn dieses sinngemäß ausführt, dass die Beschwerdeführer allesamt ihr Fluchtvorbringen im Verhältnis zur Erstbefragung massiv gesteigert haben und eine völlig andere Fluchtgeschichte schilderten, was entsprechend zu berücksichtigen ist.
Sofern die Beschwerdeführer auf Vorhalt dieser Umstände allesamt sinngemäß vorbrachten, sie hätten für die Erwähnung des eigentlich ausreisekausalen Fluchtgrundes in der Erstbefragung nicht genügend Zeit erhalten, sie wären müde gewesen oder hätten den Dolmetscher nicht so gut verstanden, so ist auch diesbezüglich der in den Bescheiden dargelegten der Ansicht des Bundesamtes zu folgen, wonach die Beschwerdeführer jeweils jede Seite des Einvernahmeprotokolls der Erstbefragung paraphiert, dieses schließlich auch unterzeichnet haben, ihnen das Protokoll rückübersetzt wurde und sie angaben, alles verstanden zu haben. Das diesbezüglich völlig unsubstanziierte Vorbringen wird vom erkennenden Gericht als Schutzbehauptung gewertet. In Anbetracht der langen Dauer zwischen der Stellung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz am 04.01.2016 und der stattfindenden niederschriftlichen Einvernahmen der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt erst im Laufe des Jänner 2019 verstärkt sich zudem für das erkennende Gericht der Eindruck, dass die Beschwerdeführer den Irak wegen der dort vorherrschenden allgemeinen Lage und allgemeiner Angst vor dem IS verlassen haben und nach Wegfall der diesbezüglich vorgebrachten Gefahr im Zuge des verstrichenen Zeitraumes zur weiteren Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz eine völlig neue Fluchtgeschichte konstruierten.
Die Schilderungen des erstmals in den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt vorgebrachten Fluchtgründe erweisen zudem auch als widersprüchlich:
Zweifel bestehen für das erkennende Gericht schon an dem Umstand, dass die Beschwerdeführer, allesamt Sunniten aus einem vom IS besetzten Gebiet im August 2014 ohne Probleme in die Grüne Zone von Bagdad umziehen konnten, welche zum damaligen Zeitpunkt ein schwer bewachter, mit meterhohen Betonmauern umgebener Stadtteil gewesen ist, zu dem die normale Zivilbevölkerung keinen Zugang hatte und immense Sicherheitsvorkehrungen herrschten, zumal dort nicht nur die irakische Regierung, sondern auch die Botschaften der USA und einiger anderer Staaten sowie große internationale Unternehmen angesiedelt waren/sind. Sollte es den Beschwerdeführern dennoch tatsächlich möglich gewesen sein, in der Grünen Zone oder auch internationalen Zone von Bagdad Unterkunft nehmen zu können, so ist es nahezu ausgeschlossen, dass dort Milizangehörige Bewohner aus ihren Wohnungen entführen konnten.
Sodann gab der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesamt an, er habe Anfang April 2015 aus dem vom IS befreiten Ort J.A.S. nahe Bagdad berichten sollen und sei dort Zeuge von Übergriffen der schiitischen Miliz AAH auf die Zivilbevölkerung geworden, was er negativ kommentiert habe und ein Kollege eines Fernsehkanals, der dem Generalsekretär der AAH gehört habe, habe den Erstbeschwerdeführer deswegen beschimpft. Nach der Rückkehr nach Bagdad habe er normal weitergelebt, es am 02.06.2015 zur Entführung des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers gekommen sei. Auch die Zweitbeschwerdeführerin gab vor dem Bundesamt an, der Erstbeschwerdeführer habe ihr erst in der Türkei erzählt, dass der in J.A.S. nach dessen Befreiung irgendwann 2015 etwas fotografiert habe, und er deswegen jetzt Probleme habe. In der Beschwerde wurde dann ohne substanziierte Begründung ausgeführt, dass sich der Vorfall in J.A.S. bereits im Oktober 2014 zugetragen habe und nicht im April 2015. Im April 2015 hätten die Probleme des Erstbeschwerdeführers begonnen, nachdem er den Journalisten, demgegenüber er die Miliz kritisiert habe, wieder getroffen habe. Vor dem Hintergrund, dass J.A.S. tatsächlich im Oktober 2014 befreit wurde, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin jeweils getrennt voneinander angaben, der Vorfall wäre (im April) 2015 gewesen, drängt sich dem erkennenden Gericht der Verdacht auf, dass der Erstbeschwerdeführer überhaupt nicht in J.A.S. gewesen ist und die Geschichte in der Beschwerde nach entsprechender Nachprüfung im Internet korrigiert wurde, zumal der Erstbeschwerdeführer auch viele Fotos von sich bei seiner Arbeit als Journalist/Fotograf/Kameramann vorlegte, jedoch kein Beweismittel für seine Anwesenheit in J.A.S. Auch wurde in der Beschwerde plötzlich vorgebracht, der Erstbeschwerdeführer habe dann telefonische Drohungen und Beschimpfungen erhalten und schließlich seien der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer Anfang Juni 2015 entführt worden. Der Erstbeschwerdeführer selbst brachte jedoch kein einziges Mal vor, er hätte vor der Entführung der Söhne Drohanrufe erhalten. Vielmehr gab er vor dem Bundesamt und auch vor dem Bundesverwaltungsgericht an, er habe nach dem Vorfall in J.A.S. keine Probleme gehabt und sei erstmals etwa acht Monate später im Juni 2015 gesucht worden, weil er Journalist sei.
Wenngleich sich die Schilderungen der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt zur Entführung des Dritt- und Viertbeschwerdeführers auf den ersten Blick decken und sowohl der Dritt- als auch der Viertbeschwerdeführer vor dem Bundesamt offensichtlich besonders viele Details zu schildern versuchten, um ihrem Vorbringen besondere Glaubwürdigkeit zu verleihen, konnten sie ihre Schilderung vor dem Bundesamt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht ohne erhebliche Abweichungen wiedergeben und ergeben sich bei näherer Betrachtung auch sonst erhebliche Ungereimtheiten:
Besonders auffallend ist vorweg schon, dass alle einvernommenen Beschwerdeführer genau das Datum der Entführung und der Freilassung des Dritt- und Viertbeschwerdeführers nennen konnten. Dies mit der Begründung, es wäre ein besonders einschneidendes Erlebnis gewesen. Hingegen konnte kein einziger der Beschwerdeführer angeben, um welchen Wochentag es sich dabei gehandelt hat.
