Bundesverwaltungsgericht
27.08.2020
W251 2171609-1
W251 2171609-1/38E
W251 2171607-1/41E
W251 2171610-1/32E
W251 2171611-1/28E
W251 2171608-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 3.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , 4.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , und 5.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Afghanistan gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2017 zu 1.) Zl. 1097552409 - 151910156, 2.) Zl. 1097553308 - 151910185, 3.) Zl. 1097554708 - 151910202, 4.) Zl. 1097554501 - 151910245 und 5.) Zl. 1138980909 - 161729629, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
römisch eins. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und römisch 40 , römisch 40 , sowie römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG sowie römisch 40 und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG wird den Beschwerdeführern jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.08.2021 erteilt.
römisch IV. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkt römisch III. und römisch IV. der angefochtenen Bescheide gemäß Paragraph 28, Absatz eins und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Begründung:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten – abgesehen von der Fünftbeschwerdeführerin – gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 01.12.2015 bzw. am 22.12.2016 (Fünftbeschwerdeführerin) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Diese haben zwei leibliche Töchter, die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerin, sowie einen leiblichen Sohn, den Viertbeschwerdeführer.
2. Die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin fand am 01.12.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Sie gaben zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass die Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Vater aus dem Iran geholt und nach Afghanistan gebracht worden sei, wo er sie mit einem 70-jährigen Mann zwangsverheiratet habe. Der Erstbeschwerdeführer habe die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan gefunden und sie neuerlich geheiratet. Sie hätten beide eine neuerliche Entführung und Zwangsverheiratung der Zweitbeschwerdeführerin durch ihren Vater befürchtet, weshalb sie Afghanistan verlassen hätten. Der Erstbeschwerdeführer befürchte zudem im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara von den Taliban ermordet zu werden.
3. Am römisch 40 wurde die Fünftbeschwerdeführerin in Österreich geboren. Sie ist die Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. Für sie wurde am 22.12.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
4. Am 13.03.2017 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass seine Mutter von den Taliban entführt worden sei, woraufhin sein Vater neuerlich geheiratet habe. Der Erstbeschwerdeführer sei von seiner Stiefmutter schlecht behandelt worden, weshalb er im Alter von 13 oder 14 Jahren mit einem Nachbarskind in den Iran gereist sei. Er sei dort im Kickbox-Sport sehr gut gewesen, weshalb er 2005 nach Afghanistan zurückgekehrt sei um in die afghanische Nationalmannschaft aufgenommen zu werden. Als Hazara habe man ihn allerdings nicht ernst genommen. Er habe in dieser Zeit auch die Zweitbeschwerdeführerin kennengelernt und sei mit ihr gemeinsam in den Iran gereist. Er habe die Zweitbeschwerde-führerin nicht geheiratet und habe mit ihr zwei Kinder bekommen. Im Juli oder August 2013 seien ihre Eltern in den Iran gekommen und hätten die Zweitbeschwerdeführerin sowie seine Kinder mit nach Afghanistan genommen. 15 oder 16 Monate später habe der Erstbeschwerdeführer die Zweitbeschwerdeführerin mit Hilfe deren Freundin ausfindig machen können und sei mit ihr und den Kindern in den Iran zurückgekehrt.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab beim Bundesamt betreffend ihre Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass der Erstbeschwerdeführer bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten habe. Da der Erstbeschwerdeführer jedoch nicht vermögend gewesen sei, sei ihr Vater damit nicht einverstanden gewesen. Die Zweit- und der Erstbeschwerdeführer seien deshalb gemeinsam in den Iran gezogen, wo sie vor ca. 10 Jahren geheiratet hätten. Sechs Jahre später seien die Eltern und zwei Brüder der Zweitbeschwerdeführerin bei ihr im Iran aufgetaucht, als der Erstbeschwerdeführer gerade auf Geschäftsreise gewesen sei. Ihre Brüder hätten sie und ihre Kinder geschlagen und die Zweitbeschwerdeführerin sei gegen ihren und den Willen des Erstbeschwerdeführers von diesem geschieden worden. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Kinder seien dann nach Afghanistan gebracht worden, wo sie nach ca. 2-3 Monaten an einen älteren Mann zwangsverheiratet worden sei. Sie habe dann bei diesem im Haus gelebt, während ihre Kinder bei ihren Eltern gewohnt hätten, die sie nur zweimal im Monat besuchen habe dürfen. Der Erstbeschwerdeführer habe von seinen Nachbarn im Iran erfahren, dass die Zweitbeschwerdeführerin von ihren Eltern mitgenommen worden sei. Er sei ein Jahr und 5-6 Monate später nach Afghanistan gereist, weil er Angst vor den Brüdern der Zweitbeschwerdeführerin gehabt habe. Mit Hilfe einer Freundin habe der Erstbeschwerdeführer sie gefunden. Die Zweitbeschwerdeführerin habe bei einem Besuch ihrer Kinder vorgetäuscht Kleidung für diese kaufen zu gehen und sei nicht wieder zurückgekehrt, sondern mit dem Erstbeschwerdeführer und ihren Kindern ausgereist.
Hinsichtlich der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
5. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt römisch II.) ab und erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Den Beschwerdeführern wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt römisch IV.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es den Beschwerdeführern nicht gelungen sei asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft zu machen. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertige. Die Beschwerdeführer würden über familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul verfügen, der Erstbeschwerdeführer habe zwei Häuser von seinem Vater geerbt und sei es den Beschwerdeführer somit möglich und zumutbar ihren Lebensmittelpunkt erneut in Afghanistan zu setzen. Die Beschwerdeführer würden in Österreich – abgesehen voneinander – zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe, verfügen.
6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass die Zweit-, die Dritt- und die Fünftbeschwerde-führerinnen als Frauen bzw. Mädchen generell sowie die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien. Die vom Bundesamt entsprechend zugrunde gelegten Länderberichte seien einseitig und beschönigend. Im Bescheid seien zudem keine Feststellungen zur westlichen Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin getroffen worden, weshalb dieser grob mangelhaft sei. Die Zweitbeschwerdeführerin trage kein Kopftuch, habe ein energisches Auftreten, gehe alleine einkaufen und nehme am Gemeinschaftsleben aktiv teil. Sie gehe mit ihren Kindern ins Schwimmbad und würde gerne als Schneiderin arbeiten. Den Haushalt teile sie sich mit dem Erstbeschwerdeführer partnerschaftlich. Für die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerin wünschen sie sich eine gute Berufsausbildung und eine freie Lebensführung. Zudem seien der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan einer Verfolgung aufgrund von Blutrache durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin ausgesetzt. Die Beschwerdeführer würden im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in eine aussichtslose Lage geraten und die reale Gefahr der Verletzung von Artikel 2,, 3 EMRK bestehen.
Unter einem wurde eine Stellungnahme zu den behaupteten Widersprüchen in den Bescheiden vorgelegt. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, dass sie zwar Turkmenin sei, diese aber ein Stamm der Hazara seien. Zudem habe sei keine öffentliche Schule besucht, aber Hausunterricht erhalten. Darüber hinaus würden sich der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin als traditionell verheiratet sehen, obwohl sei offiziell nicht verheiratet seien. Die Unterschiede in den Zeitangaben betreffend ihr Fluchtvorbringen seien nur gering und somit vernachlässigbar. Der Zweitbeschwerdeführerin sei das Original der Scheidungsurkunde bereits nach ihrer Einreise von der Polizei abgenommen und ihr eine Kopie ausgehändigt worden. Sie habe das Original später bei der Einvernahme beim Bundesamt im Akt gesehen. Zudem sei es zu Fehlschlüssen aufgrund von Verständigungs-schwierigkeiten und unterschiedlicher Assoziationen gekommen.
7. Mit Vollmachtsbekanntgabe vom 18.02.2018 gaben die Beschwerdeführer bekannt ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter mit der weiteren Vertretung im Verfahren bevollmächtigt zu haben.
Mit Schreiben vom 21.12.2017, 26.01.2018, 09.02.2018, 19.02.2018, 20.02.2018, 07.03.2018, 12.03.2018, 14.09.2018, 07.11.2018, 16.11.2018, 19.11.2018 und 28.11.2018 legten die Beschwerdeführer Unterlagen betreffend ihre Integration vor.
Mit Stellungnahme vom 19.11.2018 brachte eine Deutschlehrerin der Zweitbeschwerde-führerin vor, dass diese immer wieder von ihrer Vergangenheit in Afghanistan erzähle. So hätte der Vater der Zweitbeschwerdeführerin nie einer Heirat mit dem Erstbeschwerde-führer zugestimmt, weshalb sie in den Iran geflohen seien. 2009 habe der Vater der Zweitbeschwerdeführerin den Aufenthaltsort im Iran ausfindig machen können, weshalb der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin ihren Aufenthaltsort änderten. 2012 sei der Vater der Zweitbeschwerdeführerin abermals in den Iran gereist und habe die Tochter und deren Kinder mit nach Afghanistan genommen. Im Zuge einer Auseinandersetzung sei die Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Vater mit einem Messer attackiert worden, wovon diese Verletzungen am römisch 40 und der römisch 40 erlitten habe. Diesbezüglich wurde unter einem eine ärztliche Bestätigung vorgelegt, in der zwei Narben bestätigt werden, die mit Messerstichen vereinbar seien. Die Zweitbeschwerdeführerin sei mit einem älteren Mann verheiratet worden. Die Drittbeschwerdeführerin die während dieser Zeit bei ihren Großeltern in Afghanistan gelebt habe, sei eines Tages von ihrem Onkel mit einem Löffel, der erhitzt worden sei, verletzt worden, was eine Narbe zurückgelassen habe. Durch die abermalige Flucht habe die Zweitbeschwerdeführerin zum zweiten Mal die Autorität ihres Vaters missachtet.
8. Mit Stellungnahme vom 02.03.2019 brachten die Beschwerdeführer vor, dass die aktuellen Berichte eine tiefgreifende Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan belegen würden. Eine Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimatregion sei nicht möglich. Zudem sei aufgrund der drohenden unmenschlichen Behandlung wegen des afghanischen Konflikts eine Verweisung der Beschwerdeführer in eine der alternativ genannten Städte ebenso nicht möglich. Darüber hinaus widerspreche es Artikel 3 und 2 EMRK die Zweitbeschwerdeführerin, die in Österreich einen westlichen Lebensstil gelernt habe, wieder nach Afghanistan zurückzuschicken, wo sie sich einer Unterdrückung hingeben müsse. Die deutliche Verschlechterung der Situation für Hazara in Afghanistan stelle eine asylrelevante Verfolgung dieser dar. Weiters wurde ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihrem Cousin versprochen gewesen sei, dadurch, dass sie das Versprechen gebrochen habe, sei die Ehre ihres Cousin und seiner Familie verletzt worden, weshalb der Zweitbeschwerdeführerin Blutrache drohe. Zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer große Anstrengungen zu ihrer Integration unternommen, Deutsch erlernt und soziale Kontakte entwickelt hätten.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.03.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Den Beschwerdeführern wurde aufgetragen binnen 7 Tagen in einer gesonderten Stellungnahme bekannt zu geben welche Fehler in den bisherigen Protokollen enthalten seien und die Verhandlung vertagt.
10. Mit Stellungnahme vom 21.03.2019 kamen die Beschwerdeführer der Aufforderung nach und gaben Fehler in den Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahmen beim Bundesamt bekannt.
Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte diese Stellungnahme dem Bundesamt mit der Aufforderung vom 27.03.2019 eine schriftliche Stellungnahme zu den Angaben der Beschwerdeführer abzugeben.
Mit Stellungnahme vom 25.04.2019 gab das Bundesamt an, dass nach den jeweiligen Einvernahmen vollständige Rückübersetzungen der Einvernahmen stattgefunden hätten. Der Vorwurf, dass eine „bewusst irritierende und feindselige“ Atmosphäre vorgelegen sei, werde zurückgewiesen. Dieser Vorwurf sei auch unglaubhaft, zumal diese Anschuldigung erst zwei Jahre nach den Einvernahmen und nach Erlassung der negativen Entscheidungen durch das Bundesamt und nicht bereits im Anschluss an die Einvernahmen erfolgt seien.
11. Am 12.06.2019 setzte das Bundesverwaltungsgericht die Verhandlung in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer fort.
12. Mit Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 18.06.2019 wurde auf Artikel 24, der Grundrechtecharta verwiesen, wonach bei allen Entscheidungen das Wohl des Kindes zu bedenken sei. Es sei zu Verhandlungen zwischen der US-Regierung und den Taliban gekommen, die auf den Abzug der US-Truppen in Afghanistan abgezielt hätten. Eine Rückkehr sei insbesondere für die Kinder der Beschwerdeführer nicht zumutbar, da sie einem realen Risiko ausgesetzt wären in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Mit Schreiben vom 12.07.2019, 15.07.2019, 14.08.2019, 03.10.2019, 11.12.2019, 06.02.2020, 18.02.2020 wurden weitere Unterlagen betreffend die Integration der Beschwerdeführer vorgelegt.
13. Mit Parteiengehör vom 21.11.2019 und vom 12.08.2020 wurde den Parteien die Möglichkeit gegeben zu den aktuellen Länderinformationsblättern der Staatendokumentation Stellung zu nehmen sowie aufgetragen bekannt zu geben, ob sich seit der letzten Verhandlung etwas an ihren Angaben, an ihrer Situation in Österreich bzw. im Herkunftsland oder an der Situation in Afghanistan geändert hat.
14. Mit Stellungnahme vom 24.08.2020 brachten die Beschwerdeführer vor, dass sie über kein soziales Netzwerk in Afghanistan verfügen würden und diese bei einer Rückkehr auf sich alleine gestellt wären. Sie seien als Angehörige der Hazara stärker von wirtschaftlichen Verschlechterungen betroffen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei angespannt. Es sei für eine Neuansiedlung in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ein starkes familiäres Netzwerk erforderlich. Zudem sei es aufgrund der COVID-19-Situation zu Einschränkungen gekommen und große Städte seien unter einen Lock-Down gestellt worden. Bewegungseinschränkungen wirken sich insbesondere auf die Unterstützungsmöglichkeiten durch Hilfsorganisation aus. Davon sei besonders Kabul betroffen. Zudem seien die Preise von Grundnahrungsmittels seit Beginn des Lockdowns erheblich gestiegen. Die wirtschaftliche Lage habe sich durch Betriebsschließungen, Steigerung der Arbeitslosigkeit verschlechtert. Insbesondere Tagelöhner seien in Afghanistan stark hungergefährdet.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
1.1.1. Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet. Diese haben zwei leibliche Töchter, die Drittbeschwerdeführerin, die den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 führt, und die Fünftbeschwerdeführerin, die den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 führt sowie einen leiblichen Sohn, den Viertbeschwerdeführer, der den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 führt. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und bekennen sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Die Beschwerdeführer sprechen Dari als Muttersprache. Der Erstbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Hazara an. Es kann nicht festgestellt werden, welcher Volksgruppe die Zweitbeschwerdeführerin angehört (Verwaltungsakt des Erstbeschwerdeführers – BF 1 AS 1, 73; Verwaltungsakt der Zweitbeschwerdeführerin – BF 2 AS 1, 59; Stellungnahme vom 21.03.2019; Verhandlungsprotokoll vom 11.03.2019 = VP 1, Sitzung 12).
Die Dritt-, der Viert- und die Fünftbeschwerdeführerin wurden nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, sie sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
1.1.2. Der Erstbeschwerdeführer wurde in der Stadt Kabul geboren und ist dort im Bezirk römisch 40 gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester in einem Eigentumshaus aufgewachsen (BF 1 AS 1, 75). Weder die Mutter noch der Vater des Erstbeschwerdeführers wurden von Mitgliedern der Taliban entführt und/oder getötet. Der Erstbeschwerdeführer hatte keine Schwierigkeiten mit seiner Stiefmutter. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer im Alter von ca. 13 Jahren in den Iran nach Teheran gezogen ist. Er hat mindestens römisch 40 Jahre lang eine Schule besucht (BF 1 AS 1, 75). Er hat den Beruf des Scheiders gelernt. Er hat zunächst drei Jahre und danach weitere 7,5 Jahre in einer anderen Textilfabrik als Schneider gearbeitet. Nebenbei war der Erstbeschwerdeführer als Kickboxtrainer tätig (VP 1, Sitzung 14 f, 17; BF 1 AS 1, 75, 85).
