Bundesverwaltungsgericht
28.08.2020
W251 2225597-1
W251 2213442-1/18E
W251 2213441-1/20E
W251 2225597-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , 2.) römisch 40 , geb. römisch 40 , und 3.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Afghanistan und vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 20.12.2018, Zl. 1098081702 - 151938195, 2.) vom 20.12.2018, Zl. 1098081800 - 151938204, und 3.) vom 20.12.2018, Zl. 1235235201 - 190634419, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
römisch eins. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und römisch 40 sowie römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG sowie römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG wird den Beschwerdeführern jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.08.2021 erteilt.
römisch IV. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkt römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide gemäß Paragraph 28, Absatz eins und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Begründung:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten – abgesehen von der Drittbeschwerdeführerin – gemeinsam mit zwei Schwestern und einem Bruder des Erstbeschwerdeführers in das Bundesgebiet ein. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 04.12.2015, betreffend die Drittbeschwerdeführerin am 24.06.2019, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin nach traditionellem Ritus verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin ist die leibliche Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin.
2. Die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin fand am 06.12.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Sie gaben zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass die Schwester des Erstbeschwerdeführers in Afghanistan von einem Jungen aus der Ortschaft belästigt worden sei und dieser versucht habe, sie zu vergewaltigen. Dieser Junge sei kriminell und die Polizei könne gegen ihn nichts tun. Da die Belästigungen (gegen die gesamte Familie und die Zweitbeschwerdeführerin) weiter zugenommen hätten, hätten sie Afghanistan schließlich verlassen.
3. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 19.07.2016 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) im Zulassungsverfahren niederschriftlich einvernommen.
Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 22.09.2016 wurden die Anträge des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes Kroatien zuständig ist. Es wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin nach Kroatien zulässig ist.
Gegen diese Bescheide erhoben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde, zu der die Landespolizeidirektion römisch 40 eine Gegenschrift erstattete.
Das Bundesverwaltungsgericht gab den Beschwerden mit Erkenntnis vom 18.10.2016 statt und behob diese Bescheide.
4. Am 07.03.2018 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Schwester in Afghanistan vergewaltigt und zuhause angegriffen worden sei. Der Erstbeschwerdeführer habe bei der Polizei Anzeige erstattet, weshalb auch er von den Personen geschlagen worden sei. Zudem habe er Probleme mit seinen Schwiegereltern gehabt, die gegen seine Heirat mit der Zweitbeschwerdeführerin gewesen seien.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass ihr Vater sie geschlagen, gefoltert und im Zimmer eingesperrt habe. Er habe ihr auch nicht erlaubt die Schule zu besuchen oder zu lernen. Zudem habe ihr Vater sie an einen ihrer drei Cousins versprochen. Als er davon erfahren habe, dass die Zweitbeschwerdeführerin einen Schiiten heiraten wolle, habe er ihr das Leben zur Hölle gemacht. Die Zweitbeschwerdeführerin sei deshalb heimlich mit Hilfe des Erstbeschwerdeführers nach Kabul geflüchtet, wo sie gegen den Willen ihres Vaters den Erstbeschwerdeführer geheiratet habe.
5. Das Bundesamt wies die Anträge des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt römisch III.). Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft gemacht hätten. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin seien gesund, anpassungs- und arbeitsfähig und würden über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügen und zusammen zurückkehren. Es sei daher nicht ersichtlich, dass sie im Falle einer Rückkehr einer ausweglosen bzw. existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wären. Die Beschwerdeführer würden in Österreich – abgesehen voneinander – zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe, verfügen.
6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde. Die Beschwerdeführer brachten im Wesentlichen vor, dass das Bundesamt veraltete und unzureichende Länderberichte herangezogen habe. Zudem habe es das Bundesamt unterlassen Ermittlungen betreffend eine westliche Orientierung der Zweitbeschwerde-führerin anzustellen. Der Erstbeschwerdeführer habe betreffend seine Ausführungen zu den Drohanrufen durch seine Schwiegereltern unrichtige Angaben getätigt, weil er das Gefühl gehabt habe, bei der Einvernahme nicht ernst genommen zu werden. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin habe ihre Mutter zur Prostitution gezwungen. Sie selbst sei dazu nicht gezwungen worden, weil ihre Mutter dies nicht zugelassen habe. Das Neuerungsverbot stehe diesem Vorbringen nicht entgegen, weil die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Scham und des männlichen Dolmetschers beim Bundesamt nicht in der Lage gewesen sei, das Vorbringen zu erstatten. Der Zweitbeschwerdeführerin drohe in Afghanistan Verfolgungsgefahr, weil sie von zuhause weggelaufen sei, was als „Zina“ angesehen werde und sowohl vom Staat als auch durch Tötungen durch die Familie geahndet werde. Ihr drohe auch wegen ihrer Heirat, die ohne das Einverständnis ihrer Familie geschlossen worden sei sowie aufgrund ihrer pro-westlichen Orientierung asylrelevante Verfolgung in Afghanistan. Den Beschwerdeführern sei aufgrund der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar. Den Beschwerdeführern hätte daher der Status der Asylberechtigten jedenfalls jedoch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen. Zudem würden sich die Beschwerdeführer um eine gute Integration, Deutschkenntnisse und sozialen Anschluss bemühen, weshalb ihnen Aufenthalts-berechtigungen zu erteilen gewesen wären.
7. Mit Urkundenvorlage vom 23.01.2018 legte die Zweitbeschwerdeführerin medizinische Unterlagen sowie der Erstbeschwerdeführer drei Fotos seiner Schwester zum Zweck der Untermauerung seines Vorbringens, vor.
8. Am römisch 40 wurde die Drittbeschwerdeführerin in Österreich geboren. Für sie wurde am 24.06.2019 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Die Zweitbeschwerdeführerin wurde als gesetzliche Vertreterin der Drittbeschwerdeführerin am 08.08.2019 betreffend deren Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Für die Drittbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Im Falle einer Rückkehr fürchte die Zweitbeschwerdeführerin ihr Vater oder Onkel würde ihr ihre Tochter wegnehmen und diese verkaufen.
Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 24.10.2019 den Antrag der Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt römisch eins. und römisch II.). Ihr wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte römisch III. bis römisch fünf.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass für die Drittbeschwerdeführerin keine asylrelevanten Fluchtgründe geltend bzw. glaubhaft gemacht wurden. Die Drittbeschwerdeführerin stehe unter der Obhut ihrer Eltern und würde im gemeinsamen Familienverband mit diesen nach Afghanistan zurückkehren. Ihre Existenz sei in Afghanistan im Familienverband gesichert. Auch betreffend die Minderjährigkeit der Drittbeschwerdeführerin könne aufgrund ihres familiären Umfeldes nicht von einer potenzierten Gefährdungslage und einer besonderen altersspezifischen Vulnerabilität, die der Drittbeschwerdeführerin ein Leben im urbanen Raum im Familienverband verunmöglichen würde, ausgegangen werden. Zudem würde sie in Österreich – abgesehen von ihren Eltern – über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe, verfügen.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde und die Beschwerdegründe ihrer Eltern zu jenen der Drittbeschwerdeführerin erhoben. Darüber hinaus wurden für die Dritt-beschwerdeführerin eigene Fluchtgründe geltend gemacht, zumal die Lage für Kinder – insbesondere Mädchen – in Afghanistan katastrophal sei und sie von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen betroffen seien. Das Bundesamt habe das Kindeswohl nicht ausreichend berücksichtigt und es unterlassen Feststellungen darüber zu treffen, dass es sich bei den (Klein)kindern um Kinder und Mädchen handelt. Durch die Nichtanerkennung des Asylstatus sei ihr Kindeswohl und ihre persönliche Entwicklung jedenfalls gefährdet.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.11.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer und einer Vertreterin des Bundesamtes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
10. Mit Stellungnahme vom 04.12.2019 wurde vorgebracht, dass der Zweitbeschwerde-führerin, die sich bereits in Afghanistan den vorherrschenden Regeln und Normen nicht habe beugen wollen und sich dies in Österreich verstärkt habe, in Afghanistan Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen drohe. Zudem seien die Beschwerdeführer als Familie mit einem Säugling als besonders vulnerabel zu betrachten. Die Situation für Kinder, insbesondere Mädchen, sei in Afghanistan sehr schlecht. Eine Abschiebung der Beschwerdeführer, insbesondere der Drittbeschwerdeführerin, würde gegen das Kindeswohl sprechen und die reale Gefahr der Verletzung ihrer Rechte nach Artikel 2 und 3 EMRK mit sich bringen, weshalb zumindest der Drittbeschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
11. Mit Parteigehör vom 12.08.2020 wurden den Beschwerdeführer aktuelle Länderinformationen übermittelt sowie aufgetragen bekannt zu geben, ob sich seit der letzten Verhandlung etwas an ihren Angaben, an ihrer Situation in Österreich bzw. im Herkunftsland oder an der Situation in Afghanistan geändert hat.
12. Mit Stellungnahme vom 21.08.2020 brachten die Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdeführer aufgrund der COVID-19-Situation ihre Deutschkenntnisse nicht verbessern konnten und auch keine ehrenamtliche Arbeit finden konnten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei im 6. Monat schwanger und daher besonders vulnerabel. Es ist dieser daher nicht möglich in Afghanistan ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Die Beschwerdeführer wären in Afghanistan erheblich von der COBID-19-Situation sowie der angespannten wirtschaftlichen Lage betroffen. Die Beschwerdeführer beantragten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Beweisthemen der Beurteilung der Situation von Rückkehrern sowie der wirtschaftlichen und sozioökonomischen Lagen sowie der Versorgungslage unter Berücksichtigung der COVID-19-Situation, da dem Gericht keine ausreichenden Länderinformationen zur Verfügung stehen würden.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
1.1.1. Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 alias römisch 40 . Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerde-führerin traditionell verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin ist die leibliche Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin und führt den Namen römisch 40 sowie das Geburtsdatum römisch 40 . Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennen sich zum muslimischen Glauben schiitischer (Erstbeschwerdeführer) und sunnitischer Richtung (Zweitbeschwerdeführerin). Die Beschwerdeführer sprechen Dari als Muttersprache (Verwaltungsakt des Erstbeschwerdeführers – BF 1 AS 3, 312, 317; Verwaltungsakt der Zweitbeschwerdeführerin – BF 2 AS 13, 286, 289; Verhandlungsprotokoll vom 20.11.2019 = VP, Sitzung 10 f, 13, 30).
1.1.2. Der Erstbeschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni im Distrikt römisch 40 , im Dorf römisch 40 geboren und ist dort zunächst mit seinen Eltern und zwei Schwestern sowie seinem geistig beeinträchtigten Bruder aufgewachsen (BF 1 AS 315; VP, Sitzung 10, 14). Ca. im Jahr 2001 starb der Vater des Erstbeschwerdeführers (BF 1 AS 318; VP, Sitzung 17). Der Erstbeschwerdeführer lebte zunächst mit seiner Mutter und seinen Geschwistern bei seinem Onkel väterlicherseits in Ghazni und zog dann gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in die Stadt Kabul. Der genaue Zeitpunkt seiner Übersiedelung kann nicht festgestellt werden. Die Mutter des Erstbeschwerdeführers zog im Zuge der Ausreise des Erstbeschwerdeführers und seiner Geschwister in Richtung Europa nach Mazar-e Sharif. Der Erstbeschwerdeführer hat drei Klassen der Schule in Afghanistan besucht (BF 1 AS 3, 317; VP, Sitzung 13). Er hat mit ca. 13 Jahren als Hilfsarbeiter zu arbeiten begonnen und war mindestens drei Jahre lang in einem Sportgeschäft in Kabul beschäftigt, danach hat er als Taxifahrer gearbeitet (VP, Sitzung 14). Der Beschwerdeführer hat nicht in Pakistan gelebt.
1.1.3. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Provinz Baghlan geboren. Sie ist bereits im Kindesalter nach Mazar-e Sharif gezogen und dort gemeinsam mit ihren Eltern und ihren drei Brüdern und zwei Schwestern in einem Miethaus aufgewachsen (BF 2 AS 289; VP, Sitzung 34). Die Zweitbeschwerdeführerin ist mit ihrer Familie nicht alle paar Monate innerhalb Mazar-e Sharifs umgezogen. Die Zweitbeschwerdeführerin hat keine Schule besucht, sie ist Analphabetin (BF 2 AS 13, 289; VP, Sitzung 34f). Ihr Vater ist für den Lebensunterhalt der Familie aufgekommen (VP, Sitzung 34).
Die Zweitbeschwerdeführerin ist derzeit im 6. Monat schwanger (OZ 8).
1.1.4. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihr Bruder haben ihre Schwester im Jahr 2014/2015 in Kabul besucht und bei dieser in der Wohnung gelebt (BF 2 AS 293). Die Zweitbeschwerde-führerin hat den Erstbeschwerdeführer während ihres Aufenthaltes bei ihrer Schwester in Kabul dadurch kennengelernt, dass die Wohnung ihrer Schwester und des Erstbeschwerde-führers im selben Haus lagen (BF 1 AS 315, 324; BF 2 AS 288; VP, Sitzung 13, 32 f). Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben in Afghanistan traditionell geheiratet. Es hat sich dabei nicht um eine heimliche, gegen den Willen des Vaters der Zweitbeschwerdeführerin erfolgte Eheschließung gehandelt. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin war mit der Heirat einverstanden. Die Zweitbeschwerdeführerin ist nach der Heirat zum Erstbeschwerdeführer nach Kabul gezogen, wo sie ca. sechs Monate gelebt haben, bevor sie aus Afghanistan ausgereist sind (BF 1 AS 325; BF 2 AS 288).
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellten am 04.12.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Am römisch 40 wurde die Drittbeschwerdeführerin in Österreich geboren, für sie wurde am 24.06.2019 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.1.5. Zwei Onkel des Erstbeschwerdeführers mütterlicherseits leben in Mazar-e Sharif (BF 1 AS 319). Die Mutter des Erstbeschwerdeführers lebt bei einem ihrer Brüder in Mazar-e Sharif (VP, Sitzung 15). Zwei Onkel väterlicherseits des Erstbeschwerdeführers leben in der Provinz Ghazni (BF 1 AS 319; VP, Sitzung 15).
Der Vater des Erstbeschwerdeführers ist bereits verstorben. Der Erstbeschwerdeführer hat von ihm ein Grundstück im Ausmaß von ca. zwei Jirib vererbt bekommen, dass sich in Ghazni befindet. Das Grundstück wird von seinen Onkeln väterlicherseits landwirtschaftlich bewirtschaftet (BF 1 AS 322; VP, Sitzung 16). Der Erstbeschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seinen Onkeln väterlicherseits.
Die Geschwister des Erstbeschwerdeführers leben in Deutschland. Ihnen wurde ein Aufenthaltstitel befristet für drei Jahre erteilt (VP, Sitzung 16).
1.1.7. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sowie eine Schwester und zwei ihrer Brüder leben nach wie vor in Mazar-e Sharif in einem gemieteten Haus (VP, Sitzung 34 f). Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin zieht nicht alle paar Monate innerhalb Mazar-e Sharifs um. Der Vater ist Polizist (VP, Sitzung 36), die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin arbeiten als Tagelöhner (VP, Sitzung 44 f). Sie sind nicht verheiratet (VP, Sitzung 41). Die Zweitbeschwerdeführerin hat regelmäßig Kontakt zu ihrer Familie (VP, Sitzung 35).
Eine Schwester der Zweitbeschwerdeführerin ist verheiratet, hat mindestens drei Kinder und lebt in der Stadt Kabul. Die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin ist Hausfrau (VP, Sitzung 36 f). Die Zweitbeschwerdeführerin hat ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwester (VP, Sitzung 45) und steht mit dieser in regelmäßigem Kontakt.
Ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin war verheiratet und hat eine Tochter. Er lebt nunmehr jedoch getrennt von seiner Frau und Tochter im Iran (VP, Sitzung 44).
Ein Onkel und eine Tante der Zweitbeschwerdeführerin sowie viele Cousins väterlicherseits leben in der Provinz Baghlan. Ihre zwei Onkel und ihre Tante mütterlicherseits leben in Mazar-e Sharif (VP, Sitzung 35).
1.1.8. Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, sie sind gesund. Der Erstbeschwerdeführer ist arbeitsfähig (VP, Sitzung 20, 23, 39 f).
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.
