Bundesverwaltungsgericht
08.07.2021
G307 2182250-1
G307 2182250-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch 40 , geboren am römisch 40 , StA.: Irak, vertreten durch 1. die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) Gesellschaft mbH in 1020 Wien sowie 2. den Verein QUEERBASE (ohne Zustellvollmacht) in 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2017, Zahl römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2021, zu Recht erkannt:
A)
römisch eins. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und römisch 40 , geboren am römisch 40 , gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 15, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
römisch III. In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 02.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005.
2. Am 03.02.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Salzburg die polizeiliche Erstbefragung des BF statt.
3. Am 04.12.2017 wurde der BF im Asylverfahren niederschriftlich durch ein Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), der Außenstelle Wien, zu seinen Fluchtgründen, der Fluchtroute und persönlichen Verhältnisses einvernommen.
4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, der damaligen Rechtsvertretung des BF, Migranten Verein St. Marx zugestellt am 12.12.2017, wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II.), dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.), gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.) und dem BF eine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
5. Mit per Telefax am 05.01.2018 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch seine damalige Rechtsvertretung Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die Beauftragung eines länderkundigen Sachverständigen sowie jeweils in eventu die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten, die Unzulässigerklärung einer Rückkehrentscheidung und Abschiebung des BF, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonderen Gründen sowie die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde beantragt.
6. Mit per E-Mail am 14.10.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz übermittelte der BF durch seine aktuelle Zweit-Rechtsvertretung, den Verein Queer Base (im Folgenden RV2), eine Beschwerdeergänzung.
7. Mit am 14.06.2021 beim BVwG eingebrachtem Schriftsatz gab die RV2 des BF eine Stellungnahme zu dessen Betreuung und Beratung hinsichtlich seiner sexuellen Orientierung ab.
8. Am 15.06.2021 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF sowie ein Vertreter seiner Erst-Rechtsvertretung, der BBU GmbH, (im Folgenden: RV1) persönlich teilnahmen und ein Dolmetsch der Sprache Arabisch beigezogen wurde.
9. Mit am 18.06.2021 beim BVwG eingebrachtem Schreiben gab der BF durch seine RV2 eine ergänzende Stellungnahme zur einschlägigen Lage im Herkunftsstaat ab.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist irakischer Staatsbürger, bekennt sich zum sunnitischen Islam und ist Angehöriger der Volksgruppe der Turkmenen. Seine Muttersprache ist Arabisch, er spricht auch Turkmenisch. Er ist ledig, kinderlos und arbeitsfähig.
2. Der BF wurde im Irak geboren, besuchte mehrere Jahre lang die Schule, lebte zuletzt gemeinsam mit seiner Mutter im Haus seines Onkels in Kirkuk und war als Bekleidungshändler erwerbstätig.
3. Der BF verließ den Irak im Juni 2015 in Richtung Türkei, wo er sich mehrere Monate lang aufhielt. Im Anschluss daran reiste er schlepperunterstützt über Griechenland und weitere europäische Länder nach Österreich, wo er am 02.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf Einräumung internationalen Schutzes stellte.
4. Bereits im Jahr 1997 reiste der BF erstmals aus dem Irak Richtung Türkei aus und hielt sich bis zu seiner Abschiebung in den Irak im Jahr 2012 in Europa, konkret in Belgien, Deutschland und den Niederlanden auf, wo er jeweils Asylanträge stellte.
5. Die Mutter sowie Onkel des BF leben nach wie vor im Irak, konkret im Großraum Kirkuk. Die Mutter des BF war bis zu ihrer Pension als Lehrerin im Irak tätig und lebt aktuell von ihrer Pension. Der Aufenthalt des Vaters des BF ist unbekannt. Die Familienangehörigen des BF gehören allesamt der Volksgruppe der Turkmenen an.
6. Der BF geht keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nach, sondern lebt überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
7. Der BF leidet an einer depressiven Episode, psychossozialen Belastung, Gonarthralgie beidseitig sowie Lumbalgie und befindet sich in psychotherapeutischer sowie psychiatrischer Behandlung.
8. Der BF war aufgrund seiner psychsichen Erkrankung nicht in der Lage, Deutschkurse zu besuchen bzw. Deutschprüfungen abzulegen.
9. Der BF ist homosexuell und wurde ihm dieser Umstand bereits im Alter von 17 Jahren bewusst. Er hat seine Neigung im Irak jedoch nicht ausleben können. Zwischen 1997 und 2012, während seines Aufenthaltes in Europa, hat er seine Sexualität erstmals ausgelebt und macht dies auch seit seinem Aufenthalt in Österreich, wobei es ihm aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen aber schwer fällt, eine Beziheung einzugehen. Der BF ist auf einschlägigen sozialen Medien und Plattformen sowie in der LGBTQ-Szene aktiv und wird vom Unterstützungsverein „ römisch 40 “ seit Juli 2019 betreut. Die Familie des BF weiß von seiner sexuellen Orientierung nichts und konnte nicht festgestellt werden, dass die Homosexualität des BF im Irak bekannt gewesen bzw. inzwischen bekannt ist.
Der BF unterliegt bei einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr, aufgrund seiner Homosexualität bedroht oder verfolgt zu werden.
Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass der BF allein aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine Verfolgung im Herkunftsstaat unterliegt.
10. Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom BVwG in der mündlichen Verhandlung übergebenen Länderinformationen, nämlich das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 17.03.2020, sowie eine Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation „Homosexuelle; strafgerichtliche Verfolgung; Übergriffe nicht staatlicher Akteue“ vom 08.04.2021 zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben:
Aus dem Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 17.03.2020 ergibt sich auszugsweise:
„[…] 1. Politische Lage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vergleiche GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafazāt) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vergleiche RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vergleiche GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vergleiche ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vergleiche Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
1.1 Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 17.3.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
[Grafik gelöscht, Anm]
Quellen:
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
1.2 Kurdische Region im Irak (KRI) / Autonome Region Kurdistan
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Kurdische Region im Irak (KRI) wird in der irakischen Verfassung, in Artikel 121, Absatz 5 anerkannt (Rudaw 20.11.2019). Die KRI besteht aus den Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah. sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde. Verwaltet wird die KRI durch die kurdische Regionalregierung (KRG) (GIZ 1.2020a).
Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab dem 25.9.2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (AA 12.1.2019). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (GIZ 1.2020a).
Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI (AA 12.1.2019).
Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird (France24 22.2.2020; vergleiche KAS 2.5.2018). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2020a). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018; vergleiche WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien (KAS 2.5.2018).
Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2020a) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).
Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen (France24 22.2.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CRS - Congressional Research Service (3.2.2020): Iraq and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/mideast/IF10404.pdf, Zugriff 13.3.2020
- France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191, Zugriff 13.3.2020
- WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq, https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-of-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq, Zugriff 13.3.2020
2. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vergleiche AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vergleiche Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vergleiche Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.1 Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vergleiche Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vergleiche BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vergleiche UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vergleiche USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vergleiche ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vergleiche ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche NINA 17.1.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020
- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020
- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.2 Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad Anmerkung, ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).
[Grafik gelöscht, Anm]
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).
[Grafik gelöscht, Anm]
Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).
[Grafik gelöscht, Anm]
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
2.3 Sicherheitslage Bagdad
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vergleiche Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel 11.1.1 Protestbewegung entnommen werden.]
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
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- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
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2.4 Sicherheitslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
In Erbil bzw. Sulaymaniyah und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings kommt es immer wieder zu militärischen Zusammenstößen, in die auch kurdische Streitkräfte (Peshmerga) verwickelt sind, weshalb sich die Lage jederzeit ändern kann. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 19.2.2020).
Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaymaniyah attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Kurdischen Region im Irak (KRI)] bemannt war. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurde in Sulaymaniyah ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019). Im November 2019 wurde ein weiterer Angriff im Gouvernement Sulaymaniyah verzeichnet. Der Vorfall ereignete sich im südlichen Sulaymaniyah, an der Grenze zu Diyala. Asayesh-Einheiten, die einen Mörserbeschuss untersuchten, wurden von Heckenschützen beschossen. Drei Personen, darunter ein Kommandant, starben, acht Personen, fünf Asayesh und drei Zivilisten wurden verletzt (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Ekurd 30.11.2019).
Im Gouvernement Erbil wurde im Jänner 2020 ein sicherheitsrelevanter Vorfall ohne Opfer verzeichnet. Als Vergeltung für die Tötung des iranischen Generalmajors Qassem Soleimani und des stellvertretenden Leiters der Volksmobilisierungskräfte (PMF)-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis durch die USA feuerte der Iran Raketen auf die US-Militärbasis nahe dem Internationalen Flughafen Erbil ab (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche Al Monitor 8.1.2020). Im Februar 2020 wurden drei Vorfälle mit sieben Verletzten im südlichen Distrikt Makhmour verzeichnet. Dabei handelte es sich um einen Raketenangriff pro-iranischer PMF auf einen US-Militärstützpunkt (Joel Wing 5.3.2020), um die Detonation zweier IEDs in einem Dorf mit sechs Verletzten (Joel Wing 5.3.2020; vergleiche BasNews 26.2.2020) und um einen Angriff des IS auf ein IDP Lager, mit einem verletzten Zivilisten (Joel Wing 5.3.2020; vergleiche BasNews 2.2.2020).
Seit dem Abbruch des Friedensprozesses zwischen der Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Jahr 2015 kommt es regelmäßig zu türkischen Militäroperationen und Bombardements gegen Stellungen von PKK-Kämpfern in Qandil und in den irakischen Grenzgebieten (Kurdistan24 8.11.2019). Im Kreuzfeuer solcher Angriffe werden immer wieder kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum von den Kämpfen bedroht und bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vergleiche Kurdistan24 8.11.2019)
Am 27.5.2019 initiierte die türkische Armee die „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vergleiche Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12.7.2019 und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und anderen Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Ende August 2019 begann die dritte Phase, die sich wiederum gegen die PKK im Gouvernement Dohuk richtete. Betroffen waren vor allem grenznahe Orte, Regionen und Subdistrikte wie Zab, Sinat-Haftanin, Batifa und Avashin (Kurdistan24 8.11.2019).
Am 10. und 11.7.2019 bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaymaniyah, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overview-middle-east-4-september-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middle-east-17-july-2019/, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (8.1.2020): Did Iran missiles carry message for Kurds?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/01/iraq-iran-us-kurds-erbil-soleimani.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html, Zugriff 13.3.2020
- Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/1530592, Zugriff 13.3.2020
- BasNews (26.2.2020): Twin Bomb Blasts Injure Six People near Makhmour, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/584601, Zugriff 13.3.2020
- BasNews (2.2.2020): IS Raids Makhmour Refugee Camp, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/578773, Zugriff 13.3.2020
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (6.3.2020): Irak (Republik Irak), Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/, Zugriff 13.3.2020
- Ekurd Daily (30.11.2019): Islamic State attack kills three security Asayish members in Iraqi Kurdistan, https://ekurd.net/islamic-state-attack-kills-2019-11-30, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
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- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (8.11.2019): Turkey intensifies operations in Kurdistan, northern Iraq, https://www.kurdistan24.net/en/news/83346a10-2d59-494a-ab13-ed1954960996, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan – Tasnim, https://www.reuters.com/article/us-iran-iraq-security/iran-strikes-opposition-positions-on-border-with-iraqi-kurdistan-tasnim-idUSKCN1U71E7, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/130720191, Zugriff 13.3.2020
2.5 Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).
In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).
Gouvernement Ninewa
Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).
Gouvernement Diyala
Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vergleiche Joel Wing 9.9.2019) und ist weiterhin ein Kerngebiet des IS (Joel Wing 3.2.2020). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den schwer zugänglichen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.12.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019).
Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala (Joel Wing 5.8.2019), aus denen er einerseits Zivilisten vertreibt, um dort Basen zu errichten, und wo er anderseits wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte angreift (Joel Wing 9.9.2019). So häufen sich Berichte über zunehmende Vertreibung von Zivilisten aus ländlichen Gebieten, beispielsweise aus den Bezirken Khanaqin und Jalawla, wegen der Bedrohung durch den IS und dem Unvermögen der Sicherheitskräfte (Irakische Armee/ISF und PMF) für deren Sicherheit zu sorgen (Joel Wing 25.11.2019; vergleiche Rudaw 3.12.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betrafen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gab es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Ende 2019 und Anfang 2020 hat der IS seinen Aktionsschwerpunkt verschoben. Während sich bisher die meisten Vorfälle im Distrikt Khanaqin, rund um die Städte Khanaqin und Jalawla, ereigneten, verlegte der IS seinen Fokus zunehmend auf das Zentrum des Gouvernements, insbesondere auf den Distrikt Muqdadiya (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche Joel Wing 3.2.2020), sowie auch in die westlichen Gebiete Diyalas. Diese Verlagerung wird im Zusammenhang mit einer Kampagne der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in Khanaqin gesehen. Damit zeigt der IS aber auch, dass er die Kapazität hat im gesamten Gouvernement aktiv zu werden (Joel Wing 3.2.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Diyala 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Toten und 93 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Febraur 2020 waren es 24 Vorfälle mit 16 Toten und 27 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).
Gouvernement Salah ad-Din
Im Gouvernement Salah ad-Din ist der IS hauptsächlich in ländlichen Regionen aktiv. Im Dezember 2019 setzte der IS erstmals seit Mai 2019 wieder Autobomben ein (Joel Wing 6.1.2020). Drei derartige Attacken trafen Sicherheitskräfte der PMF (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche Rudaw 12.12.2019; Anadolu 13.12.2019), zusätzlich zu einem Vorfall mit einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste (Joel Wing 6.1.2020; vergleiche NINA 29.12.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 27 Toten und 42 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es sechs Vorfälle mit zehn Toten und vier Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für zwei Vorfälle im Jänner 2020 - ein Raketen-, bzw. ein Mörserbeschuss auf den Militärstützpunkt Balad - pro-iranische PMF verantwortlich gemacht (Joel Wing 3.2.2020).
Gouvernement Kirkuk
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück (Joel Wing 5.8.2019). Da der Süden Kirkuks nicht vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, kommt es insbesondere in dieser Region regelmäßig zu Angriffen (Joel Wing 3.2.2020). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements Kirkuk konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019). Im Dezember 2019 hat der IS einen falschen Kontrollpunkt entlang der Straße von Tikrit nach Kirkuk eingerichtet, an dem er sechs Zivilisten hinrichtete (Joel Wing 6.1.2020). Neun der 13 Vorfälle im Jänner 2020 ereigneten sich im Süden, wo der IS im Gouvernement seine Basis hat (Joel Wing 3.2.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Kirkuk 39 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 41 Toten und 60 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vergleiche Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es acht Vorfälle mit sieben Toten und zwölf Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für je einen Vorfall im Jänner und Februar 2020 pro-iranische PMF verantwortlich gemacht (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche Joel Wing 5.3.2020).
Gouvernement Anbar
Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum und Schwerpunkt der IS-Aktivitäten, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019; vergleiche Joel Wing 3.2.2020). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat bis Mitte 2019 stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019) und ab Mitte 2019 hat sich Anbar zu einem sekundären Schauplatz entwickelt, mit einem Rückgang der Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im einstelligen Bereich (Joel Wing 3.2.2020).
Im November 2019 gab es im Gouvernement Anbar keine sicherheitsrelevanten Vorfälle. Im Dezember 2019 waren es fünf Vorfälle mit zwölf Toten und zwei Verletzten (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 war Anbar mit einer Steigerung von fünf Vorfällen im Dezember 2019 auf sieben im Jänner 2020, mit acht Toten und 76 Verletzten das einzige Gouvernement mit einer Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit einer Steigerung von fünf Vorfällen. Zu diesen Vorfällen zählen der iranische Raketenangriff auf die Militärbasis Ain Al-Assad, bei dem 64 amerikanische Soldaten verwundet wurden, ein Angriff mit einer Autobombe (VBIED) gegen einen Armeekonvoi, Entführungen und Angriffe mit Schusswaffen (Joel Wing 3.2.2020; vergleiche BasNews 16.1.2020). Im Februar 2020 waren es fünf Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).
Quellen:
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- BasNews (16.1.2020): Car Bomb Hits Iraqi Army Convoy, Kills Two, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/574768, Zugriff 13.3.2020
- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
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- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 13.3.2020
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- Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories, https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (29.12.2019): An Officer and /3 / fighters were wounded by a suicide bombing, west of Tharthar Valley, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=804671, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (12.12.2019): ISIS militants kill 11 PMF in Saladin attack: security officials, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/121220193, Zugriff 13.3.2020
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- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 13.3.2020
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2.6 Sicherheitslage Südirak
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich des Gouvernements Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen, bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018)
Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019). Im November 2019 gab es im Gouvernement Babil zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten (Joel Wing 2.12.2019), im Dezember 2019 drei Vorfälle mit drei Verletzten (Joel Wing 6.1.2020) und im Februar 2020 zwei Vorfälle mit einem Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).
Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, mit Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements des Zentral- aber auch Südiraks (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiyah, Dhi Qar,Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vergleiche Joel Wing 3.10.2019).
[Anm.: Weiterführende Informationen können dem Kapitel 11.1.1 Protestbewegung entnommen werden.]
Quellen:
- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l‘Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 13.3.2020
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).
Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vergleiche AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).
Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).
Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vergleiche AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).
Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vergleiche HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020).
Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem IS anzugehören, sowie jene anderer Häftlinge (HRW 14.1.2020). Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausernder sunnitischer Moslems, denen eine IS-Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98% (USCIRF 4.2019). Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (FH 4.3.2020; vergleiche CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 11.3.2020). Anwälte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, sind gefährdet durch Sicherheitskräfte bedroht oder sogar verhaftet zu werden (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020).