Es erscheint auch wenig nachvollziehbar, dass niemand der Beschwerdeführer wusste, wo sich der Erstbeschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entführung aufgehalten hat. Dieser gab vor dem Bundesamt an, er wäre bei der Hochzeit von Freunden in römisch 40 im Gouvernement Salah ad-Din, daher in einem damals ebenfalls zwischen IS und Militär umkämpften Gebiet, gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, er wäre von Journalisten eingeladen gewesen, was sie später im Rahmen derselben Einvernahme vor dem Bundesamt auf Freunde korrigierte, sonst aber nichts Näheres dazu angeben konnte.
Auch die Zahl der angeblich in die Wohnung eindringenden Männer variiert den unterschiedlichen Angaben der Beschwerdeführer nach erheblich (sieben bis neun beim Erstbeschwerdeführer, acht bis zehn bei der Zweitbeschwerdeführerin, unbekannte Zahl beim Drittbeschwerdeführer, mindestens zehn beim Viertbeschwerdeführer, acht bis elf beim Fünftbeschwerdeführer).
Alle Beschwerdeführer bis auf die Zweitbeschwerdeführerin gaben an, sie hätten erst durch die Nachbarn erfahren, dass es sich bei den Entführern um Angehörige der AAH gehandelt habe, da es deren Autos gewesen seien. Die Zweitbeschwerdeführerin gab vor dem Bundesamt erst an, die Männer hätten gesagt, sie wären von der AAH. Später in derselben Einvernahme gab sie dann an, die Nachbarn hätten erzählt, es wären Mitglieder der AAH gewesen. Einmal hätte der Erstbeschwerdeführer den Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin zum Haus des Freundes gebracht, dann wieder wären die beiden von dessen Ehefrau aus dem Krankenhaus mit zu sich nach Hause genommen worden.
Sowohl der Drittbeschwerdeführer als auch der Viertbeschwerdeführer gaben vor dem Bundesamt an, sie wären mit verbundenen Augen in Autos transportiert worden und es sei sehr laute Musik gespielt worden. Wie die Beschwerdeführer dann bemerkt haben wollen, dass sie sich nicht mehr in Bagdad aufhielten, weil sie den Lärm der Stadt nicht mehr hören konnten, konnten sie nicht erklären. Außerdem gaben sie vor dem Bundesamt an, sie beide hätten nicht gewusst, dass sie im selben Gebäude festgehalten worden seien und dies erst bemerkt als man sie in römisch 40 aus dem Auto gelassen und befreit hätte. Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Viertbeschwerdeführer (mit nachfolgender Bestätigung durch den Drittbeschwerdeführer) aber an, sie beide wären in unterschiedliche Zimmer gebracht worden und habe der Viertbeschwerdeführer den Drittbeschwerdeführer dort schreien gehört. Auch schilderte der Viertbeschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht, er wäre am dritten Tag seiner Gefangenschaft bewusstlos geschlagen und erst am vierten Tag im Auto auf dem Weg zur Freilassung zu sich gekommen, während er sich vor dem Bundesamt sehr wohl an seine erneute Fesselung und Verbringung in ein Auto erinnern konnte.
Zur Freilassung gab der Drittbeschwerdeführer vor dem Bundesamt an, er sei am 06.06.2015 irgendwann in der Früh in ein Auto gebracht worden, in römisch 40 freigelassen worden und wären beide dann zu einem Lebensmittelgeschäft gelaufen und habe der Besitzer des Geschäfts auf Bitten des Dritt- und Viertbeschwerdeführers deren Vater angerufen, der sie dann abgeholt habe. Der Viertbeschwerdeführer gab an, es wäre irgendwann zwischen Früh und Mittag gewesen und, dass der Vater bereits 20 bis 30 Minuten nach dem Anruf in römisch 40 gewesen sei. Vor dem Hintergrund, dass sich der Erstbeschwerdeführer eigenen Angaben nach zu dieser Zeit mit den übrigen Beschwerdeführern bei einem Freund im Stadtteil römisch 40 in Bagdad versteckte und römisch 40 von dort aus rund 70 Kilometer mit einer Fahrzeit von rund 1:15 Stunden entfernt liegt, sind diese Schilderungen zeitlich nicht in Einklang zu bringen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab zudem an, es habe ein Taxifahrer angerufen und von der Freilassung der Söhne berichtet. Der Anruf sei laut Erstbeschwerdeführer auch erst mittags am 06.06.2015 gekommen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Viertbeschwerdeführer (bestätigt durch den Drittbeschwerdeführer) an, ihm wäre von den Entführern ein Handy angeboten worden, um den Vater anzurufen.
Der Fünftbeschwerdeführer gab vor dem Bundesamt erst an, es wären bewaffnete Männer in die Wohnung eingedrungen, nur um dann später auf nochmaliges Befragen, ob die Personen bewaffnet gewesen wären, zu sagen, er wisse es nicht mehr. Unglaubwürdig erscheint auch, dass er seine Brüder nie zu den Vorkommnissen gefragt hätte, weil ihm dies nicht so wichtig gewesen sei.
Zu den vom Viertbeschwerdeführer vorgelegten Fotos von seinen angeblichen Verletzungen vergleiche etwa AS 254 ff Viertbeschwerdeführer), ist auszuführen, dass immer nur Körperausschnitte zu sehen sind und nicht ersichtlich ist, dass es sich bei der verletzten Person tatsächlich um den Viertbeschwerdeführer handelt. Eine Verifizierung ist absolut unmöglich. Wenngleich nur das pauschale Verweisen auf eine Fälschungsmöglichkeit nicht genügt, um von einer Dokumentenfälschung auszugehen vergleiche VwGH vom 01.03.2019, Ra 2018/18/0446) ist im gegenständlichen Fall vor dem Hintergrund der soeben dargelegten, zahlreichen und massiven Widersprüche und dem Umstand, dass die Fotos dem Viertbeschwerdeführer nicht zweifelsfrei zugeordnet werden können, von keinerlei Beweiswert für das gegenständliche Verfahren auszugehen.