1.2.1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin werden aufgrund ihrer Heirat nicht von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin, insbesondere ihrem Vater, verfolgt. Die Zweitbeschwerdeführerin war keinem ihrer Cousins väterlicherseits versprochen.
Weder die Zweitbeschwerdeführerin noch ihre Geschwister oder ihre Mutter waren in Afghanistan psychischen oder physischen Misshandlungen oder Belästigungen durch ihren Vater ausgesetzt. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin wird nicht von diesem zur Prostitution gezwungen. Die Zweitbeschwerdeführerin war ebenso keiner Gefahr ausgesetzt durch ihren Vater zur Prostitution gezwungen zu werden.
Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor konkreten Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.
Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht den Beschwerdeführern weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin, ihren Onkel oder Cousin väterlicherseits, staatliche Organe oder durch andere Personen.
1.2.2. Weder die Schwester des Erstbeschwerdeführers noch andere Familienangehörigen des Erstbeschwerdeführers wurden in Afghanistan vergewaltigt oder von Personen (zuhause) angegriffen. Der Erstbeschwerdeführer wurde ebenso nicht von diesen Personen geschlagen.
Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht den Beschwerdeführern weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Personen, die angeblich die Schwester des Erstbeschwerdeführers vergewaltigt hätten.
1.2.3. Die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.
Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie verfügt lediglich über geringe Deutschkenntnisse und kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und ihre Tochter. Die Zweitbeschwerdeführerin bewegt sich hauptsächlich in ihrem räumlichen Nahebereich. Sie steht in Österreich nur zu Nachbarn und einer afghanischen Familie in engerem Kontakt.
1.2.4. Der Drittbeschwerdeführerin ist es möglich, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren. Ihr droht aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch ist sie deswegen einer Verfolgung oder Lebensgefahr ausgesetzt.
In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist insbesondere in Kabul und Mazar-e Sharif faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn der Drittbeschwerdeführerin eine grundlegende Bildung zukommt. Die Eltern würden die Drittbeschwerdeführerin in Kabul in die Schule schicken und dieser eine Schulbildung ermöglichen. Der Drittbeschwerdeführerin droht in Kabul und Mazar-e Sharif weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat oder sexuelle Ausbeutung oder Misshandlungen.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:
1.3.1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut.
1.3.2. Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Ghazni, dem Geburtsort des Erstbeschwerdeführers, ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit.
1.3.3. Der Erstbeschwerdeführer kann in der Stadt Kabul sowie in der Stadt Mazar-e Sharif grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.3.4. Der Drittbeschwerdeführerin droht in der Stadt Kabul sowie in der Stadt Mazar-e Sharif weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat. Es droht dieser dort auch weder Missbrauch noch sexuelle Übergriffe Entführungen oder Ausbeutungen oder Gefahren durch explosive Kriegsrückstände. Ihr ist es möglich in der Stadt Kabul eine Schule zu besuchen und sich an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen.
1.3.5. Durch die COVID-19-Situation hat sich die wirtschaftliche Lage in Kabul und Mazar-e Shraif weiter angespannt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und besonders Familien sowie Gelegenheitsarbeiter sind von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Situation betroffen. Es sind auch die Preise für Lebensmittel erheblich gestiegen. Die Drittbeschwerdeführerin ist erst ein Jahr alt und daher noch ein unmündiges minderjähriges Kind. Sie kann ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht selber befriedigen. Die Zweitbeschwerdeführerin ist im 6. Monat schwanger. Durch die Schwangerschaft sind derzeit die Arbeitsmöglichkeiten der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan erheblich eingeschränkt und reduziert. Auch diese ist daher derzeit nicht in der Lage in Afghanistan ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft selber zubefriedigen. Es ist dem Erstbeschwerdeführer aufgrund der COVID-19-Situation und der damit zusammenhängenden wirtschaftlich angespannten Versorgunglage (trotz familiärer Unterstützung in Kabul und Mazar-e Sharif) derzeit nicht möglich für die schwangere Zweitbeschwerdeführerin, die minderjährige Drittbeschwerdeführerin und nach der Geburt des zweiten Kindes auch für dieses den notwendigen Lebensunterhalt in der Stadt Kabul oder der Stadt Mazar-e Sharif ausreichend sicher zu stellen.
Es ist der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin derzeit somit nicht möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt Kabul oder der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Beschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und halten sich seit zumindest 04.12.2015 durchgehend in Österreich auf.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben einen Deutschkurs auf dem Niveau A0 besucht. Sie verfügen lediglich über sehr geringe Deutschkenntnisse (BF 2 AS 313; VP, Sitzung 19, 38). Sie haben an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen (BF 1 AS 341; BF 2 AS 312).
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gehen keiner beruflichen Tätigkeit nach. Sie leben von der Grundversorgung. Sie haben auch keine ehrenamtliche oder gemeinnützige Tätigkeiten ausgeübt (Beilage ./I; VP, Sitzung 20, 39)
Der Erstbeschwerdeführer hat in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu seiner Nachbarin, seinem Vermieter und einen Afghanen geknüpft. Darüber hinaus hat er Bekanntschaften mit denen er Fußball spielt (VP, Sitzung 22). Die Zweitbeschwerdeführerin hat Bekanntschaften an ihrem früheren Wohnort gemacht, mit denen sie nicht mehr in Kontakt steht. Sie hat eine Freundschaft zu einer Frau geknüpft, die nach Afrika gereist ist und mit der sie schriftlich in Kontakt steht. Darüber hinaus hat sie lediglich zu einer afghanischen Familie engeren Kontakt in Österreich (VP, Sitzung 40). Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben zu ihren freundschaftlichen Kontakten und Bekanntschaften keine enge soziale Bindung (VP, Sitzung 22, 40).
Der Cousin des Erstbeschwerdeführers mütterlicherseits lebt in Österreich. Die Beschwerdeführer haben den Kontakt zu diesem abgebrochen. Sie stehen zu diesem in keinem Abhängigkeitsverhältnis (VP, Sitzung 21 f). Darüber hinaus verfügen die Beschwerdeführer über keine Verwandte in Österreich.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war zu keiner Zeit geduldet. Sie waren weder Zeuge noch Opfer von Gewalt oder anderen strafbaren Handlungen in Österreich, ihre Anwesenheit ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen erforderlich. Es wurde nie eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO erlassen; es lag nie ein Sachverhalt vor, auf Grund dessen eine einstweilige Verfügung hätte erlassen werden können.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).
Die Zweitbeschwerdeführerin wird verdächtigt am 10.01.2020 beim Verkehrsamt in Österreich einen gefälschten afghanischen Führerschein abgegeben zu haben und den Austausch des afghanischen Führerscheins gegen einen österreichischen Führerschein beantragt zu haben. Es wurde daher gegen die Zweitbeschwerdeführerin am 14.07.2020 Anklage erhoben. Eine rechtskräftige Verurteilung liegt noch nicht vor.
Die Drittbeschwerdeführerin ist in Österreich aufgrund ihres Alters noch strafunmündig.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019 mit Kurzinformation vom 21.07.2020 (LIB),
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),
- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (Beilage ./III),
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017 (Beilage ./IV)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Anzahl an Kindern in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 (Beilage ./V)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bildungsmöglichkeiten für Kinder in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 06.05.2019 (Beilage ./VI)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Kinderarbeit und Ausbeutung Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 (Beilage ./VII)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Kinderehen und Zwangsehen vom 03.05.2019 (Beilage ./VIII)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Sicherheitslage von Kindern in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 09.05.2019 (Beilage ./IX)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Zugang zu Lebensmitteln vom 03.05.2019 (Beilage ./X)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 10.05.2019 (Beilage ./XI)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Sexuellen Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 06.05.2019 (Beilage ./XII)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Erpresserischer Entführung von Kindern vom 06.05.2019 (Beilage ./XIII)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Kinderschutzprogramme vom 03.05.2019 (Beilage ./XIV)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 (Beilage ./XV)
- Analyse der Staatendokumentation, Ehe im Islam vom 05.05.2015 (Beilage ./XVI)
1.5.1. Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel römisch II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 4).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen (LIB, Kapitel 2).
1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlingsund Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf). Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
1.5.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, römisch fünf).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).
1.5.4. Ethnische Minderheiten
In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).
1.5.4.1. Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen ist. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB, Kapitel 16.3).
Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre turko-mongolide Physiognomie, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (Dossier der Staatendokumentation Grundlage der Stammes- und Clanstruktur).
Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB, Kapitel 16.3).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (LIB, Kapitel 16.3).
Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB, Kapitel 16.3).
1.5.5. Religionen
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten und c.a 10 – 19% Shiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15, 15.1).
Die Schiiten Afghanistans sind mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren lokale Diskriminierungsfälle (LIB Kapitel 15.1).
In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB Kapitel 15.1).
1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel römisch II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel römisch II. C. 2).
1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 18).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschaftsbzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).
1.5.8. Korruption, Dokumente
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International belegt Afghanistan, von 180 untersuchten Ländern den 172. Platz, was eine Verbesserung um fünf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (LIB, Kapitel 6).
Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt. Beamte gehen oft ungestraft korrupten Praktiken nach. Es kam jedoch in den vergangenen Jahren zu leichten Verbesserungen bei der Wahrnehmung der Rechenschaftspflicht in der öffentlichen Verwaltung (LIB, Kapitel 6).
Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan weist gravierende Mängel auf und stellt aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor. Sämtliche Urkunden in Afghanistan können problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden (LIB, Kapitel 23).
1.5.9. Regionen
1.5.9.1. Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 2.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, römisch III.3).
Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).
1.5.9.2. Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 2.5).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch III).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 2.5 und 2.35). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 20). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 21).
1.5.9.3. Provinz Ghazni
Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Es leben ca. 1.338.597 Menschen in Ghazni. Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken (LIB, Kapitel 2.10).
Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung. Im Dezember 2018 stand die Ghazni-Paktika-Autobahn unter Taliban-Kontrolle und war für Zivil- und Regierungsfahrzeuge gesperrt. Im Mai 2019 war die Ghazni-PaktikaAutobahn seit einem Jahr geschlossen. Auch die Ghazni-Paktia-Autobahn war Anfang März 2019 trotz einer 20-tägigen Militäroperation gegen die Taliban immer noch gesperrt. Im Mai 2019 führten die Regierungskräfte an den Rändern von Ghazni-Stadt Räumungsoperationen zur Befreiung der Verkehrswege durch (LIB, Kapitel 2.10).
Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Talibankämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben (LIB, Kapitel 2.10).
Im Jahr 2018 wurden 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden (LIB, Kapitel 2.10).
Ghazni war neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, zudem werden Luftangriffe in der Provinz durchgeführt. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Auch verlautbarte die Regierung im September 2019 nach wie vor Offensiven gegen die Aufständischen in der Provinz zu führen, um das Territorium der Taliban zu verkleinern (LIB, Kapitel 2.10).
1.5.10. Situation für Rückkehrer
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück. Vom 01.01.2020 bis 18.05.2020 kehrten 279.738 Afghanen aus dem Iran nach Afghanistan zurück (LIB, Kapitel 22).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 22).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 22).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 22).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 22).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 22).
1.5.11. COVID-Situation:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 30.03.2020, 08:00 Uhr, 8.813 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 86 Todesfälle; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 120 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei vier diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.
Es haben sich mehr als 35.000 Menschen in Afghanistan mit dem COVID-Virus angesteckt, davon sind 1.280 am COVID-Virus gestorben. Kabul ist am stärksten von COVID-Erkrankungen betroffen. Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Mit dem Dastarkhan-e-Milli-Programm möchte die afghanische Regierung Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten.
Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen. Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen.
Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht.
Der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs wird in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung. Am meisten betroffen sind Menschen mit Behinderungen oder Familien, die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli ist um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind. 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden (LIB, Seite 8ff).
1.5.12. Blutfehde
Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. (UNHCR, Kapitel römisch III. A. 14).
1.5.13. Frauen
Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017).
Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung – diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten „Manteau shalwar“ tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten (Frauen in urbanen Zentren, Sitzung 2).
In Kabul- Stadt gibt es ein Familienkino für Frauen und den „Frauen-Garten“ (Bagh-e zanan) — ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende (Frauen in urbanen Zentren, Sitzung 29 f).
Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten (Frauen in urbanen Zentren Sitzung 22). In urbanen Zentren werden zudem vermehrt Freizeitangebote speziell für Frauen angeboten (Frauen in urbanen Zentren Sitzung 29 ff).
Traditionen, Rollenbilder, die Sicherheitslage, ländliche Umgebungen und die Armut bzw. beschränkte finanzielle Ressourcen sind Faktoren dafür, dass Mädchen seltener die Schule besuchen als Buben. Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich seit 2015 erhöht. Es gibt Bildungsprogramme für Mädchen und junge Frauen, die sich auch mit sicheren Transportmöglichkeiten für diese befassen. Es gibt auch Stipendien für Frauen (LIB Kapitel 17.1).
Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert. Der Anteil der Erwerbsbeteiligung bei Frauen hat sich auf 27% erhöht. Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB Kapitel 17.1).
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB Kapitel 17.1).
Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen, doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann eine alleinstehende Frau selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In den Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif können sich Frauen auch ohne männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen (LIB Kapitel 17.1).
Trotz eines Gesetzes, das das minimale Heiratsalter auf 18 Jahre für Männer und 16 Jahre bei Mädchen (bzw. 15 Jahren bei Einverständnis der Eltern oder eines Richters) festlegt, ist die Praxis von erzwungenen Heiraten und Kinderehen in Afghanistan verbreitet. Armut, Analphabetismus, Genderdiskriminierung und fehlender Zugang zu Gesundheit und Bildung sind die wichtigsten treibenden Faktoren für Kinderheirat. Für eine Kinderehe bedarf es der Zustimmung der Eltern (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Kinderehen, Zwangsehen vom 03.05.2019; LIB, Kapitel 17.1)
1.5.14. Kinder
Die Stadt Kabul hat über vier Millionen Einwohner. Die Bevölkerungszahl für die Stadt Herat beträgt 507.000 Einwohner, für die Stadt Mazar-e Sharif 428.000 Einwohner. In der Provinz Kabul sind ca. 41% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 24% entfallen auf die Altersgruppe 15-24 Jahre, 18% auf die Altersgruppe 25-39 Jahre, 14% auf die Altersgruppe 40-59 Jahre und 3% auf die Altersgruppe der über 60jährigen. In der Provinz Herat sind ca. 49% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 20% entfallen auf die Altersgruppe 15-24 Jahre, 15% auf die Altersgruppe 25-39 Jahre, 13% auf die Altersgruppe 40-59 Jahre und 3% auf die Altersgruppe der über 60jährigen. In der Provinz Balkh (Hauptstadt Mazar-e Sharif) sind ca. 44% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 22% entfallen auf die Altersgruppe 15-24 Jahre, 17% auf die Altersgruppe 25-39 Jahre, 14% auf die Altersgruppe 40-59 Jahre und 3% auf die Altersgruppe der über 60jährigen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend die Anzahl der Kinder).
Sicherheitslage für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif
Im Jahr 2018 waren 28% aller zivilen Opfer Kinder (3.062 Opfer – 927 Tote und 2.135 Verletzte), davon waren 71% Buben und 27% Mädchen. 39% der Opfer unter Kinder gehen auf Bodeneinsätze zurück, 17% auf improvisierte Bomben (Nicht-Selbstmord), 16% auf Luftangriffe, 14% auf explosive Kampfmittelrückstände, 9% auf Selbstmord- und komplexe Angriffe und 3% auf die Taliban (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.05.2019 betreffend Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 26 f). Die Sicherheitslage in den einzelnen Polizeidistrikten Kabuls hängt davon ab, ob es sich um Wohngebiete oder um Distrikte mit Regierungsstandorten, Sicherheitseinrichtungen (Militärakademie), ausländischen Organisationen oder um Gebiete an wichtigen Infiltrationswegen der Aufständischen oder der Autobahn handelt. In Distrikten mit wichtigen Einrichtungen ist die Präsenz der Sicherheitskräfte entsprechend hoch. Reine Wohngebiete sind relativ sicher. Die allgemeine Kriminalität ist in vielen Distrikten Kabuls hoch (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 29 ff). In Kabul und Herat kam es zu Angriffen auf Ausbildungseinrichtungen und Schülerinnen (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 36, 40).