Laut einer Studie über Entscheidungen von Berufungsgerichten in Fällen mit Bezug zum Terrorismus, haben erstinstanzliche Richter Foltervorwürfe ignoriert, auch wenn diese durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet wurden und die erzwungenen Geständnisse durch keine anderen Beweise belegbar waren (HRW 25.9.2019; vergleiche HRW 14.1.2020). Für das Anti-Terror-Gericht in Ninewa beobachtete HRW im Jahr 2019 eine Verbesserung bei den Gerichtsverhandlungen. So verlangten Richter einen höheren Beweisstandard für die Inhaftierung und Verfolgung von Verdächtigen, um die Abhängigkeit des Gerichts von Geständnissen, fehlerhaften Fahndungslisten und unbegründeten Anschuldigungen zu minimieren (HRW 14.1.2020).
Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).
Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/SharedDocuments/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.12.2019
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (25.9.2019): Iraq: Appeals Courts Ignoring Torture Claims, https://www.ecoi.net/de/dokument/2017141.html, Zugriff 13.3.2020
- LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 13.3.2020
- TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
3.1 Rechtsschutz / Justizwesen in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Auch die Lage in der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet (AA 12.1.2019). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der kurdischen Regionalregierung (KRG), die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Beamte der KRI berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen, und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRI (IHRCKR) bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnungen ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der KRI (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
4. Sicherheitskräfte und Milizen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische. Stattdessen wurde ein politisch neutrales Militär vorgesehen (Fanack 2.9.2019).
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) (USDOS 11.3.2020). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019).
Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vergleiche GS 18.7.2019).
Quellen:
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
4.1 Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).
Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
4.2 Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vergleiche FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vergleiche FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).
Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vergleiche Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).
Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).
Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vergleiche FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).
Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).
In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).
Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vergleiche TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vergleiche GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).
Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).
Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vergleiche USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).
Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).
Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).
Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).
Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018). Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (FPRI 19.8.2019).
Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hezbollah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und bis zu seinem Tode 2019 auch angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist (Süß 21.8.2017). Kata’ib Hizbullah bilden die 45. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018). Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von mindestens 400 bis zu 30.000 Mann (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center). Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017). Ihr Anführer Jamal Jaafar Ibrahimi alias Abu Mahdi al Muhandis war auch stellvertretender Leiter der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission (Al-Tamini 31.10.2017).
Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center 27.4.2018).
Die Harakat Hezbollah al Nujaba (HHN, Bewegung der Partei der Edlen Gottes) ist ein Ableger von Kata’ib Hizbullah und Asa‘ib Ahl al-Haqq, die 2013 zur Unterstützung des Assad Regimes in Syrien von Sheikh Akram al Ka‘abi gegründet wurde. Die pro-iranische HHN hat eigenen Angaben zufolge etwa 9.000 Kämpfer, von denen einige nach wie vor in Syrien aktiv sind. Sie stellt die 12. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017).
Die Kata‘ib Sayyid al Shuhada (KSS, Meister der Märtyrerbrigade), ist eine Miliz, die im Mai 2013 gegründet wurde, um an der Seite des Assad-Regimes in Syrien zu kämpfen. Nach dem Aufstieg des IS im Jahr 2014 dehnte die KSS ihre Operationen auf den Irak aus und war insbesondere im Gouvernement Salah ad-Din, aber auch in Anbar und Ninewa aktiv. Geschätzt auf über 2.000 Kämpfer im Jahr 2017, wird die KSS von den Iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutionary Guards Corps, IRGC) unterstützt und finanziert (Wilson Center 27.4.2018). Sie stellt die 14. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vergleiche Al-Tamini 31.10.2017).
Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus anti-iranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).
Auch die Kata’ib al-Imam Ali (KIA, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden (Süß 21.8.2017; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Sie ist den PMF als 40. Brigade beigetreten (Wilson Center 27.4.2018). Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi stand in engem Kontakt zu Muhandis (bis zu dessen Tod) und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azra‘el erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017). Kata’ib al-Imam Ali hat im Dezember 2014 die kleine syriakische Anmerkung, aramäisch- assyrisch) Christenmiliz Kata‘ib Roh Allah Issa Ibn Miriam (Die Brigade vom Geist Gottes, Jesus, Sohn der Maria) gegründet und ausgebildet (Wilson Center 27.4.2018).
Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF
Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).
Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).
Einige PMF haben sich Einkommensquellen erschlossen, die sie nicht aufgeben wollen, darunter Raub, Erpressung und Altmetallbergung (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass die PMF einen Teil der lokalen Wirtschaft in Ninewa kontollieren, was von diesen zurückgewiesen wird (Reuters 29.8.2019). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distrikt-Vorsteher und andere Amtsträger auszuüben (ACCORD 11.12.2019). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mossul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).
Neben der Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.aymennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index, Zugriff 13.3.2020
- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-06/PB_Power_in_perspective.pdf, Zugriff 13.3.2020
- DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 13.3.2020
- FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm, Zugriff 13.3.2020
- MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis's killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hashd-al-shaabi-after-muhandis-killing, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail
- Reuters (29.8.2019): Baghdad's crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.reuters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance-idUSKCN1VJ0GS, Zugriff 13.3.2020
- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.3.2020
- TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integration/, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
4.3 Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga) und Nachrichtendienste
Letzte Änderung: 17.3.2020
Nach der irakischen Verfassung hat die Kurdische Region im Irak (KRI) das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte zu unterhalten (USDOS 11.3.2020). Die kurdischen Sicherheitskräfte (Peshmerga) unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung (KRG) und sind bislang nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Sie bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch, voneinander getrennt, den beiden großen Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), in ihren jeweiligen Einflussgebieten (AA 12.1.2019). Die Peshmerga sind eine komplexe und vielschichtige Kraft, ihre Loyalität ist geteilt zwischen dem irakischen Staat, der KRI, verschiedenen politischen Parteien und mächtigen Persönlichkeiten. Zu verschiedenen Zeitpunkten, manchmal auch gleichzeitig, können die Peshmerga als nationale Sicherheitskräfte, regionale Sicherheitskräfte, Partei-Kräfte und persönliche Sicherheitskräfte bezeichnet werden (Clingendael 3.2018).
Im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) hatten die Peshmerga über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der KRI hinaus Gebiete befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 12.1.2019).
Per Gesetz von 2009 wurde die Umwandlung der Peshmerga von Parteimilizen in eine reguläre Streitmacht beschlossen und 14 Regional Guard Brigades (RGBs) gebildet, die dem neu gegründeten Ministerium für Peshmerga-Angelegenheiten unterstehen (CMEC 16.12.2015; vergleiche GPPi 3.2018). Daneben existieren nach wie vor Peshmerga-Einheiten mit Mannschaftsstärken von mehreren Zehntausend, die direkt von den Parteien kontrolliert werden: die 70er Brigade, die der PUK untersteht und die 80er Brigade, die von der KDP befehligt wird (GPPi 3.2018; vergleiche Rudaw 31.7.2018). Es gibt Schritte und Pläne zur Vereinigung und Eingliederung der Truppen der 70er und 80er Peshmerga-Brigaden in das Peshmerga-Ministerium. Auch wurde über eine Vereinigung der Peshmerga und der ISF gesprochen, bzw. über die Koordination der beiden gegen den gemeinsamen Feind, den IS (Rudaw 20.11.2019). Die Peshmerga-Streitkräfte haben auch eine Reihe von Minderheitseinheiten und -brigaden in ihre Reihen aufgenommen, darunter Schabak, Kaka‘i, Jesiden, Christen, Chaldäer und Assyrer. Sie berichten in der Regel an das Ministerium für Peshmerga-Angelegenheiten und wirken innerhalb der KDP Strukturen (GPPi 3.2018)
KDP und PUK unterhalten getrennte Sicherheits- und Nachrichtendienste, einerseits Asayish und Parastin (KDP), und andererseits Asayish und Zanyari (PUK), die nominell dem Innenministerium der KRI unterstehen (USDOS 11.3.2020; vergleiche GPPI 3.2018).
Die Sicherheitsdienste der KRI halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige fest. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen den kurdischen Gouvernements sowie dem (nicht-kurdischen) Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CMEC - Carnegie Middle East Center (16.12.2015): Kurdistan's Political Armies: The Challenge of Unifying the Peshmerga Forces, https://carnegieendowment.org/files/ACMR_WilgenburgFumerton_Kurdistan_English_final.pdf, Zugriff 13.3.2020
- GPPi - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL, Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Gaston_Derzsi-Horvath_2018_Iraq_After_ISIL.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Clingendael – Netherlands Institute of International Relations (3.2018): Fighting for Kurdistan? Assessing the nature and functions of the Peshmerga in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-03/fighting-for-kurdistan.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (31.7.2018): Peshmerga ministry reforms launched to reunify PUK, KDP forces, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/310720181, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte (AA 12.1.2019), oder auch um Geständnisse zu erzwingen (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020; AI 10.4.2019) und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren (USDOS 11.3.2020) auch für die Vollstreckung von Todesurteilen (AI 10.4.2019). Laut Informationen von UNAMI sollen u.a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören (AA 12.1.2019). Ehemalige Häftlinge berichten auch über Todesfälle aufgrund von Folter (AI 26.2.2019). Auch Minderjährige werden Folter unterzogen, um Geständnisse zu erpressen (HRW 6.3.2019).
Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den Volksmobilisierungskräften (PMF) verbundenen Milizen und Asayish, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung (KRG). Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 11.3.2020). Eine Studie zu Berufungsgerichtsentscheidungen zeigt, dass Richter bei fast zwei Dutzend Fällen aus den Jahren 2018 und 2019 Foltervorwürfe ignorierten und auf Grundlage von Geständnissen ohne weitere Beweise Schuldsprüche erließen. Einige dieser Foltervorwürfe waren durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet. Die Berufungsgerichte sprachen die Angeklagten in jedem dieser Fälle frei (HRW 14.1.2020). Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.1.2019).
Trotz der Zusage des damaligen Premierministers Haidar Abadi im September 2017, den Vorwürfen von Folter und außergerichtlichen Tötungen nachzugehen, haben die Behörden im Jahr 2019 keine Schritte unternommen, um diese Missstände zu untersuchen (HRW 14.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): Iraq: ISIS Child Suspects Arbitrarily Arrested, Tortured, https://www.hrw.org/news/2019/03/06/iraq-isis-child-suspects-arbitrarily-arrested-tortured, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
5.1 Folter und unmenschliche Behandlung in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der Kurdischen Region im Irak (KRI), der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Parastin der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Zanyari der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) stattfinden (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der Asayish in der KRI zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 12.1.2019).
Es gibt Berichte, dass Sicherheitskräfte der KRI verschiedene Formen des Missbrauchs, einschließlich Schlägen anwenden, auch gegen Jugendliche und Frauen mit IS-Verbindungen (USDOS 11.3.2020). Einige in der KRI inhaftierte Minderjährige sagten aus, dass Richter die von ihnen vorgebrachten Vorwürfe von durch Folter gewonnenen Geständnissen ignoriert hätten (HRW 6.3.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): Iraq: ISIS Child Suspects Arbitrarily Arrested, Tortured, https://www.hrw.org/news/2019/03/06/iraq-isis-child-suspects-arbitrarily-arrested-tortured, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
6. Korruption
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um. Im Laufe des Jahres 2018 gab es zahlreiche Berichte über staatliche Korruption. Beamte waren häufig ungestraft in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Erwägungen hinsichtlich Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beeinflussen Regierungsentscheidungen auf allen Ebenen maßgeblich. Bestechung, Geldwäsche, Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder sind üblich. Obwohl Antikorruptionsinstitutionen zunehmend mit zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiten, ist die Wirkung der erweiterten Zusammenarbeit begrenzt. Medien und NGOs versuchen Korruption unabhängig aufzudecken, obwohl ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 11.3.2020). Korruption war einer der Auslöser für die Massenproteste am 1.10.2019 im Süd- und Zentralirak, inklusive Bagdad (UNAMI 10.2019).
Auf dem Corruption Perceptions Index 2020 von Transparency International wird der Irak mit 20 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 3.2020).
Quellen:
- TI - Transparency International (3.2020): Iraq, https://www.transparency.org/country/IRQ, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019); Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 17.3.2020
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müssen sich registrieren (FH 4.3.2020). Mit Stand September 2019 waren laut der irakischen Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 4.365 NGOs registriert (USDOS 11.3.2020). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 im Jahr 2018 (USDOS 13.3.2019). In der KRI sind die Registrierungen jährlich zu erneuern (FH 4.3.2020).
Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 26.6.2019). NGOs, die nur in Bagdad registriert waren, konnten nicht in der KRI tätig werden, und vice versa (USDOS 11.3.2020).
Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 368 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden „Besuchen“ durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die KRI, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.1.2019).
Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren untersuchen. In Basra im Südirak wurden Berichten zufolge mehrere Menschenrechtsvertreter willkürlich festgenommen und gezwungen Dokumente ihnen unbekannten Inhalts zu unterzeichnen, bevor sie wieder freigelassen wurden(USDOS 11.3.2020). Ende 2019 gibt es im Zuge der Protestbewegung auch Berichte über Entführungen und Ermordnungen von regierungskritischen Aktivisten (FH 4.3.2020). Die KRI verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (26.6.2019): Civic Freedom Monitor: Iraq, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
8. Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.1.2019; vergleiche CIA 21.8.2019). Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft (BasNews 7.8.2019). Juden sind per Gesetz vom Militärdienst ausgeschlossen (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung und das irakische Parlament planen, die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu prüfen. Hierbei wird auch die Möglichkeit erwogen, anstelle des Militärdienstes eine Ersatzzahlung leisten zu können (BasNews 7.8.2019).
Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Armee hat kaum die Kapazitäten, um gegen Desertion von niederen Rängen vorzugehen. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen es zur Verfolgung von Deserteuren gekommen wäre (DIS/Landinfo 5.11.2018). Im Jahr 2014 entließ das Verteidigungsministerium Tausende Soldaten, die während der IS-Invasion im Nordirak ihre Posten verlassen haben und geflohen sind. Im November 2019 wurden, mit der behördlichen Anordnungen alle entlassenen Soldaten wieder zu verpflichten, über 45.000 wieder in Dienst gestellt (MEMO 6.11.2019).
Die Rekrutierung in die Volksmobilisierungskräfte (PMF) erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis. Viele schließen sich den PMF aus wirtschaftlichen Gründen an. Desertion von den PMF kam in den Jahren 2014 bis 2015 seltener vor als bei der irakischen Armee. Desertion von Kämpfern niederer Ränge hätte wahrscheinlich keine Konsequenzen oder Vergeltungsmaßnahmen zur Folge (DIS/Landinfo 5.11.2018).
Auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI) herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016). Rekruten für die Peshmerga unterzeichnen einen Vertrag für eine bestimmte Dienstzeit, nach dessen Ablauf die Person freiwillig gehen kann (EASO 3.2019).
Die Strafe für Desertion von den Peshmerga kann, je nach den Umständen, von der Auflösung des Vertrages bis zur Verurteilung zum Tode reichen. Für letzteres gibt es jedoch keine Berichte (DIS 12.4.2016; vergleiche EASO 3.2019). Wenn ein Peshmerga von der Frontlinie desertiert, wird er vor ein Militärgericht gestellt und kann nach irakischem Militärrecht zum Tode verurteilt werden. Einige Peshmerga-Soldaten verlassen die Streitkräfte, weil sie keinen Sold erhalten. Bislang wurden jedoch keine Fälle von Desertion durch die Peshmerga-Truppen vor Gericht gebracht (DIS 12.4.2016).
Es gibt Vorwürfe der Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), der Shingal Protection Units (YBS) und von PMF-Milizen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BasNews (7.8.2019): Iraq to Consider Compulsory Military Service: MP, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/538607, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DIS - Danish Immigration Service (12.4.2016): The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015, https://www.ecoi.net/en/file/local/1302021/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf, Zugriff 13.3.2020
- DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Targeting of Individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003960/Iraq_targeting_of_individuals.pdf, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (6.11.2019): Iraq announces return of over 45,000 people to military service, https://www.middleeastmonitor.com/20191106-iraq-announces-return-of-over-45000-people-to-military-service/, Zugriff 13.3.2020
- MoD - Republic of Iraq, Ministry of Defense (10.2007): Military Penal Code No. 19 of 2007, https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=9C60EDC34C397A53C1257C080040F111&action=openDocument&xp_countrySelected=IQ&xp_topicSelected=GVAL-992BUA&from=state, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
9. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).
Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).
Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Es wird berichtet, dass tausende Männer und Buben, die aus Gebieten unter IS-Herrschaft geflohen sind, von zentral-irakischen und kurdischen Kräften willkürlich verhaftet wurden und nach wie vor als vermisst gelten. Sicherheitskräfte einschließlich PMFs haben Personen mit angeblichen IS-Beziehungen auch in Lagern inhaftiert und gewaltsam verschwinden lassen (AI 26.2.2019).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).
Im Zuge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste haben Sicherheitskräfte unter anderem scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und hunderte Menschen getötet (HRW 31.1.2020).
Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (31.1.2020): Iraq: Authorities Violently Remove Protesters, https://www.ecoi.net/en/document/2023934.htm, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
9.1 Allgemeine Menschenrechtslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Es gibt zwar eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, sie beschränkt sich aber eher auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung gewährleisten (AA 12.1.2019). Der „Hohe Ausschuss für die Bewertung und Reaktion auf internationale Berichte“ überprüfte in der Kurdischen Region im Irak (KRI) Anschuldigungen von Misshandlungen durch die Peshmerga, insbesondere gegen IDPs, und entschuldigte sie in öffentlichen Berichten und Kommentaren (USDOS 13.3.2019). Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich der Peshmerga und der PMF (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
10. Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt (AA 12.1.2019), Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 11.3.2020).
Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.1.2019). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 11.3.2020). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 4.2.2018).
Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 11.3.2020). Das „Gesetz zum Schutz von Journalisten“ von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.1.2019).
