Bundesverwaltungsgericht
13.02.2020
G308 2177217-1
G308 2177224-1/20E
G308 2177226-1/21E
G308 2177217-1/20E
G308 2177220-1/23E
G308 2177222-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde 1.) des römisch 40 , geboren am römisch 40 , 2.) der römisch 40 , geboren am römisch 40 , 3.) des römisch 40 , geboren am römisch 40 , 4.) des römisch 40 , geb. römisch 40 , sowie 5.) der minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , alle Staatsangehörigkeit: Irak, die minderjährige Beschwerdeführerin (5.) gesetzlich vertreten durch die Mutter (2.), alle vertreten durch die ARGE-Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingshilfe gem. GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 20.10.2017, Zahlen: zu 1.) römisch 40 , zu 2.) römisch 40 , zu 3.) römisch 40 , zu 4.) römisch 40 sowie zu 5.) römisch 40 , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22.10.2019, zu Recht:
A)
römisch eins. Der Antrag auf Einholung eines länderspezifischen Sachverständigengutachtens sowie der Antrag auf "Konkretisierung der Länderberichte" wird als unbegründet abgewiesen.
römisch II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 sowie römisch 40 und mj. XXXXjeweils gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
römisch III. Gemäß Paragraph 3, Absatz 4, AsylG 2005 kommt römisch 40 und mj. römisch 40 jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.
römisch IV. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXXund mj. römisch 40 damit kraft Gesetzes jeweils die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
römisch fünf. In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführer stellten damals als Ehepaar am 25.09.2015 für sich und ihre damals allesamt noch minderjährigen drei Kinder (den Drittbeschwerdeführer, den Viertbeschwerdeführer und die nach wie vor minderjährige Fünftbeschwerdeführerin) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß
Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005.
2. Am 04.10.2015 fanden vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftlichen Erstbefragungen des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des jeweils mündigen minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführers im Asylverfahren statt.
Der Erstbeschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst vor, er sei irakischer Schiit und wolle nicht mit den Milizen gegen die IS-Truppen kämpfen. Im gesamten Irak würden ethnische Konflikte herrschen und würden immer wieder Frauen und Kinder entführt werden. Er habe Angst um sein Leben und das seiner Familie.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, sie sei Schiitin und würden im ganzen Irak ethnische Konflikte herrschen. Immer wieder würden Frauen und Kinder entführt und habe sie Angst um das Leben ihrer Familie und um ihr eigenes. Außerdem könnten ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen und wolle ihr Ehemann nicht im Krieg kämpfen.
Der bei der Erstbefragung noch mündig-minderjährige Drittbeschwerdeführer gab auf Befragen zu seinen Fluchtgründen an, es herrsche im Irak Krieg und fürchte man sich sogar in der eigenen Wohnung vor einem Anschlag. Weiters sei er geflüchtet, weil dies sein Vater so entschieden habe und die Familie nicht alleine im Irak zurückbleiben könne.
Schließlich gab der bei der Erstbefragung noch mündig-minderjährige Viertbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, den Irak verlassen zu haben, da sein Vater (der Erstbeschwerdeführer) das so entschieden habe und die Familie nicht alleine im Irak zurückbleiben könne. Weiters habe er in seiner Heimat keine Zukunft.
3. Die niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, fand hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin am 20.07.2017, hinsichtlich des inzwischen volljährigen Drittbeschwerdeführers am 21.07.2017 statt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, der Führer seines Stammes habe von ihm und in weiterer Folge auch von seinem älteren Sohn (dem Drittbeschwerdeführer) verlangt, dass sie sich entweder der schiitischen Miliz Asa-ib Ahl al-Haqq (im Folgenden: AAH) im Kampf gegen den IS, dem irakischen Militär oder der Polizei anschließen müssen. Der Erstbeschwerdeführer habe sich geweigert, da er an keinen Kampfhandlungen teilnehmen habe wollen und deswegen bereits den Militärdienst umgangen sei. Der Stammesführer habe auch dem Vater des Erstbeschwerdeführers mitgeteilt, dass er seinem Sohn ausrichten solle, er müsse entweder die Befehle des Stammes befolgen oder würde aus dem Stamm ausgeschlossen werden. Nach einem Gespräch mit dem Vater habe er sich mit seiner Frau entschieden, gemeinsam mit den Kindern den Irak zu verlassen. Während der Vorbereitungszeit für die Ausreise habe er sich in einer leerstehenden Wohnung eines Freundes versteckt. Er habe vier Tage später, am 08.08.2015, von der Zweitbeschwerdeführerin einen Anruf erhalten, wonach zwei vermummte und bewaffnete, den Beschwerdeführern unbekannte, Männer zu ihnen nach Hause gekommen wären und nach dem Erstbeschwerdeführer sowie dem Drittbeschwerdeführer gefragt hätten. Nachdem die Zweitbeschwerdeführerin ihnen mitgeteilt hätte, dass beide nicht zuhause seien, wären die Männer gegangen, hätten jedoch gemeint, sie würden wiederkommen. Aus Furcht, dass sie zurückkehren würden, habe sie deswegen den Drittbeschwerdeführer am nächsten Tag zeitig in der Früh zum Vater des Erstbeschwerdeführers gebracht, wo er dann geblieben sei und sich der Erstbeschwerdeführer auch mehrmals mit der Familie getroffen habe. Persönlich habe der Erstbeschwerdeführer mit den Männern keinen Kontakt mit dem Stammesführer oder diesen beiden unbekannten Männern gehabt. Er habe Reisepässe für alle besorgt, die sie am 01.09.2015 jeweils persönlich bei der Behörde hätten entgegennehmen müssen. Unmittelbar nach Erhalt der Reisepässe hätten sie auch ein Visum für die Türkei erhalten und wären am 12.09.2015 auf dem Luftweg von Bagdad in die Türkei ausgereist. Sein Vater habe ihm inzwischen mitgeteilt, dass die Männer nach der Ausreise der Beschwerdeführer bei ihm gewesen seien und gesagt hätten, der Erstbeschwerdeführer sei zwar nun ausgereist, aber sollte er jemals zurückkehren, würde er getötet werden. Weiters sei der Erstbeschwerdeführer nach der Ausreise von seinem Fleischhauer, einem Freund seines Stammes, über soziale Medien bedroht worden. Dies seien alle Fluchtgründe.
Im Zuge der Einvernahme legte der Erstbeschwerdeführer nachfolgende Unterlagen/Beweismittel vor:
- irakischer Personalausweis im Original Erstbeschwerdeführer (AS 151/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis im Original Erstbeschwerdeführer (AS 155/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- irakische Lebensmittelkarte (AS 153/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- irakische Meldekarte des Erstbeschwerdeführers (AS 149/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- irakischer Arbeitsausweis des Erstbeschwerdeführers (AS 149/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Türkische Visa der Zweitbeschwerdeführerin, des Drittbeschwerdeführers, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin, gültig für 30 Tage im Zeitraum von 12.09.2015 bis 09.03.2016 (AS 91 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Kopien griechischer und serbischer Dokumente der Familie (AS 99 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Schreiben des Kardinals römisch 40 über die Zulassung des Erstbeschwerdeführers zu den Sakramenten der Eingliederung vom 02.03.2017 (AS 65/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Deutschkurs-Bestätigungen Niveau A1 vom 07.01.2016 und 04.08.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 67 & 79/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Deutschkurs-Bestätigung Niveau A2+ vom 20.12.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 81/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Teilnahmebestätigung "Richtiges Verhalten im Notfall" vom 04.03.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 69/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Teilnahmebestätigungen für diverse Integrationsveranstaltungen vom 13.02.2017, 24.04.2017, 17.07.2017, für den Erstbeschwerdeführer (AS 71 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Teilnahmebestätigung "Werte und Orientierung" vom 03.10.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 77/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- "Arbeitszeugnis" des XXXXfür den Erstbeschwerdeführer über dessen gemeinnützige Tätigkeiten vom 17.07.2017 und vom 27.03.2017 (AS 83 & 85/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Unterstützungsschreiben der Flüchtlingsunterkunft der Beschwerdeführer vom 12.06.2017 (AS 87 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Konvolut medizinischer Unterlagen des Erstbeschwerdeführers, wonach er an behandlungsbedürftigem Diabetes mellitus Typ 2 (E11.9), Hyperglykämie (Blutzuckerentgleisung; R73.9), essentieller primärer Hypertonie (I10), Hyperlipidämie (E78.5), Vitamin D-Mangel (E55.9) leidet; datiert zwischen 08.08.2016 und 23.10.2017 (AS 113 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte zu ihren Fluchtgründen befragt vor, dass sie hauptsächlich wegen den Problemen des Erstbeschwerdeführers geflüchtet sei. Dieser habe Probleme mit seinem Stamm, denn der Stammesführer habe enge Verbindungen zu den schiitischen Milizen und hätten diesen den Stammesführer eingesetzt, um Männer aus der Zivilbevölkerung für die Milizen zu rekrutieren. Bei einem Treffen seines Stammes sei es tatsächlich dazu gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer aufgefordert worden sei, sich der "Hashd Al Shaabi" anzuschließen, was dieser abgelehnt habe, zumal er auch den Militärdienst nicht geleitstet habe. Fünf Tage nach der Ablehnung durch den Erstbeschwerdeführer habe der Stammesführer den Schwiegervater angerufen. Der Schwiegervater habe dann den Erstbeschwerdeführer angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Stammesführer ihn mit dem Ausschluss aus dem Stamm bedrohe und das bedeute, dass der Erstbeschwerdeführer getötet werde. Am nächsten Tag hätte der Erstbeschwerdeführer seine Arbeit gekündigt, alle persönlichen Dokumente mitgenommen, die gemeinsame Wohnung verlassen und sei zu einem Freund gegangen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihn darum gebeten, sich um Dokumente für sie und die Kinder zu kümmern. Etwa zwei Tage nachdem der Erstbeschwerdeführer die Familienwohnung verlassen habe, habe es an der Türe geklopft. Es seien zwei ihr unbekannte Männer vor der Tür gestanden und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Sie hätte gesagt, er sei bei der Arbeit und, dass sie nicht genau wüsste, wann er nach Hause komme. Daraufhin hätten die Männer gesagt, sie solle dem Erstbeschwerdeführer ausrichten, er solle zu ihnen kommen, andernfalls würden sie den Drittbeschwerdeführer mitnehmen. Nachdem die Männer gegangen seien, habe sie den Erstbeschwerdeführer angerufen und ihm erzählt, was passiert sei. Sie habe den Drittbeschwerdeführer zu ihren Eltern gebracht, die im Haus gegenüber gewohnt hätten. Am nächsten Tag in der Früh hätte sie dann den Drittbeschwerdeführer zu seinem Großvater väterlicherseits (dem Schwiegervater der Zweitbeschwerdeführerin) gebracht, wo er bis zur Ausreise geblieben sei. Der Erstbeschwerdeführer habe in der Zwischenzeit die Dokumente besorgt. Die Zweitbeschwerdeführerin selbst sei nie bedroht worden. Da die Fünftbeschwerdeführerin nur mit Kopftuch aus dem Haus gehe, seien sie einmal belästigt worden. Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem die Zweitbeschwerdeführerin traumatisiert worden sei. Es seien Milizen zur Nachbarin gekommen und hätten deren Ehemann verlangt, der aber nicht da gewesen sei. Es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei welcher die Nachbarin von den Milizangehörigen erschossen worden sei. Es seien weder die Zweitbeschwerdeführerin noch ihre Familie in den Vorfall involviert gewesen, aber sie hätten es mitbekommen. Sie habe Angst um ihr Leben und das ihrer Familie. Sonst habe sie keine weiteren Fluchtgründe.
Zu den Fluchtgründen der zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem Bundesamt noch minderjährigen Kindern, dem Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführerin, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, diese hätten keine eigenen Fluchtgründe und das Familienverfahren solle sich auf das Verfahren der Zweitbeschwerdeführerin beziehen.
Im Zuge der Einvernahme legte die Zweitbeschwerdeführerin nachfolgende (sofern nicht bereits vom Erstbeschwerdeführer vorgelegte) Unterlagen/Beweismittel vor:
- irakische Personalausweise im Original der Zweitbeschwerdeführerin, des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin (AS 79 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- irakische Staatsbürgerschaftsnachweise im Original der Zweitbeschwerdeführerin, des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin (AS 83 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Deutschkurs-Bestätigung für einen Deutschkurs auf Alphabetisierungs-Niveau vom 13.06.2017 für die Zweitbeschwerdeführerin (AS 67 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Teilnahmebestätigung für eine Integrationsveranstaltung (Erziehung von Kindern in Österreich; Kinderrechte) vom 07.11.2016 für die Zweitbeschwerdeführerin (AS 63/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Teilnahmebestätigung "Richtiges Verhalten im Notfall" vom 09.03.2016 für die Zweitbeschwerdeführerin (AS 65/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Psychiatrischer Befundbericht Dris. römisch 40 vom 29.06.2017 für die Zweitbeschwerdeführerin, wonach dies an einer Depression bei Belastungsreaktion (296.1) und einer Angststörung leidet, ihr diverse Medikamente verordnet wurden und eine Psychotherapie in der Muttersprache sowie Verlaufskontrollen empfohlen wurden (AS 59/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Bestätigung von römisch 40 , vom 05.07.2017, wonach sich die Zweitbeschwerdeführerin in Psychotherapie befindet (AS 61/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Schülerblatt der Neuen Mittelschule des Viertbeschwerdeführers (AS 73/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Schulbesuchsbestätigung einer Polytechnischen Schule über den außerordentlichen Schulbesuch des Viertbeschwerdeführers, Schuljahr 2016/2017 (AS 75/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
- Schulbesuchsbestätigung einer Neuen Mittelschule über den außerordentlichen Schulbesuch der Fünftbeschwerdeführerin, Schuljahr 2016/2017 (AS 77/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin);
Der inzwischen volljährige Drittbeschwerdeführer brachte im Zuge seiner Einvernahme vor, die Familie sei auf Wunsch seines Vaters (des Erstbeschwerdeführers) aus dem Irak ausgereist. Damals habe er noch nicht gewusst, warum. Nach der Ankunft in Österreich hätte ihm der Vater erklärt, dass er seitens des Stammesführers bedroht worden sei und, dass man den Drittbeschwerdeführer an seiner Stelle für Kampfeinsätze bei der schiitischen Miliz "Al Hashd al Shaabi" eingezogen hätte. Weiters habe der Erstbeschwerdeführer erklärt, dass das Leben der Familie wegen seiner Weigerung seitens des Stammes gefährdet worden wäre. Weitere Details habe der Vater aber nicht erzählt und sei der Drittbeschwerdeführer persönlich nicht bedroht worden.
Im Zuge der Einvernahme legte der Drittbeschwerdeführer nachfolgende (sofern nicht bereits vom Erstbeschwerdeführer oder der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegte) Unterlagen/Beweismittel vor:
- irakischer Personalausweis im Original des Drittbeschwerdeführers (AS 47 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer);
- irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis im Original des Drittbeschwerdeführers (AS 49/Teil römisch eins ff Drittbeschwerdeführer);
- Teilnahmebestätigung des Drittbeschwerdeführers am "XXXX", einem schulanalogen Bildungsprojekt mit werktäglichem Unterricht von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr (20 Wochenstunden) bei Anwesenheitspflicht und den Kernfächern Deutsch (derzeitige Einstufung A2.2), Mathematik und "Kritische Partizipation" (AS 51 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer);
- Bestätigung über die Einschreibung des Drittbeschwerdeführers im Schuljahr 2015/2016 als außerordentlicher Schüler einer HTL für Informationstechnologie (AS 55/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer);
- Teilnahmebestätigungen für Integrationsveranstaltungen vom 08.09.2016, 01.09.2016 und 18.08.2016 für den Drittbeschwerdeführer (AS 61/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer);
4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes vom 20.10.2017 wurden die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürden Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist (Spruchpunkt römisch III.) sowie den Beschwerdeführern eine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die insbesondere vom Erstbeschwerdeführer geschilderten Fluchtgründe, er wäre von seinem Stammesführer aufgefordert worden, sich entweder der Polizei, dem Militär oder der schiitischen Miliz anzuschließen, andernfalls der Drittbeschwerdeführer zwangsrekrutiert werden würde, nicht glaubwürdig seien. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt gewesen sei oder eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Das Fluchtvorbringen entbehre jeder Logik und sei es unglaubwürdig, dass die zum Erstbeschwerdeführer nach Hause geschickten Männer unverrichteter Dinge wieder abgezogen seien. Es sei weiters nicht nachvollziehbar, dass sie innerhalb des Monats, in welchem sich die Beschwerdeführer noch im Irak befunden hätten, sie nicht ein weiteres Mal aufgesucht worden seien. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten andere fluchtauslösende Ereignisse explizit verneint und der Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Die Behandlung der Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sei auch im Irak möglich. Die Beschwerdeführer hätten ihr überwiegendes Leben im Irak verbracht, dort eine Schulbildung absolviert und nach wie vor bestehende familiäre Bindungen, sodass mit Unterstützung durch Angehörige bei der Rückkehr zu rechnen sei. Der Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer seien weiters arbeitsfähig und -willig. Eine Rückkehr wäre zumutbar, zumal alle Beschwerdeführer von einer Rückkehrentscheidung betroffen wären und somit kein Eingriff in ihr Familienleben vorläge.
Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.
5. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit am 17.11.2017 beim Bundesamt einlangenden, offensichtlich fälschlich mit "30.07.2017" datierten Schriftsatz ihrer damaligen und gemeinsamen bevollmächtigten Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft oder allenfalls subsidiären Schutz zusprechen; in eventu die angefochtenen Bescheide beheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückverweisen; einen landeskundlichen Sachverständigen beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasse und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; in eventu eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären und den Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; in eventu feststellen, dass eine Abschiebung in den Irak unzulässig ist.
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführer als Fluchtgründe Verfolgung aus religiösen und politischen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe geltend gemacht hätten. Sie seien aufgrund ihrer Stammeszugehörigkeit und der Weigerung des Erstbeschwerdeführers, sich am Bürgerkrieg bewaffnet zu beteiligen, von radikalen schiitischen Milizen mit dem Umbringen bedroht worden. Weiters befürchte die Zweitbeschwerdeführerin Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen aufgrund ihrer mit der streng-islamischen Ordnung im Irak unvereinbaren westlichen Lebenseinstellung und weitere Verfolgungshandlungen durch die schiitischen Milizen, ebenso wie der Erstbeschwerdeführer, der in Österreich zum Christentum konvertiert sei. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes hätten die Beschwerdeführer sehr konkrete und genaue Angaben zu den Vorfällen gemacht. Die Beweiswürdigung sei nicht nachvollziehbar und hätten das Bundesamt die Lage im Herkunftsstaat Irak nicht ausreichend bzw. richtig berücksichtigt, zumal sich daraus eine zunehmende Eskalation des interkonfessionellen Bürgerkrieges im Irak ergebe. Es wäre dem Bundesamt auch unbenommen gewesen, im Zuge des Ermittlungsverfahrens konkrete Recherchen im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer durchzuführen. In Anbetracht der von Erstbeschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hätte das Bundesamt ihn zu seiner Konversion näher befragen müssen, anstatt ihm die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Die Beschwerdeführer wären konkreten Verfolgungshandlungen im Irak ausgesetzt gewesen und bestehe dafür keine innerstaatliche Fluchtalternative. Der irakische Staat sei diesbezüglich zudem weder schutzfähig noch schutzwillig. Die geschlechtsspezifische Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin sei gänzlich unberücksichtigt geblieben. Dazu werde auf die UNHCR-Richtlinien verwiesen. Die westliche Lebenseinstellung widerspreche der islamischen Gesellschaftsordnung im Irak und wäre die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihren fundamentalen Menschenrechten eingeschränkt. Die allgemein vorherrschende Lage im Irak rechtfertige jedenfalls die Zuerkennung von subsidiärem Schutz.