Im Jahr 2018 gab es 492 Opfer (150 Tote und 342 Verletzte) durch explosive Kampfmittelrückstände im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, was einer Abnahme an Opfern um 23% gegenüber dem Jahr 2017 entspricht. Der Rückgang geht auf Faktoren wie der Bergung von explosiven Kampfmittelrückständen auf Schlachtfeldern, kombiniert mit Aufklärungsprogrammen und der Markierung von vermuteten Gefahrenbereichen zurück. Kinder wurden überproportional Opfer von explosiven Kampfrückständen. Im Jahr 2018 machten sie 87% aller Opfer aus (136 Tote und 290 Verletzte) (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 3). Die meisten Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen im Jahr 2018 sind in Afghanistan auf kürzlich stattfindende Kampfhandlungen zurückzuführen. Vertriebene Familien sind einem großen Risiko ausgesetzt, wenn sie in Gebiete zurückkehren, in denen schwere Kämpfe stattgefunden haben (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 2). Die 14 der 16 Distrikte der Provinz Herat – einst eine der am stärksten kontaminierten Gebiete Afghanistans – wird nach zehnjähriger Entminungstätigkeit nun als sicher eingestuft (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 2, 9). in den Jahren 2018 und 2019 (bis 7.5.)
Versorgungssituation der Kinder in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif
Kabul importiert den Großteil des Bedarfs an Lebensmitteln aus umliegenden Regionen und dem Ausland, weshalb es weniger von Lebensmittelnotständen betroffen ist. Es kommt zu großen Schwankungen bei der Lieferung und somit zu Knappheit bei bestimmten Lebensmitteln. Die Lebensmittelversorgung in Kabul und Mazar-e Sharif ist (mit Stand Dezember 2018) angespannt, sodass trotz humanitärer Unterstützung mindestens ein Fünftel der Haushalte einen minimal ausreichenden Lebensmittelkonsum aufweist, aber nicht in der Lage ist notwendige Ausgaben abseits von Lebensmitteln zu bestreiten. Herat befindet sich betreffend die Lebensmittelversorgung in der Krise, sodass trotz humanitärer Hilfe mindestens ein Fünftel der Haushalte Mängel in der Lebensmittelversorgung oder überdurchschnittliche Mangelernährung aufweisen bzw. kaum in der Lage waren das Minimum des Lebensmittelbedarfs zu decken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Zugang zu Lebensmitteln, Sitzung 3 f).
Ca. 70% der Kabuler Bevölkerung lebt in informellen Siedlungen (= Wohngebiete, die entweder auf Grundstücken errichtet wurden, auf die die Bewohner keinen Rechtsanspruch haben und/oder Wohngebiete, die nicht den Planungs- und Bauvorschriften entsprechen). Die Stadt Kabul hat zwar kein zentrales Abwassersystem, jedoch verfügt fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul über grundlegende sanitäre Einrichtungen (= Einrichtungen, die nicht gemeinsam genutzt und durch welche Exkremente entweder sicher entsorgt oder entfernt werden). Die Qualität des Grundwassers ist auch durch das in den Kabul-Fluss eingeleitete häusliche und industrielle Abwasser gesunken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 3).
Ca. 65.000 Wohnungen in Kabul sind an das kommunale Wassersystem angeschlossen. Viele der 213.000 Brunnen in der Stadt haben die Menschen selbst gegraben (Zugang zu Lebensmitteln, Sitzung 8 f). Viele Bewohner Kabuls sind auf öffentliche Wasserhähne angewiesen, die von ihren Häusern oft weit entfernt sind. Es ist in der Regel Aufgabe von kleinen Kindern (oft Mädchen) das Wasser zu holen (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 4). Die Stadtverwaltung hat zum Wassersparen aufgerufen und verfolgt Pläne um die durch die steigende Nachfrage und den Wasserverbrauch gesunkenen Grundwasserspeicher wieder aufzufüllen (Zugang zu Lebensmitteln, Sitzung 8 f). Städtische Rückkehrer und Binnenvertriebene haben gleichberechtigten Zugang zu Wasser wie die aufnehmende Gesellschaft (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 2).
In der Stadt Herat leben ca. 5% der Bevölkerung in weichen Strukturen oder Zelten. Herat-Stadt hat kein zentrales Abwassersystem. 80% der Einwohner der Stadt Herat haben Zugang zu Netzstrom, 70% zu Wasser und 30% zu Abwasserentsorgung. Herat war das Ziel von rund 60.000 Menschen, die aufgrund von Dürre vertrieben wurden. Diese Menschen leben in überfüllten Lagern in und um Herat-Stadt (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 4 f).
In Mazar-e Sharif leben 66,5% in Eigentumshäusern, während 24,5% ihre Wohnung mieten. 76% der Bewohner Mazar-e Sharifs haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen aus Rohrleitungen oder Brunnen und 92% der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 5).
Bildungsmöglichkeiten, Kinderarbeit und Ausbeutung von Kindern in Kabul, Herat und Mazer-e Sharif
In Afghanistan gibt es öffentliche und kostenlose Grundschulen. Alle Kinder haben ein Recht auf den Schulbesuch, aber die Eltern sind nicht verpflichtet ihre Kinder in die Schule zu schicken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 9). Es gibt auch kostenpflichtige private Schulen, in Herat kann die Schulgebühr für private Schulen bis zu 1.500 USD kosten. Der Anteil an Privatschülern in Afghanistan beträgt zwischen 2% und 5% (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 2, 5). Kabul ist der gebildetste Teil von Afghanistan, die Provinz Kabul hat eine der höchsten Schulbesuchsraten unter den Elementarschülern. In der Stadt Kabul gingen ca. 22% der Kinder nicht in die Schule, der Anteil von Mädchen, die keine Schule besuchen, liegt unter 30% (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 3 f). In der Stadt Herat besuchen 79,6% der Buben und 76,2% der Mädchen eine Elementarschule, 42,3% der Buben und 41,7% der Mädchen besuchen eine Sekundarschule. Die Alphabetisierungsrate ist in der Stadt Mazar-e Sharif höher als in der Stadt Herat. Die Provinz Balkh hat eine der höchsten Einschulungsraten für Mädchen in Afghanistan (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 5). Mädchen, Kinder die in ländlichen Gebieten wohnen, Kuchis, Kinder mit Behinderungen und Kinder in schlechten wirtschaftlichen Lagen haben schlechtere Bildungschancen (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 3). Die schlechte wirtschaftliche Lage einer Familie kann dazu beitragen, dass Kinder die Schule nicht besuchen. Das traditionelle Rollenverständnis bei Mädchen, die eine ablehnende Einstellung der Familie eines Mädchens zur Notwendigkeit der Schulbildung für Mädchen und die Verheiratung von Mädchen im jungen Alter, führt dazu, dass Mädchen seltener die Schule besuchen (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 2, 10). Rund 60% der Kinder in Afghanistan, die keine Schule besuchen, sind Mädchen. Ein Großteil der Kinder, die keine Schule besuchen, lebt im ländlichen Raum (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 4). Binnenvertriebene und Rückkehrer haben erschwerten Zugang zu Bildung, wobei im Städtischen Bereich die Schulbesuchsrate höher als im ländlichen Gebiet ist. Auch das Fehlen einer Tazkira kann einen Schulbesuch erschweren oder verhindern (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 4). An Schulen kommt physische Gewalt nur selten vor (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder, Sitzung 18 f)
Ökonomische Zwänge, mangelnde Qualität der gebotenen Schulbildung sowie tradierte Vorstellungen altersgemäßer Beschäftigung der Kinder veranlasst Eltern ihre Kinder anstelle eines Schulbesuchs arbeiten zu lassen. In den Städten gibt es Arbeitsmöglichkeiten ähnlich einem Lehrlingsverhältnis. Hierbei kann es jedoch zu Misshandlungen durch den Arbeitgeber kommen, es besteht für die Lehrlinge nur wenig Schutz. Die Bezahlung der Lehrlinge ist – verglichen mit anderen Formen der Kinderarbeit – sehr gering. Da Kinder, die gleichzeitig arbeiten und zur Schule gehen mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert sind (Ausgrenzung in der Schule, negative Einstellung der Schule und des Arbeitgebers, Doppelbelastung, etc), begünstigt dies einen Schulabbruch der Kinder (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 2, 11 f).
In den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif kommt es trotz gesetzlichen Verboten zu Kinderarbeit und Ausbeutung (= eine Verrichtung von Tätigkeiten, für welche die eingesetzten Kinder zu jung sind, Schwerarbeit und gesundheitsschädliche Tätigkeiten oder sexuelle Ausbeutung) (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 1). In Afghanistan sind 29% der Kinder im Alter von 5 und 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 11). Das Risiko von Ausbeutung und Gewalt ist für arbeitende Kinder besonders groß, da die Einhaltung von Arbeitsgesetzen kaum überwacht wird (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 6 f). Rund ein Fünftel der Binnenvertriebenen im städtischen Raum sind auf Kinderarbeit angewiesen. Insbesondere in Kabul ist Kinderarbeit weit verbreitet, was sowohl auf die größere ökonomische Verwundbarkeit der Binnenvertriebenen, wie auch die „relativ dynamische“ Wirtschaft der Hauptstadt, welche eine höhere Nachfrage nach Kinderarbeit schafft, zurückzuführen ist (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 2, 3 f). Treibender Faktor von Kinderarbeit ist der ökonomische Zwang. Zudem ist ausschlaggebend, ob Familien intakt sind oder ob bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen und weiters ist die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung. Die Familien, die ihre Kinder arbeiten schicken, verfügen über keine sozialen Netzwerke oder gemeinschaftliche Unterstützung, wodurch die Notwendigkeit von Kinderarbeit für diese Familien verringert werden könnte (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 2, 5 f). Entgegen dem Willen der Eltern findet keine Kinderarbeit statt (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 2).
Kinder- und Zwangsehen
Das afghanische Zivilgesetzbuch sieht ein gesetzliches Mindestalter für eine Heirat vor, dieses liegt bei Mädchen bei 16 Jahren und bei Jungen bei 18 Jahren (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 3). Erzwungene und Baad-Heiraten (die Übergabe eines Mädchens zur Konfliktbereinigung) sind verboten. Dennoch sind in Afghanistan frühe oder erzwungene Heiraten weit verbreitet (Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 2). Wenn die Familie oder eine Jirga eine Swara-Heirat (die Übergabe des Mädchens wird statt der Zahlung von Blutgeld vereinbart) beschließt, müssen betroffene Mädchen oder Frauen sich fügen (Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 6, 9 ff). Kinder, überwiegend Mädchen, werden gegen Geld (zwangs)verheiratet. Armut, Analphabetismus, Genderdiskriminierung und fehlender Zugang zu Gesundheit und Bildung sind die wichtigsten treibenden Faktoren für eine Kinderheirat. Der Anteil an Kinderehen erhöht sich stark in Lagern für Binnenvertriebene, da dort extreme finanzielle Not, Analphabetismus, fehlender Zugang zu Gesundheit und wirtschaftlichen Möglichkeiten noch mehr verbreitet ist (Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 3, 6 f).
Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe und Erpresserische Entführung von Kindern
In den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat kommt es nach wie vor zu körperlichen Übergriffen bzw. physischer Gewalt gegenüber Kindern im familiären Umfeld. Sexueller Missbrauch findet innerhalb der Familie nur sehr selten statt, jedoch geht man von einer hohen Dunkelziffer aus (Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder, Sitzung 16 ff).
Es gibt auch seitens der Sicherheitskräfte sexuelle Übergriffe auf Kinder, insbesondere in Form von Bacha Bazi. Während Offiziere von niedrigem Rang und Soldaten aufgrund von Kindesmissbrauchs angeklagt werden, fällt es höherrangigen Offizieren, die über Macht und Geld verfügen leicht, mittels Drohungen für Schweigen über ein Verbrechen zu sorgen (Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder, Sitzung 10 f).
In den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif kommt es vermehrt zu Entführungen. Davon sind insbesondere, aber nicht nur als wohlhabend wahrgenommene Personen bzw. deren Familien, darunter auch Kinder, betroffen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Erpresserische Entführungen von Kindern, Sitzung 2). Entführer sind nicht Mitglieder einer bewaffneten Gruppierung und ihre Motive sind nicht ideologisch motiviert (Erpresserische Entführungen von Kindern, Sitzung 16). Die Polizei verfolgt jeden Entführer, doch die Unfähigkeit der Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung lässt viele Leute denken, dass einige Kriminelle mit der Polizei zusammenarbeiten würden (Erpresserische Entführungen von Kindern, Sitzung 14).
Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif
Beim Zugang zu Gesundheitseinrichtungen bestehen erhebliche geografische Unterschiede, wobei die Versorgungslage in den Städten besser ist als am Land. Auch die wirtschaftliche Lage einer Familie hat wesentliche Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Kinder. Routineuntersuchungen von Kindern sind aus finanziellen, kulturellen und religiösen Gründen unüblich. Der Zugang zu Impfungen ist im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Viele Kinder und Jugendliche leiden an unbehandelten psychischen Störungen aufgrund von Traumata und Stress wegen Konflikten, Binnenvertreibung, Armut und Gewalt. (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 2, 12 f).
In Kabul gibt es zwei öffentliche Einrichtungen die eine stationäre psychiatrische Versorgung kostenlos bieten. Entsprechende private Einrichtungen bieten keine stationäre, jedoch ambulante psychiatrische Behandlung an. Medikamente sind in den Krankenhäusern nicht immer kostenlos erhältlich (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 4 f). In der Stadt Kabul gibt es drei Krankenhäuser mit Kinderfachärzten sowie zwei Einrichtungen mit Kinderpsychologen (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 13, 21).
In der Stadt Herat ist die stationäre Behandlung durch einen Psychologen nur in einem privaten Krankenhaus möglich. Ambulante psychiatrische Behandlungen werden auch im öffentlichen Herater Regionalkrankenhaus kostenlos angeboten (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 4, 6).
In Mazar-e Sharif gibt es ca. 10-15 Krankenhäuser, die meisten davon privat sowie 30-50 Gesundheitskliniken und zwei Einrichtungen die psychiatrische Dienste bereitstellen (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 6 f).
Obwohl die Behandlung in öffentlichen Einrichtungen kostenlos sein sollte, werden in der Praxis dennoch Gebühren verlangt und ist es auch übliche Praxis, dass Patienten den Arzt bestechen um qualitativ besser behandelt zu werden. Ein Elternteil kann ohne zusätzliche Kosten mit einem stationär aufgenommenem Kind im Krankenhaus übernachten, da sich diese ein Bett teilen müssen (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 16 f).
Kinderschutzprogramme
Das afghanische Frauenministerium hat gemeinsam mit dem Ministerium für Information und Kultur Initiativen zur Vorbeugung und Beendigung von Kinderheiraten sowie Gesetze und Unterstützungen für Menschen, die davon betroffen sind geplant (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Kinderschutzprogramme, Sitzung 2).
Die afghanische Regierung hat folgende Maßnahmen gesetzt um Kinder zu schützen:
1. Gründung des Child Protection Action Network in über 100 Distrikten und 33 Provinzen. Im Programm wurden 2014-2015 5.411 Fälle vulnerabler Kinder behandelt und 492 Kinder wurden vor den schlimmsten Formen der Kinderarbeit geschützt.
2. Einrichtung eines Systems für Reintegration vulnerabler Kinder in ihre Familien. 2014-15 erhielten 264 Kinder temporäre soziale Unterstützung und wurden mit ihren Familien wieder vereint.
3. Einrichtung von 39 Waisenhäusern, zusätzlich zu 52 privaten Waisenhäusern, die Unterstützung und Schutz für insgesamt 20.220 Waisenkinder bieten.
4. Einrichtung eines sozialen Sicherheitsnetzes mit finanzieller Unterstützung für arme Familien mit Kindern. 2016 wurden über 15.000 solcher Familien mit Kindern unter fünf Jahren identifiziert.
5. Im Jahr 2014-15 wurden 19.000 Straßenkinder in Schulen aufgenommen (Kinderschutzprogramme, Sitzung 8 f).
1.5.15. Ehe im Islam
Die Ehe ist ein durch das islamische Gesetz bestimmter Vertrag, der eine körperliche Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau gestattet. Demnach haben sie das Recht miteinander zu leben, sowie Pläne für ein gemeinsames Leben und eine gemeinsame Zukunft zu schmieden. Die Ehe ist insofern geradezu eine Pflicht, sie ist aber auch ein Recht, das niemandem vorenthalten werden darf (Beilage ./XVI, Sitzung 7).
Ehen im Islam werden oftmals von den Familien arrangiert, können aber nur mit dem Einverständnis beider Brautleute stattfinden. Sollte jemand gezwungen werden, so wäre diese Ehe ungültig (Beilage ./XVI, Sitzung 7).