Insgesamt erweist sich das Vorbringen der Beschwerdeführer zu den Vorfällen in Bagdad, konkret zur Entführung des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers, insgesamt als unglaubwürdig, zumal es allen Beschwerdeführern gelungen ist, legal unter Verwendung ihrer irakischen Reisepässe unbehelligt den Irak zu verlassen.
Schlussendlich ist aber auch vor dem Hintergrund des inzwischen verstrichenen Zeitraumes von sechs Jahren seit den vorgebrachten Bedrohungen der Beschwerdeführer in Bagdad bzw. sieben Jahren hinsichtlich der Eroberung von A.H. durch den IS, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Erstbeschwerdeführer als Journalist bzw. für die Presse tätig gewesen ist und die überwiegende Mehrheit der Familienangehörigen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ihren Angaben nach wieder nach A.H. zurückgekehrt sind und dort ohne größere Probleme leben, abgesehen von den als unglaubwürdig beurteilten Entführungen des Dritt- und Viertbeschwerdeführers, alle Beschwerdeführer jegliche persönliche Übergriffe auf sie und auch jegliche Form einer staatlichen Verfolgung sowohl vor der Ausreise als auch im Fall ihrer Rückkehr ausdrücklich verneinten, nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die von den Beschwerdeführern vorgebrachte Bedrohung durch die schiitische Miliz AAH bzw. den IS auch zum Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichtes selbst bei Wahrunterstellung noch aktuell wäre.
Generell kann dem Vorbringen der Beschwerdeführer, schiitische Milizen (Al-Haschd al Shaabi; konkret auch die AAH), unterlägen keiner durchgehenden staatlichen Kontrolle, sie würden organisierte Kriminalität (darunter auch Schutzgelderpressungen, Entführungen gegen Lösegeld) als Einnahmequelle heranziehen und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere auch an Sunniten, begehen, nicht entgegengetreten werden. In Anbetracht der oben angeführten beweiswürdigenden Erwägungen und dem Umstand, dass die Beschwerdeführer als Sunniten einerseits offenbar problemlos von einem vom IS besetzten Gebiet im August 2014 nach Bagdad übersiedeln konnten und dort bis Juni bzw. August 2015, damit insgesamt in einem besonders kritischen Zeitraum bezogen auf die religiös motivierten Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, unbehelligt im Irak lebten, bis sie den Irak ohne konkrete glaubhafte, gegen sie persönlich gerichtete Verfolgung verlassen haben, nicht davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak seitens schiitischer Milizen eine konkrete Bedrohung oder Verfolgung drohen würde.
Schlussendlich konnten die Beschwerdeführer eine zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle, sie persönlich treffende Bedrohung oder Verfolgung im Irak durch eine schiitische Miliz oder den IS nicht glaubhaft machen und haben eine solche durch irakische Behörden bzw. die Regierung ausdrücklich verneint. Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer keinerlei anderen Fluchtgründe vorgebracht. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dahingehend, dass den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr in den Irak konkrete, sie persönlich treffende Verfolgung drohen würde.
Eine generelle und systematische Verfolgung von Araber/innen mit sunnitischer Glaubensrichtung ergibt sich aus den Länderberichten auch zu aktuellen Zeitpunkt nicht. Die Problematik zwischen Schiiten und Sunniten besteht in der Form, wie sie noch 2014/2015 bestanden hat, nicht mehr. Somit ergibt sich, dass es den Beschwerdeführern auch unter Berücksichtigung der Länderberichte zur Sicherheitslage in Bagdad und Kirkuk sowie den schiitischen Milizen nicht gelungen ist, glaubhaft darzutun, dass sie im Irak einer individuellen Verfolgung ausgesetzt wären.
Vor dem Hintergrund, dass sowohl die sechs verheirateten Schwestern des Erstbeschwerdeführers als auch die sieben Schwestern und sechs Brüder der Zweitbeschwerdeführerin allesamt entweder nach wie vor in A.H./Kirkuk leben oder nach Rückeroberung des Gebietes durch den IS wieder zurückgekehrt sind, allesamt ohne Probleme dort in eigenen Häusern leben bzw. ihre eigenen Landwirtschaften betreiben und keine finanziellen Probleme haben, besteht für die Beschwerdeführer ein taugliches familiäres Auffangnetz im Irak. Glaubhaft ist hingegen, dass die Beschwerdeführer in Bagdad über keine maßgeblichen familiären Bindungen verfügen. Da es ihnen aber bereits 2014 aus einem vom IS bereits besetzten Gebiet gelungen ist, ohne maßgebliche familiäre Unterstützung nach Bagdad umziehen und es den in A.H./Kirkuk lebenden Familienangehörigen auch grundsätzlich möglich wäre, die Beschwerdeführer zumindest finanziell zu unterstützen, kann auch nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Fall einer Rückkehr nach Bagdad keinerlei Unterstützung zukäme.
Sofern in der gegenständlichen Beschwerde ganz allgemeine Problemlagen im Irak und in der Herkunftsregion (Kirkuk) der Beschwerdeführer aufgezeigt werden, lassen die Beschwerdeführer damit ihre unmittelbare Betroffenheit nicht erkennen. So brachten die Beschwerdeführer keine (glaubhaften) konkreten/besonderen Probleme aufgrund ihrer persönlichen Stellung, ihres Geschlechtes oder ihres Alters vor, sondern können letztlich nur allgemein auf allfällige diesbezügliche Problemlagen im Herkunftsstaat verweisen. Auch Probleme mit herkunftsstaatlichen Behörden wurden nicht vorgebracht.
Insbesondere wurden in der gegenständlichen Beschwerde bzw. den nachfolgenden Stellungnahmen keine, den seitens der belangten Behörde und des erkennenden Gerichtes jeweils in das Verfahren eingeführten Länderberichten entgegenstehenden, Berichte vorgebracht, die eine andere Beurteilung des gegenständlichen Falles erfordern würden.