1.1.3. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Stadt Kabul geboren und ist im Stadtteil römisch 40 gemeinsam mit ihren Eltern und ihren sieben Geschwistern (drei Brüder und vier Schwestern) in einem Eigentumshaus aufgewachsen (BF 2 AS 57; Verhandlungsprotokoll vom 12.06.2019 = VP 2, Sitzung 8). Die Zweitbeschwerdeführerin ist keine Analphabetin; sie kann lesen und schreiben (VP 1, Sitzung 31 f). Es kann nicht festgestellt werden, ob sie die Schule besucht oder Privatunterricht erhalten hat. Ihr Vater ist für den Lebensunterhalt der Familie aufgekommen (BF 2 AS 1, 145 f; VP, Sitzung 34, 36).
1.1.4. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben in Afghanistan traditionell geheiratet (BF 2 AS 59, 63; VP 1, Sitzung 12, 30). Es hat sich dabei nicht um eine heimliche, gegen den Willen der Familien erfolgte Eheschließung gehandelt. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin war mit der Heirat einverstanden. Die Zweitbeschwerdeführerin ist nach der Heirat zum Erstbeschwerdeführer ins Haus seiner Familie gezogen. Die Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin – die Drittbeschwerdeführerin - wurde im Jahr römisch 40 in Afghanistan geboren. Im Jahr römisch 40 kam der Viertbeschwerdeführer in Afghanistan zur Welt. Der Erstbeschwerdeführer hat jahrelang als Schneider in einer Textilfabrik gearbeitet, die Zweitbeschwerdeführerin hat nach deren Heirat ebenfalls als Schneiderin gearbeitet. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben den Unterhalt für ihre Kinder bestritten (VP 2, Sitzung 6).
Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellten am 01.12.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Am römisch 40 wurde die Fünftbeschwerdeführerin in Österreich geboren.
1.1.5. Der Vater des Erstbeschwerdeführers wohnt zusammen mit seiner Frau – der Stiefmutter des Erstbeschwerdeführers – in Kabul im Bezirk römisch 40 (VP 1, Sitzung 18). Der Erstbeschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seinem Vater in Kabul.
1.1.6. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin, ihre vier Schwestern und drei Brüder leben nach wie vor in der Stadt Kabul im Stadtteil römisch 40 im Ort römisch 40 . Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin arbeitet auf Baustellen und stellt Türen und Fenster her. Ihre Mutter ist aufgrund von Herzproblemen nicht berufstätig. Eine Schwester der Zweitbeschwerdeführerin ist verheiratet und wohnt nicht im Eigentumshaus der Familie (VP 2, Sitzung 8 ff). Die Zweitbeschwerdeführerin hat regelmäßig Kontakt zu ihrer Familie in Kabul.
Darüber hinaus leben noch fünf Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits sowie zwei Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin in der Stadt Kabul (VP 2, Sitzung 8).
1.1.7. Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie sind gesund. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind arbeitsfähig (VP 1, Sitzung 23; VP 2, Sitzung 18).
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.
1.2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan von ihren Eltern und ihren Brüdern nicht entführt. Sie wurde auch nicht an einen (älteren) Mann zwangsverheiratet. Die Zweitbeschwerdeführerin war in Afghanistan keinen Misshandlungen ausgesetzt.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin werden aufgrund ihrer Heirat nicht von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin verfolgt.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben in Afghanistan traditionell geheiratet. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind eheliche Kinder. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin werden in Afghanistan nicht verdächtigt oder beschuldigt gegen die Scharia verstoßen zu haben oder sich unmoralisch verhalten zu haben.
Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor konkreten Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.
Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht den Beschwerdeführern weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin, ihren angeblich zwangsverheirateten Mann, staatliche Organe oder durch andere Personen.
1.2.2. Der Erstbeschwerdeführer hatte in Afghanistan keine konkret und individuell gegen ihn gerichteten Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Hazara. Er wurde aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit auch nicht an der Sportausübung in Kabul gehindert oder deshalb von Angehörigen der Taliban bedroht.
1.2.3. Die Zweit-, die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerinnen sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.
Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht zwar ausreichend Deutsch, darüber hinaus kümmert sie sich jedoch in Österreich primär um den Haushalt und ihre Kinder. Die Zweitbeschwerdeführerin bewegt sich hauptsächlich in ihrem räumlichen Nahebereich. Sie hat freundschaftliche Kontakte zu ihrer Deutschlehrerin und ihren Nachbarn schließen können, sie ist jedoch auch in Österreich nicht selbständig.
1.2.4. Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern ist es möglich, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren. Ihnen droht aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch sind sie deswegen einer Verfolgung oder Lebensgefahr ausgesetzt.
Die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer waren in Afghanistan auch keinen Misshandlungen durch ihre Verwandten mütterlicherseits ausgesetzt.
In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist insbesondere in Kabul faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern eine grundlegende Bildung zukommt. Die Eltern würden die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in Kabul in die Schule schicken und diesen eine Schulbildung ermöglichen. Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern droht in Kabul weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat oder sexuelle Ausbeutung (allenfalls als Bacha-Bazi) oder Misshandlungen.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin können in der Stadt Kabul ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführer können in Kabul im Eigentumshaus des Vaters des Erstbeschwerdeführers mit diesem und seiner Stiefmutter, wie bereits vor ihrer Ausreise, oder im Eigentumshaus der Eltern der Zweitbeschwerdeführerin wohnen.
Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern ist es möglich in der Stadt Kabul eine Schule zu besuchen und sich an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen, nämlich neue Kontakte knüpfen, die Schule besuchen, einen Beruf lernen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache vertiefen.
Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern droht in der Stadt Kabul weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat. Es droht diesen dort auch weder Missbrauch noch sexuelle Übergriffe Entführungen oder Ausbeutungen oder Gefahren durch explosive Kriegsrückstände.
Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind noch unmündige Minderjährige. Diese können ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht selber befriedigen. Durch die COVID-19-Situation hat sich die wirtschaftliche Lage in Kabul angespannt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und besonders Familien sowie Gelegenheitsarbeiter sind von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Situation betroffen. Es sind auch die Preise für Lebensmittel erheblich gestiegen. Es ist dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund der COVID-19-Situation und der damit zusammenhängenden wirtschaftlich angespannten Versorgunglage (trotz familiärer Unterstützung in Kabul) derzeit nicht möglich den notwendigen Lebensunterhalt für die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in der Stadt Kabul ausreichend sicher zu stellen.
Es ist den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern somit nicht möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt Kabul Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Beschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und halten sich seit zumindest 01.12.2015 durchgehend in Österreich auf.
Die Beschwerdeführer verfügen über keine Verwandte in Österreich.
Die Beschwerdeführer haben in Österreich freundschaftliche Kontakte knüpfen können (BF 1 AS 111 [ident mit AS 311]) und werden von den Betreuern der Unterkunft, den Einwohnern ihrer Wohngemeinde und von der Pfarrgemeinde sehr geschätzt (BF 1 AS 101 ff, 315, 317, 321 [bis auf das Ausstellungsdatum ident mit Beilage ./C], 323; Beilage ./E und ./K bis ./M; BF 2 OZ 6). Es bestehen jedoch keine Abhängigkeiten zu diesen.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war zu keiner Zeit geduldet. Sie waren weder Zeuge noch Opfer von Gewalt oder anderen strafbaren Handlungen in Österreich, ihre Anwesenheit ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen erforderlich. Es wurde nie eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO erlassen; es lag nie ein Sachverhalt vor, auf Grund dessen eine einstweilige Verfügung hätte erlassen werden können.
1.4.1. Der Erstbeschwerdeführer:
Der Erstbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht (BF 1 AS 99, 101) und die ÖSD Deutschprüfung am 09.04.2018 für die Stufe A1 gut sowie am 09.11.2018 für die Stufe A2 bestanden (BF 1 OZ 8; Beilage ./B). Er verfügt jedoch lediglich über geringe Deutschkenntnisse (VP 1, Sitzung 9 f).
Der Erstbeschwerdeführer hat an einem Werte- und Orientierungskurs und einem Erste-Hilfe-Führerscheinkurs teilgenommen (BF 1 OZ 24 und 26).
Der Erstbeschwerdeführer geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (Beilage ./I; VP 1, Sitzung 20). Der Erstbeschwerdeführer hat eine Einstellungszusage als Staplerfahrer (Beilage ./J).
Er erbringt seit 22.11.2016 ehrenamtlich gemeinnützige Hilfstätigkeiten im Ausmaß von 8 Wochenstunden im Bauhof der Gemeinde (BF 1 AS 105, 319; Beilage ./H).
Der Erstbeschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).
1.4.2. Die Zweitbeschwerdeführerin:
Die Zweitbeschwerdeführerin hat Deutschkurse besucht (BF 2 AS 81) und die ÖSD Deutschprüfung am 30.01.2018 für die Stufe A1 sehr gut sowie am 09.11.2018 für die Stufe A2 bestanden (BF 2 OZ 7; Beilage ./A). Sie hat vom 07.10.2019 bis 06.02.2020 erneut an einem Deutschkurs auf dem Niveau A2 teilgenommen. Sie verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse um auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren (VP 2, Sitzung 11 f). Die Zweitbeschwerdeführerin besucht derzeit gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer einen Deutschkurs auf dem Niveau B1 (OZ 40).
Die Zweitbeschwerdeführerin hat an einem Werte- und Orientierungskurs und einem Erste-Hilfe-Führerscheinkurs teilgenommen (BF 2 OZ 29 und 31).
Die Zweitbeschwerdeführerin geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (Beilage ./I; VP 2, Sitzung 13, 16). Sie hat drei- oder viermal Remunerationstätigkeiten für eine Bekannte erbracht (VP 2, Sitzung 14). Sie verfügt über ein Anstellungsangebot als Haushaltshilfe im Ausmaß von 10-15 Wochenstunden (Beilage ./D).
Die Zweitbeschwerdeführerin hat ehrenamtlich bei den Vorbereitungen, beim Sortieren, im Verkauf sowie bei den Aufräumarbeiten für den jährlichen Flohmarkt des Roten Kreuz mitgeholfen (BF 2 OZ 32).
Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).
1.4.3. Die Dritt-, der Viert- und die Fünftbeschwerdeführerin:
Die römisch 40 jährige Drittbeschwerdeführerin besuchte in Österreich im Schuljahr 2017/18 die römisch 40 Klasse der Volksschule als außerordentliche Schülerin (BF 2 OZ 10 und 11). Im Schuljahr 2018/19 besuchte die Drittbeschwerdeführerin die römisch 40 Schulstufe, im Schuljahr 2019/20 die römisch 40 Schulstufe der Volksschule als ordentliche Schülerin (Beilage ./O und ./P; BF 3 OZ 27). Die Drittbeschwerdeführerin ist sehr gut in die Klassengemeinschaft integriert (BF 3 OZ 7; Beilage ./T).
Die Drittbeschwerdeführerin nimmt seit dem Winter-Semester 2016 aktiv am Übungsbetrieb „Turnen Kinder“ und „Judo“ und „Mädchenturnen“ teil. Sie hat am 23.6.2017 erfolgreich die erste Gürtelprüfung abgelegt (BF 3 OZ 6, 13; Beilage ./S). Sie hat beim Mannschaftsgerätewettkampf am 25.11.2018 sowie am 24.11.2019 jeweils den 10. Rang erreicht (BF 3 OZ 26, 27). Sie hat am 23.02.2019 am Bewegungstag teilgenommen (Beilage ./R).
Der römisch 40 jährige Viertbeschwerdeführer besuchte in Österreich im Schuljahr 2017/18 die römisch 40 Klasse der Volksschule als außerordentlicher Schüler (BF 3 OZ 10 und BF 2 OZ 11). Im Schuljahr 2018/19 besuchte der Viertbeschwerdeführer die römisch 40 Schulstufe, im Schuljahr 2019/20 die römisch 40 Schulstufe der Volksschule als ordentlicher Schüler (Beilage ./O und ./Q; BF 4 OZ 21).
Die römisch 40 jährige Fünftbeschwerdeführerin wird von der Zweitbeschwerdeführerin zuhause betreut (VP 1, Sitzung 9; VP 2, Sitzung 15 f).
Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind in Österreich aufgrund ihres Alters noch strafunmündig.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019 mit Kurzinformation vom 21.07.2020 (LIB),
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
- EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (EASO),
- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (Beilage ./III),
- Dossier der Staatendokumentation Grundlage der Stammes- und Clanstruktur
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017 (Frauen in urbanen Zentren)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Anzahl an Kindern in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 (Anzahl der Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bildungsmöglichkeiten für Kinder in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 06.05.2019 (Bildungsmöglichkeiten für Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Erpresserischer Entführung von Kindern vom 06.05.2019 (Erpresserische Entführungen von Kindern)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Kinderarbeit und Ausbeutung Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 (Kinderarbeit und Ausbeutung)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Kinderehen und Zwangsehen vom 03.05.2019 (Kinderehen und Zwangsehen)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Kinderschutzprogramme vom 03.05.2019 (Kinderschutzprogramme)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Rückkehrleistungen für Familien bzw. Kinder vom 14.05.2019 (Rückkehrleistungen für Familien bzw. Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Sexuellen Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 06.05.2019 (Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Sicherheitslage von Kindern in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 09.05.2019 (Sicherheitslage für Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 10.05.2019 (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Zugang zu Lebensmitteln vom 03.05.2019 (Zugang zu Lebensmitteln)
- Bericht ACCORD und Sozioökonomische Lage von Herat und Mazar-e Sharif vom 26.11.2019 (Beilage ./XVIII)
1.5.1. Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel römisch II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 4).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen (LIB, Kapitel 2).
1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlingsund Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf). Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, römisch fünf).
1.5.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, römisch fünf).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).
1.5.4. Ethnische Minderheiten
In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).
1.5.4.1. Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen ist. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB, Kapitel 16.3).
Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre turko-mongolide Physiognomie, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (Dossier der Staatendokumentation Grundlage der Stammes- und Clanstruktur).
Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB, Kapitel 16.3).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (LIB, Kapitel 16.3).
Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB, Kapitel 16.3).
1.5.4.2. Turkmenen
Die Turkmenen sind Sunniten und siedeln vor allem in den nordwestlichen Gebieten Afghanistans zwischen Herat und Balkh, kleinere Gruppen sind in der Provinz Kunduz sowie in den Städten Kabul und Laschkargah zu finden. Sie verfügen über eine die ganze Gruppe vereinende genealogische Tradition. Die bedeutendsten Stammlinienverbände auf afghanischem Gebiet sind die Ersari und die Tekke, außerdem gibt es Sariq, Yomut u.a. Viele Turkmenen sind Anfang des 20. Jahrhunderts aus den Gebieten der nach ihnen benannten Republik Turkmenistan nach Afghanistan übergesiedelt Turkmenen waren traditionell Reiternomaden. In Afghanistan führen die meisten heute eine auf Landwirtschaft und Viehzucht basierende Lebensweise als Halbnomaden. Karakulschafe sowie Teppiche und Schmuck sind wichtige Erzeugnisse ihrer Wirtschaft. Außer in Afghanistan und Turkmenistan sind Turkmenen in Iran, in der Türkei, in Pakistan und China zu finden (Dossier der Staatendokumentation Grundlage der Stammes- und Clanstruktur).
1.5.5. Religionen
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten und c.a 10 – 19% Shiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15, 15.1).
Die Schiiten Afghanistans sind mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren lokale Diskriminierungsfälle (LIB Kapitel 15.1).
In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB Kapitel 15.1).
1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel römisch II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel römisch II. C. 2).
1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 18).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschaftsbzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).
1.5.8. Korruption, Dokumente
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International belegt Afghanistan, von 180 untersuchten Ländern den 172. Platz, was eine Verbesserung um fünf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (LIB, Kapitel 6).
Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt. Beamte gehen oft ungestraft korrupten Praktiken nach. Es kam jedoch in den vergangenen Jahren zu leichten Verbesserungen bei der Wahrnehmung der Rechenschaftspflicht in der öffentlichen Verwaltung (LIB, Kapitel 6).
Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan weist gravierende Mängel auf und stellt aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor. Sämtliche Urkunden in Afghanistan können problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden (LIB, Kapitel 23).
1.5.9. Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 2.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, römisch III.3).
Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).
1.5.10. Situation für Rückkehrer
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück. Vom 01.01.2020 bis 18.05.2020 kehrten 279.738 Afghanen aus dem Iran nach Afghanistan zurück (LIB, Kapitel 22).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 22).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 22).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 22).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 22).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 22).
1.5.10. COVID-Situation:
Es haben sich mehr als 35.000 Menschen in Afghanistan mit dem COVID-Virus angesteckt, davon sind 1.280 am COVID-Virus gestorben. Kabul ist am stärksten von COVID-Erkrankungen betroffen. Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Mit dem Dastarkhan-e-Milli-Programm möchte die afghanische Regierung Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten.
Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen. Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen.
Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht.
Der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs wird in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung. Am meisten betroffen sind Menschen mit Behinderungen oder Familien, die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli ist um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind. 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden (LIB, Seite 8ff).