Voraussetzungen für die Ehe bzw. einen islamischen Ehevertrag sind
1. das Einverständnis beider Parteien
2. die Bereitschaft zur Bindung
3. zwei Zeugen
4. die Mitgift
5. die Anwesenheit des Brautvormunds (in der hanafitischen Rechtsschule darf sich die Braut auch selbst verheiraten) (Beilage ./XVI, Sitzung 8).
Es ist dem Vater nicht gestattet sein Einverständnis zu verweigern. Selbst wenn er gegen eine Eheschließung wäre, bliebe er dennoch der Brautvormund. Auch ein Vater, der ansonsten sehr große Autorität über seine Kinder hat, darf ihnen zwar die Heirat eines bestimmten Partners, nicht aber die Ehe als solche verbieten (Beilage ./XVI, Sitzung 9).
Brautvormunde oder Wali sind die männlichen Verwandten väterlicherseits; dies beinhaltet den Vater, den Großvater (väterlicherseits), den Sohn, den Bruder und den Onkel (väterlicherseits). Sollte der Vater als Vormund nicht anwesend sein, so dürfen der Reihenfolge nach zuerst dessen Vater (Brautgroßvater), gegebenenfalls der Sohn der Braut sowie ihr Enkel, ihr leiblicher Bruder, danach ihr Halbbruder väterlicherseits, danach die Söhne ihres leiblichen Bruders, die Söhne ihres Halbbruders väterlicherseits, dann ihre Onkel väterlicherseits, deren Söhne, sowie schlussendlich die Onkel ihres eigenen Vaters die Vormundschaft übernehmen (Beilage ./XVI, Sitzung 9 f).
Zeugen bei der Eheschließung sind Pflicht. Ohne sie kann eine rechtmäßige Eheschließung nicht stattfinden. Da die Ehe im Islam hauptsächlich ein sozialer Vertrag ist, sollen zwei vertrauenswürdige Individuen diesen bezeugen. Die Zeugen müssen also zwei erwachsene, zurechnungsfähige Muslime sein, deren Leumund bis dahin nicht diskreditiert wurde (Beilage ./XVI, Sitzung 11).
Bei den vier sunnitischen Rechtsschulen gibt es keine Unterschiede, da sie einheitliche Vorschriften zur Zeremonie der Eheschließung haben:
1. Ernennung der zu verheiratenden
2. das Einverständnis beider
3. die Anwesenheit des Brautvormunds
4. das Bezeugen, dass keine Eheausschließungsgründe vorliegen (Beilage ./XVI, Sitzung 11 f).
Es handelt sich um eine simple Zeremonie, bei der die Braut nicht anwesend sein muss, solange sie zwei Zeugen entsendet, die den Vertrag für sie aufsetzen. Normalerweise besteht die Zeremonie aus einer Lesung des Korans und dem Austausch der Gelübde vor den Zeugen der beiden Parteien. Ein religiöser Vertreter ist nicht notwendig, aber oftmals ist ein Bevollmächtigter anwesend, der die Zeremonie durchführt (Beilage ./XVI, Sitzung 12).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakten, in die Gerichtsakten sowie in die vorgelegten Urkunden und durch Einvernahme des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.
Der Erstbeschwerdeführer gab in der Erstbefragung an am römisch 40 geboren worden zu sein. Bei seiner Einvernahme beim Bundesamt am 07.03.2018 legte er einen afghanischen Führerschein vor, aus dem hervorgeht, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 1389, dies entspricht dem Zeitraum 21.03.2010 bis 20.03.2011, römisch 40 Jahre alt gewesen sei (BF 1 AS 316 f, 351). Der Erstbeschwerdeführer wäre laut seinem afghanischen Führerschein daher bereits im Jahr römisch 40 geboren worden. Der Erstbeschwerdeführer gab auf Vorhalt seiner widersprechenden Angaben beim Bundesamt an, dass er sich in der Erstbefragung bei der Umrechnung seines Geburtsdatums vertan habe (BF 1 AS 317). Da die Daten jedoch derart voneinander abweichen, geht das Gericht davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer versuchte sich im Verfahren jünger zu machen.
Die Feststellungen betreffend die familiären Verhältnisse der Beschwerdeführer zueinander sowie zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Muttersprache und der Volksgruppenzugehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus den diesbezüglich im gesamten Verfahren übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführer.
Der Erstbeschwerdeführer gab entgegen seinen Angaben in der Erstbefragung und beim Bundesamt, wonach er Tadschike sei (BF 1 AS 3, 317), in der Beschwerdeverhandlung erstmals an Angehöriger der Bayat zu sein (VP, Sitzung 10). Der Erklärungsversuch des Erstbeschwerde-führers betreffend seine diesbezüglichen Widersprüche war unplausibel: „Bei der EB [Anm. BVwG: Erstbefragung] habe ich auf die Frage nach meiner Volksgruppe bzw. Stammesangehörigkeit BAYAT angegeben. Die Dolmetscherin hat mir erklärt, dass man meine Volksgruppe hier nicht kennt bzw. sie hier nicht anerkannt wäre. Sie hat mich dann nach meiner Muttersprache gefragt. Ich habe gesagt, es wäre FARSI und sie sollte als Volksgruppe für mich FARS oder Perser angeben. Sie hat aus welchem Grund auch immer „TADSCHIKE“ ZU Protokoll gegeben.“ (VP, Sitzung 10). Dass man die Volksgruppe der Bayat in Österreich nicht kenne bzw. diese nicht anerkannt werde, ist nicht nachvollziehbar, zumal in dem den Bescheiden vom 20.12.2016 zugrunde gelegten Länderinformationsblatt vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 23.11.2018 die Volksgruppe der Bayat insbesondere betreffend die Provinz Ghazni genannt wird. Zudem führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er bezüglich seiner Muttersprache Farsi angegeben habe, was aus der Niederschrift der Erstbefragung ebenso nicht hervorgeht. Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass er sowohl beim Bundesamt am 19.07.2016 und in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich Dari als seine Muttersprache anführte (BF 1 AS 113; VP, Sitzung 13), nicht glaubhaft. Zudem entspricht es auch nicht den Tatsachen, dass die Volksgruppenzugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers beim Bundesamt kein Thema gewesen sei (VP, Sitzung 11), zumal er ausdrücklich angegeben hat, Tadschike zu sein (BF 1 AS 317). Dass er zu seiner Volksgruppe nicht sehr genau befragt worden sei, ist wohl darauf zurückzuführen, dass er ausdrücklich die Tadschiken als seine Volksgruppe anführte. Aufgrund der derart unplausiblen Angaben des Erstbeschwerdeführers steht fest, dass er Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken ist.
2.1.2. Die Feststellungen zum Geburtsort des Erstbeschwerdeführers und dem Tod seines Vaters ergeben sich aus seinen diesbezüglich im Wesentlichen gleichgebliebenen Angaben. Dass der Erstbeschwerdeführer nach dem Tod seines Vaters zunächst bei seinem Onkel väterlicherseits in Ghazni lebte (VP, Sitzung 17), stützt sich auf die diesbezüglich schlüssigen Angaben des Erstbeschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, die sich auch mit den Länderberichten, wonach die Familie eine wichtige Stütze in Afghanistan darstellt, decken. Dass sein Onkel väterlicherseits dem Erstbeschwerdeführer und seinen Geschwistern nicht erlaubt habe nach Mazar-e Sharif zu gehen, weil sie bei ihrem Onkel bleiben mussten (BF 1 AS 321), ist vor dem Hintergrund, dass sie schließlich nach Kabul gegangen seien, nicht nachvollziehbar. Zudem erwähnte der Erstbeschwerdeführers entsprechendes nicht in der Beschwerdeverhandlung, sodass es auch deshalb nicht glaubhaft ist. Hinsichtlich der Übersiedelung des Erstbeschwerdeführers in die Stadt Kabul ergaben sich Unplausibiliäten. So machte der Erstbeschwerdeführer bezüglich des Zeitpunktes seiner Übersiedelung nach Kabul widersprüchliche Angaben (Übersiedelung nach Kabul im Alter von 15 Jahren [BF 1 AS 316]; bis zum 8. oder 10. Lebensjahr sei er in Ghazni gewesen [VP, Sitzung 14], ca. 3 oder 4 Jahre nach dem Tod seines Vaters sei er bei seinem Onkel geblieben [VP, Sitzung 17]), weshalb nicht festgestellt werden kann, wann der Erstbeschwerdeführer tatsächlich nach Kabul übersiedelt ist. Während der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass seine Mutter nicht mit nach Kabul, sondern nach Mazar-e Sharif zu ihrem Bruder übersiedelt sei (BF 1 AS 319 f), führte er in der Beschwerdeverhandlung hingegen aus, dass er und seine Geschwister gemeinsam mit ihrer Mutter Ghazni verlassen hätten und nach Kabul gegangen seien. Seine Mutter habe Kabul nach einer Woche verlassen und sei nach Mazar-e Sharif gegangen (VP, Sitzung 17). Die Angaben des Erstbeschwerdeführers sind derart widersprüchlich, dass es offenkundig ist, dass er im Verfahren nicht der Wahrheit entsprechende Angaben tätigte um seine familiären Verhältnisse zu verschleiern. Da zumindest zwei Geschwister des Erstbeschwerdeführers um einiges jünger sind als er (BF 1 AS 7), ist es zudem lebensfremd, dass die Mutter des Erstbeschwerdeführers diesen mit seinen jungen Geschwistern alleine in Kabul lässt um zu ihrem Bruder nach Mazar-e Sharif zu gehen. Das Gericht geht vor dem Hintergrund der Verschleierungsabsicht des Erstbeschwerdeführers davon aus, dass er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Kabul lebte und seine Mutter erst im Zuge der Ausreise ihrer Kinder in Richtung Europa zu ihrem Bruder nach Mazar-e Sharif zog.
Die Feststellung zum Schulbesuch des Erstbeschwerdeführers ergibt sich aus seinen diesbezüglich gleichgebliebenen Angaben (BF 1 AS 3, 317; VP, Sitzung 13). Die Ausführungen des Erstbeschwerdeführers betreffend seinen Aufenthalt in Pakistan sind derart widersprüchlich, dass er nicht glaubhaft machen konnte, dass er tatsächlich in Pakistan gelebt hat. So gab der Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung an acht bis neun Jahre in Islamabad in Pakistan gelebt zu haben (BF 1 AS 9). Beim Bundesamt führte er zunächst zwar lediglich einen einjährigen Aufenthalt von 2005 bis 2006 in Pakistan an (BF 1 AS 318), korrigierte seine Angaben im Zuge der Rückübersetzung jedoch dahingehend, dass er sieben Jahre von 2005 bis 2012 in Pakistan aufhältig gewesen sei (BF 1 AS 327). In der Beschwerdeverhandlung gab er an, dass er sechs oder sieben Jahre in Pakistan gelebt habe (VP, Sitzung 14). Zudem sind seine zeitlichen Angaben betreffend seinen Aufenthalt in Pakistan nicht mit seinen Ausführungen betreffend seine Tätigkeit in einem Sportgeschäft in Kabul in Einklang zu bringen, wo er von 2009 bis 2012 oder 2013 (VP, Sitzung 14) – also in jenem Zeitraum, in dem er sich laut seinen Angaben beim Bundesamt in Pakistan aufgehalten habe – gearbeitet habe. Der Erstbeschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass er während seines Aufenthaltes in Pakistan als Verkäufer und in einem Hotel gearbeitet habe (BF 1 AS 329). Er nannte eine Ausübung dieser Berufe zwar auch in der Beschwerdeverhandlung, erwähnte jedoch mit keinem Wort, dass er diese in Pakistan ausgeübt habe, sondern führte vielmehr an, dass er sich an die Reihenfolge seiner Tätigkeiten und wie lang er diese ausgeübt habe, nicht mehr erinnern könne (VP, Sitzung 14). Dass sich der Erstbeschwerdeführer insbesondere an die Reihenfolge seiner Berufsausübung nicht mehr erinnern könne, ist vor dem Hintergrund seines behaupteten Pakistanaufenthaltes nicht nachvollziehbar. Die Übersiedelung in ein fremdes Land, stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung ein einprägsames Ereignis dar. Hätte die Übersiedelung tatsächlich stattgefunden wäre es dem Erstbeschwerdeführer auch möglich nach längerem Zeitablauf anhand dieses Anhaltspunktes Angaben zu der Reihenfolge seiner beruflichen Tätigkeiten zu machen. Aufgrund der derart widersprüchlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers ist sein Aufenthalt in Pakistan nicht glaubhaft. Da der Erstbeschwerdeführer entgegen seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung beim Bundesamt angegeben hat, dass er sechs Jahre in dem Sportgeschäft in Kabul gearbeitet habe, steht aufgrund der ansonsten übereinstimmenden Angaben bezüglich seiner Tätigkeit im Sportgeschäft (BF 1 AS 317; VP, Sitzung 14) jedenfalls fest, dass der Erstbeschwerdeführer mindestens drei Jahre dort beschäftigt war. Das Gericht geht aufgrund der Angaben des Erstbeschwerdeführers in der Erstbefragung (BF 1 AS 5, 7) in Zusammenschau mit seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung, wonach er mit ca. 12 oder 13 Jahren begonnen habe zu arbeiten und er vor seiner Anstellung in einem Sportgeschäft keinen bestimmten Beruf ausgeübt habe (VP, Sitzung 14), davon aus, dass er als Hilfsarbeiter gearbeitet habe. Die Feststellung zu seiner Tätigkeit als Taxifahrer ergibt sich aus seinen beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung – abgesehen davon, wann er diese Tätigkeit ausgeübt hat – im Wesentlichen gleichgebliebenen Angaben sowie der diesbezüglich übereinstimmenden Aussage der Zweitbeschwerdeführerin (BF 1 AS 317; VP, Sitzung 14, 37).
Die Angaben des Erstbeschwerdeführers bezüglich seines Alters, seiner Volksgruppen-zugehörigkeit, seinem Aufenthalt in Pakistan und dem Aufenthalt seiner Mutter in Kabul sind derart widersprüchlich, dass offenkundig ist, dass der Erstbeschwerdeführer im Verfahren nicht der Wahrheit entsprechende Angaben tätigte. Der Erstbeschwerdeführer ist daher als Person unglaubwürdig.
2.1.3. Die Feststellungen zum Lebenslauf der Zweitbeschwerdeführerin (ihr Aufwachsen und ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Afghanistan sowie ihre fehlende Schulbildung) stützen sich auf die diesbezüglich schlüssigen und im Wesentlichen gleichgebliebenen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin zu zweifeln.
Entgegen ihrer Ausführung in der Beschwerdeverhandlung ist es nicht glaubhaft, dass die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Familie innerhalb Mazar-e Sharifs alle zwei bis sechs Monate umgezogen ist bzw. diese immer noch so häufig übersiedelt (VP, Sitzung 36). So ist einerseits bereits das Vorbringen, wonach die Mutter vom Vater der Zweitbeschwerdeführerin zur Prostitution gezwungen werde, nicht glaubhaft vergleiche die Ausführungen unter Punkt römisch II.2.2.1.), sodass es auch nicht glaubhaft ist, dass die Familie der Zweitbeschwerdeführerin deshalb Probleme mit ihren Nachbarn hatte und oft umziehen musste (VP, Sitzung 36). Andererseits gab die Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Aufwachsen in Mazar-e Sharif in der Beschwerdeverhandlung an, dass sie dort in einem Haus gelebt habe, das ihr Vater gemietet hatte. Das Haus sei nicht gut gewesen, weil sie im Keller wohnen hätten müssen. Es habe zwei Zimmer, ein eigenes Bad und ein WC gehabt (VP, Sitzung 34 f). Aus diesen Angaben geht nicht hervor, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Mazar-e Sharif je umgezogen sei. Vielmehr beschrieb sie ihr Elternhaus konkret und machte keine Angaben zu anderen Häusern oder Wohnungen, in denen sie ebenfalls gelebt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin erwähnte ein häufiges Übersiedeln auch beim Bundesamt mit keinem Wort. Es steht daher fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Mazar-e Sharif stets in einem Haus gelebt hat und ihre Familie auch jetzt nicht alle paar Monate innerhalb Mazar-e Sharifs übersiedelt.
2.1.4. Die Feststellungen zum Aufenthalt der Zweitbeschwerdeführerin in Kabul sowie zum Kennenlernen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin konnten aufgrund der diesbezüglich stringenten und übereinstimmenden Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin getroffen werden.