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 12.1.2019). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2019 auf Platz 156 von 180 (RSF 2020).
Journalisten sind häufig Opfer von bewaffneten Angriffen, Verhaftungen oder Einschüchterungen durch regierungsnahe Milizen und Sicherheitskräfte in allen Teilen des Landes. Morde an Journalisten bleiben ungestraft (RSF 2020). So wurden etwa auch im Zuge der am 1.10.2019 begonnenen Massenproteste im Südirak und Bagdad Journalisten durch willkürliche Verhaftungen, Belästigungen, Drohungen und die widerrechtliche Beschlagnahme von Equipment daran gehindert über die Demonstrationen zu berichten (UNAMI 10.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Neun Journalisten gelten seit 2014 nach wie vor als vermisst. Zwei Journalisten wurden 2019 getötet (CPJ 2020). Zwei Journalisten, die in Basra über die Proteste berichteten, wurden am 10.1.2020 erschossen (CPJ 10.1.2020). Seit Mitte Oktober verließen die meisten internationalen Medien und viele lokale Journalisten Bagdad in Richtung Erbil und andere Oerte in der Kurdischen Region im Irak (KRI), nachdem berichtet wurde, dass die Sicherheitskräfte eine Liste von Journalisten und Aktivisten in Umlauf brachten, die verhaftet und eingeschüchtert werden sollten (USDOS 11.3.2020).
Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des „Committee to Protect Journalists“ zudem den weltweit drittletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 25 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.1.2019).
Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 4.3.2020). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CPJ - Committee to Protect Journalists (10.1.2020): Gunmen open fire on car, kill 2 Dijlah TV journalists at Iraq protest, https://cpj.org/2020/01/dijlah-tv-journalists-killed-protest-basra.php, Zugriff 13.3.2020
- CPJ - Committee to Protect Journalists (2020): Iraq / Middle East & North Africa, Journalists attacked in Iraq since 1992, https://cpj.org/mideast/iraq/, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- RSF - Reporters sans frontiers (2020): Iraq, Still dangerous for journalists, https://rsf.org/en/iraq, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
10.1 Internet und soziale Medien
Letzte Änderung: 17.3.2020
Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 11.3.2020).
Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 4.3.2020). Trotz Einschränkungen nutzen politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung räumt ein in manchen Gebieten den Internetzugang beschränkt zu haben, angeblich aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der Nutzung von Social Media Plattformen durch den IS (USDOS 11.3.2020). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.1.2019).
Im Zuge der am 1.10.2019 begonnen Massenproteste hat die Regierung wiederholt das Internet gedrosselt, um zu verhindern, dass Fotos und Videos der Proteste hochgeladen und ausgetauscht werden (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020), und blockierte Messaging-Apps. Einige Iraker wurden verhaftet, weil sie mit Facebook-Nachrichten ihre Unterstützung für die Proteste zum Ausdruck gebracht hatten (HRW 14.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
10.2 Meinungs- und Pressefreiheit in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
Politische Meinungsäußerung kann in der Kurdischen Region im Irak (KRI) auch willkürliche Verhaftung oder andere Repressalien von staatlicher Seite auslösen. Laut Medienbeobachtern wurden 2019 über 200 Fälle von Drohungen, Schikanen und rechtlichen Schritten gegen Journalisten, die in der KRI tätig sind, bekannt (FH 4.3.2020). Es gibt zahlreiche Berichte über Verletzungen der Pressefreiheit in der KRI, rechtswidrige Inhaftierung sowie die Einschüchterung durch körperliche Gewalt und Folter. In manchen Fällen trugen die Angreifer Militär- oder Polizeiuniformen. Einige Gerichte in der KRI wandten bei Klagen gegen Journalisten das strengere irakische Strafgesetzbuch an, anstatt das kurdische Journalismusgesetz anzuwenden, das einen größeren Schutz der Meinungsfreiheit bietet (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
11. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
11.1 Versammlungsfreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration „nach den Regeln des Gesetzes“ vor (USDOS 11.3.2020; vergleiche FH 4.3.2020). Entsprechend einfach gesetzlichen Bestimmungen fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende „Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit“ eingeschränkt, das u.a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.1.2019).
Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, der Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 11.3.2020).
Demonstranten sind häufig der Gefahr von Gewalt oder Verhaftung ausgesetzt (FH 4.3.2020). Als die Demonstrationen ab Oktober 2019 eskalierten, versäumten es die Behörden, die Demonstranten vor Gewalt zu schützen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
11.1.1 Protestbewegung
Letzte Änderung: 17.3.2020
Seit 2014 gibt es eine Protestbewegung, in der zumeist junge Leute in Scharen auf die Straße strömen, um bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus zu fordern (WZ 9.10.2018).
So kam es bereits 2018 im Südirak zu weitreichenden Protesten in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Ebenso kam es im Jahr 2019 zu Protesten, wobei pro-iranische Volksmobilisierungskräfte (PMF) beschuldigt wurden, sich an der Unterdrückung der Proteste beteiligt und Demonstranten sowie Menschenrechtsaktivisten angegriffen zu haben (Diyaruna 7.8.2019; vergleiche Al Jazeera 25.10.2019).
Seit dem 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vergleiche Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vergleiche BBC 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019).
Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma (Carnegie 14.11.2019; vergleiche ICG 10.10.2019), sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala (RFE/RL 4.11.2019) und Najaf (RFE/RL 1.12.2019).
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweiig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus (AI 18.2.2020; vergleiche Al Jazeera 5.10.2019; ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und implementierten zeitweilige Internetblockaden (UNAMI 10.2019; vergleiche AI 18.2.2020; USDOS 11.3.2020).
Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden (AAA 28.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020), darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden (AAA 28.12.2019). Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste (AI 23.1.2020).
Quellen:
- AAA - Asharq Al-Awsat (28.12.2019): Iraq: Human Rights Commission Says 490 Protesters Killed Since October, https://aawsat.com/english/home/article/2056146/iraq-human-rights-commission-says-490-protesters-killed-october, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2025831.html, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (23.1.2020): Iraq: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023297.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Mada (2.10.2019): ساحاتالاحتجاجتتحولإلىمناطقحرب („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 13.3.2020
- Carnegie - Carnegie Middle East Center (14.11.2019): How Deep römisch eins s Anti-Iranian Sentiment in Iraq?, https://carnegie-mec.org/diwan/80313, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (10.10.2019): Widespread Protests Point to Iraq’s Cycle of Social Crisis, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018263.html, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.12.2019): Iraqi Protesters Torch Iranian Consulate For Second Time Within Week, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022938.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.11.2019): Security Forces Shoot At Baghdad Protesters, Several Killed In Karbala, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019395.html, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters,https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstraitons in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 13.3.2020
11.2 Vereinigungsfreiheit / Opposition
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 11.3.2020). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 12.1.2019).
Die Arbeitsgesetze garantieren Arbeitsnehmern das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften, von Tarifverhandlungen und auf das Abhalten von Streiks, schützen sie aber nicht vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung bis hin zu Entlassungen (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
11.3 Vereinigungsfreiheit / Opposition in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung kaum existent. Die Kurdische Demokratische Partei (KDP) gilt in weiten Teilen als alternativlos. In der Region um Sulaymaniyah und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) abgewandt (AA 12.1.2019).
In den KDP-Gebieten finden kaum Demonstrationen statt, da sie meist bereits im Keim erstickt werden. In den PUK-Gebieten, v.a. in der Stadt Sulaymaniyah, sind Demonstrationen (beispielsweise gegen Gehaltskürzungen) hingegen keine Seltenheit (AA 12.1.2019).
Im Dezember 2017 wurden fünf Demonstranten bei Protesten in Sulaymaniyah durch die Polizei getötet (France24 22.2.2020). Während Beamtenprotesten im März 2018 wegen unbezahlter Löhne haben Sicherheitskräfte willkürlich Dutzende von Demonstranten und Journalisten festgenommen. Einige Demonstranten berichteten über Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte (HRW 17.1.2019; vergleiche AI 26.2.2019; FH 4.3.2020). Die verhafteten Demonstranten wurden wegen Anstiftung zur Gewalt angeklagt und dann vor Gericht gestellt (AI 26.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002196.html, Zugriff 13.3.2020
12. Haftbedingungen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem internationalen Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 12.1.2019). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten sind die Bedingungen aufgrund von Überbelegung oft hart (FH 4.3.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020). Misshandlung und unzureichender Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung lassen die Bedingungen auch lebensbedrohlich werden. In staatlichen Haftanstalten und Gefängnissen fehlt es zuweilen an ausreichender Nahrung und Wasser. Einige Haftanstalten verfügen über keine eigene Apotheke oder Krankenstation. Existierende Apotheken sind oft unterversorgt. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der festgenommenen mutmaßlichen IS-Mitglieder, noch verschärft wird. Es gibt keine Unterkünfte für Häftlinge mit Behinderungen. Eine vom Innenministerium angekündigte Initiative zur Errichtung solcher Einrichtungen wurde noch nicht vollständig umgesetzt. Häftlinge, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden vom Rest der Gefangenen isoliert und bleiben häufiger in Gewahrsam des Innen- bzw. Verteidigungsministeriums (USDOS 11.3.2020). Behörden der Zentralregierung und der Kurdischen Region im Irak (KRI) betreiben weiterhin auch geheime Haftanstalten (AI 26.2.2019). Es gibt Berichte über gewaltsames Verschwindenlassen von Häftlingen, besonders von mutmaßlichen IS-Kämpfern (FH 4.3.2020; vergleiche AI 26.2.2019).
Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 12.1.2019). In manchen Fällen werden Minderjährige gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert, ohne Zugang zu Bildung, Rehabilitation (HRW 6.3.2019).
Die UN-Mission für den Irak (UNAMI) konnte ihr Mandat zum Besuch irakischer Haftanstalten nicht umfassend wahrnehmen. Die irakischen Behörden verweigerten in mehreren Fällen den Zugang zu Haftanstalten. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 12.1.2019).
Die Behörden halten IS-Verdächtige unter überfüllten und in einigen Fällen unmenschlichen Bedingungen fest (HRW 14.1.2020). Der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, hat im Juli 2018 erstmals eingestanden Personen über einen längeren Zeitraum festzuhalten, beispielsweise in al-Shurta, im Osten Mossuls. Dies geschieht laut NSS mit der Zustimmung des Hohen Justizrates in Ninewa (HRW 22.7.2018).
Auch in Frauengefängnissen gibt es Überbelegung, und es fehlten oft ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen für die Kinder der Gefangenen, die nach dem Gesetz bis zum Alter von vier Jahren bei ihren Müttern bleiben dürfen (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): Iraq: ISIS Child Suspects Arbitrarily Arrested, Tortured, https://www.hrw.org/news/2019/03/06/iraq-isis-child-suspects-arbitrarily-arrested-tortured, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (22.7.2018): Iraq: Intelligence Agency Admits Holding Hundreds Despite Previous Denials, https://www.hrw.org/news/2018/07/22/iraq-intelligence-agency-admits-holding-hundreds-despite-previous-denials, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
12.1 Haftbedingungen in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
In den Haftanstalten der Kurdischen Region im Irak (KRI) herrschen etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 12.1.2019). Die in der Besserungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil inhaftierten Kinder berichten über bessere Bedingungen, darunter gutes Essen und die Trennung von erwachsenen Häftlingen (HRW 6.3.2019). Die Bedingungen in vielen kleineren Haftanstalten des Innenministeriums der KRI sind jedoch weiterhin schlecht. In einigen Haftanstalten der Asayish und der Polizei halten KRI-Behörden gelegentlich Jugendliche in denselben Zellen wie Erwachsene fest (USDOS 11.3.2020).
Die Bedingungen für Minderjährige, denen Verbindungen zum IS nachgesagt werden, sind schwierig. Ihnen wird der Zugang zu Bildung und zu ihren Familien während der Dauer der Untersuchungshaft verwehrt. Einige berichten über körperliche Misshandlung durch Wachen (HRW 6.3.2019).
In Gefängnissen der Asayish in der KRI werden Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige angewendet. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind Bemühungen der kurdischen Regionalregierung erkennbar, die Haftbedingungen zu verbessern, systematische Folter abzustellen und internationale Standards einzuhalten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat Zugang zu den Gefängnissen in der KRI (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (6.3.2019): Iraq: ISIS Child Suspects Arbitrarily Arrested, Tortured, https://www.hrw.org/news/2019/03/06/iraq-isis-child-suspects-arbitrarily-arrested-tortured, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
13. Todesstrafe
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.1.2019; vergleiche HRC 5.6.2018; HRW 14.1.2020). Problematisch sind die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 12.1.2019). So beinhalten beispielsweise die irakischen Anti-Terrorismus-Gesetze die Vollstreckung der Todesstrafe auch für ein breites Spektrum an Handlungen, die nicht als schwere Verbrechen, wie Mord, definiert sind (FP 31.1.2020). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.1.2019).
Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben macht. Soweit UNAMI bekannt, wurden 2018 112 Personen zum Tode verurteilt, 36 Todesurteile wurden vollzogen. UNAMI schätzt jedoch, dass tatsächliche Zahlen deutlich darüber liegen (AA 12.1.2019). Amnesty International zufolge wurden 2018 271 Todesurteile ausgesprochen und 52 Hinrichtungen vollzogen (AI 10.4.2019). Zwischen Jänner und August 2019 wurden Angaben des irakischen Justizministeriums zufolge über 100 Personen hingerichtet. 8.022 Gefangene saßen im August 2019 in der Todeszelle (HRW 14.1.2020). Aktuell werden insbesondere ehemalige IS-Kämpfer – oder Personen, die dessen beschuldigt werden – in großer Zahl in unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt (AA 12.1.2019). Über zwei Dutzend Frauen wurden wegen der wahrgenommenen IS-Mitgliedschaft eines männlichen Angehörigen, meist des Ehemanns, zum Tode verurteilt (AI 26.2.2019).
Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat (HRC 5.6.2018; vergleiche HRW 14.1.2020), sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (10.4.2019): Death Sentences and Executions 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006174/ACT5098702019ENGLISH.PDF, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FP - Foreign Policy (31.1.2020): U.N. Faults Iraq for Islamic State Prosecutions, https://foreignpolicy.com/2020/01/31/united-nations-faults-iraq-islamic-state-prosecutions/, Zugriff 13.3.2020
- HRC - Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/A_HRC_38_44_Add.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
13.1 Todesstrafe in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
In der Kurdischen Region im Irak (KRI) wurde die Todesstrafe im Jahr 2008 in einem De-facto-Moratorium ausgesetzt (HRC 5.6.2018; vergleiche HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019), außer für wesentliche Fälle, wie zur Bekämpfung des Terrorismus (HRW 14.1.2020; vergleiche AA 12.1.2019). In den Jahren 2015 und 2016 wurde dieses Moratorium zweimal gebrochen, wobei drei (HRC 5.6.2018), bzw. vier (AA 12.1.2019) Hinrichtungen vorgenommen wurden (HRC 5.6.2018). Anfang 2018 saßen über 200 zum Tode verurteilte Personen in kurdischen Gefängnissen (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRC - Human Rights Council (5.6.2018): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/A_HRC_38_44_Add.pdf, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
14. Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt 15 (Minderheiten) behandelt.
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.1.2019). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den „erwiesenen Bestimmungen des Islams“ widerspricht. In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 21.6.2019).
Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.1.2019; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 12.1.2019; vergleiche ROI 15.10.2005).
Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 21.6.2019).
Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 21.6.2019; vergleiche UNHCR 5.2019).
Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen (AA 12.1.2019). Die Religionen, die auf dem Antrag für den nationalen Personalausweis angegeben werden können, sind christlich, sabäisch-mandäisch, jesidisch, jüdisch und muslimisch. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Sabäer-Mandäer, Jude oder Christ deklarieren (USDOS 21.6.2019) Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.1.2019). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil als Muslime angeführt werden müssen. Christen, die formell als Muslims registriert sind, aber den christlichen oder einen anderen Glauben praktizieren, berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 21.6.2019; vergleiche USCIRF 4.2019).
Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und Faili Kurden). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.1.2019)
Institutionelle und gesellschaftliche Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen Minderheitengruppen sind nach Ansicht von Religionsführern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich auf Religionsfreiheit konzentrieren, nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 21.6.2019). Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen in Kirkuk, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 11.3.2020).
Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren (USDOS 11.3.2020).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikane und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 21.6.2019).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 21.6.2019).
Die Kurdische Region im Irak (KRI) war für viele religiöse und ethnische Minderheiten im Nordirak ein wichtiger Zufluchtsort, während der Phase der konfessionellen Gewalt nach 2003 und während der IS-Krise (USCIRF4.2019). Einige jesidische und christliche Führer berichten über Schikanen und Misshandlungen durch Peshmerga und Asayesh im von der kurdischen Regionalregierung (KRG) kontrollierten Teil von Ninewa, jedoch sagen einige dieser Führer, dass die Mehrheit dieser Fälle eher politisch als religiös motiviert seien (USDOS 21.6.2019).
[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel 15 Minderheiten entnommen werden.]
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
14.1 Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018). Atheismus ist im Irak zwar nicht illegal (NBC 5.4.2019), aber die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 21.6.2019; vergleiche EASO 3.2019).
Staatliche Akteure setzen Atheismus typischerweise mit Blasphemie gleich (UKHO 10.2019). Atheisten wurden Berichten zufolge wegen „Schändung von Religionen“ und damit zusammenhängenden Anklagen verfolgt (UNHCR 5.2019; vergleiche Al Monitor 1.4.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen. Einer wurde verhaftet, während die übrigen drei geflohen sind (Al-Monitor 1.4.2018; vergleiche USCIRF 4.2019). Ende 2018 wurde ein atheistischer Buchhändler im südirakischen Gouvernement Nasriyah verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen Atheismus verbreiten zu wollen (AW 20.7.2019; vergleiche NBC 5.4.2019).
