Bundesverwaltungsgericht
12.02.2021
W189 2170686-1
W189 2170686-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch den Verein LegalFocus und dessen Obfrau RA Mag. Eva VELIBEYOGLU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch 40 , zu Recht:
A)
römisch eins. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 wird römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.
römisch IV. Die Spruchpunkte römisch III. und römisch IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein somalischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am römisch 40 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab der BF unter anderem an, in römisch 40 in Äthiopien, geboren zu sein und der Volksgruppe der römisch 40 anzugehören. Er habe dort römisch 40 Jahre die Grundschule besucht. Sein Vater sei verstorben und die restlichen Familienangehörigen seien in römisch 40 wohnhaft. Zu seinem Ausreisegrund brachte er im Wesentlichen vor, dass er aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit vom Stamm der Ogaden verfolgt und verachtet worden sei, weshalb er sein Heimatland verlassen habe müssen. Der BF sei römisch 40 lang von den Ogaden in römisch 40 inhaftiert worden, danach sei er freigelassen worden. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte der BF, getötet zu werden (AS 1 ff).
2. Am römisch 40 brachte der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) eine als „Ergänzendes Vorbringen“ betitelte Stellungnahme ein, wonach der Dolmetscher bei der Erstbefragung „offenbar“ einiges unrichtig übersetzt habe. Darin gab der BF unter anderem an, dass er nicht in römisch 40 , Äthiopien, sondern in römisch 40 , Somalia, geboren sei und – abgesehen von seinem verstorbenen Vater – alle Familienangehörigen ebendort leben würden. Zu seinem Fluchtgrund ergänzte der BF, dass sein Vater römisch 40 in römisch 40 getötet worden sei. Die Al Shabaab hätten seit dem Jahr römisch 40 wollen, dass der BF ihrer Miliz beitrete, dieser habe sich jedoch geweigert. Nach einem neuerlichen Besuch der Al Shabaab und seiner neuerlichen Weigerung hätten sie ihm zwei Tage Bedenkzeit gegeben, dass er entweder beitrete oder ihm der Tod drohe. Am nächsten Tag seien zwei der jüngeren Schwestern des BF von der Al Shabaab entführt worden und der BF wisse bis heute nicht, wo diese seien. Daraufhin sei er nach Äthiopien geflüchtet. Dort sei er römisch 40 Jahre zur Schule gegangen. In der äthiopischen Region römisch 40 sei der BF aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit vom Stamm der Ogaden verfolgt und verachtet worden. Er sei von ihnen in der Polizeistation in römisch 40 eingesperrt worden, ohne dass ihm ein Grund dafür mitgeteilt worden sei. Nach römisch 40 sei er freigelassen worden und in den Sudan geflohen (AS 73 ff).
3. Am römisch 40 brachte der BF beim BFA eine Säumnisbeschwerde ein (AS 95 f), die mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom römisch 40 , römisch 40 , als unzulässig zurückgewiesen wurde (AS 111 ff).
4. Am römisch 40 brachte der BF neuerlich beim BFA eine Säumnisbeschwerde ein (AS 129 f).
5. Am römisch 40 wurde der BF in Anwesenheit einer Vertrauensperson durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zunächst an, dass er in seiner Stellungnahme vom römisch 40 irrtümlich angeführt habe, in Äthiopien römisch 40 Jahre die Schule besucht zu haben. Tatsächlich habe er dort römisch 40 Jahre gearbeitet. Zum seinem Fluchtgrund führte der BF in freier Erzählung im Wesentlichen aus, dass er am römisch 40 in römisch 40 Zeuge eines Mordes geworden sei. Passanten hätten den Mörder angehalten und die Al Shabaab habe diesen festgenommen, da diese damals in römisch 40 an der Macht gewesen seien. Am nächsten Tag habe die Familie des Mörders den BF bedroht, nicht aussagen zu dürfen, da sie ihn sonst töten würden. Ein oder zwei Tage später sei der BF von der Al Shabaab zu einem Stützpunkt gebracht worden, wo er als Zeuge befragt worden sei. Der BF habe dort angegeben, was er gesehen habe, und sei danach wieder nach Hause gebracht worden. Etwa eine Woche später sei er erneut von der Al Shabaab mitgenommen worden und habe dort abermals ausgesagt. Die Al Shabaab hätten den BF gelobt und ihm gesagt, dass sie den Mörder zum Tode verurteilt hätten. Sie hätten dem BF gesagt, dass er sich ihnen anschließen solle. Dieser habe um Bedenkzeit gebeten und sie hätten ihm gesagt, dass sie ihn in zwei Tagen abholen würden. Der BF sei daraufhin zu einem Geschäftsmann gegangen, der der Familie immer geholfen habe, und habe ihm davon erzählt. Der BF habe befürchtet, dass die Al Shabaab ihn töten würde, wenn er sich nicht ihnen anschließe. Außerdem würde die Familie des Mörders ihn umbringen, da die Al Shabaab diesen aufgrund seiner Aussage hinrichten würden. Der Geschäftsmann habe den BF noch am selben Abend in einen anderen Bezirk zu Freunden gebracht, wo er sich vier Tage versteckt habe. Der Geschäftsmann habe die Flucht des BF organisiert und sei römisch 40 zurückgekommen und habe ihm erzählt, dass die Al Shabaab bei der Familie des BF gewesen seien und das Haus nach ihm durchsucht hätten. Er habe den BF zu einem Lastwagen gebracht, der ihn in einer einwöchigen Fahrt nach römisch 40 geführt habe. Von dort sei der BF weiter nach römisch 40 gekommen und habe römisch 40 Jahre illegal als Schuhputzer gearbeitet. Er habe als Angehöriger der römisch 40 Schwierigkeiten mit den Ogaden bekommen, da diese nicht für seine Arbeit bezahlen hätten wollen und ihn erniedrigt hätten. Ende römisch 40 seien er und andere Schuhputzer von der Polizei inhaftiert worden. Der BF sei nach drei Tagen vor ein Gericht gestellt worden und es sei ihm vorgeworfen worden, illegal in Äthiopien zu leben und der Al Shabaab anzugehören. Er sei zu einer Gefängnisstrafe von römisch 40 und einer Geldstrafe verurteilt worden. römisch 40 sei der BF aus dem Gefängnis entlassen worden und sei zu einem Fußballplatz gegangen, wo ihm junge Männer geholfen und in einem Haus verpflegt hätten. Nachdem er ihnen seine Geschichte erzählt habe, und, dass er Äthiopien verlassen wolle, hätten sie ihn noch am selben Tag zu einem Schlepper gebracht, der ihn nach römisch 40 gefahren habe, von wo aus er am nächsten Abend die Weiterreise Richtung Europa begonnen habe (AS 151 ff).
Im Rahmen der Einvernahme legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor (AS 173 ff).
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom römisch 40 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch IV.) (AS 205 ff).
7. Mit Schriftsatz vom römisch 40 erhob der BF binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (AS 369 ff).
8. Mit Schriftsatz vom römisch 40 ersuchte der BF um baldige Entscheidung bzw. Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (OZ 4).
9. Mit Schriftsatz vom römisch 40 stellte der BF durch seine Rechtsvertreterin einen Fristsetzungsantrag, welcher mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom römisch 40 , römisch 40 , als unzulässig zurückgewiesen wurde (OZ 6).
10. Mit E-Mail vom römisch 40 ersuchte der BF abermals um baldige Entscheidung bzw. Anberaumung einer mündlichen Verhandlung (OZ 9).
11. Am römisch 40 wurde der BF vom Bezirksgericht römisch 40 zur Zl. römisch 40 rechtskräftig wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung nach Paragraph 218, Absatz eins a, StGB zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von römisch 40 verurteilt. Der BF habe eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem er dem Opfer zwischen die Oberschenkel auf ihr Geschlechtsteil griff (OZ 15).
12. Mit E-Mail vom römisch 40 ersuchte der BF um baldige Entscheidung und übermittelte eine Stellungnahme zur Situation in Somalia in Hinblick auf die COVID-19-Pandemie (OZ 17).
13. Am römisch 40 legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor (OZ 20).
14. Das Bundesverwaltungsgericht führte am römisch 40 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers in der Sprache Somali durch, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung sowie eine Zeugin zur Integration des BF teilnahmen. Der BF wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu seinen Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der BF legte Berichte über die Situation in Somalia in Bezug auf die COVID-19-Pandemie und Al Shabaab (Beilage ./1) und ein Konvolut an Integrationsunterlagen (Beilage ./2) vor.
15. Am römisch 40 brachte der BF eine Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung ein (OZ 22).
16. Am römisch 40 und am römisch 40 legte der BF weitere Integrationsunterlagen vor (OZ 23 und 25).
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF
Die Identität des BF steht nicht fest.