Betreffend die Heirat zwischen dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ergaben sich hingegen erhebliche Widersprüche in ihren Aussagen. So gab der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung an, dass er die Zweitbeschwerdeführerin in einer Wohnung geheiratet habe (VP, Sitzung 12), während er beim Bundesamt sowie die Zweitbeschwerdeführerin ausführten, dass sie in einer Moschee geheiratet hätten (BF 1 AS 314; BF 2 AS 287; VP, Sitzung 31). Zudem gab die Zweitbeschwerdeführerin zunächst entgegen den Angaben des Erstbeschwerdeführers an, dass die Moschee, in der sie geheiratet hätten, in Mazar-e Sharif gewesen sei (BF 2 AS 288). Erst auf Nachfrage führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass die Moschee in Kabul gewesen sei (BF 2 AS 289). Zu diesem Widerspruch gab die Zweitbeschwerdeführerin zu Beginn der Beschwerdeverhandlung an, dass es bei ihrer Einvernahme im Jahr 2018 zu Missverständnissen mit dem Dolmetscher gekommen sei, weil dieser manche ihrer Aussagen missverstanden und nicht richtig übersetzt habe (VP, Sitzung 29). Bezüglich der Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin betreffend die Fluchtgründe der Drittbeschwerdeführerin im Jahr 2019, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, den Dolmetscher gut verstanden zu haben und, dass eine Rückübersetzung erfolgt sei (VP, Sitzung 29). Sie machte diesbezüglich auch keine Missverständnisse betreffend den Dolmetscher geltend. Da bei der Einvernahme am 07.03.2018 und am 08.08.2019 derselbe Dolmetscher anwesend war, ist das Vorbringen betreffend Missverständnisse mit dem Dolmetscher am 07.03.2018 vor dem Hintergrund der problemlosen Dolmetschertätigkeit bei der Einvernahme am 08.08.2019 jedoch nicht nachvollziehbar. Zudem ist der gegenständliche Dolmetscher gerichtsbekannt und dolmetscht aufgrund seiner sehr guten Sprachkenntnisse sehr häufig und immer sehr zuverlässig für das Bundesverwaltungsgericht, sodass auch diesbezüglich Missverständnisse bei der Übersetzung nicht plausibel sind. Darüber hinaus gab die Dolmetscherin in der Beschwerdeverhandlung an, dass die Städte Kabul und Mazar-e Sharif auf Dari nicht verwechselbar sind. Die Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin betreffend Missverständnisse bei der Übersetzung in der Einvernahme am 07.03.2019 sind daher nicht glaubhaft.
Auch betreffend die bei der Heirat anwesenden Personen ergaben sich erhebliche Widersprüche in den Aussagen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. So gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass seine Familie und zwei bis drei ältere Personen aus ihrer Gasse bei ihrer Hochzeit gewesen seien (BF 1 AS 314), während er in der Beschwerdeverhandlung diesbezüglich vier „Weißbärtige“ und die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin anführte. Ob der Schwager seiner Frau ebenfalls anwesend gewesen sei, wisse er nicht. Sonst sei niemand anwesend gewesen (VP, Sitzung 11). Erst nach einer Pause der Beschwerdeverhandlung gab der Erstbeschwerdeführer ergänzend an, dass von seiner Familie nur seine Schwester und sein jüngerer Bruder bei der Hochzeit waren (VP, Sitzung 12). Die Zweitbeschwerdeführerin gab hingegen beim Bundesamt an, dass keine Verwandten des Erstbeschwerdeführers bei der Heirat anwesend gewesen seien, weil sie sich plötzlich zur Eheschließung entschlossen hätten. Es sei nur ihre Schwester dabei gewesen (BF 2 AS 288). Auch in der Beschwerdeverhandlung gab die Zweitbeschwerdeführerin betreffend anwesende Personen nur ihre Schwester an und führte aus, dass sie mit ihrer Schwester und dem Mullah getrennt von ihrem Mann in einem anderen Raum gesessen sei (VP, Sitzung 31). Die Angaben sind aufgrund der erheblichen Widersprüche nicht glaubhaft.
Zudem fällt auf, dass der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass die „Ältesten“ aus seiner Gasse die Voraussetzungen für die Eheschließung geklärt und geregelt hätten, weil die Zweitbeschwerdeführerin ohne Einverständnis ihrer Eltern geheiratet habe. Diese hätten bestätigt, dass die Zweitbeschwerdeführerin mit der Heirat einverstanden sei (BF 1 AS 315, 326). Die Zweitbeschwerdeführerin gab diesbezüglich in der Beschwerdeverhandlung hingegen an, dass sie keinen Brautvormund bzw. Vertreter für sie organisiert hätten, weil dafür keine Zeit und dies auch nicht notwendig gewesen sei. Sie hätten auch weder die Einwilligung eines Gerichtes, eines Standesbeamten oder Standesoberhäuptern noch von Weißbärtigen eingeholt (VP, Sitzung 32). Das jeweilige Vorbringen der Beschwerdeführer ist weder miteinander noch mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. So geht aus diesen hervor, dass die Anwesenheit des Brautvormundes eine Voraussetzung der Eheschließung ist vergleiche Punkt römisch II.1.5.14.). Das Vorbringen erweckte für das Gericht aufgrund der erheblichen Widersprüche und Unplausibilitäten den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte, konstruierte Geschichte handelt. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin heimlich gehen den Willen des Vaters der Zweitbeschwerde-führerin geheiratet haben. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass sie in Afghanistan im Beisein des Brautvormundes traditionell die Ehe geschlossen haben.
Aufgrund der diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin steht fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin nach der Hochzeit in die Wohnung des Erstbeschwerdeführers nach Kabul gezogen ist.
Die Feststellungen zur Einreise sowie das Datum der Antragstellung ergeben sich aus den Akteninhalten. Die Feststellung zur Geburt der Drittbeschwerdeführerin in Österreich ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde (Verwaltungsakt der Drittbeschwerdeführerin – BF 3 AS 5 f).
2.1.5. Die Feststellungen zu den Verwandten des Erstbeschwerdeführers in Afghanistan und Deutschland sowie zu dem von seinem Vater geerbten Grundstück ergeben sich aus seinen diesbezüglich schlüssigen Angaben in der Beschwerdeverhandlung.
Sofern der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass er mit seinen Onkeln väterlicher- und mütterlicherseits zuletzt vor ca. 20 Jahren Kontakt gehabt habe (VP, Sitzung 16), ist dies nicht mit seinen Angaben, wonach sein Vater vor ca. 19 oder 20 Jahren verstorben sei und er danach für ca. drei oder vier Jahre bei seinem Onkel väterlicherseits gelebt habe (VP, Sitzung 17), in Einklang zu bringen. Dass sein Onkel väterlicherseits ihm nicht erlaubt habe, wegzugehen, ist wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.2. ausgeführt, nicht glaubhaft. Vielmehr steht fest, dass der Onkel väterlicherseits den Erstbeschwerdeführer und seine Familie nach dem Tod seines Vaters unterstützt hat. Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied halten und genau Bescheid wissen, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren vergleiche Punkt römisch II.1.5.10.). Aufgrund der widersprüchlichen Angaben betreffend den Kontakt zu seinem Onkel väterlicherseits, vor dem Hintergrund der Länderberichte sowie aufgrund seiner Ausführungen, dass sein Onkel väterlicherseits ihn nach dem Tod seines Vaters unterstützt hat und nach wie vor sein geerbtes Grundstück bewirtschaftet, steht fest, dass der Erstbeschwerdeführer regelmäßig Kontakt zu seinem Onkel väterlicherseits hat.
2.1.6. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan und im Iran sowie deren wirtschaftliche und häusliche Situation stützen sich – abgesehen von den Ausführungen zu den häufigen Umzügen ihrer Familie innerhalb Mazar-e Sharifs, die wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.3. ausgeführt, nicht glaubhaft sind – auf die diesbezüglich stringenten Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung.
Dass die Zweitbeschwerdeführerin entgegen ihren Aussagen (BF 2 AS 291; VP, Sitzung 35) mit ihren beiden Elternteilen und nicht nur mit ihrer Mutter in Kontakt steht, ergibt sich daraus, dass das Fluchtvorbringen und die Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin betreffend ihren Vater nicht glaubhaft sind vergleiche die Ausführungen unter Punkt römisch II.2.2.1.), sodass es nicht plausibel scheint, dass die Zweitbeschwerdeführerin lediglich mit ihrer Mutter in Kontakt steht.
Dass die Zweitbeschwerdeführerin auch zu ihrer Schwester in Kabul regelmäßig Kontakt hat, obwohl sie diese auf die Frage, zu wem aus ihrer Familie sie Kontakt habe, nicht erwähnte (VP, Sitzung 35; BF 2 AS 291), stützt sich darauf, dass die Zweitbeschwerdeführerin zu ihr „immer schon“ ein gutes Verhältnis hatte (VP, Sitzung 45), die Zweitbeschwerdeführerin bei ihrer Schwester in Kabul wohnte und daher nicht nachvollziehbar ist, dass die Zweitbeschwerdeführerin den Kontakt zu ihrer Schwester verloren habe. Aufgrund der unterschiedlichen Angaben der Zweit- und des Erstbeschwerdeführers zur Anzahl der Kinder ihrer Schwester (VP, Sitzung 37, 47, 18), kann lediglich festgestellt werden, dass diese mindestens drei Kinder hat.
2.1.7. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer und der Arbeitsfähigkeit des Erstbeschwerdeführers stützen sich auf ihre Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VP, Sitzung 20, 23, 39 f) sowie auf dem Umstand das im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Soweit die Zweitbeschwerdeführerin Befundberichte älteren Datums im Verfahren vorgelegt hat (BF 2 OZ 2), kommt diesen mangels Vorlage entsprechend aktueller Befunde nur insofern Bedeutung zu, dass aktuell eine Behandlung und Medikamenteneinnahme der Zweitbeschwerdeführerin offenkundig nicht mehr notwendig ist.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:
2.2.1. Dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer kommt aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:
Das Gericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund des persönlichen Eindrucks der Zweitbeschwerdeführerin und insbesondere des Erstbeschwerdeführers, der bereits aufgrund der offenkundig nicht der Wahrheit entsprechenden Angaben betreffend seine persönlichen Verhältnisse als Person unglaubwürdig ist, davon aus, dass ihnen hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Die Beschwerdeführer wurden zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen detailliert, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen sind die Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden, zumal sie lediglich eine grobe Rahmengeschichte präsentierten, die sie selbst auf Nachfrage nur vage ausführten. Zudem ergaben sich viele Widersprüche und Unplausibilitäten, die ihre Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurück liegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass die Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würden, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Die erzählte Geschichte erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte konstruierte Geschichte handelt.
Wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.4. ausgeführt, steht fest, dass der Erst- und die Zweit-beschwerdeführerin nicht heimlich gegen den Willen des Vaters der Zweitbeschwerde-führerin geheiratet haben, sodass das Verfolgungsvorbringen schon vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft ist. Es ergaben sich jedoch auch betreffend die Angaben, wonach die Zweitbeschwerdeführerin ihrem Cousin versprochen worden sei sowie betreffend ihren Vater Widersprüche und derart viele Unplausibilitäten, dass das Vorbringen zu den Fluchtgründen auch deshalb nicht glaubhaft ist:
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gaben in der Erstbefragung zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass die Schwester des Erstbeschwerdeführers in Afghanistan von einem Jungen aus der Ortschaft belästigt worden sei und dieser versucht habe, sie zu vergewaltigen. Dieser Junge sei kriminell und die Polizei könne gegen ihn nichts tun. Da die Belästigungen (gegen die gesamte Familie und die Zweitbeschwerdeführerin) weiter zugenommen hätten, hätten sie Afghanistan schließlich verlassen (BF 1 AS 13; BF 2 AS 23). Es fällt auf, dass die Beschwerdeführer die in weiterer Folge angeführten Probleme aufgrund ihrer Heirat, in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnten.
Gemäß Paragraph 19, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) dient die Erstbefragung zwar „insbesondere“ der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die „näheren“ Fluchtgründe zu beziehen vergleiche hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Die Verwaltungsbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.
Es wird daher im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf Fluchtgründe der Beschwerdeführer bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden. Dass die Beschwerdeführer die – erst in weiterer Folge angeführten – Probleme mit dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Heirat, somit einen wesentlichen Teil ihrer Fluchtgründe zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnten, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar und zumindest als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.
In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Beschwerdeführer das Fluchtvorbringen inkonsistent vorgebracht haben, zumal sie im Verfahren den Fokus der Probleme aufgrund der Heirat einmal auf die unterschiedlichen Richtungen ihres muslimischen Glaubens, ein anderes Mal darauf, dass der Erst- und die Zweitbeschwerde-führerin bereits zusammengelebt hätten ohne verheiratet gewesen zu sein und dann darauf legten, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihrem Cousin versprochen gewesen sei. So gaben sie beim Bundesamt an, dass die Eltern bzw. der Vater der Zweitbeschwerdeführerin mit der Heirat nicht einverstanden gewesen sei, weil der Erstbeschwerdeführer Schiite und die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Familie Sunniten seien (BF 1 AS 315; BF 2 AS 291, 294 f). In der Beschwerdeverhandlung führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er und die Zweibeschwerdeführerin zusammengelebt hätten, obwohl sie noch nicht miteinander verheiratet gewesen seien, weshalb sie die Ehre der Familie der Zweitbeschwerdeführerin verletzt hätten (VP, Sitzung 24). Die Zweitbeschwerdeführerin gab als Grund ihrer Probleme in der Beschwerdeverhandlung an, dass ihr Vater sie an ihren Cousin väterlicherseits versprochen habe, weshalb sie im Falle der Rückkehr von ihrem Vater und ihrem Onkel väterlicherseits getötet werde (VP, Sitzung 42 f). Dass die Probleme mit dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin darauf zurückzuführen seien, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin unterschiedlichen muslimischen Glaubensrichtungen angehören würden, wurde in der Beschwerdeverhandlung mit keinem Wort erwähnt. Aufgrund des inkonsistenten Fluchtvorbringens wirkt es konstruiert und ist nicht glaubhaft.
Auch betreffend das Vorbringen, ob die Zweitbeschwerdeführerin jemand anderem versprochen gewesen sei, ergaben sich Widersprüche im Verfahren. Die Zweitbeschwerde-führer gab im Zuge der Einvernahme beim Bundesamt an, dass ihr Vater immer gewollt habe, dass sie einen ihrer drei Cousin väterlicherseits heirate (BF 2 AS 293). Ihr Vater, ihr Onkel und dessen Kinder hätten sie köpfen wollen, weil eine Frau in Afghanistan von ihrem Mann nicht weggehen und zu einem anderen Mann gehen dürfe (BF 2 AS 295). In der Beschwerdeverhandlung führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, dass sie ihrem Cousin väterlicherseits, der viel älter als sie sei, versprochen gewesen sei (VP, Sitzung 43), während der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt die Frage, ob die Zweitbeschwerdeführerin jemand anderem versprochen gewesen sei, ausdrücklich verneinte (BF 1 AS 315). In der Beschwerdeverhandlung führte der Erstbeschwerdeführer lediglich vage aus, dass die Familie die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrem Cousin väterlicherseits verheiraten habe wollen, es habe jedoch soweit er wisse keine offizielle Verlobung gegeben (VP, Sitzung 25). Zudem fällt auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin obwohl sie sowohl beim Bundesamt als auch in der Beschwerdeverhandlung schilderte, dass alle ihre Cousins väterlicherseits sie hätten heiraten wollen, die Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung nicht angeben konnte, wie viele Cousins väterlicherseits sie habe (VP, Sitzung 36, 41). Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass sie bei der Einvernahme beim Bundesamt noch konkret angab, dass sie drei Cousins väterlicherseits habe (BF 2 AS 293), nicht nachvollziehbar. Zudem fällt auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin betreffend die Absicht ihres Vaters einerseits davon spricht, dass sie ihre Cousins hätte heiraten sollen (BF 2 AS 293; VP, Sitzung 46), während sie andererseits anführt, dass sie einem konkreten Cousin versprochen gewesen sei (VP, Sitzung 43). Aufgrund dieser Widersprüche und Unplausiblitäten ist das Vorbringen nicht glaubhaft.