1.5.12. Frauen
Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017).
Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung – diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten „Manteau shalwar“ tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten (Frauen in urbanen Zentren, Sitzung 2).
In Kabul- Stadt gibt es ein Familienkino für Frauen und den „Frauen-Garten“ (Bagh-e zanan) — ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende (Frauen in urbanen Zentren, Sitzung 29 f).
Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten (Frauen in urbanen Zentren Sitzung 22). In urbanen Zentren werden zudem vermehrt Freizeitangebote speziell für Frauen angeboten (Frauen in urbanen Zentren Sitzung 29 ff).
Traditionen, Rollenbilder, die Sicherheitslage, ländliche Umgebungen und die Armut bzw. beschränkte finanzielle Ressourcen sind Faktoren dafür, dass Mädchen seltener die Schule besuchen als Buben. Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich seit 2015 erhöht. Es gibt Bildungsprogramme für Mädchen und junge Frauen, die sich auch mit sicheren Transportmöglichkeiten für diese befassen. Es gibt auch Stipendien für Frauen (LIB Kapitel 17.1).
Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert. Der Anteil der Erwerbsbeteiligung bei Frauen hat sich auf 27% erhöht. Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB Kapitel 17.1).
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB Kapitel 17.1).
Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen, doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann eine alleinstehende Frau selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In den Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif können sich Frauen auch ohne männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen (LIB Kapitel 17.1).
Trotz eines Gesetzes, das das minimale Heiratsalter auf 18 Jahre für Männer und 16 Jahre bei Mädchen (bzw. 15 Jahren bei Einverständnis der Eltern oder eines Richters) festlegt, ist die Praxis von erzwungenen Heiraten und Kinderehen in Afghanistan verbreitet. Armut, Analphabetismus, Genderdiskriminierung und fehlender Zugang zu Gesundheit und Bildung sind die wichtigsten treibenden Faktoren für Kinderheirat. Für eine Kinderehe bedarf es der Zustimmung der Eltern (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Kinderehen, Zwangsehen vom 03.05.2019; LIB, Kapitel 17.1)
1.5.13. Kinder
Die Stadt Kabul hat über vier Millionen Einwohner. Die Bevölkerungszahl für die Stadt Herat beträgt 507.000 Einwohner, für die Stadt Mazar-e Sharif 428.000 Einwohner. In der Provinz Kabul sind ca. 41% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 24% entfallen auf die Altersgruppe 15-24 Jahre, 18% auf die Altersgruppe 25-39 Jahre, 14% auf die Altersgruppe 40-59 Jahre und 3% auf die Altersgruppe der über 60jährigen. In der Provinz Herat sind ca. 49% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 20% entfallen auf die Altersgruppe 15-24 Jahre, 15% auf die Altersgruppe 25-39 Jahre, 13% auf die Altersgruppe 40-59 Jahre und 3% auf die Altersgruppe der über 60jährigen. In der Provinz Balkh (Hauptstadt Mazar-e Sharif) sind ca. 44% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 22% entfallen auf die Altersgruppe 15-24 Jahre, 17% auf die Altersgruppe 25-39 Jahre, 14% auf die Altersgruppe 40-59 Jahre und 3% auf die Altersgruppe der über 60jährigen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend die Anzahl der Kinder).
Sicherheitslage für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif
Im Jahr 2018 waren 28% aller zivilen Opfer Kinder (3.062 Opfer – 927 Tote und 2.135 Verletzte), davon waren 71% Buben und 27% Mädchen. 39% der Opfer unter Kinder gehen auf Bodeneinsätze zurück, 17% auf improvisierte Bomben (Nicht-Selbstmord), 16% auf Luftangriffe, 14% auf explosive Kampfmittelrückstände, 9% auf Selbstmord- und komplexe Angriffe und 3% auf die Taliban (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.05.2019 betreffend Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 26 f). Die Sicherheitslage in den einzelnen Polizeidistrikten Kabuls hängt davon ab, ob es sich um Wohngebiete oder um Distrikte mit Regierungsstandorten, Sicherheitseinrichtungen (Militärakademie), ausländischen Organisationen oder um Gebiete an wichtigen Infiltrationswegen der Aufständischen oder der Autobahn handelt. In Distrikten mit wichtigen Einrichtungen ist die Präsenz der Sicherheitskräfte entsprechend hoch. Reine Wohngebiete sind relativ sicher. Die allgemeine Kriminalität ist in vielen Distrikten Kabuls hoch (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 29 ff). In Kabul und Herat kam es zu Angriffen auf Ausbildungseinrichtungen und Schülerinnen (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 36, 40).
Im Jahr 2018 gab es 492 Opfer (150 Tote und 342 Verletzte) durch explosive Kampfmittelrückstände im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, was einer Abnahme an Opfern um 23% gegenüber dem Jahr 2017 entspricht. Der Rückgang geht auf Faktoren wie der Bergung von explosiven Kampfmittelrückständen auf Schlachtfeldern, kombiniert mit Aufklärungsprogrammen und der Markierung von vermuteten Gefahrenbereichen zurück. Kinder wurden überproportional Opfer von explosiven Kampfrückständen. Im Jahr 2018 machten sie 87% aller Opfer aus (136 Tote und 290 Verletzte) (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 3). Die meisten Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen im Jahr 2018 sind in Afghanistan auf kürzlich stattfindende Kampfhandlungen zurückzuführen. Vertriebene Familien sind einem großen Risiko ausgesetzt, wenn sie in Gebiete zurückkehren, in denen schwere Kämpfe stattgefunden haben (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 2). Die 14 der 16 Distrikte der Provinz Herat – einst eine der am stärksten kontaminierten Gebiete Afghanistans – wird nach zehnjähriger Entminungstätigkeit nun als sicher eingestuft (Sicherheitslage für Kinder, Sitzung 2, 9). in den Jahren 2018 und 2019 (bis 7.5.)
Versorgungssituation der Kinder in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif
Kabul importiert den Großteil des Bedarfs an Lebensmitteln aus umliegenden Regionen und dem Ausland, weshalb es weniger von Lebensmittelnotständen betroffen ist. Es kommt zu großen Schwankungen bei der Lieferung und somit zu Knappheit bei bestimmten Lebensmitteln. Die Lebensmittelversorgung in Kabul und Mazar-e Sharif ist (mit Stand Dezember 2018) angespannt, sodass trotz humanitärer Unterstützung mindestens ein Fünftel der Haushalte einen minimal ausreichenden Lebensmittelkonsum aufweist, aber nicht in der Lage ist notwendige Ausgaben abseits von Lebensmitteln zu bestreiten. Herat befindet sich betreffend die Lebensmittelversorgung in der Krise, sodass trotz humanitärer Hilfe mindestens ein Fünftel der Haushalte Mängel in der Lebensmittelversorgung oder überdurchschnittliche Mangelernährung aufweisen bzw. kaum in der Lage waren das Minimum des Lebensmittelbedarfs zu decken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Zugang zu Lebensmitteln, Sitzung 3 f).
Ca. 70% der Kabuler Bevölkerung lebt in informellen Siedlungen (= Wohngebiete, die entweder auf Grundstücken errichtet wurden, auf die die Bewohner keinen Rechtsanspruch haben und/oder Wohngebiete, die nicht den Planungs- und Bauvorschriften entsprechen). Die Stadt Kabul hat zwar kein zentrales Abwassersystem, jedoch verfügt fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul über grundlegende sanitäre Einrichtungen (= Einrichtungen, die nicht gemeinsam genutzt und durch welche Exkremente entweder sicher entsorgt oder entfernt werden). Die Qualität des Grundwassers ist auch durch das in den Kabul-Fluss eingeleitete häusliche und industrielle Abwasser gesunken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 3).
Ca. 65.000 Wohnungen in Kabul sind an das kommunale Wassersystem angeschlossen. Viele der 213.000 Brunnen in der Stadt haben die Menschen selbst gegraben (Zugang zu Lebensmitteln, Sitzung 8 f). Viele Bewohner Kabuls sind auf öffentliche Wasserhähne angewiesen, die von ihren Häusern oft weit entfernt sind. Es ist in der Regel Aufgabe von kleinen Kindern (oft Mädchen) das Wasser zu holen (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 4). Die Stadtverwaltung hat zum Wassersparen aufgerufen und verfolgt Pläne um die durch die steigende Nachfrage und den Wasserverbrauch gesunkenen Grundwasserspeicher wieder aufzufüllen (Zugang zu Lebensmitteln, Sitzung 8 f). Städtische Rückkehrer und Binnenvertriebene haben gleichberechtigten Zugang zu Wasser wie die aufnehmende Gesellschaft (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 2).
In der Stadt Herat leben ca. 5% der Bevölkerung in weichen Strukturen oder Zelten. Herat-Stadt hat kein zentrales Abwassersystem. 80% der Einwohner der Stadt Herat haben Zugang zu Netzstrom, 70% zu Wasser und 30% zu Abwasserentsorgung. Herat war das Ziel von rund 60.000 Menschen, die aufgrund von Dürre vertrieben wurden. Diese Menschen leben in überfüllten Lagern in und um Herat-Stadt (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 4 f).
In Mazar-e Sharif leben 66,5% in Eigentumshäusern, während 24,5% ihre Wohnung mieten. 76% der Bewohner Mazar-e Sharifs haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen aus Rohrleitungen oder Brunnen und 92% der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen (Wasserversorgung und Sanitäranlagen für Kinder, Sitzung 5).
Bildungsmöglichkeiten, Kinderarbeit und Ausbeutung von Kindern in Kabul, Herat und Mazer-e Sharif
In Afghanistan gibt es öffentliche und kostenlose Grundschulen. Alle Kinder haben ein Recht auf den Schulbesuch, aber die Eltern sind nicht verpflichtet ihre Kinder in die Schule zu schicken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 9). Es gibt auch kostenpflichtige private Schulen, in Herat kann die Schulgebühr für private Schulen bis zu 1.500 USD kosten. Der Anteil an Privatschülern in Afghanistan beträgt zwischen 2% und 5% (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 2, 5). Kabul ist der gebildetste Teil von Afghanistan, die Provinz Kabul hat eine der höchsten Schulbesuchsraten unter den Elementarschülern. In der Stadt Kabul gingen ca. 22% der Kinder nicht in die Schule, der Anteil von Mädchen, die keine Schule besuchen, liegt unter 30% (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 3 f). In der Stadt Herat besuchen 79,6% der Buben und 76,2% der Mädchen eine Elementarschule, 42,3% der Buben und 41,7% der Mädchen besuchen eine Sekundarschule. Die Alphabetisierungsrate ist in der Stadt Mazar-e Sharif höher als in der Stadt Herat. Die Provinz Balkh hat eine der höchsten Einschulungsraten für Mädchen in Afghanistan (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 5). Mädchen, Kinder die in ländlichen Gebieten wohnen, Kuchis, Kinder mit Behinderungen und Kinder in schlechten wirtschaftlichen Lagen haben schlechtere Bildungschancen (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 3). Die schlechte wirtschaftliche Lage einer Familie kann dazu beitragen, dass Kinder die Schule nicht besuchen. Das traditionelle Rollenverständnis bei Mädchen, die eine ablehnende Einstellung der Familie eines Mädchens zur Notwendigkeit der Schulbildung für Mädchen und die Verheiratung von Mädchen im jungen Alter, führt dazu, dass Mädchen seltener die Schule besuchen (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 2, 10). Rund 60% der Kinder in Afghanistan, die keine Schule besuchen, sind Mädchen. Ein Großteil der Kinder, die keine Schule besuchen, lebt im ländlichen Raum (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 4). Binnenvertriebene und Rückkehrer haben erschwerten Zugang zu Bildung, wobei im Städtischen Bereich die Schulbesuchsrate höher als im ländlichen Gebiet ist. Auch das Fehlen einer Tazkira kann einen Schulbesuch erschweren oder verhindern (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 4). An Schulen kommt physische Gewalt nur selten vor (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder, Sitzung 18 f)
Ökonomische Zwänge, mangelnde Qualität der gebotenen Schulbildung sowie tradierte Vorstellungen altersgemäßer Beschäftigung der Kinder veranlasst Eltern ihre Kinder anstelle eines Schulbesuchs arbeiten zu lassen. In den Städten gibt es Arbeitsmöglichkeiten ähnlich einem Lehrlingsverhältnis. Hierbei kann es jedoch zu Misshandlungen durch den Arbeitgeber kommen, es besteht für die Lehrlinge nur wenig Schutz. Die Bezahlung der Lehrlinge ist – verglichen mit anderen Formen der Kinderarbeit – sehr gering. Da Kinder, die gleichzeitig arbeiten und zur Schule gehen mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert sind (Ausgrenzung in der Schule, negative Einstellung der Schule und des Arbeitgebers, Doppelbelastung, etc), begünstigt dies einen Schulabbruch der Kinder (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, Sitzung 2, 11 f).
In den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif kommt es trotz gesetzlichen Verboten zu Kinderarbeit und Ausbeutung (= eine Verrichtung von Tätigkeiten, für welche die eingesetzten Kinder zu jung sind, Schwerarbeit und gesundheitsschädliche Tätigkeiten oder sexuelle Ausbeutung) (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 1). In Afghanistan sind 29% der Kinder im Alter von 5 und 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 11). Das Risiko von Ausbeutung und Gewalt ist für arbeitende Kinder besonders groß, da die Einhaltung von Arbeitsgesetzen kaum überwacht wird (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 6 f). Rund ein Fünftel der Binnenvertriebenen im städtischen Raum sind auf Kinderarbeit angewiesen. Insbesondere in Kabul ist Kinderarbeit weit verbreitet, was sowohl auf die größere ökonomische Verwundbarkeit der Binnenvertriebenen, wie auch die „relativ dynamische“ Wirtschaft der Hauptstadt, welche eine höhere Nachfrage nach Kinderarbeit schafft, zurückzuführen ist (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 2, 3 f). Treibender Faktor von Kinderarbeit ist der ökonomische Zwang. Zudem ist ausschlaggebend, ob Familien intakt sind oder ob bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen und weiters ist die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung. Die Familien, die ihre Kinder arbeiten schicken, verfügen über keine sozialen Netzwerke oder gemeinschaftliche Unterstützung, wodurch die Notwendigkeit von Kinderarbeit für diese Familien verringert werden könnte (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 2, 5 f). Entgegen dem Willen der Eltern findet keine Kinderarbeit statt (Kinderarbeit und Ausbeutung, Sitzung 2).
Kinder- und Zwangsehen
Das afghanische Zivilgesetzbuch sieht ein gesetzliches Mindestalter für eine Heirat vor, dieses liegt bei Mädchen bei 16 Jahren und bei Jungen bei 18 Jahren (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 3). Erzwungene und Baad-Heiraten (die Übergabe eines Mädchens zur Konfliktbereinigung) sind verboten. Dennoch sind in Afghanistan frühe oder erzwungene Heiraten weit verbreitet (Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 2). Wenn die Familie oder eine Jirga eine Swara-Heirat (die Übergabe des Mädchens wird statt der Zahlung von Blutgeld vereinbart) beschließt, müssen betroffene Mädchen oder Frauen sich fügen (Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 6, 9 ff). Kinder, überwiegend Mädchen, werden gegen Geld (zwangs)verheiratet. Armut, Analphabetismus, Genderdiskriminierung und fehlender Zugang zu Gesundheit und Bildung sind die wichtigsten treibenden Faktoren für eine Kinderheirat. Der Anteil an Kinderehen erhöht sich stark in Lagern für Binnenvertriebene, da dort extreme finanzielle Not, Analphabetismus, fehlender Zugang zu Gesundheit und wirtschaftlichen Möglichkeiten noch mehr verbreitet ist (Kinderehen, Zwangsehen, Sitzung 3, 6 f).
Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe und Erpresserische Entführung von Kindern
In den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat kommt es nach wie vor zu körperlichen Übergriffen bzw. physischer Gewalt gegenüber Kindern im familiären Umfeld. Sexueller Missbrauch findet innerhalb der Familie nur sehr selten statt, jedoch geht man von einer hohen Dunkelziffer aus (Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder, Sitzung 16 ff).
Es gibt auch seitens der Sicherheitskräfte sexuelle Übergriffe auf Kinder, insbesondere in Form von Bacha Bazi. Während Offiziere von niedrigem Rang und Soldaten aufgrund von Kindesmissbrauchs angeklagt werden, fällt es höherrangigen Offizieren, die über Macht und Geld verfügen leicht, mittels Drohungen für Schweigen über ein Verbrechen zu sorgen (Sexueller Missbrauch, körperliche Übergriffe auf Kinder, Sitzung 10 f).