Der BF ist ein volljähriger, somalischer Staatsangehöriger sunnitisch-muslimischen Glaubens. Der BF beherrscht Somali in Wort und Schrift.
Der BF gehört nicht der Minderheit der römisch 40 an. Es kann nicht festgestellt werden, welchem Clan er tatsächlich angehört.
Der BF wurde in römisch 40 , Region römisch 40 , Äthiopien, geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise im Jahr römisch 40 gelebt. Der BF hat in Äthiopien römisch 40 Jahre die Schule besucht, keine Berufsausbildung und zuletzt als Schuhputzer gearbeitet.
Der Vater des BF ist verstorben. Seine Mutter, vier Brüder und vier Schwestern leben in römisch 40 . Der BF hat Kontakt zu seinen Angehörigen oder kann diesen zumindest jederzeit wiederherstellen.
Der BF ist ledig, kinderlos und gesund.
Der BF wurde am römisch 40 vom Bezirksgericht römisch 40 zur Zl. römisch 40 rechtskräftig wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung nach Paragraph 218, Absatz eins a, StGB zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von römisch 40 verurteilt. Der BF hat eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem er dem Opfer zwischen die Oberschenkel auf ihr Geschlechtsteil griff.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF
Der BF, der nie in Somalia gelebt hat, wurde dort nicht durch die Al Shabaab und die Angehörigen eines Mörders bedroht. Er ist in seinem Herkunftsstaat auch sonst keiner konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung ausgesetzt.
Der BF wurde in Äthiopien nicht aufgrund seiner Clanzugehörigkeit inhaftiert.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia
1.3.1. Sicherheitslage und Situation in Benadir / Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vergleiche BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Absatz ,) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).
Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vergleiche BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).
Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vergleiche NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).
Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21).
Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017, S.35).
Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 3.9.2019). Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24). Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (BMLV 3.9.2019).
Quellen:
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somali
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version)
- PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten
- UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 – Somalia
- UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia
1.3.2. Bundesstaat South West State (SWS; Lower Shabelle, Bay, Bakool)
Lower Shabelle: Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 8.2019). Sablaale (vermutlich) und Kurtunwaarey werden von al Shabaab kontrolliert. Diese gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle (PGN 8.2019; vergleiche LI 21.5.2019a, S.2). Generell werden Teile von Lower Shabelle von al Shabaab und Clanmilizen kontrolliert (BS 2018, S.15).
Lower Shabelle ist ein Zentrum der Gewalt im somalischen Konflikt (BS 2018, S.15). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus der al Shabaab (ME 27.6.2019; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.42f). Die meisten der im Jahr 2019 aufgrund von Konflikten neu vertriebenen Menschen stammen aus Lower Shabelle (UNOCHA 9.9.2019, S.2). Im März 2019 hat die Regierung angekündigt, dort eine neue Offensive zu führen. Die Operation zielt u.a. auf eine Verbesserung der Lage von Mogadischu und die Sicherheit entlang der Hauptroute von Afgooye nach Merka ab (UNSC 15.5.2019, Absatz ,). Bei der Operation konnten u.a. Bariire und Sabiid gewonnen werden (UNSC 15.8.2019, Absatz ,). Bei der Absicherung neu gewonnener Gebiete in Lower Shabelle stoßen somalische Kräfte und AMISOM zwar auf Probleme – etwa bei Ressourcen, Infrastruktur und bei der Verankerung einer Zivilverwaltung (AMISOM 7.8.2019, S.8). Trotzdem ist zu beobachten, dass vor allem in den durch diese Operation Badbaado 1 neu gewonnenen Räumen der Aufbau einer zivilen Verwaltung und die Installation von Polizeikräften relativ rasch nach der Einnahme der Ortschaften erfolgt (BMLV 3.9.2019).
Am 31.3.2019 griff al Shabaab Armee und AMISOM in Qoryooley an. Es kam zu schweren Gefechten, der Angriff konnte abgewehrt werden (BAMF 8.4.2019, S.6). Am 27.2.2019 überfiel al Shabaab einen AMISOM-Stützpunkt nahe Qoryooley, auch hier kam es zu einem Gefecht (BAMF 4.3.2019, S.5).
Quellen:
- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (8.4.2019): Briefing Notes 8. April 2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (4.3.2019): Briefing Notes 4. März 2019
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report
- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia
- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation
- PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 August 2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia
1.3.3. (Zwangs-)Rekrutierung und Kindersoldaten
Kindersoldaten - al Shabaab: Beginnend im Jahr 2017 hat al Shabaab immer mehr Kinder zwangsrekrutiert (NLMBZ 3.2019, S.11), teils mit aggressiven und gewalttätigen Methoden. Berichten zufolge wurden Kinder von Minderheitengruppen sogar systematisch entführt (BS 2018, S.21). Ein Grund dafür ist, dass aufgrund der umfassenden Rekrutierungsmaßnahmen unterschiedlicher bewaffneter Gruppen der Rekrutierungspool auch für al Shabaab immer kleiner geworden ist. Ein weiterer Grund ist, dass Kinder einfacher zu manipulieren sind (ME 27.6.2019). So indoktriniert und rekrutiert al Shabaab Kinder etwa gezielt in Koranschulen (LWJ 24.1.2018; vergleiche USDOS 13.3.2019, S.15).
Auch im Jahr 2018 hat al Shabaab in den von ihr kontrollierten Gebieten in Süd-/Zentralsomalia Kinder zwangsrekrutiert (SEMG 9.11.2018, S.39). Im Zeitraum Mai-August 2019 waren davon 187 Kinder betroffen (UNSC 15.8.2019, Absatz ,). Die Gruppe führt zu diesem Zweck Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 13.3.2019, S.14). Außerdem wurden Älteste und Koranschullehrer in ländlichen Gebieten Süd-/Zentralsomalias wiederholt dazu aufgerufen, Kinder an die Gruppe abzugeben (AMISOM 14.1.2019). Al Shabaab bedroht und erpresst Eltern, Gemeinden, Lehrer und Älteste, damit diese der Gruppe Schüler zuführen. Es kommt in diesem Zusammenhang auch zu Gewalt und Inhaftierungen (USDOS 13.3.2019, S.14). Eltern rekrutierter Kinder haben keine Möglichkeit Protest einzulegen, ihnen droht bei Widerstand Bestrafung oder sogar der Tod (BS 2018, S.21).
Im Jänner 2019 stürmte al Shabaab die Ortschaft Ceel Garas (Region Bakool) und entführte ca. 60 Kinder (AMISOM 14.1.2019). Manchmal – wie z.B. im Juli 2018 in Xaradheere – kommt es auch zu Widerstand der Bevölkerung. Al Shabaab übt an Gemeinden, die sich einer Herausgabe von Kindern verweigern, Vergeltung – v.a. in Galmudug und im SWS. Hunderte Kinder sind aus Angst vor einer Rekrutierung geflohen (HRW 17.1.2019). Auch aus den Regionen Bay und Bakool kommen Berichte, wonach al Shabaab Familien in einigen ländlichen Gemeinden zur Übergabe von 8-17jährigen Kindern aufgefordert hat (UNOCHA 31.7.2019, S.3; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.30).
In Lagern werden Kinder einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Al Shabaab zwingt Kinder, an Kampfhandlungen teilzunehmen; sie setzt diese auch für Selbstmordanschläge ein (USDOS 13.3.2019, S.13f). Außerdem rekrutiert die Gruppe Straßenkinder und -Waisen, die einfach zu manipulieren sind. Manche erhalten zur Ausführung einer Aktion (z.B. Wurf einer Handgranate) einen kleinen Geldbetrag (FIS 5.10.2018, S.34).
(Zwangs-)Rekrutierung: Im Jahr 2017 begann al Shabaab noch intensiver, arbeitslose junge Männer zu rekrutieren (NLMBZ 3.2019, S.11). Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, al Shabaab beizutreten: die Aussicht auf Gehalt und Status, Abenteuerlust und Rachegefühle (Khalil 1.2019, S.33). Jugendliche selbst geben an, dass der Hauptgrund zum Beitritt zu al Shabaab oder zur Armee das Einkommen ist (DI 6.2019, S.22f). Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen der al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil 1.2019, S.16).
Meist erfolgt ein Beitritt zur al Shabaab aufgrund ökonomischer, sicherheitsbedingter und psycho-sozialer Motivation. Nur wenige der befragten Deserteure gaben an, al Shabaab aufgrund einer religiösen Motivation beigetreten zu sein; dahingegen maßen mehr als die Hälfte gesellschaftlichen Erwägungen eine besondere Rolle zu, darunter Status (inkl. Eheschließung) und Macht. Auch Abenteuerlust spielt eine große Rolle. Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab die Möglichkeit einer Rache an Angehörigen anderer Clans (Khalil 1.2019, S.14f). Für Angehörige marginalisierter Gruppen bietet der Beitritt zu al Shabaab zudem die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, S.34). Die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 13.3.2019, S.32). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck und Anreizen (ICG 27.6.2019, S.2).