Unter einem wurden (sofern nicht bereits aktenkundig) nachfolgende Unterlagen vorgelegt:
- Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers ("Arbeitszeugnis") vom 17.07.2017 und 03.11.2017 (AS 345 und 381/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Deutschkursbestätigung auf Niveau A2 des Erstbeschwerdeführers vom 16.09.2016 und vom 25.10.2016 (AS 357 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Deutschkursbestätigung Zweitbeschwerdeführerin vom 13.06.2017 (AS 369/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Praktikumsbeurteilung der Fünftbeschwerdeführerin (AS 379/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
- Teilnahmebestätigungen für den Viertbeschwerdeführer (vom 24.10.2017) und den Drittbeschwerdeführer (vom 17.07.2017) über deren Teilnahme am "XXXX" (AS 375 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer);
6. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 21.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
7. Mit Schreiben der damals noch gemeinsamen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 26.12.2017, beim Bundesverwaltungsgericht am 29.12.2017 einlangend, legten die Beschwerdeführer nachfolgende Integrationsunterlagen (sofern nicht bereits aktenkundig) vor:
- Foto des Erstbeschwerdeführers mit dem Kardinal (AS 17/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer);
8. Mit Schreiben der damals noch gemeinsamen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 02.01.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 05.01.2018 einlangend, legte die Beschwerdeführer eine kaum leserliche Kopie eines arabischen Schreibens vom 21.07.2017 sowie eine beglaubigte Übersetzung aus dem Arabischen vom 27.12.2017 vor, wonach der Erstbeschwerdeführer und die beiden Söhne (der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer) aus dem Stamm des Erstbeschwerdeführers wegen der Konversion des Erstbeschwerdeführers zum Christentum und wegen der Weigerung, sich am Jihad zu beteiligen und den Terrorismus im Irak zu bekämpfen, am 21.07.2017 ausgeschlossen wurden (AS 21 f/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer).
9. Am 09.05.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 08.05.2018 datierte Urkundenvorlage der damaligen gemeinsamen Rechtsvertretung der Beschwerdeführer ein, mit welcher eine Kopie des Taufscheines des Erstbeschwerdeführers über seine Taufe und Firmung in der römisch-katholischen Kirche am 31.03.2018 vorgelegt wurde (AS 31 f/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer).
10. Am 03.06.2019 langte die mit 24.05.2019 datierte Beschwerdeergänzung des Erstbeschwerdeführers mit Schriftsatz seiner nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde ein neues Tatsachenvorbringen dahingehend erstattet, dass der Erstbeschwerdeführer bisexuell sei und daher eine von der heterosexuellen Norm abweichende sexuelle Orientierung aufweise. Er fühle sich größtenteils zu Männern hingezogen, selten auch zu Frauen. Dieser Umstand sei ihm bereits seit dem Teenageralter bewusst, nachdem er damals bereits im Irak erste sexuelle Erfahrungen mit Männern gemacht habe. Den gesellschaftlichen Konventionen entsprechend habe er eine Frau (die Zweitbeschwerdeführerin, Anmerkung geheiratet, welche bis dato nichts von der sexuellen Orientierung des Erstbeschwerdeführers wisse. Es sei bereits im Irak zu Beziehungsproblemen zwischen den Ehepartner gekommen. Trotz aufrechter Ehe habe der Erstbeschwerdeführer sich im Irak auch heimlich mit Männern getroffen, mit welchen er sexuelle Beziehungen eingegangen sei. Aufgrund des familiären Drucks sei eine Trennung des Erstbeschwerdeführers von der Zweitbeschwerdeführerin de facto nicht in Frage gekommen. Bei der Flucht nach Österreich habe der Erstbeschwerdeführer nichts über die Rechtslage von LGBTIQ-Personen in Österreich gewusst. Zudem habe er bei der Erstbefragung im Asylverfahren nicht über seine Sexualität sprechen wollen, da der für alle Übersetzungen zuständige Dolmetscher in der Flüchtlingsunterkunft womöglich der Zweitbeschwerdeführerin davon erzählt hätte und weiters auch andere Bewohner von seiner sexuellen Orientierung erfahren hätten. Auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt habe der Erstbeschwerdeführer noch kein Wissen über die gesetzliche Lage hinsichtlich LGBTIQ-Personen in Österreich gehabt, weshalb er seine sexuelle Orientierung auch dort nicht angesprochen habe. Zufällig habe er einen homosexuellen Bekannten aus dem Irak in Österreich wiedergetroffen. Von diesem und noch einem Bekannten habe er schließlich von der Organisation Queer Base und erst durch die dortige Beratung über seine Rechte und Diskriminierungsschutz in Österreich Kenntnis erlangt, sodass er nunmehr seine sexuelle Orientierung als für das Asylverfahren relevante Tatsache vorbringe. Weiters sei er aus dem Stamm wegen der Konversion zum Christentum verstoßen worden. Würde nunmehr auch seine bi-/homosexuelle Orientierung seiner Familie bekannt werden, würden sie dies überall bekannt machen, ihn misshandeln und letztlich ermorden oder ermorden lassen. Von der Zweitbeschwerdeführerin sei der Erstbeschwerdeführer nach traditionellem islamischen Recht geschieden, nur aus finanziellen Gründen sei eine standesamtliche Scheidung noch nicht erfolgt. In Österreich habe der Erstbeschwerdeführer inzwischen bereits mehrere sexuelle Beziehungen mit Männern gehabt. Unter Verweis insbesondere auf die Entscheidungen des VwGH vom 29.07.2015, Ra 2015/18/0036, sowie des EuGH vom 02.12.2014, Rs C-148/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande, liege gegenständlich kein Verstoß gegen das Neuerungsverbot gemäß Paragraph 20, BFA-VG vor. Aufgrund der durch angeführte Berichte näher dargelegten Lage von LGBTIQ-Personen im Irak und näher zitierten Entscheidungen des BVwG, des VwGH, des VfGH und des EuGH liege dort eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Homosexuellen vor. Dem Erstbeschwerdeführer würden somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, wenn er im Irak offen homosexuell leben würde. Seine Angst vor Verfolgung aufgrund eines Konventionsgrundes sei somit begründet. Es sei ihm daher der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Neben dem bereits aktenkundigen Brief seines Stammes wurden auch drei Unterstützungsbriefe jeweils vom 24.04.2019 für den Erstbeschwerdeführer vorgelegt (AS 83 ff/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer).
11. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für 27.08.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung an. Gemeinsam mit den Ladungen wurde den Beschwerdeführern ein Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak mit Stand 09.04.2019, eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.02.2019 zur Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen und Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antipsychotika im Irak, eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 06.02.2019 zur Lage von Homosexuellen in Bagdad (Sanktionen, innerstaatliche Fluchtalternative) sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.11.2018 zum Einfluss der Stämme und Verstößen gegen Stammesvorgaben im Irak vorab übermittelt.
12. Per E-Mail vom 10.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 11.09.2019 einlangend, wurde seitens des, den Erstbeschwerdeführer in Österreich bis zur Taufe begleitenden, Pfarrers, römisch 40 , eine mit 04.09.2019 datierte schriftliche Stellungnahme zur Bestätigung der Authentizität der Konversion des Erstbeschwerdeführers übermittelt.
13. Infolge mehrfacher Vertreterwechsel führte das Bundesverwaltungsgericht schließlich am 22.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, die bevollmächtigte Rechtsvertretung der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin und der Dritt- und Viertbeschwerdeführers und ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Weiters wurden römisch 40 (Z1) und Pfarrer römisch 40 (Z2) in der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommen.
Auf Befragen durch die erkennende Richterin gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vorweg an, sie seien nach traditionellem islamischen Recht bereits geschieden und würden bereits nicht mehr im gemeinsamen Haushalt leben. Standesamtlich seien sie jedoch nach wie vor verheiratet.
Sodann gab der Erstbeschwerdeführer neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass der Hauptgrund für seine Flucht aus dem Irak sei, dass er sexuelle Beziehungen mit Männern gehabt habe. Seiner bi-/homosexuellen Neigungen sei er sich bereits seit dem Teenageralter bewusst und habe er damals eine sechsjährige Beziehung mit einem Jugendfreund namens römisch 40 (im Folgenden: H.) gehabt. Im Laufe der Zeit habe sich der Erstbeschwerdeführer einer Gruppe Gleichgesinnter angeschlossen. H. habe über einen Freund namens römisch 40 (im Folgenden: A.) eine Wohnung organisiert, wo sich Männer und Frauen getroffen hätten. Er selbst sei jedoch nur an den Männern interessiert gewesen, habe auf Ersuchen des A. jedoch auch mit den dort anwesenden Frauen Geschlechtsverkehr gehabt. Irgendwann habe der Bruder des H. von der Beziehung mit dem Erstbeschwerdeführer erfahren und ihm gesagt, er solle die Finger von H. lassen, was er nicht geschafft habe. A. sei irgendwann weggezogen und so sei auch die Beziehung zu H. abgebrochen. Sein Vater habe von den außerehelichen Beziehungen des Erstbeschwerdeführers erfahren, nicht jedoch, dass er auch Beziehungen zu Männern gehabt habe. Sein Vater habe ihn dann gezwungen, die Zweitbeschwerdeführerin, eine Tochter eines Freundes des Vaters, zu heiraten. Weiters sei er in der Folge gezwungen gewesen, den Dritt- und Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin zu zeugen. Während der Ehe hätte er wieder Kontakt mit A. aufgenommen und ihn um Vermittlung homosexueller Männer gebeten. Durch Zufall habe er dann römisch 40 (im Folgenden: M.) kennengelernt, der in derselben Straße wie seine Schwiegereltern gelebt hätte. Nachdem er nahe der Schwiegerfamilie ein eigenes Haus gebaut habe, sei es ihm möglich geworden, mit M. zwischen 2005 und 2014 eine Parallelbeziehung neben seiner Ehe zur Zweitbeschwerdeführerin zu führen, die davon nie etwas bemerkt habe. Da sich M. irgendwann auch mit anderen Männern getroffen habe, sei Ende des Jahres 2014 herausgekommen, dass M. homosexuell sei. Auch schiitische Milizen hätten davon erfahren und der Bruder des M. habe sich auf die Suche nach jenen Männern begeben, mit denen M. Geschlechtsverkehr gehabt habe. Dadurch sei der Erstbeschwerdeführer aus Angst, seine eigene Bi- bzw. Homosexualität würde öffentlich werden, zu M. auf Distanz gegangen und habe ein der Folge über den Zeugen Z1 neue männliche Kontakte knüpfen können. Irgendwann sei jedoch der Bruder des M. beim Erstbeschwerdeführer aufgetaucht und habe ihn nach seiner Beziehung zu M. gefragt, die der verleugnet habe. Es sei damals viele Männer getötet worden, weil sie gleichgeschlechtliche Beziehungen eingegangen seien. Eines Tages sei M. beim Erstbeschwerdeführer aufgetaucht. Sie hätten gerade gemeinsam gegessen, als der Bruder des M. sie dabei erwischt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe unter Verweis auf seine Ehe und Kinder eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu M. neuerlich verleugnet. M. sei am nächsten Tag von seinem Bruder öffentlich an einen Strommast gebunden und vor den Augen aller Nachbarn erschossen worden, um die Familienehre wiederherzustellen. Danach hätte der Bruder des M. den Erstbeschwerdeführer indirekt verfolgt, indem er etwa Leute zu seinem Arbeitsplatz geschickt und die Herausgabe von gratis Baumaterialien gefordert habe, was von ihm abgelehnt worden sei. Dann habe er immer wieder Drohungen erhalten. Der Bruder des M. habe Gerüchte verbreitet und die Milizen sowie den Stamm des Erstbeschwerdeführers über seine Homosexualität informiert. Schließlich sei er am 31.07.2015 vor den Stammesführer in eine Stammesversammlung mit vielen anwesenden Stammesmitgliedern zitiert worden. Man habe ihm gesagt, er habe nur zwei Möglichkeiten: entweder er stelle dem Bruder von M. Baumaterialien zur Verfügung und zahle ihm aus den Einnahmen seines Arbeitgebers monatlich USD 1.000,00, oder er müsse mit den Milizen kämpfen. Hintergrund sei dabei gewesen, dass der Erstbeschwerdeführer im Zuge von Kampfhandlungen sehr wahrscheinlich getötet worden wäre. Beides habe er abgelehnt. Es sei ihm eine fünftägige Entscheidungsfrist eingeräumt worden und dennoch sei er bei der Ablehnung geblieben. Nach den fünf Tagen habe ihn der Stammesführer angerufen und gedroht, er müsse genau aufpassen, wenn er nicht mitwirke. Danach habe er sich nicht mehr getraut, zu Hause zu bleiben und sei in die Wohnung des A. gegangen. Von dort aus habe er dann versucht, für die Kinder Reisedokumente zu besorgen. Dazu sei er von einem anderen Freund unterstützt und gefahren worden. Während er sich bei A. aufgehalten habe, seien zwei bewaffnete und vermummte Männer zu den Beschwerdeführern nach Hause gekommen und hätten nach ihm und dem Drittbeschwerdeführer gesucht. Sie hätten zur Zweitbeschwerdeführerin gesagt, das nächste Mal hätten sie den Befehl, in das Haus einzudringen und jeden im Haus mitzunehmen. Sie seien dann wieder gegangen. Am 16.08.2015 habe er die Reisepässe für die Kinder beantragt, welche er erst am 01.09.2015 erhielt. In dieser Zeit hätten sie den Drittbeschwerdeführer bei seinem Vater versteckt, bis es ihnen am 12.09.2015 gelungen sei, den Irak auf dem Luftweg von Bagdad in die Türkei zu verlassen. Er hätte für die Asa-ib Ahl al-Haqq (im Folgenden: AAH) und für die Al Badr-Miliz kämpfen sollen. Der Stamm des Erstbeschwerdeführers gehöre der AAH an.
Die Zweitbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin würden bis heute nichts von seiner Bi-/Homosexualität wissen, obwohl er das Gefühl habe, die Zweitbeschwerdeführerin würde etwas ahnen. Den Söhnen habe er es mitgeteilt, nachdem diese gesehen hätten, wie er in ein entsprechend bekanntes Lokal der LGBTIQ-Szene gegangen sei. Sie würden es akzeptieren. Als der Erstbeschwerdeführer offiziell zum Empfang der Sakramente zur Initiation im März 2017 zugelassen worden sei, habe die Zweitbeschwerdeführerin beschlossen, dass sie sich vom Erstbeschwerdeführer scheiden lassen wolle, da sie die Konversion ablehne. Seit September 2017 würden sie nicht mehr im gemeinsamen Haushalt wohnen.
Auf Befragen, wie es zur Konversion zum Christentum gekommen sei, gab der Erstbeschwerdeführer an, es sei ihm auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland ein Geist erschienen, der ihm Mut gemacht habe. Er habe sich nach seiner Ankunft in Österreich immer gefragt, wer das gewesen sein könnte. Beim Spazieren sei ihm eines Tages ein Buch in die Hand gedrückt worden, auf dem sich das Bild des Geistes befunden habe, dass der ihm in der Türkei erschienen sei. Er habe dann erfragt, dass es sich dabei um Jesus Christus handle und er in der XXXXkirche nähere Informationen auf Arabisch erhalten könne. Er sei dann zu einem Treffen gegangen und habe sich dort überzeugen lassen. Dann habe er die Vorbereitungen zur Taufe begonnen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei von Anfang an dagegen gewesen und habe ihn immer wieder davon abbringen wollen. Er habe sich jedoch durchgesetzt und gemeint, dass sie jetzt in Europa leben würden und er hier ein neues Leben beginnen wolle. Die Kirchengemeinde wisse nichts über seine Homosexualität, er sei sich aber sicher, dass es ihm nicht nachgetragen werden würde, da das Christentum alle Sünden verzeihe. Er sei am 31.03.2018 getauft worden. Er bete jeden Sonntag und treffe sich montags immer mit der Gruppe von Menschen, die ihn mit der Konversion unterstützt hätten und beteilige sich an deren Aktivitäten.
Im Falle einer Rückkehr in den Irak fürchte er, nach wie vor verfolgt oder gar getötet zu werden. Auch in einem anderen Landesteil des Irak, wo ihn die Leute nicht kennen, würde er insbesondere seine Sexualität nicht frei ausleben, sondern unterdrücken und immer fürchten müssen, wieder aufgedeckt und in der Folge getötet zu werden. In Österreich lebe er in einer Wohngemeinschaft mit drei weiteren Homosexuellen. Er habe viele Bekanntschaften und besuche einschlägige Bars und Lokale. Monatlich besuche er auch eine Sauna für Homosexuelle.
Neben den bereits aktenkundigen Unterlagen wurde vom Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung weiters noch ein Bestätigungsschreiben des ihn betreuenden LGBTIQ-Vereins vom 16.10.2019 vorgelegt, in welchem bestätigt wird, dass der Erstbeschwerdeführer regelmäßig Beratungen in Anspruch nimmt und seine Sexualität in Österreich ohne Furcht auslebt und in die LGBTIQ-Szene integriert ist.
Sodann wurde der Z1 einvernommen. Er gab zusammengefasst an, den Erstbeschwerdeführer bereits aus der Homosexuellenszene im Irak zu kennen. Er habe ihn 2014 in Bagdad kennengelernt. Der Z1 sei im Irak als Homosexueller bekannt gewesen und habe immer geheime Treffen organisiert. Die Gruppe habe sich stetig vergrößert. Nachdem man seine Kinder getötet hätte, hätten die von ihm organisierten Treffen abgenommen. Er habe auch wegen seiner christlichen Mutter mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im gesamten Irak sei Homosexualität ein Tabu und würde man als Homosexueller diskriminiert. Er habe den Irak 2015 verlassen, nachdem seine Kinder getötet und er selbst verletzt worden sei. Er habe eine Niere dabei verloren. Er sei anerkannter Flüchtling und verfüge über einen österreichischen Konventionspass. Den Erstbeschwerdeführer habe er durch Zufall in Österreich in der Kirche wieder getroffen. Er leite viele Initiativen für Homosexuelle und sei ebenfalls zum Christentum konvertiert.