In den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif kommt es vermehrt zu Entführungen. Davon sind insbesondere, aber nicht nur als wohlhabend wahrgenommene Personen bzw. deren Familien, darunter auch Kinder, betroffen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Erpresserische Entführungen von Kindern, Sitzung 2). Entführer sind nicht Mitglieder einer bewaffneten Gruppierung und ihre Motive sind nicht ideologisch motiviert (Erpresserische Entführungen von Kindern, Sitzung 16). Die Polizei verfolgt jeden Entführer, doch die Unfähigkeit der Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung lässt viele Leute denken, dass einige Kriminelle mit der Polizei zusammenarbeiten würden (Erpresserische Entführungen von Kindern, Sitzung 14).
Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif
Beim Zugang zu Gesundheitseinrichtungen bestehen erhebliche geografische Unterschiede, wobei die Versorgungslage in den Städten besser ist als am Land. Auch die wirtschaftliche Lage einer Familie hat wesentliche Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung der Kinder. Routineuntersuchungen von Kindern sind aus finanziellen, kulturellen und religiösen Gründen unüblich. Der Zugang zu Impfungen ist im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Viele Kinder und Jugendliche leiden an unbehandelten psychischen Störungen aufgrund von Traumata und Stress wegen Konflikten, Binnenvertreibung, Armut und Gewalt. (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 2, 12 f).
In Kabul gibt es zwei öffentliche Einrichtungen die eine stationäre psychiatrische Versorgung kostenlos bieten. Entsprechende private Einrichtungen bieten keine stationäre, jedoch ambulante psychiatrische Behandlung an. Medikamente sind in den Krankenhäusern nicht immer kostenlos erhältlich (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 4 f). In der Stadt Kabul gibt es drei Krankenhäuser mit Kinderfachärzten sowie zwei Einrichtungen mit Kinderpsychologen (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 13, 21).
In der Stadt Herat ist die stationäre Behandlung durch einen Psychologen nur in einem privaten Krankenhaus möglich. Ambulante psychiatrische Behandlungen werden auch im öffentlichen Herater Regionalkrankenhaus kostenlos angeboten (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 4, 6).
In Mazar-e Sharif gibt es ca. 10-15 Krankenhäuser, die meisten davon privat sowie 30-50 Gesundheitskliniken und zwei Einrichtungen die psychiatrische Dienste bereitstellen (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 6 f).
Obwohl die Behandlung in öffentlichen Einrichtungen kostenlos sein sollte, werden in der Praxis dennoch Gebühren verlangt und ist es auch übliche Praxis, dass Patienten den Arzt bestechen um qualitativ besser behandelt zu werden. Ein Elternteil kann ohne zusätzliche Kosten mit einem stationär aufgenommenem Kind im Krankenhaus übernachten, da sich diese ein Bett teilen müssen (Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder, Sitzung 16 f).
Kinderschutzprogramme
Das afghanische Frauenministerium hat gemeinsam mit dem Ministerium für Information und Kultur Initiativen zur Vorbeugung und Beendigung von Kinderheiraten sowie Gesetze und Unterstützungen für Menschen, die davon betroffen sind geplant (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 betreffend Kinderschutzprogramme, Sitzung 2).
Die afghanische Regierung hat folgende Maßnahmen gesetzt um Kinder zu schützen:
1. Gründung des Child Protection Action Network in über 100 Distrikten und 33 Provinzen. Im Programm wurden 2014-2015 5.411 Fälle vulnerabler Kinder behandelt und 492 Kinder wurden vor den schlimmsten Formen der Kinderarbeit geschützt.
2. Einrichtung eines Systems für Reintegration vulnerabler Kinder in ihre Familien. 2014-15 erhielten 264 Kinder temporäre soziale Unterstützung und wurden mit ihren Familien wieder vereint.
3. Einrichtung von 39 Waisenhäusern, zusätzlich zu 52 privaten Waisenhäusern, die Unterstützung und Schutz für insgesamt 20.220 Waisenkinder bieten.
4. Einrichtung eines sozialen Sicherheitsnetzes mit finanzieller Unterstützung für arme Familien mit Kindern. 2016 wurden über 15.000 solcher Familien mit Kindern unter fünf Jahren identifiziert.
5. Im Jahr 2014-15 wurden 19.000 Straßenkinder in Schulen aufgenommen (Kinderschutzprogramme, Sitzung 8 f).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, durch Einvernahme des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:
2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.
Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.
Sofern die Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom 21.03.2019 nunmehr konkrete Geburtsdaten nannten, ist festzuhalten, dass diese – insbesondere betreffend den Erstbeschwerdeführer – von ihren bisherigen Geburtsdaten enorm abweichen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass es sich bei den geführten Geburtsdaten nicht um ihre tatsächlichen Geburtsdaten handelt, jedoch wurden diese in der Erstbefragung aufgrund ihrer Altersangaben festgesetzt. Dass der Erstbeschwerdeführer nunmehr ein Geburtsdatum nannte, nach dem er vier Jahre älter sei ( römisch 40 = römisch 40 – römisch 40 ), ist daher nicht nachvollziehbar. Zudem ergibt sich auch bezüglich des Geburtsdatums ( römisch 40 = römisch 40 ) der Drittbeschwerdeführerin ein erheblicher Widerspruch zum bisher genannten Alter ( römisch 40 ). Der im Verfahren vorgelegten vermeintlichen Scheidungsurkunde, die am 07.05.1392 (= 29.07.2013) ausgestellt worden ist, ist jedoch zu entnehmen, dass die Drittbeschwerdeführerin römisch 40 Jahre alt und somit (in der römisch 40 Jahreshälfte) im Jahr römisch 40 geboren ist. Hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers geht aus der vermeintlichen Scheidungsurkunde hervor, dass er bereits römisch 40 Jahre alt ist. Gemäß dem in der Stellungnahme vom 21.03.2019 genannten Geburtsdatum des Viertbeschwerdeführers ( römisch 40 = römisch 40 ) wäre der Viertbeschwerdeführer jedoch erst im römisch 40 römisch 40 Jahre alt geworden. Zudem ist nicht plausibel, warum die Beschwerdeführer weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung am 11.03.2019 Fehler betreffend ihr genanntes Geburtsdatum geltend machten, sondern vielmehr, die in der Erstbefragung festgesetzten Geburtsdaten nannten und erstmals in der Stellungnahme 21.03.2019 ein entsprechendes Vorbringen erstatteten. Nicht nachvollziehbar ist auch warum die Beschwerdeführer nunmehr ihre konkreten Geburtsdaten nennen konnten, dies jedoch nicht bereits in der Erstbefragung getan haben. Die Angaben der Beschwerdeführer betreffend ihre nunmehr konkret angeführten Geburtsdaten sind daher nicht glaubhaft.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zu den familiären Verhältnisse der Beschwerdeführer zueinander, ihrer Religionszugehörigkeit, der Volksgruppenzugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers, der Muttersprache der Beschwerdeführer sowie ihrem jeweiligen Lebenslauf (ihr Aufwachsen und ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Afghanistan sowie zur Berufserfahrung des Erstbeschwerde-führers) gründen sich auf den diesbezüglich schlüssigen Aussagen der Beschwerdeführer. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihrer Volksgruppenzugehörigkeit befragt in der Erstbefragung, in der Beschwerdeverhandlung und in der Stellungnahme vom 21.03.2019 an, dass sie eine Angehörige der Hazara sei (BF 2 AS 1; VP 1, Sitzung 31). In der Einvernahme beim Bundesamt gab sie hingegen an, Turkmenin zu sein (BF 2 AS 59). Dass sie auch beim Bundesamt angegeben habe eine Angehörige der Hazara zu sein und lediglich bezüglich ihrer Abstammung auf den turkmenischen Stamm verwiesen habe – wie sie dies in der Beschwerdeverhandlung behauptete (VP 1, Sitzung 30) – ist nicht plausibel, zumal sie in der der Beschwerde angefügten Stellungnahme, ausführte, dass es sich bei den Turkmenen um einen Stamm der Hazara handle und ihre Aussagen somit nicht im Widerspruch zueinander stehen. Hätte die Zweitbeschwerdeführerin – wie nunmehr behauptet – die Volksgruppe der Turkmenen nicht im direkten Zusammenhang mit ihrer Volksgruppe, sondern ihrer Abstammung erwähnt, hätte sie dies bereits in der Stellungnahme im Zuge der Beschwerde vorbringen können. Zudem wurde in der Stellungnahme vom 21.03.2019 vorgebracht, dass die Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt angegeben habe den Hazara anzugehören und sie dort lediglich angeführt habe, dass sie in einer Ortschaft mit den turkmenischen Bewohnern gelebt habe (BF 2 OZ 21). Es fällt daher auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin auch betreffend ihre Aussage beim Bundesamt, in welchem Zusammenhang sie die turkmenische Volksgruppe erwähnt habe, widersprüchliche Aussagen tätigte. Ob sie nun von der turkmenischen Volksgruppe abstamme oder lediglich mit ihnen in einem Ort gelebt habe, mache zudem einen erheblichen Unterschied. Aufgrund der derart differenzierenden Angaben ist offenkundig, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht der Wahrheit entsprechende Angaben tätigte. Den Länderberichten ist nicht zu entnehmen, dass es sich bei der Volksgruppe der Turkmenen um einen Stamm der Hazara handelt. Es kann daher nicht festgestellt werden, welcher Volksgruppe die Zweitbeschwerdeführerin angehört.
Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut sind, ergibt sich daraus, dass sie in Afghanistan geboren und aufgewachsen sind und dort den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben. Da die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im Familienverband aufwachsen und sie vom Erst- und von der Zweitbeschwerdeführerin erzogen werden, steht fest, dass diese mit den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert werden. Die Eltern der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und schiitische Muslime, die in Afghanistan aufgewachsen sind. Da der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin somit selbst mit der afghanischen Kultur groß geworden sind und die afghanischen Gepflogenheiten vermittelt bekommen haben, ist davon auszugehen, dass diese den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern die afghanische Landessprache und die afghanische Kultur vermitteln und im Familienverband nach den afghanischen Gepflogenheiten leben.
2.1.2. Der Erstbeschwerdeführer gab beim Bundesamt zunächst an, dass er im Alter von 12 Jahren mit seiner Mutter auf dem Weg von Kabul nach Herat gewesen sei, als sie von Mitgliedern der Taliban wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara angegriffen worden seien. Seine Mutter sei dabei getötet worden (BF 1 AS 71). Auf Nachfrage gab der Erstbeschwerdeführer an, seine Aussage korrigieren zu wollen. Er sei nicht mit seiner Mutter gemeinsam gereist, sondern diese sei alleine gewesen, weil sie jemanden besuchen habe wollen (BF 1 AS 73). Es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer zunächst präzise angibt im Alter von 12 Jahren mit seiner Mutter auf dem Weg von Kabul nach Herat gewesen und von Taliban angegriffen worden zu sein, wenn er tatsächlich gar nicht dabei gewesen sei.
Auch die Angaben betreffend seinen Vater waren nicht plausibel. So gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass sein Vater zwischen 2012 und 2014 samt seines LKW von den Taliban entführt worden sei (BF 1 AS 75). Seine Stiefmutter habe ihm vom Tod seines Vaters erzählt als er diese bei seinem letzten Aufenthalt in Afghanistan zwischen 2014 und 2015 besucht habe (BF 1 AS 77, 81). Der Erstbeschwerdeführer gab auch in der Beschwerdeverhandlung zunächst an, dass er seine Stiefmutter bei seinem letzten Aufenthalt in Kabul im Haus seines Vaters im Bezirk römisch 40 besucht habe (VP 1, Sitzung 17). Auf Nachfrage führte er in der Beschwerdeverhandlung hingegen aus: „Ich habe das letzte Mal meinen Vater gesehen, als ich ca. 13 oder 14 Jahre alt war. Ich weiß nicht, ob ich an seinem Erbe beteiligt bin. Als ich für ein Jahr nach Afghanistan zurückgegangen bin, bin ich einmal zu Haus meines Vaters gegangen. Meine Stiefmutter hat mir erzählt, dass mein Vater gestorben ist. Ich habe sie dann nicht mehr besucht.“ (VP 1, Sitzung 18). Da der Erstbeschwerdeführer angab sich bei seinem letzten Afghanistanaufenthalt (als er seine Frau geholt habe) im Jahr 2015 lediglich zwei Monate (BF 1 AS 89) bzw. 17 bis 18 Tage (VP 1, Sitzung 27) in Kabul aufgehalten zu haben, ist wohl offenkundig, dass er mit seinem einjährigen Afghanistanaufenthalt seine angebliche Rückkehr nach Afghanistan im Jahr 2005/2006 (BF 1 AS 75) bzw. mit römisch 40 Jahren (VP 1, Sitzung 14, 16) – somit ca. 2009/2010 – meinte. Da der Vater des Erstbeschwerdeführers jedoch erst zwischen 2012 und 2014 entführt worden sei, hätte ihm seine Stiefmutter nicht bereits im Jahr 2005/2006 bzw. 2009/2010 vom Tod seines Vaters berichten können.
Zudem fällt auf, dass der Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung angab, dass seine Eltern in Kabul leben würden, sein Vater 60 Jahre und seine Mutter 50 Jahre alt seien (BF 1 AS 3). Dadurch, dass der Erstbeschwerdeführer seine Angaben nach Belieben austauscht, ist offenkundig, dass er nicht der Wahrheit entsprechende Angaben im Verfahren tätigte. Es steht somit fest, dass weder die Mutter noch der Vater des Erstbeschwerdeführers von Mitgliedern der Taliban getötet wurden.
So fällt auch in Bezug auf das Vorbringen betreffend die Probleme mit seiner Schwiegermutter auf, dass der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass er solange seine Mutter gelebt habe ein normales Leben geführt habe. Als seine Mutter entführt worden sei, habe sein Vater wieder geheiratet und seine Stiefmutter habe ihn sehr schlecht behandelt, weshalb er in den Iran gezogen sei (BF 1 AS 85). In der Beschwerdeverhandlung gab der Erstbeschwerdeführer nach Durchsicht des Protokolls hingegen an, dass seine Stiefmutter die erste Frau, seine Mutter die zweite Frau seines Vaters gewesen sei, daher seien einige seiner Halbgeschwister älter als er (VP 1, Sitzung 37). Dies steht jedoch im Widerspruch zu seinem Vorbringen beim Bundesamt. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer wegen Problemen mit seiner Stiefmutter Afghanistan im Alter von 13/14 Jahren verlassen hat. Zudem waren die zeitlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers betreffend seinen Aufenthalt im Iran bzw. seine Rückkehr nach Afghanistan derart widersprüchlich, dass sein Aufenthalt im Iran auch vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft scheint. So gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass er 2005/2006 nach Kabul zurückgekehrt sei (BF 1 AS 75), in der Beschwerdeverhandlung gab er hingegen an, dass er im Alter von römisch 40 Jahren (VP 1, Sitzung 14, 16) – somit ca. im Jahr 2009/2010 – wieder in Kabul aufhältig gewesen sei. Da es sich um Differenzen von römisch 40 Jahren handelt, stellt dies nicht bloß eine geringfügige Abweichung dar. Zudem gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass er sich 2005/2006 in Kabul ein Haus gemietet habe (BF 1 AS 71), während er in der Beschwerdeverhandlung ausführte sich lediglich ein Zimmer gemietet zu haben (VP 1, Sitzung 16). Dass der Erstbeschwerdeführer nicht gleichbleibend angeben konnte, ob er während seines einjährigen Aufenthaltes in Kabul in einem Haus oder einem Zimmer gelebt habe, ist nicht nachvollziehbar. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer nicht in den Iran gezogen ist, sondern weiterhin im Eigentumshaus seines Vaters gelebt hat.
Dass der Erstbeschwerdeführer mindestens römisch 40 Jahre die Schule besucht hat, ergibt sich aus seinen Angaben in der Erstbefragung und beim Bundesamt, wo er seinen Schulbesuch mit 6 Jahren (BF 1 AS 1) bzw. 2-3 Jahren bezifferte (BF 1 AS 75). Dass er die Schule gar nicht besucht habe, sondern von Freunden Lesen und Schreiben gelernt habe, erwähnte er weder in der Erstbefragung noch beim Bundesamt, sondern erstmals in der Beschwerdeverhandlung (VP 1, Sitzung 13). Es entspricht jedoch der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer keine Schulbildung erfahren hat. Vielmehr hat er mindestens römisch 40 Jahre die Schule besucht.