Aus diesen Länderberichten geht zur Sicherheitslage bezogen auf die Hauptstadt Bagdad – neben der bereits weiter oben dargelegten Sicherheitslage in Kirkuk - hervor, dass der IS inzwischen wieder versucht, seine Aktivitäten insbesondere in der Peripherie der Hauptstadt, somit dem äußeren Norden, Süden und Westen, zu erhöhen. Es ist sowohl im Juni als auch im September 2019 zu Selbstmordattentaten sowie zu fünf Angriffen mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad gekommen. Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad. Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet, im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten. Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar. Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren. Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
Bezogen auf die übrige Sicherheitslage im Irak, insbesondere hinsichtlich der Provinzen im Nord- und Zentralirak ergibt sich, dass der IS im Zentralirak nach wie vor am aktivsten ist und sich die Hauptaktionsgebiet in Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala befinden.
In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen. Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt. Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat. Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt. Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala. Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen.
Konkret auf die Herkunftsregion der Beschwerdeführer, nämlich das Gouvernement Kirkuk, ergibt sich, dass Kirkuk regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als eine der gewalttätigsten Region des Irak zählt. Teile von Kirkuk sind weiterhin ein Kerngebiet des IS.
Zur Situation bezüglich des Corona-Virus ergibt sich, dass im Zentralirak (wie auch in der autonomen Region Kurdistan) – wie fast allen übrigen Staaten – entsprechende Maßnahmen durch vorübergehende Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln sowie vorübergehende Schließungen von Grenzen und Flughäfen und teilweise auch Schulen gesetzt wurden. Die medizinische Versorgung ist in der Hauptstadt Bagdad am besten und ehesten gewährleistet. Es kann nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführer durch eine Rückkehr in den Irak einem höheren Risiko ausgesetzt wären, an COVID-19 zu erkranken als in Österreich, wenngleich die Zweitbeschwerdeführerin der COVID-19-Risikogruppe zuzurechnen ist.
Zusammenfassend ist jedoch im Lichte der in das Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen und insbesondere hinsichtlich der konkreten familiären und persönlichen Situation der Beschwerdeführer sowie der besonderen Vulnerabilität der noch minderjährigen Sechstbeschwerdeführerin festzuhalten, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass die Sechstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Irak möglicherweise Opfer der zahlreichen sicherheitsrelevanten Vorfälle bezogen auf den IS und die anhaltenden gewaltsamen Ausschreitungen in Kirkuk oder auch in Bagdad sowie den meisten anderen Provinzen des Irak werden würden und diese im Falle einer Rückkehr in den Irak wahrscheinlich in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden, zumal sie auf Arabisch weder lesen noch schreiben kann, was in weiterer Folge in der rechtlichen Beurteilung noch dargestellt wird.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgericht, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Darüber hinaus brachte das Bundesverwaltungsgericht für den konkreten Fall maßgebliche und aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein. Seitens der Beschwerdeführer wurde dazu eine Stellungnahme abgegeben. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben insgesamt unbestritten. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A.1.) und A.2.):
Der mit „Familienverfahren im Inland“ betitelte Paragraph 34, AsylG lautet:
„§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8,) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
Anmerkung, Ziffer 2, aufgehoben durch Artikel 3, Ziffer 13,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 84 aus 2017,)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7,).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
Anmerkung, Ziffer 2, aufgehoben durch Artikel 3, Ziffer 13,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 84 aus 2017,)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 9,) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß Paragraph 12 a, Absatz 4, zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Absatz eins bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (Paragraph 30, NAG).“
Gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG gilt eine auch nur von einem betroffenen Familienmitglied erhobene Beschwerde gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen (Paragraph 2, Ziffer 22, AsylG 2005) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich. Allen Beschwerden gegen Entscheidungen im Familienverfahren kommt aufschiebende Wirkung zu, sobald zumindest einer Beschwerde im selben Familienverfahren aufschiebende Wirkung zukommt.
Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG gilt als Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin waren schon vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet verheiratet. Die Sechstbeschwerdeführerin ist ihr leibliches, minderjähriges und lediges Kind. Der Fünftbeschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ebenfalls minderjährig und ist das leibliche und ledige Kind des Erstbeschwerdeführers und des Zweitbeschwerdeführers.
Somit gelten der Erst- und Fünftbeschwerdeführer sowie die Zweit- und Sechstbeschwerdeführerin als Familienangehörige im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG und sind für sie in wechselseitigem Bezug die Bestimmungen zum Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG anzuwenden.
Der Dritt- und Viertbeschwerdeführer waren hingegen bereits zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung volljährig. Für sie gelten daher nicht die Bestimmungen gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, AsylG.
Zu Spruchpunkt den jeweiligen Spruchpunkten römisch eins. der jeweils angefochtenen Bescheide (Spruchpunkt A.1.I. und A.2.I.):
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention – GFK, droht.
Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).
Vorliegend ist festzuhalten, dass dem Vorbringen im Ergebnis keine Asylrelevanz zukommt:
Im gegenständlichen Fall gelangte das Bundesverwaltungsgericht aus den oben im Rahmen der Beweiswürdigung erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer, insbesondere der Erstbeschwerdeführer, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer, auf deren Vorbringen sich alle anderen Beschwerdeführer beziehen, keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat aus Gründen der GFK ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten (VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Ferner liegen keine Anhaltspunkte vor, dass den Beschwerdeführern eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak herrschenden Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht.
Eine systematische Verfolgung und Diskriminierung von Sunniten im Irak, insbesondere in der Heimatregion der Beschwerdeführer (Kirkuk oder auch Bagdad), durch staatliche Stellen oder Privatpersonen kann im Lichte der vorliegenden Länderberichte nicht festgestellt werden.
Demzufolge lässt sich eine aktuelle Verfolgung der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr aus einer der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht erkennen.
Zur Abweisung des Asylantrages sei erwähnt, dass auch ein wirtschaftlicher Nachteil unter bestimmten Voraussetzungen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren sein kann, im Ergebnis jedoch nur dann, wenn durch den Nachteil die Lebensgrundlage massiv bedroht ist und der Nachteil in einem Kausalzusammenhang mit den Gründen der Flüchtlingskonvention steht. Eine solche Bedrohung der Lebensgrundlage ist den Feststellungen zufolge nicht gegeben und ein derartiger Kausalzusammenhang ist im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich.