Atheisten im Irak sind eine wachsende Minderheit (AW 20.7.2019). Berichten zufolge gibt es auch eine kleine, wachsende Bewegung von Agnostikern im Irak (NBC 5.4.2019).
Offener Atheismus ist im Irak äußerst selten, da die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Atheisten sehr begrenzt ist, wie die öffentliche Rhetorik einiger Politiker und religiöser Führer zeigt. Atheisten halten ihre Ansichten oft geheim, aus Furcht vor Diskriminierung und Gewalt durch die eigene Familie, Milizen oder auch religiös-konservative Gruppen (UKHO 10.2019). Milizen sollen Mittel haben, um die Personen hinter Social Media-Einträgen ausfindig zu machen. Angeblich werden Atheisten ins Visier genommen (NBC 5.4.2019).
Personen, die gegen die strenge Auslegungen der islamischen Regeln in Bezug auf Kleidung, soziales Verhalten und Berufe verstoßen, einschließlich Atheisten und säkular gesinnte Personen, Frauen und Angehörige religiöser Minderheitsgruppen, sind Berichten zufolge mit Entführungen, Schikanen und körperlichen Angriffen durch verschiedene extremistische bewaffnete Gruppen und Milizen konfrontiert (UNHCR 5.2019).
Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind, und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität und behaupten Muslime zu sein (EASO 3.2019).
Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahe stehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018).
An den Wahlen von 2018 nahm auch eine Reihe eher sekulärer Parteien teil (FH 4.3.2020).
Quellen:
- Al-Monitor (1.4.2018): Iraqi courts seeking out atheists for prosecution, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/atheists-iraq-human-rights.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (20.7.2019): ‘Iraq’s growing community of atheists no longer peripheral’, https://thearabweekly.com/iraqs-growing-community-atheists-no-longer-peripheral, Zugriff 13.3.2020
- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Targeting of Individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003960/Iraq_targeting_of_individuals.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- NBC News (5.4.2019): Iraq's atheists go underground as Sunni, Shiite hard-liners dominate, https://www.nbcnews.com/news/world/iraq-s-atheists-go-underground-sunni-shiite-hard-liners-dominate-n983076, Zugriff 13.3.2020
- UKHO - UK Home Office (10.2019): Country Information and Guidance Iraq: Religious minorities, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018421/Iraq_-_Religious_Minorities_-_CPIN_-_v2.0__October_2019__-_EXT.odt, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
15. Minderheiten
Letzte Änderung: 17.3.2020
Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.1.2019). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 4.3.2020). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).
Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 12.1.2019). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Zudem ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen – eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.1.2019).
Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer-Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.1.2019).
In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.1.2019; vergleiche KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der KRI durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017). Es gibt auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 13.3.2019). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.1.2019).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in dem ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Gouvernement Diyala (AA 12.1.2019). Im Gouvernement Ninewa wurden alle Distriktverwaltungen angeordnet, dem Bundesgesetz von 2017 folge zu leisten und den Familien von PMF-Märtyrern, die im Kampf gegen den IS gefallen sind (zumeist Schiiten), Land zuzuweisen. Diese Anordnung schloss auch Distrikte mit sunnitischer und nicht-muslimischer Mehrheit ein. Es kam zu Widerstand unter Verweis auf das in der Verfassung verankerte Verbot eines erzwungenen demografischen Wandels, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya (USDOS 21.6.2019).
[Grafik gelöscht, Anm]
BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Religious Groups
[Grafik gelöscht, Anm]
BMI (2016): Atlas - Middle East & North Africa: Ethnic Groups
Anmerkung zu beiden Karten: Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).
Die territoriale Niederlage des IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräften gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdische Bewohner auszogen, und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber (FH 4.3.2020). Aufgrund der konfliktbedingten internen Vertreibungen und Rückkehrbewegungen hat sich seit 2014 die Demographie einiger Gebiete von mehrheitlich sunnitisch zu mehrheitlich schiitisch bzw. zu konfessionell gemischt entwickelt, insbesondere in den Gouvernements Bagdad, Basra und Diyala. Im Distrikt Khanaqin in Diyala ist die Anzahl der Orte mit einer sunnitischen Mehrheit von 81 auf 73 gesunken, jene mit einer kurdisch-sunnitischen Mehrheit von 20 auf 17. Im Gouvernement Babil sind vormals arabisch-sunnitisch-schiitische Mischstädte wie Jurf al-Sakhr und Musayab vollständig schiitisch geworden. In der KRI hat die Präsenz sunnitischer Araber zugenommen, sodass die Anzahl der Orte mit einer sunnitisch-arabischen Mehrheit seit 2014 von 2 auf 25 angewachsen ist (IOM 2019).
Ebenso wurde ein Rückgang von assyrischen Christen in vormals gemischt-konfessionellen Regionen im Gouvernement Ninewa verzeichnet, sowie von vormals ethnisch-konfessionell gemischten Orten in den Distrikten Mossul, Sinjar und Telfar, in denen die Zahl der kurdischen Sunniten, Jesiden und Schabak zurückging. Im Gouvernement Diyala sind turkmenisch-sunnitische Mischgebiete verschwunden, während sich die turkmenische Präsenz in der Region um Kirkuk verstärkt zu haben scheint (IOM 2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 – Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (2019): Integrated Location Assessment römisch IV, IOM Iraq, https://publications.iom.int/system/files/pdf/integrated_location_assessment_4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan-Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417, Zugriff 13.3.2020
- Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 13.3.2020
- MRG - Minority Rights Group International (5.2018): Iraq - Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
16. Relevante Bevölkerungsgruppen
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16.3 Sexuelle Minderheiten
Letzte Änderung: 17.3.2020
Das Strafgesetzbuch des Irak verbietet gleichgeschlechtliche Intimität nicht (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Es gibt keine Gesetze, die gleichgeschlechtliches Verhalten (same-sex conduct) kriminalisieren. Nach Artikel 394 ist jedoch das Eingehen einer außerehelichen sexuellen Beziehung strafbar (HRW 14.1.2020). Die Behörden stützen sich aber auf Anklagen wegen Sittlichkeitsvergehen oder Prostitution, um gleichgeschlechtliche - aber auch außereheliche heterosexuelle - Aktivität strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 11.3.2020). Herangezogen wird Artikel 401 bezüglich unsittlichem Verhalten in der Öffentlichkeit (bis zu sechs Monate Haft). Es handelt sich dabei um eine vage Bestimmung, die zur Verfolgung sexueller und gleichgeschlechtlicher Minderheiten herangezogen werden kann, auch wenn kein derartiger Fall dokumentiert ist (HRW 14.1.2020).
Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung (AA 12.1.2019) und Gewalt (FH 4.3.2020), bis hin zu Ehrenmorden durch Familienangehörige (AA 12.1.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Konfessionelle Milizen haben in den letzten Jahren wiederholt Mitglieder sexueller Minderheiten bedroht und verfolgt und werden mit Ermordungen von homosexuellen Männern in Verbindung gebracht (AA 12.1.2019). Angehörige sexueller Minderheiten sind häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht werden. Die Polizei wird mitunter eher als Bedrohung, denn als Schutz empfunden (AA 12.1.2019). Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten versäumt es die Regierung, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw. mögliche Opfer zu schützen (USDOS 11.3.2020). Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt (AA 12.1.2019).
Transgender Frauen sind mit Gewalt und Diskriminierung, einschließlich sexuellem Missbrauch, durch Strafverfolgungsbehörden, Familien, Nachbarn und Fremde konfrontiert. Da es Transsexuellen nicht möglich ist Ausweise oder offizielle Dokumente zu erhalten, die die Geschlechtsidentität widerspiegeln, ist ihr Zugang zu Dienstleistungen eingeschränkt. Zudem kann es bei der Vorlage ihrer Ausweispapiere zu Diskriminierung durch Beamte kommen. 2019 wurden zwei Todesfälle, ein angenommener „Ehrenmord“ und ein Mord, von Transgender Personen verzeichnet (CEDAW 9.2019).
Auch in der KRI sind Angehörige sexueller Minderheiten Einschüchterungen und Drohungen, Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Angehörige sexueller Minderheiten (insbesondere „männliche“ Frauen, „weibliche“ Männer und Transsexuelle) erleben unter der Regionalregierung Kurdistans körperlichen Missbrauch. Viele von ihnen werden inhaftiert, ohne über ihre Rechte informiert zu werden und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand zu erhalten. Manche haben trotz monatelanger Haft keine formelle Anhörung oder rechtliche Vertretung erhalten (CEDAW 9.2019). Ein interministerielles Komitee, das zu Fragen betreffend sexueller Minderheiten eingerichtet wurde, ist seit Mitte 2014 nicht mehr in Erscheinung getreten (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women; IraQueer (Author), MADRE (Author), OutRight Action International (Author), OWFI - The Organization of Women's Freedom in Iraq (Author) (9.2019): Violence and Discrimination Based on Sexual Orientation and Gender Identity in Iraq, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37343_E.docx, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 13.3.2020
[…]
17. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 11.3.2020).
Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vergleiche Zeidel/al-Hashimis 6.2019).
Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 11.3.2020).
Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.2019). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 4.3.2020).
Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 11.3.2020). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen – auch kurzfristig – gerechnet werden (AA 12.1.2019).
Einreise und Einwanderung in die Kurdische Region im Irak (KRI)
Die Kurdischen Region im Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 11.3.2020). Während die Einreise in die Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah ohne Bürgen möglich ist, wird für die Einreise nach Dohuk ein Bürge benötigt. Insbesondere Araber aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten, sowie Turkmenen aus Tal Afar im Gouvernement Ninewa benötigen einen Bürgen aus Dohuk, es sei denn, sie erhalten eine vorübergehende Reisegenehmigung vom Checkpoint in der Nähe des Dorfes Hatara. Diese Genehmigung wird für kurzfristige Besuche aus medizinischen oder ähnlichen Gründen erteilt (UNHCR 11.2019).
Inner-irakische Migration aus dem Zentralirak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert (AA 12.1.2019). Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden (AA 12.1.2019; vergleiche UNHRC 11.2019). Eine Sicherheitsfreigabe ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig (UNHCR 11.2019). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, dass sie einen in der Region ansässigen Bürgen vorweisen können (USDOS 11.3.2020). Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen (UNHCR 11.2019). In Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltskarte („Informationskarte“) zu erhalten (UNHCR 11.2019). Die Aufenthaltsgenehmigung ist in der Regel einjährig erneuerbar (UNHCR 11.2019; vergleiche USDOS 11.3.2020). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung (UNHCR 11.2019). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.1.2019). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen (USDOS 11.3.2020).
Die KRI-Behörden wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 11.3.2020).
Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung
Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Najaf, Qadissiya und Wassit. Für den Zugang zu den Gouvernements Maysan und Muthanna wird hingegen ein Bürge benötigt, der die Person an einem Grenz-Checkpoint in Empfang nimmt, oder mit ihr bei der zuständigen Sicherheitsbehörde für eine Freigabe vorstellig wird. Ohne Bürge wird der Zugang wahrscheinlich verweigert, auch wenn die Sicherheitsbehörden über einen Ermessensspielraum für Ausnahmen verfügen (UNHCR 11.2019).
Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar Anmerkung, etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Migrations Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020
- NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, römisch eins Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2019): Iraq: Country of Origin Information on Access and Residency Requirements in Iraq (Update römisch eins), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019573/5dc04ef74.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- Zeidel, Ronan, al-Hashimis Hisham in Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/26681907, Zugriff 13.3.2020
18. Rückkehr
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).
Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vergleiche REACH 30.6.2017).
Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD Anmerkung, ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD Anmerkung, ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD Anmerkung, ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD Anmerkung, ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD Anmerkung, ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD Anmerkung, ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).
Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).
Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Ekurd Daily (8.1.2019): Property prices increasing in Iraqi Kurdistan after years of stagnation, https://ekurd.net/property-prices-kurdistan-2019-01-08, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 13.3.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 13.3.2020
- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf, Zugriff 13.3.2020
- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles, Drivers and Return, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- UNDP - United Nations Development Programme (28.4.2019): UN-Habitat and UNDP Upscale Support on Housing Rehabilitation and Secure Tenure for the Returnees in Sinjar, https://www.iq.undp.org/content/iraq/en/home/presscenter/pressreleases/2019/04/28/un-habitat-and-undp-upscale-support-on-housing-rehabilitation-an.html, Zugriff 13.3.2020
Aus der Staatendokumentation-Anfragebeantwortung zum Irak: „Homosexuelle; strafrechtliche Verfolgung; Übergriffe nicht staatlicher Akteure“ vom 08.04.2021 geht hervor:
Zur strafgerichtlichen Verfolgung:
Zusammenfassung:
Nachfolgend zitierten Quellen kann entnommen werde, dass einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen laut dem seit 2003 gültigen irakischen Strafgesetzbuch nicht strafbar sind. Den Quellen zufolge können Paragraphen zu unsittlichen Handlungen theoretisch auch auf homosexuelle Handlungen angewandt werden. Zwei Quellen berichten, dass keine Fälle einer solchen Anwendung in der Rechtsprechung oder Rechtspraxis bekannt seien, bzw. dass solche Fälle nicht dokumentiert sind.
Eine der Quellen berichtet, dass der Irak wegen Anwendung von Gesetzen über öffentliche Unzucht, Prostitution oder anderes gegen LGBT-Personen ein de facto kriminalisierendes Land ist.
Einzelquellen:
Das deutsche Auswärtige Amt schreibt in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 14.10.2020, folgendes:
[…] In dem seit 2003 gültigen irakischen Strafgesetzbuch stellen im gegenseitigen Einvernehmen durchgeführte homosexuelle Handlungen erwachsener Personen keinen Straftatbestand mehr dar. Es ist unklar,in wieweit andere Paragraphen des Strafgesetzbuches wie beispielsweise §400 –402, die sich mit unsittlichen Handlungen auseinander setzen, theoretisch auch auf homosexuelle Handlungen Anwendung finden könnten. Dem Auswärtigen Amt sind bisher keine Fälle einer solchen Anwendung in der Rechtsprechung oder Rechtspraxis bekannt. Gleichgeschlechtliche Ehen sind im irakischen Recht nicht vorgesehen.
Sofern einer oder beide der Partner mit einer dritten Person verheiratet sind, fällt auch eine homosexuelle Beziehung unter den Straftatbestand des Ehebruchs. […]
AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.pdf, Zugriff 11.2.2021
Human Rights Watch berichtet am 13.1.2021, dass das irakische Strafgesetzbuch gleichgeschlechtlichen sexuellen Beziehungen nicht verbietet, auch wenn Artikel 394 außerehelichen Sex unter Strafe stellt. Paragraph 401 des Strafgesetzbuches besagt, dass jede Person, die in der Öffentlichkeit eine „unanständige Handlung“ begeht, für bis zu sechs Monate ins Gefängnis gesteckt werden kann, eine vage Bestimmung, die dazu benutzt werden könnte, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten ins Visier zu nehmen, obwohl solche Fälle nicht dokumentiert wurden.
[…] Article 394 of Iraq’s penal code makes it illegal to engage in extra-marital sex, a violation of the right to privacy that disproportionately harms lesbian, gay, bisexual, and transgender (LGBT) people, as well as women, as pregnancy can be deemed evidence of the violation. Women reporting rape can also find themselves subject to prosecution under this law. Iraq’s criminal code does not explicitly prohibit same-sex sexual relations, but article 401 of the penal code holds that any person who commits an “immodest act” in public can be imprisoned for up to six months, a vague provision that could be used to target sexual and gender minorities, although such cases have not been documented. […]
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 11.2.2021
Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) ist ein weltweiter Dachverband für Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen (LGBTI). In einem Bericht von 2019 schreibt ILGA zu Irak, dass der Irak nach der Eliminierung des sogenannten Islamischen Staates (IS) von der Liste jener Staaten genommen wurde, in denen für einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Verkehr die Todesstrafe möglich ist.
Aufgrund von Berichten über staatliche Strafverfolgung unter Anwendung von Gesetzen über öffentliche Unzucht, Prostitution oder anderes, bleibt der Irak ein de facto kriminalisierendes Land.
[…] Six UN Member States impose the death penalty on consensual same-sex sexual acts, with three in Asia (Iran, Saudi Arabia and Yemen) and three in Africa (Nigeria, Sudan and Somalia). In addition, the death penalty is a possible punishment in five UN Member States: Mauritania, United Arab Emirates, Qatar, Pakistan and Afghanistan. Though Iraq has been removed from this list following the elimination of the Islamic State (ISIL/ISIS), it remains as a de facto criminalising country due to reports of State prosecution using laws on public indecency, prostitution or others.
[…]
ILGA World - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2019): State-sponsored Homophobia, 13th Edition, https://ilga.org/downloads/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2019.pdf, Zugriff 11.2.2021
Zum Übergriff nicht-staatlicher Akteure:
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Kämpfer der Mahdi-Armee von Muqtada as-Sadr [Anm.: Vorgängerorganisation der Saraya as-Salam-Miliz] beschuldigt werden, im Jahr 2009 mehrere hundert schwule und „verweichlichte“ Männer entführt, gefoltert und ermordet haben, die meisten von ihnen in Bagdad. Die Mahdi-Armee war zu dieser Zeit mit der Regierung verbündet. 2016 rief as-Sadr seine Anhänger zum Gewaltverzicht auf und forderte sie auf, sich von LGBTQ+-Personen zu distanzieren, sie aber nicht anzugreifen.
Der schiitischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haq wird vorgeworfen in den Jahren 2012, 2014 und 2017 für Morde an schwulen oder als schwul wahrgenommen Männern, nichtkonformistischen Jugendlichen begangen zu haben. 2014 veröffentlichte sie Fahndungsplakate von 23 Männern, einen Monat darauf wurden zwei angeblich schwule Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren angegriffen und enthauptet. Einem Bericht von 2020 zufolge wird die Asa'ib Ahl al-Haq auch beschuldigt Schwule mittels Grindr und Facebook in den Tod zu locken.