2.1.3. Dass die Zweitbeschwerdeführerin lesen und schreiben kann, ergibt sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VP 1, Sitzung 32). Da die Zweitbeschwerdeführerin in der Erstbefragung angab fünf Jahre die Schule besucht zu haben (BF 2 AS 1), in der Beschwerdeverhandlung hingegen ausführte, dass sie und ihre Brüder von ihrem Vater zuhause unterrichtet worden seien (VP 1, Sitzung 32; VP 2, Sitzung 11), kann nicht festgestellt werden, ob die Zweitbeschwerdeführerin die Schule besucht oder Privatunterricht erhalten hat.
Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich, schreckten weder der Erst- noch die Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren davor zurück ihre Angaben nach Belieben abzuändern und somit falsche Angaben zu tätigen. Dies zeigt sich betreffend die Zweitbeschwerdeführerin auch anschaulich in der Beschwerdeverhandlung am 12.06.2019, wo sie versuchte ihr Aufwachsen in der Stadt Kabul zu verschleiern:
„R: Wo sind Sie aufgewachsen?
BF2: Ich bin in der Provinz Parwan im Distrikt römisch 40 im Dorf römisch 40 aufgewachsen.
R: Haben Sie dort bis zu Ihrer Ausreise aus Afghanistan gelebt?
BF2: Ja, ich habe dort im Elternhaus gelebt.
[…]
R: Haben Sie jemals in Kabul gelebt?
BF2: Nein. Beim BFA wurde ich gefragt, wo sich das Dorf römisch 40 befindet und ich habe dort angegeben, dass dieses Dorf etwas entfernt von Kabul liegt.
R: Sie haben mir in der letzten Verhandlung gesagt, Sie sind in der Stadt Kabul im Stadtteil römisch 40 geboren.
BF2: Ich bin auch in römisch 40 geboren und dort befindet sich mein Elternhaus, welches mein Vater von seinem Vater geerbt hat. Ich habe angegeben, dass römisch 40 entfernt von der Stadt Kabul liegt.
R: Erklären sie mir jetzt, was in der letzten Verhandlung stattgefunden hat?
Die Verhandlung wird um 09:50 Uhr unterbrochen, damit BF2 und BFV sich besprechen können.
Fortsetzung der Verhandlung um 10:00 Uhr.
R an BFV: Wollen Sie etwas sagen?
BFV: Die BF2 kann das selber sagen. Es handelt sich um ein Missverständnis. Die Familie ihrer Eltern stammt aus Parwan. Die BF2 ist geboren und aufgewachsen in der Stadt Kabul.“ (VP 2, Sitzung 7 f).
Dass es sich – wie vom Rechtsvertreter behauptet – lediglich um ein Missverständnis handelte, ist angesichts der ausdrücklichen Aussage der Zweitbeschwerdeführerin, wonach sie nie in Kabul gelebt habe, nicht glaubhaft. Dass die Zweitbeschwerdeführerin ihre Angaben je nach Belieben änderte, zeigte sich auch in der Beschwerdeverhandlung am 11.03.2019 im Verhältnis zu ihrem Rechtsvertreter:
„BFV: Die D hat in der ersten Verhandlungspause Aussagen aus den Einvernahmen, die im Bescheid abgedruckt sind, übersetzt. Das Betrifft die Angaben der BF2 in der Erstbefragung zu ihren Fluchtgründen. Die BF2 hat nicht gesagt, dass der andere Mann siebzig Jahre alt sei. Sonst habe ich keine Einwendungen gegen das Protokoll des BFA. Die BF2 hat mir heute in der Früh nach der Übersetzung durch die Dolmetscherin gesagt, dass die Angaben bei der Erstbefragung, wonach sie der Vater vor ca. zwei Jahren entführt haben, nicht richtig sei.
R: Warum ist es nicht richtig, wenn in der Erstbefragung steht, dass ihr Vater sie vor ca. zwei Jahren – gerechnet von der Erstbefragung – entführt habe.
BF2: Doch das ist richtig. Ich habe nicht gesagt, dass es falsch ist.
BFV: Doch sie haben gesagt, dass es ein Fehler ist. Ich denke mir das nicht aus.“ (VP 1, Sitzung 33 f).
Zudem fällt auf, dass der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung am 11.03.2019 angab, dass die von der Dolmetscherin in der Verhandlung übersetzten Passagen aus der Niederschrift der Erstbefragung bzw. des Bundesamtes – insbesondere genaue Zeitangaben und Altersangaben – nicht stimmen würden. Es habe beim Bundesamt auch eine bewusst verwirrend und feindselige Atmosphäre geherrscht (VP 1, Sitzung 11). Auch die Zweitbeschwerdeführerin führte aus, dass ihre Aussagen in der Einvernahme beim Bundesamt nicht richtig übersetzt worden seien, nur eine oberflächliche Rückübersetzung erfolgt sei und man versucht habe sie in Widersprüche zu verwickeln (VP 1, Sitzung 32 ff). Den Parteien wurde sodann vom Gericht aufgetragen binnen 7 Tagen in einer gesonderten Stellungnahme bekannt zu geben, welche Fehler in den bisherigen Protokollen enthalten sind. Die Beschwerdeführer kamen diesem Auftrag mit Stellungnahme vom 21.03.2019 nach. Auffällig ist jedoch, dass in der Stellungnahme lediglich ihre Angaben zu den Personalien und ihrem Aufwachsen korrigiert wurden und abgesehen davon, dass die Scheidung gezwungenermaßen vollzogen worden sei, keine „Richtigstellung“ in Bezug auf ihr Fluchtvorbringen oder die Heirat des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin erfolgt ist. Zudem ist es – wie vom Bundesamt vorgebracht – unplausibel warum die Beschwerdeführer insbesondere die behauptete feinselige Stimmung nicht gleich nach der Einvernahme, sondern erst ein halbes Jahr später nach Erhalt des Bescheides geltend gemacht haben.
Da der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin ihre Angaben nach Belieben abänderten und ihre Aussagen derart widersprüchlich sind, sind diese nicht glaubhaft. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind daher als Person unglaubwürdig.
2.1.4. Betreffend die Heirat zwischen dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ergaben sich erhebliche Widersprüche in deren Aussagen. So gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass er nicht mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet sei (BF 1 AS 77, 81 ff). Erst auf mehrfache Nachfrage, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er die Zweitbeschwerdeführerin vor ca. eineinhalb Jahren – somit ca. im Oktober 2015 – im Iran vor einem Sheikh geheiratet habe. Es habe sich dabei nur um eine „pro Forma“ Heirat vor einem afghanischen Geistlichen gehandelt (BF 1 AS 81). Eine Heirat bereits im Jahr 2006/2007 erwähnte der Erstbeschwerdeführer hingegen mit keinem Wort, sondern führte er vielmehr aus, dass er mit seiner Frau uneheliche Kinder bekommen habe. Dies sei in Afghanistan zwar nicht üblich, er habe aber gar nicht daran gedacht, die Zweitbeschwerdeführerin zu ehelichen, er habe nur mit ihr zusammenleben wollen (BF 1 AS 81 ff). Dass der Erstbeschwerdeführer gar nicht an eine Heirat gedacht habe, ist absolut nicht nachvollziehbar, zumal uneheliche Kinder in Afghanistan nicht akzeptabel sind und – wie vom Erstbeschwerdeführer auch selber ausgeführt – dies daher unüblich ist. Zudem waren diese Angaben des Erstbeschwerdeführers weder mit seiner Aussage in der Erstbefragung noch in der Beschwerdeverhandlung oder den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in Einklang zu bringen. Darüber hinaus sind die Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin betreffend die Umstände der Eheschließung lediglich vage und unplausibel. So ist es unplausibel, dass der Erstbeschwerdeführer mit der Zweitbeschwerdeführerin im Iran in eine Stadt gefahren sei und dort einfach eine Person angesprochen habe, die sie zum Privathaus eines Mullahs gebracht habe (VP 1, Sitzung 13). Auch die Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin, wonach sie in der Stadt an ein Tor geklopft hätten und durch einen Garten in einen Raum gegangen seien, wo die Ehe geschlossen worden sei, sind lediglich vage und nicht nachvollziehbar (VP 2, Sitzung 30 f). Zudem gaben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie ohne Zeugen die Ehe geschlossen hätten (VP 1, Sitzung 12, 30). Den Länderberichten ist jedoch zu entnehmen, dass auch traditionelle Ehen nur vor zwei Zeugen geschlossen werden können vergleiche Punkt römisch II.1.5.12.). Es fällt auch auf, dass lediglich die Zweitbeschwerdeführerin ausgeführt hat, dass der Erstbeschwerdeführer bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten habe. Der Erstbeschwerdeführer erwähnte weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung, dass er offiziell um die Hand der Zweitbeschwerdeführer angehalten habe. Vielmehr führte er in der Beschwerdeverhandlung lediglich aus, dass das Leben der Zweitbeschwerdeführerin in Gefahr gewesen sei, weshalb sie ohne Erlaubnis ihrer Eltern in den Iran geflüchtet seien (VP 1, Sitzung 24). Das Vorbringen erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte, konstruierte Geschichte handelt. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin heimlich gehen den Willen der Familie der Zweitbeschwerde-führerin geheiratet haben. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass sie in Afghanistan vor Zeugen traditionell die Ehe geschlossen haben.
Da die Angaben der Beschwerdeführer zur heimlichen Heirat und zum Fluchtvorbringen einerseits nicht glaubhaft sind und eine Verfolgung der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden konnte (siehe Punkt römisch II.2.2.1.), ist es für das Gericht unplausibel, dass die Beschwerdeführer Afghanistan verlassen und in den Iran ziehen sollten. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin nach der Hochzeit zum Erstbeschwerde-führer in das Eigentumshaus gezogen ist und dort gemeinsam mit dem Vater und der Stiefmutter des Erstbeschwerdeführers wohnten. Dass der Erst- und die Zweitbeschwerde-führerin gemeinsam durch die Tätigkeit als Schneider den Unterhalt für sich und ihre Kinder bestritten haben, ergibt sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben (BF 2 AS 59; VP 2, Sitzung 6).
Die Feststellungen zur Einreise sowie das Datum der Antragstellung ergeben sich aus den Akteninhalten. Die Feststellung zur Geburt der Fünftbeschwerdeführerin in Österreich ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde (Verwaltungsakt der Fünftbeschwerdeführerin – BF 5 AS 5).
2.1.5. Wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.2. ausgeführt, ist es nicht glaubhaft, dass der Vater des Erstbeschwerdeführers von den Taliban entführt oder getötet wurde. Da der Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung angab, dass sein Vater und seine Mutter noch im Herkunftsstaat leben würden und 60 bzw. 50 Jahre alt seien (BF 1 AS 3) sowie aufgrund der widersprüchlichen Angaben, wonach ihm seine Stiefmutter bereits 2005/2006 oder 2009/2010 vom Tod seines Vaters erzählt habe, obwohl dieser erst zwischen 2012 und 2014 entführt worden sei, kann nicht festgestellt werden, dass der Vater des Erstbeschwerde-führers bereits verstorben ist. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Vater des Erstbeschwerdeführer nach wie vor in der Stadt Kabul in römisch 40 lebt und der Erstbeschwerdeführer seine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan verschleiern wollte. Vor diesem Hintergrund steht auch fest, dass der Erstbeschwerdeführer Kontakt zu seinem Vater in Afghanistan hat, zumal aus den Länderberichten hervorgeht, dass die Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied halten und genau Bescheid wissen, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren vergleiche Punkt römisch II.1.5.10.).
Die Feststellungen zum Onkel des Erstbeschwerdeführers stützen sich auf die diesbezüglich gleichgebliebenen Angaben des Erstbeschwerdeführers.
2.1.6. Die Feststellungen zu den Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin in Kabul ergeben sich aus ihren diesbezüglich stringenten Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VP 2, Sitzung 8 ff). Da die Angaben der Beschwerdeführer zur heimlichen Heirat und zum Fluchtvorbringen einerseits nicht glaubhaft sind und eine Verfolgung der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden konnte (siehe Punkt römisch II.2.2.1.), ist es für das Gericht auch nicht glaubhaft, dass die Zweitbeschwerdeführerin keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern hat, zumal sie auch mit einer Freundin in Afghanistan von Österreich aus Kontakt hatte (VP 2, Sitzung 9). Das Gericht geht daher davon aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig Kontakt zu ihrer Familie hat.
2.1.7. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer und zur Arbeitsfähigkeit des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin stützen sich auf ihre Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VP 1, Sitzung 20, 23; VP 2, Sitzung 18; BF 2 AS 65) sowie auf dem Umstand das im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:
2.2.1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin brachten vor, dass sie gegen den Willen der Eltern der Zweitbeschwerdeführerin geheiratet hätten, weshalb die Zweitbeschwerde-führerin von ihren Eltern und Brüdern aus dem Iran entführt und an einen älteren Mann zwangsverheiratet worden sei. Ihrem Vorbringen kommt aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:
Das Gericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund des persönlichen Eindrucks des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin und, weil diese bereits als Person unglaubwürdig waren, davon aus, dass ihnen auch hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Die Beschwerdeführer wurden zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen detailliert, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen sind die Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden, zumal die Beschwerdeführer lediglich eine grobe Rahmengeschichte präsentierten. Obwohl die Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung ein ausführliches Vorbringen zu ihrer Fluchtgeschichte erstattete, ist dies wenig detailreich. Insbesondere die Aussagen des Erstbeschwerdeführers blieben trotz Nachfrage gänzlich detaillos und vage (BF 1 AS 85; VP 1, Sitzung 24). Zudem ergaben sich viele Widersprüche und Unplausibilitäten, die ihre Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass die Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würden, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.
Wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.4. ausgeführt, steht fest, dass der Erst- und die Zweit-beschwerdeführerin nicht heimlich gegen den Willen der Familie der Zweitbeschwerde-führerin geheiratet haben, sodass das Verfolgungsvorbringen schon vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft ist. Es ergaben sich jedoch auch betreffend die Angaben zur Entführung der Zweitbeschwerdeführerin und ihrer Zwangsheirat Widersprüche und derart viele Unplausibilitäten, dass das Vorbringen zu den Fluchtgründen auch deshalb nicht glaubhaft ist:
So ist es nicht nachvollziehbar, warum die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin diese erst sechs oder sieben Jahre nach ihrer Flucht zurückholen sollten (VP 1, Sitzung 35). Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung selber an, dass sie Schande über ihre Familie gebracht habe (VP 2, Sitzung 22), weshalb es umso mehr nicht nachvollziehbar ist, dass ihre Familie sie nicht verstoßen, sondern wieder aus dem Iran zurückgeholt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin gab zudem in der Beschwerdeverhandlung an, dass ihre Eltern sie solange gesucht und erst dann gefunden hätten (VP 2, Sitzung 21). In einem Unterstützungsschreiben wurde ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin erzählt habe, dass ihr Vater sie bereits 2009 im Iran habe ausfindig machen können, sie der Verfolgung jedoch durch einen Ortswechsel entkommen seien (Beilage ./E). Dies haben die Beschwerdeführer weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung mit einem Wort erwähnt. Es zeigt sich daher, dass die Beschwerdeführer anderen gegenüber ihr Vorbringen anders präsentierten, weshalb von einer lediglich konstruierten Fluchtgeschichte auszugehen ist.
Ebenso nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen der Beschwerdeführer, wonach die Familie der Zweitbeschwerdeführerin im Iran aufgetaucht sei als der Erstbeschwerdeführer auf Geschäftsreise gewesen sei (BF 1 AS 91; BF 2 AS 63; VP 1, Sitzung 28 f, 35). Dies ist insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung angegeben hat, dass er keine leitende Position in der Textilfabrik innegehabt habe und weder für andere Arbeiter verantwortlich noch in Organisations-aufgaben eingebunden gewesen sei. Er habe lediglich Kleidungsstücke genäht, sobald er damit fertig gewesen sei, habe er sich an seinen Chef wenden müssen, der ihm eine neue Aufgabe zugeteilt habe (VP 1, Sitzung 23 f). Dass der Erstbeschwerdeführer daher (drei Wochen) unterwegs gewesen sei um Stoffe auszusuchen bzw. einzukaufen, ist daher unplausibel. In diesem Zusammenhang ist es zudem nicht nachvollziehbar, dass die Eltern und die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin, die die Zweitbeschwerdeführerin nach sechs oder sieben Jahren im Iran endlich ausfindig gemacht hätten um den Erstbeschwerdeführer umzubringen, auf diesen nicht länger als fünf Tage gewartet hätten (BF 2 AS 63; VP 1, Sitzung 35). So gab die Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung an, dass ihr Vater auf den Erstbeschwerdeführer warten habe wollen um diesen zu bestrafen (VP 1, Sitzung 35). Dass er dann doch abreist ohne den Erstbeschwerdeführer getroffen zu haben, ist daher nicht nachvollziehbar.