Weiters wurde der Pfarrer des Erstbeschwerdeführers, der Z2, einvernommen. Er habe ihn beim Taufunterricht begleitet und ihn schließlich getauft. Nach der Zulassungsfeier sei es zu Konflikten in der Familie gekommen, weil die Zweitbeschwerdeführerin mit einer Taufe nicht einverstanden gewesen sei. Er sehe den Erstbeschwerdeführer wöchentlich, der in der christlichen Gemeinde bzw. der Gruppe "XXXX" sehr aktiv sei. Die Gruppe übernehme die Taufvorbereitung auf Arabisch, einen Besuchsdienst in der Gemeinde, in deren Rahmen auch der Erstbeschwerdeführer andere christliche Familien vor allem aus Syrien und dem Irak besuche, und habe der Erstbeschwerdeführer inzwischen weiters das offizielle Amt des Kassenführers der Gruppe inne. Es sei das Anliegen des Z2, zu bestätigen, dass der Erstbeschwerdeführer aufrichtig konvertiert sei. Der häufig stattfindende Missbrauch der Konversion zur Erlangung eines Asylstatus könne er aus fester Überzeugung ausschließen, die er insbesondere anhand des Engagements des Erstbeschwerdeführers in der christlichen Gemeinde beurteile.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen und der Situation im Falle einer Rückkehr in den Irak befragt im Wesentlichen an, dass der Erstbeschwerdeführer dort große Probleme habe, da er sich dem Stammesführer gegenüber geweigert habe, sich den Milizen anzuschließen und sich an Kämpfen zu beteiligen. Der Stammesführer sei deswegen auch an ihren Schwiegervater herangetreten. Abgesehen davon hätten sie vom Erstbeschwerdeführer verlangt, dass er in seiner Firma veruntreue. Sie habe weiters den Irak verlassen, da auch der Drittbeschwerdeführer mitrekrutiert hätte werden sollen. Sie selbst sei weiters bereits seit 1994 eine bekannte Dichterin und Autorin im Irak und habe viel über das System im Irak geschrieben. Sie habe im Irak jedoch nie etwas veröffentlicht. Am 29.08.2019 habe sie in Österreich ein Buch veröffentlicht, das im Zuge ihrer Psychotherapie entstanden sei. Thema sei darin, wie sehr das Volk im Irak unter dem dort herrschenden System leide. Sie sei sich sicher, dass das Buch weiterveröffentlicht werde und so die Menschen im Irak davon erfahren würden. Außerdem sei sie im Irak eine ganz bekannte Schriftstellerin. Zum Grund für die traditionelle Scheidung befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sowohl sie als auch der Erstbeschwerdeführer seit der Eheschließung unglücklich seien. Ihr Vater habe sie aufgrund der Freundschaft zum Schwiegervater an den Erstbeschwerdeführer verschenkt.
Seitens der Zweitbeschwerdeführerin wurde zudem nachfolgende (sofern nicht bereits aktenkundige) Unterlagen vorgelegt:
- Teilnahme-Bestätigung für einen wöchentlichen Deutsch-Konversationskurs von 02.10.2018 bis 28.01.2019 für die Zweitbeschwerdeführerin;
- Teilnahmebestätigungen für Integrationsveranstaltungen vom 11.08.2016, 01.09.2016, 08.09.2016, 28.11.2016 für die Zweitbeschwerdeführerin;
- Teilnahmebestätigungen der Zweitbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin an der Veranstaltung "Christliche Kulturen" am 30.06.2019;
- Abschlussbericht des römisch 40 vom 27.09.2018 samt Beilagen für den Drittbeschwerdeführer, wonach er insbesondere Deutschkenntnisse auf Niveau B1 besitzt;
- ÖIF-Integrationsprüfungszeugnis auf Niveau B1 des Drittbeschwerdeführers vom 15.11.2018;
- Jahreszeugnis des Drittbeschwerdeführers über den (negativen) Abschluss des ersten Jahrganges (9. Schulstufe) an der HTL für Informationstechnologie im Schuljahr 2015/2016 sowie Schulnachricht für das erste Semester 2015/2016;
- Bestätigung der Teilnahme des Drittbeschwerdeführers am Übergangslehrgang des wirtschaftlichen Bundesgymnasiums für Berufstätige vom 28.06.2019 sowie Anmeldebestätigung für den Übergangslehrgang; Überblick der im Übergangslehrgang im Schuljahr 2018/2019 erbrachten Leistungen;
- Teilnahmebestätigungen der TU römisch 40 , Fakultät für Informatik, jeweils vom 25.06.2018 über den erfolgreichen Abschluss des Kurses Einführung in die Informatik durch den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer;
- Deutsch-Sprachzertifikat auf Niveau B1 des Viertbeschwerdeführers vom 21.06.2019;
- Detailergebnis über die nicht bestandene Integrationsprüfung des Viertbeschwerdeführers vom 18.07.2019;
- Schulbesuchsbestätigung und Schulnachricht einer Neuen Mittelschule über den außerordentlichen Schulbesuch des Viertbeschwerdeführers, Schuljahr 2015/2016;
- Teilnahmebestätigung des römisch 40 vom 05.04.2019 samt Beilagen für den Viertbeschwerdeführer, wonach er insbesondere Deutschkenntnisse auf Niveau B1 besitzt;
- Schulbesuchsbestätigung des Viertbeschwerdeführers über den Schulbesuch als außerordentlicher Schüler an der Abend-AHS im Wintersemester 2019/2020;
- Teilnahmebestätigung der Fünftbeschwerdeführerin an einer Workshopreihe mit Gesprächsrunden zum Thema "psychosoziale Gesundheit" vom 04.09.2017;
- Schulbesuchsbestätigung einer Neuen Mittelschule über den außerordentlichen Schulbesuch der Fünftbeschwerdeführerin, Schuljahr 2015/2016 sowie Beurteilungsschreiben des Klassenvorstandes und Deutschlehrers vom 07.12.2017;
- Jahres- und Abschlusszeugnis der Fünftbeschwerdeführerin einer Polytechnischen Schule im Schuljahr 2018/2019;
- Schulbesuchsbestätigung der Schule HTBLA für Mode und wirtschaftliche Berufe für die Fünftbeschwerdeführerin im Schuljahr 2019/2020;
- Bestätigung über gemeinnützige Arbeit der Fünftbeschwerdeführerin im August 2019 vom 17.09.2019;
- "Ausbildungsbestätigung" über die Unterweisung der Zweitbeschwerdeführerin im traditionellen Handwerk des Perlenknüpfens und -fädelns vom Oktober 2019;
- Unterstützungsschreiben vom 17.10.2019;
- Unterstützungsschreiben der Flüchtlingsunterkunft vom 30.08.2019;
- Bestätigung über die gemeinnützigen Arbeiten des Erstbeschwerdeführers vom 05.09.2019;
- Deutsch-Kursbestätigung Niveau B1 des Erstbeschwerdeführers vom 29.06.2018;
- Teilnahmebestätigungen für diverse Integrationsveranstaltungen vom 11.11.2015, 25.11.2015, 16.12.2015, 01.09.2016, 08.09.2016 und 07.11.2016 für den Erstbeschwerdeführer;
- Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs des Erstbeschwerdeführers vom 03.10.2016;
- Beratungsbestätigung vom 24.09.2019 des Aus- und Weiterbildungszentrums AWZ römisch 40 für den Erstbeschwerdeführer;
- Teilnahmebestätigung der AIDS-Hilfe römisch 40 über LGBTIQ-Beziehungen und Rechte in Österreich des Erstbeschwerdeführers vom 25.09.2019;
- Konvolut medizinischer und psychologischer Befundberichte für die Zweitbeschwerdeführerin, datiert zwischen 29.06.2017 und Oktober 2019 über die anhaltende Behandlungsbedürftigkeit ihrer psychischen Erkrankungen;
Der Drittbeschwerdeführer gab auf Befragen an, er habe den Irak verlassen müssen, da er sonst zwangsrekrutiert worden wäre, um mit den Milizen zu kämpfen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihm von den vermummten Männern erzählt, die zuhause aufgetaucht wären und nach ihm und dem Erstbeschwerdeführer verlangt hätten. Da er inzwischen älter als 18 Jahre sei, würde er im Falle einer Rückkehr in den Irak entweder gleich rekrutiert oder getötet werden. Insbesondere vom eigenen Stamm würde er bezüglich der Rekrutierung unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon beruhige sich die allgemeine Lage im Irak nie. Man lebe immer in Gefahr.
Der Viertbeschwerdeführer gab an, er sei bei der Flucht aus dem Irak noch ein kleines Kind gewesen und habe einfach mitreisen müssen. Inzwischen sei er erwachsen. Im Irak würde es keine Sicherheit geben und selbst wenn es ihm gelingen würde, sich dort eine Zukunft aufzubauen, müsste er immer damit rechnen, rekrutiert zu werden.
Die Fünftbeschwerdeführerin gab an, ebenfalls als kleines Kind nach Österreich gekommen zu sein. Hier habe ihr Leben begonnen. Sie wisse nicht, wie sie im Irak leben würde, wenn sie zurückkehren müsste. Abgesehen davon wolle sei bei ihrer Familie leben, egal wo sich diese befindet.
Sodann erfolgte eine Erörterung der im Akt einliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat. Die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer nahm dazu zusammengefasst insofern Stellung, als ausgeführt wurde, dass die Informationen zur Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Bagdad, aufgrund der Ereignisse der letzten Monate (va. die Unruhen und Proteste in Bagdad) als nicht mehr aktuell anzusehen seien. Ebenfalls müsse dem wieder aufflammenden Krieg in Nordsyrien Beachtung geschenkt werden, da ein Übergreifen des Konfliktes auf Kurdistan nicht auszuschließen sei. Aus der Anfragebeantwortung von ACCORD zur Behandlung von PTBS [a-10861] gehe eindeutig hervor, dass insbesondere die schwere Form von PTBS, an welcher die Zweitbeschwerdeführerin leide, im Irak nicht adäquat behandelt werden könne. Sie würde nicht von der Krankenkasse bezahlt und seien keine Behandlungszentren für PTBS vorhanden. Die wenigen vorhandenen Dienste könnte die große Nachfrage nicht decken und sei die Behandlungsqualität gering. Die Anfragebeantwortung zum Einfluss der Stämme stütze das Vorbringen der Beschwerdeführer. Zu den Berichten über die Lage von LGBTIQ-Personen im Irak werde zuerst auf die SOGI Richtlinien des UNHCR (Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 9, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität im Zusammenhang mit Artikel eins, Absatz 2, des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen), insbesondere auf Rz 66 zur Verfügbarkeit von Herkunftsländerinformationen, verwiesen. Eine schwache Quellenlage dürfe nicht zum Schluss verleiten, dass der Antrag unbegründet sei oder es keine Verfolgung von LGBTIQ-Personen gibt. Die Berichte der Organisation "IRAQUEER" seien derart glaubwürdig, dass diese in das aktuelle Positionspapier des UNHCHR zum Irak Eingang gefunden hätten. Darüber hinaus würde die Anfragebeantwortung das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und des Z1 zur tatsächlichen Verfolgung von LGBTIQ-Personen im Irak bestätigen.
Schließlich werde auf die Entscheidung des VfGH vom 11.06.2019, E 291/2019, wonach eine asylrelevante Verfolgung von LGBTIQ-Personen im Irak vorliegt, sowie auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.07.2019, G312 2206191-1, sowie auf das Erkenntnis G304 2175413-1 verwiesen, wo in gleichgelagerten Fällen von einer asylrelevanten Verfolgung ausgegangen worden sei.
Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß Paragraph 29, Absatz 3, VwGVG.
14. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.12.2019 wurde den Beschwerdeführern und dem Bundesamt das nunmehr aktuelle Länderinformationsblatt zum Irak vom 20.11.2018 samt eingefügter Kurzinformation vom 30.10.2019 sowie die UNHCR-Richtlinien zum Schutzbedarf von Personen die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen übermittelt.
Die Stellungnahme langte am 24.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, die vorgelegten Berichten seien bereits wieder veraltet. Es wurde zur aktuellen Sicherheitslage bezogen auf den Iran, die USA und die schiitischen Milizen im Irak Zeitungsberichte vorgelegt. Weiters wurden unter anderem ergänzende Anfragebeantwortungen zur Behandelbarkeit von Depressionen und posttraumatischen Störungen im Irak vom 22.12.2017 sowie von paranoider Schizophrenie und PTSD vom 08.06.2017, die SOGI-Richtlinien vom 23.10.2012 hinsichtlich der vorgebrachten Homosexualität des Erstbeschwerdeführers vorgelegt und die Länderberichte der Staatendokumentation in einigen Punkten, auch zur vorgebrachten Verfolgung durch die schiitischen Milizen kommentiert oder zitiert. Einige Berichte wurden zudem neuerlich vorgelegt und waren bereits aktenkundig.
Darüber hinaus wurde dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls am 24.01.2020 einlangend, von der bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschluss des Bezirksgerichtes römisch 40 zur Zahl römisch 40 vorgelegt, wonach die Ehe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nunmehr im Einvernehmen geschieden wurde.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak sowie Angehörige der Volksgruppe der Araber. Ihre Muttersprache ist arabisch und bekennen sich die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer sowie die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin zum moslemischen Glauben schiitischer Ausrichtung. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach traditionellem islamischen Recht sowie auch standesrechtlich geschieden. Aus dieser Ehe stammen der inzwischen volljährige Drittbeschwerdeführer, der volljährige Viertbeschwerdeführer sowie die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer stammen aus Bagdad, wo sie auch bis zur Ausreise aus dem Irak gelebt haben. Seit September 2017 lebt der Erstbeschwerdeführer in Österreich nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und den Kindern vergleiche Erstbefragungen vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin, AS 9 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil römisch eins Viertbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der irakischen Personalausweise, AS 151/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer, AS 79 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin, AS 47/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer; im Akt einliegende irakische Reisepässe der Beschwerdeführer im Original, AS 33/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer, AS 41/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin, AS 30/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer, AS 23/Teil römisch eins Viertbeschwerdeführer und AS 15/Teil römisch eins Fünftbeschwerdeführerin; aktenkundige Kopien der irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise, AS 155/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer, AS 83 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin, AS 49/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer; Niederschriften Bundesamt vom 20.07.2017, AS 169 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer und AS 51 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 21.07.2017, AS 41 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 3 ff; Beschluss über die Scheidung im Einvernehmen, BG römisch 40 ).
Die Beschwerdeführer verließen den Irak am 12.09.2015 legal auf dem Luftweg und flogen von Bagdad nach Istanbul in die Türkei. Von Izmir in der Türkei reisten sie weiter schlepperunterstützt nach Griechenland und über nicht näher feststellbare Länder, jedenfalls aber Serbien und Kroatien, gemeinsam mit dem Flüchtlingsstrom bis nach Österreich, wo sie am 25.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet halten sich die Beschwerdeführer ununterbrochen im Bundesgebiet auf vergleiche die Aus- und Einreisestempel in den aktenkundigen originalen irakischen Reisepässen der Beschwerdeführer; türkische Visa der Beschwerdeführer, AS 91 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; Kopien griechischer und serbischer Verfahrensunterlagen der Beschwerdeführer, AS 99 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; Erstbefragungen vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin, AS 9 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil römisch eins Viertbeschwerdeführer; Niederschriften Bundesamt vom 20.07.2017, AS 170/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer und AS 54 /Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 21.07.2017, AS 43/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 7; Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom 29.01.2020).
Der Erstbeschwerdeführer ist in Bagdad geboren und aufgewachsen. Er hat dort sechs Jahre die Grundschule, sechs Jahre ein Gymnasium und ein Jahr eine Krankenpflegeschule besucht, welche er aber nicht abgeschlossen hat. Nach Abbruch der Ausbildung in der Krankenpflegeschule hat er eine Ausbildung im Bereich Datenverarbeitung abgeschlossen und in diesem Beruf mit Unterbrechungen auch gearbeitet. Er war unter anderem für ein türkisches Bauunternehmen in Bagdad im Bereich Verwaltung und Kommunikation tätig, wo er monatlich rund USD 1.400,-- verdiente. Zuletzt war er bei einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässigen Bauunternehmen in Bagdad tätig, wo sein monatliches Einkommen etwa USD 1.200,-- betrug. Mit seinem Einkommen war er in der Lage, den Lebensunterhalt der Beschwerdeführer zu sichern. Sein Vater sowie mehrere Onkel und Tanten leben nach wie vor in Bagdad. Die Mutter und ein Bruder des Erstbeschwerdeführers sind bereits verstorben. Der zweite Bruder des Erstbeschwerdeführers ist Asylwerber in Schweden, seine Schwester lebt als anerkannter Flüchtling in Finnland. Im Irak hat der Erstbeschwerdeführer nur mehr mit dem Vater Kontakt über WhatsApp vergleiche Erstbefragung vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 20.07.2017, AS 171 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; Kopie irakischer Arbeitsausweis, AS 149/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 6 ff).
Der Erstbeschwerdeführer leidet an behandlungsbedürftigem, nicht primär insulinabhängigem Diabetes mellitus Typ römisch II (E11.9), essentieller (primärer) Hypertonie (Bluthochdruck, I10) und Hyperlipidämie (erhöhte Cholesterinwerte, E78.5). Ihm wurden 2017 deswegen nachfolgende Medikamente verordnet: Atorvastatin 40 mg, Lipcor 200 mg, Metformin 1000 mg und Diamicron MR 30. Er ist in Österreich nach wie vor regelmäßig in entsprechender medizinischer Behandlung. Darüber hinaus liegen keine weiteren Erkrankungen vor und ist der Erstbeschwerdeführer arbeitsfähig. Dass der Erstbeschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wäre, konnte nicht festgestellt werden vergleiche Niederschrift Bundesamt vom 20.07.2017, AS 170/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; aktenkundiges Konvolut medizinischer Befunde, AS 113 ff/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer).
Die Zweitbeschwerdeführerin stammt genauso wie der Erstbeschwerdeführer aus Bagdad, wo sie sechs Jahre eine Grundschule und etwa ein bis zwei Jahre eine Mittelschule besucht hat. Eine Ausbildung hat sie nicht absolviert, sie war im Irak Hausfrau. Die Zweitbeschwerdeführerin hat insgesamt zwölf Geschwister, jeweils sechs Brüder und sechs Schwestern. Die beiden Eltern und vier Schwestern mit ihren Familien leben nach wie vor im Irak, in Bagdad und in XXXX/Provinz Babylon. Ein Bruder ist mit seiner Familie als Asylwerber in Österreich. Das Verfahren wurde negativ beschieden und befindet sich derzeit in Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Zweitbeschwerdeführerin hat mit ihren Eltern und Geschwistern im Irak Kontakt, mit den Eltern regelmäßig monatlich über Messenger vergleiche Erstbefragung vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 20.07.2017, AS 53 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 6 ff und 23).
Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an einer generalisierten Angststörung, einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer rezidivierenden schweren depressiven Störung mit zwischenzeitlich auftretenden suizidalen Gedanken und psychosomatisch bedingten diffusen Körperschmerzen. Aktuell nimmt die Zweitbeschwerdeführerin die Medikamente PREGAMID 25mg und MIRTAZAPIN 15mg mehrmals täglich ein. Sie ist seit Juni 2017 regelmäßig und durchgehend in psychiatrischer und klinisch-psychologischer Behandlung. Ein Zeitpunkt für einen Abschluss der Behandlung ist nicht absehbar. Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wäre vergleiche aktenkundiges Konvolut medizinischer und psychologischer Befunde ab Juni 2017, AS 59 ff/Teil römisch eins Zweitbeschwerdeführerin; insbesondere aber im Zuge der mündlichen Verhandlung am 22.10.2019 vorgelegtes Konvolut von Befunden, darunter der klinisch-psychologische Befundbericht Dris. römisch 40 vom 04.09.2019 und der psychiatrische Befundbericht Dris. römisch 40 vom 15.10.2019).