Knapp ein Drittel der in einer Studie befragten al Shabaab-Deserteure gab an, dass bei ihrer Rekrutierung Drohungen eine Rolle gespielt haben. Dies kann freilich insofern übertrieben sein, als Deserteure dazu neigen, die eigene Verantwortung für begangene Taten dadurch zu minimieren (Khalil 1.2019, S.14). Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (BMLV 16.9.2019; vergleiche BFA 8.2017, S.51; DIS 3.2017, S.20f).
Verweigerung: Üblicherweise richtet die al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer (BFA 8.2017, S.52), denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden (DIS 3.2017, S.21). Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens. Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus der al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BFA 8.2017, S.54f).
Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht (DIS 3.2017, S.21). Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BFA 8.2017, S.54f). Stellt eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen der al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es mitunter zu Gewalt – so etwa geschehen in Aad (Mudug) und Bananey (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.39).
Quellen:
- AMISOM (14.1.2019): 14 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (16.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report
- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia
- DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia
- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency
- Khalil - Khalil, James/ / Brown Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation Programme for Former Members of Al-Shabaab
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia
- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (24.1.2018): US says 30 children freed during raid on Shabaab ‘indoctrination center’
- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version)
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017)
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Somalia
1.3.4. Deserteure und ehemalige Kämpfer der Al Shabaab
Oft gleicht eine Desertion einer Flucht – mit entsprechender Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seitens der al Shabaab, die auch in Form einer Todesstrafe erfolgen kann. Manche Deserteure warten Monate oder sogar Jahre, bevor sich ihnen eine Gelegenheit zur Flucht bietet (Khalil 1.2019, S.17f). Al Shabaab ist in der Lage, einen Deserteur aufzuspüren – auch auf dem Gebiete von AMISOM und der somalischen Regierung. Sie tragen wahrscheinlich ein Risiko der Verfolgung (BFA 8.2017, Sitzung 43f; vergleiche DIS 3.2017, S.17f; NLMBZ 3.2019, S.12f). Dies gilt insbesondere für Deserteure mittleren Ranges. Doch auch einfache Mannschaftsgrade können zum Ziel werden (BFA 8.2017, S.43f). Tatsächlich finden sich aber kaum Beispiele von Morden an Deserteuren (BMLV 16.9.2019). Einmal wird vom Mord an zwei jungen Bantu-Männern berichtet, die im August 2017 von al Shabaab entdeckt und ermordet worden sind, bevor sie Kismayo erreichen konnten. An anderer Stelle werden Deserteure auch wieder in die Reihen der al Shabaab aufgenommen, so geschehen in Tayeeglow Anfang 2017, als Buben, die von der Gruppe desertiert waren, zum erneuten Eintritt in die al Shabaab gezwungen wurden (SEMG 8.11.2017, S.43/137). Interessanterweise sind auch die vorhandenen Rehabilitationszentren für ehemalige Angehörige der al Shabaab noch nie zum Angriffsziel geworden (NLMBZ 3.2019, S.12f; vergleiche BFA 8.2017, S.45ff). Inwiefern al Shabaab also tatsächlich Energie in das Aufspüren und Töten von desertierten Fußsoldaten investieren will, ist unklar. Insgesamt besteht in einigen Fällen offenbar auch die Möglichkeit, dass sich ein Deserteur mit der al Shabaab verständigt – etwa durch die Zahlung von Geldbeträgen (BFA 8.2017, S.43ff).
Quellen:
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM
- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (16.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation
- DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016
- Khalil - Khalil, James/ / Brown Rory / et.al. / Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (1.2019): Deradicalisation and Disengagement in Somalia. Evidence from a Rehabilitation Programme for Former Members of Al-Shabaab
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version)
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (8.11.2017): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea
1.3.5. Bevölkerungsstruktur
Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 5.3.2019b). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9).
Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden: Darod, Hawiye, Dir, Isaaq und Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle (SEM 31.5.2017, S.55; vergleiche AA 5.3.2019b).
Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil-Mirifle stellen je ca. 20-25% der Bevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 5.3.2019b). Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik
- LI - Landinfo (Norwegen) (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten
1.3.6. Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v.a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe auf oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3).
Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S.44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).
Quellen:
- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten
1.3.7. Bewegungsfreiheit und Relokation
Die sicherste Art des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Mogadischu kann international (mit Ethiopian Airlines und Turkish Airlines) erreicht werden. In die Städte Kismayo, Dhobley, Baidoa, Doolow, Xudur, Belet Weyne, Guri Ceel, Cadaado und Galkacyo gelangt man mit kleineren Fluglinien, wie African Express Airways, Daallo Airlines oder Jubba Airways (LI 28.6.2019, S.6f). Von Mogadischu aus können auch Garoowe, Bossaso und Hargeysa auf dem Luftweg mit Linienflügen erreicht werden (NLMBZ 3.2019, S.38). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar (LI 28.6.2019, S.6f).
Quellen:
- LI - Landinfo (Norwegen) (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version)
1.3.8. Binnenflüchtlinge (IDPs)
Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen (USDOS 13.3.2019, S.21). Die Bundesregierung und einige Bundesstaaten zeigen ihre Willigkeit, Verantwortung für IDPs zu übernehmen, und es wurden einige Gesetze erlassen, um ihren Schutz zu verbessern. Allerdings gibt es noch signifikante Lücken. Zumindest Somaliland und Puntland haben eigene Policies für IDPs (OXFAM 6.2018, S.5). UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 13.3.2019, S.22f).
IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es – v.a. in Süd-/Zentralsomalia – mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, S.5). Gewalt, Unsicherheit und unberechenbares Wetter sorgen auch weiterhin für neue Vertreibung von Zivilisten. Die Zahl an IDPs beträgt 2,6 Millionen. Viele davon leben unter schwierigen Umständen, sind sehr vulnerabel und auf Unterstützung und Schutz angewiesen (UNSC 15.5.2019, Absatz ,). Viele der im Jahr 2018 neu Vertriebenen sind zwar auf Unsicherheit zurückzuführen; ebenso viele mussten ihre Heimat aber wegen Dürre und/oder Überschwemmungen verlassen (NLMBZ 3.2019, S.49). In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 sind ca. 248.000 Menschen durch Dürre und Konflikte vertrieben worden (NRC 10.9.2019).
Mit Stand Juni 2018 gab es in Somalia 1.843 IDP-Lager und -Siedlungen, knapp die Hälfte davon in der Region Benadir/Mogadischu. Fast 80% dieser Lager und Siedlungen sind spontan und ungeplant errichtet worden (CCCM 26.6.2018).
Rechtswidrige Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem (AA 4.3.2019, S.19; vergleiche UNSC 15.5.2019, Absatz ,). Im Jahr 2018 waren 314.000 IDPs von Zwangsräumungen betroffen, 2017 waren es 200.000 gewesen (UNSC 15.5.2019, Absatz ,). In den ersten acht Monaten 2019 waren davon 134.000 Menschen betroffen, davon 108.000 in Mogadischu (NRC 10.9.2019). Viele weitere Delogierungen wurden aus Baidoa gemeldet (UNSC 21.12.2018, S.14). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke von Mogadischu, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt, und sie unter äußerst schlechten Bedingungen leben (AA 4.3.2019, S.19). Im Zuge von Zwangsräumungen kommt es mitunter auch zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung. Bei einer Räumung im Bereich Sinka Dheere in Mogadischu starben im Juli 2018 drei Personen, nachdem Sicherheitskräfte auf Demonstranten das Feuer eröffnet hatten (SEMG 9.11.2018, S.41). Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So werden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt. Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs werden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019).
Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan-Zugehörigkeiten sind an der Tagesordnung (AA 4.3.2019, S.19); es kommt auch zu willkürlichen Tötungen, Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 17.1.2019). Vergewaltigungen in IDP-Camps kommen häufig vor (FIS 5.10.2018, S.32). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung und sexueller Gewalt besonders gefährdet (USDOS 13.3.2019, S.22/29; vergleiche HRW 17.1.2019), 80% der gemeldeten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs (NLMBZ 3.2019, S.44). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer – darunter Regierungssoldaten und Milizionäre – und Zivilisten (HRW 17.1.2019). Andererseits stellen IDP-Lager für al Shabaab kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24/54). Dafür flüchteten im Juli 2019 einige hundert IDPs aus Galmudug, da sie dort als angebliche Kollaborateure von al Shabaab angefeindet und angegriffen wurden (UNOCHA 31.7.2019, S.3).