Unplausibel ist auch, dass die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin auch deren Kinder aus dem Iran mitnehmen sollten. So habe der Vater der Zweitbeschwerdeführerin doch Geld geliebt (VP 1, Sitzung 24, 26), weshalb nicht nachvollziehbar ist, dass er die „Bastarde“ seiner Tochter – wie die Kinder von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin genannt worden seien (VP 1, Sitzung 35) –, die ihm nur Geld kosten würden, nach Afghanistan mitgenommen habe.
Sofern die Zweitbeschwerdeführerin angab, dass sie nicht wisse, wo sie in Kabul mit dem Mann, mit dem sie zwangsverheiratet worden sei, gelebt habe (BF 2 AS 57), ist nicht nachvollziehbar, zumal sie doch ein bis zweimal pro Monat zu ihren Eltern gegangen sei um ihre Kinder zu besuchen. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte daher den Weg vom Haus ihrer Eltern zu dem Haus in dem sie mit ihrem zwangsverheirateten Mann gelebt habe, kennen müssen.
Zudem ist es unplausibel, warum ausgerechnet die Zweitbeschwerdeführerin mit dem älteren Mann verheiratet worden sei, obwohl sie zwei ältere Schwestern hat, wovon nur eine verheiratet sei (VP 2, Sitzung 9). Dass der ältere Mann sich die Zweitbeschwerdeführerin ausgesucht und ihrem Vater Geld bezahlt habe um sie zu heiraten, obwohl diese bereits zwei Kinder hat und verheiratet gewesen sei, ist vor dem Hintergrund, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine ältere, unverheiratete und kinderlose Schwester hatte, nicht nachvollziehbar.
Zudem fällt auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt angab, dass der ältere Mann mit dem sie zwangsverheiratet worden sei, vier Kinder gehabt habe um die sie sich habe kümmern müssen (BF 2 AS 59), woraus zu schließen ist, dass diese Kinder noch aufsichtspflichtig gewesen seien. In der Beschwerdeverhandlung gab sie hingegen an, dass ihr zwangsverheirateter Ehemann vier erwachsene Kinder gehabt habe und der älteste Sohn sie oft geschlagen habe (VP 2, Sitzung 36). Die Zweitbeschwerdeführerin muss sich diesbezüglich eine Steigerung ihres Vorbringens vorwerfen lassen, die ihr diesbezügliches Vorbringen insgesamt in Zweifel zieht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt Ausführungen zur behaupteten Misshandlung durch den Sohn ihres zwangsverheirateten Mannes tätigte, sondern sie vielmehr angab, dass sie sich um seine Kinder habe kümmern müssen. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen wäre, bereits im behördlichen Verfahren ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwN). Es ist davon auszugehen, dass die Zweitbeschwerdeführerin damit versuchte, ihrem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass ihr Vater sie mit einem Messer verletzt habe, weil sie den Antrag des älteren Mannes abgelehnt habe (VP 1, Sitzung 36). Sofern die Zweitbeschwerdeführerin diesbezüglich im Verfahren eine ärztliche Bestätigung vorlegte, wonach sie jeweils eine Narbe am römisch 40 und der römisch 40 aufweise, welche von Messerstichen stammen könnten, ist festzuhalten, dass daraus weder hervorgeht von wem noch wann oder in welchem Zusammenhang ihr dies Narben zugefügt worden seien. Die Bestätigung ist daher nicht als Beweis des Fluchtvorbringens tauglich.
Unplausibel ist zudem, dass der Erstbeschwerdeführer so lange gewartet habe bis er die Zweitbeschwerdeführerin zurückgeholt habe. Die diesbezüglichen Erklärungen des Erstbeschwerdeführers waren nicht überzeugend und widersprüchlich. So gab er in der Beschwerdeverhandlung an, dass er nicht unüberlegt habe handeln wollen (VP 1, Sitzung 27), während er beim Bundesamt ausführte, dass er nicht früher nach Afghanistan zurückkehren konnte, weil es Probleme für seine Kinder und ihn gebracht hätte und er umgebracht worden wäre (BF 1 AS 87). Die Zweitbeschwerdeführerin gab hingegen an, dass der Erstbeschwerdeführer sie nicht früher geholt habe, weil er Angst vor ihren Brüdern gehabt habe (BF 2 AS 65). Dass der Erstbeschwerdeführer 15 bis 16 Monate (BF 1 AS 87) bzw. 17 bis 18 Monate (VP 1, Sitzung 24, 26) gewartet habe um die Zweitbeschwerdeführerin zurückzuholen ist mangels plausibler Erklärung, lebensfremd.
Nicht nachvollziehbar ist zudem warum der Erstbeschwerdeführer in Kabul täglich auf den Bazar gegangen sei in der Hoffnung die Zweitbeschwerdeführerin dort anzutreffen, wenn er doch vorgehabt habe zu ihrem Vater zu gehen und ihm Geld anzubieten (VP 1, Sitzung 26). Während der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angab, dass er die Freundin der Zweitbeschwerdeführerin auf der Straße angesprochen habe (BF 1 AS 89), führte er in der Beschwerdeverhandlung aus, dass sie ihn am Bazar begrüßt habe (VP 1, Sitzung 26). Zudem ist nicht plausibel, dass der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt den Namen dieser Freundin der Zweitbeschwerdeführerin nicht nennen konnte (BF 1 AS 89), obwohl der Erstbeschwerdeführer sie laut Angaben der Zweitbeschwerdeführerin lange und gut gekannt habe (BF 2 AS 65). Unplausibel ist auch, dass die Zweitbeschwerdeführerin, die in Afghanistan bei ihrem zwangsverheirateten Ehemann und ihren Eltern sehr eingeschränkt gewesen sei, alleine mit ihren Kindern auf den Bazar gehen habe können. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum die Zweitbeschwerdeführerin, die ihre Kinder nur ein bis zweimal im Monat habe sehen dürfen, plötzlich drei Tage bei ihrem Vater habe bleiben können (VP 1, Sitzung 36). Die Angaben der Beschwerdeführer, wie es ihnen gelungen sei aus Afghanistan zu fliehen, sind daher nicht nachvollziehbar.
Zudem gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass er zwei Monate in Kabul gewesen sei um seine Frau und Kinder zurückzuholen (BF 1 AS 89), während er diesbezüglich in der Beschwerdeverhandlung lediglich einen Aufenthalt in Kabul von 17 bis 18 Tagen nannte (VP 1, Sitzung 27).
Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung an, dass sie den Erstbeschwerdeführer im Iran ein zweites Mal geheiratet habe. Sie habe dem Mullah von ihren Problemen erzählt und dieser habe gesagt, dass sie etwas Illegales getan habe, er habe ihre Ehe dennoch geschlossen (VP 1, Sitzung 31). Der Erstbeschwerdeführer gab hingegen an, dass die Zwangsehe der Zweitbeschwerdeführerin nicht gültig sei, weil die Scheidung in seiner Abwesenheit vollzogen worden sei und er sein Einverständnis nicht gegeben habe (VP 1, Sitzung 29) und sie deshalb nochmals heiraten hätten können. Wenn jedoch weder die Scheidung noch die Zwangsheirat der Zweitbeschwerdeführerin gültig gewesen seien, hätten die Beschwerdeführer nicht neuerlich heiraten müssen, zumal ihre erste Heirat noch bestanden hätte.
Gemäß der Bestätigung der Sicherstellung vom 01.12.2015 wurden vom Erstbeschwerdeführer sechs Registrierbescheinigungen der griechischen bzw. serbischen Polizei sowie eine Scheidungsurkunde ausgehändigt (BF 1 AS 23). Das Gericht verkennt daher nicht, dass die Zweitbeschwerdeführerin diesbezüglich der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht hat (VP 1, Sitzung 33; siehe auch der Beschwerde angehängte Stellungnahme). Es ist für das Gericht jedoch weder die Echtheit noch die Richtigkeit der Urkunde überprüfbar. Es ist daher insbesondere auf die unplausiblen Angaben der Beschwerdeführer zu ihrer Fluchtgeschichte sowie die in Afghanistan herrschende hohe Korruption Bedacht zu nehmen. Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International, belegte Afghanistan von 180 Ländern den 172. Platz. Bestechung bleibt im öffentlichen Sektor weiterhin verbreitet und Schmiergeldzahlungen können direkt oder indirekt von Beamten gefordert oder auch von den Bürgern und Bürgerinnen selbst angeboten werden. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kommen sehr häufig vor. Sämtliche Urkunden in Afghanistan können problemlos gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhalten werden vergleiche Punkt römisch II.1.5.8.). In Anbetracht der Vielzahl der oben aufgezeigten Unplausibilitäten und Widersprüche in den Angaben der Beschwerdeführer sowie der hohen Korruptionsrate in Afghanistan, kommt der von den Beschwerdeführern vorgelegten Scheidungsurkunde kein Beweiswert zu.
Das Vorbringen der Beschwerdeführer war derart unplausibel und widersprüchlich, dass es den Beschwerdeführern nicht gelungen ist, das Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen. Aus den oben genannten Gründen geht das Gericht davon aus, dass die Beschwerdeführer Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen haben.
2.2.2. Der Erstbeschwerdeführer gab weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung an, dass er in Afghanistan Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit gehabt habe.
Lediglich die Zweitbeschwerdeführerin gab beim Bundesamt an, dass der Erstbeschwerdeführer von den Taliban gewarnt worden sei, dass er sich als Hazara nicht sportlich betätigen dürfe (BF 2 AS 63). Der Erstbeschwerdeführer gab beim Bundesamt hingegen an, dass er in der afghanischen Sportgesellschaft nicht aufgenommen worden sei, weil man ihn in Afghanistan als Hazara nicht ernst genommen habe (BF 1 AS 83 ff). In der Beschwerdeverhandlung führte er aus, dass er in Afghanistan auf sportlicher Ebene nichts erreicht habe, weil er weder Kontakte noch einflussreiche Eltern gehabt habe (VP 1, Sitzung 25). Dass der Erstbeschwerdeführer Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt habe oder deshalb sogar von Taliban gewarnt worden sei, ist daher nicht glaubhaft.
Aus den lediglich allgemein gehaltenen Angaben in der Beschwerde kann das Gericht, insbesondere auch in Zusammenschau mit den Länderberichten zum Fehlen entsprechend massiver religiöser und volksgruppenbezogener Diskriminierung (siehe Punkt römisch II.1.5.4.), den Schluss ziehen, dass der Erstbeschwerdeführer selbst keiner individuell konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt gewesen ist.
2.2.3. Die Feststellung zur Zweitbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, ergibt sich aus ihren Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem persönlichen Eindruck, der von der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.
Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen der Zweitbeschwerdeführerin stützen sich darauf, dass sie die auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen in der Beschwerdeverhandlung verstanden und in gebrochenem Deutsch beantwortet hat (VP 2, Sitzung 11 f).
Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um eine erwachsene Frau, die in Österreich zwar drei- oder viermal Remunerationsarbeiten erbracht hat, sich abgesehen davon jedoch sowohl im Alltag als auch in ihrer Freizeit primär um ihre Kinder und den Haushalt kümmert (VP 2, Sitzung 16). Im Gegensatz dazu hat die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan sogar als Schneiderin gearbeitet und somit Berufserfahrung sammeln können (VP 2, Sitzung 6).
Die Zweitbeschwerdeführerin gab befragt nach ihren Freizeitaktivitäten an, dass sie sich mit Freunden treffe, Radfahren und mit ihrem Mann und ihren Kindern schwimmen gehe (VP 1, Sitzung 9; VP 2, Sitzung 16). Den im Verfahren vorgelegten Fotos (Beilage ./N; BF 2 OZ 6) ist jedoch zu entnehmen, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht selber schwimmen geht, sondern vom Rand des Schwimmbeckens aus angezogen die Fünftbeschwerdeführerin an das Wasser gewöhnt bzw. in Straßenkleidung neben ihren in Schwimmkleidung bekleideten Kindern sitzt. Es steht daher fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin lediglich im geschützten Familien- und "Freundes"verband mit ins Schwimmbad gegangen ist um ihren Kindern Freizeitaktivitäten zu bieten und um deren Verpflegung und Betreuung zu sichern. Die Zweitbeschwerdeführerin hat auch selber angegeben, dass sie nicht schwimmen kann, jedoch letztes Jahr ihre Lehrerin begonnen habe ihr schwimmen zu lehren (VP 2, Sitzung 17), weshalb auch daraus ersichtlich ist, dass die Zweitbeschwerdeführerin diesen Freizeitsport nicht von sich aus aktiv betrieben hat, sondern lediglich im geschützten Rahmen der Freizeitgestaltung ihrer Familie bzw. Bekannten daran teilgenommen hat.
Befragt zum Tagesablauf gab sie an, dass sie in der Früh aufstehe und ihre Kinder für die Schule vorbereite. Danach lerne sie selber Deutsch und am Vormittag gehe sie mit ihrer Tochter hinaus. Am Nachmittag mache sie ihre Einkäufe oder treffe sich mit Freunden. Wenn sie zuhause sei, koche sie und halte die Wohnung sauber (VP 1, Sitzung 9; VP 2, Sitzung 16). Daraus ist ersichtlich, dass die Zweitbeschwerdeführerin nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt und sich in Österreich im kleinstmöglichen Umgebungskreis aufhält, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen bzw. sozialen Normen eingeschränkt ist. Gelegentliche Spaziergänge und Radfahren in der näheren Umgebung stellen nach Auffassung des Gerichts für sich genommen eben noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar.
Auch die von der Zweitbeschwerdeführerin angeführten überschaubaren freundschaftlichen Kontakte zu Deutschlehrerinnen und Nachbarn, beschränken sich auf gelegentliche gegenseitige Besuche zuhause oder zum Deutschlernen oder Treffen aufgrund der Freizeitaktivitäten ihrer Kinder (zB bei Turnveranstaltungen der Drittbeschwerdeführerin) (VP 2, Sitzung 17), sodass nicht von nachhaltigen sozialen Kontakten gesprochen werden kann. Zudem bestehen die überschaubaren Kontakte lediglich zu Nachbarn, Deutschlehrerinnen und zu Personen, mit denen die Zweitbeschwerdeführerin durch ihre Kinder in Berührung gekommen ist. Es zeigt sich daher auch hier, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt. Die Zweitbeschwerdeführerin hat daher in Österreich keine nachhaltigen Beziehungen aus Eigeninitiative geknüpft.
Zudem war es der Zweitbeschwerdeführerin auch in Afghanistan möglich alleine das Haus zu verlassen, zumal sie ausführte, dass sie ihren Eltern entkommen sei, weil sie vorgegeben habe Kleidung für ihre Kinder einkaufen zu gehen (VP 1, Sitzung 26, 36; BF 2 AS 63). Auch befragt nach den Unterschieden zwischen einem Leben in Österreich und einem Leben in Afghanistan führte die Zweitbeschwerdeführerin nicht aus, dass sie nicht alleine das Haus habe verlassen dürfen (VP 2, Sitzung 20). Lediglich der Erstbeschwerdeführer gab an, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan nicht habe einkaufen gehen können ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen (VP 1, Sitzung 28). Dies ist jedoch aufgrund der Aussage, wonach die Zweitbeschwerdeführerin gegenüber ihren Eltern gesagt habe, Kleidung für ihre Kinder zu besorgen und auf den Bazar gefahren zu sein, nicht glaubhaft, zumal nicht ersichtlich ist, dass es für die Eltern ein Problem dargestellt habe, obwohl die Zweitbeschwerdeführerin unter ihrer Kontrolle gestanden sei. Darüber hinaus ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Frauen sich in der Stadt Kabul frei bewegen und sportliche Aktivitäten ausüben können vergleiche Punkt römisch II.1.5.13.). Das Leben, das die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich führt, unterscheidet sich daher nicht derart von ihrem bisherigen Leben in Kabul, dass damit ein deutlicher und nachhaltiger Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan einhergehen würde.
Darüber hinaus ist auch daran, dass die Zweitbeschwerdeführerin auch in Österreich kaum Aktivitäten sowie Integrationskurse ohne ihren Mann betreibt, keine selbständige Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin erkennbar. So gab auch der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung an, dass er und seine Frau die meiste Zeit zusammen seien, wenn sie etwas unternehmen. Die Zweitbeschwerdeführerin besuche manchmal alleine ihre Freundinnen (VP 1, Sitzung 10). Die nicht selbständige Lebensweise zeigt sich auch daran, dass die Zweitbeschwerdeführerin die angebotenen Integrationskurse nicht in Anspruch genommen hat, weil sie sich um die Kinder habe kümmern müssen und sie diese gemeinsam mit ihrem Mann habe machen wollen. Sofern sie weiter ausführte, dass sie den Kurs nunmehr im Sommer machen werde und sobald sie ihn abgeschlossen habe, ihr Mann den Kurs absolvieren werde (VP 2, Sitzung 15), ist nicht nachvollziehbar, warum sie nicht gleich die angebotenen Integrationskurse ohne ihren Mann absolviert habe. Aus den bisher vorgelegten Integrationsunterlagen ist ebenso zu entnehmen, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin diese gemeinsam absolvierten (BF 2 OZ 29, 31). Lediglich im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung nimmt die Zweitbeschwerdeführerin Arzt- und Schultermine alleine wahr (Beilage ./G; VP 2, Sitzung 16).