Entsprechend den oben getätigten Ausführungen ist es den Beschwerdeführern nicht gelungen, darzutun, dass ihnen im Herkunftsstaat Irak asylrelevante Verfolgung droht, weshalb die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide jeweils gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen waren.
Zu den Spruchpunkten römisch II. der angefochtenen Bescheide des Erst- und Fünfbeschwerdeführers sowie der Zweit- und Sechstbeschwerdeführerin (Spruchpunkt A.1.II.):
Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Die Voraussetzungen dafür, einem Asylwerber gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 subsidiären Schutz zu gewähren, unterscheiden sich im Ergebnis nicht von jenen nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 1997 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 101 aus 2003, in Verbindung mit Paragraph 57, Absatz eins, FrG (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; 28.06.2005, 2005/01/0080), weshalb zur Auslegung die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann.
Nach dieser Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine positive Entscheidung betreffend den subsidiären Schutz, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, MRK gewährleisteten oder anderer in Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 erwähnter Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinn des Paragraph 57, Absatz eins, FrG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 08.06.2000, 99/20/0203; 17.09.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, 2002/18/0028; 06.11.2009, 2008/19/0174).
Gemäß Paragraph 8, Absatz 3 und Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Asylantrag auch in Bezug auf den subsidiären Schutz abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
Der Asylwerber hat glaubhaft zu machen, dass er aktuell bedroht sei, dass die Bedrohung also im Fall seiner Abschiebung in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewendet werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509; 22.08.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461; 25.01.2001, 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode zu
§ 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 25.01.2001, 2000/20/0438; 30.05.2001, 97/21/0560).
Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiären Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein vergleiche EUGH 17.02.2009, Elgafaji, C-465/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45).
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Artikel 3, EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind vergleiche EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, erkannt hat, ist bei der Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahr, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat bezieht.
Zur minderjährigen Sechstbeschwerdeführerin geht weiters aus den Länderberichten zur allgemeinen Lage von Kindern im Irak hervor, dass die Hälfte der irakischen Bevölkerung unter 18 Jahre alt ist und Kinder nach wie vor Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen sind und in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen sind. Zwar enthält die irakische Verfassung Kinderschutzrechte und ist der Irak dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten, jedoch sind dennoch Kinder und Jugendliche stark durch Gewaltakte gegen sie selbst oder ihre Familienmitglieder betroffen. Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen haben oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder.
Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Anfang 2018 waren knapp 23 % der Kinder im Irak unterernährt, physisch unterentwickelt oder im Wachstum zurückgeblieben. Kinderarbeit, Kinderhandel und Kinderprostitution wird immer mehr zu einem Problem. Auch werden Kinder nach wie vor durch PMF, Stammesgruppierungen und den IS rekrutiert und als Kindersoldaten eingesetzt.
Weiters hat der Verfassungsgerichtshof inzwischen wiederholt ausgesprochen, dass bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich sind vergleiche UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikeln 1 A 2 und 1 F des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte in den Herkunftsländerinformationen hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen vergleiche etwa VfGH 23.09.2019, E 512-517/2019 und VfGH 24.02.2020, E 3683-3686/2019-8 mwN; zuletzt VwGH vom 07.01.2021, Ra 2020/18/0139 ua).
Im Hinblick auf die festgestellte und insbesondere im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Sicherheitslage im gesamten Irak vom 17.03.2020 aktuell dokumentierte sehr prekäre Sicherheitslage hinsichtlich der steigenden Aktivitäten des IS insbesondere auch in der Heimatregion A.H. in Kirkuk, dessen neuerlicher bzw. anhaltender Bekämpfung, die Spannungen zwischen den USA und dem Iran auch in Bagdad und der besonderen Vulnerabilität der minderjährigen Sechstbeschwerdeführerin, die im Irak bisher keine Schule besucht hat und weder auf Arabisch lesen noch schreiben kann, kann nicht mit der nötigen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Irak, konkret nach Kirkuk oder Bagdad, der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikel 3, EMRK ausgesetzt wäre oder eine Rückkehr für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Gefährdung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Aufgrund der aktuellen Gesamtsituation im Irak kann im gegenständlichen Fall auch nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden, zumal die Beschwerdeführer nur in Kirkuk über tragfähige familiären Bindungen verfügen, dort aber die Sicherheitslage für die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin nicht zumutbar ist, und die Familie in Bagdad oder dem übrigen Irak über gar keine familiären Bindungen verfügen und nicht festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführer tatsächlich Unterkunft und finanzielle Unterstützung finden könnten, wenngleich diese wahrscheinlich ist.
Im Hinblick auf die zurzeit vorherrschende Pandemie wegen des Corona-Virus und der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 hat der VwGH in seiner Entscheidung etwa vom 20.11.2020, Ra 2020/20/0241, zusammengefasst festgehalten, dass hinsichtlich der COVID-19 Pandemie ins Treffen geführte Ermittlungs- und Feststellungsmängel einer konkreten Darlegung der Relevanz für das Verfahren erfordern. Sofern in der Zulässigkeitsbegründung zur Revision auf einen beeinträchtigten Gesundheitszustand des Revisionswerbers verwiesen und dessen Zugehörigkeit zu einer „Risikogruppe“ behauptet, im Übrigen aber lediglich pauschal auf näher genannte, allgemeine Berichte zur Situation in dessen Herkunftsstaat verwiesen werde, werde damit nicht nachvollziehbar aufgezeigt, dass infolge der COVID-19 Pandemie bezogen auf die konkrete Situation des Revisionswerbers im Fall der Rückführung in sein Heimatland die Verletzung einer nach Artikel 2 und Artikel 3, EMRK geschützten Rechte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen wäre (dazu wurde zudem zur nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Artikel 3, EMRK vorzunehmenden Einzelfallprüfung sowie zur Frage, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr [„real risk“] einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht, konkret hinsichtlich der COVID-19 Pandemie etwa auf VwGH vom 03.07.2020, Ra 2020/14/0255; vom 07.10.2020, Ra 2020/20/0337; vom 05.10.2020, Ra 2020/19/0330, und vom 07.09.2020, Ra 2020/18/0273, verwiesen).