Der Erstbeschwerdeführer gab sowohl beim Bundesamt als auch in der Beschwerdeverhandlung an, dass er von seinem Schwiegervater telefonisch bedroht worden sei (BF 1 AS 326; VP, S, 24 f). Die Zweitbeschwerdeführerin erwähnte weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung, dass ihr Vater sie telefonisch bedroht habe (BF 2 AS 295) In der Beschwerde wurde bezüglich der Drohanrufe jedoch folgendes vorgebracht: „Weiters sorgte die belangte Behörde während der Einvernahme des [Erstbeschwerdeführers] dafür, dass sich dieser nicht ernst genommen fühlte. Dies führte dazu, dass der [Erstbeschwerdeführer] während seiner Einvernahme seine Fluchtgründe gefährlicher darstellen wollte und unrichtigerweise angab, dass es zu Drohanrufen von der Familie der [Zweitbeschwerdeführerin] kam, in denen sie mit dem Tod bedroht wurden. Tatsächlich kam es jedoch zu keinen Drohanrufen von der Familie der [Zweitbeschwerdeführerin]. Im Zuge der Rechtsberatung wurde dem [Erstbeschwerdeführer] bewusst, dass er dies richtigstellen müsse. Festzuhalten ist jedenfalls, dass der [Erstbeschwerdeführer] davon abgesehen die Wahrheit sagte und sich einzig bei dieser Frage dazu hinreißen ließ, unrichtige Angaben zu machen, weil er das Gefühl hatte, bei der Einvernahme nicht ernst genommen zu werden.“ (BF 1 AS 500, 532). Obwohl der Erstbeschwerdeführer daher bereits in der Beschwerde zugab, dass sein Vorbringen zu den Drohanrufen durch seinen Schwiegervater nicht der Wahrheit entspricht, schreckte der Erstbeschwerdeführer jedoch auch in der Beschwerdeverhandlung nicht davor zurück unrichtige Angaben zu machen und führte wiederum aus, dass er von seinem Schwiegervater telefonisch bedroht worden sei (VP, Sitzung 25). Dass der Erstbeschwerdeführer auch in der Beschwerdeverhandlung bewusst unrichtige Angaben bezüglich seines Fluchtvorbringens tätigte, indiziert die Unrichtigkeit des diesbezüglichen Fluchtvorbringens.
Entgegen den Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung (VP, Sitzung 43) gab sie beim Bundesamt an, dass sich ihre in Kabul lebende Schwester ihren Ehemann nicht aussuchen habe können, sondern ihr Vater sie gezwungen habe diesen Mann zu heiraten (BF 2 AS 291). Auf Nachfrage führte sie in der Beschwerdeverhandlung weiters aus, dass der Vater der Zweitbeschwerdeführerin zwar auch ihre ältere Schwester an einen Cousin verheiraten habe wollen, da diese jedoch vor ihrer Heirat eine Geschlechtsbeziehung zu ihrem Mann gehabt habe, habe ihr Vater die beiden nicht mehr trennen können. Ihr Vater könne dem Mann ihrer Schwester nichts tun, weil dieser Wachmann mit einer Polizeiuniform sei. Ihr Vater habe ihre Schwester verstoßen, weshalb diese weder von ihrer Mutter noch ihren Geschwistern besucht werden dürfe (VP, Sitzung 46). Dies ist jedoch nicht mit ihren Angaben beim Bundesamt, wonach sie und ihr Bruder ihre Schwester in Kabul besucht haben, weil es ihre Schwester gewesen sei (BF 2 AS 290) bzw. weil sei Unterstützung nach der Geburt ihres Kindes bedurft habe (BF 2 AS 292), in Einklang zu bringen. Zudem ist vor dem Hintergrund, dass die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin nach wie vor in Kabul lebt, finanziell abgesichert ist und diesbezüglich keine Schwierigkeiten geltend gemacht wurden, nicht nachvollziehbar, warum der Zweitbeschwerdeführerin im Gegensatz zu ihrer Schwester, die ebenso keinen ihrer Cousins geheiratet habe, obwohl dies so vorgesehen gewesen sei (VP, Sitzung 43, 46) und vor ihrer Heirat eine Geschlechtsbeziehung zu einem Mann geführt habe, eine Verfolgung durch ihren Vater und ihren Onkel väterlicherseits in Afghanistan drohen sollte.
Anhand der widersprüchlichen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin betreffend ihre Schwester zeigt sich auch, dass auch die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin betreffend ihren Vater und der Situation ihres Aufwachsens unter dessen Obhut nicht plausibel sind. So ist es nämlich nicht nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin bei ihrer Schwester gewohnt habe um sie nach der Geburt ihres Kindes zu unterstützen, wenn diese doch von ihrem Vater verstoßen worden sei und ihre Geschwister sie nicht mehr besuchen hätten dürfen (VP, Sitzung 46).
Nach den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin habe ihr Vater ihr das Leben generell sehr schwer und unzumutbar gemacht, weshalb ihre Aussage beim Bundesamt, wonach ihr Vater ihr das Leben zur Hölle gemacht habe, nachdem er mitbekommen habe, dass der Erstbeschwerdeführer Schiite sei, nicht nachvollziehbar.
Während die Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt auch angab, dass ihre Schwägerin ihren Bruder verlassen habe, weil ihr Vater diese sowie deren Tochter geschlagen habe (BF 2 AS 293), führte sie in der Beschwerdeverhandlung aus, dass ihr Bruder seine Frau verlassen habe, weil dies die einzige Möglichkeit gewesen sei seine Frau vor den Schlägen und Belästigungen seines Vaters zu schützen (VP, Sitzung 41). Da der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin jedoch nunmehr im Iran lebt (VP, Sitzung 42; BF 2 AS 293), ist es nicht nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer sich von seiner Frau habe trennen müssen um diese vor seinem Vater zu schützen. Dass der Vater die Schwägerin und die Nichte der Zweitbeschwerdeführerin geschlagen und belästigt habe, ist daher nicht glaubhaft.
Das Gericht geht aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin davon aus, dass sie ihren Vater und ihr Aufwachsen unter dessen Obhut versuchte dramatisch darzustellen um ihrem Fluchtvorbringen einen weiteren Aspekt hinzuzufügen. Dies betrifft ebenso das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin, wonach ihr Vater ihre Mutter zur Prostitution zwinge und diese die Zweitbeschwerdeführerin vor der Zwangsprostitution durch ihren Vater beschützt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin muss sich diesbezüglich eine Steigerung ihres Vorbringens vorwerfen lassen, die ihr entsprechendes Vorbringen insgesamt in Zweifel zieht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt Ausführungen zur behaupteten Zwangsprostitution ihrer Mutter tätigte. Sofern in der Beschwerde ausgeführt wurde, dass die Zweitbeschwerde-führerin keine Angaben zur Zwangsprostitution ihrer Mutter machen habe können, weil der Dolmetscher bei der Einvernahme männlich gewesen sei, ist festzuhalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin zu Beginn der Einvernahme beim Bundesamt jedoch konkret gefragt worden sei, ob sie mit der Einvernahme durch einen männlichen Dolmetscher einverstanden sei, was sie ausdrücklich bejahte. Zudem wurde die Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 20, AsylG ausdrücklich darüber belehrt, dass sie während der Einvernahme jederzeit bekannt geben kann, wenn sie Angaben nicht vor dem männlichen Dolmetscher erstatten möchte (BF 2 AS 284). Da die Zweitbeschwerdeführerin während der Einvernahme jedoch nicht darauf hinwies, dass ihr die Erstattung eines Vorbringens vor dem männlichen Dolmetscher unangenehm sei, ist entgegen den Ausführungen in der Beschwerde nicht erkennbar, warum die Zweitbeschwerdeführerin nicht bereits beim Bundesamt in der Lage gewesen sein sollte entsprechende Angaben zu tätigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es steht daher fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin damit versuchte, ihrem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen.
Zudem ist es nicht nachvollziehbar, weshalb der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ihre Mutter zur Prostitution zwingen solle (VP, Sitzung 44), zumal die wirtschaftliche Situation der Familie der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan durchschnittliche gewesen sei (BF 2 AS 19; VP, Sitzung 25) und es insbesondere ihrem Vater gut gegangen sei (BF 2 AS 292).
Da die Angaben der Beschwerdeführer derart widersprüchlich und unplausibel sind, ist offensichtlich, dass es sich lediglich um eine konstruierte Geschichte handelt. Es ist den Beschwerdeführern daher nicht gelungen, das Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen. Aus den oben genannten Gründen geht das Gericht davon aus, dass die Beschwerdeführer Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen haben.
2.2.2. Die Ausführungen der Beschwerdeführer betreffend das Vorbringen, wonach die Schwester des Erstbeschwerdeführers vergewaltigt worden sei, waren lediglich vage und widersprüchlich, so dass auch dieses nicht glaubhaft ist.
So gab der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin bei der Erstbefragung an, dass ein Junge aus ihrer Ortschaft versucht habe die Schwester des Erstbeschwerdeführers zu vergewaltigen (BF 1 AS 13; BF 2 AS 23). In der Einvernahme beim Bundesamt gab der Erstbeschwerdeführer hingegen an, dass seine Schwester mehrmals angegriffen und vergewaltigt worden sei (BF 1 AS 322). Auf Vorhalt des Widerspruchs, gab er an, dass seine Schwester ihm von der Vergewaltigung erst in Österreich erzählt habe (BF 1 AS 323). In der Beschwerdeverhandlung steigerte der Erstbeschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, dass seine Schwester mehrmals vergewaltigt worden sei (VP, Sitzung 24). Zudem gab er befragt an, dass er ca. eine Woche nach der Vergewaltigung davon erfahren habe (VP, Sitzung 27), sodass es erst recht nicht nachvollziehbar ist, weshalb er bei der Erstbefragung lediglich angab, dass versucht worden sei seine Schwester zu vergewaltigen.
Zudem fällt auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Erstbefragung ebenso Ausführungen betreffend die behaupteten Probleme der Schwester des Erstbeschwerdeführers machte, in der Beschwerdeverhandlung gab sie jedoch lediglich ausweichend an, dass sie keine Einzelheiten kenne, weil der Erstbeschwerdeführer nicht alles erzählt habe. Die Schwester des Erstbeschwerdeführers sei immer weinend und mehrmals auch verletzt nach Hause gekommen. Einmal seien auch drei bewaffnete Personen zu ihnen nach Hause kommen. Sie wisse nicht genau welche Probleme sie Afghanistan gehabt hätten (VP, Sitzung 46). Dies ist insbesondere deshalb unplausibel, weil die Zweitbeschwerdeführerin in der Erstbefragung ausdrücklich angegeben hat, dass die ganze Familie und sie selber von diesem Jungen aus der Ortschaft „extrem belästigt“ worden sei (BF 2 AS 23). Da die Zweitbeschwerdeführerin somit eigene Wahrnehmungen zu den behaupteten Belästigungen in Afghanistan haben müsste, ist es nicht nachvollziehbar, dass sie lediglich derart vage Angaben machte.
Zudem fällt auf, dass der Erstbeschwerdeführer einen Vorfall bei dem drei bewaffnete Personen zu ihnen nach Hause gekommen seien in der Beschwerdeverhandlung mit keinem Wort erwähnte. Lediglich beim Bundesamt gab der Erstbeschwerdeführer oberflächlich an, dass ihr Haus zwei Mal angegriffen worden sei, als er in der Arbeit gewesen sei (BF 1 AS 323). Der Erstbeschwerdeführer erwähnte in der Beschwerdeverhandlung auch nicht, dass er ebenfalls von diesen Personen geschlagen worden sei, weil er bei der Polizei gewesen sei (BF 1 AS 324). Das Vorbringen betreffend die behaupteten Probleme der Schwester des Erstbeschwerdeführers ist daher vage, inkonsistent und somit nicht glaubhaft.
Darüber hinaus gab der Erstbeschwerdeführer an, dass seine Schwester ca. drei oder vier Monate vor seiner Hochzeit vergewaltigt worden sei (BF 1 AS 323), welche im 12. Monat des afghanischen Kalenders [Anm. BVwG: entspricht März 2015] stattgefunden habe (BF 1 AS 314). Die Vergewaltigung der Schwester des Erstbeschwerdeführers sei daher im November oder Dezember 2014 geschehen. Da die Beschwerdeführer jedoch erst im Oktober 2015 aus Afghanistan ausgereist seien (BF 1 AS 19; 326; VP, Sitzung 15), ist nicht nachvollziehbar, dass die behauptete Vergewaltigung der Schwester des Erstbeschwerdeführers kausal für ihre Ausreise gewesen wäre.
Soweit die Beschwerdeführer im Verfahren Fotos vorlegten auf denen das Gesicht einer Frau mit geschwollenen blauen Augen und einer frischen Narbe abgebildet ist, wird festgehalten, dass diese Beweismittel nicht geeignet waren die angeführten unglaubhaften Angaben der Beschwerdeführer zu beweisen. Die Fotos belegen tatsächlich nur, dass eine verletzte Frau fotografiert wurde. Den Fotos ist jedoch nicht zu entnehmen wann und in welchem Kontext die Verletzungen entstanden sind bzw. von wem diese zugefügt worden sind.
Aufgrund des widersprüchlichen, unplausiblen, vagen und inkonsistenten Vorbringen der Beschwerdeführer ist es ihnen daher nicht gelungen, das Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen.
Sofern der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung auch angab, dass seine Schwestern in Deutschland ein Interview in westlicher Kleidung ohne Kopftuch gegeben hätten, weshalb ihm nunmehr eine Verfolgung in Afghanistan durch seine entfernten Verwandten und Stammesangehörigen drohe, weil man seine Schwestern nunmehr als Abtrünnige bezeichnen würde, sind ihm die Länderberichte entgegenzuhalten, aus denen hervorgeht, dass Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung umfasst vergleiche Punkt römisch II.1.5.12.). Zudem ist es nicht plausibel, dass dieses Interview aus Deutschland in Afghanistan ausgestrahlt wurde, sodass es schon vor dem Hintergrund, dass die Angehörigen des Erstbeschwerdeführers in Afghanistan keine Kenntnis von dem Interview haben, nicht glaubhaft ist, dass ihm im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung drohe.
2.2.3. Die Feststellung zur Zweitbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, ergibt sich aus ihren Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem persönlichen Eindruck, der von der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.
Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.
Die Feststellung, dass die Zweitbeschwerdeführerin nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt, ergibt sich daraus, dass sie die auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen in der Beschwerdeverhandlung nur teilweise verstanden und nur in gebrochenem Deutsch beantwortet hat (VP, Sitzung 37 f). Die lediglich geringen Deutschkenntnisse der Zweitbeschwerdeführerin stehen insofern der Glaubhaftmachung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen, als daraus ersichtlich wird, dass sie während der mittlerweile mehr als vierjährigen Dauer ihres Aufenthaltes in Österreich kaum Möglichkeiten ergriffen hat, sich zumindest gefestigte Grundkenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, die es ihr ermöglichen würden, eine zusammenhängende Kommunikation auf einfachem Niveau zu führen. So ist es der Zweitbeschwerdeführerin nicht möglich – abgesehen von Grundkenntnissen der deutschen Sprache – in Alltagsituationen eine zusammenhängende Kommunikation zu führen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Zweitbeschwerdeführerin, sobald sie ihr familiäres Umfeld in Österreich verlässt, regelmäßig Unterstützung durch andere benötigt um diverse Aufgaben zu erledigen.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab befragt nach ihrem Tagesablauf an, dass sie oft unterwegs sei, weil sie mit ihrer Tochter in den Park gehe, im Zentrum Veranstaltungen anschaue und Kleidung sowie Lebensmitteln einkaufen gehe. Manchmal besuche sie eine Nachbarin (VP, Sitzung 40). Der Erstbeschwerdeführer schilderte den Tagesablauf seiner Frau so, dass sie sich derzeit mit ihrer Tochter beschäftige und einkaufen gehe. Manchmal fahre sie deshalb nach römisch 40 . Vor der Geburt ihrer Tochter sei die Zweitbeschwerdeführerin die meiste Zeit zuhause gewesen und habe keine bestimmte Beschäftigung gehabt. Sie habe einige Zeit einen Deutschkurs besucht (VP, Sitzung 21). Sofern der Erstbeschwerdeführer angab, dass die Zweitbeschwerdeführerin manchmal alleine nach römisch 40 fahre um dort einkaufen zu gehen (VP, Sitzung 21), ist dies nicht mit den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in Einklang zu bringen, wonach sie in römisch 40 ihre Einkäufe erledige (VP, Sitzung 40). Die Zweitbeschwerdeführerin führte in der Beschwerdeverhandlung aus, dass sie sich in Österreich sicher fühle, weil sie alleine nach römisch 40 oder am späten Abend alleine nach Hause fahren könne (VP, Sitzung 42). Dass die Zweitbeschwerdeführerin jedoch auch tatsächlich alleine nach römisch 40 fahre oder abends alleine unterwegs sei, ist weder ihren diesbezüglichen Angaben zu entnehmen noch ihren Ausführungen betreffend ihren Tagesablauf. Es ist daher ersichtlich, dass die Zweitbeschwerdeführerin nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt und sich in Österreich im kleinstmöglichen Umgebungskreis aufhält, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen bzw. sozialen Normen eingeschränkt ist. Gelegentliche Spaziergänge sowie Einkäufe in der näheren Umgebung stellen nach Auffassung des Gerichts für sich genommen eben noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar.