Sowohl der Drittbeschwerdeführer als auch der Viertbeschwerdeführer sind inzwischen volljährig. Der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer und die noch minderjährige Fünftbeschwerdeführerin sind jeweils ledig, gesund und arbeitsfähig und haben keine Kinder. Sie sind alle drei in Bagdad geboren und haben dort jeweils ihrem Alter entsprechend die Schule besucht. Der Drittbeschwerdeführer hat sechs Jahre eine Grundschule und drei Jahre eine Mittelschule, der Viertbeschwerdeführer sechs Jahre eine Grundschule und ein Jahr eine Mittelschule und die Fünftbeschwerdeführerin fünf Jahre eine Grundschule im Irak besucht. Sie leben mit der Zweitbeschwerdeführerin auch in Österreich nach wie vor im gemeinsamen Haushalt. Der Drittbeschwerdeführer kontaktiert über Messenger nach wie vor Freunde und Schulkollegen im Irak vergleiche Erstbefragung vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer; Erstbefragung vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil römisch eins Viertbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 21.07.2017, AS 42 ff/Teil römisch eins Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 5 ff und 8).
Dem Erstbeschwerdeführer wurde seine Bi- bzw. Homosexualität bereits im Teenageralter bewusst. In dieser Zeit hat er bereits eine sechs Jahre andauernde, geheime homosexuelle Beziehung zu seinem Jugendfreund H. gehabt. Er war Mitglied einer gleichgesinnten Personengruppe, die sich immer im geheimen in privaten Wohnungen getroffen hat, um teils hetero- sowie teils homosexuellen Geschlechtsverkehr zu praktizieren. Nachdem sein Vater von den heterosexuellen, nicht jedoch den homosexuellen außerehelichen Beziehungen des Erstbeschwerdeführers erfahren hat, hat er ihn gezwungen, die Zweitbeschwerdeführerin zu heiraten. Trotz aufrechter Ehe und der Zeugung von drei Kindern hat der Erstbeschwerdeführer parallel von 2005 bis 2014 eine langjährige und geheime homosexuelle Beziehung mit seinem damaligen Partner M. gepflegt. 2014 ist die Homosexualität des M. öffentlich geworden. Der Erstbeschwerdeführer hat sich aus Angst vor Verfolgung daraufhin von M. distanziert und über den Z1 neue männliche Kontakte geknüpft. Die Beziehung zu M. verleugnete der Erstbeschwerdeführer auf Anfrage von dessen Bruder. Nachdem der Bruder des M. beide jedoch beim Essen gemeinsam erwischt hat, hat der Bruder des M. diesen am nächsten Tag öffentlich vor den Nachbarn wegen Ehrverletzung seiner Familie erschossen. Den Erstbeschwerdeführer wollte er dazu zwingen, gratis Baumaterialien von seinem Dienstgeber dem Bruder des M. zu übergeben. Da der Erstbeschwerdeführer dies ablehnte, verbreitete M. in der Nachbarschaft Gerüchte über die Homosexualität des Erstbeschwerdeführers und informierte den Stamm des Erstbeschwerdeführers. Am 31.07.2015 wurde er deswegen vor den Stammesführer in einer Versammlung seines Stammes zitiert. Der Stammesführer wollte ihn dazu zwingen, dem Bruder des M. die Baumaterialen sowie monatlich USD 1.000,- von seinem Dienstgeber zu übergeben (dh Veruntreuung zu begehen) oder sich der Asa¿ib Ahl al-Haqq und den Kampfhandlungen anzuschließen, was er beides ablehnte. Nach Ablauf der Entscheidungsfrist wurde ihm über einen Telefonanruf des Stammesführers bei seinem Vater mit dem Stammesausschluss gedroht. Der Erstbeschwerdeführer hat sich in der Wohnung eines Freundes versteckt und seinen ältesten Sohn, den Drittbeschwerdeführer, bei seinem Vater untergebracht, während er die Reisepässe für seine drei Kinder beantragte, um den Irak verlassen zu können. Nach Ausstellung der Reisepässe für die Kinder am 01.09.2015 verließen die Beschwerdeführer den Irak am 12.09.2015 legal auf dem Luftweg vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 12 ff).
Hingegen konnte nicht festgestellt werden, dass auch den schiitischen Milizen die Homosexualität des Erstbeschwerdeführers bekannt gewesen ist. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass zwei den Beschwerdeführern unbekannten, vermummte und bewaffnete Männer zu ihnen nach Hause gekommen wären und nach dem Erstbeschwerdeführer und dem Drittbeschwerdeführer gesucht bzw. ein Eindringen in das Haus bzw. die Mitnahme aller Beschwerdeführer angedroht hätten. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass dem Drittbeschwerdeführer als minderjährigem Kind im Irak die Zwangsrekrutierung durch die schiitische Miliz AAH gedroht hätte.
Die Zweitbeschwerdeführerin hatte - zumindest im Irak - keine Kenntnis über die Bi-/Homosexualität des Erstbeschwerdeführers. Ob sie inzwischen nicht doch Kenntnis davon erlangt hat, konnte nicht festgestellt werden. Dem Drittbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführer hat er davon lt. Eigener Angabe erzählt vergleiche Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 14 f).
In Österreich fiel es dem Erstbeschwerdeführer zunächst schwer, seine Homosexualität offen auszuleben und brachte diese erst nach der Trennung und Scheidung nach islamischen Recht von der Zweitbeschwerdeführerin infolge seiner Zulassung zur christlichen Taufe mittels Beschwerdeergänzung vom 24.05.2019, nach erfolgter Beratung zur rechtlichen und gesellschaftlichen Lage in Österreich bezogen auf LGBTIQ-Personen bei Queer Base, im Zuge des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens vor. Der Erstbeschwerdeführer lebt in einer homosexuellen Lebensgemeinschaft mit drei weiteren homosexuellen Männern, ist in der Szene sehr aktiv, besucht mehrere Lokale mit entsprechendem Publikum und lebt seine Homosexualität in Österreich nunmehr offen aus vergleiche Vorbringen in der Beschwerdeergänzung vom 24.05.2019, AS 45 ff/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer; in der mündlichen Verhandlung am 22.10.2019 vorgelegtes Bestätigungsschreiben des LGBTIQ-Vereins Queer Base vom 16.10.2019 sowie Teilnahmebestätigung der AIDS-Hilfe über LGBTIQ-Beziehungen und Rechte in Österreich vom 25.09.2019; Angaben Erstbeschwerdeführer, Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 12 ff; Angaben des Z1, Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 18 f).
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, zumindest aber beginnend mit dem Jahr 2017 hat sich der Erstbeschwerdeführer in der römisch-katholischen Pfarrgemeinde der XXXXkirche in römisch 40 engagiert. Er wurde am 02.03.2017 vom Kardinal zum Empfang der Sakramente der Eingliederung zugelassen. Der Erstbeschwerdeführer begann in der Folge einen Taufvorbereitungskurs und wurde am 31.03.2018 christlich getauft und gefirmt. Er ist seit seiner Taufe aktives Mitglied der Legionsgruppe arabischer Christen "XXXX", an deren Treffen er wöchentlich aktiv teilnimmt. Die Gruppe übernimmt die Taufvorbereitung auf Arabisch und einen Besuchsdienst in der Gemeinde, in deren Rahmen auch der Erstbeschwerdeführer andere christliche Familien vor allem aus Syrien und dem Irak besucht. Weiters hat der Erstbeschwerdeführer inzwischen das offizielle Amt des Kassenführers der Gruppe inne. Er nimmt weiters an Straßenmissionen und Wahlfahrten teil und feiert jeden Sonntag die Messe in der libanesischen Gemeinde mit vergleiche Schreiben des Kardinals über die Zulassung zu den Sakramenten der Eingliederung vom 02.03.2017, AS 65/Teil römisch eins Erstbeschwerdeführer; Foto des Erstbeschwerdeführers mit dem Kardinal, AS 17/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer; Taufschein vom 31.03.2018, AS 31 f/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer; Bestätigungsschreiben des, den Erstbeschwerdeführer in Österreich bis zur Taufe begleitenden, Pfarrers vom 04.09.2019 sowie dessen glaubwürdige Angaben als Z2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung, Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 20 f).
Die Zulassung des Erstbeschwerdeführers zur christlichen Taufe war seitens der Zweitbeschwerdeführerin der Grund für die Trennung und Scheidung vom Erstbeschwerdeführer vergleiche etwa Bestätigungsschreiben des, den Erstbeschwerdeführer in Österreich bis zur Taufe begleitenden, Pfarrers vom 04.09.2019 sowie dessen glaubwürdige Angaben als Z2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung, Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 20 f).
Die Konversion des Erstbeschwerdeführers zum Christentum ist seinem Stamm und somit auch seinen engeren Angehörigen im Irak bekannt. Der Erstbeschwerdeführer und dem Stammesrecht folgend auch seine beiden Söhne, daher der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer, wurden am 21.07.2017 aus dem Stamm ausgeschlossen, weil sie die Religion des Islam verlassen und zur Religion Christi konvertiert seien und sich nicht dem heiligen Jihad zur Verteidigung des Irak gegen den Terrorismus angeschlossen hätten vergleiche aktenkundiges arabischen Schreiben samt beglaubigter deutscher Übersetzung, AS 21 ff/Teil römisch II Erstbeschwerdeführer).
Eine mit der islamischen Gesellschaftsordnung unvereinbare westliche Lebenseinstellung in einem identitätsstiftenden Ausmaß, insbesondere der Zweitbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin, konnte nicht festgestellt werden.
Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Zuge ihrer Psychotherapie als Dichterin gemeinsam mit einem aus Tunesien stammenden Zivildiener als Maler einen Gedicht- und Bildband mit dem Titel "XXXX" in Österreich herausgegeben, in welchen die Zweitbeschwerdeführerin in arabischen Gedichten Sehnsucht, Trennung, Trauer, Tod und Heilung behandelt, die illustriert und von der Psychotherapeutin der Zweitbeschwerdeführerin deutschsprachig interpretiert wurden. Der Gedicht- und Bildband wurde im November 2019 in einer Galerie in Österreich öffentlich präsentiert und die Ausstellung auch auf Facebook bzw. auf der Website der psychosozialen Beratung unter Anführung des Namens der Zweitbeschwerdeführerin beworben vergleiche https://XXXX (19.12.2019) und https://XXXX/ (19.12.2019)). Im Irak hat die Zweitbeschwerdeführerin bisher keinerlei Werke veröffentlicht. Es konnte weder festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Irak eine bekannte Dichterin/Schriftstellerin ist, noch, dass durch die Veröffentlichung des Gedicht- und Bildbandes in Österreich der Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung oder Verfolgung droht.
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten vergleiche Strafregisterauszüge vom 29.01.2020).
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht einerseits mit Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Berichte, sowie die mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.12.2019 in das Verfahren eingeführten Quellen, nämlich das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 20.11.2018 mit aktueller Ergänzung vom 30.10.2019 sowie die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.
Aus dem Länderinformationsblatt vom 20.11.2018 mit aktueller Ergänzung vom 30.10.2019 ergibt sich auszugsweise:
"KI vom 30.10.2019, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)
Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRI) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.
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Quelle: Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).
Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vergleiche Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vergleiche Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der USgeführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vergleiche Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vergleiche The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).
Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).
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Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).
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Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).
Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).
Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).
Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vergleiche Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vergleiche BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vergleiche ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vergleiche Rudaw 13.10.2019).
Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vergleiche Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vergleiche Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).
BAGDAD
Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vergleiche Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).
Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).
AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK
Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).
Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vergleiche Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)
Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vergleiche ACLED 7.8.2019).
Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan'' (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).
NORD- UND ZENTRALIRAK
In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).
Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).
Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vergleiche Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle - die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von ISKämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).
Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).
SÜDIRAK
Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).
Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing 5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vergleiche VOA 21.9.2019). Von Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).
In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vergleiche Al Jazeera
25.10.2019).
Quellen:
- BFA Staatendokumentation: Kurzinformation zu Irak, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse, 30.10.2019 als Teil des Sicherheitsupdates des Länderinformationsblattes Irak vom 30.10.2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019056.html mwN (Zugriff am 20.11.2019) mit weiteren Nachweisen
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview - Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middleeast-2-october-2019/, Zugriff 7.10.2019
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview - Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/, Zugriff 2.10.2019
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview - Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middleeast-17-july-2019/, Zugriff 2.10.2019
- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrationssweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 28.10.2019
- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 28.10.2019
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone190924052551906.html, Zugriff 2.10.2019
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border190825184711737.html, Zugriff 28.10.2019
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- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 4.10.2019
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- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.10.2019): Die Wut der Iraker auf die Regierung, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tote-bei-protesten-die-wut-der-iraker-auf-dieregierung-16415369.html, Zugriff 4.10.2019
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- Rudaw (20.7.2019): Iraq launches second phase of Will of Victory anti-ISIS operation, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/200720191, Zugriff 18.7.2019
- Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/130720191, Zugriff 2.10.2019
- Standard, Der (4.10.2019): Irakischer Premier sieht Demonstranten im Recht, https://www.derstandard.at/story/2000109475503/mehr-als-30-tote-bei-protesten-im-irak, Zugriff 4.10.2019
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- The Guardian (27.10.2019): Iraq clashes: at least 15 die as counter-terror police quell protests, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/26/six-killed-as-iraq-protests-continue-inbaghdad-and-nasiriyah, Zugriff 28.10.2019
- The Portal (9.10.2019): Iraq launches a new process of "Will to Victory", http://www.theportalcenter.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 18.10.2019
- VOA - Voice of America (21.9.2019): IS Claims Blast That Killed 12 Near Iraq's Karbala, https://www.voanews.com/middle-east/claims-blast-killed-12-near-iraqs-karbala, Zugriff 2.10.2019
- Xinhua (22.8.2019): 4 IS militants, 2 soldiers killed in clashes in eastern Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-08/22/c_138329358.htm, Zugriff 2.10.2019
KI vom 27.7.2019, Sicherheitsupdate 2. Quartal 2019 (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)
Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRG) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.
Quelle: Liveuamap Live Universal Awareness Map (30.6.2019): Map of /raq, https://irag.liveuamap.com/enltime/30.06.2019, Zugriff 30.6.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]
Quelle: ISW - Institute for the Study of War (16.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-apri/-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]
Obwohl die terroristischen Aktivitäten im Irak deutlich zurückgegangen sind, stellt der islamische Staat (IS) nach wie vor eine Bedrohung dar (SCR 30.4.2019). Nachdem der IS am 23.3.2019 in Syrien das letzte von ihm kontrollierte Territorium verloren hatte (ISW 19.4.2019), kündigte er Anfang April einen neuen Feldzug an, um den Gebietsverlust in Syrien zu rächen (Joel Wing 3.5.2019). Der IS vergrößerte so seine "Unterstützungszonen" [Anm. eine Kategorie des ISW für Gebiete, in denen der IS aktive und passive Unterstützung durch die lokale Bevölkerung lukrieren kann] im Irak und weitete seine Angriffe in bedeutenden Städten, wie Mossul und Fallujah, sowie im irakischen Kurdistan aus (ISW 19.4.2019). Neu wiederorganisierte IS-Zellen verstärkten ihre Operationen und Angriffe in den Gouvernements Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninawa und Salahaddin (UNSC 2.5.2019). Das führte zu einem starken Anstieg der Angriffe in der zweiten Woche des Monats April. So erfolgten alleine in der zweiten Aprilwoche 41 der im gesamten Monat verzeichneten 97 sicherheitsrelevanten Vorfälle. Danach gingen die Vorfälle jedoch wieder auf das niedrige Niveau der Vormonate zurück (Joel Wing 3.5.2019). Für Mai 2019 wurden im Zuge der Frühjahrsoffensive des IS wieder die höchsten monatlichen Angriffszahlen seit Oktober 2018 verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Es gab tägliche Berichte über IS-Kämpfer, die Hit-and-Run- Angriffe auf Sicherheitspersonal und Infrastruktur sowie Entführungen und Tötungen von lokalen Beamten und Zivilisten in Gebieten mit massiven Sicherheitslücken durchführten - vor allem in den Wüstenregionen Anbars, nahe der Grenze zu Syrien, als auch in den umstrittenen Gebieten, in denen es "Lücken" zwischen den irakischen und kurdischen Truppen gibt (Rudaw 9.5.2019).
Irakische Einheiten führten wiederholt Operationen in Rückzugsgebieten des IS durch (Rudaw 9.5.2019). Beispielsweise am 11.4.2019 in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vergleiche Kurdistan 24 11.4.2019) und am 5.5.2019 in den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa (Xinhua 6.5.2019). Solche Operationen hatten jedoch nur begrenzten Erfolg, da sie die Operationsmöglichkeiten des IS nur geringfügig einschränkten. Eine große Herausforderung für die irakischen Streitkräfte besteht in Versäumnissen ihrer Geheimdienste. Unzureichende Ausbildung, Finanzierung, schlechte Kommunikation zwischen den Behörden des Sicherheitsapparats und damit einhergehend die mangelnde Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und zu nutzen, behindern die Aufklärungsarbeit (Rudaw 9.5.2019).
Einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2019 zufolge kontrolliert der IS immer noch zwischen 14.000 und 18.000 Kämpfer im Irak und in Syrien (UNSC 1.2.2019). Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums, unter Berufung auf Geheimdienstquellen, verfügt der IS noch über 20.000 bis 30.000 Angehörige - Kämpfer, Anhänger und Unterstützer - im Irak und in Syrien (USDOD 7.5.2019).
Der IS hat seine Präsenz in den Gouvernements Ninewa und Anbar durch Kämpfer aus dem benachbarten Syrien erhöht. Auch das Gouvernement Diyala bleibt weiterhin ein Kerngebiet des IS, der sich auf Gebiete im Norden und Osten des Irak fokussiert. Vorfälle in Bagdad und im Süden bleiben sporadisch (Joel Wing 3.5.2019).
Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 6.2019).
Quelle: lraq Bodycount (7.2019): Month/y civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 17.7.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]
Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für April 2019 sind 140 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Mai 2019 wurden von IBC 166 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 6.2019).
Quelle: lraq Bodycount (7.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 17.7.2019 [Grafik gelöscht, Anm.]
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats April 2019 99 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 105 Toten und 100 Verletzten verzeichnet. 36 Tote gingen auf Funde älterer Massengräber im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im April auf 69 reduziert werden kann. Die meisten Opfer gab es in den Gouvernements Diyala und Ninewa (Joel Wing 3.5.2019).