Versorgung: Gerade auch für IDPs hat eine Dürre schlimme Konsequenzen (UNOCHA 31.7.2019, S.1). Hier steigt die Rate akuter schwerer Unterernährung bei Kindern schnell (UNOCHA 31.5.2019, S.2).
Unterstützung: Die EU unterstützt über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür werden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt (EEAS 17.1.2018). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Auch die UN beteiligt sich an diesbezüglichen Programmen, um für IDPs langfristige Lösungen herbeizuführen (UNDP o.D.).
Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen, wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, S.9).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- CCCM – Camp Coordination and Camp Management Cluster Somalia (26.6.2018): Detailed Site Assessment (as of 26 June 2018)
- EC - European Commission (13.7.2019): 7,000 Displaced Families in Baidoa Have A New Home
- EEAS - EU External Action Service (17.1.2018): First RE-INTEG Programme Steering Committee meeting held in Mogadishu: EU addresses needs of IDPs, refugees and host communities in Somalia
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia
- IOM - Internationale Organisation für Migration (25.6.2019): In Somalia, IOM Begins Relocating Families at Risk of Eviction
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia – Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version)
- NRC - Norwegian Refugee Council (10.9.2019): Drought and conflict displace quarter of a million people in Somalia
- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017)
- UNDP - UN Development Programme (o.D.): Innovative Durable Solutions for IDPs and Returnees
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.8.2019): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 14 August 2019)
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.5.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 May 2019
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia
1.3.9. Wirtschaft und Arbeit
Generell erholt sich die somalische Wirtschaft weiterhin von der Dürre der Jahre 2016 und 2017. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 2,3% (UNSC 21.12.2018, S.4), 2018 bei ca. 2,8% (UNSC 15.8.2019, Absatz ,) und wird vom Internationalen Währungsfonds für 2019 und 2020 auf jeweils 3,5% prognostiziert. Das Wachstum hat sich also erholt, die Inflation wurde gebremst und das Handelsdefizit reduziert. Zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben gute Regenfälle und wachsende Remissen (BLO 27.2.2019), die Erstarkung des Agrarsektors, die Konsolidierung von Sicherheit und die Zunahme privater Investitionen und von Geldflüssen aus Geberländern (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist also die Diaspora, welche begonnen hat, in Somalia (v.a. Mogadischu und die Hauptstädte der Bundesstaaten) zu investieren (BS 2018, S.5). Auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016, S.23).
Allerdings hat sich das BIP pro Kopf seit 2013 von 316 US-Dollar auf 313 US-Dollar verringert, da die Bevölkerung schneller wächst als das BIP (UNSC 15.8.2019, Absatz , vergleiche UNSC 21.12.2018, S.4). Das Wirtschaftswachstum ist für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern würde (UNSC 21.12.2018, S.4). Außerdem behindern al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan und unterbinden die Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 13.3.2019, S.21). Folglich gehört Somalia auch weiterhin zu den ärmsten Ländern der Erde. Bei den gängigen Indikatoren zur Messung der wirtschaftlichen Entwicklung (BSP, Lebenserwartung, Mütter- und Kindersterblichkeit) liegt Somalia zumeist auf den letzten Plätzen. In Puntland ist die Situation besser (AA 5.3.2019a). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 9.2016, S.2).
Arbeit / Lebensunterhalt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 13.3.2019, Sitzung 37). Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016, S.18), auch wenn in Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – der tertiäre Bildungsbereich boomt (BS 2018, S.32). Der Wirtschaft ist es nicht gelungen, ausreichend Beschäftigung zu schaffen – v.a. für Frauen und Junge (UNSC 21.12.2018, S.47). In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund ab (BS 2018, S.30). Aufgrund des Fehlens eines formellen Banksystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debt-credit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clan-Verbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greissler anschreiben lassen (RVI 9.2018, S.4).
Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar (BS 2018, S.26). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig (UNOCHA 31.7.2019, S.2; vergleiche OXFAM 6.2018, S.4). Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager (UNFPA 8.2016b).
Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel – v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016, S.10). NGOs und der Privatsektor bieten den Menschen grundlegende Dienste – vor allem in urbanen Zentren (OXFAM 6.2018, S.4).
Generell hat die verbesserte Sicherheitslage in den Städten zu einem Bau-Boom geführt (OXFAM 6.2018, S.4).
Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten (USDOS 13.3.2019, S.22f). Eine Arbeit zu finden ist mitunter schwierig, verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben. Auch Unternehmensgründer sind auf den Clan angewiesen. Generell ist das Clan-Netzwerk vor allem außerhalb von Mogadischu von besonderer Relevanz (FIS 5.10.2018, S.22). Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen (DI 6.2019, S.22f; vergleiche OXFAM 6.2018, S.10). Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden (OXFAM 6.2018, S.10); außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (DI 6.2019, S.22f). Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (OXFAM 6.2018, S.10).
Arbeitslose: Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016, S.11). In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016, S.42f). Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, S.5/32f; vergleiche GIGA 3.7.2018) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z.B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.9/32ff).
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch (USDOS 13.3.2019, S.23), wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt: Laut einer Quelle liegt die Erwerbsquote (labour force participation) bei Männern bei 58%, bei Frauen bei 37% (UNSC 21.12.2018, S.4). Eine weitere Quelle erklärt im August 2016, dass 58% der männlichen Jugendlichen (Altersgruppe 15-35) ökonomisch aktiv sind, während drei von zehn Jugendlichen arbeitslos sind (UNFPA 8.2016a, S.4). In einer anderen Quelle wird die Arbeitslosenrate für 2016 mit 6,6% angeführt (BS 2018, S.25). Wieder eine andere Quelle nennt für 2012 eine Jugendarbeitslosigkeit von 67% bei 14-29jährigen (DI 6.2019, S.22). Eine weitere Quelle nennt bei 15-24jährigen eine Quote von 48% (OXFAM 6.2018, S.22FN8). Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben hingegen nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von „arbeitslos“ unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016).
In einer eingehenden Analyse hat UNFPA im Jahr 2016 Daten zur Ökonomie in der somalischen Gesellschaft erhoben. Dabei wird festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schüler/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 8.2016b).
Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4% der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4% gelten als Arbeitssuchende. 44,2% der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 8.2016, S.29).
Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5%) (UNFPA 6.2016, S.36f):
Remissen: Für viele Haushalte sind Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle (FIS 5.10.2018, S.22). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,2 (DI 6.2019, S.5), nach anderen Angaben 1,3 (UNSC 15.5.2019, Absatz ,) bzw. 1,4 Milliarden US-Dollar in die Heimat (RVI 9.2018, S.1). Diese Remissen, die bis zu 40% eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei (BS 2018, S.30) und fördern die Resilienz der Haushalte (DI 6.2019, S.5). Nach einer Angabe empfangen nur 15% der Haushalte Remissen (UNSC 15.5.2019, Absatz ,), nach einer anderen Angabe erhalten 40% der Bevölkerung Überweisungen. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72%. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar (RVI 9.2018, S.1f). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, S.28). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v.a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI 9.2018, S.2).
Mindestens 65% der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise – etwa jener von 2017 – wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z.B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI 9.2018, S.2f).
UN-HABITAT führt ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche in Somalia, namentlich in Kismayo, Garoowe und Mogadischu durch. 400 jungen Frauen und Männern der Altersgruppe 15-35 sollen Kenntnisse im Bauwesen, Wirtschaft, Gründertum und Soft Skills vermittelt werden (UNHABITAT 16.8.2018). Auch der Bürgermeister von Mogadischu hat im Feber 2019 ein Projekt gestartet, bei welchem 400 Jugendliche aus Mogadischu, Baidoa und Kismayo eine Berufsausbildung erhalten sollen. Das Projekt wird von UNDP finanziert (AMISOM 28.2.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019a): Somalia – Wirtschaft, URL, Zugriff 10.4.2019
- AMISOM (28.2.2019): 28 February 2019 - Morning Headlines [Quelle: Goobjoog News], Newsletter per E-Mail
- BLO - Bloomberg (27.2.2019): IMF Sees Somalia's GDP Growth Accelerating to 3.5% in 2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report
- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018
- GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A
- IOM - Internationale Organisation für Migration (2.2016): Youth, Employment and Migration in Mogadishu, Kismayo and Baidoa
- LI - Landinfo (Norwegen) (1.4.2016): Somalia - Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches
- RVI - Rift Valley Institute / Majid, Nisar / Abdirahman, Khalif / Hassan, Shamsa (9.2018): Remittances and Vulnerability in Somalia
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten
- UNFPA (8.2016a): Somali youth in figures - better data, better lives
- UNFPA (8.2016b): Economic Characteristics of the Somali People
- UNHABITAT - UN Human Settlements Programme (16.8.2018): Providing Somali youth hope through job creation
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia
- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia
1.3.10. Grundversorgung / Humanitäre Lage
Aktuelle Lage: Somalia steht wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen (SLS 12.7.2019; vergleiche UNOCHA 31.7.2019, S.1). Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu-Regenzeit (April-Juni) 2019 (UNSC 15.8.2019, Absatz ,). Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs etwas verbessert; trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken (UNSC 15.8.2019, Absatz ,). Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um ein Monat später als normal (FAO 19.7.2019, S.1). Bereits zuvor war die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) 2018 schlecht ausgefallen und Anfang 2019 war ungewöhnlich trocken. Mit Ausnahme der Gu im Jahr 2018 ist seit Ende 2015 jede Regenzeit unterdurchschnittlich ausgefallen (UNSC 15.8.2019, Absatz 38 f, f,).
Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch, Millionen von Menschen befinden sich in einer Situation akuter Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNOCHA 31.7.2019, S.1). In Nord- und Zentralsomalia herrschen durchgehend moderate bis große Lücken in der Versorgung. Dort wird für August/September 2019 in einigen Teilen mit IPC 3 und IPC 4 gerechnet. Das gleiche gilt für den Süden, wo aufgrund einer unterdurchschnittlichen Ernte die Lebensmittelpreise steigen werden (FEWS 31.7.2019). Der Preis für Sorghum befindet sich bereits auf einer außergewöhnlichen Höhe (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Viele Menschen aus ländlichen Gebieten sind in Städte gezogen, um Zugang zu Hilfsgütern zu erhalten (BAMF 20.5.2019, S.5).
Nach neueren Angaben war die letzte Ernte in Südsomalia die schlechteste seit 1995 – 68% unter dem Durchschnitt; im Nordwesten lag sie mit 44% unter dem Durchschnitt (FEWS 2.9.2019a).
IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2018 bis September 2019 mit einer Prognose bis Dezember 2019; bemerkenswert ist, dass für die Stadtbevölkerung von Mogadischu auf beiden Karten IPC 1 vermerkt ist (FSNAU o.D.). Die Stadtbevölkerung ist von IPC 3 oder 4 anteilig weit weniger betroffen als die Menschen in ländlichen Gebieten oder IDPs (FEWS 2.9.2019b, S.20).
Schätzungen zufolge werden bis September 2019 5,4 Millionen Menschen von Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung betroffen sein; davon 3,2 Millionen in IPC-Phase 2 (UNOCHA 14.8.2019) und 2,2 Millionen in den Phasen 3 und 4 (UNOCHA 14.8.2019; vergleiche UNSC 15.8.2019, Absatz ,). Ca. eine Million Kinder unter fünf Jahren werden bis Mitte 2020 vor einer Situation der akuten Unterernährung stehen, 178.000 vor schwerer akuter Unterernährung. Bis zu 2,1 Millionen Menschen werden sich hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung in einer Krisensituation finden (IPC >2), 6,3 Millionen werden von einer Versorgungsunsicherheit bedroht sein (UNOCHA 9.9.2019, S.1f; vergleiche FEWS 2.9.2019a; STC 3.9.2019). Dieses Szenario gilt dann, wenn die gegenwärtig getätigten humanitären Interventionen nicht verstärkt werden (UNOCHA 9.9.2019, S.1). Mit Stand September 2019 verhindert eine großangelegte humanitäre Hilfe schlimmere Zahlen. Geht die Hilfeleistung zurück, ist von einer Verschlechterung auszugehen. Und auch für den Fall, dass die Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) besser ausfallen sollte, wird sich dies frühestens Ende Dezember auf die Versorgungslage auswirken (FEWS 2.9.2019a).
Die Daten zeigen, dass IDPs in manchen Städten besonders von Unterernährung betroffen sind, in anderen weniger stark (FSNAU 2.9.2019) (FSNAU 4.2015).
Bei gegebener humanitärer Hilfe gilt für die meisten ländlichen Gebiete im September 2019 IPC 2. In Agrargebieten von Guban (Somaliland), Bay und Bakool sowie in Teilen von Hiiraan, Galgaduud, Lower und Middle Juba gilt IPC 3. Dahingegen haben stabile Lebensmittelpreise und Arbeitsmöglichkeiten in den meisten städtischen Gebieten dazu beigetragen, dass IPC 2 nicht überschritten wurde oder auch nur IPC 1 gilt. Lediglich in Städten in Sool, Sanaag und Hiiraan wird mitunter auch IPC 3 verzeichnet – bedingt durch hohe Lebenskosten und begrenzte Einkommensmöglichkeiten (FEWS 2.9.2019a).
Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen (AA 4.3.2019, S.20).
Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 13.3.2019, S.15/21; vergleiche SEMG 9.11.2018, S.5f/42; UNSC 15.5.2019, Absatz ,).
Gesellschaftliche Unterstützung: Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2018, S.30), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 4.3.2019, S.20). In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen (FIS 5.10.2018, S.22). Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2018, S.30). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan (OXFAM 6.2018, S.11f; vergleiche BS 2018, S.30, AA 4.3.2019, S.20), erweiterte Familie (BS 2018, S.30; vergleiche AA 4.3.2019, S.20) und Remissen aus dem Ausland (BS 2018, S.30). Während Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) helfen neben Familie und Clan auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019, S.15).
Generell stellt in (persönlichen) Krisenzeiten die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar (DI 6.2019, S.17).
Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clan-Heimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (DI 6.2019, S.12).
Andererseits liegen keine Informationen vor, wonach es gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter (15-29 Jahre; 14 % der Gesamtbevölkerung Somalias) an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden (BFA 11.5.2018, S.18).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (20.5.2019): Briefing Notes 20. Mai 2019
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (11.5.2018): Anfragebeantwortung zu Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report
- DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia
- FAO - UN Food and Agriculture Organization / SWALIM (19.7.2019): 2019 Gu (March to June) Rainfall Performance and Impacts - Issued 19 July 2019
- FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU (2.9.2019a): Somalia 2019 Post Gu FSNAU FEWS-NET Technical Release
- FEWS - Famine Early Warning System Network / FSNAU / FAO (2.9.2019b): A Briefing on the Outcome of the 2019 Post Gu Seasonal Food Security and Nutrition Assessment
- FEWS - Famine Early Warning System Network (31.7.2019): Somalia Key Message Update, July 2019
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018
- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (o.D.): IPC Maps
- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (2.9.2019): FSNAU Nutrition Situation Summary for Somalia - Gu 2019
- FSNAU - Food Security and Nutrition Analysis Unit Somalia / FAO (4.2015): Somalia – Livelihood Zones
- OXFAM / REACH (6.2018): Drought, Displacement and Livelihoods in Somalia/Somaliland. Time for gender-sensitive and protection-focused approaches
- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017)
- SLS - Somaliland Standard (12.7.2019): Response plan for impact of poor Gu rains in place to avoid a major crisis in Somalia
- STC - Safe the Children (3.9.2019): Dire warnings as Somalia teeters on edge of food crisis
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 August 2019
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.8.2019): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 14 August 2019)
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.7.2019): Humanitarian Bulletin Somalia, 1-31 July 2019
- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019
- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia
1.3.11. Rückkehrspezifische Grundversorgung
Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein (ÖB 9.2016, S.17; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.63). Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu sind entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig (FIS 5.10.2018, S.22). Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (NLMBZ 10.2017, S.73f).
Unterstützung extern: Außerdem haben Rückkehrer nach Mogadischu dort üblicherweise einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen (REDSS 3.2017, S.29).
Unterkunft: Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2018, S.29). Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden (LIFOS 3.7.2019, S.63). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vergleiche AA 4.3.2019, S.20; USDOS 13.3.2019, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden (AA 4.3.2019, S.20f).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report
- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (10.2017): Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië
- ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
- ReDSS - Regional Durable Solutions Secretariat / NRC / DRC (3.2017): Durable Solutions Framework, Local Integration Focus – Benadir Region
- SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten
- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia
1.3.12. Rückkehr
Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, S.52).
Quellen:
- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version)
1.4. Zur Situation des BF im Falle einer Rückkehr
Der BF würde im Falle einer Rückkehr nach Somalia mangels familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte und ohne relevante eigene Fähigkeiten oder Ressourcen in eine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er liefe Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des BF
2.1.1. Mangels Vorlage von unbedenklichen Dokumenten konnte die Identität des BF nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich des Namens und des Geburtsdatums Verfahrensidentität vorliegt.
2.1.2. Die Feststellungen zur Staats- und Religionszugehörigkeit des BF gründen sich auf seine insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bzw. seinen Kenntnissen der somalischen Sprache.