Wenngleich die Zweitbeschwerdeführerin an Erkrankungen leidet, die sie gemäß COVID-19-Risikogruppe-Verordnung der Risikogruppe zuordnen, wurde nicht substanziiert vorgebracht, dass der Zweitbeschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund dieses Umstandes eine Verletzung ihrer nach Artikel 2 und Artikel 3, EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wäre.
Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des konkreten Falles kann jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Sechstbeschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr Gefahr laufen würden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikel 3, EMRK unterworfen zu werden. Eine Rückführung der Sechstbeschwerdeführerin würde diese daher in ihren Rechten nach Artikel 3, EMRK verletzen.
Folglich war der Sechsbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG und dem Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführerin und dem Fünftbeschwerdeführer im Rahmen des Familienverfahrens gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34 A, s, y, l, G, der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuzuerkennen.
Zu den Spruchpunkten römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide des Erst- und Fünfbeschwerdeführers sowie der Zweit- und Sechstbeschwerdeführerin (Spruchpunkt A.1. römisch III. und römisch IV.)
Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Das Bundesverwaltungsgericht hat der Sechstbeschwerdeführerin sowie dem Erst- und Fünftbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin mit gegenständlichem Erkenntnis den Status subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr, beginnend mit der rechtskräftigen Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses, zu erteilen ist.
Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Der Sechstbeschwerdeführerin sowie dem Erst- und Fünftbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wurde mit gegenständlichem Erkenntnis der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und daher ihrem Antrag auf internationalen Schutz diesbezüglich stattgegeben.
Die Voraussetzungen gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und damit in weiterer Folge auch der Abspruch über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG, die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG in Verbindung mit Paragraph 46, FPG sowie die Frist zur freiwilligen Ausreise liegen daher nicht mehr vor, weshalb diese Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.
Zu den Spruchpunkten römisch II. der angefochtenen Bescheide des Dritt- und Viertbeschwerdeführers (Spruchpunkt A.2.I.):
Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Die Voraussetzungen dafür, einem Asylwerber gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 subsidiären Schutz zu gewähren, unterscheiden sich im Ergebnis nicht von jenen nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 1997 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 101 aus 2003, in Verbindung mit Paragraph 57, Absatz eins, FrG (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; 28.06.2005, 2005/01/0080), weshalb zur Auslegung die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann.
Nach dieser Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine positive Entscheidung betreffend den subsidiären Schutz, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, MRK gewährleisteten oder anderer in Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 erwähnter Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinn des Paragraph 57, Absatz eins, FrG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 08.06.2000, 99/20/0203; 17.09.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, 2002/18/0028; 06.11.2009, 2008/19/0174).
Gemäß Paragraph 8, Absatz 3 und Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Asylantrag auch in Bezug auf den subsidiären Schutz abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
Der Asylwerber hat glaubhaft zu machen, dass er aktuell bedroht sei, dass die Bedrohung also im Fall seiner Abschiebung in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewendet werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509; 22.08.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461; 25.01.2001, 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode zu
§ 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 25.01.2001, 2000/20/0438; 30.05.2001, 97/21/0560).
Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiären Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein vergleiche EUGH 17.02.2009, Elgafaji, C-465/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45).
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Artikel 3, EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind vergleiche EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443).
Wie bereits oben ausgeführt wurde, haben der Dritt- und Viertbeschwerdeführer jeweils keine sie konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. keine für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe vorgebracht. Wie bereits oben zu Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide des Dritt- und Viertbeschwerdeführers ausgeführt wurde, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Dritt- oder Viertbeschwerdeführer im Irak eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Dass der Dritt- oder Viertbeschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Dritt- oder Viertbeschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Konkrete Anhaltspunkte, dass der Dritt- oder Viertbeschwerdeführer einer Gefahr ausgesetzt sein würde, liegen nicht vor. Zudem haben der Dritt- oder Viertbeschwerdeführer auch im Rahmen der Beschwerde kein substanziiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass sie alleine schon aufgrund der bloßen Anwesenheit in A.H. in Kirkuk oder Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Dritt- oder Viertbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre. Beim Dritt- und Viertbeschwerdeführer handelt es sich um jeweils arbeitsfähige, gesunde Männer, bei welchen die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann, zumal sie den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens im Irak verbrachten, dort sozialisiert sind und in A.H./Kirkuk jedenfalls über ein soziales Netz von Familienangehörigen verfügen. Fast alle Onkel und Tanten sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits leben nach wie vor oder wieder in A.H./Kirkuk und betreiben jeweils erfolgreich ihre Landwirtschaften. Hinweise auf besonders schwierige finanzielle Verhältnisse der Familie wurden nicht vorgebracht oder haben sich auch sonst nicht ergeben. Es ist daher davon auszugehen, dass sie bei der Familie wieder Unterkunft nehmen und/oder (finanzielle) Unterstützung durch die Familie erhalten könnte. Von einer hinreichenden Absicherung seiner Grundbedürfnisse kann somit ausgegangen werden, zumal der Dritt- und Viertbeschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus dem Irak jeweils ebenfalls in der familieneigenen Landwirtschaft tätig gewesen sind.
Es ist dem Dritt- und Viertbeschwerdeführer darüber hinaus auch zumutbar, als alleinstehende junger Männer im erwerbsfähigen Alter sich eine neue Existenz in Kirkuk oder allenfalls auch Bagdad aufzubauen vergleiche auch VwGH vom 23.09.2020, Ra 2020/14/0134, mwN).
Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof erst kürzlich festgehalten, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, nach der Judikatur des VwGH für sich genommen nicht ausreicht, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen vergleiche VwGH vom 23.09.2020, Ra 2020/14/0134, mwN).,
Im Hinblick auf die zurzeit vorherrschende Pandemie wegen des Corona-Virus und der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 hat der VwGH in seiner Entscheidung etwa vom 20.11.2020, Ra 2020/20/0241, zusammengefasst festgehalten, dass hinsichtlich der COVID-19 Pandemie ins Treffen geführte Ermittlungs- und Feststellungsmängel einer konkreten Darlegung der Relevanz für das Verfahren erfordern. Sofern in der Zulässigkeitsbegründung zur Revision auf einen beeinträchtigten Gesundheitszustand des Revisionswerbers verwiesen und dessen Zugehörigkeit zu einer „Risikogruppe“ behauptet, im Übrigen aber lediglich pauschal auf näher genannte, allgemeine Berichte zur Situation in dessen Herkunftsstaat verwiesen werde, werde damit nicht nachvollziehbar aufgezeigt, dass infolge der COVID-19 Pandemie bezogen auf die konkrete Situation des Revisionswerbers im Fall der Rückführung in sein Heimatland die Verletzung einer nach Artikel 2 und Artikel 3, EMRK geschützten Rechte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen wäre (dazu wurde zudem zur nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Artikel 3, EMRK vorzunehmenden Einzelfallprüfung sowie zur Frage, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr [„real risk“] einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht, konkret hinsichtlich der COVID-19 Pandemie etwa auf VwGH vom 03.07.2020, Ra 2020/14/0255; vom 07.10.2020, Ra 2020/20/0337; vom 05.10.2020, Ra 2020/19/0330, und vom 07.09.2020, Ra 2020/18/0273, verwiesen).
In Bezug auf die Situation im Irak kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation des Dritt- und Viertbeschwerdeführers (aus den Altersangaben und den Angaben des Dritt- und Viertbeschwerdeführer zu ihrem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass sie zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) und des Umstandes, dass der irakische Staat, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass der Dritt- oder Viertbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Artikel 2, bzw. 3 EMRK ausgesetzt wäre und wurde dies zu keiner Zeit substanziiert, entsprechend der dargelegten Rechtsprechung des VwGH behauptet. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde vergleiche VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.
Durch die Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Dritt- oder Viertbeschwerdeführer somit nicht in ihren Rechten nach Artikel 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
Weder droht ihnen im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde konkret die Gefahr einer Todesstrafe. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Dritt- oder Viertbeschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Letztlich war zu berücksichtigen, dass der Dritt- und Viertbeschwerdeführer zu keiner Zeit den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Irak substanziiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf ihre individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der Dritt- oder Viertbeschwerdeführer durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Vielmehr brachten beide vor, eine Rückkehr und der Aufbau eines Lebens wäre grundsätzlich möglich, wenn sie dort die vorgebrachten (vom Gericht als unglaubwürdig beurteilten) Probleme nicht hätten bzw. sich nicht bereits an ein Leben in Österreich und die hier vorherrschenden Annehmlichkeiten gewöhnt hätten.
Daher waren die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte römisch II. der jeweils angefochtenen Bescheide des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zu den jeweiligen Spruchpunkten römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers (Spruchpunkt A.2.II. bis A.2.IV.):
Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG hat das Bundesamt unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 55, AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
Der mit „Arten und Form der Aufenthaltstitel“ betitelte Paragraph 54, AsylG lautet:
„§ 54. (1) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:
1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß Paragraph 17, Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), Bundesgesetzblatt Nr. 218 aus 1975, berechtigt,
2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,
3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.
(2) Aufenthaltstitel gemäß Absatz eins, sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Absatz eins, Ziffer eins und 2 sind nicht verlängerbar.
(3) Den Verlust und die Unbrauchbarkeit eines Aufenthaltstitels sowie Änderungen der dem Inhalt eines Aufenthaltstitels zugrunde gelegten Identitätsdaten hat der Drittstaatsangehörige dem Bundesamt unverzüglich zu melden. Auf Antrag sind die Dokumente mit der ursprünglichen Geltungsdauer und im ursprünglichen Berechtigungsumfang, falls erforderlich mit berichtigten Identitätsdaten, neuerlich auszustellen.
(4) Der Bundesminister für Inneres legt das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel gemäß Absatz eins, Ziffer eins bis 3 durch Verordnung fest. Die Aufenthaltstitel haben insbesondere Name, Vorname, Geburtsdatum, Lichtbild, ausstellende Behörde und Gültigkeitsdauer zu enthalten; sie gelten als Identitätsdokumente.
(5) Die Bestimmungen des 7. Hauptstückes gelten nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.“
Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8, EMRK“ betitelte Paragraph 55, AsylG lautet:
„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017,, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
Der mit „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ betitelte Paragraph 57, AsylG lautet:
„§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Absatz eins, Ziffer 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Absatz 3 und Paragraph 73, AVG gehemmt.
(3) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 2, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.
(4) Ein Antrag gemäß Absatz eins, Ziffer 3, ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte Paragraph 9, BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.
Anmerkung, Absatz 4, aufgehoben durch Artikel 4, Ziffer 5,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 56 aus 2018,)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraphen 52, Absatz 4, in Verbindung mit 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 4, FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß Paragraph 53, Absatz 3, FPG vorliegen. Paragraph 73, Strafgesetzbuch (StGB), Bundesgesetzblatt Nr. 60 aus 1974, gilt.“
Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer reisten gemeinsam mit dem Erst- und Fünftbeschwerdeführer sowie der Zweit- und Sechstbeschwerdeführerin gemeinsam und spätestens mit Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung am 04.01.2016 in das Bundesgebiet ein und ist ihr Aufenthalt nicht geduldet. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt im Bundesgebiet. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.
Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß Paragraph 8, Absatz 3 a, AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.
Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt vergleiche dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Artikel 8 ;, Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vergleiche auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Artikel 8, EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt vergleiche Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Der Begriff des Privatlebens iSd Artikel 8, EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Artikel 8, EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten vergleiche Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG Paragraph 11, Rz 38).
Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH vom 10.04.2019, Zl. Ra 2019/18/0058, mwN).
Andererseits kann nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen auszugehen ist. Da es sich bei der Aufenthaltsdauer um einen von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände handelt, ist die Annahme eines „Automatismus“, wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verfehlt vergleiche VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055).
Fallbezogen ergibt sich daraus:
Der Dritt- und Viertbeschwerdeführer lebten schon im Irak immer im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern und Geschwistern und halten sich nunmehr seit über fünfeinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Auch hier leben sie durchgehend mit ihren Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Gegenständlich ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer untereinander trotz ihrer Volljährigkeit in Österreich nach wie vor ein schützenswertes Familienleben iSd Artikel 8, EMRK führen.
Der Dritt- und Viertbeschwerdeführer stellten nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 04.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither kam ihnen für die Dauer des Asylverfahrens ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß Paragraph 13, AsylG zu.