Im Mai 2019 verzeichnet Joel Wing 137 sicherheitsrelevante Vorfälle, von denen 136 auf den islamischen Staat (IS) zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019). Bei einem dieser Vorfälle handelte es sich um einen Raketenbeschuss der "Green Zone" in Bagdad durch eine mutmaßlich pro-iranische Gruppe (Joel Wing 5.6.2019; vergleiche OS 19.5.2019). Insgesamt wurden im Mai 163 Todesfälle und 200 Verwundete registriert, wobei 35 Tote auf einen Massengräberfund im Bezirk Sinjar in Ninewa zurückgehen (Joel Wing 5.6.2019).
Im Mai 2019 hat der Islamische Staat (IS) im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern zu erheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salahaddin - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und wegen lokalen Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vergleiche ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung AI-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vergleiche ACLED 18.6.2019).
Im Juni 2019 wurden von Joel Wing 99 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Da jedoch zwei Hauptquellen zur Sicherheitslage im Irak den gesamten Monat Juni über offline waren, kann es sein, dass es tatsächlich mehr Angriffe gab, als registriert wurden. Sechs Vorfälle werden pro- iranischen Gruppen zugeschrieben, die mutmaßlich wegen der Spannungen zwischen den USA und dem Iran ausgeführt wurden (Joel Wing 1.7.2019).
Das irakische Militär und die Koalitionstruppen [Anm. die Truppen der von den USA geführten Koalition westlicher Staaten im Irak] führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019) und in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vergleiche Kurdistan 24 11.4.2019; Jane's 1.5.2019).
BAGDAD
Laut Joel Wing ist Bagdad ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "Bagdad- Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vergleiche Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019).
Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).
Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).
AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK
Der Islamische Staat (IS) erweitert seine Netzwerke im irakischen Kurdistan. Es wird vermutet, dass er versucht diese mit seinen wieder auflebenden Unterstützungszonen in den Gouvernements Kirkuk und Diyala zu verbinden. Einheiten der Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] konnten laut eigenen Angaben seit Jänner 2019 unter anderem drei arabische IS-Zellen sprengen - in Sulaymaniyah City, in Chamchamal, zwischen Sulaymaniyah und der Stadt Kirkuk, sowie in Kalar, im Nordosten des Diyala Flußtales. Am 11. April verhafteten die Asayish einen IS-Kämpfer, der für das Schleusen von Kämpfern zwischen Kirkuk Stadt, Hawija und Dibis im Gouvernement Kirkuk verantwortlich war (ISW 19.4.2019).
Die türkische Luftwaffe führte in den Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniya Luftangriffe durch und verursachte materielle Schäden, ohne dass jedoch Verluste an Menschenleben gemeldet wurden. Zwischen 14. Februar und 9. April meldeten die türkischen Streitkräfte mindestens zwölf Einsätze sowie zwei Zusammenstöße mit Einheiten der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (UNSC 2.5.2019). Am 27.5.2019 startete das türkische Militär die "Operation Klaue" mit dem Ziel PKK-Hochburgen im Nordirak, in der Region Qandil zu beseitigen (ACLED 2.7.2019; vergleiche Al Jazeera 28.5.2019). Nach einer anfänglich defensiven Haltung der PKK kam es zu einer Zunahme der Angriffe auf die türkischen Streitkräfte, insbesondere im Südosten der Türkei, wie den Bezirk Cukurca in der Provinz Hakkari. Kurdische Einheiten zogen sich dabei grenzüberschreitend auch in den Iran zurück (ACLED 2.7.2019). Über 60 PKK-Kämpfer wurden seit Beginn der "Operation Klaue" als "neutralisiert" (d.h. getötet, gefangen genommen oder verletzt) gemeldet (ACLED 11.6.2019; vergleiche ACLED 2.7.2019). Ebenso wurde die Zerstörung von Sprengmittel (Landminen, IEDs) und Verstecken der PKK gemeldet (ACLED 11.6.2019; vergleiche Reuters 8.6.2019).
Türkisches Bombardement, das die Ortsränder dreier Dörfer im Bezirk Amadiya im Gouvernement Dohuk traf, zwang deren Einwohner zur Flucht (Kurdistan 24 9.4.2019).
NORD- UND ZENTRALIRAK
In den 2017 von der Zentralregierung übernommenen, umstrittenen Gebieten nutzt der Islamische Staat (IS) die geringe Zahl an Sicherheitskräften und deren Konkurrenzverhältnis zueinander aus, woraus sich die hohe Zahl an Übergriffen ableiten lässt (Joel Wing 1.7.2019). Kleinere Gruppen von IS-Kämpfern infiltrieren von Syrien kommend immer wieder die zerklüfteten Gebiete und Wüstenlandschaft im Westirak (Xinhua 6.5.2019).
Das irakische Militär und die von den USA geführte internationale Koalition führten eine Reihe von Angriffen gegen den IS durch, insbesondere im Gouvernement Anbar (ACLED 11.6.2019). Am 5.5.2019 startete ein gemischter Verband der irakischen Armee und paramilitärischen Stammeseinheiten, mit Luftunterstützung der Koalition, und in Abstimmung zwischen den Militärkommandos der Gouvernements Anbar, Salahaddin und Ninewa, eine großangelegte Militäroperation im Westirak (Xinhua 6.5.2019).
Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).
Im April 2019 wurden in Ninewa 19 Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit 46 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) verzeichnet, wobei hier auch der Fund eines Massengrabs älteren Datums, mit 36 Leichen, eingerechnet ist (Joel Wing 3.5.2019). Im Mai 2019 wurden 25 Vorfälle mit 64 Toten und 26 Verwundeten registriert, wobei der Fund eines jesidischen Massengrabes älteren Datums im Bezirk Sinjar, mit 35 Leichen, miteingerechnet ist (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni wurden zehn Vorfälle mit 24 Toten und 22 Verletzten registriert, wobei hier vier Brandstiftungen von landwirtschaftlichen Flächen und zwei Explosionen von Kriegsrelikten aus der Schlacht um Mossul Anmerkung, 17.10.2016 bis 9.7.2017) inkludiert sind (Joel Wing 1.7.2019).
Der Islamische Staat (IS) hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten des Gouvernements Diyala, konzentriert sich aber besonders auf den Bezirk Khanaqin im Nordosten, der eines der zwischen der Zentralregierung und der Autonomen Kurdischen Region umstrittenen Gebiete ist (Joel Wing 3.5.2019; vergleiche Joel Wing 5.6.2019).
In Diyala kam es im April 2019 zu 30 sicherheitsrelevanten Vorfällen (Joel Wing 3.5.2019) mit 22 Toten und 23 Verletzten (Joel Wing 1.5.2019). Im Mai 2019 wurden 35 Vorfälle mit 22 Toten und 42 Verwundeten registriert (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni 27 Vorfälle mit zwölf Toten und 20 Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).
Im Gouvernement Kirkuk ist der Islamische Staat (IS) in allen Bezirken aktiv und hat auch regelmäßigen Zugang zu Kirkuk City (Joel Wing 3.5.2019; vergleiche Joel Wing 5.6.2019). Insbesondere die Hamrin Berge, sowie die Haine im Westen des Gouvernements dienen dem IS als Rückzugsorte (Joel Wing 3.5.2019). Üblicherweise ereignen sich sicherheitsrelevante Vorfälle in Kirkuk im Süden des Gouvernements (Joel Wing 1.7.2019). Am 30. Mai fand jedoch in Kirkuk City mit der Detonation von sechs "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) der schwerwiegendste Angriff des Monats statt, der fünf Tote und 35 Verletzte forderte (Joel Wing 5.6.2019; vergleiche Reuters 30.5.2019). Im Juni wurden acht Angriffe in Kirkuk City verzeichnet (Joel Wing 1.7.2019). Eine Veränderung in der Taktik des IS in Kirkuk stellt das Legen von Hinterhalten für die Sicherheitskräfte dar (Joel Wing 3.5.2019).
Die 1. und 2. Brigade der Irakischen Spezialeinheiten (ISOF) begannen am 11. April, unterstützt durch die US-geführte Koalition, mit der bisher größten Säuberungsaktion gegen die "Unterstützungszone" des IS in den Hamrin Bergen (ISW 19.4.2019; vergleiche Kurdistan 24 11.4.2019). Die US-amerikanische Luftwaffe (USAF) bombardierte ein Tunnelnetz des IS in den Hamrin Bergen (Jane's 1.5.2019). Ähnliche Operationen wurden bereits in den vergangenen Monaten durchgeführt (Kurdistan 24 11.4.2019). Laut lokalen Quellen wurden im Zuge der Operation sechs bedeutende Anführer des IS getötet und damit die Kommandokette in dem Gebiet stark beeinträchtigt (D&S 24.4.2019).
In Kirkuk wurden im April 2019 13 Vorfällen registriert (Joel Wing 3.5.2019) mit 18 Toten und 53 Verletzten Anmerkung, Summe aus Joel Wing 1.5.2019 und Joel Wing 5.6.2019). Im Mai 2019 wurden in Kirkuk 35 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 29 Toten und 78 Verwundeten, die höchsten Opferzahlen dieses Monats im Irak, verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni sanken die registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf 18, mit 18 Toten und 40 Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).
Obwohl sich das Gouvernement Salahaddin die Hamrin-Gebirge, das dem Islamischen Staat (IS) als Basis dient, mit dem Gouvernement Diyala teilt, konzentrieren sich die Aufständischen in ihren Aktivitäten stärker auf Diyala (Joel Wing 3.5.2019).
In Salahaddin wurden im April 2019 acht Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit zehn Toten und neun Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert. Einer davon war ein Angriff auf einen ISF-Konvoi, gefolgt von einem Hinterhalt für die Einsatzkräfte, die am Tatort eintrafen (Joel Wing 3.5.2019; vergleiche UNAMI 3.1.2019). Im Mai 2019 wurden 20 Vorfälle mit 22 Toten und 28 Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni neun Vorfälle mit vier Toten und neun Verletzten (Joel Wing 1.7.2019). Zwei Angriffe auf das Alas Ölfeld im Mai weiteten sich zu großen Feuergefechten aus (Joel Wing 5.6.2019).
Der Islamische Staat (IS) hat vermehrt Kämpfer und Material durch die Jazeera Wüste zwischen Ostsyrien und dem Westirak in den Westen des Gouvernements Anbar verlegt (ISW 19.4.2019; vergleiche Joel Wing 3.5.2019). In dieser Region passierten auch die meisten der in Anbar verzeichneten Gewaltakte (Joel Wing 3.5.2019).
Seit Ende Jänner 2019 werden Trüffelsammler, meist in den Wüsten Anbars, vom IS entführt und manchmal, im Fall von Schiiten, getötet. Die irakischen Sicherheitskräfte bestätigten die Entführung von 44 Trüffelsammlern in diesem Jahr, wobei davon auszugehen ist, dass weitere Vorfälle nicht gemeldet wurden (NYT 19.5.2019). Im April wurde eine Autobombe gezündet, die gegen Trüffelsammler in der Rutba Wüste gerichtet war (Joel Wing 3.5.2019).
Die Rutba Wüste an der Grenze zu Saudi Arabien war das Ziel einer von einem gemischten irakischen Verband mit Luftunterstützung der Koalition durchgeführten Militäroperation (Rudaw 9.5.2019). Der Manöverbereich des IS in der Wüste konnte durch die irakischen Sicherheitskräfte um einige Kilometer verkleinert werden (D&S 10.6.2019).
Im April 2019 wurden in Anbar 16 Vorfälle (Joel Wing 3.5.2019) mit sieben Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert , im Mai 2019 acht Vorfälle mit acht Toten und sieben Verwundeten (Joel Wing 5.6.2019) und im Juni 13 Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).
SÜDIRAK
Der Islamische Staat (IS) arbeitet daran seine Netzwerke im Norden des Gouvernements Babil wieder aufzubauen, mutmaßlich um Angriffe auf leichte Ziele Anmerkung orig. "soft targets") in Bagdad und im Süden, in den heiligen Städten Karbala und Najaf, auszuführen (ISW 19.4.2019).
Fast immer, wenn es im Gouvernement Babil zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt, geschehen diese im Bezirk Jurf al-Sakhr. Der vom Gouvernement Anbar aus zugängliche Bezirk musste von seiner Bevölkerung verlassen werden und dient nun den al-Hashd al-Sha'bi (Volksmobilisierungseinheiten, PMF) als Basis, weswegen der IS für gewöhnlich hier zuschlägt (Joel Wing 5.6.2019). Am 9. April stieß die 47. Brigade der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) in Jurf al-Sakhr mit dem IS zusammen. Dieser zog sich zwar vorübergehend aus dem Gebiet zurück, es erfolgte jedoch keine vollständige Säuberung durch die PMF (ISW 19.4.2019). Im Mai fanden zwei Angriffe im nordwestlichen Jurf al-Sakhr und einer im zentralen Mahawil statt (Joel Wing 5.6.2019). Eine SVBIED-Attacke (Suicide Vehicle Borne Improvised Explosive Device) - die erste seit 2014 - in Jurf al-Sakhr konnte durch die 46. PMF-Brigade verhindert werden (ISW 19.4.2019).
Im April 2019 wurden in Babil drei sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 5.6.2019) mit fünf Verletzten (Joel Wing 1.5.2019) registriert. Im Mai gab es drei Vorfälle mit zwei Toten und fünf Verletzten ( Joel Wing 5.6.2019) und im Juni waren es drei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 1.7.2019).
In Basra wurden im Juni zwei Vorfälle mit drei Verletzten registriert. Ein von internationalen Ölgesellschaften genutzter Gebäudekomplex wurde von Raketen getroffen. Mutmaßlich steckt eine pro-iranischen Gruppe hinter diesem Angriff (Joel Wing 1.7.2019).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.7.2019): Regional Overview - Middle East 2 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/02/regional-overview-middle-east-2-july-2019/, Zugriff 3.7.2019
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview - Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 18.6.2019
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (11.6.2019): Regional Overview - Middle East 11 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/12/regional-overview-middle-east-11-june-2019/, Zugriff 18.6.2019
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (5.6.2019): Regional Overview - Middle East 5 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/05/regional-overview-middle-east-5-june-2019/, Zugriff 18.6.2019
- Al Jazeera (28.5.2019): Turkey launches operation against PKK fighters in northern Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/turkey-launches-operation-pkk-fighters-northern-iraq-190528140950966.html, Zugriff 18.6.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 18.6.2019
- Der Standard (19.5.2019): Rakete schlägt in Grüner Zone in Bagdad ein, https://derstandard.at/2000103450186/Rakete-schlaegt-in-Gruener-Zone-in-Bagdad-ein, Zugriff 14.6.2019
- D&S - Difesa & Sicurezza (24.4.2019): Iraq, Isis chain of command in the Hamrin mountains in Diyala decimated, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-isis-chain-of-command-in-the-hamrin-mountains-in-diyala-decimated/, Zugriff 17.6.2019
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- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 17.6.2019
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- NYT - The New York Times (19.5.2019): They Go to the Desert to Hunt for Truffles. But ISIS römisch eins s Hunting Them, https://www.nytimes.com/2019/03/19/world/middleeast/isis-truffle-iraq.html, Zugriff 17.6.2019
- UNSC - UN Security Council (2.5.2019): Implementation of resolution 2421 (2018); Report of the Secretary-General [S/2019/365], https://www.ecoi.net/en/file/local/2008023/S_2019_365_E.pdf, Zugriff 17.6.2019
- UNSC - United Nations Security Council (1.2.2019): Eighth report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da'esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat, https://www.un.org/sc/ctc/wp-content/uploads/2019/02/N1901937_EN.pdf, Zugriff 18.6.2019
- USDOD - US Department of Defense (7.5.2019): Operation Inherent Resolve - Lead Inspector General report to the United States Congress, January 1,2019-March31 2019, https://media.defense.gov/2019/May/07/2002128675/-1/-1/1/LIG%20OCO%20OIR%20Q2%20MARCH2019.PDF, Zugriff 18.6.2019
- Xinhua (6.5.2019): 8 IS militants killed in operation in western Iraq desert, http://www.xinhuanet.com/english/2019-05/06/c_138036239.htm, Zugriff 18.6.2019
KI vom 9.4.2019, Parlamentswahlen vom 30.12.2018 (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)
Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRG) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, uvm.
https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.04.2019/ [Karte gelöscht, Anm.]
Seit Sommer 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak zurückgegangen. Im Dezember 2018 wurde ein Rekordtief an Sicherheitsvorfällen registriert (Joel Wing 2.1.2019). Anfang 2019 ist diese Zahl wieder leicht angestiegen, wobei die Monate Jänner und Februar in etwa die gleichen Zahlen an Angriffen und Opfern aufweisen (Joel Wing 4.3.2019). Für März 2019 wurde die niedrigste, je vom Irak-Experten Joel Wing registriere Zahl von Sicherheitsvorfällen verzeichnet (Joel Wing 3.4.2019).
Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. (IBC 3.2019).
https://www.iraqbodycount.org/database/ [Karte gelöscht, Anm.]
Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Dezember 2018 sind 155 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im Jänner 2019 wurden von IBC 323 und im Februar 2019 271 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert (IBC 3.2019).
https://www.iraqbodycount.org/database/ [Tabelle gelöscht, Anm.]
Der Islamische Staat (IS) ist im Irak weitestgehend auf Zellen von Aufständischen reduziert worden, die meist aus jenen Gebieten heraus operieren, die früher unter IS-Kontrolle standen, d.h., aus den Gouvernements Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) werden nur die Distrikte Shirqat und Tuz in Salahaddin, Makhmour in Erbil, Hawija und Daquq in Kirkuk, sowie Kifri und Khanaqin in Diyala als umkämpft angesehen (EASO 3.2019). Das ganze Jahr 2018 über führten IS-Kämpfer Streifzüge nach Anbar, Bagdad und Salahaddin durch, zogen sich dann aber im Winter aus diesen Gouvernements zurück. Die Anzahl der verzeichneten Übergriffe und zivilen Todesopfern sank daher im Vergleich zu den Vormonaten deutlich ab (Joel Wing 2.1.2019).
BAGDAD
Aufständische haben mittlerweile die meisten ihrer Ressourcen aus Bagdad abgezogen, einst das Hauptziel des Terrorismus (Joel Wing 4.3.2019). Im Dezember 2018 wurden 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten (Joel Wing 2.1.2019) verzeichnet, bzw. 17 Tote und drei Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten erfasst (Joel Wing 4.2.2019), im Februar dagegen nur noch sieben Vorfälle mit sieben Toten (Joel Wing 4.3.2019) und im März vier Vorfälle mit fünf Toten und fünf verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Dabei handelte es sich meist um Schießereien/Schussattentate in den Vorstädten und Dörfern des Gouvernements (Joel Wing 4.3.2019).
Der IS behielt jedoch eine latente Präsenz nördlich von Bagdad und begann damit seine Unterstützungszone weiter auszubauen (ISW 7.3.2019). Er verfügt in Bagdad und den Bagdad Belts über mehrere aktive Zellen (EASO 3.2019). Der nördliche "Bagdad-Belt" dient dabei als Transferroute von Kämpfern zwischen den Gouvernements Anbar, Salahaddin und Diyala, während das sogenannte "Dreieck des Todes" im südlichen Bagdad-Belt IS-Gruppen in den Gouvernements Anbar, Bagdad und Babil verbindet. Irakische Sicherheitskräfte (ISF) haben seit Dezember 2018 mehrere IS-Kämpfer an Kontrollpunkten entlang der Autobahnen, die das Gouvernement Babil mit Bagdad verbindet, festgenommen und im Februar 2019 180 Personen mit Verbindungen zum IS verhaftet (ISW 7.3.2019).