2.1.3. Zu seinem Clan gab der BF durchwegs an, den römisch 40 bzw. römisch 40 zugehörig zu sein (AS 157). Dies ist jedoch aus mehreren Gründen nicht glaubhaft. Zunächst ist auf die insoweit vom BF unbestritten gebliebene Beweiswürdigung der belangten Behörde zu verweisen, in welcher schon festgehalten wird, dass die Bezeichnung „ römisch 40 “ grundsätzlich von Angehörigen angesehener Clans für die niederen Clans verwendet wird (AS 316). Dass der BF eine solche Bezeichnung für sich verwenden würde, obwohl er selbst einem niederen Clan angehöre, ist nicht nachzuvollziehen. Weiters machte der BF auch in der mündlichen Verhandlung durch sein persönliches Auftreten nicht den Eindruck, einer verfolgten, verachteten Minderheit anzugehören (Verhandlungsprotokoll Sitzung 9). Sodann ist die persönliche Glaubwürdigkeit des BF aufgrund seiner unglaubhaften Angaben über seine sonstige Herkunft (s. im Folgenden) stark angeschlagen, was sich auch negativ auf die Behauptung seiner Clanzugehörigkeit auswirkt. Vor allem aber ist das Fluchtvorbringen des BF – nämlich auch soweit der BF seine Verfolgung auf seine behauptete Zugehörigkeit zu einer Minderheit zurückführt – unglaubhaft (s. Punkt römisch II.2.2.3.), sodass letztlich auch aus diesem Grund eine ebensolche Zugehörigkeit nicht glaubhaft ist. Dass der BF aus ärmlichen Verhältnissen stammt, lässt im Übrigen entgegen der weitläufigen Ausführungen seiner Rechtsvertretung (OZ 22) nicht auf seine Clanzugehörigkeit schließen, da auch Angehörige anderer Clans arm sein können. Im Ergebnis konnte damit nicht festgestellt werden, welchem Clan der BF tatsächlich angehört.
2.1.4. Dass der BF in Äthiopien geboren wurde und bis zu seiner Ausreise dort gelebt hat, ebenso dort die Schule besucht hat, gab er selbst in seiner Erstbefragung an (AS 1 und 5). Die Befragung wurde unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die somalische Sprache durchgeführt (AS 3), welchen der BF verstand (AS 5). Am Ende der Befragung wurde dem BF diese rückübersetzt und verneinte er Verständigungsschwierigkeiten (AS 11). Die Befragung dauerte rund eine Stunde (AS 3 und 11). Der BF unterschrieb schließlich das Protokoll und bestätigte dadurch dessen Richtigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die am römisch 40 eingebrachte Stellungnahme des BF, wonach der Dolmetscher „offenbar“ einiges unrichtig übersetzt habe und der BF in Wahrheit aus römisch 40 in Somalia stamme und erst römisch 40 nach Äthiopien geflohen sei, wo er tatsächlich römisch 40 Jahre die Schule besucht habe (AS 75 f), unglaubhaft, zumal der BF auch nicht darlegen konnte, wie es zu derart massiven Verständigungsschwierigkeiten hätte kommen können. Soweit der BF in der folgenden Einvernahme behauptete, dass es beim Verfassen dieser Stellungnahme erneut zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei und er nicht in Äthiopien römisch 40 Jahre die Schule besucht, sondern gearbeitet habe (AS 155), so steigert dies lediglich die Unglaubwürdigkeit des BF. In der mündlichen Verhandlung schließlich wandelte der BF die Gründe für die vorgeblich falsche Protokollierung der Erstbefragung nochmals ab und rechtfertigte diese nun widersprüchlich nicht mehr mit einer falschen Übersetzung durch den Dolmetscher, sondern damit, dass er selbst bei der Erstbefragung sehr nervös gewesen sei und Angst gehabt habe, da er kurz davor in römisch 40 im Gefängnis gewesen sei (Verhandlungsprotokoll Sitzung 10), was impliziert, dass er die protokollierten Angaben tatsächlich so getätigt hat. Da diese verschiedentlichen Versuche des BF, das Protokoll der Erstbefragung in Zweifel zu ziehen, nicht glaubhaft waren, war entsprechend festzustellen, dass der BF tatsächlich, wie protokolliert, in Äthiopien geboren wurde, dort gelebt hat und auch dort zur Schule gegangen ist.
2.1.5. Dass der BF keine Berufsausbildung hat und zuletzt als Schuhputzer gearbeitet hat, gab er hingegen im gesamten Verfahren gleichbleibend an und war glaubhaft, da auch kein Grund hervorgekommen ist, daran zu zweifeln.
2.1.6. Ebenso gab der BF stets zu Protokoll, dass sein Vater bereits verstorben ist, weshalb ihm auch dies geglaubt wird, wiewohl festzuhalten ist, dass die vom BF vorgebrachten Gründe seines Ablebens aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Aufenthaltsorts in Somalia und des Fluchtvorbringens von dieser Feststellung nicht umfasst sind. Dass die restliche Familie des BF in römisch 40 lebt, hat der BF in der Erstbefragung angegeben (AS 5). Aus den bereits unter Punkt römisch II.2.1.4. genannten Gründen wird dem BF das spätere Vorbringen, dass seine Familie ebenso in römisch 40 gelebt habe, kein Glauben geschenkt.
2.1.7. Zwar brachte der BF im Verfahren vor, keinen Kontakt mit seinen Angehörigen zu haben (AS 157 f; Verhandlungsprotokoll Sitzung 5 f), jedoch ist dies nicht glaubhaft. Zunächst scheitert die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens schon daran, dass der BF dies im Kern mit seiner Flucht aus Somalia nach Äthiopien und der daraus folgenden räumlichen Trennung von seiner Familie begründete. Dies kann aber nicht zugrunde gelegt werden, da, wie schon ausgeführt, der BF sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise nach Europa in Äthiopien verbrachte und dort mit seiner Familie lebte. Darüber hinaus ist auszuführen, dass der BF in weiterer Folge den Verlust der Telefonnummer seiner Familie widersprüchlich schilderte, da er einerseits in der Einvernahme durch das BFA erklärte, dass die Nummer auf einem Zettel notiert gewesen sei, den er in seiner Unterkunft zurückgelassen habe, als er in Äthiopien von der Polizei verhaftet worden sei (AS 159), andererseits in der mündlichen Verhandlung aussagte, dass er den Zettel mit der Telefonnummer in der Hosentasche gehabt habe und die Hose gewaschen worden sei (Verhandlungsprotokoll Sitzung 6). Auf Vorhalt dieses Widerspruchs versuchte der BF die beiden Aussagen miteinander zu kombinieren, indem er angab, dass er zuerst die Hose gewaschen habe und ihn danach die Polizei verhaftet habe. Dies kann jedoch nur als unglaubhafte Schutzbehauptung angesehen werden, zumal das damit im Zusammenhang stehende Fluchtvorbringen ebenso unglaubhaft ist (s. Punkt römisch II.2.2.). Im Übrigen steht all das wiederum auch im Widerspruch zum Vorbringen, dass die Telefonnummer nicht mehr existiere (Verhandlungsprotokoll Sitzung 6), da er dies nicht überprüfen könnte, wenn er die Nummer verloren hätte. Schlussendlich gab der BF auch nicht die Wahrheit darüber an, dass er kein eigenes Handy besessen habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 8), da er bei seiner Antragstellung ein Handy der Marke Nokia bei sich trug (AS 11). Die Rechtfertigung in der mündlichen Verhandlung, dass das Handy nicht ihm gehört habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 8), kann ebenso nur als Schutzbehauptung gewertet werden, zumal nicht nachvollziehbar ist, weshalb der BF das Handy einer anderen Person bei sich tragen würde.
2.1.8. Dass der BF ledig, kinderlos und gesund ist, hat er selbst angegeben.
2.1.9. Die Feststellung über die strafgerichtliche Verurteilung des BF folgt aus dem im Akt aufliegenden Urteil (OZ 15).
2.2. Zum Fluchtvorbringen
2.2.1. Dem Vorbringen des BF, in Somalia durch die Al Shabaab und die Angehörigen eines Mörders bedroht worden zu sein, ist schon aufgrund des nicht glaubhaften Aufenthalts des BF in Somalia (s. oben) die Glaubwürdigkeit zu verweigern. Denn da der BF sein gesamtes Leben bis zur Ausreise nach Europa in Äthiopien verbracht hat, konnte das auf Somalia bezogene Fluchtvorbringen nicht stattgefunden haben.