Zum Entscheidungszeitpunkt halten sich der Dritt- und Viertbeschwerdeführer damit bereits über fünfeinhalb Jahre durchgehend im Bundesgebiet auf. Auch wenn ihnen ihr unsicherer Aufenthaltsstatus im Zuge des Asylverfahrens bewusst sein musste, kann ihnen in Anbetracht der Aufenthalts- und Verfahrensdauer, die über fünfeinhalb Jahre beträgt und der oben dargelegten Judikatur, nicht vorgehalten werden, dass sie sich um Integration und den Aufbau eines Privatlebens bemüht haben. Auch erwies sich der Aufenthalt des Dritt- und Viertbeschwerdeführer aufgrund ihres asylrechtlichen Aufenthaltsrechts als rechtmäßig.
Der Dritt- und Viertbeschwerdeführer führen mit ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen, welchen mit der gegenständlichen Entscheidung der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt wurde und ihnen damit eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet zukommt, ein schützenswertes Familienleben iSd Artikel 8, EMRK.
Weder der Drittbeschwerdeführer noch der Viertbeschwerdeführer haben Modul 1 des Integrationsgesetzes (IntG) erfüllt, jedoch gehen der Dritt- als auch der Viertbeschwerdeführer bereits seit Oktober 2019 selbstständigen Erwerbstätigkeiten nach und beziehen – abgesehen von der Unterkunft, da sie mit ihren übrigen Angehörigen im gemeinsamen Haushalt leben –keine Grundversorgungsleistungen mehr. Beide haben sich auch ehrenamtlich und gemeinnützig engagiert und sprechen und verstehen trotz fehlender schriftlicher Nachweise gut Deutsch.
Diesem Aspekt kommt zwar unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG 2014 ("Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren") Bedeutung zu. Dies hat schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung (bzw. Rückkehrentscheidung) führen kann (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).
Es wird vom erkennenden Gericht nicht verkannt, dass die einzelnen Umstände für sich genommen keine außergewöhnlichen Integrationsschritte darstellen, doch führt die Zusammenschau der dargestellten Umstände bei einem Aufbau mehrjähriger sozialer und beruflicher Bindungen bei einem über fünfjährigen durchgehenden Aufenthalt (wenngleich die konkrete Aufenthaltsdauer an sich nicht so stark ausgeprägt ist, dass sich bereits deswegen die Rückkehrentscheidung als unzulässig erweisen würde) und den maßgeblichen familiären Bindungen im Bundesgebiet zum Überwiegen der persönlichen Interessen des Dritt- und Viertbeschwerdeführers an einer Fortführung ihres Privat- und Familienlebens in Österreich.
Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen einer Interessenabwägung gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung hinsichtlich des Dritt- und Viertbeschwerdeführers zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das erkennende Gericht auf Dauer unzulässig ist.
Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private und familiäre Interesse an der – nicht nur vorübergehenden – Fortführung des Privat- und Familienlebens des Dritt- und Viertbeschwerdeführers in Österreich dennoch höher zu bewerten ist als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der bisherige Aufenthalt des Dritt- und Viertbeschwerdeführers auf einem einzigen Antrag auf internationalen Schutz beruhte und sie am Verfahren stets mitwirkten.
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid des Dritt- und Viertbeschwerdeführers verfügte Rückkehrentscheidung ist angesichts der vorliegenden persönlichen Bindungen unverhältnismäßig im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK. Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und Spruchpunkt römisch IV. der jeweils angefochtenen Bescheide des Dritt- und Viertbeschwerdeführers zu beheben. Entsprechend waren auch die auf der Rückkehrentscheidung aufbauenden Spruchpunkte römisch fünf. und römisch VI. zu beheben.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus" die Voraussetzungen nach Ziffer eins und Ziffer 2, des Paragraph 55, Absatz eins, AsylG kumulativ vorliegen müssen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist, sondern auch, ob der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz erfüllt.
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß Paragraph 9, IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß Paragraph 11, vorlegt (Ziffer eins,), (Ziffer 2, aufgehoben mit Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 41 aus 2019,), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des Paragraph 64, Absatz eins, Universitätsgesetz 2002, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 120 aus 2002,, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Ziffer 3,), einen Aufenthaltstitelt „Rot-Weiß-Rot Karte" gemäß Paragraph 41, Absatz eins, oder 2 NAG besitzt (Ziffer 4,) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung Künstler" gemäß Paragraph 43 a, NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer eins bis 3 Kunstförderungsgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 146 aus 1988,, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen (Ziffer 5,).
Paragraph 11, Absatz 2, Integrationsgesetz lautet:
„Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolgt ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.“
Die Übergangsbestimmung des Paragraph 81, Absatz 36, NAG lautet:
„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 14 a, in der Fassung vor dem Bundesgesetz Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017, vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017, erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.“
Das Bundesgesetz Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017, trat mit 01.10.2017 in Kraft.
Der Viertbeschwerdeführer verfügt nur über eine ÖSD-Sprachprüfung auf Niveau A1, der Drittbeschwerdeführer verfügt über überhaupt kein Sprachzertifikat. Auch haben beide bisher keine Integrationsprüfung absolviert. Beide erfüllen somit nicht Modul 1 der Integrationsvereinbarung.
Der Viertbeschwerdeführer übt zum Entscheidungszeitpunkt aber jedenfalls eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nach Paragraph 5, Absatz 2, ASVG erreicht wird. Demnach liegen beim Viertbeschwerdeführer die Voraussetzungen gemäß Paragraph 55, Absatz eins, Ziffer eins und Ziffer 2, zweiter Satz AsylG 2005 vor und war dem Viertbeschwerdeführer daher ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.
Der Drittbeschwerdeführer übt zum Entscheidungszeitpunkt zwar ebenfalls eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, jedoch konnte die Einkommenshöhe nicht festgestellt werden. Demnach liegen beim Drittbeschwerdeführer nur die Voraussetzungen des Paragraph 55, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 2, AsylG vor, sodass ihm ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen war.
Zu Spruchteil B.1. und B.2.): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Asyls, zur Überschreitung der Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK und zu Fragen des Artikel 8, EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese – soweit erforderlich – auch zitiert.
ECLI:AT:BVWG:2021:G308.2166021.2.00