AUTONOME REGION KURDISTAN (KRG)
In Nordkurdistan setzte die Türkei ihre Angriffe auf PKK-Stellungen fort. Zwei Treffer durch Luftschläge in Ninewa zogen letztlich einen Protest der irakischen Regierung nach sich. Die Türkei gab jedoch bekannt, ihre Aktionen fortführen zu wollen (Joel Wing 2.1.2019). Als Folge eines Luftangriffs, bei dem mutmaßlich einige Zivilisten ums Leben kamen, stürmte eine aufgebrachte Menge einen Posten der türkischen Armee nahe Dohuk, wobei eine Person ums Leben kam und zehn verletzt wurden (BBC 26.1.2019). Im Dezember 2018 wurden zwölf Luftschläge mit 31 Toten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 elf mit 35 Toten (Joel Wing 4.2.2019) und im März zwei Vorfälle mit 32 Toten und 10 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Zusammenstöße zwischen türkischen Soldaten und kurdischen Kämpfern hatten Todesopfer auf beiden Seiten zur Folge (Joel Wing 26.3.2019). Am 30.3.2019 bombardierte die türkische Luftwaffe erneut PKK-Stellungen im Qandil Gebirge (BAMF 1.4.2019).
Der IS rekrutiert in der kurdischen Autonomieregion (ISW 7.3.2019).
NORD- UND ZENTRALIRAK
In einem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom 1.2.2019 heißt es, dass verbliebene IS-Kämpfer nach wie vor eine Bedrohung im Nord- und Zentralirak (Gouvernements Kirkuk, Ninewa und Salahaddin, sowie Anbar, Bagdad und Diyala) darstellen (UNSC 1.2.2019). Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin sind dabei das Herzstück der Umgruppierungsbemühungen des IS. Dort werden monatlich auch die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle verzeichnet. Der IS ist beinahe im gesamten ruralen Gebiet dieser Gouvernements aktiv, kann sich Berichten zufolge in einigen Städten nachts völlig frei bewegen und hebt Steuern ein (Joel Wing 3.4.2019). Die Lage in diesen umstrittenen Gebieten hat sich nach dem Abzug der kurdischen Peschmerga 2017 verschärft (Landinfo 8.1.2019). Die Konkurrenz zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung, erzeugt in diesen Gebieten zusätzliche Instabilität, die wiederum vom IS ausgenutzt werden kann (ISW 7.3.2019). Sowohl kurdische Streitkräfte als auch Mitglieder der vom Iran unterstützten Volksmobilisierungskräfte (PMF) üben weiterhin in unterschiedlichem Ausmaß Kontrolle und Einfluss aus, was die Zentralregierung in eine prekäre Lage versetzt, da sie sowohl mit zivilen Unruhen, als auch mit Versuchen einer Reorganisation des IS umgehen und gleichzeitig ihre Verbündeten unter Kontrolle halten muss (ACLED 2019).
Insbesondere ländliche Gebiete, das Hamrin-Gebirge, sowie das Diyala-Flussdelta dienen dem IS als Rückzugsorte, von wo bereits im Jahr 2018 ein Großteil der IS-Operationen im Irak ausgegangen sind (Landinfo 8.1.2019). Das Hamrin-Gebirge ermöglicht dabei den Nord-Süd Übergang zwischen den Gouvernements Ninewa und Diyala und bietet dem IS dauerhaften Schutz vor Luftangriffen und Bodenoffensiven (ISW 7.3.2019). Es gelang den irakischen Sicherheitskräften (ISF) bisher trotz umfangreicher Säuberungsaktionen nicht, den IS aus Hawija zu vertreiben (ISW 7.3.2019; vergleiche Landinfo 8.1.2019). Zwischen 25. und 27. März wurde eine neuerliche koordinierte Luft- und Bodenoperation durch die Luftwaffe der Koalition und die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gegen den IS im nordwestlichen Irak geführt (OIR 29.3.2019).
Der IS führt seine Operationen hauptsächlich südlich und westlich von Ninewas Hauptstadt Mossul durch (Joel Wing 4.2.2019). Er soll auch in der Stadt über Schläferzellen verfügen, und hat dort zuletzt im Februar 2019 eine Autobombe eingesetzt (ISW 7.3.2019). Seit einigen Wochen fordern IS-Angriffe insbesondere in Ninewa regelmäßig viele Opfer (Joel Wing 1.4.2019). So wurden in der Provinz im Dezember 2018 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 36 Toten und 37 Verwundeten registriert, wobei hier elf ältere Leichen eingerechnet wurden, die aus Trümmern der Altstadt von Mossul geborgen wurden. Mit den verbliebenen 25 im Dezember getöteten Personen und 37 Verwundeten verzeichnete die Provinz die meisten Gewaltopfer im Irak im Dezember (Joel Wing 2.1.2019). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für den Irak nennt für denselben Zeitraum hingegen sieben Tote und 19 Verwundete (UNAMI 3.1.2019). Im Jänner 2019 wurden neun Vorfälle mit 75 Toten und einer verwundeten Person, sowie zwei Massengräberfunde (ältere Gräber aus der Zeit der IS-Herrschaft) mit den Überresten von insgesamt 66 Leichen verzeichnet (Joel Wing 4.2.2019). Im Februar kam es erneut zu einem Anstieg der IS-Aktivitäten, mit 20 Vorfällen mit 147 Toten und 31 Verletzten, wobei wiederum die meisten der Toten auf Funde von Massengräbern älteren Datums zurückgehen (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurden elf Vorfälle mit 109 Toten und 53 Verletzten registriert (Joel Wing 3.4.2019).
In Diyala kam es im Dezember 2018 zu 28 sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit insgesamt 15 Toten und 16 Verwundeten, darunter drei Angriffe auf Kontrollpunkte (Joel Wing 2.1.2019), sowie Mörserbeschuss der Stadt Saraya (Joel Wing 10.12.2018). Im Jänner 2019 wurden 32 Vorfälle mit zehn Toten und 21 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 26 Vorfälle mit acht Toten und 16 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 17 Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).
In Kirkuk wurden im Dezember 17 Vorfälle mit 204 Toten und 16 Verwundeten registriert, wobei 200 Leichenfunde aus einem Massengrab im Distrikt Hawija im Süden Kirkuks miteingerechnet wurden (Joel Wing 2.1.2019). Im Jänner 2019 wurden 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 31 Verwundeten registriert (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 17 Vorfälle mit 17 Toten und 7 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März 15 Vorfälle mit sieben Toten und sechs Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Die Stämme von Diyala kündigten um Jänner 2019 eine Mobilmachung gegen den IS an, um die Sicherheitskräfte in ihrem Kampf zu unterstützen (Diyaruna 21.1.2019).
In Salahaddin wurden im Dezember acht Vorfälle mit drei Toten und zwei, bzw. drei Verletzten registriert (Joel Wing 2.1.2019; vergleiche UNAMI 3.1.2019), im Jänner 2019 14 Vorfälle mit 17 Toten und 36 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 18 Vorfälle mit 25 Toten und 48 Verwundeten (Joel Wing 4.3.2019) und im März acht Vorfälle mit acht Toten und 14 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019).
In Anbar, ist es dem IS wieder gelungen eine Unterstützungszone in der Nähe von Amariyat al- Fallujah einzurichten, von der aus seit August 2018 Angriffe in Fallujah erfolgen (ISW 7.3.2019). Im Dezember 2018 wurden in Anbar acht Vorfälle mit acht Toten und 13 Verwundeten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 16 Vorfälle mit elf Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 4.2.2019), im Februar 28 Vorfälle mit 46 Toten und 26 Verletzten und im März fünf Vorfälle mit acht Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Der starke Anstieg im Februar wird auf das Einsickern fliehender IS-Kämpfer aus dem benachbarten Syrien zurückgeführt (Joel Wing 4.3.2019).
SÜDIRAK
Am 21.12.2018 setzte die Polizei scharfe Munition und Tränengas ein, um Demonstranten im südirakischen Basra an der Erstürmung eines Regierungsgebäudes zu hindern. Die zweitgrößte Stadt des Landes erlebt seit Juli 2018 ausgedehnte Proteste gegen Korruption, Misswirtschaft, die schlechte Grundversorgung und Arbeitslosigkeit (Guardian 18.7.2018; vergleiche Reuters 21.12.2019). Auch 2019 kommt es weiterhin zu häufigen Protesten (Jane's 5.2.2019).
In Qadisiya wurde im Dezember 2018 ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit einer verwundeten Person registriert. In Babil waren es im Dezember 2018 zwei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 drei Vorfälle mit sechs Verletzten (Joel Wing 4.2.2019) und im Februar zwei Vorfälle mit zwei Verletzten (Joel Wing 4.3.2019). Im März wurde in Babil ein Vorfall registriert, bei dem zwei Personen getötet wurden (Joel Wing 3.4.2019). In Basra wurden bei einem Zusammenstoß zweier Stämme am 11.3.2019 mindestens drei Menschen getötet und sieben weitere verwundet (Kurdistan 24 12.3.2019).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2019), Behind Frenemy Lines: Uneasy Alliances against IS in Iraq, https://www.acleddata.com/2019/03/01/behind-frenemy-lines-uneasy-alliances-against-is-in-iraq/, Zugriff 12.3.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1 April 2019, per E-Mail
- BBC News (29.1.2019): Kurdish protesters storm Turkish military camp in Iraq, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-47015699, Zugriff 13.3.2019
- Diyaruna (21.1.2019): Diyala tribes mobilise to rout ISIS remnants, http://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/01/28/feature-02, Zugriff 14.3.2019
- EASO - European Asylum Support Office (3.2019): Iraq; Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004116/Iraq_security_situation.pdf, 13.3.2019
- IBC - Iraq Bodycount (3.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 12.3.2019
- ISW - Institute for the Study of War (7.3.2019): ISIS Re-Establishes Historical Sanctuary in Iraq, https://iswresearch.blogspot.com/2019/03/isis-re-establishes-historic-sanctuary.html, Zugriff 12.3.2019
- Jane's 360 (5.2.2019): Protests in Iraq's Basra likely throughout 2019, but security force presence mitigates disruption risk to oil sites, https://www.janes.com/article/86167/protests-in-iraq-s-basra-likely-throughout-2019-but-security-force-presence-mitigates-disruption-risk-to-oil-sites, Zugriff 13.3.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (10.12.2018): Security In Iraq Dec 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/security-in-iraq-dec-1-7-2018.html, Zugriff 4.4.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.1.2019): Islamic State Went Into Hibernation In Winter 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/01/islamic-state-went-into-hibernation-in.html, Zugriff 12.3.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (4.2.2019): Slight Uptick In Islamic State Ops In Iraq As New Year Begins, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/02/slight-uptick-in-islamic-state-ops-in.html, Zugriff 12.3.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (4.3.2019): Islamic State Might Be Coming Out Of Its Winter Hibernation In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/islamic-state-might-be-coming-out-of.html, Zugriff 12.3.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (26.3.2019): Security In Iraq Mar 15-21, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/03/securitv-in-iraq-mar-15-21-2019.html, Zugriff 27.3.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (1.4.2019): Security In Iraq Mar 22-28, 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/security-in-iraq-mar-22-28-2019.html, Zugriff 2.4.2019
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.4.2019): Iraq Saw Lowest Violence Ever March 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/04/iraq-saw-lowest-violence-ever-march-2019.html, Zugriff 4.4.2019
- Kurdistan 24 (12.3.2019): WATCH: Clashes between Basra tribes kill, injure ten people, http://www.kurdistan24.net/en/news/5dc59e22-744f-483e-a102-dfe1388e5afd, Zugriff 1.4.2019
- Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre (8.1.2019): Temanotat Irak: Diyala provins - sikkerhetssituasjonen per november 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456258/4792_1547275214_irak-temanotat-diyala-provins-sikkerhetssituasjonen-per-november-2018.pdf, Zugriff 14.3.2019
- Liveuamap - Live Universal Awareness Map (13.3.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/13.03.2019, Zugriff 13.3.2019
- OIR - Operation Inherent Resolve (29.3.2019): Fight is not over: Iraqi clearances spearhead fight against Daesh in Iraq, https://www.inherentresolve.mil/Media-Library/News-Releases/Article/1799730/fight-is-not-over-iraqi-clearances-spearhead-fight-against-daesh-in-iraq/, Zugriff 1.4.2019
- Reuters (21.12.2018): Police use live rounds to disperse protest in Iraq's Basra for second week, https://www.reuters.com/article/us-iraq-protests/police-use-live-rounds-to-disperse-protest-in-iraqs-basra-for-second-week-idUSKCN1OK29Q, Zugriff 13.3.2019
- The Guardian (18.7.2018): Protests spread through cities in Iraq's oil-rich Shia south, https://www.theguardian.com/world/2018/jul/18/protests-spread-through-cities-in-iraqs-oil-rich-shia-south, Zugriff 1.4.2019
- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (3.1.2019): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of December 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=10269:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 12.3.2019
- UNSC - United Nations Security Council (1.2.2019): Implementation of resolution 2421 (2018) Report of the Secretary-General, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002890/S_2019_101_E.pdf, Zugriff 14.3.2019
2. Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vergleiche RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vergleiche IRIS 11.5.2018).
Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).
In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vergleiche IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogenannte "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).
Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).
Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/45981531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018
- BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985, Zugriff 18.10.2018
- BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528, Zugriff 18.10.2018
- CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 19.10.2018
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018
- Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 17.10.2018
- The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister, https://www.theguardian.com/world/2018/oct/03/iraqi-president-names-adel-abdul-mahdi-as-next-prime-minister, Zugriff 18.10.2018
- ICG - International Crisis Group (9.5.2018): Iraq's Pre-election Optimism Includes a New Partnership with Saudi Arabia, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/iraqs-pre-election-optimism-includes-new-partnership-saudi-arabia, Zugriff 18.10.2018
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018
- Reuters (15.9.2018): Iraq parliament elects Sunni lawmaker al-Halbousi as speaker, breaking deadlock, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics/iraq-parliament-elects-sunni-lawmaker-al-halbousi-as-speaker-breaking-deadlock-idUSKCN1LV0BH, Zugriff 18.10.2018
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 18.10.2018
- Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung, https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder, Zugriff 2.11.2018
- Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topjobs, Zugriff 19.10.2018
- TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/storv/29434606, Zugriff 18.10.2018
- UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General Pursuant to resolution 2367 (2017), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1800449.pdf, Zugriff 19.10.2018
- WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018
2.1. Parteienlandschaft
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vergleiche BP 17.12.2017), obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vergleiche WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vergleiche Guardian 12.5.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).
http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf [Karte gelöscht, Anm.]
Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al- Monitor 23.8.2018; vergleiche Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vergleiche Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).
Quellen:
- Al Jazeera (6.6.2018): Iraq orders recount of all 11 million votes from May 12 election, https://www.aljazeera.com/news/2018/06/iraq-orders-recount-11-million-votes-12-election-180606163950024.html, Zugriff 23.10.2018
- Al-Monitor (23.8.2018): Many Iraqi legislators call for canceling election results, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/05/iraq-election-fraud.html, Zugriff 23.10.2018
- The Arab Weekly (7.10.2018): Room for optimism in Iraq under new leadership, https://thearabweekly.com/room-optimism-iraq-under-new-leadership, Zugriff 23.10.2018
- BP - Baghdad Post (17.12.2017): All Shia political parties have armed militias - Nujaba, https://www.thebaghdadpost.com/en/Story/21086/All-Shia-political-parties-have-armed-militias-Nujaba, Zugriff 22.10.2018
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq's Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 22.10.2018
- Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 17.10.2018
- The Guardian (12.5.2018): Martyr or master? Future of anti-Isis militias splits Iraq ahead of Elections, https://www.theguardian.com/world/2018/may/12/iraq-elections-become-battleground-iranian-influence, Zugriff 22.10.2018
- HoC - House of Commons (12.6.2018): Briefing paper: Iraq and the 2018 election, researchbriefings.files.parliament.uk/documents/.../CBP-8337.pdf, Zugriff 22.10.2018
- IRIS - Institute of Regional and International Studies (11.5.2018): Iraq Votes 2018: Election Mobilization Strategies, https://auis.edu.krd/iris/sites/default/files/IraqVotes2018_MobilizationStrategies1.pdf, Zugriff 2.11.2018
- ISPI - Istituto per gli studi di politica internazionale (10.5.2018): After IS: The meaning of Iraq's election for the Arab Sunni community, https://www.ispionline.it/sites/default/files/pubblicazioni/commentary_seloom_10.05.2018.pdf, Zugriff 22.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (22.5.2018): Sadr-Communist Alliance And Iraq's 2018 Elections Interview With Benedict Robin, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/05/sadr-communist-alliance-and-iraqs-2018.html, Zugriff 22.10.2018
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 23.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018
- MEMO - Middle East Monitor (16.1.2018): Iraq: 3 major Sunni provinces form alliance to run in elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180116-iraq-3-major-sunni-provinces-form-alliance-to-run-in-elections/, Zugriff 22.10.2018
- MEMO - Middle East Monitor (27.2.2018): Iraq Islamic party will not run in upcoming elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180227-iraq-islamic-party-will-not-run-in-upcoming-elections/, Zugriff 22.10.2018
- Niqash (7.7.2016): Too Many Contradictions: Why Iraq's New Political Parties Law Can Never Work, http://www.niqash.org/en/articles/politics/5304/, Zugriff 22.10.2018
- Niqash (5.4.2018): Formerly-Armed Angels? The Controversial Iraqi Militia That Now Prefers Social Work To Politics, http://www.niqash.org/en/articles/security/5873/, Zugriff 22.10.2018
- Reuters (19.5.2018): Cleric Moqtada al-Sadr's bloc wins Iraq election, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-results/cleric-moqtada-al-sadrs-bloc-wins-iraq-election-idUSKCN1IJ2X0, Zugriff 19.10.2018
- Reuters (24.5.2018): Iraqi PM Abadi says election fraud allegations to be investigated, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-fraud/iraqi-pm-abadi-says-election-fraud-allegations-to-be-investigated-idUSKCN1IP2Z2, Zugriff 23.10.2018
- Reuters (10.8.2018): Recount shows Iraq's Sadr retains election victory, no major changes, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election/recount-shows-iraqs-sadr-retains-election-victory-no-major-changes-idUSKBN1KV041, Zugriff 19.10.2018
- Der Standard (29.10.2017): Kurdenpräsident Barzani hinterlässt einen Trümmerhaufen, https://derstandard.at/2000066849335/Kurdenpraesident-Barzani-hinterlaesst-einen-Truemmerhaufen, Zugriff 22.10.2018
- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2016): Die "Volksmobilisierung" im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A52_sbg.pdf, Zugriff 22.10.2018
- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Die Badr-Organisation: Irans wichtigstes politisch-militärisches Instrument im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A27_sbg.pdf, Zugriff 22.10.2018
- WI - al-Waqä'i'a al-iräqiyya (12.10.2015): Law No. 36 of 2015 on Political Parties, https://www.ilo.org/dyn/natlex/docs/ELECTRQNIC/102986/124758/F1240401810/4383.pdf, Zugriff 22.10.2018
- WoR - War on the Rocks (25.8.2017): Iraq's competing security forces after the battle for Mosul, https://warontherocks.com/2017/08/iraqs-competing-security-forces-after-the-battle-for-mosul/, Zugriff 22.10.2018
- WSJ - Wall Street Journal (9.8.2018): Iraq Election Results Unchanged After Recount on Fraud Allegations, https://www.wsj.com/articles/iraq-election-results-unchanged-after-recount-on-fraud-allegations-1533852653, Zugriff 23.10.2018
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916Schluesselland-Irak.html, Zugriff 15.10.2018
2.2. Protestbewegung
Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vergleiche NPR 27.9.2018).
Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vergleiche Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vergleiche Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei. der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vergleiche CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vergleiche NPR 27.9.2018).
Quellen:
- Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know, https://www.aliazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html, Zugriff 23.10.2018
- Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger, https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-180803192747710.html, Zugriff 24.10.2018
- Carnegie - Carnegie Middle East Center (19.9.2018): The Basra Exception, http://carnegie-mec.org/diwan/77284?lang=en, Zugriff 23.10.2018
- CNN - Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html, Zugriff 23.10.2018
- The Daily Star (19.7.2018): In Iraq, old grievances fuel deadly protests, https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Jul-19/457085-in-iraq-old-grievances-fuel-deadly-protests.ashx, Zugriff 23.10.2018
- DW - Deutsche Welle (15.7.2018): Protests spread from oil-rich Basra across southern Iraq, https://www.dw.com/en/protests-spread-from-oil-rich-basra-across-southern-iraq/a-44678926, Zugriff 23.10.2018
- HRW - Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters, https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters, Zugriff 24.10.2018
- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq's summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-irags-summer-brushfire, Zugriff 23.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (14.7.2018): Protests In Iraq Greatly Escalate And Spread Throughout South, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/protests-in-iraq-greatly-escalate-and.html, Zugriff 24.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (17.7.2018): Iraq Government Starts Crackdown On Protests, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/iraq-government-starts-crackdown-on.html, Zugriff 24.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (21.7.2018): 2 Killed As Protests Hit 10 Provinces In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/2-killed-as-protests-hit-10-provinces.html, Zugriff 24.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (25.7.2018): Silencing Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/silencing-protests-in-iraq.html, Zugriff 24.10.2018
- Kurier (15.7.2018): Proteste im Irak eskalieren weiter: Mehrere Tote, https://kurier.at/politik/ausland/proteste-im-irak-eskalieren-weiter-mehrere-tote/400066748, Zugriff 24.10.2018
- NPR - National Public Radio (27.9.2018): Months Of Protests Roil Iraq's Oil Capital Basra, https://www.npr.org/2018/09/27/651508389/months-of-protests-roil-iraqs-oil-capital-basra?t=1539869569857&t=1540298050551, Zugriff 23.10.2018
- Die Presse (15.7.2018): Massive Proteste breiten sich im Süden des Irak aus, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5464674/Massive-Proteste-breiten-sich-im-Sueden-des-Irak-aus, Zugriff 24.10.2018
- Vox (8.9.2018): The violent protests in Iraq, explained, https://www.vox.com/world/2018/9/7/17831526/iraq-protests-basra-burning-government-buildings-iran-consulate-water, Zugriff 24.10.2018
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=Q, Zugriff 2.11.2018
2.3 Autonome Region Kurdistan
Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2Q18). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).
Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren. angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).
Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).
Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht. Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).
Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit 186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vergleiche Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- Al Jazeera (21.10.2018): Opposition parties reject vote results in Iraq's Kurdish region, https://www.aljazeera.com/news/2018/10/opposition-parties-reject-vote-results-iraq-kurdish-region-181021194012607.html, Zugriff 23.10.2018
- ANF - ANF News (21.10.2018): Wahlergebnisse in Südkurdistan veröffentlicht, https://anfdeutsch.com/kurdistan/wahlergebnisse-in-suedkurdistan-veroeffentlicht-729, Zugriff 23.10.2018
- BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (24.1.2018): Kurdenkonflikt, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt, Zugriff 22.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 23.10.2018
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.10.2018): Ruling KDP Wins Most Seats In Kurdish Regional Parliament Vote, https://www.rferl.org/a/ruling-kdp-wins-most-seats-in-kurdish-regional-parliament-vote/29555348.html, Zugriff 23.10.2018
- Tagesschau (30.9.2018): Wahl in Irakisch-Kurdistan Ein Parlament, das besser arbeitet?, https://www.tagesschau.de/ausland/irak-kurden-wahlen-101.htm, Zugriff 23.10.2018
3. Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vergleiche MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/45981531143225deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 30.10.2018
3.1. Islamischer Staat (IS)
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vergleiche ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).
Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).
Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vergleiche WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).
Quellen:
- Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/, Zugriff 30.10.2018
- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018
- ISW - Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS's Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html, Zugriff 30.10.2018
- Jamestown Foundation (28.7.2018): römisch eins s Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://jamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/, Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuilding-in.html, Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018
- Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/security/5951/, Zugriff 30.10.2018
- WP - Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comeback-in-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59-dccc2c0cabcf_story.html?noredirect=on&utm_term=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018
3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 6.2.2018).
So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 5.9.2018).
https://www.ecoi.net/en/file/local/1442566/193015362173742018q2iraq-de.pdf [Grafik entfernt, Anm.]
Laut Angaben von UNAMI, der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge, Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichnete UNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017, für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben, da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai, Juli, August und Dezember (UNAMI 3.1.2017).
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle, dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016 935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).
https://www.iraqbodycount.org/database/ [Grafik entfernt, Anm.]
https://www.iraqbodycount.org/database/ [Grafik entfernt, Anm.]
Quellen:
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (5.9.2018): Irak. 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442566/1930_1536217374_2018q2iraq-de.pdf Zugriff 29.10.2018
- IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence. https://www.iraqbodycount.org/database/ Zugriff 31.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (5.4.2018): Iraq Witnessing Fewest Security Incidents Since 2003. http://musingsoniraq.blogspot.com/2018/04/iraq-witnessing-fewest-security.html Zugriff 2.11.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady. https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving. https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 30.10.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (3.1.2017): UN Casualties Figures for Iraq for the Month of December 2016. http://www.uniraq.org/index.php?option=comk2&view=item&id=6611:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2016&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (2.1.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of December 2017. http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8427:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2017&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018
3.3. Sicherheitslage Bagdad
Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vergleiche Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).
Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).
Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).
Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).
In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).
Quellen:
- Joel Wing - Musings on Iraq (8.7.2017): 3,230 Dead, 1,128 Wounded In Iraq June 2017, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html, Zugriff 1.11.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (4.10.2017): 728 Dead And 549 Wounded In September 2017 In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/10/728-dead-and-549-wounded-in-september.html, Zugriff 1.11.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (9.10.2018): Security In Iraq Oct 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-1-7-2018.html, Zugriff 1.11.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (30.10.2018): Security In Iraq Oct 22-28, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-22-28-2018.html, Zugriff 1.11.2018
- OFPRA - Office Francais de Protection des Refugies et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 31.10.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.2.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of January 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=comk2&view=item&id=8500:un-casualtv-figures-for-iraq-for-the-month-of-januarv-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (2.3.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of February 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8643:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (4.4.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of March 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8801:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (31.5.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of May 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9155:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.8.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of July 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9402:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (3.9.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of August 2018. http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9542:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of September 2018. http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018
3.4. Sicherheitslage Autonome Region Kurdistan (KRG)
In Erbil bzw. Sulaymaniya und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings ist die derzeitige Sicherheitssituation aufgrund der andauernden Kämpfe. in die teilweise auch die kurdischen Streitkräfte (Peshmerga) und diverse Milizen eingebunden sind. besorgniserregend. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 1.11.2018).
Die türkische Armee führt regelmäßig (teilweise im Abstand von wenigen Tagen) Luftangriffe auf PKK-Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Irak durch. Beide Seiten (sowohl die Türkei als auch die PKK) geben wenig Informationen über die Opfer. In Einzelfällen handelt es sich um Zivilisten (CEDOCA 14.3.2018).
Nachdem die Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) ihre bewaffneten Aktivitäten im Jahr 2015 wieder aufnahm. fanden 2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren auch wieder iranische Angriffe auf KDPI-Ziele in der Autonomen Region Kurdistan-Irak statt (CEDOCA 14.3.2018). Iranische Revolutionsgarden führten gezielte Tötungen von KDPI-Mitgliedern in der Autonomen Region Kurdistan durch (Al Monitor 7.3.2018). Der Iran hat in der Vergangenheit auch bewaffnete kurdische Oppositionsgruppen im Irak beschossen. Auch im September 2018 kam es zu einem tödlichen Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden auf die KDPI im Irak (Reuters 8.9.2018; vergleiche RFE/RL 9.9.2018).
Quellen:
- Al Monitor (7.3.2018): Assassinations mount as Iranian Kurdish militants clash with Tehran. https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/iran-kdpi-kurdish-opposition-iraq-assassinations-rahmani.html, Zugriff 1.11.2018
- BMEIA - Bundesministerium für Europa. Integration und Äußeres (1.11.2018): Reiseinformation: Irak. https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/, Zugriff 1.11.2018
- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat general aux refugies et aux apatrides (14.3.2018): IRAK: Situation securitaire dans la Region autonome du Kurdistan, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak._situation_securitaire_dans_la_region_autonome_du_kurdistan_0.pdf, Zugriff 1.11.2018
- Reuters (8.9.2018): Iran attacks Iranian Kurdish opposition group base in Iraq. https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-iran/iran-attacks-iranian-kurdish-opposition-group-base-in-iraq-idUSKCN1LO0KZ, Zugriff 1.11.2018
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (9.9.2018): Iran's Revolutionary Guards Confirm Deadly Missile Strikes On Kurdish Rebels In Iraq. https://www.rferl.org/a/at-least-11-iranian-kurdish-fighters-killed-in-attack-rebels-blame-on-tehran/29479697.html, Zugriff 1.11.2018
3.5. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).
Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).
Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018
- GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after iSlL: Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/user_upload/media/pub/2018/Gaston_Derzsi-Horvath_Iraq_After_ISIL.pdf Zugriff 5.11.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html, Zugriff 5.11.2018
3.6. Sicherheitslage Süden
Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).
In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).
Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vergleiche Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018
- AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 2.11.2018
- Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html, Zugriff 2.11.2018
- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat general aux refugies et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation securitaire dans le sud de l'Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 1.11.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html, Zugriff 2.11.2018
- Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i S0r-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-svarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 1.11.2018
4. Rechtsschutz / Justizwesen
Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council. HJC). dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).
Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vergleiche AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).
Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).
Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).
Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).
Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).
2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).
Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 16.7.2018
- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425073.html, Zugriff 13.7.2018
- FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 25.7.2018
- LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf, Zugriff 13.7.2018
- Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 12.7.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 13.7.2018
4.1. Ergänzende Informationen zur Autonomen Region Kurdistan (KRG)
Auch die Lage in der Autonomen Region Kurdistan ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet (AA 12.2.2018). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der Regierung der Autonomen Region Kurdistan, die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Beamte der Region Kurdistan-Irak berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der Region Kurdistan-Irak bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnungen ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der kurdischen Regierung (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 16.7.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 13.7.2018
5. Sicherheitskräfte und Milizen
Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Right Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018
5.1. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).
Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).
Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzt Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018
5.2. Volksmobilisierungseinheiten (PMF)
Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).
Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).
Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).
Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).
Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).
Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US- amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).
Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).
Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr- Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).
Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF
Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).
Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).
Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren (Posch 8.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018
- ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq's Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 31.10.2018
- Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien -Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail
- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha'bi: Die irakischen "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 31.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018
[...]
6. Folter und unmenschliche Behandlung
Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.2.2018).
Es gibt Berichte. dass die Polizei mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen. Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.4.2018).
Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten (AI 22.2.2018).
In ihrem Kampf gegen den IS haben irakische Streitkräfte Hunderte von IS-Verdächtigen gefoltert, hingerichtet oder gewaltsam verschwinden lassen. Zahlreiche gefangene IS-Verdächtige haben behauptet, die Behörden hätten sie durch Folter zu Geständnissen gezwungen. Während der Militäreinsätze zur Befreiung von Mosul, haben irakische Streitkräfte mutmaßliche IS-Kämpfer, die auf dem Schlachtfeld oder in dessen Umfeld gefangen genommen worden waren, ungestraft gefoltert und hingerichtet, manchmal sogar nachdem sie Fotos und Videos der Misshandlungen auf Social Media Seiten veröffentlicht hatten (HRW 18.1.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 16.7.2018
- AI - Amnesty International (22.2.2018): Jahresbericht 2017/18 Irak, https://wwwamnestv.de/jahresbericht/2018/irak#section-1722159, Zugriff 16.7.2018
- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iraq, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/iraq, Zugriff 16.7.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018
6.1. Autonome Region Kurdistan (KRG)
Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der KRG, der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) Parastin und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Zanyari stattfinden (USDOS 20.4.2018). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der Asayish in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 12.2.2018).
KRG-Behörden haben Buben zwischen 11 und 17 Jahren gefoltert, die wegen angeblicher Verbindungen zum IS verhaftet worden waren, und haben sie daran gehindert, sich an einen Anwalt zu wenden. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRG befanden sich in einer Jugendstrafanstalt in Erbil 215 Buben wegen Vorwürfen in Zusammenhang mit dem IS. Die Kommission hat 165 Buben befragt. Die meisten Jugendlichen behaupteten, dass die Sicherheitskräfte von PMF und KRG sie verschiedenen Formen des Missbrauchs, einschließlich Schlägen, ausgesetzt hätten (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asvl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 16.7.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018
[...]
8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Mit Stand August 2018 waren laut irakischer Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 3.550 NGOs registriert. In der Autonomen Region Kurdistan betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs erleichtert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigte, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schuf (ICNL 14.9.2018).
Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 350 registrierte NGOs. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.2.2018).
Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs der Regierung oder bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Im Südirak berichten einige NGOs von Regierungsbeamten, die ihre Arbeit behindert bzw. sie belästigt haben, insbesondere was die Finanzen betrifft. Die kurdische Autonomieregion verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 17.7.2018
- ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (14.9.2018): Civic Freedom Monitor: Iraq, http://www.icnl.org/research/monitor/iraq.html, Zugriff 30.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 16.7.2018
9. Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung
Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.2.2018; vergleiche CIA 12.7.2018). Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere (Niqash 24.3.2016; vergleiche Rudaw 15.12.2015).
Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu 7 Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Frage, inwieweit die irakischen Behörden in der Praxis im Falle von Desertion Strafverfolgung betreiben, kann nicht eindeutig beantwortet werden (MIGRI 6.2.2018).
Im Zuge des Zusammenbruchs der irakischen Streitkräfte im Jahr 2014 und des dreijährigen Kampfes gegen den IS schlossen sich viele Freiwillige den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) an, was zu einem Rekrutierungswettkampf zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten führte (CEIP 22.7.2015; vergleiche ACCORD 22.8.2016).
Auch in der Autonomen Region Kurdistan herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016; vergleiche NL 1.4.2018, Clingendael 3.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 17.7.2018
- ACCORD (22.8.2016): Anfragebeantwortung zum Irak: Einberufungsbefehle zum Militärdienst, https://www.ecoi.net/de/dokument/1330910.html, Zugriff 19.7.2018
- CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (22.7.2015): Your Country Needs You: Iraq's Faltering Military Recruitment Campaign, http://carnegie-mec.org/diwan/60810?lang=en, Zugriff 5.11.2018
- CIA (12.7.2018): World Fact Book: Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 18.7.2018
- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (3.2018): Fighting for Kurdistan? Assessing the nature and functions of the Peshmerga in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-03/fighting-for-kurdistan.pdf, Zugriff 19.7.2018
- DIS - Danish Immigration Service (12.4.2016): The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015, https://www.ecoi.net/en/file/local/1302021/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf, Zugriff 5.11.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde, Maahanmuuttovirasto (6.2.2018): Irak FFM Bagdad, Oktober-November 2017, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+tiedonhankintamatka+Bagdadiin+loka-marraskuussa+2017.pdf/868c0af1-3c50-4ab2-99e0-a720b079c589, Zugriff 19.7.2018
- MoD - Republic of Iraq, Ministry of Defense (10.2007): Military Penal Code No. 19 of 2007, https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=9C60EDC34C397A53C1257C080040F111&action=openDocument&xp_countryS elected=IQ&xp_topicSelected=GVAL-992BUA&from=state, Zugriff 19.7.2018
- Niqash (24.3.2016): We would rather immigrate: Cunning Iraqi Plan to Turn Voluntary Militias Into Army Backfires, http://www.niqash.org/en/articles/politics/5227/, Zugriff 18.7.2018
- NL - Niederländisches Außenministerium, Ministerie van Buitenlandse Zaken (1.4.2018): Algemeen Ambtsbericht Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1433698/1226_1527600083_algemeen-ambtsbericht-irak-april-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- Rudaw (15.12.2018): Iraq set out to recruit thousands of new soldiers, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/15122015, Zugriff 5.11.2018
10. Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit. Pressefreiheit. Religionsfreiheit. Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche. soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren. dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen. sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).
Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte. insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit. einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten. einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).
Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).
Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 23.7.2018
- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1425073.html, Zugriff 28.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018
10.1. Ergänzungen zur Autonomen Region Kurdistan
Es gibt zwar eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, sie beschränkt sich aber eher auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung gewährleisten (AA 12.2.2018). Der Hohe Ausschuss für die Bewertung und Reaktion auf internationale Berichte überprüfte in der Autonomen Region Kurdistan Anschuldigungen von Misshandlungen durch die Peshmerga, insbesondere gegen IDPs, und entschuldigte sie in öffentlichen Berichten und Kommentaren. Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich der Peshmerga und PMF (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 23.7.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018
11. Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung (AA 12.2.2018), solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzt, Unterstützung für die verbotene Ba'ath-Partei ausdrückt oder die gewaltsame Änderung der Grenzen des Landes befürwortet. Einzelpersonen und Medien betreiben jedoch Selbstzensur, aufgrund der glaubwürdigen Angst vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionellen Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung (USDOS 20.4.2018).
Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 12.2.2018). Die meisten der mehrere hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 20.4.2018). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 1.2018).
Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen und Schikane von Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen, wie Sicherheitsfragen, Korruption und schwache Regierungskapazitäten, zu behandeln (USDOS 20.4.2018). Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 12.2.2018).
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt. Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2017 auf Platz 158 von 180. Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2007-2016) des Committee to Protect Journalists zudem den weltweit vorletzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. Demnach wurden in den letzten zehn Jahren 32 Morde an Journalisten nicht aufgeklärt (AA 12.2.2018).
Auch Lehrer sind im Irak seit langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 1.2018). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018
11.1. Internet und soziale Medien
Es gibt offene staatliche Einschränkungen beim Zugang zum Internet und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikationen ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 20.4.2018).
Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien (FH 1.2018). Trotz Einschränkungen nutzten politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 20.4.2018).