Aussagen über die Zahl der Morde an Homosexuellen im Irak für bspw. das Jahr 2017: einer irakischen NGO zufolge wurden 2017 über 220 Homosexuelle im Irak getötet, UNAMI listet von Jänner bis Juni 2017 für Bagdad fünf Morde an Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) sexuellen Orientierung auf.
Einer Quelle zufolge war der sogenannte Islamische Staat in den Jahren 2015 bis 2018 für etwa 10% der Verbrechen gegen LGBT-Personen verantwortlich, staatliche Behörden und mit ihnen verbundene bewaffnete Gruppen für 53%.
Nachdem am 17.5.2020, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie, ausländische Vertretungen in Bagdad die Regenbogenfahne, als Symbol der Solidarität mit LGBT-Personen hissten kam unter anderem zu Morden an mehreren schwulen Männern und zur Bedrohung dutzender LGBT-Personen.
Täter, einschließlich Sicherheitskräfte, die für Entführungen, Folter und Tötungen von Menschen, die als schwul und transgender wahrgenommen werden, verantwortlich waren, sind von den Behörden nicht zur Rechenschaft gezogen worden.
Einzelquellen:
In einem Bericht vom März 2019 fasst EASO Phasen der Gewalt durch regierungsnahe bewaffnete Gruppen gegen LGBTI-Personen im Irak zusammen:
Im Jahr 2009 entführten, folterten und ermordeten Kämpfer, die verdächtigt wurden, der Mahdi-Armee von Muqtada as-Sadr anzugehören, einer bewaffneten Gruppe, die schwule und verweichlichte Männer öffentlich als „drittes Geschlecht“ verunglimpfte, innerhalb weniger Monate mehrere hundert Männer, die meisten von ihnen in Bagdad. Die Mahdi-Armee war zu dieser Zeit mit der Regierung verbündet. Eine weitere Welle von Morden, die in einigen Medienberichten einer anderen mit der Regierung verbündeten bewaffneten Gruppe, der Asa'ib Ahl al-Haq (Liga der Gerechten), zugeschrieben wird, fand 2012 statt, nachdem der irakische Innenminister die „Emo“-Subkultur als „satanistisch“ verurteilt hatte - eine Subkultur, die mit einer Form von Punk-Musik verwandt ist und sich durch eine bestimmte Form der Kleidung auszeichnet, einschließlich enger Jeans und langer oder stacheliger Haare bei Männern. Die Regierung hat es versäumt, gegen die Morde vorzugehen, die sich gegen nonkonformistische junge Menschen richteten, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Menschen, die als LGBT wahrgenommen wurden. Im Jahr 2014 tötete die Asa'ib Ahl al-Haq mehrere Männer, die schwul waren oder als schwul wahrgenommen wurden, und veröffentlichte Fahndungsplakate für andere. Im Jahr 2017 wurden erneut Morde an schwulen Männern gemeldet, die Asa'ib Ahl al-Haq zugeschrieben werden.
Der Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen stellte in einem Bericht von 2018 fest, dass er „Informationen über die Aufstachlung zum Hass durch traditionelle und soziale Medien sowie Angriffe, einschließlich Drohungen, körperliche Angriffe und Tötungen, auf Männer und Jungen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität sowie auf Aktivisten und Organisationen, die sich für die Menschenrechte von LGTBI-Personen einsetzen, erhalten hat. Laut UNAMI, die 2018 berichtete, sind „Angehörige der lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und intersexuellen (LGBTI) Gemeinschaft weiterhin schwerer Diskriminierung, Drohungen, körperlichen Angriffen, Entführungen und in einigen Fällen auch Tötungen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ausgesetzt. Quellen, die von DIS/Landinfo während ihrer Mission 2018 in der Kurdischen Region im Irak (KRI) befragt wurden, schätzten, dass Homosexuelle gefährdet sind, Belästigung und/oder Gewalt durch die Gesellschaft, die Polizei sowie durch ihre eigenen Familien zu erleiden.
Eine irakischen NGO, die die Situation der „homosexuellen Gemeinschaft im Irak“ überwacht, schätzt, dass im Jahr 2017 über 220 Homosexuelle im Irak getötet wurden und etwa 96 % der irakischen Homosexuellen verbaler oder physischer Gewalt ausgesetzt waren.
UNAMI listete zwischen Jänner und Juni 2017 fünf Morde an Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) sexuellen Orientierung auf, die in Bagdad, im Bezirk Suq al-Shiyoukh, 30 km südöstlich von Nasiriya, in Basrah und in Amara stattfanden.
Der Länderbericht 2017 über Menschenrechtspraktiken im Irak des US-Außenministeriums stellte fest, dass die Regierung es trotz wiederholter Drohungen und Gewalt gegen LGBTI-Personen versäumt hat, die Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen, oder die betroffenen Personen zu schützen.
In an April 2018 report on Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (LGBT) activism in the Middle East and North Africa Human Rights Watch reported that Iraq has ‘no laws that explicitly criminalize consensual same-sex conduct, and their governments have not systematically interpreted other “morality” provisions to criminalize consensual same-sex conduct’. Authorities relied on public indecency or prostitution charges to prosecute same-sex sexual activity. Human Rights Watch notes a history of violence by pro-government armed groups against LGBTI people in Iraq:
‘In 2009, fighters suspected of affiliation with Muqtada al-Sadr’s Mahdi army, an armed group which publicly vilified gay and effeminate men as “the third sex”, kidnapped, tortured and murdered as many as several hundred men in a matter of months, most of them in Baghdad. The Mahdi army was allied with the government at the time. Another wave of killings, attributed in some media reports to another government-allied armed group, Asa'ib Ahl al-Haq (Leagues of the Righteous), took place in 2012 after Iraq’s interior minister condemned as “Satanist”the “emo” subculture — a subculture related to a form of punk music and marked by a particular form of dress, including tight jeans and long or spiky hair for men. The government failed to act against the killings, which targeted nonconformist young people, including but not limited to people perceived to be LGBT. In 2014, Asa'ib Ahl al-Haq killed several men who were, or who were perceived to be, gay and put up “wanted” posters for others. Killings of gay men attributed to Asa'ib Ahl al-Haq were reported once again in 2017.’
The Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions noted in a 2018 report thats he received ‘information on incitement to hatred through traditional and social media, and attacks, including threats, physical assaults and killings, on men and boys on the basis of their actual or perceived sexual orientation or gender identity as well as on activists and organizations supporting the human rights of LGTBI persons.’ According to UNAMI, reporting in 2018,‘members of the lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex (LGBTI) community continue to face severe discrimination, threats, physical attacks, kidnappings, and in some cases, killings due to their actual or perceived sexual orientation or gender identity.’ Sources interviewed by the DIS/Landinfo during their 2018 mission to KRI assessed that ‘homosexuals risk harassment and/or violence from the public and police and from their own families.’
According to Iraqi NGO which monitors the situation of the ‘homosexual community in Iraq’, the group estimates that ‘over 220 homosexuals were killed in Iraq in 2017, and approximately 96% of Iraqi homosexuals were subjected to verbal or physical violence.’
Several sources make note of the murder of a famous male Iraqi model in Baghdad who was reportedly killed for his perceived sexual orientation.
From January to June 2017 UNAMI listed five murders of people on account of their (perceived) sexual orientation which took place in Baghdad, in Suq al-Shiyoukh district, 30 km south-east of Nasiriya, in Basrah and in Amara.
According to Human Rights Watch, writing in 2018, LGBT people are at risk of violence and threats at the hands of their own family members and ‘face tremendous social pressures to remain in the closet, or not to reveal their sexual orientation or gender identity’. In addition, homosexuals are at risk of being disowned by their families, losing their jobs and being denied accommodation.
The 2017 Country report on Human Rights Practices in Iraq by the United States Department of State noted that ‘despite repeated threats and violence targeting LGBTI individuals, the government failed to identify, arrest, or prosecute attackers or to protect targeted individuals.’
As in previous years ‘ISIS continued to publish videos depicting executions of persons accused of homosexual activity that included stoning and being thrown from buildings.’
A human rights activist interviewed by DIS/Landinfo during their 2018 mission to KRI stated that the situation for homosexuals is relatively better in KRI than in the rest of the Iraq, especially in urban areas compared to rural areas. The source however added that homosexuality remains a taboo in KRI and ‘it is seen as shameful and stigmatising for the family if it becomes known to the public.’ Homosexuals will often be forced into marriages in order to hide their sexuality and hide their sexuality to avoid conflict.
In an April 2018 article the online news organisation Middle East Eye noted ‘that the KRG, as a whole, has generally been perceived as more secular and socially liberal than the Arab-majority regions of Iraq’ and the influence of socially conservative religious organisations and armed groups is less pronounced. An activist from Sulaymaniyah states:
‘if you compare the situation of LGBTs themselves, it's better and safer in Kurdistan. So many people just run away from the rest of the cities and they come to the north because it’s safer.’ ‘That doesn’t mean it’s safe. At all. But it’s safer’, he explains. ‘Compared to the rest of Iraq, they don’t get their heads smashed in the street.’ The Netherlands Ministry of Foreign Affairs wrote in 2018 that according to a well-informed, confidential source multiple persons were detained and convicted in KRG on account of homosexual activities. The Netherlands’ Ministry of Foreign Affairs also reported that Kurdish authorities allowed the activities of NGOs advancing LGBTI rights. However the same source noted that there is discrimination against LGBT persons in the KRI and in 2017 several persons have been ‘detained and convicted for homosexual activities’. Niqash reported in November 2017 that homosexuality remains a major taboo in Iraqi Kurdistan, despite a minor shift in attitudes and some public debate on the subject. […]
EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Targeting of Individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003960/Iraq_targeting_of_individuals.pdf, Zugriff 11.2.2021
Middle East Eye berichtet am 13.4.2018, dass bewaffnete Gruppen im Jahr 2012 vor allem in Bagdad, eine Kampagne gegen Personen begannen, die als „Emo“ wahrgenommen wurden. Damit waren in der Regel junge Männer gemeint, die als verweichlicht und sexuell zweideutig wahrgenommen wurden. Die UN-Hilfsmission für den Irak (UNAMI) berichtete, dass rund 56 Menschen ermordet wurden, weil sie als „Emo“ wahrgenommen wurden. 2017 wurde ein Schauspieler in Bagdad erstochen und zu Tode gefoltert, weil er „schwul aussah“, wie lokale Medien berichteten.
[…] In 2012, armed groups, primarily in Baghdad, started a campaign against people perceived to be "emo," referring to usually young men perceived to be effeminate and sexually ambiguous. The UN Assistance Mission for Iraq reported that around 56 people were murdered for being "emo" as a result.
And in 2017, an actor was stabbed and tortured to death in Baghdad for "looking gay," according to local media reports. […]
Middle East Eye (13.4.2018): 'The world is changing': Iraqi LGBT group takes campaign to streets ts, Zugriff 11.2.2021
Human Rights Watch berichtet am 16.4.2018, in einem Beitrag über Gewalt gegen LGBT-Personen im Irak, dass im Jahr 2009 Kämpfer, die verdächtigt wurden, der Mahdi-Armee von Muqtada as-Sadr anzugehören, einer bewaffneten Gruppe, die schwule und verweichlichte Männer öffentlich als "drittes Geschlecht" verunglimpfte, innerhalb weniger Monate mehrere hundert Männer, die meisten von ihnen in Bagdad entführten, folterten und ermordeten.
Die mit der Regierung verbündete Miliz Asa'ib Ahl al-Haq wird für eine Reihe von Morden an LGBT-Personen im Jahr 2012, für Morde an Männer, die schwul waren oder für schwul gehalten wurden sowie für das Verbreiten von „Fahndungsplakaten“ für Homosexuelle im Jahr 2014 und für weitere Morde an homosexuellen Männern im Jahr 2017 verantwortlich gemacht.
[…] Violent extremists have targeted gay men, transgender women and gender non-conforming people in several countries in the region. This violence, which sometimes is outside the reach of the state (as in ISIS-controlled regions of Iraq and Syria) and sometimes takes place where weak governments depend on allied armed groups to provide security and allow them free rein to “police” as they choose (as in nominally government-controlled areas of Baghdad, and parts of Libya), is one of the most severe obstacles to LGBT organizing: being an “out” LGBT activist in such circumstances can mean courting death.
ISIS seemed to welcome notoriety for killing allegedly gay and gender non-conforming people in Iraq, Syria, and Libya. ISIS reportedly executed at least 23 people in Iraq, 16 in Syria, two in border territory between Iraq and Syria, and three in Libya for alleged sodomy as of June 2016.[40] Activists worked to draw attention to ISIS killings, including at the UN Security Council, and to mobilize international responses.
[…] Iraq has the most troublesome history in the region in terms of violence by pro-government armed groups. In 2009, fighters suspected of affiliation with Muqtada al-Sadr’s Mahdi army, an armed group which publicly vilified gay and effeminate men as “the third sex,” kidnapped, tortured and murdered as many as several hundred men in a matter of months, most of them in Baghdad.[44] The Mahdi army was allied with the government at the time. Another wave of killings, attributed in some media reports to another government-allied armed group, Asa'ib Ahl al-Haq (Leagues of the Righteous), took place in 2012 after Iraq’s interior minister condemned as “Satanist” the “emo” subculture—a subculture related to a form of punk music and marked by a particular form of dress, including tight jeans and long or spiky hair for men. The government failed to act against the killings, which targeted non-conformist young people, including but not limited to people perceived to be LGBT. In 2014, Asa'ib Ahl al-Haq killed several men who were, or who were perceived to be, gay and put up “wanted” posters for others.[46] Killings of gay men attributed to Asa'ib Ahl al-Haq were reported once again in 2017.
[…]
Iraqi religious and political leaders, including Grand Ayatollah Ali al-Sistani and Moqtada al-Sadr, condemned the 2012 killings, and Sadr spoke out against anti-LGBT violence again in 2016. But IraQueer activist Amir Ashour, asked whether the 2016 statement made a positive impact, said: “The only thing that is positive about it is that we can refer to it. On the ground it didn’t stop the killing.” Ashour said that although the militia responsible for the killings was affiliated to al-Sadr, “his word is not law,” and his condemnation of the killings made little impact on the killers.
[…]
HRW - Human Rights Watch (16.4.2018): Audacity in Adversity, LGBT Activism in the Middle East and North Africa, https://www.hrw.org/report/2018/04/16/audacity-adversity/lgbt-activism-middle-east-and-north-africa, Zugriff 11.2.2021
EASO berichtet im März 2019, dass im Jahr 2009 Kämpfer, die verdächtigt wurden, der Mahdi-Armee von Muqtada as-Sadr anzugehören, einer bewaffneten Gruppe, die schwule und verweichlichte Männer öffentlich als "drittes Geschlecht" verunglimpfte, innerhalb weniger Monate mehrere hundert Männer entführt, gefoltert und ermordet hat, die meisten von ihnen in Bagdad. Die Mahdi-Armee war zu dieser Zeit mit der Regierung verbündet.
Im Jahr 2012 fand eine weitere Welle von Morden statt, die einer anderen mit der Regierung verbündeten bewaffneten Gruppe, der Asa'ib Ahl al-Haq (Liga der Gerechten), zugeschrieben wird. Sie ereignete sich, nachdem der irakische Innenminister die „Emo“-Subkultur als „satanistisch“ verurteilt hatte.
Die Regierung hat es versäumt, gegen die Morde vorzugehen, die sich gegen nonkonformistische junge Menschen richteten, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Menschen, die als LGBT wahrgenommen wurden.
Auch im Jahr 2014 tötete die Asa'ib Ahl al-Haq mehrere Männer, die schwul waren oder als schwul wahrgenommen wurden und stellte Fahndungsplakate für andere auf.
Im Jahr 2017 wurden erneut Morde an schwulen Männern gemeldet, die Asa'ib Ahl al-Haq zugeschrieben werden.'
[…] ‘In 2009, fighters suspected of affiliation with Muqtada al-Sadr’s Mahdi army, an armed group which publicly vilified gay and effeminate men as “the third sex”, kidnapped, tortured and murdered as many as several hundred men in a matter of months, most of them in Baghdad. The Mahdi army was allied with the government at the time. Another wave of killings, attributed in some media reports to another government-allied armed group, Asa'ib Ahl al-Haq (Leagues of the Righteous), took place in 2012 after Iraq’s interior minister condemned as “Satanist”the “emo” subculture — a subculture related to a form of punk music and marked by a particular form of dress, including tight jeans and long or spiky hair for men. The government failed to act against the killings, which targeted nonconformist young people, including but not limited to people perceived to be LGBT. In 2014, Asa'ib Ahl al-Haq killed several men who were, or who were perceived to be, gay and put up “wanted” posters for others. Killings of gay men attributed to Asa'ib Ahl al-Haq were reported once again in 2017.’ […]
EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Targeting of Individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003960/Iraq_targeting_of_individuals.pdf, Zugriff 11.2.2021
Die britische Tageszeitung The Guardian berichtet in einem älteren Beitrag vom 19.11.2014, dass schiitische Milizen, die unter der Deckung der irakischen Regierung agieren, die Verfolgung von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen (LGBT) Irakern anführen, was deren Risiko drastisch erhöht, getötet oder ins Exil getrieben zu werden.
Der Bericht gibt der Zentralregierung Teilschuld an der damaligen Zunahme von Angriffen gegen Schwule in Bagdad, die von der Schiitenmiliz Asa'ib Ahl al-Haq ausgeführt wurden. Demzufolge haben frühere und gegenwärtige Amokläufe gegen LGBT-Personen im Irak unter völliger Straflosigkeit stattgefunden.