2.2.2. Dieses Fluchtvorbringen ist aber auch unabhängig davon gänzlich unglaubhaft.
So verstrickte sich der BF in offenkundige chronologische Widersprüche. In der Stellungnahme vom römisch 40 führte er aus, dass er römisch 40 noch bei seiner Familie in römisch 40 gelebt habe (AS 77), in der Einvernahme durch das BFA und in der mündlichen Verhandlung erklärte er jedoch, bereits im römisch 40 Somalia verlassen zu haben (AS 155 und 157; Verhandlungsprotokoll Sitzung 4). In der genannten Stellungnahme gab der BF an, dass er noch in Somalia gelebt habe, als sein Vater getötet worden sei (AS 77), in der Einvernahme hingegen sagte der BF aus, dass dies erst passiert sei, als er sich bereits in Äthiopien aufgehalten habe (AS 165). In der Stellungnahme brachte der BF vor, dass er aus Somalia geflohen sei, nachdem seine zwei jüngeren Schwestern von der Al Shabaab entführt worden seien (AS 77), in der Einvernahme hingegen gab er auch insoweit an, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits in Äthiopien gewesen sei (AS 165), wobei noch zusätzlich zu erwähnen ist, dass der BF hier im zusätzlichen Widerspruch angab, dass eine der beiden entführten Schwestern älter gewesen sei als er selbst (AS 157). In der mündlichen Verhandlung schließlich gab der BF zu Protokoll, dass er sogar erst in römisch 40 , somit zu seinem Zeitpunkt, zu dem er nach seinen Angaben gar keinen Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt habe vergleiche AS 165), von der Entführung seiner Schwestern erfahren habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 11).
Auch den Fluchtgrund gab der BF grundverschieden an. Während er in der Erstbefragung noch lediglich Probleme in Äthiopien vortrug (AS 9), gab er in der Stellungnahme vom römisch 40 an, dass die Al Shabaab ihn seit römisch 40 mehrfach zum Beitritt zur Miliz gedrängt habe, und als er sich neuerlich geweigert habe, zwei seiner Schwestern entführt hätten, woraufhin der BF nach Äthiopien geflohen sei (AS 77). In der Einvernahme durch das BFA wiederum änderte der BF sein Vorbringen nochmals gravierend ab, indem er nun angab, dass er am römisch 40 Zeuge eines Mordes geworden sei, woraufhin er zunächst von der Familie des Mörders bedroht worden sei, sodann von der damals regierenden Al Shabaab als Zeuge vernommen worden sei, und er ihm Zuge dessen von ihnen einmal aufgefordert worden sei, ihnen beizutreten, woraufhin der BF nach Äthiopien geflohen sei (AS 161 f). Im Ergebnis brachte der BF schon bei dieser groben Betrachtung im Laufe des Administrativerfahrens drei gänzlich unterschiedliche Fluchtgründe an.
In der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht änderte der BF sein Vorbringen aus der Einvernahme wiederum in wichtigen Details ab. Während er in der Einvernahme noch behauptete, dass der Mörder seinen Kunden umgebracht habe (AS 161), sagte der BF in der mündlichen Verhandlung aus, dass der Mörder den Kunden eines anderen Schuhputzers getötet habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 8), wobei zusätzlich bemerkt wird, dass der BF zuletzt kein konkretes Datum mehr angab, wohingegen er in der Einvernahme noch Datum, Wochentag und Tageszeit vorbrachte und erklärte, dass er das Datum dieses schrecklichen Erlebnissen nicht vergessen würde (AS 165). Es wäre völlig lebensfremd anzunehmen, dass der BF sich in einem derartig wichtigen Detail, ob er nun den Mord seines eigenen Kunden oder des Kunden einer anderen Person beobachtet habe, irren würde. Auch gab der BF in der Einvernahme an, dass er am Tag nach dem Mord von den Angehörigen des Mörders bedroht worden sei und wiederum ein bis zwei Tage danach er von der Al Shabaab zur Zeugenbefragung mitgenommen worden sei (AS 161). Nach seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung hingegen sei die Al Shabaab bereits am Tag nach dem Mord zu ihm gekommen. Auf Vorhalt der gegenteiligen Aussage in der Einvernahme blieb der BF zunächst dabei, um sodann dann wenig nachvollziehbar doch wieder zum in der Einvernahme getätigten Vorbringen zurückzukehren (Verhandlungsprotokoll Sitzung 10). Ebenso führte der BF in der Einvernahme aus, dass er persönlich von den Angehörigen des Mörders bedroht worden sei (AS 161), in der mündlichen Verhandlung hingegen sprach er auf einer telefonischen Bedrohung. Auf Vorhalt seiner Aussage in der Einvernahme kombinierte der BF sodann beide Aussagen miteinander, was jedoch lediglich als Schutzbehauptung abgetan werden kann, da er ansonsten schon von Beginn an ein derartiges Vorbringen erstattet hätte (Verhandlungsprotokoll Sitzung 10). Während der BF zudem in der Einvernahme noch ausführte, dass die Al Shabaab ihn zweimal zur Zeugenbefragung mitgenommen habe und man ihn dort aufgefordert habe, ihnen beizutreten (AS 161), führte der BF in der mündlichen Verhandlung nur mehr vage und im Einzelnen anderslautend aus, dass „man“ ihn zum Mord befragt habe und die Al Shabaab „außerdem“ zu ihm nach Hause gekommen sei und ihn zum Beitritt zur Miliz aufgefordert habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 8). Schließlich brachte der BF noch in der Einvernahme vor, dass er sogleich, nachdem die Al Shabaab ihn aufgefordert habe, für sie zu arbeiten, zu einem befreundeten Geschäftsmann gegangen sei, der ihn bei anderen Freunden versteckt und für ihn die Ausreise aus Somalia organisiert habe. Vier Tage später sei dieser wieder zum BF gekommen, habe erklärt, dass der Mörder an diesem Abend hingerichtet werde, und den BF zu einem LKW gebracht, der ihn nach Äthiopien geführt habe (AS 161 f). In der mündlichen Verhandlung hingegen erklärte der BF im Widerspruch, dass zunächst der Mörder getötet worden sei, und er dann „eines Tages“ zu diesem Freund gegangen sei (Verhandlungsprotokoll Sitzung 9). Der BF wandelte somit in nahezu sämtlichen Details der in der Einvernahme vorgebrachten Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung ab.
Letztlich ist nur der Vollständigkeit halber noch auszuführen, dass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass die Angehörigen des Mörders nur den BF bedroht hätten (AS 161), wenn doch viele Menschen den Mord beobachtet hätten (AS 161). Der BF rechtfertigte dies damit, dass er einer Minderheit angehörig sei (Verhandlungsprotokoll Sitzung 9), jedoch hätte die Nichtaussage des BF angesichts der vielen Zeugen nichts an der Verurteilung des Mörders geändert. Auch ist nicht nachvollziehbar, dass der BF in der mündlichen Verhandlung angab, dass der aus Angst, vom Mörder umgebracht zu werden, Somalia verlassen habe (Verhandlungsprotokoll Sitzung 8), da dieser doch bereits in Gewahrsam der Al Shabaab gewesen sei und diese ihm bereits mitgeteilt habe, dass er aufgrund der Aussage des BF hingerichtet werde (AS 161). Zudem erscheint es auch wenig glaubhaft, dass die Fahrt des BF im LKW von einem Bezirk in der Nähe von römisch 40 nach römisch 40 eine ganze Woche gedauert hätte (AS 161 f). Bei einer schon vom BFA vorgehaltenen Entfernung von ca. römisch 40 Kilometern (AS 163) würde das selbst bei einer angenommenen Fahrzeit von nur römisch 40 Stunden pro Tag auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas mehr als 25 Stundenkilometer hinauslaufen, was selbst unter Beachtung schlechter Straßenverhältnisse wenig wahrscheinlich scheint.
In Anbetracht aller Umstände war der BF somit auch aus diesem Blickwinkel nicht in der Lage, den Eindruck zu vermitteln, von tatsächlich erlebten Ereignissen zu schildern, sondern sich eines erdachten Konstrukts zu bedienen.
Andere sich auf seinen Herkunftsstaat Somalia beziehende Fluchtgründe wurden vom BF weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht und sind auch vor dem Hintergrund der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte nicht hervorgekommen.
2.2.3. Obgleich es mangels Bezugs zum Herkunftsstaat Somalia für die Prüfung der Asylrelevanz des Vorbringens nicht erforderlich ist, ist doch zur weiteren Stützung der Beweiswürdigung zur Person des BF (insb. Punkt römisch II.2.1.3. zur Clanzugehörigkeit) an dieser Stelle noch auf das sich auf Äthiopien beziehende Fluchtvorbringen des BF einzugehen.