Auch die von der Zweitbeschwerdeführerin angeführten überschaubaren Kontakte zu Nachbarn und einer afghanischen Familie, beschränken sich auf gelegentliche gegenseitige Besuche zuhause oder die Zusendung von Postkarten betreffend ihre Freundin in Afrika (VP, Sitzung 40), sodass nicht von nachhaltigen sozialen Kontakten gesprochen werden kann. Auch daran, dass die Zweitbeschwerdeführerin lediglich Bekanntschaften zu Nachbarn oder der Familie unterhält, die sie durch das Asylverfahren kennengelernt hat (VP, Sitzung 40), ist eindeutig erkennbar, dass sie lediglich den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnimmt und keine Eigeninitiative im Hinblick auf Bekanntschaften ergreift. Dass die Zweitbeschwerdeführerin keine Eigeninitiative bezüglich ihrer Freundschaften ergreift ist auch daran erkennbar, dass sie ihre Freunde von ihrem damaligen Wohnort schon lange nicht mehr gesehen habe (VP, Sitzung 40).
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, hier in Österreich als Friseurin arbeiten zu wollen (VP, Sitzung 39). Diese Aussage weicht jedoch erkennbar von ihrer Lebenswirklichkeit ab, zumal die Zweitbeschwerdeführerin über geringe Deutschkenntnisse verfügt. Zudem waren in der Beschwerdeverhandlung weder klare Vorstellungen der Zweitbeschwerdeführerin über die Voraussetzungen der Berufsausübung als Friseurin noch eine konkrete Planung oder eigenes Engagement erkennbar (VP, Sitzung 39). Dem Vorbringen, dass Frauen in Afghanistan nicht arbeiten und nichts lernen könnten, sind die Länderberichte entgegenzuhalten, aus denen hervorgeht, dass Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv sind. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. vergleiche Punkt römisch II.1.5.12.). Es wäre der Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan daher möglich eine berufliche Tätigkeit auszuüben.
Zudem ist es Frauen entgegen ihrer Aussage beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung, wonach sie das Haus in Afghanistan nicht verlassen habe dürfen (BF 2 AS 292 f; VP, Sitzung 42 f), auch in Afghanistan möglich alleine das Haus zu verlassen, zumal die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin alleine zu ihrer Hochzeit gekommen sei, da ihr Mann arbeiten habe müssen (BF 2 AS 296). Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Frauen sich in urbanen Zentren wie Kabul und Mazar-e Sharif frei bewegen und sportliche Aktivitäten ausüben können vergleiche Punkt römisch II.1.5.12.). Das Leben, das die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich führt, unterscheidet sich daher nicht derart von ihrem bisherigen Leben in Afghanistan, dass damit ein deutlicher und nachhaltiger Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan einhergehen würde.
Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung umfasst. Allein das derzeitige Nichttragen eines Kopftuches bzw. dezentes Make-Up, Schmuck und lackierte Fingernägel reichen nicht aus, um eine "westliche Orientierung" glaubhaft darzutun. Auch wenn die freie Wahl der äußeren Erscheinung einen Aspekt "westlicher Lebensweise" darstellt, so stellen die oben gewürdigten Aspekte, die die tatsächlich gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung dar als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Erscheinung. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck von der Zweitbeschwerdeführerin lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" zusammenschauend nicht ableiten.
Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl von beruflichen Feldern (öffentlicher Dienst, Privatwirtschaft, in der Bildung, den Medien, im Gesundheitsbereich, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw.) aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht vergleiche Punkt römisch II.1.5). Frauen ist es daher möglich einer entsprechenden beruflichen Tätigkeit in Kabul nachzugehen. Eine faktische Unmöglichkeit einer spezifischen Beschäftigung ist im Übrigen nicht gleichbedeutend mit einem Verbot jeglicher Erwerbstätigkeit von Frauen.
Betreffend die Reisefreiheit und den Wunsch auch alleine das Haus zu verlassen, ist festzuhalten, dass den Länderberichten zu entnehmen ist, dass eine alleinstehende Frau selbst in unsichere Gegenden reisen kann, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält. In den Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif können sich Frauen auch ohne männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es ist daher Frauen in Kabul und Mazar-e Sharif möglich auch alleine das Haus zu verlassen und alleine einkaufen zu gehen, diesbezüglich gibt es keine gesellschaftlichen Sanktionen.
In Kabul- Stadt gibt es den „Frauen-Garten“ (Bagh-e zanan), ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu dem Einrichtungen des Bagh-e zanan. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden am Tag von einem Sicherheitsteam bewacht. Es gibt auch ein „Familienkino“, das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. In einem Land, in dem Kinos normalerweise fast ausschließlich von Männern frequentiert werden, bietet das Galaxy Family Cinema Frauen so die Möglichkeit sich für ein paar Stunden in Ruhe und Sicherheit zu unterhalten. Es ist daher den Berichten zu entnehmen, dass es in der Stadt Kabul ein breites Angebot an Freizeit- und Sportmöglichkeiten für Frauen und Mädchen gibt. Die Ausübung von Sport- und Freizeitangeboten steht daher in der Stadt Kabul im Einklang mit den dort gelebten afghanischen Werten.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine "westliche Orientierung", der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert hat. Die Zweitbeschwerdeführerin ist eine zum Entscheidungszeitpunkt unselbständige Frau, zwar mit ausreichenden Deutschkenntnisse, die in Österreich jedoch nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnimmt. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise", die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, nicht ableiten.
2.2.4. Bei der Drittbeschwerdeführerin handelt es sich um ein unmündiges minderjähriges Mädchen im Alter von ca. einem Jahr, die in Österreich geboren ist. Die Drittbeschwerdeführerin würde gemeinsam mit ihren Eltern im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es der Drittbeschwerdeführerin unmöglich wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren, zumal sie sich zweifelsfrei in einem anpassungsfähigen Alter befindet vergleiche VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.).
Eine persönliche Bedrohung, die sich gezielt gegen die Drittbeschwerdeführerin gerichtet habe, haben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht. Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan ist auszuführen, dass aus den Länderinformationen hervorgeht, dass diese unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, fehlendem Zugang zu Schulbildung, Zwangsehen, sexuellem Missbrauch und Kinderarbeit und der schlechten Sicherheitslage (explosive Kriegsrückstände) besonders betroffen sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung und Benachteiligung" darstellen. Die erwähnte Benachteiligung beruht primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt.
Da die Drittbeschwerdeführerin im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren würde und somit unter der Obhut und dem Schutz ihrer Eltern steht, sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, dass der Drittbeschwerdeführerin eine Entführung oder ein Missbrauch als Bacha Bazi (Viertbeschwerdeführer), Gewalt durch Dritte oder Kinderarbeit droht. Weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin haben angegeben, dass im Wohnumfeld der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin in Kabul oder im Umfeld des Hauses ihrer Familie in Mazar-e Sharif kürzlich Kampfhandlungen stattgefunden haben bzw. in dieser Wohnumgebung explosive Kriegsrückstände vorzufinden wären. Die meisten Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen im Jahr 2018 sind in Afghanistan auf kürzlich stattfindende Kampfhandlungen zurückzuführen. Vertriebene Familien sind einem großen Risiko ausgesetzt, wenn sie in Gebiete zurückkehren, in denen schwere Kämpfe stattgefunden haben (siehe Punkt römisch II.1.5.13.). Es ist daher auch unter diesem Aspekt nicht anzunehmen, dass in der Stadt Kabul oder Mazar-e Sharif im Wohnumfeld der Beschwerdeführer explosive Kriegsrückstände vorzufinden wären. Diese verfügen über eine Wohnmöglichkeit und ein familiäres Netzwerk und sind eben nicht als Binnenvertriebene zu betrachten. Da die Beschwerdeführer über eine Wohnmöglichkeit verfügen, ist auch nicht anzunehmen, dass diese sich in einem Lager für Binnenvertriebenen ansiedeln müssten.
Es gab auch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass die Drittbeschwerdeführerin durch ihre Eltern Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren hat. Ebenso ist zu erwarten, dass die Eltern ihre Tochter auch vor spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen in der Stadt Kabul und Mazar-e Sharif schützen würden.
Da der Erstbeschwerdeführer als Vater der Drittbeschwerdeführerin in der Position ist, ein etwaiges Heiratsangebot abzulehnen und der Erstbeschwerdeführer Zwangsheirat ablehnt, droht der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin keine Zwangsheirat (VP, Sitzung 26). Es ist daher davon auszugehen, dass der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin in Afghanistan keine Zwangsverheiratung droht.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin legten in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft dar, dass ihnen die Bildung ihrer Tochter ein großes Anliegen ist und sie diese diesbezüglich in jeder Hinsicht unterstützen werden (VP, Sitzung 26 f, 45). Der von ihnen geäußerte Wunsch betreffend die Bildung ihrer Tochter stellt sich auch nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind vergleiche Punkt römisch II.1.5.13.). Entgegen dem Willen der Eltern findet in Afghanistan keine Kinderarbeit statt (siehe Punkt römisch II.1.5.13.).
2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:
2.3.1. Dass die Beschwerdeführer mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut sind, ergibt sich daraus, dass sie in Afghanistan geboren und aufgewachsen sind und dort den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben.
Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit des Erstbeschwerdeführers ergibt sich daraus, dass sich dieser in Österreich an sich zurechtfindet. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit sprechen.
Aus den Angaben des Erstbeschwerdeführers ergibt sich – wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.4. ausgeführt –, dass er versuchte seine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan zu verschleiern. Die Onkel väterlicherseits des Erstbeschwerdeführers leben nach wie vor in Ghazni, unterstützten den Erstbeschwerdeführer und seine Familie nach dem Tod seines Vaters und bewirtschaften das vom Erstbeschwerdeführer geerbte Grundstück. Vor diesem Hintergrund ist es daher auch nicht nachvollziehbar, dass eine Feindschaft zwischen ihm und seinen Onkeln väterlicherseits entstehen würde (VP, Sitzung 16). Dies stellt lediglich eine bloße Spekulation des Erstbeschwerdeführers dar. Wie festgestellt wurde hat der Erstbeschwerdeführer auch regelmäßig Kontakt zu ihnen. Es ist daher nicht erkennbar, warum seine Onkel, die das vom Erstbeschwerdeführer geerbte Grundstück bewirtschaften, nicht in der Lage oder willig sein sollten, den Erstbeschwerdeführer zu unterstützen, zumal gemäß den Länderberichten, die Großfamilie die zentrale soziale Institution in Afghanistan ist und zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder beiträgt sowie eine wirtschaftliche Einheit bildet, in der die Männer der Familie verpflichtet sind, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen, nicht ersichtlich.
Die Feststellungen betreffend die Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten vergleiche Punkt römisch II.1.5.10.).
2.3.2. Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer an den Geburtsort des Erstbeschwerdeführers Ghazni ergeben sich aus den o.a. Länderberichten. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Provinz Ghazni volatil ist.
2.3.3. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Erstbeschwerdeführers in seine Herkunftsstadt Kabul ergeben sich aus den o.a. Länderberichten. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Hauptstadt Kabul relativ sicher ist. Kabul wird von der afghanischen Regierung kontrolliert. Kabul ist über einen Flughafen sicher zu erreichen. Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Erstbeschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben der Beschwerdeführer. Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Stadt Mazar-e Sharif als relativ sicher gilt und unter der Kontrolle der Regierung steht. Diese ist auch sicher erreichbar.
Der Erstbeschwerdeführer könnte sowohl in Kabul als auch in Mazar-e Sharif vorübergehend bei den Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin wohnen. Beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um einen volljährigen und arbeitsfähigen Mann. Er verfügt über eine dreijährige Schulbildung und eine langjährige Arbeitserfahrung als Taxifahrer, Hilfsarbeiter sowie Verkäufer in einem Sportgeschäft. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Erstbeschwerdeführer in Kabul oder Mazar-e Sharif ansiedeln könnte und dort ein Leben ohne unbilligen Härten führen könnte.
2.3.4.
2.3.5. Dass die Drittbeschwerdeführerin in der Stadt Kabul und Mazar-e Sharif eine Schule besuchen kann, ergibt sich – wie bereits unter 2.2.4. ausgeführt – daraus, dass in Afghanistan prinzipiell Schulpflicht besteht und ein Schulangebot insbesondere in Kabul und Mazar-e Sharif auch faktisch vorhanden ist (siehe auch Punkt römisch II.1.5.13.). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Drittbeschwerdeführerin, die in einem anpassungsfähigen Alter ist, sich nicht an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anpassen können sollte. Es ist insbesondere kein Grund ersichtlich, weshalb die Drittbeschwerdeführerin nicht in der Lage wäre in der Stadt Kabul oder Mazar-e Sharif neue Kontakte zu knüpfen. Es sind im Verfahren diesbezüglich keine Hinderungsgründe hervorgekommen.
Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan sowie der konkreten Situation der Drittbeschwerdeführerin bei einer Ansiedelung in Kabul oder Mazar-e Sharif wird auf die Ausführungen unter Punkt römisch II.2.2.4. verwiesen. Der Drittbeschwerdeführerin droht weder in der Stadt Kabul noch in Mazar-e Sharif Kinderarbeit und/oder eine Zwangsheirat. Es droht ihr dort auch weder Missbrauch noch sexuelle Übergriffe, Entführungen oder Ausbeutungen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Drittbeschwerdeführerin in ihrer Wohnumgebung in Kabul oder Mazar-e Sharif von explosiven Kriegsrückständen betroffen wäre.
Jedoch ist die aktuelle COVID-19 Situation zu berücksichtigen. Die Drittbeschwerdeführerin ist ein unmündiges minderjähriges Kind. Sie ist daher nicht selbsterhaltungsfähig, sondern auf die Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin angewiesen. Aufgrund der COVID-Situation hat sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert. Kabul und andere urbane Zentren sind besonders vom Lockdown betroffen. Es sind besonders Familien und Tagelöhner wirtschaftlich von der COVID-Situation betroffen. Es sind die Preise für Grundnahrungsmittel wesentlich gestiegen (Punkt römisch II.1.5.10).
Auch unter der Berücksichtigung, dass die Beschwerdeführer bei ihren Verwandten in Kabul oder Mazar-e Sharif vorübergehend wohnen könnten, ist nicht davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer sowohl sich als auch die schwangere Zweitbeschwerdeführerin (bzw. in weiterer Folge das neugeborene Kind) sowie die Drittbeschwerdeführerin ausreichend mitversorgen könnte. Da Kabul und urbane Zentren vom Lockdown erheblich betroffen sind, sind auch die weiteren Verwandten der Beschwerdeführer von der COVID-19 Situation ebenfalls betroffen. Die Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin sind auch als Hilfsarbeiter tätig und daher ebenfalls erheblich von der COVID-Situation betroffen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass diese ausreichend in der Lage wären eine vierköpfige Familie mit zwei unmündigen minderjährigen Kindern (nämlich die Drittbeschwerdeführerin und das noch ungeborene Kinder der Beschwerdeführer) ausreichend zu versorgen. Hier ist zudem die besondere Vulnerabilität der Drittbeschwerdeführerin aufgrund der Minderjährigkeit und die besondere Vulnerabilität der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund der Schwangerschaft zu berücksichtigen. Die Zweitbeschwerdeführerin ist derzeit im 6. Monat schwanger, sie ist daher nicht in der Lage in Afghanistan selber erheblich zum Familieneinkommen beizutragen. Auch mögliche Einkünfte betreffend ein Grundstück im Ausmaß von 2 Jilib in Ghazni sind nicht geeignet in der derzeit – aufgrund der COVID-19-Situation – angespannten Wirtschafts- und Versorgungslage, für eine vierköpfige Familie ein ausreichendes Einkommen darzustellen.