Am 15.5.2014 hat Asa'ib Ahl al-Haq, die mächtigste vom Iran unterstützte Miliz im Irak, in Bagdad Fahndungsplakate von 23 Männern veröffentlicht, von denen sie behauptete, sie seien schwul, sowie von einem weiteren Mann, der beschuldigt wurde, lange Haare zu haben. Einen Monat später wurden zwei angeblich schwule Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren angegriffen und enthauptet, wobei ihre Köpfe in einen Mülleimer geworfen wurden, so ein Zeuge des Angriffs.
Shia militias acting under Iraqi government cover are leading the persecution of lesbian, gay, bisexual and transgender (LGBT) Iraqis, sharply increasing their risk of death or exile, a report has found.
The role of the militias has added a new layer of danger to the country’s vulnerable LGBT community, which was among the least protected groups in Iraqi society, the International Gay and Lesbian Human Rights Commission and the women’s human rights group, Madre said on Wednesday.
LGBT Iraqis lack family or community support and the government refuses to offer any meaningful protection, according to the report When Coming Out römisch eins s A Death Sentence published by the group. römisch eins t said the central government was likely to be complicit in a recent increase in attacks against gay people in Baghdad, which have been carried out by the feared Shia militia, Asa’ib Ahl al-Haq.
“Past and present killing sprees against LGBT Iraqis have taken place with total impunity,” it said. “No one has been held accountable for the murders, and the previous government rejected calls to even investigate violence based on actual or perceived sexual and gender non-conformity.”
On 15 May this year, Asa’ib Ahl al-Haq – the most powerful Iranian backed militia group in Iraq – displayed wanted posters in Baghdad of 23 men it said were gay and another man accused of having long hair. One month later, two allegedly gay youths, aged between 15 and 17, were attacked and beheaded with their heads thrown in a rubbish bin, said a witness to the attack. A subsequent attack on a Baghdad brothel, thought to have been carried out by the same militia, killed about 34 people, most of them women.
[…]
The Guardian (19.11.2014): Iraqi government ‘likely complicit’ in persecution of LGBT community, https://www.theguardian.com/world/2014/nov/19/militia-lgbt-iraq-report-gay-lesbian-persecution, Zugriff 11.2.2021
The New Arab (Al-Araby Al-Jadeed) ist ein pan-arabisches Medienportal mit Sitz in London. Es gehört der in Katar ansässigen Firma Fadaat Media. In einem Beitrag vom 28.3.2020 berichtet The New Arab, dass Muqtada as-Sadr, einer der einflussreichsten irakischen Geistlichen, behauptete, dass die Coronavirus-Pandemie durch die Bestrebungen zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in den letzten Jahren verursacht worden sei. Er forderte die Regierungen weltweit dazu auf Gesetze, die die gleichgeschlechtliche Ehe zulassen, aufzuheben.
Der irakische Analyst Rasha Al Aqeedi warnt davor, as-Sadrs Behauptungen herunterzuspielen, und erinnert an frühere Gewalt gegen die LGBTQ+-Gemeinde des Landes, die von as-Sadrs Anhängern ausgegangen ist, wobei hunderte Personen ermordet wurden.
Im Jahr 2009 wurden in Sadr City, der Hochburg der Mahdi-Armee [Anm.: Vorgängerorganisation der Saraya as-Salam-Miliz] die Leichen mehrerer schwuler Männer gefunden. Die Morde blieben ungestraft und Leichen wurden teils als Warnung an Straßen aufgehängt.
Im Jahr 2016 rief as-Sadr seine Anhänger zum Gewaltverzicht auf und forderte sie auf, sich von LGBTQ+-Personen zu distanzieren, sie aber nicht anzugreifen.
Vor kurzem wurde die vom Iran unterstützte Asa'ib Ahl al-Haq-Miliz beschuldigt, Schwule mittels Grindr und Facebook in den Tod gelockt zu haben.
One of Iraq's most influential clerics has claimed the devastating coronavirus pandemic was caused by moves to legalise same-sex marriage in recent years.
Moqtada al-Sadr on Saturday called on governments worldwide to revoke laws allowing for gay marriage.
"One of the most egregious things that have caused this epidemic is the legalisation of same-sex marriage," the prominent Shia Muslim cleric said in a Twitter post titled "Messages from heaven".
"I call on all governments to repeal this law immediately and without any hesitation," he said, adding that reversing the legalisation of gay marriage could be an act of "remorse" for the "sin".
While it may be tempting to make light of Sadr's claims, we should be aware of the militia leader's violent past towards the country's besieged LGBTQ+ community, Iraqi analyst Rasha Al Aqeedi warned.
"Last time his followers set on targeting homosexuals in Iraq hundreds of them were gruesomely murdered in ways we see on TV shows," Aqeedi wrote in a tweet.
"This latest tweet of the spoiled son turned mafia clergy turned absolute madman can quickly turn into an accusation," she added.
Human rights groups and LGBTQ+ activists have accused militiamen loyal to Sadr of torturing and killing men suspecting of being gay.
The Sadr-led Mahdi Army "exploited morality for opportunistic purposes" and "aimed at popularity by targeting people few in Iraq would venture to defend", Human Rights Watch wrote in 2009. The bodies of several gay men were found in the Mahdi Army-stronghold Sadr City that year.
"Murders are committed with impunity, admonitory in intent, with corpses dumped in garbage or hung as warnings on the street," the New York-based rights group said in its 2009 report.
In 2016, Sadr called on his followers to refrain from violence, telling supporters to distance themselves from LGBTQ+ people but not "attack them".
More recently, the Iran-backed Asa'ib Ahl al-Haq militia was accused of luring gay men to their deaths via Grindr and Facebook. […]
The New Arab (28.3.2020): Prominent Iraqi cleric Moqtada al-Sadr blames coronavirus pandemic on gay marriage, https://english.alaraby.co.uk/english/news/2020/3/28/prominent-iraqi-cleric-blames-coronavirus-pandemic-on-gay-marriage, Zugriff 11.2.2021
In einem gemeinsamen Bericht der Organisationen MADRE, IraQueer, OutRight Action International, The Organization of Women’s Freedom in Iraq, zum Thema Gewalt und Diskriminierung wegen sexueller Orientierung von September 2019 wird festgehalten, dass von 257 LGBT-Personen, die zwischen 2015 und2018 befragt wurden, 96% angaben, verbale und/oder physische Gewalt erlebt zu haben. Der Bericht nennt verbales Mobbing und Missbrauch als extrem häufig gegen LGBT-Personen, weil diese als nicht konform mit den vorgeschriebenen gesellschaftlichen Geschlechternormen angesehen werden. Auch der Ausdruck einer Identität, die nicht den Geschlechternormen und -rollen entspricht, wie z.B. das Tragen von engen Jeans, lange Haare und ein als eher feminin wahrgenommener Ausdruck, führen oft zu Fällen von verbalem Missbrauch oder Mobbing, weil die Person als LGBT wahrgenommen wird, auch wenn sie sich selbst nicht als LGBT identifizieren würde.
In vielen Fällen sind LGBT-Personen körperlicher Gewalt, Vergewaltigung und in extremen Fällen dem Tod ausgesetzt. Die von IraQueer zusammengestellten Daten zeigen, dass der sogenannte Islamische Staat im Irak und der Levante (ISIL/IS) zwischen 2015 und 2018 für 10% der Verbrechen gegen LGBT-Personen verantwortlich war, während staatliche Behörden und mit ihnen verbundene bewaffnete Gruppen für 53% der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen gegen LGBT-Personen verantwortlich waren.
[…] Of 257 LGBT individuals interviewed between 2015-2018, 96% stated that they have faced verbal and/or physical violence. Verbal bullying and abuse are extremely common against LGBT people because they are viewed as not conforming to prescribed societal gender norms. Expressions of identity that are seen as not conforming to these norms and roles, such wearing skinny jeans, having long hair, and having a more “feminine” gender expression, often lead to instances of verbal abuse or bullying because the individualis perceived to identify as LGBT, even if they would not identify as LGBT themselves. In many cases, LGBT people have faced physical violence, rape, and in extreme cases, death. Data compiled by IraQueer indicate that, from 2015–2018, the Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL) was responsible for 10% of crimes against LGBT people, while government authorities and affiliated armed groups are responsible for 53% of crimes and violations against LGBT people.
[…]
MADRE, IraQueer, OutRight Action International, The Organization of Women’s Freedom in Iraq (OWFI) (9.2019): Violence and Discrimination Based on Sexual Orientation and Gender Identity in Iraq, A Report for the United Nations Committee on the Elimination of Discrimination against Women, https://outrightinternational.org/sites/default/files/CEDAWShadowReport_SOGIE_74th%20Session_Iraq_UPDATED.pdf, Zugriff 11.2.2021
Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) ist ein weltweiter Dachverband für Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen (LGBTI). In einem Bericht von 2019 schreibt ILGA zum Irak, dass spätestens seit Anfang 2017 in Regionen, die unter der Kontrolle des sog. Islamischen Staates standen, als schwul wahrgenommene Personen brutal und rasch außergerichtlich hingerichtet wurden. Über Männer, die beschuldigt wurden, schwul zu sein, wurde die Todesstrafe verhängt, indem sie von den Dächern hoher Gebäuden geworfen oder gesteinigt wurden.
[…] In Iraq, at least since the start of 2017, various persons perceived as gay were brutally and quickly executed extra-judicially in regions under the control of the Islamic State Organisation (Da’esh). The security forces of the organisation (Diwan al-Hesba) subjected the areas under their control to severe restrictions and penalties, including the execution of men accused of being gay, imposing the death penalty by throwing them from buildings (carried out from the tops of tall buildings) and later stoned.108 […]
ILGA World - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (2019): State-sponsored Homophobia, 13th Edition, https://ilga.org/downloads/ILGA_State_Sponsored_Homophobia_2019.pdf, Zugriff 11.2.2021
Iraqi News, ein englischsprachiger Online-Nachrichtendienst, der sich in seiner Berichterstattung auf Ereignisse des Nahen Ostens und insbesondere des Irak fokussiert, berichtet am 27.5.2017 über Vollstreckungen von Todesurteilen an Homsexuellen durch den sog. Islamischen Staat mittels Steinigung und mittels Herabstoßen vom Dach eines hohen Gebäudes.
The Islamic State group has sentenced a youth to death by stoning in the city of Mosul, on charges of homosexuality.
[…]
Earlier this year, Islamic State militants sentenced a man to death by throwing him from a high rooftop in Mosul, after accusing him of being homosexual, while used the same method to execute four people, including two of its own members, on charges of homosexuality and sodomy in Dor al-Toub area in central Mosul.
Iraqi News (27.5.2017): Photos: Islamic State stones a youth accused of homosexuality in Mosul https://www.iraqinews.com/iraq-war/photos-islamic-state-stones-youth-homosexuality-mosul/, Zugriff 11.2.2021
Human Rights Watch berichtet am 13.1.2021, dass Täter, einschließlich Sicherheitskräfte, die für Entführungen, Folter und Tötungen von Menschen, die als schwul und transgender wahrgenommen werden, verantwortlich waren, sind von den Behörden nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Ein 2012 eingerichtetes Regierungskomitee, das sich mit dem Missbrauch von LGBT-Personen befassen sollte, unternahm nur wenige greifbare Schritte zu deren Schutz, bevor es sich auflöste.
[…] Over the years authorities have not held accountable perpetrators, including security forces, of kidnappings, torture, and killings of people perceived as gay and transgender. A 2012 government committee established to address abuses against LGBT people took few tangible steps to protect them before disbanding. […]
HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html, Zugriff 11.2.2021
Human Rights Watch berichtet am 8.6.2020, dass im Irak Entführungen, Folterungen und Tötungen von LGBT-Personen durch Angehörige der irakischen Streitkräfte seit über einem Jahrzehnt ein schwerwiegendes Muster darstellen.
Frühere Regierungen haben die Vorfälle von sich gewiesen. Im Jahr 2012 startete die Armee zusammen mit anderen Streitkräften eine Welle von Angriffen auf Menschen, von denen einige als LGBT angesehen wurden. Die Tötungen von LGBT-Personen gingen in Bagdad bis 2017 und 2018 weiter, wobei die irakischen Behörden anscheinend nichts unternahmen, um die Tötungen zu stoppen oder die Beteiligten zu bestrafen. Der neu gewählte Premierminister Mustafa Al-Kadhimi hat seine Bereitschaft signalisiert, sich allgemein mit den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen zu befassen.
Am 17.5.2020, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie, hisste eine ausländische Botschaft in Bagdad eine Regenbogenfahne, als Symbol der Solidarität mit LGBT-Personen. Dies wurde im Irak als Respektlosigkeit gegenüber den irakischen Werten verurteilt, unter anderem durch den schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, diverse Parlamentarier und das Außenministerium. Seitdem, so berichteten Aktivisten, wurden mehrere schwule Männer ermordet und Dutzende LGBT-Personen bedroht.
[…] In Iraq, where a series of kidnappings, torture and killings of LGBT people by Iraqi armed forces has been a grave pattern for over a decade, previous governments absolved themselves of responsibility and instead claimed that these abusive forces were attempting “to stand as protectors for morals and religious traditions.” In 2012, the army, along with other armed forces, launched a wave of attacks on people, some perceived as LGBT. Killings of LGBT people continued in Baghdad into 2017 and 2018, with Iraqi authorities seemingly doing nothing to stop the killings or punish those involved. Newly elected Prime Minister Mustafa Al-Kadhimi has indicated a readiness to address ongoing human rights violations more generally.
[…] In Iraq, a foreign embassy compound in Baghdad raised a rainbow flag, a symbol of solidarity with LGBT people, on May 17, the International Day Against Homophobia, Transphobia, and Biphobia (IDAHOBIT). This triggered condemnation in Iraq including from Shia cleric Moqtada al-Sadr, parliamentarians, and the foreign ministry, who all claimed that the embassy was disrespecting Iraqi values and imposing a Western agenda. Since then, activists told us, several gay men have been murdered and dozens of LGBT people threatened. […]
HRW - Human Rights Watch (8.6.2020): This Pride Month, Shame on You: Exposing Anti-LGBT Government Strategies in MENA, https://www.hrw.org/news/2020/06/08/pride-month-shame-you-exposing-anti-lgbt-government-strategies-mena, Zugriff 11.2.2021
Al-Husseini, ein Vertreter der vom Iran unterstützten Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilization Units, PMU) erklärte im Jänner 2020, dass der Irak unter anderem kein Land für Homosexuelle sei. Al-Husseini sei für die Erschießung irakischer Zivilisten während der Massendemonstrationen in Bagdad und dem Südirak verantwortlich.
Ein weiterer Bericht macht jene Gruppierungen, die gegen den sog. Islamischen Staat (IS) gekämpft haben für viele Übergriffe gegen LGBT-Personen verantwortlich.
Der einflussreiche Geistliche Moqtada as-Sadr hat seine Anhänger jedoch dazu aufgerufen von Gewalt gegen Homosexuelle abzusehen, bezeichnet sie aber weiterhin als inakzeptabel und verboten.
Einzelquellen:
Die israelische Tageszeitung The Jerusalem Post berichtet am 16.1.2020, dass eine vom Middle East Media Research Institute (MEMRI) veröffentlichtes Video Ali Al-Husseini, einen Vertreter der vom Iran unterstützten Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilization Units, PMU) zeigt, der in einer schwulenfeindlichen Rede erklärt, dass der Irak kein Land für Kollaborateure, Spione, „Joker“ [Gangs] oder Homosexuelle sei, und dass seine Organisation Demonstranten gegen die Regierung auslöschen werde.
Der LGBT- und Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell nennt dies die Worte eines pro-iranischen Vollstreckers im Irak. Al-Husseini sei für die Erschießung irakischer Zivilisten verantwortlich, die friedlich gegen Korruption, Armut und Sparmaßnahmen protestierten, die von der von Teheran unterstützten Regierung in Bagdad auferlegt wurden. Dabei benutzt er Homophobie, um eine legitime Volksbewegung zu diskreditieren.
An official for the Iranian-sponsored Popular Mobilization Units declared in a video that Iraq is not a country for homosexuals or collaborators, and that his organization will obliterate government protestors.
The Middle East Media Research Institute (MEMRI) posted a video on Thursday that revealed PMU Official Ali Al-Husseini’s anti-gay diatribe. “Iraq is not a country for collaboration, espionage, Joker [gangs], or homosexuals," he said, according to MEMRI's translation. "Every day, römisch eins hear you call people filthy. [But] you are the filthy ones! Your families are filthy – filthy; You are the filthy ones! Your families are filthy. You were brought up in filth.
"You were brought up in the streets by the Baath [Party], by its female comrades, and by the filthy and accursed pro-Saddam Baathists," Husseini continued. "Inshallah [God willing], when we go to the squares for our million-man demonstration, we will end all this."
He continued, saying that, "If God so wills it, we will shut down [the anti-government protesters’] squares of prostitution, humiliation, Joker [gangs], spies, scandal and abasement. Our square is the square of resistance, heroes, mujahideen [jihadists], and rejection of the occupiers. Inshallah, we shall eliminate them and drive them out of Iraq, by the power of God, the Prophet’s family, the mujahideen, and the resistance axis.”
MEMRI wrote that the video was uploaded to the Internet on Wednesday ahead of a planned demonstration against the Iraqi government and US forces in Iraq. The demonstration is slated to take place on Friday.
LGBT and human rights campaigner Peter Tatchell told The Jerusalem Post: "These are the words of the pro-Iranian enforcer in Iraq. Al-Husseini has been responsible for shooting dead Iraqi civilians who were peacefully protesting against the corruption, poverty and austerity imposed by the Tehran-backed government in Baghdad.
"He's using homophobia in a bid to discredit a legitimate popular movement," Tatchell said. "His threat to eliminate anti-government protesters is chilling. römisch eins t shows that the PMU militias intend to enforce the same tyranny in Iraq as their masters enforce against the people of Iran."