Insoweit brachte der BF nämlich in der Erstbefragung vor, in Äthiopien aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der römisch 40 von den Ogaden verfolgt worden zu sein. Er sei konkret für römisch 40 von den Ogaden inhaftiert worden (AS 9). In der Stellungnahme vom römisch 40 ergänzte der BF, dass er römisch 40 in einer Polizeistation in römisch 40 inhaftiert gewesen sei und ihm der Grund seiner Inhaftierung nicht mitgeteilt worden sei (AS 79). In der Einvernahme durch das BFA bestätigte er nach Übersetzung zunächst diese Angaben (AS 155). In weiterer Folge erklärte der BF jedoch im gravierenden Widerspruch, dass er und andere Schuhputzer von Polizisten, die sowohl den Ogaden als auch anderen Clans angehört hätten, festgenommen worden seien und der BF nach drei Tagen vor Gericht gestellt worden sei, wo ihm vorgeworfen worden sei, dass er sich illegal im Land befinde und der Al Shabaab angehöre. Der BF sei zu einer römisch 40 Gefängnisstrafe und einer Geldstrafe von 2.000 Rial verurteilt worden (AS 163). Entgegen seiner Erläuterungen in der Stellungnahme konnte der BF somit in der Einvernahme den Grund seiner behaupteten Inhaftierung genau nennen. Er sprach auch nicht mehr davon, in einer Polizeistation, sondern in einem Gefängnis inhaftiert gewesen zu sein und sei zudem nicht von den Ogaden, sondern von Polizisten, die teilweise auch den Ogaden angehört hätten, festgenommen worden. Der BF erstattete somit ein gänzlich anderes Vorbringen. Dass seine Inhaftierung im Zusammenhang mit seiner behaupteten Clanzugehörigkeit gestanden wäre, ist aus seinen Angaben in der Einvernahme ebenso wenig zu schließen.
Schließlich erscheinen auch die Ausführungen des BF, wonach ihm direkt nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis eine Gruppe junger, ihm fremder Männer, die er auf einem Fußballplatz gesehen habe, die Ausreise aus Äthiopien – zumal ohne jegliche Gegenleistung – organisiert hätte, mehr als lebensfremd (AS 163). Auch dies würde im Übrigen gegen die behauptete Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit sprechen.
Auch hier war somit festzustellen, dass das Vorbringen des BF unglaubhaft ist und er nicht die tatsächlichen Gründe seiner Ausreise aus Äthiopien vorbrachte.
2.3. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia vom römisch 40 (in der Folge: LIB) wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt römisch II.1.3. zitiert.
2.4. Zur Rückkehrsituation des BF
Dem LIB ist zu entnehmen, dass in Städten wie Mogadischu entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig sind, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist insbesondere hinsichtlich der Arbeitssuche wichtig. Ferner ist dem LIB zu entnehmen, dass das UNHCR vor der nicht-existenten Infrastruktur und mangelnden Einrichtungen für somalische Rückkehrer warnt, sodass auch unter diesem Aspekt der Aufbau einer Existenzgrundlage für einen Rückkehrer ohne soziale bzw. familiäre Kontakte kaum möglich ist. Auch wenn es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt als an anderen Orten Somalias, ist dennoch zu berücksichtigen, dass freie Arbeitsplätze häufig über die Verwandtschaft vor Ort oder den Clan vergeben werden.
Dem BF, der sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise nach Europa in Äthiopien verbracht hat, der nie in Somalia war und dessen Angehörige in Äthiopien leben, hat kein solches Netzwerk in einer somalischen Stadt wie Mogadischu. Zumal seine Clanzugehörigkeit nicht festgestellt werden konnte, können ihm auch keine darauf aufbauenden Möglichkeiten unterstellt werden. Dass der BF über genügend Eigenressourcen verfügen würde, ist im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. Da der BF keine Berufsausbildung hat und bislang lediglich als Schuhputzer gearbeitet hat, verfügt auch nicht über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse, um auf dem städtischen Arbeitsmarkt Somalias auf sich allein gestellt für seine Existenz sorgen zu können.
Ohne Erwerbsmöglichkeiten und damit ohne Unterkunft läuft der BF Gefahr, nur in einem Lager für Binnenflüchtlinge unterzukommen. Dem LIB ist zu entnehmen, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als Binnenflüchtlinge wiederfinden wird und es vor allem in Mogadischu zu Vertreibungen bzw. Zwangsräumungen von Binnenflüchtlingen bzw. deren Lagern gekommen ist. An den Vertreibungen waren auch staatliche Sicherheitskräfte beteiligt, die auch Gewalt angewendet haben. Binnenflüchtlinge gehören in Somalia daher generell zu den am meisten gefährdeten Personengruppen. Die Regierung und Regionalbehörden bieten nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Für sie gibt es weniger Beschäftigungsmöglichkeiten, weshalb sie üblicherweise aufgrund der Überweisung von Remissen und mittels internationaler Unterstützung überleben. Über solche verfügt der BF aber nicht.
Darüber hinaus ist der BF zwar im weiteren somalischen Kulturkreis, aber doch außerhalb Somalias geboren und aufgewachsen. Da er nie in Somalia war, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er gerade bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft über die notwendigen gesellschaftlichen Kenntnisse und Gepflogenheiten in Somalia verfügt.
Zusammenfassend ergibt sich die Rückkehrgefährdung des BF daher aus seiner persönlichen Situation, insbesondere den mangelnden sozialen und familiären Anknüpfungspunkten in Somalia einerseits und den fehlenden persönlichen Fähigkeiten und Ressourcen andererseits.
Die für den BF zu prognostizierende Rückkehrsituation in Somalia erweist sich somit in einer Gesamtbetrachtung aufgrund der objektiven Berichtslage in Zusammenschau mit den individuellen Umständen des BF zum Entscheidungszeitpunkt dergestalt, dass im Falle einer Relokation in Städte wie Mogadischu davon auszugehen ist, dass der BF Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt römisch eins. A)
3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides
3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“
Der zentrale Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen vergleiche VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an vergleiche VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher die BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht vergleiche VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
3.1.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall folgt hieraus, dass, wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, der vom BF vorgebrachte Fluchtgrund nicht glaubhaft war.
Da die Glaubhaftmachung ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Asyl ist, ist es dem BF nicht gelungen, einen in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Grund einer aktuell drohenden Verfolgung maßgeblicher Intensität schlüssig darzulegen. Die Angaben im Zuge des gesamten Verfahrens sind nicht hinreichend konsistent, sondern vielmehr überwiegend widersprüchlich. Es ist nicht nachvollziehbar, warum er einer ernstlichen Bedrohung ausgesetzt sei bzw. Gefahr liefe, Übergriffe zu erleiden.
Es sind auch keine Hinweise vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen hervorgekommen, dass der BF in Somalia nach objektiver Wahrscheinlichkeit sonstigen ernstlichen Bedrohungen ausgesetzt wäre, die als asylrelevant zu qualifizieren sind. Insbesondere wäre er auch in einer Stadt wie Mogadischu nicht der Gefahr einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt.
Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.
3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides
3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen vergleiche VwGH vom 8.09.2016, Ra 2016/20/0063).
3.2.2. Aus den Feststellungen zur Person des BF unter Punkt römisch II.1.1. in Zusammenschau mit den aktuellen spezifischen Länderfeststellungen zu Somalia unter Punkt römisch II.1.3. und den Feststellungen zur Rückkehrsituation unter Punkt römisch II.1.4. ergeben sich konkrete Hindernisse betreffend die sofortige Rückverbringung des BF in seinen Herkunftsstaat. Der BF hat weder familiäre noch soziale Anknüpfungspunkte in Somalia, noch verfügt er über notwendige Fähigkeiten, Kenntnisse oder Eigenressourcen, um sich in einer Stadt wie Mogadischu anzusiedeln. Es kann dadurch nicht ausgeschlossen werden, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, da er keine Existenzgrundlage vorfinden würde. Denn nicht nur Handlungen, sondern auch unmenschliche Bedingungen und Zustände können eine Verletzung von Artikel 3, EMRK auslösen, selbst wenn der Staat keinerlei Absicht hegt, dem Betroffenen Leiden zuzufügen und auch wenn die Zustände in diesem Land als „normal“ gelten würden (Filzwieser/Frank/Klobmüller/Raschhofer [2016], Asyl- und Fremdenrecht, Paragraph 8, AsylG 2005, K 12).
Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 liegen nicht vor, weil sie einerseits im Verfahren nicht hervorgekommen sind (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins und 2 AsylG 2005) und der BF andererseits nicht wegen eines Verbrechens (sondern wegen eines Vergehens) verurteilt wurde (Ziffer 3, leg. cit.). Zwar zeigte sich der BF – sowie im Übrigen auch seine Rechtsvertretung – zu seiner Verurteilung nicht einsichtig, doch liegt darin noch kein Ausschlussgrund begründet.
Folglich war dem BF gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuzuerkennen.
3.2.3. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr zu erteilen.
3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte römisch III. und römisch IV. des angefochtenen Bescheides
Aufgrund der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die die Spruchpunkte römisch III. und römisch IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.
Zu Spruchpunkt B) wegen Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich daher das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
ECLI:AT:BVWG:2021:W189.2170686.1.00