Die Zweitbeschwerdeführerin erbrachte in Österreich zwar drei- oder viermal freiwillig Remunerationstätigkeiten; dies jedoch lediglich im Rahmen der Nachbarschaftshilfe und nicht als regelmäßige Beschäftigung (VP 2, Sitzung 14). Sofern die Zweitbeschwerdeführerin vorbringt, hier in Österreich als Verkäuferin oder in einem Kindergarten arbeiten zu wollen (VP 2, Sitzung 13), weicht diese Aussage erkennbar von ihrer Lebenswirklichkeit ab, zumal bei der Zweitbeschwerdeführerin weder klare Vorstellungen über die Voraussetzungen der Berufsausübung als Verkäuferin oder als Kindergärtnerin noch eine konkrete Planung oder eigenes Engagement erkennbar waren. So habe sich die Zweitbeschwerdeführerin lediglich bei einer Freundin, die derzeit eine Lehre absolviere, allgemein über Voraussetzungen der Berufsausübung, jedoch nicht konkret nach den Voraussetzungen für ihre Berufswünsche erkundigt (VP 2, Sitzung 13 f). Dass die Zweitbeschwerdeführer wisse, welche nächsten Schritte sie für die Erlangung dieser Berufe ergreifen müsse, war aufgrund ihrer Angaben und des persönlichen Eindrucks in der Beschwerdeverhandlung nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist ersichtlich, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht in Betracht zieht das Anstellungsangebot ihrer Bekannten, bei der sie bereits drei- oder viermal freiwillig Remunerationsarbeiten erbracht hat (Beilage ./D; VP 2, Sitzung 14), anzunehmen, zumal sie dies in der Beschwerdeverhandlung mit keinem Wort erwähnte. Dass die Zweitbeschwerdeführerin die schnellste Möglichkeit ihre finanzielle Unabhängigkeit herzustellen, nicht wahrnimmt, läuft einer selbstbestimmten Lebensweise diametral entgegen und zeigt, dass sie eine eigenständige Lebensweise nicht verinnerlicht hat.
Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv sind und spezielle Freizeitangebote für Frauen angeboten werden. Es wäre der Zweitbeschwerdeführerin – wie bisher – auch in Afghanistan möglich eine berufliche Tätigkeit auszuüben.
Dem Vorbringen, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan an Kleidungsvorschriften halten und ein Kopftuch tragen müsse (VP 2, Sitzung 20), sind die Länderfeststellungen entgegenzuhalten aus denen hervorgeht, dass Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung umfasst. Allein das derzeitige Nichttragen eines Kopftuches bzw. dezentes Make-Up, Schmuck und lackierte Fingernägel reichen nicht aus, um eine "westliche Orientierung" glaubhaft darzutun. Auch wenn die freie Wahl der äußeren Erscheinung einen Aspekt "westlicher Lebensweise" darstellt, so stellen die oben gewürdigten Aspekte, die die tatsächlich gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung dar als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Erscheinung. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck von der Zweitbeschwerdeführerin lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" zusammenschauend nicht ableiten. Auch ein Kurzhaarschnitt bei dieser Beschwerdeführerin stellt keine Verinnerlichung einer selbstbestimmten Lebensweise dar.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine "westliche Orientierung", der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert hat. Die Zweitbeschwerdeführerin ist eine zum Entscheidungszeitpunkt unselbständige Frau, zwar mit ausreichenden Deutschkenntnisse, die in Österreich jedoch nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnimmt. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise", die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, nicht ableiten.
2.2.4. Bei der Dritt- und der Fünftbeschwerdeführerin handelt es sich um unmündige minderjährige Mädchen im Alter von römisch 40 (Drittbeschwerdeführerin) und römisch 40 (Fünftbeschwerdeführerin) Jahren, die in Afghanistan bzw. in Österreich geboren sind. Der Viertbeschwerdeführer ist ein Bursche im Alter von römisch 40 Jahren, der in Afghanistan geboren wurde. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer würden gemeinsam im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern unmöglich wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren, zumal sich der Viert- und die Fünftbeschwerdeführerin zweifelsfrei in einem anpassungsfähigen Alter befinden vergleiche VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.). Die Drittbeschwerdeführerin ist zwar bereits römisch 40 Jahre alt, sie hat jedoch die ersten römisch 40 Jahre ihres Lebens und somit sehr prägsame Jahre ihrer Entwicklung in ihrem Herkunftsstaat verbracht, weshalb sie die grundsätzliche Sozialisierung bereits in ihrem Heimatstaat erfahren hat, was eine Wiedereingliederung ermöglicht. Das Bundesverwaltungsgericht geht nicht davon aus, dass unmündigen Minderjährigen dieses Alters eine eigene politische Gesinnung im Zusammenhang mit einer "westlichen und selbstbestimmte Lebensweise" zugesonnen werden kann. Unmündige Minderjährige sind noch sehr von den Entscheidungen Ihrer Obsorgeberechtigten abhängig und auf deren Unterstützung und Versorgung angewiesen. Dies steht der Verinnerlichung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach bei der Dritt- und der Fünftbeschwerdeführerin bereits eine Verinnerlichung einer selbstbestimmten Lebensweise gegeben sei. Diese üben altersgerechte Aktivitäten aus.
Eine persönliche Bedrohung, die sich gezielt gegen die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gerichtet hätte, haben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht. Sofern diese jedoch ausführten, dass die Dritt- und der Viertbeschwerdeführerin von den Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin während ihres Aufenthaltes bei den Großeltern misshandelt worden seien (VP 1, Sitzung 27 f, 35 f; VP 2, Sitzung 22), ist festzuhalten, dass die Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin zum Fluchtvorbringen (somit auch zum Aufenthalt der Dritt- und des Viertbeschwerdeführers bei ihren Großeltern) nicht glaubhaft sind (siehe Punkt römisch II.2.2.1.). Es ist für das Gericht daher ebenso nicht glaubhaft, dass die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer von deren Großeltern oder anderen Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin misshandelt wurden. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Zweitbeschwerdeführerin keine Angaben dazu machte, dass sie als Kind von ihren Eltern misshandelt worden sei. Dass die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin Gewalt gegen Kinder als akzeptabel ansehen, ist daher nicht erkennbar. Es ist daher vor diesem Hintergrund und aufgrund der von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin genehmigten Heirat des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin auch nicht ableitbar, dass die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin physische oder psychische Gewalt gegen die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer anwenden würden.
Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan ist auszuführen, dass aus den Länderinformationen hervorgeht, dass diese unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, fehlendem Zugang zu Schulbildung, Zwangsehen, sexuellem Missbrauch und Kinderarbeit und der schlechten Sicherheitslage (explosive Kriegsrückstände) besonders betroffen sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung und Benachteiligung" darstellen. Die erwähnte Benachteiligung beruht primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt.
Da die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren würden und somit unter der Obhut und dem Schutz ihrer Eltern stehen, sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, dass den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern eine Entführung oder ein Missbrauch als Bacha Bazi (Viertbeschwerdeführer), Gewalt durch Dritte oder Kinderarbeit droht. Weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin haben angegeben, dass im Umfeld des Eigentumshauses des Vaters des Erstbeschwerdeführers kürzlich Kampfhandlungen stattgefunden haben bzw. in dieser Wohnumgebung explosive Kriegsrückstände vorzufinden wären. Die meisten Opfer von explosiven Kampfmittelrückständen im Jahr 2018 sind in Afghanistan auf kürzlich stattfindende Kampfhandlungen zurückzuführen. Vertriebene Familien sind einem großen Risiko ausgesetzt, wenn sie in Gebiete zurückkehren, in denen schwere Kämpfe stattgefunden haben (siehe Punkt römisch II.1.5.14.). Es ist daher auch unter diesem Aspekt nicht anzunehmen, dass in der Stadt Kabul im Wohnumfeld der Beschwerdeführer explosive Kriegsrückstände vorzufinden wären. Aufgrund des familiären Netzwerkes in Kabul ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer zumindest vorübergehend bei ihren Verwandten wohnen könnten.
Es gab auch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer durch ihre Eltern Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren haben. Ebenso ist zu erwarten, dass die Eltern ihre Kinder auch vor spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen in der Stadt Kabul schützen würden.
Da der Erstbeschwerdeführer als Vater der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in der Position ist, ein etwaiges Heiratsangebot abzulehnen und der Erstbeschwerdeführer Zwangsheirat ablehnt, droht den minderjährigen Beschwerdeführern keine Zwangsheirat (VP 1, Sitzung 28; VP 2, Sitzung 19 f). Der Anteil an Kinderehen erhöht sich zwar stark in Lagern für Binnenvertriebene, da dort extreme finanzielle Not, Analphabetismus, fehlender Zugang zu Gesundheit und wirtschaftlichen Möglichkeiten noch mehr verbreitet ist (siehe Ausführungen unter römisch II.1.5.14.), da die Beschwerdeführer jedoch über eine Wohnmöglichkeit und über ein tragfähiges familiäres Netzwerk in der Stadt Kabul verfügen, ist bei einer Rückkehr weder von einer extremen finanziellen Not noch von einem fehlenden Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten auszugehen. Es ist daher davon auszugehen, dass den minderjährigen Beschwerdeführern in Afghanistan keine Zwangsverheiratung droht. Da ein tragfähiges finanzielles Netzwerk vorliegt, sind die (minderjährigen) Beschwerdeführer auch nicht von Lebensmittelengpässen betroffen.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin legten in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft dar, dass ihnen die Bildung ihrer Kinder ein großes Anliegen ist und sie diese diesbezüglich in jeder Hinsicht unterstützen werden (VP 1, Sitzung 28; VP 2, Sitzung 20). Der von ihnen geäußerte Wunsch betreffend die Bildung ihrer Kinder stellt sich auch nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind vergleiche Punkt römisch II.1.5.14.). Entgegen dem Willen der Eltern findet in Afghanistan keine Kinderarbeit statt (siehe Punkt römisch II.1.5.14.), es kann jedoch die schlechte wirtschaftliche Lage einer Familie dazu beitragen, dass Kinder die Schule nicht besuchen und stattdessen der Kinderarbeit nachgehen. Dies ist jedoch bei den minderjährigen Beschwerdeführern aufgrund der finanziellen Situation des familiären Netzwerks in Kabul sowie aufgrund des Vorhandenseins einer Wohnmöglichkeit in Kabul nicht anzunehmen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass den minderjährigen Beschwerdeführern in der Stadt Kabul Kinderarbeit drohen würde bzw. diese statt einem Schulbesuch einer Arbeit nachgehen müssten.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.4. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Herkunftsstadt Kabul ergeben sich aus den o.a. Länderberichten. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Hauptstadt Kabul relativ sicher ist. Kabul wird von der afghanischen Regierung kontrolliert. Die Versorgung ist in der Stadt Kabul zumindest grundlegend gesichert. Kabul ist über einen Flughafen sicher zu erreichen.
Dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ist die Stadt bekannt, da sie dort geboren und aufgewachsen sind. Die Beschwerdeführer können zumindest vorrübergehend im Eigentumshaus des Vaters des Erstbeschwerdeführers – wie bereits vor ihrer Ausreise – oder bei der Familie der Zweitbeschwerdeführerin wohnen.
Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.
Afghanische Frauen sind in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Zwar sind sie nach wie vor Diskriminierungen im Beruf ausgesetzt und kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit, es ist ihnen jedoch grundsätzlich möglich am Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Aus den Angaben des Erstbeschwerdeführers ergibt sich – wie bereits unter Punkt römisch II.2.1.5. ausgeführt –, dass er versuchte seine Anknüpfungspunkte in Afghanistan zu verschleiern. Wie festgestellt wurde hat der Erstbeschwerdeführer jedoch regelmäßig Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan. Es ist daher nicht erkennbar, warum der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie nicht zumindest vorübergehend im Eigentumshaus mit seinem Vater und dessen Frau wohnen können sollte, zumal er auch vor seiner Ausreise mit seiner Familie dort wohnte. Da auch das Vorbringen der Beschwerdeführer zur heimlichen Heirat gegen den Willen der Familie der Zweitbeschwerdeführerin nicht glaubhaft ist vergleiche Ausführungen unter Punkt römisch II.2.1.4.), steht fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin ebenso regelmäßig Kontakt zu ihrer Familie hat. Dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul von ihrem familiären Netzwerk – insbesondere dem Vater des Erstbeschwerdeführers und dem Vater sowie den Brüdern der Zweitbeschwerdeführerin – bei der Beschaffung einer Unterkunft, Arbeit und der Verpflegung sowie von der Stiefmutter des Erstbeschwerde-führers oder der Mutter und den Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin bei der Kinderbetreuung - zumindest anfänglich - unterstützt werden können, ergibt sich daraus, dass die Großfamilie die zentrale soziale Institution in Afghanistan bildet und zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder beiträgt sowie eine wirtschaftliche Einheit bildet, in der die Männer der Familie verpflichtet sind, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen.
Beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um einen volljährigen und arbeitsfähigen Mann, der über eine mindestens römisch 40 jährige Schulbildung verfügt und auf eine jahrelange erfolgreiche Berufserfahrung als Schneider zurückgreifen kann. Die Zweitbeschwerde-führerin ist volljährig, arbeitsfähig und kann lesen und schreiben. Auch sie verfügt über Berufserfahrung als Schneiderin. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin wieder in Kabul ansiedeln könnten und dort ein Leben unter unbilligen Härten führen könnten.
Dass die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in der Stadt Kabul eine Schule besuchen können, ergibt sich – wie bereits unter 2.2.4. ausgeführt – daraus, dass in Afghanistan prinzipiell Schulpflicht besteht und ein Schulangebot insbesondere in Kabul auch faktisch vorhanden ist (siehe auch Punkt römisch II.1.5.14.). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer, die in einem anpassungsfähigen Alter sind, sich nicht an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anpassen können sollten. Es ist insbesondere kein Grund ersichtlich, aus dem die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer nicht in der Lage wären in der Stadt Kabul neue Kontakte zu knüpfen, die begonnene Schulbildung fortzusetzen, einen Beruf zu lernen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache zu vertiefen. Es sind im Verfahren diesbezüglich keine Hinderungsgründe hervorgekommen.
Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan sowie der konkreten Situation die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Kabul wird auf die Ausführungen unter Punkt römisch II.2.2.4. verweisen. Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern droht in der Stadt Kabul weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat. Es droht diesen dort auch weder Missbrauch noch sexuelle Übergriffe, Entführungen oder Ausbeutungen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer in ihrer Wohnumgebung von explosiven Kriegsrückständen betroffen wären.
Jedoch ist die aktuelle COVID-19 Situation zu berücksichtigen. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind unmündige Minderjährige. Sie sind daher nicht selbsterhaltungsfähig, sondern auf die Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin angewiesen. Aufgrund der COVID-Situation hat sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert. Kabul ist besonders vom Lockdown betroffen. Es sind besonders Familien und Tagelöhner wirtschaftlich von der COVID-Situation betroffen. Es sind die Preise für Grundnahrungsmittel wesentlich gestiegen (Punkt römisch II.1.5.10).
Auch unter der Berücksichtigung, dass die Beschwerdeführer bei ihren Verwandten in Kabul vorrübergehend wohnen könnten, ist nicht davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sowohl sich als auch alle drei unmündigen minderjährigen Beschwerdeführer ausreichend mitversorgen könnten. Da Kabul vom Lockdown erheblich betroffen ist, sind auch die weiteren Verwandten der Beschwerdeführer von der COVID-19 Situation betroffen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass diese ausreichend in der Lage wären eine fünfköpfige Familie mit drei unmündigen minderjährigen Kindern ausreichend zu versorgen. Hier ist zudem die besondere Vulnerabilität der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer aufgrund der Minderjährigkeit zu berücksichtigen.
Das Gericht geht aufgrund dieser gesamten Umstände davon aus, dass es den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern nicht möglich ist nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt Kabul Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.
2.5. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer und -titel, ihren jeweiligen Deutschkenntnissen und ihrer Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage vergleiche insbesondere die Auszüge aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VP 1, Sitzung 19 ff, VP 2, Sitzung 11 ff) sowie auf die von ihnen im Verfahren vorgelegten Unterlagen.