2.3.6. Das Gericht geht aufgrund dieser gesamten Umstände davon aus, dass es der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin derzeit nicht möglich ist nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt Kabul oder Mazar-e Sharif Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.
2.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer und -titel, ihren jeweiligen Deutschkenntnissen und ihren Kursbesuchen sowie zu ihren fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und ihrer Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage vergleiche insbesondere die Auszüge aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VP, Sitzung 19 ff, 37 ff) sowie auf die von ihnen im Verfahren vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich daraus, dass sie in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen lediglich teilweise verstanden und nur stichwortartig in Deutsch beantwortet haben. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen daher lediglich über sehr geringe Deutschkenntnisse (VP, Sitzung 19, 37 f).
Dass ein Cousin des Erstbeschwerdeführers in Österreich lebt, ergibt sich aus seinen diesbezüglich stringenten Angaben im Verfahren (BF 1 AS 312; VP, Sitzung 21). Dass die Beschwerdeführer mit diesem keinen Kontakt mehr haben, ergibt sich aus den entsprechenden Angaben des Erstbeschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung (VP, Sitzung 21 f). Es ist aufgrund des fehlenden Kontaktes keine Abhängigkeit der Beschwerdeführer vom Cousin des Erstbeschwerdeführers ableitbar.
Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin freundschaftliche Kontakte und Bekanntschaften in Österreich geknüpft haben, ergibt sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben (VP, Sitzung 22, 40). Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin über keine engen sozialen Bindungen zu diesen Personen und ihren freundschaftlichen Kontakten in Österreich verfügen, ergibt sich daraus, dass aus ihren Aussagen in der Beschwerdeverhandlung kein intensiver oder inniger Kontakt zu Freunden der Beschwerdeführer hervorgehen. Vielmehr gab der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung selber an, dass er viele Bekannte und Freunde habe, die jedoch keine engen Bezugspersonen seien (VP, Sitzung 22). Die Beschwerdeführer haben zwar regelmäßig Kontakt zu ihren Bekannten, allein daraus kann jedoch keine Abhängigkeit und feste Beziehungsintensität abgeleitet werden. Weitere Umstände, die auf eine Abhängigkeit der Beschwerdeführer zu ihren Bekannten hindeuten würden, haben die Beschwerdeführer weder vorgebracht noch sind solche im Verfahren hervorgekommen. Aus der Aktenlage ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführer während ihres gesamten Aufenthaltes in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung bezogen haben (Beilage ./I). Da im Rahmen der Grundversorgung die existenziellen Grundbedürfnisse der Beschwerdeführer abgedeckt wurden und nach wie vor werden, kann das erkennende Gericht keine im gegenständlichen Fall zu berücksichtigende Abhängigkeit zu ihren Bekannten erkennen.
Dass der Aufenthalt der Beschwerdeführer nie geduldet war, sie weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen noch Opfer von Gewalt waren, ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführer Gegenteiliges nie behauptet haben und entsprechendes auch im Verfahren nicht hervorgekommen ist.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./I - Strafregisterauszug jeweils vom 20.11.2019). Die Feststellungen zum Strafverfahren gegen die Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus den vom Bundesamt vorgelegten Unterlagen.
2.5. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und der aktuellen Covid-19-Pandemie:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Dem Beweisantrag der Beschwerdeführer auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Frau Stahlmann, da die Berichtslage zu Afghanistan derzeit inhomogen wäre und das Gericht nicht in der Lage wäre sich ein schlüssiges Gesamtbild über die Situation im Herkunftsland zu machen, war nicht statt zu geben. Es stehen dem Bundesverwaltungsgericht sehr aktuelle Berichte der Staatendokumentation zur COVID-19-Situation in Afghanistan zur Verfügung, nämlich mit Aktualisierung vom 21.07.2020. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation wird laufend aktualisiert und es werden von der Staatendokumentation zudem auch eigene Analysen zur COVID-19-Situation erstellt. Der unsubstantiierte Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, legt nicht dar welche konkreten Tatsachen bewiesen werden sollen und weshalb diese für den vorliegenden Fall relevant seien und stellt zudem einen unzulässigen Erkundungsbeweis dar. Aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens und der anderen beigezogenen Länderberichte besteht aus Sicht des Gerichts ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte (VwGH 21. 3. 1991, 90/09/0097; 19. 3. 1992, 91/09/0187; 16. 10. 1997, 96/06/0004; 13. 9. 2002, 99/12/0139; vergleiche auch VwGH 12. 3. 1991, 87/07/0054). Auch diesem Grund war der gegenständliche Antrag abzulehnen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. Paragraph 3, Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
Paragraph 3, (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23,) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Es wurde weder eine Verfolgung der Beschwerdeführer durch den Vater oder den Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin, staatliche Organe oder durch andere Gruppierungen noch eine begründete Furcht festgestellt. Die Beschwerdeführer wurden in Afghanistan nie bedroht. Es ist daher keine Verfolgung der Beschwerdeführer und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.
Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion der Beschwerdeführer erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Sohin kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern aus den von ihnen ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
3.1.4. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.
Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).
Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im Dezember 2015 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan (konkret der Stadt Kabul und Mazar-e Sharif) darstellt, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten in der Stadt Kabul und Mazar-e Sharif brechen würde.
Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte bei der Zweitbeschwerdeführerin nicht festgestellt werden. Frauen können in Kabul und Mazar-e Sharif alleine das Haus verlassen, auch ohne männliche Begleitung, diese können auch alleine einkaufen gehen. Frauen und Mädchen können in Kabul die Schule besuchen, eine Berufsausbildung machen sowie ein Studium absolvieren. Frauen sind in Kabul in einem breiten Spektrum berufstätig. Es gibt in Kabul und urbanen Zentren ein breites Freizeitangebot sowie Sportangebot für Frauen. Die Ausübung von Freizeit- und Sportmöglichkeiten führt nicht zu einem wesentlichen Bruch mit den in Kabul sowie in urbanen Zentren gelebten Werten. Das Kleidungsspektrum in Kabul und Mazar-e Sharif umfasst auch westlichere Kleidung.
Infolgedessen verletzt die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Kabul und Mazar-e Sharif nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.
3.1.5. Für eine asylrelevante Verfolgung der Drittbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer spezifischen Situation als Kind gab es auch keine Anhaltspunkte im Verfahren. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist somit weder aufgrund des Vorbringens des Erst- oder der Zweitbeschwerdeführerin noch sonst eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im Verfahren hervorgekommen.
Eine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK, insbesondere im Zusammenhang mit dem (zukünftigen) Wunsch nach Schulbildung ist nicht ableitbar. Dies insbesondere deshalb, weil in Afghanistan prinzipiell Schulpflicht besteht und ein Schulangebot in der Stadt Kabul und Mazar-e Sharif auch faktisch vorhanden ist. Ein Schulbesuch stellt daher keinen Bruch mit den Gegebenheiten in Afghanistan dar. Ihr droht in Afghanistan auch keine Zwangsheirat. Eine Verfolgungsgefahr ist zudem nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist im Falle der (minderjährigen) Drittbeschwerdeführerin keine auch nur entfernte Möglichkeit einer asylrelevanten Verfolgung im Verfahren hervorgekommen.
3.1.6. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt werden konnten, liegen die Voraussetzungen des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG nicht vor.
Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide waren daher gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide – Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
3.2.1. Paragraph 8 und 11 AsylG lauten auszugsweise:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
Paragraph 8, (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, ist mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht.
…“
„Innerstaatliche Fluchtalternative
Paragraph 11, (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8, Absatz eins,) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.“
3.2.2. Gemäß Artikel 2, Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird vergleiche EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
3.2.3. Zum Erstbeschwerdeführer:
Die Provinz, in der der Erstbeschwerdeführers geboren wurde und zunächst aufgewachsen ist, ist volatil. Aus diesem Grund könnte eine allfällige Rückführung der Beschwerdeführer in diese Provinz für sie mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden sein, weshalb ihnen eine Rückkehr dorthin nicht möglich ist.
Aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 ergibt sich zwar, dass eine interne Schutzalternative in Kabul aufgrund einer Kombination aus der Sicherheits- und Versorgungslage derzeit eher nicht bestehe. Die Stadt Kabul stellt insbesondere für den Erstbeschwerdeführer aber auch für die Zweitbeschwerdeführerin eine Heimatstadt dar, zumal der Erstbeschwerdeführer dort nach seinem Wegzug aus der Provinz Ghazni bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt und gearbeitet hat. Die Zweitbeschwerdeführerin ist zwar nicht in Kabul aufgewachsen, sie hat dort jedoch eine Zeit bei ihrer Schwester gewohnt und ist nach der Heirat zum Erstbeschwerdeführer nach Kabul gezogen, wo sie die letzten Monate vor ihrer Ausreise verbracht haben. Da die Beschwerdeführer somit in Kabul gemeinsam bis zu ihrer Ausreise gelebt haben und auch Familienangehörige der Zweitbeschwerdeführerin in Kabul leben, ist Kabul als Heimatstadt der Beschwerdeführer zu betrachten. Es stellt daher eine Rückkehr der Beschwerdeführer in die Stadt Kabul keine interne Schutzalternative für sie dar.
Die Sicherheitslage der Stadt Kabul ist ausreichend sicher. Die Versorgung der Bevölkerung ist dort zumindest grundlegend gegeben. Kabul ist auch durch den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Auch in Mazar-e Sharif ist das Niveau an willkürlicher Gewalt so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein. Mazar-e Sharif ist durch einen Flughafen über den Luftweg sicher und legal erreichbar.
Der Erstbeschwerdeführer ist jung, gesund, anpassungs- und erwerbsfähig. Er hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan, in der Stadt Kabul, verbracht, wodurch er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist. Er spricht Dari, die Landessprache Afghanistans, als Muttersprache und verfügen über Ortskenntnisse in der Stadt Kabul. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über Schulbildung und jahrelange Berufserfahrung. Er könnten im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nach Kabul zumindest vorübergehend bei der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin wohnen und insbesondere mit Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft, einer Arbeitsstelle und Verpflegung rechnen. Er könnte sich auch in Mazar-e Sharif ansiedeln und dort Unterstützung von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin erhalten.
Dem Erstbeschwerdeführer ist es aufgrund der dargelegten Umstände möglich und zumutbar, sich in der Stadt Kabul oder in der Stadt Mazar-e Sharif – etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, wobei dem Beschwerdeführer seine Berufserfahrung zu Gute kommt – eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern.
3.2.4. Zur Zweitbeschwerdeführerin und zur Drittbeschwerdeführerin:
Bei der Drittbeschwerdeführerin handelt es sich um ein unmündiges minderjähriges Kind. Sie ist in einem anpassungsfähigen Alter, sodass es ihr möglich ist, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
Minderjährige Kinder gelten vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen in Afghanistan als besonders vulnerable Antragsteller (gefährdet besonders durch Munitionsrückstände, körperliche Übergriffe durch Erwachsene in Schulen oder durch die afghanische Polizei, sexuellen Missbrauch, auch als Bacha Bazi, durch Kinderarbeit, Zwangsehen, Ausbeutung sowie auch durch die angespannte Versorgungs- und Sicherheitslage).
Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin ist weder von Zwangsehen noch von Kinderarbeit bedroht. Es haben sich auch keine Hinweise ergeben, wonach die minderjährige Drittbeschwerdeführerin Gefahr laufen würden ausgebeutet oder (sexuell) missbraucht zu werden.
Aufgrund der Minderjährigkeit ist die Drittbeschwerdeführerin jedoch nicht in der Lage sich selbst ausreichend zu versorgen. Diese könnten ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht selber befriedigen. Diese ist auf eine ausreichende Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer angewiesen und daher besonders von angespannten Versorgungslagen betroffen.
Die Zweitbeschwerdeführerin ist derzeit im 6. Monat schwanger. Es handelt sich daher derzeit bei der Zweitbeschwerdeführerin ebenfalls um eine vulnerable Person. Ihr ist aufgrund der Schwangerschaft die Ausübung einer Arbeit in Afghanistan und eine ausreichende Erwerbstätigkeit zur Bestreitung Ihres Lebensunterhaltes derzeit nicht möglich. Auch diese ist derzeit auf eine ausreichende Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer angewiesen und daher besonders von angespannten Versorgungslagen betroffen. Der Erstbeschwerdeführer hätte daher nach der Geburt des zweiten Kindes auch dieses mitzuversorgen.
Durch die COVID-Situation hat sich die wirtschaftliche Lage in Kabul und urbanen Zentren angespannt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und besonders Gelegenheitsarbeiter und Familien sind von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-Situation betroffen. Es sind auch die Preise für Lebensmittel erheblich gestiegen und droht Kabul eine Wasserknappheit. Der Erstbeschwerdeführer müssten daher nicht nur sich selbst, sondern auch die Drittbeschwerdeführerin und die schwangere Zweitbeschwerdeführerin bzw. nach der Geburt ein weiteres Kind in der COVID-19 Situation in Kabul oder Mazar-e Sharif versorgen. Kabul und urbane Zentren sind vom Lockdown betroffen. Es ist zu berücksichtigen, dass auch die Verwandten der Beschwerdeführer, die ebenfalls in Kabul und Mazar-e Sharif leben, auch wirtschaftlich von der COVID-19 Situation und daher von den wirtschaftlichen Erschwernissen betroffen sind. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation, dem Lockdown und den gestiegenen Lebensmittelpreisen, ist nicht davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer in der Lage wären sowohl sich selbst als auch noch die unmündige minderjährige Drittbeschwerdeführerin und die schwangere Zweitbeschwerdeführerin (bzw. Nach der Geburt ein weiteres Kind) ausreichend zu versorgen und die notwendigen Lebensbedürfnisse sicher zu stellen. Es haben sich keine Hinweise ergeben, dass die Beschwerdeführer sonstige ausreichende Zuwendungen in Anspruch nehmen könnten, um sich den Lebensunterhalt in Afghanistan ausreichend zu sichern.
Es ist den Zweit- und Drittbeschwerdeführerin somit nicht möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung nach Afghanistan in der Stadt Kabul oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.
3.2.5. Es haben sich keine Hinweise ergeben, wonach die Beschwerdeführer in anderen Teilen Afghanistans über ein (trotz der COVID-19-Situation) tragfähiges und tragwilliges familiäres Netzwerk verfügen. Den Zweit- und Drittbeschwerdeführerin steht daher keine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Landesteilen von Afghanistan offen.
3.2.6. Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG liegen nicht vor.
Es wird zwar derzeit ein Strafverfahren gegen die Zweitbeschwerdeführerin wegen des Verdachts des Gebrauchens von falschen bzw. verfälschten Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts (Paragraph 223, Absatz 2, StGB) geführt. Diesbezüglich liegt jedoch noch keine strafrechtliche Verurteilung vor. Zudem wird diese strafbare Handlung nach Paragraph 223, Absatz 2, StGB mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Es liegen daher auch aus diesem Grund nicht die Merkmale eines Verbrechens im Sinn des Paragraph 17, StGB iV, Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 3, vor.
Es ist nicht zu erkenne, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.
Die Drittbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres jungen Alters noch nicht strafmündig.
3.2.7. Den Beschwerden der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin war daher hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und ihnen gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
3.2.8. Familienverfahren:
Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG lautet auszugsweise:
„Begriffsbestimmungen
Paragraph 2, (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist,
22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;
…“
Paragraph 34, Absatz 3, AsylG lautet auszugsweise:
„Familienverfahren im Inland
Paragraph 34, (3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn,
1. dieser nicht straffällig geworden
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 9,) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.“
Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin. Die Ehe wurde bereits vor der Einreise nach Österreich geschlossen.
Der Erstbeschwerdeführer ist nicht straffällig geworden. Dem Erstbeschwerdeführer ist nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen (siehe Punkt römisch II.3.1.). Der Zweitbeschwerdeführerin wurde mit diesem Erkenntnis der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, es ist gegen diese kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig.
Da im gegenständlichen Fall alle gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, war dem Erstbeschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG subsidiärer Schutz zuzuerkennen.
Der Beschwerden des Erstbeschwerdeführers war daher hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
3.2.8. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Im gegenständlichen Fall war den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen. Daher ist ihnen gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.
3.3. Spruchpunkt römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide
Auf Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos – gemäß Paragraph 28, Absatz eins und 2 VwGVG vergleiche VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) – zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2020:W251.2225597.1.00