[…]
The Jerusalem Post (16.1.2020): Iranian milita declares Iraq not for `filthy homosexuals, collaboratos`, https://www.jpost.com/Middle-East/Iranian-militia-declares-Iraq-not-for-filthy-homosexuals-collaborators-614399, Zugriff 11.2.2021
Die in London ansässige, unabhängig finanzierte Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Think Tanks veröffentlicht, behandelt in einem im April 2018 veröffentlichten Artikel das Thema LGBT-Personen im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan. In dem Artikel wird darüber hinaus festgestellt, dass, während in den Medien vorwiegend über die Grausamkeiten des IS gegenüber der LGBT-Community berichtet werde, gerade jene Gruppen, die den IS bekämpfen würden, eine Hauptquelle der Gewalt gegenüber LGBT-Personen darstellen.
Unter Saddam Hussein sei Homosexualität zwar illegal gewesen, doch habe dessen Sturz im Jahr 2003 zu einer Vermehrung bewaffneter Gruppen mit finanzieller und ideologischer Nähe zur Islamischen Republik Iran geführt, ein Land in dem seit 1979 mehr als 5.000 LGBT-Personen exekutiert worden seien. Laut Menschenrechtsorganisationen hätten bewaffnete Gruppen LGBT-Personen und Personen, denen die Zugehörigkeit zu einer dieser Minderheiten unterstellt worden sei, schikaniert und bedroht. Zumindest in einem Fall im Jahr 2014 habe die Organisation Asa'ib Ahl al-Haq eine Fahndungsliste mit den Namen mutmaßlicher LGBT-Personen veröffentlicht. In Bagdad habe im Jahr 2012 eine von bewaffneten Gruppen ausgehende Hetzkampagne begonnen, die sich gegen Männer gerichtet habe, die der ‚Emo‘-Community angehört hätten, oder die als feminin oder sexuell ambivalent angesehen worden seien. Laut der UN-Unterstützungsmission für den Irak seien in Folge dessen ungefähr 56 Menschen auf Grund ihrer (vermuteten) Zugehörigkeit zu dieser Community ermordet worden. Der Artikel berichtet weiters, dass im Jahr 2017 ein Schauspieler auf Grund seines ‚homosexuellen Aussehens‘ zu Tode gefoltert worden sei:
Laut dem MEE-Artikel habe der einflussreiche schiitische Kleriker Muqtada as-Sadr im Jahr 2016 verkündet, dass es inakzeptabel sei, Menschen wegen des Verdachts auf Homosexualität anzugreifen, wobei er allerdings gleichzeitig betont habe, dass es wichtig sei, sich von LGBT-Personen zu distanzieren. Der stellvertretende Nahost-Direktor der NGO Human Rights Watch habe in einer Stellungnahme die Tatsache begrüßt, dass der Anführer einer jener Gruppen, deren Mitglieder im Irak ernstzunehmende Übergriffe auf LGBT-Personen ausgeübt hätten, diese Angriffe verurteilt habe. Human Rights Watch, sowie die NGO IraQueer hätten zu den Worten Sadrs allerdings auch angemerkt, dass diese nicht weit genug gehen würden.
Images of gay men being thrown from buildings in Mosul filtered into the media, another addition to the litany of abuses carried out by the group. But the other primary source of violence against LGBT people in Iraq has stemmed from the same people who took most credit for defeating IS. Although homosexuality was illegal under Saddam Hussein, his overthrow by the US-led invasion in 2003 has seen the growth of armed groups with financial and ideological links to the Islamic Republic of Iran, a country responsible for more than 5,000 executions of LGBT people since 1979. According to human rights organisations, the armed groups have harassed and attacked LGBT people (or those perceived to be LGBT) and in at least one instance in 2014 the Asa'ib Ahl al-Haq organisation released a wanted list with the names of suspect gay men. In 2012, armed groups, primarily in Baghdad, started a campaign against people perceived to be ‚emo,‘ referring to usually young men perceived to be effeminate and sexually ambiguous. The UN Assistance Mission for Iraq reported that around 56 people were murdered for being ‚emo‘ as a result. And in 2017, an actor was stabbed and tortured to death in Baghdad for ‚looking gay,‘ according to local media reports.“ (MEE, 13. April 2018)
„The influential Shia cleric Muqtada al-Sadr, who also recently made headlines for his opposition to sectarianism and his alliance with the secular Communist party, announced in 2016 that it was unnacceptable to attack people suspected of homosexuality. Although he reiterated the need for Iraqis to ’disassociate‘ themselves from LGBT people, he emphasised that they must ’not attack them, as it increases their aversion, and you must guide them using acceptable and rational means‘. IraQueer and Human Rights Watch welcomed his words, though noting that they did not go far enough. ’Finally, the head of one of the groups whose members have carried out serious abuses against lesbian, gay, bisexual and transgender (LGBT) people in Iraq is condemning these heinous attacks,’ said Joe Stork, then deputy Middle East director of HRW.
MEE - Middle East Eye (13.4.2018): 'The world is changing': Iraqi LGBT group takes campaign to streets, http://www.middleeasteye.net/news/rasan-1330280220, Zugriff 11.2.2021
Al Arabiya, ein arabischsprachiger Nachrichtensender mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, berichtet am 19.8.2020, dass die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) den irakischen schiitischen Geistlichen Moqtada as-Sadr für die Veröffentlichung eines Dekrets gelobt habe, in dem er die Menschen auffordert, Homosexuelle nicht anzugreifen, was von HRW als wichtigen Schritt in Richtung Toleranz bezeichnet wird.
As-Sadr, der eine große Zahl von Anhängern im Irak hat, bleibt in seiner Erklärung bei der Meinung, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen, Cross-Dressing und die Nichteinhaltung traditioneller Geschlechternormen in der Religion inakzeptabel und verboten" seien, sagt aber, dass Homosexuelle trotz „psychologischer Probleme" das Recht haben unbehelligt zu leben. "[Man] muss sich von ihnen distanzieren, [aber] sie nicht angreifen, da dies ihre Abneigung erhöht, und man muss sie mit akzeptablen und rationalen Mitteln führen," sagte er in der Erklärung. [Anm.: As-Sadrs Mahdi Armee wird beschuldigt im Jahr 2009 mehrere hundert schwule und „verweichlichte“ Männer entführt, gefoltert und ermordet haben.]
The Human Rights Watch (HRW) has praised on Thursday Iraqi Shiite cleric Moqtada al-Sadr for issuing a decree urging people not to attack homosexuals, dubbing the clergyman’s statement as an “important step” towards tolerance.
Al-Sadr, who has a big number of followers in Iraq, maintained in his statement that same-sex relationships, cross-dressing, and not abiding by traditional gender norms are unacceptable and “forbidden” in religion.
But he said homosexuals still had the right to live unharmed despite suffering from “psychological problems.”
“[You] must disassociate from them [but] not attack them, as it increases their aversion and you must guide them using acceptable and rational means,” he said in a statement.
Al Arabiya (19.8.2020): Iraqi cleric Sadr rejecting violence against homosexuals ‘important step’, https://english.alarabiya.net/en/variety/2016/08/19/Iraqi-cleric-Sadr-rejecting-violence-against-homosexuals-important-step-, Zugriff 11.2.2021
Auf der eigenen Homepage bezeichnet sich die irakische Menschenrechtsorganisation IraQueer, die für die Rechte und den Schutz von Personen der LGBT+-Gemeinschaft kämpft und auch mit internationalen NGOs und mit den Vereinten Nationen kooperiert, als führende irakische Organisation in diesem Bereich.
IraQueer veröffentlicht Berichte und Videos auf Arabisch, Kurdisch und Englisch, um das Bewusstsein unter und über LGBT+ Iraker zu erhöhen und veranstaltet Schulungen und Workshops für relevante Interessengruppen, um die LGBT+-Bewegung voranzubringen.
IraQueer bietet auch eine Reihe von direkten Dienstleistungen an, die auf dringende Bedürfnisse reagieren, wie z.B. sichere Unterbringung, Unterstützung von Asylbewerbern, die sich im Verfahren befinden, Beratung und Verbindung zu Selbsthilfegruppen.
IraQueer is the leading Iraqi LGBT+ organization. We passionately defend and advocate for the LGBT+ community to make meaningful social and political change that enables LGBT+ citizens to live in an Iraq where everyone is recognized and protected. To achieve this goal, we focus our efforts on three main aspects that are detailed below.
Education
IraQueer produces written and visual resources in Arabic, Kurdish, and English to raise awareness amongst and about LGBT+ Iraqis. In addition to giving trainings and workshops to relevant stakeholders to advance the LGBT+ movement.
Advocacy
IraQueer leads advocacy efforts to realize human rights of LGBT+ citizens. IraQueer aims at achieving this goal through engaging directly with the United Nations and other international platforms, publishing reports and submissions, and holding events.
Direct Services
IraQueer offers a range of direct services that respond to urgent needs including safe housing, supporting asylum seekers who are in the process, counseling, and connecting them to support groups. […]
IraQueer (o.D.): Projects, https://www.iraqueer.org/projects.html, Zugriff 1.4.2021
Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) ergibt sich zu Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten (Punkt römisch III.10., S 116 ff):
„10) Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten
a) Die Situation in Gebieten unter Regierungskontrolle
Das irakische Strafgesetzbuch verbietet nicht ausdrücklich einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen. Eine Reihe vage formulierter Bestimmungen des Strafgesetzbuches lassen Raum für die Diskriminierung und strafrechtliche Verfolgung von Personen, die beschuldigt werden, an einvernehmlichen, gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen teilzunehmen – z.B. wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Prostitution. Allerdings wurden diese Bestimmungen Berichten zufolge nicht systematisch zur Verfolgung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen angewandt.
Seit 2003 gab es einige Wellen vermehrter gezielter Gewalt gegen Personen dieses Profils, einschließlich Personen, die vermeintlich die gesellschaftlichen Normen für akzeptiertes geschlechtsspezifisches Verhalten übertreten. Es wird berichtet, dass das Erstarken nichtstaatlicher bewaffneter Akteure seit 2014 die Vulnerabilität von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten verschlimmert hat. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich diesem Profil entsprechen, sind Berichten zufolge häufig mehreren Formen gesellschaftlicher Diskriminierung (z.B. in Bezug auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit und Grundversorgung) und Gewalt wie Belästigung (z.B. an Checkpoints), Drohungen, körperlicher und sexueller Gewalt, Entführungen und in manchen Fällen Tötungen durch unterschiedliche staatliche und nichtstaatliche Akteure, einschließlich Mitgliedern ihrer Familie oder ihres Stammes, der breiteren Öffentlichkeit, staatlicher Behörden und unterschiedlicher bewaffneter Gruppen ausgesetzt. Transgender-Personen sind Berichten zufolge mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, unter anderem weil sie keine Ausweispapiere erhalten können, in denen ihr Geschlecht entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität ausgewiesen würde. Laut Berichten werden Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten über soziale Medien einschließlich Dating-Apps identifiziert und ins Visier genommen.
Es wurden Bedenken hinsichtlich der Bereitschaft und Fähigkeit der Behörden zur Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten geäußert, sowie hinsichtlich der Bereitschaft und Fähigkeit, diesen Personen Schutz zu gewähren. Infolgedessen wird berichtet, dass Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten aus Angst davor, dass ihre sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität offengelegt werden könnte, sowie aus Angst vor rechtlicher Verfolgung basierend auf vagen strafrechtlichen Bestimmungen und vor weiterem Schaden durch die Behörden und andere Akteure darauf verzichten, Fälle von Diskriminierung, Drohungen und Gewalt bei der Polizei oder den staatlichen Behörden zu melden. Straffreiheit ist deshalb Berichten zufolge weitverbreitet.
Es wird berichtet, dass LGBTI-Organisationen (Organisationen für lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Personen) nicht öffentlich agieren und dass Aktivisten, die sich für die Rechte von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten einsetzen, häufig zu Opfern von Drohungen, Belästigungen und körperlichen Angriffen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure werden. Es wird berichtet, dass einige zivilgesellschaftliche Organisationen vorübergehende Unterkünfte an geheimen Orten für Personen betreiben, die Schaden befürchten. Diese geheimen Unterkünfte werden Berichten zufolge außerhalb jeglichen rechtlichen Rahmens635und unter enormem Risiko sowohl für die bedrohten Personen als auch für die Mitarbeiter der Organisation betrieben.636 Aus Gründen der Sicherheit werden diese geheimen Unterkünfte immer nur für kurze Zeit betrieben, normalerweise für einige Monate, bevor sie entweder geschlossen oder umgesiedelt werden. Es können dort immer nur einige wenige Personen auf einmal aufgenommen werden, um nicht die Aufmerksamkeit der Behörden und anderer Akteure auf sich zu ziehen. IraQueer hat Fälle dokumentiert, in denen Personen von ihrer Familie getötet wurden, nachdem sie eine geheime Unterkunft verlassen hatten.
b) Die Situation in der Autonomen Region Kurdistan
Das irakische Strafgesetzbuch gilt auch in der Autonomen Region Kurdistan und aus den verfügbaren Informationen geht hervor, dass Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder geschlechtlicher Identität wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Prostitution verhaftet und in einigen Fällen strafrechtlich verfolgt wurden. Laut Berichten wird die kurdische Gesellschaft nach wie vor überwiegend von konservativen kulturellen, religiösen und stammesbedingten Werten und Praktiken – einschließlich einem starken Festhalten an traditionellen Vorstellungen von Geschlechterrollen und Familien-„Ehre“ – beherrscht und die Toleranz gegenüber offener Homosexualität und unkonventionellen Geschlechteridentitäten ist begrenzt. Es wird berichtet, dass sich langsam ein öffentlicher Diskurs rund um die Rechte von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten entwickelt und zwar überwiegend unter der Führung von einer Frauenrechtsorganisation und einigen Medien. Allerdings geben die meisten zivilgesellschaftlichen Akteure an, dass es noch immer äußerst heikel ist sich mit LGBTIAngelegenheiten zu befassen und dass sie dabei sehr diskret vorgehen müssen und einem persönlichen Risiko ausgesetzt sind.
Es wird berichtet, dass die meisten Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten unter Druck stehen, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität geheim zu halten, um Diskriminierung (z.B. in Bezug auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit und Gesundheitsversorgung), Belästigung, Drohungen, körperliche Misshandlung und sexuelle Gewalt durch die Gesellschaft, durch ihre Familien und die Polizei sowie um „Ehrenmorde“ durch ihre Familien zu vermeiden. Die Polizei und Sicherheitskräfte haben Berichten zufolge Missbrauch gegen Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten – einschließlich Belästigung und Festnahmen an Checkpoints und in Haft – begangen. Für Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten besteht Berichten zufolge ein „extrem hohes Risiko“, Opfer von Menschenhandel zum Zwecke kommerzieller sexueller Ausbeutung zu werden, insbesondere, weil innerhalb der Autonomen Region Kurdistan keine sicheren Orte für diese Personen existieren. In der Autonomen Region Kurdistan existieren keine speziellen Unterkünfte für gefährdete Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten. Frauen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten können in der Autonomen Region Kurdistan theoretisch in Frauenhäusern unterkommen. Allerdings hängt die Aufnahme von einem Gerichtsbeschluss ab, was bedeutet, dass das Opfer bei der Polizei Anzeige erstatten muss. Für Männer mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten existieren in der Autonomen Region Kurdistan keine Unterkünfte, wenngleich manche zivilgesellschaftliche Organisationen einigen Personen vorübergehende Zufluchtsorte in Privatunterkünften oder Hotels zur Verfügung gestellt haben, wobei dies für gewöhnlich ein erhebliches Risiko sowohl für das Opfer als auch für jene darstellt, die an der Bereitstellung dieser Hilfe beteiligt sind. Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten verfügen oft auch nicht über die finanziellen Mittel, um eine Unterkunft zu mieten oder für ein Hotelzimmer zu bezahlen, da sie üblicherweise außerhalb ihres familiären Unterstützungsnetzwerkes leben.
Es wird berichtet, dass Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten in allen Gebieten Iraks aus Angst vor der Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität, aus Angst vor rechtlicher Verfolgung basierend auf vagen strafrechtlichen Bestimmungen und aus Angst vor weiteren Schäden durch die Behörden und andere Akteure darauf verzichten, Fälle von Diskriminierung, Drohungen und Gewalt bei der Polizei oder anderen staatlichen Behörden anzuzeigen.“
Quelle:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/1457700.html, Zugriff 25.03.2021“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Name, Geburtsdatum) Staatsbürgerschaft, Volksgruppenzugehörigkeit, Familienstand, Glaubensbekenntnis, letztem Wohnort im Irak, familiären Bezugspunkten im Herkunftstaat, Volksgruppenzugehörigkeit der Familie, Kinderlosigkeit, Arbeitsfähigkeit, Schulbesuch im Irak sowie Arabisch- und Turkmenischkentnnissen des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde sowie den widerspruchsfrei gebliebenen Angaben des BF im Verfahren, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, in seiner Beschwerde und den vorgelegten Unterlagen.
Die Ausreise aus dem Irak, der Reiseweg sowie die gegenständliche Einreise ins Bundesgebiet und Antragstellung ergeben sich aus dem unbestrittenen und schlüssigen Akteninhalt sowie den dahingehend plausiblen Angaben des BF.
Die Erwerbslosigkeit des BF folgt den Angaben des BF sowie dem Inhalt des auf ihn lautenden Sozialversicherungsauszuges. Ferner konnte durch Einsichtnahme in das österreichische Straf- sowie das GVS-Informationssystem die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF sowie dessen Bezug von Grundversorgungsleistungen ermittelt werden.