Dass die Beschwerdeführer über keine Verwandten in Österreich verfügen, ergibt sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen und übereinstimmenden Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VP 1, Sitzung 22, VP 2, Sitzung 17).
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen ergeben sich daraus, dass der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen teilweise nicht verstanden hat und daher nicht den Fragen entsprechende Antworten stichwortartig in Deutsch gegeben hat. Der Erstbeschwerdeführer verfügt daher lediglich über geringe Deutschkenntnisse (VP 1, Sitzung 19). Die Zweitbeschwerdeführerin hat die auf Deutsch gestellten Fragen in der Beschwerdeverhandlung verstanden und in gebrochenem Deutsch beantwortet (VP 2, Sitzung 11 f). Sie kann auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren.
Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin jeweils über eine Einstellungszusage verfügen, ergibt sich aus den im Verfahren vorgelegten Unterlagen (Beilage ./D und ./J). Sofern der Erstbeschwerdeführer ein weiteres Schreiben in der Beschwerdeverhandlung (Beilage ./i) sowie der Beschwerde beilegte, ist diesem lediglich zu entnehmen, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle eines positiven Asylbescheides gute Chancen hätte bei der Firma ein Dienstverhältnis aufzunehmen. Daraus lässt sich jedoch keine fixe Einstellungszusage ableiten.
Entgegen der Aussage des Erstbeschwerdeführer, wonach er sich gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführer um die Kinder und den Haushalt kümmern würde (VP 1, Sitzung 23), gab diese an, dass sie die Integrationskurse nicht besuchen habe können, weil sie sich um ihre Kinder habe kümmern müssen (VP 2, Sitzung 15). Nachgefragt führte sie aus, dass sich ihr Mann nicht um die Kinder habe kümmern können, weil sie diesen Kurs gemeinsam machen haben wollen (VP 2, Sitzung 15). Da dies aufgrund der Betreuungssituation ihrer Kinder offenbar nicht möglich war, ist jedoch nach wie vor nicht nachvollziehbar, warum der Erstbeschwerde-führer die Kinderbetreuung nicht übernommen hat um der Zweitbeschwerdeführerin die Teilnahme an den Kursen zu ermöglichen. Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin die Kinderbetreuung untereinander aufteilen, ist daher nicht ersichtlich. Zudem ergibt sich auch aus den Angaben betreffend die Freizeitgestaltung der Zweitbeschwerdeführerin, dass sich diese vorwiegend um die Kinderbetreuung und den Haushalt kümmert (VP 1, Sitzung 9; VP 2, Sitzung 16).
Dass die Beschwerdeführer freundschaftliche Kontakte in Österreich knüpfen konnten und von den Betreuern der Unterkunft, den Einwohnern ihrer Wohngemeinde und von der Pfarrgemeinde geschätzt werden, ergibt sich aus den im Verfahren vorgelegten Unterstützungsschreiben. Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin über keine engen sozialen Bindungen zu diesen Personen und ihren freundschaftlichen Kontakten in Österreich verfügen, ergibt sich daraus, dass aus ihren Aussagen in der Beschwerdeverhandlung kein intensiver oder inniger Kontakt zu Freunden der Beschwerdeführer hervorgehen. Die Beschwerdeführer haben zwar regelmäßig Kontakt zu ihren Bekannten (VP 1, Sitzung 22; VP 2, Sitzung 17 f), allein daraus kann jedoch keine Abhängigkeit und feste Beziehungsintensität abgeleitet werden. Weitere Umstände, die auf eine Abhängigkeit der Beschwerdeführer zu ihren Bekannten hindeuten würden, haben die Beschwerdeführer weder vorgebracht noch sind solche im Verfahren hervorgekommen. Aus der Aktenlage ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführer während ihres gesamten Aufenthaltes in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung bezogen haben. Da im Rahmen der Grundversorgung die existenziellen Grundbedürfnisse der Beschwerdeführer abgedeckt wurden und nach wie vor werden, kann das erkennende Gericht keine im gegenständlichen Fall zu berücksichtigende Abhängigkeit zu ihren Bekannten erkennen.
Dass der Aufenthalt der Beschwerdeführer nie geduldet war, sie weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen noch Opfer von Gewalt waren, ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführer Gegenteiliges nie behauptet haben und entsprechendes auch im Verfahren nicht hervorgekommen ist.
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./I - Strafregisterauszug jeweils vom 27.03.2020).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide - Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten
3.1.1.
Paragraph 3, Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
Paragraph 3, (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23,) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.
…“
Paragraph 11, AsylG lautet:
„Innerstaatliche Fluchtalternative
Paragraph 11, (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8, Absatz eins,) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stammen aus Kabul, dort haben sie lange Zeit gelebt. Die Familien der Beschwerdeführer leben noch in Kabul.
Es ist daher Kabul als Heimatregion der Beschwerdeführer heranzuziehen.
3.1.2. Die von den Beschwerdeführern geschilderten Vorfälle, insbesondere die Zwangsheirat der Zweitbeschwerdeführerin, hat nicht stattgefunden. Die Beschwerdeführer wurden weder durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin, noch durch staatliche Organe oder durch andere Personen bedroht.
Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wird in Afghanistan auch nicht vorgeworfen gegen die Scharia verstoßen zu haben oder unmoralisch gehandelt zu haben. Deren Kinder sind eheliche Kinder.
Es konnte auch keine begründete Furcht festgestellt werden. Es ist daher keine Verfolgung der Beschwerdeführer und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.
Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion der Beschwerdeführer erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Sohin kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern aus den von ihnen ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
3.1.3. Es konnte auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers zu den schiitischen Hazara festgestellt werden (siehe Ausführungen zu Punkt römisch II.2.2.2.).
In Ermangelung von dem Erstbeschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungs-handlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur Religionsgruppe der Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:
Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara vergleiche insb. Punkt römisch II.1.5.4.) erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet, sodass die Angriffe keine spezifische Verfolgung schiitischer Muslime darstellen, sondern auf die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen zurückzuführen sind.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).
Es ist daher eine Gruppenverfolgung - sowohl in Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben.
3.1.4. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.
Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).
Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte vergleiche VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 - 0306, mwN). Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen mit westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH vom 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).
Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im Dezember 2015 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan (konkret der Stadt Kabul) darstellt, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten in der Stadt Kabul brechen würde.
Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte bei der Zweitbeschwerdeführerin nicht festgestellt werden.
Die Zweitbeschwerdeführerin verletzen mit ihrer aktuellen Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in urbanen Zentren Afghanistans, jedenfalls in Kabul, nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Frauen können in Kabul alleine das Haus verlassen, auch ohne männliche Begleitung, diese können auch alleine einkaufen gehen. Frauen können in Kabul die Schule besuchen, eine Berufsausbildung machen sowie ein Studium absolvieren. Frauen sind in Kabul in einem breiten Spektrum berufstätig. Es gibt in Kabul ein breites Freizeitangebot sowie Sportangebot für Frauen. Die Ausübung von Freizeit- und Sportmöglichkeiten führt nicht zu einem wesentlichen Bruch mit den in Kabul gelebten Werten. Das Kleidungsspektrum in Kabul umfasst auch westlichere Kleidung. Es ist daher kein Bruch mit den vorherrschenden Normen in urbanen Zentren ersichtlich, der eine Verfolgung auslösen würde. Infolgedessen verletzt die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.
3.1.5. Eine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK, insbesondere im Zusammenhang mit dem (zukünftigen) Wunsch nach Schulbildung ist ebenfalls nicht ableitbar. Dies insbesondere deshalb, weil in Afghanistan prinzipiell Schulpflicht besteht und ein Schulangebot in der Stadt Kabul auch faktisch vorhanden ist. Die Stadt Kabul steht unter Kontrolle der Regierung, sodass keine Gefahr besteht, dass die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer von aufständischen Gruppierungen von einem Schulbesuch, einem Studium oder einer Ausbildung abgehalten werden könnten. Ein Schulbesuch stellt daher keinen Bruch mit den Gegebenheiten in Afghanistan dar.
Für eine asylrelevante Verfolgung der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer spezifischen Situation als Kind gab es auch keine Anhaltspunkte im Verfahren. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist somit weder aufgrund des Vorbringens des Erst- oder der Zweitbeschwerdeführerin noch sonst eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im Verfahren hervorgekommen.
3.1.6. Zu prüfen bleibt, ob unter dem Aspekt der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ iSd GFK (z.B. Gruppe der minderjährigen Kinder) eine asylrelevante Verfolgungsgefahr alleine aufgrund des Alters der (minderjährigen) Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan zu erwarten ist. Es konnte jedoch auch hier keine asylrelevante Verfolgung erkannt werden:
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Kindern in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Kinder gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Alterszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein.
Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer können in Kabul die Schule besuchen und wären auch nicht von Zwangsheirat bedroht. Sie würden zudem im Familienverband mit ihren Eltern nach Afghanistan zurückkehren, sodass auch diesbezüglich familiärer Schutz vorliegt.
Eine Verfolgungsgefahr ist jedoch nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist im Falle der (minderjährigen) Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer keine auch nur entfernte Möglichkeit einer asylrelevanten Verfolgung im Verfahren hervorgekommen.
Die Minderjährigkeit der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer begründet mangels Anknüpfung an zumindest einen Konventionsgrund keine Asylrelevanz.
3.1.7. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt werden konnten, liegen die Voraussetzungen des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG nicht vor.
Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide ist daher gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide – Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
3.2.1. Paragraph 8, AsylG lautet auszugsweise:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
Paragraph 8, (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, ist mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht.
…“
3.2.2. Gemäß Artikel 2, Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Artikel 3, EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird vergleiche EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029). In diesem Zusammenhang geht der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Sicherheitslage von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet vergleiche VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).
Es muss den Beschwerdeführern zudem möglich sein sich dort ein Leben aufzubauen und dieses ohne unbillige Härten zu führen. Es darf den Beschwerdeführern dort keine Verletzung ihrer nach Artikel 3, EMRK gewährleistete Rechte drohen.
3.2.2. Aus den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 ergibt sich zwar, dass eine interne Schutzalternative in Kabul aufgrund einer Kombination aus der Sicherheits- und Versorgungslage derzeit eher nicht bestehe. Da die Beschwerdeführer in Kabul aufgewachsen sind und dort gemeinsam mit ihrer Familie bis zu ihrer Ausreise gelebt haben und der Großteil ihrer Familienangehörigen nach wie vor in Kabul lebt, ist Kabul als Heimatstadt der Beschwerdeführer zu betrachten. Es stellt daher eine Rückkehr der Beschwerdeführer in die Stadt Kabul keine interne Schutzalternative für die Beschwerdeführer dar.
3.2.3. Zum Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin:
Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, sind in Kabul nicht auszuschließen und finden in unregelmäßigen Abständen auch statt. Die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen vermag für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Artikel 3, EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist. Kabul ist durch einen internationalen Flughafen sicher erreichbar. Die Versorgungslage ist in Kabul zwar angespannt, dennoch ist die Versorgung der Bevölkerung in Kabul grundlegend gesichert.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben den überwiegenden Teil ihres Lebens in Afghanistan verbracht, wodurch sie mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut sind. Die Beschwerdeführer sprechen Dari, die Landessprache Afghanistans, als Muttersprache und verfügen Ortskenntnisse in der Stadt Kabul.
Des Weiteren verfügen der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin über familiäre Anknüpfungspunkte in der Stadt Kabul, mit denen sie auch regelmäßig in Kontakt stehen. Die Beschwerdeführer können im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan zumindest vorübergehend beim Vater des Erstbeschwerdeführers oder bei der Familie der Zweitbeschwerdeführerin wohnen und insbesondere mit Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft, einer Arbeitsstelle und Verpflegung sowie medizinischer Versorgung rechnen. Die Beschwerdeführer stammen aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Es ist deshalb auch nicht zu befürchten, dass sie bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würden. Zudem können die Beschwerdeführer auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind gesund und arbeitsfähig. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über eine mindestens römisch 40 jährige Schulbildung sowie eine Ausbildung als Schneider und über jahrelange Berufserfahrung als Schneider. Die Zweitbeschwerdeführerin kann lesen und schreiben und verfügt ebenfalls Berufserfahrung als Schneiderin.
Dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ist es aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich in der Stadt Kabul – etwa auch durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, wobei den Beschwerdeführern ihre Berufserfahrung zu Gute kommt – eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern.
3.2.4. Zu den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer:
Bei den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern handelt es sich um unmündige minderjährige Kinder. Diese sind in einem anpassungsfähigen Alter, sodass es ihnen möglich ist, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
Minderjährige Kinder gelten vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen in Afghanistan als besonders vulnerable Antragsteller (gefährdet besonders durch Munitionsrückstände, körperliche Übergriffe durch Erwachsene in Schulen oder durch die afghanische Polizei, sexuellen Missbrauch, auch als Bacha Bazi, durch Kinderarbeit, Zwangsehen, Ausbeutung sowie auch durch die angespannte Versorgungs- und Sicherheitslage).
Die minderjährigen Beschwerdeführer sind weder von Zwangsehen noch von Kinderarbeit bedroht. Es haben sich auch keine Hinweise ergeben, wonach die minderjährigen Beschwerdeführer Gefahr laufen würden ausgebeutet oder (sexuelle) missbraucht zu werden.
Aufgrund der Minderjährigkeit sind die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer jedoch nicht in der Lage sich selbst ausreichend zu versorgen. Diese können ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht selber befriedigen. Diese sind auf eine ausreichende Versorgung durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin angewiesen und daher besonders von angespannten Versorgungslagen betroffen.
Durch die COVID-Situation hat sich die wirtschaftliche Lage in Kabul angespannt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen und besonders Gelegenheitsarbeiter und Familien sind von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-Situation betroffen. Es sind auch die Preise für Lebensmittel erheblich gestiegen und droht Kabul eine Wasserknappheit. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin müssten daher nicht nur sich selbst, sondern auch ihre drei unmündigen minderjährigen Kinder in der COVID-19 Situation in Kabul versorgen. Kabul ist besonders vom Lockdown betroffen. Es ist zu berücksichtigen, dass auch die Verwandten der Beschwerdeführer, die ebenfalls in Kabul leben, auch wirtschaftlich von der COVID-19 Situation und daher von den wirtschaftlichen Erschwernissen betroffen sind. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation, dem Lockdown, der besonderen Betroffenheit der Stadt Kabul und den gestiegenen Lebensmittelpreisen, ist nicht davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in der Lage wären sowohl sich selbst als auch noch drei unmündige minderjährige Kinder ausreichend zu versorgen und die notwendigen Lebensbedürfnisse sicher zu stellen.
Es ist dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin daher aufgrund der COVID-Situation (trotz familiärer Unterstützung und vorrübergehender Wohnmöglichkeit in Kabul) derzeit nicht möglich den notwendigen Lebensunterhalt für die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in der Stadt Kabul sicher zu stellen. Diese wären daher bei einer möglichen Ansiedelung in Kabul besonders stark von der COVID-19-bedingten angespannten Versorgungslage betroffen.
Es ist den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern somit nicht möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung nach Afghanistan in der Stadt Kabul Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen.
3.2.5. Es haben sich keine Hinweise ergeben, wonach die Beschwerdeführer in anderen Teilen Afghanistans – insbesondere der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat – über ein tragfähiges und tragwilliges familiäres Netzwerk verfügen. Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern steht daher keine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Landesteilen von Afghanistan offen.
3.2.6. Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 liegen nicht vor.
3.2.7. Den Beschwerden der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer war daher hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und ihnen gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
3.2.7. Familienverfahren:
Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG lautet auszugsweise:
„Begriffsbestimmungen
Paragraph 2, (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist,
22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;
…“
Paragraph 34, Absatz 3, AsylG lautet auszugsweise:
„Familienverfahren im Inland
Paragraph 34, (3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn,
1. dieser nicht straffällig geworden
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 9,) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.“
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die leiblichen Eltern der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Diese sind noch ledig und minderjährig.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nicht straffällig geworden. Diesen ist nicht der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen (siehe Punkt römisch II.3.1.). Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern wurde mit diesem Erkenntnis der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, es ist gegen diese kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig.
Da im gegenständlichen Fall alle gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, war dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG subsidiärer Schutz zuzuerkennen.
Den Beschwerden des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin war daher hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und ihnen gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
3.2.8. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Im gegenständlichen Fall war den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen. Daher ist ihnen gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.
3.3. Spruchpunkt römisch III. und römisch VI. der angefochtenen Bescheide
Auf Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die Spruchpunkte römisch III. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos – gemäß Paragraph 28, Absatz eins und 2 VwGVG vergleiche VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) – zu beheben.
ECLI:AT:BVWG:2020:W251.2171609.1.00