Aufgrund in Vorlage gebrachter medizinischer Unterlagen war der BF in der Lage, die oben zitierten Krankheitsbilder sowie die Inanspruchnahme regelmäßiger psychotherapeutischer und psychiatirscher Leistungen nachweisen (siehe Verhandlungsprotokoll-Beilagen: Psychotherapeutsiche Stellungnahme von römisch 40 , Psychotherapeutin in römisch 40 , vom römisch 40 .2021; Ärztlicher Befundbericht von römisch 40 , FA für Psychiatrie und Neurologie, in römisch 40 , vom römisch 40 .2021; Arztbrief von römisch 40 , Arzt für Allgmeinmedizin, in römisch 40 , vom römisch 40 .2021). Vor dem Hintergrund der dem BF attestierten psychischen Beeinträchtigungen erscheint dessen Vorbringen, derentwegen er keine Deutschkurse belegen oder eine Deutprüfung ablegen konnte, als glaubwürdig.
Den nachvollziehbaren Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA, der gegenständlichen Beschwerde und der mündlichen Verhandlung folgen ferner die Feststellungen zur beruflichen Tätigkeit der Mutter des BF und deren Pensionsbezug, der Ausreise aus dem Irak im Jahr 1997 und Abschiebung im Jahr 2012 aus den Niederalnden in den Irak, zur zuletzt ausgeübten Tätigkeit im Herkunftsstaat sowie zu den Wohnverhältnissen vor der gegenständlichen Ausreise im Irak.
2.3. Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:
Die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates und seiner Situation im Fall der Rückkehr beruhen auf den jeweiligen Angaben des BF in seiner Erstbefragung, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, den Ausführungen in der Beschwerde und den ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen sowie im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF im Zuge der Erstbefragung an, dass er aufgrund sener Volksgruppenzugehörigkeit Anfeindungen und Diskriminierungen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen sei. Zudem sei er nach seiner Rückkehr in den Irak im Jahr 2012 vom örtlichen Bezirksvorsteher als europäischer Spion bezeichnet und in weiterer Folge von Mitgliedern einer schiitischen-Miliz entführt und geschlagen worden. Erst nach Zahlung eines Lösegeldes in der Höhe USD 50.000,00 sei der BF nach vier Tagen wieder freigelassen worden. Nach Erstarken des IS in der Herkunftsregion des BF seien Turkmenen durch die Befreiungstruppen der Peschmerga verfolgt und diese sowie der BF selbst auch bestohlen worden, weshalb er letztlich die Ausreise aus dem Irak angetreten sei. Seine Familienangehörigen, die allesamt ebenfalls der Volksgruppe der Turkmenen angehörten, wie auch der Großteil der in Kirkiuk lebenden Menschen, hätten bis dato keine Übergriffe auf sich erlebt.
Darüber hinaus brachte der BF vor dem BFA erstmals vor, homosexuell zu sein, und seine Sexualität im Irak nicht ausleben gekonnt zu haben, zumal bei Bekanntwerden derselben er im Irak mit maßgeblicher Bedrohung oder Verfolgung zu rechenen gehabt hätte. Erstmals sei ihm seine Sexualität im Alter von 17 Jahren bewusstgeworden und habe er diese nach seiner Ausreise aus dem Irak im Jahr 1997 in Europa erstmals ausleben können. Er habe in den Niederlanden eine Beziehung mit einem transsexuellen Mann geführt, welche aufgrund seiner Abschiebung im Jahr 2012 aprubt zu Ende ging. Auch in Österreich lebe er seine Sexualität aus, jedoch habe er aufgrund seiner Erfahrungen in der Vergangenheit Probleme, Beziehungen einzugehen. Grundsätzlich fühle sich der BF zu Transsexuellen-Mänern hingezogen und sei er auf einschlägigen sozialen Plattformen aktiv.
Insofern der BF eine Verfolgung durch schiitische Milizen aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit vorbringt, kann ihm kein Glauben geschenkt werden. Zum einen erweist sich das Vorbringen des BF als sehr vage und oberflächlich und zum anderen steht es im Widerspruch zu seinen Angaben, dass seine Familie, deren Mitglieder allesamt Angehörge derselben Volksgruppe (der auch der BF angehört) seien, bis dato keinerlei Übergriffe erfahren hätten. Es lässt sich logisch nicht nachvollziehen, weshalb es im Falle einer tatsächlichen systematischen Verfolgung von Turkmenen im Herkunftsgebiet des BF, die Familie des BF von einer solchen ausgenommen, der BF jedoch als einziges Familienmitglied Ziel einer vemeintlichen Verfolgung gewesen sei. Ferner – im Falle der Wahrunterstellung – lässt der Umstand, dass der BF angeblich gegen die Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen worden sei, vor dem Hintergrund, dass er behauptet hat, seine Familie sei vermögend, den Schluss zu, dass es sich bei der Entführung des BF nicht um dessen Volksgruppenzugehörigkeit, sondern vielmehr um die Erzielung eines hohen Lösegeldes gegangen sei. Demzufolge wäre von einer kriminellen Motivation der Täter auszugehen, die keinen Schluss darauf zulässt, dass der BF aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit in das Fadenkreuz derselben geraten sei.
Unbeschadet dessen ist das gegenständlich relevante Vorbringen des BF bzw. die von ihm vorgebrachte Gefährdung im Falle seiner Rückkehr wegen der von ihm in Österreich nunmehr gelebten und auf sozialen Medien einsehbaren Homosexualität im Fall seiner Rückkehr in den Irak mit den festgestellten Länderberichten in weiten Zügen deckungsgleich.
Insgesamt belegen die aktenkundigen Beweismittel und die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF sowie der Umstand, dass der BF sich inzwischen – wie seine offenen Angaben in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG beweisen – zu seiner Homosexualität bekennt, sich regelmäßig beim LGBTIQ-Verein römisch 40 beraten lässt (siehe OZ 3 und 6) und gleichgeschlechtliche Beziehungen über einschlägige internetforen sucht (siehe OZ 3), seine tatsächliche sexuelle Orientierung.
In diesem Kontext ist festzuhalten, dass der EuGH zur Thematik der Homosexualität klargestellt hat, aufgrund der besonderen Intimität dieser Thematik sei das Erfordernis, Antragsteller hätten „so schnell wie möglich“ alle Anhaltspunkte darzulegen, einschränkend auszulegen ist und ein späteres Vorbringen zur sexuellen Orientierung deshalb nicht ohne Weiters als Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Antragstellers heranzuziehen sei (EuGH vom 02.12.2014, Rs C-148/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande). Insofern kann aus dem Umstand, dass der BF seine Homosexualität nicht bereits bei seiner Erstbefragung, sondern erst in weiterer Folge vor dem BFA vorgerbracht hat, nichts Nachteiliges im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des BF gewonnen werden.
Insgesamt ist es dem BF gelungen – entsprechend dem notwendigen Beweismaß der Glaubhaftmachung – nach Ansicht des erkennenden Gerichts im konkreten Fall hinreichend nachvollziehbar und glaubhaft darzulegen, dass ihm im Herkunftsstaat Irak entsprechend den Feststellungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung, konkret Homosexualität, droht.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgericht, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Darüber hinaus brachte das BVwG für den konkreten Fall maßgebliche und zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderberichte im Rahmen der mündlichen Verhandlung in das Verfahren ein. Berücksichtigt werden auch die UNHCR-Richtlinien zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) sowie die von den Rechtsvertretungen vorgelegten – einschlägigen, Länderinformationen, insbesondere der Staatendokumentationsanfrage: „Homosexuelle; strafrechtliche Verfolgung; Übergriffe nicht staatlicher Akteure“ vom 08.04.2021. Insgesamt wurde kein Vorbringen erstattet oder andere Länderberichte vorgelegt, die den Feststellungen des erkennenden Gerichts zur Lage im Herkunftsstaat des BF entgegenstünden oder eine andere Beurteilung erforderten. Die seitens des BVwG in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben somit unbestritten. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides des Beschwerdeführers:
3.1.1. Der BF stellte in Österreich am 02.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 15, AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten das zunächst befristete und schließlich dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt.
Der mit „Status des Asylberechtigten“ betitelte Paragraph 3, AsylG 2005 lautet:
Paragraph 3, (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23,) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (Paragraph 5, BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer eins, gilt Absatz 4, mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Im Hinblick auf die Neufassung des Paragraph 3, AsylG 2005 im Vergleich zu Paragraph 7, AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK gilt, grundsätzlich auch auf Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 anzuwenden ist.
Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Unter „Verfolgung“ im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen vergleiche VwGH vom 31.07.2018, Ra 2018/20/0182).
Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005 umschreibt „Verfolgung“ jede Verfolgungshandlung im Sinne des Artikel 9, der Statusrichtlinie, worunter – unter anderem – Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15, Absatz 2, EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Artikel 2, EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Artikel 3, EMRK niedergelegte Verbot der Folter vergleiche VwGH vom 31.07.2018, Ra 2018/20/0182, mit Verweis auf VwGH vom 08.09.2015,
Ra 2015/18/0080).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
3.1.2. Vorliegend ist festzuhalten, dass der BF eine Verfolgung im Herkunftsstaat wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit nicht glaubhaft machen konnte, dem glaubhaften Vorbringen des BF homosexuell zu sein und im Herkunftsstaat einer Verfolgung zu unterliegen im Ergebnis jedoch Asylrelevanz zukommt:
Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkrieges hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichtete Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 03.05.2018, Ra 2017/19/0476, mit Verweis auf VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/20/0089, mwN).
Generell wird eine „bestimmte soziale Gruppe“ durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Person entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen können eine derartige „bestimmte soziale Gruppe“ im Sinne der GFK darstellen vergleiche etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, römisch II, 456).
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgte werden, zu gewähren vergleiche etwa VwGH vom 17.12.2015, Ra 2015/20/0048).
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, Rs C-199/12 bis C-201/12, römisch zehn, Y und Z, zur Frage, ob Artikel 10, Absatz eins, Litera d, der Status- oder Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates so auszulegen ist, dass Homosexuelle bei der Prüfung der Verfolgungsgründe als bestimmte soziale Gruppe vergleiche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK) angesehen werden können, ausgeführt, dass hierfür zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen: Zum einen müssen die Angehörigen einer solchen Gruppe Merkmale oder eine Überzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität sind, dass ein/e Betroffene/r nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten; zum anderen muss die Gruppe in dem betreffenden Herkunftsstaat eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach Ansicht des EuGH steht allgemein fest, dass die sexuelle Orientierung einer Person ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, darauf zu verzichten. Weiters erlaubt auch „das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen eine abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“. Weiters hat der EuGH in diesem Urteil ausgeführt, dass Artikel 10, Absatz eins, Litera d, der Statusrichtlinie dahin auszulegen ist, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, stellt noch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Artikel 9, Absatz eins, in Verbindung mit Artikel 9, Absatz 2, Litera c, der Statusrichtlinie dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Die nationalen Behörden haben, wenn ein Asylbewerber geltend macht, dass in seinem Herkunftsland Rechtsvorschriften bestünden, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellten, im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände nach Artikel 4, der Statusrichtlinie alle das Herkunftsland betreffenden relevanten Tatsachen einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften dieses Landes und der Weise, in der sie angewandt werden, zu prüfen, wie dies in Artikel 4, Absatz 3, Litera a, der Statusrichtlinie vorgesehen ist. Von einem Asylwerber kann nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden vergleiche auch RS1 zu VwGH vom 20.09.2018, Ra 2018/20/0043).
Auch wenn den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass das irakische Strafgesetzbuch gleichgeschlechtliche Intimität nicht verbietet, stützen sich die Behörden auf Anklagen wegen Sittlichkeitsvergehen oder Prostitution, um gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivität strafrechtlich zu verfolgen. Homosexuelle sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt und es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung bis hin zu Ehrenmorden. Konfessionelle Milizen haben in den letzten Jahren wiederholt Mitglieder sexueller Minderheiten bedroht und verfolgt und werden mit Ermordungen von homosexuellen Männern in Verbindung gebracht. Lokale Quellen berichteten, dass Milizen "Tötungslisten" verfassen und als Angehörige sexueller Minderheiten wahrgenommene Männer hingerichtet haben. Unter den schiitischen Milizen der PMF wurden in den letzten Jahren vor allem den Asa'ib Ahl al-Haqq zahlreiche Gewalttaten homophober und transphober Natur zugeschrieben. Einige bewaffnete Gruppen starteten eine Kampagne gegen homosexuelle Personen in Bagdad.
Angesichts dieser Länderberichte im Zusammenschau mit den glaubwürdigen Angaben des BF erscheint eine Gefährdung seiner Person maßgeblich wahrscheinlich. Sofern die Bedrohung durch private Personen erfolgt, ist auszuführen, dass der irakische Staat in diesem Fall nicht schutzfähig und -willig im Sinne der oben zitierten Judikatur ist. So sind laut den Länderberichten polizeiliche Untersuchungen in den wenigsten Fällen bekannt geworden und wird die Polizei mitunter eher als Bedrohung denn als Schutzmacht empfunden. Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten hat es die Regierung verabsäumt, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw. mögliche Opfer zu schützen. Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt.
Dass der BF seine nunmehr in Österreich gelebten homosexuellen Neigungen im Irak verheimlicht, um eine Verfolgung zu vermeiden, kann vom ihm nicht gefordert werden (VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043 und VfGH 11.06.2019,
E 291/2019, jeweils mit Hinweis auf EuGH 7.11.2013, verbRs C-199-201/12, römisch zehn ua., Rz 70 f.; daran anknüpfend VfSlg. 20.170/2017; VfGH 18.9.2014, E 910/2014).
Zudem hat der VwGH bereits mehrfach ausgeführt, dass den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“; vergleiche etwa VwGH vom 10.12.2014,
Ra 2014/18/0103-0106; vom 22.09.2017, Ra 2017/18/0166, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörde in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind vergleiche dazu etwa VwGH vom 16.12.2010, 2006/01/0788, mwN). Die Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR findet sich auch im einschlägigen Unionsrecht (Artikel 10, Absatz 3, Litera b, der Richtlinie 2013/32/EU und Artikel 8, Absatz eins und 2 der Richtlinie 2011/95/EU) (VwGH vom 07.06.2019, Ra 2019/14/0114, mwN).
Der UNHCR vertritt in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen“ (HCR/PC/IRQ/2019/05) vom Mai 2019 in Bezug auf die Verfolgungsgefahr von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten, dass sie abhängig von den spezifischen Umständen des jeweiligen Falls – aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe und/oder aus anderen maßgeblichen Gründen wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen.
Aus dem oben festgestellten Sachverhalt in Zusammenschau mit der diesbezüglichen Lage im Herkunftsstaat folgert das erkennende Gericht, dass der BF in der konkreten Fallkonstellation aufgrund seiner homosexuellen Orientierung in Verbindung mit der dadurch möglicherweise entstehenden Gefährdung seitens seiner Familie und weiteren nichtstaatlichen bzw. staatlichen Akteuren als Zugehöriger zur sozialen Gruppe der Homosexuellen im Falle einer Rückkehr in den Irak der erheblichen Gefahr schwerer Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt wäre.
In einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens des BF zu seinen Rückkehrbefürchtungen gelangte das erkennende Gericht zum Ergebnis, dass im Gefolge einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in Anbetracht der unveränderten persönlichen Eigenschaften des BF und der diesbezüglichen Situation im Herkunftsstaat, er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Bedrohung durch staatliche Organe und staatsnahe Akteure in Form von, in nicht rechtsstaatlicher Art und Weise erfolgten, Handlungen verbunden mit gravierenden Eingriffen in seine Rechtssphäre ausgesetzt wäre vergleiche zur Asylrelevanz von Misshandlungen und Folter bei polizeilichen „Befragungen“ etwa VwGH vom 19.12.2001, 98/20/0330; vom 03.07.2003, 2000/20/0498; vom 24.01.2008, 2006/19/0985).
Weiters kann der BF in solchen Fällen angesichts der aktuellen Lage in seinem Herkunftsstaat nicht damit rechnen, dass er gegen allfällige aufgrund der festgestellten Gründe erfolgenden Übergriffe von Sicherheitsorganen hinreichenden staatlichen Schutz erlangen könnte und erstreckt sich diese Prognose sowohl auf die Gefährdung durch sicherheitsbehördliche Übergriffe als auch das Fehlen hinreichenden staatlichen Schutzes bezogen auf den gesamten Herkunftsstaat.
Insgesamt kann vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung und den UNHCR-Richtlinien in Verbindung mit den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak im konkreten Fall nicht davon ausgegangen werden, dass für den BF irgendwo im Irak eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt, zumal eine Unterkunft in Flüchtlingslagern vom UNHCR nicht als „zu berücksichtigende Unterkunft“ angesehen wird.
Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls war der festgestellte Sachverhalt sohin insgesamt als asylrelevant zu qualifizieren.
Vor diesem Hintergrund war daher der Beschwerde des BF gegen den Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß stattzugeben und ihm gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wobei dies gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden war, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Dem Beschwerdeführer kommt in der Folge gemäß Paragraph 3, Absatz 4, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu.
3.2. Zu den Spruchpunkten römisch II. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Dem BF wurde mit gegenständlichem Erkenntnis der Status des Asylberechtigten zuerkannt und daher seinem Antrag auf internationalen Schutz diesbezüglich stattgegeben.
Die Voraussetzungen gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG sowie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und damit in weiterer Folge auch der Abspruch über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG, die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG in Verbindung mit Paragraph 46, FPG und die Frist zur freiwilligen Ausreise liegen daher nicht mehr vor, weshalb diese Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Asyls und zur Überschreitung der Eingriffsschwelle der Artikel 2 und Artikel 3, EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes, des Europäischen Gerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese – soweit erforderlich – auch zitiert.
ECLI:AT:BVWG:2021:G307.2182250.1.00