Es gibt keine Berichte, dass das Ministerium für Kommunikation sozialen Medien Sperren auferlegt hätte (USDOS 20.4.2018). Während Großereignissen wird regelmäßig das Internet für einige Stunden gesperrt (AA 12.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq. https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018
11.2. Autonome Region Kurdistan
Politische Meinungsäußerung kann in der kurdischen Autonomieregion auch willkürliche Verhaftung oder andere Repressalien von staatlicher Seite auslösen. Journalisten und Medien, die kritisch über die KRG-Führung oder die Krise des Unabhängigkeitsreferendums berichteten, sahen sich mit Verhaftungen. Drohungen und Schließungsanordnungen durch Sicherheitskräfte und Aufsichtsbehörden sowie mit Angriffen von parteizugehörigen Schlägern konfrontiert. Es gab Berichte über Einschüchterungen im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum, insbesondere in den umstrittenen Gebieten, wie Kirkuk (FH 1.2018). Es gibt zahlreiche Fälle von Gewalt, Inhaftierung und Todesdrohungen gegen Medienschaffende. In manchen Fällen trugen die Angreifer Militär- oder Polizeiuniformen (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak. https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq. https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 25.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 25.10.2018
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15. Religionsfreiheit
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Artikel 2, Absatz eins, ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.2.2018). Es darf kein Gesetz erlassen werden das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (USDOS 29.5.2018; vergleiche RoI 15.10.2005). In Absatz 2, wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 29.5.2018).
Artikel 3, der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.2.2018; vergleiche UNHCR 15.1.2018). Artikel 43, verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.2.2018).
Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 29.5.2018).
Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der jesidischen NGO Yazda gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 29.5.2018).
Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 29.5.2018; vergleiche UNHCR 15.1.2018).
Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Artikel 26, besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.2.2018). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime angeführt werden müssen. Christliche Konvertiten berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 29.5.2018).
Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.2.2018).
Es gibt weiterhin Berichte, dass die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), einschließlich der Peshmerga und schiitischer Milizen, sunnitische Gefangene töten. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten. Internationale Menschenrechtsorganisationen erklären, dass die Regierung es immer noch verabsäumt ethnisch-konfessionelle Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, einschließlich Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen in den vom IS befreiten Gebieten ausgeübt wurden. Sunnitische Araber berichten weiterhin, dass manche Regierungsbeamte bei Festnahmen und Inhaftierungen konfessionelles Profiling vornehmen, sowie Religion als bestimmenden Faktor bei der Vergabe von Arbeitsplätzen benützen (USDOS 29.5.2018).
Minderheiten sind auch weiterhin mit Belästigungen, einschließlich sexueller Übergriffe, und Einschränkungen durch lokale Behörden in einigen Regionen konfrontiert. Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren. Einige Jesiden und christliche Führer berichten von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte, einschließlich Anforderungen für Sicherheitsgenehmigungen, die von den Asayish auferlegt werden und die die Bewegungsfreiheit von Jesiden zwischen der Provinz Dohuk und dem Sinjar-Gebiet einschränken. Christen berichten von Belästigungen und Misshandlungen an zahlreichen Checkpoints, die von Einheiten der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) betriebenen werden. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit im Gebiet der Ninewa-Ebene behindert (USDOS 29.5.2018).
Christen und Jesiden geben an, dass die Zentralregierung in Bagdad eine gezielte demografische Veränderung fördert, indem sie Schiiten mit Land und Häusern ausstattet, damit diese in traditionell christliche Gebiete ziehen (USDOS 29.5.2018).
Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt (USDOS 29.5.2018).
Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik
Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018; vergleiche EASO 7.2017, EASO 11.4.2018, Landinfo 29.8.2018). Die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 29.5.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen (Al-Monitor 1.4.2018).
Der Irak ist ein zutiefst religiöses Land, in dem Atheismus selten ist (PRI 17.1.2018; vergleiche RDC 31.1.2018). Trotzdem berichten Universitätsstudenten landesweit, dass es noch nie so viele Atheisten im Irak gegeben habe wie heute (WZ 9.10.2018).
Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität. Manchmal sagen sie, dass sie Muslime seien, insgeheim sind sie jedoch Atheisten (EASO 7.2017).
Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahe stehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018).
Einige Politiker führender konfessioneller Parteien verurteilten Säkularismus und Atheismus und reagierten damit offenbar auf einen Wandel in der öffentlichen Meinung nach dem IS-Konflikt, gegen religiösen Extremismus und den politischen Islam (FH 1.2018).
Berichten zufolge gibt es auch eine wachsende Bewegung von Agnostikern. Dazu kommen viele Menschen, die zwar bestimmte religiöse Erscheinungen oder Überzeugungen kritisieren, den generellen Rahmen der Religiosität jedoch nicht aufgeben (Al-Monitor 6.3.2014). Eine wachsende Gruppe junger Iraker spricht frei über Säkularismus, Atheismus und den Bedarf ihres Landes an nicht-konfessionellen Institutionen. Während ihr Einfluss begrenzt ist, spiegelt ihre Frustration über die konfessionelle Politik einen breiteren Trend im Land wider. Die Welle des "Facebook- Säkularismus" muss die irakische Politik jedoch erst erreichen (Defense One 5.7.2018).
Anmerkung, Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel Minderheiten entnommen werden.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- Al-Monitor (1.4.2018): Iraqi courts seeking out atheists for prosecution, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/atheists-iraq-human-rights.html, Zugriff 24.10.2018
- Al-Monitor (6.3.2014): Iraqi atheists demand recognition, guarantee of their rights, https://www.al-monitor.com/pulse/en/contents/articles/originals/2014/03/iraq-atheism-spread-rights-recognition.html, Zugriff 24.10.2018
- Defense One (5.7.2018): The Rise of Iraq's Young Secularists, https://www.defenseone.com/ideas/2018/07/rise-iraqs-young-secularists/149507/?oref=d-channeltop, Zugriff 24.10.2018
- EASO - European Asylum Support Office (11.4.2018): Iraq: COI Query Response on atheism, especially in Baghdad (treatment of atheists by non-state and state actors and militias; state protection), https://www.ecoi.net/en/file/local/1429402/5228_1523539284_66-q-iraq-atheism.pdf, Zugriff 25.7.2018
- EASO - European Asylum Support Office (7.2017): EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90 1501570991 easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 5.11.2018
- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 29.10.2018
- Landinfo (29.8.2018): Irak: Apostasi og ateisme, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442030/4792_1535643188_irak-respons-apostasi-og-ateisme-grha-29082018.pdf, Zugriff 24.10.2018
- PRI - Public Radio International (17.1.2018): ISIS turned this young Iraqi Christian into an atheist, https://www.pri.org/stories/2018-01-17/isis-turned-young-iraqi-christian-atheist, Zugriff 24.10.2018
- RDC - Refugee Documentation Centre Ireland (31.1.2018): Iraq - Treatment of atheists including by ISIS, https://www.ecoi.net/en/file/local/1423773/1788_1518009737_3101.pdf, Zugriff 24.10.2018
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 5.11.2018
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Situation of Christians in Baghdad, http://www.refworld.org/docid/5a66f80e4.html, Zugriff 29.8.2018
- USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.goV/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.html, Zugriff 26.7.2018
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916-Schluesselland-Irak.html, Zugriff 24.10.2018
16. Minderheiten
In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.2.2018).
Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.2.2018).
Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Autonomen Region Kurdistan, oft benachteiligt (AA 12.2.2018).
Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent) (AA 12.2.2018).
Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch¬konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.2.2018).
Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.2.2018).
In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.2.2018; vergleiche KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017).
Es gab auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus empfinden Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit in den sog. umstrittenen Gebieten aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.2.2018).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 12.2.2018).
[...]
Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend eine Minderheit sein, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017; vergleiche Prochazka 11.8.2014).
Durch den Vorstoß des IS und seiner aktiven Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes kam es zu drastischen Veränderungen in der konfessionellen und ethnischen Verteilung der Bevölkerung im Irak (FH 2018; vergleiche Ferris und Taylor 8.9.2014). Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräfte gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdischen Bewohner auszogen und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber. Dasselbe gilt für Gebiete, die von den kurdischen Peshmerga befreit wurden (FH 2018; vergleiche GNI 20.11.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016 - Stand Irak: 2014): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf, Zugriff 17.8.2018
- Ferris und Taylor (8.9.2014): The Past and Future of Iraq's Minorities, https://www.brookings.edu/opinions/the-past-and-future-of-iraqs-minorities/, Zugriff 17.8.2018
- FH - Freedom House (2018): Freedom in the World, 2018: Iraq Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 17.8.2018
- GNI - Gulf News Iraq (20.11.2016): Kirkuk, Mosul and the ever-changing demographics of Iraq, https://gulfnews.com/news/mena/iraq/kirkuk-mosul-and-the-ever-changing-demographics-of-iraq-1.1930570, Zugriff 17.8.2018
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (8.2017): Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten in Kurdistan-Irak, http://www.kas.de/wf/doc/kas_50065-1522-1-30.pdf?170918113417, Zugriff 17.8.2018
- Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 12.9.2018
- MRG - Minority Rights Group International (5.2018): Iraq - Minorities and indigenous peoples, http://minorityrights.org/country/iraq/, Zugriff 17.8.2018
- Prochazka (11.8.2014): Religiöse Minderheiten in arabischen Staaten - Historie und aktuelle Situation, https://blog.univie.ac.at/religioese-minderheiten-in-arabischen-staaten-historie-und-aktuelle-situation/, Zugriff 17.8.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 17.8.2018
[...]
16.4. Christen
Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen (AA 12.2.2018).
Ca. 67 Prozent der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20 Prozent Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodox, syrisch-katholisch, armenisch- katholisch, armenisch-apostolisch, anglikanisch und andere Protestanten. In der Autonomen Region Kurdistan gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 29.5.2018).
Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelgeschäfte, in denen ggf.
auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Nach dem Vormarsch des IS auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Autonome Region Kurdistan und vereinzelt auch nach Bagdad. Viele warten noch darauf, dass die mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul für eine Rückkehr sicher genug und zumindest teilweise wieder rehabilitiert sind (AA 12.2.2018).
Christen in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten stehen Berichten zufolge unter gesellschaftlichem Druck, sich an strenge Interpretationen islamischer Normen zu halten, die öffentliches Verhalten regeln. So stehen Christen beispielsweise unter Druck, den Betrieb von Nachtclubs, Spirituosenläden und Restaurants, in denen Alkohol angeboten wird, aufzugeben. Im Falle von Frauen, besteht der Druck konservative islamische Kleiderordnungen einzuhalten. Berichten zufolge kommt es durch bewaffnete Gruppen gegenüber Personen, die ihrer Ansicht nach gegen solche Regeln verstoßen, zuweilen zu Drohungen, Belästigungen und körperlichen Misshandlungen (UNHCR 15.1.2018).
Im Laufe der letzten Jahre gab es Berichte über Tötungen und Entführungen von Angehörigen religiöser Minderheiten, einschließlich Christen, durch bewaffnete Gruppen aus konfessionellen oder kriminellen Gründen bzw. einer Kombination daraus. Häuser von Christen, die seit 2003 aus Bagdad vertrieben wurden, sowie Kirchen und Klöster wurden Berichten zufolge illegal von mächtigen Einzelpersonen, Milizen und kriminellen Netzwerken beschlagnahmt. In einigen Fällen wurde behauptet, dass die christlichen Eigentümer oder Mieter direkt bedroht wurden, was dazu führte, dass sie ihre Häuser evakuierten (UNHCR 15.1.2018).
In der Autonomen Region Kurdistan wie in angrenzenden Gebieten, die von der kurdischen Regionalregierung kontrolliert werden, haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Sie leben derzeit unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen als IDPs - zumeist in der kurdischen Provinz Dohuk. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Viele Christen haben bereits seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein in der Autonomen Region Kurdistan Zuflucht gefunden. Es gibt christliche Städte oder auch große christliche Viertel in Großstädten wie beispielsweise Ankawa in Erbil, in denen Christen in Frieden leben können (AA 12.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Situation of Christians in Baghdad, http://www.refworld.org/docid/5a66f80e4.html, Zugriff 29.8.2018
- USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm, Zugriff 21.8.2018
[...]
17. Relevante Bevölkerungsgruppen
17.1. Frauen
In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Region Kurdistan: 30 Prozent) verankert (AA 12.2.2018). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung. weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017).
Laut Artikel 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41, bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re- Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.2.2018).
Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 16.1.2018). Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018; vergleiche UNIraq 13.3.2013, MIGRI 22.5.2018). Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.2.2018). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 16.1.2018).
Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14 Prozent, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 Prozent (AA 12.2.2018; vergleiche ILO 1.2016). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (MIGRI 22.5.2018).
Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 26,4 Prozent (UNESCO 18.3.2014). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 20.8.2018). In ländlichen Gebieten ist die Rate noch höher (UNESCO 18.3.2014).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018
- CIA (20.8.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 31.8.2018
- FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 10.9.2018
- ILO - International Labour Organisation (1.2016): Iraq - Country Fact Sheet, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/-ro-beirut/documents/publication/wcms 444514.pdf, Zugriff 31.8.2018
- K4D - Knowledge, evidence and learning for development (24.11.2017): Women's participation in peacebuilding and reconciliation in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/239-Womens-Participation-in-Peacebuilding-Iraq.pdf, Zugriff 31.8.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report Women Iraq Migri CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018
- UNESCO - United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (18.3.2014): Literacy for Women - Country Profile: Iraq, http://litbase.uil.unesco.org/?menu=8&programme=160, Zugriff 31.8.2018
- UNIraq - United Nations Iraq (13.3.2013): Women in Iraq - Factsheet, https://reliefweb.int/report/iraq/women-iraq-factsheet-march-2013, Zugriff 31.8.2018
17.1.1. Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigung
Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 20.4.2018), vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 18.1.2018). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 18.1.2018; vergleiche MIGRI 22.5.2018).
Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau "innerhalb gewisser Grenzen" zu bestrafen. Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als "rechtmäßig" interpretiert werden können (MIGRI 22.5.2018; vergleiche MRG 11.2015). Nach Artikel 128 Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der "Ehre" oder "vom Opfer provoziert" begangen wurden, ungestraft bleiben bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (MIGRI 22.5.2018).
Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 18.1.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018). Dies trifft auch zu wenn das Opfer minderjährig ist (MIGRI 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (MIGRI 22.5.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018).
Laut Studien handelt es sich bei denjenigen, die häusliche Gewalt gegen Frauen ausüben, am häufigsten um den Ehemann bzw. den Vater der Frau, gefolgt von Schwiegereltern, Brüdern und anderen Familienmitgliedern (UNFPA 2016; vergleiche CSO 6.2012, MIGRI 22.5.2018). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als "normal" und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (UNFPA 2016; vergleiche MRG 11.2015, MIGRI 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vergleiche MIGRI 22.5.2018). Der Großteil befragter Frauen hatte kein Vertrauen in die Polizei und hielt den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (MIGRI 22.5.2018).
Im Zuge des IS-Vormarschs auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als "Trophäen" an IS-Kämpfer gegeben oder nach Syrien "verkauft" sowie später von ihren Familien "zurückgekauft" wurden (AA 12.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018
- CSO - Central Statistical Organization, Ministry of Planning (6.2012): Iraq Women Integrated Social and Health Survey (I-WISH), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/I-WISH%20Report%20English.pdf, Zugriff 5.9.2018
- HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls, https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-year-old-girls, Zugriff 29.8.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4OCTOBER-2015WEB.pdf, Zugriff 4.9.2018
- UNFPA - United Nations Population Fund (2016): The GBV Assessment in Conflict Affected Governorates in Iraq, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/The%20GBV%20Assesment.pdf, Zugriff 4.9.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018
17.1.2. Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser
Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen, um Frauen und Kinder vor häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen bzw. Opfern solcher Gewalt sichere Zufluchtsorte zur Verfügung zu stellen (UNAMI 14.12.2017; vergleiche MIGRI 22.5.2018). Die derzeitige Version eines Gesetzesentwurfs zum Familienschutz, der vom Parlament verzögert wird, räumt der Familienaussöhnung eine höhere Priorität als dem Opferschutz ein (UNAMI 14.12.2017).
Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen. Opfer häuslicher Gewalt in Basra berichteten beispielsweise, dass sie Angst hatten sich an Familienschutzeinheiten zu wenden. Sie befürchteten, dass die Polizei ihre Familien unverzüglich informieren würde. Die meisten Familienschutzeinheiten betreiben selbst keine Unterkünfte. "Safe Houses", die von der Regierung und NGOs betrieben werden, sind oft Ziel von Gewalt (USDOS 20.4.2018). Offizielle Schutzeinrichtungen für Frauen, die vor ihren sie misshandelnden Ehemännern fliehen, gibt es keine. In Bagdad wurden Unterkünfte, wo es sie gab, aktiv angegriffen (Lattimer EASO 26.4.2017).
Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie drei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NGOs betrieben (AA 12.2.2018). Die Angaben zu Frauenhäusern variieren jedoch in den Quellen. USDOS berichtet von einem privat betriebenen und vier staatlichen Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Letztere werden vom Arbeits- und Sozialministerium betrieben (USDOS 20.4.2018). Mark Lattimer spricht von drei Frauenhäusern in der Autonomen Region Kurdistan. Um dort aufgenommen zu werden, benötigen Frauen einen Gerichtsbeschluss (Lattimer EASO 26.4.2017). Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, die Serviceleistungen sind schlecht (USDOS 20.4.2018; vergleiche UNAMI 8.7.2018).
Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert (AA 12.2.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018). Einige Frauen werden mangels Notunterkünften obdachlos (USDOS 20.4.2018). Frauen, die in Frauenhäusern oder Notunterkünften untergebracht sind, verfügen nur über wenige Alternativen, abgesehen von einer Eheschließung oder der Rückkehr zu ihren Familien, was oft zu weiterer Bestrafung oder Diskriminierung durch die Familie oder die Gemeinschaft führt (USDOS 20.4.2018; vergleiche Lattimer EASO 26.4.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018
- Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 5.11.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): OverView of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report Women Iraq Migri CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (14.12.2017): Report on Human Rights in Iraq: January to June 2017, http://www.refworld.org/docid/5a746d804.html, Zugriff 13.9.2018
- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq (8.7.2018): Report on Human Rights in Iraq: July to December 2018, http://www.refworld.org/docid/5b6afc544.html, Zugriff 14.9.2018
- USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report 2017 - Iraq, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2017/nea/280984.htm, Zugriff 11.9.2018
17.1.3. Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya)
Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen. Rund 20 Prozent der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren (AA 12.2.2018). Ein Gesetzesentwurf der u.a. die Möglichkeit der Verheiratung von Mädchen im Alter von ab acht Jahren beinhaltet hätte, wurde im Dezember 2017 vom Parlament abgelehnt (HRW 17.12.2017).
Das gesetzliche Mindestalter für eine Eheschließung beträgt mit elterlicher Erlaubnis 15 Jahre, ohne Erlaubnis 18 Jahre. Berichten zufolge unternimmt die Regierung jedoch wenig Anstrengungen, um dieses Gesetz durchzusetzen. Traditionelle Zwangsverheiratungen von Mädchen, Kinderehen und sogenannte "Ehen auf Zeit" (zawaj al-mut'a) finden im ganzen Land statt. Laut UNICEF waren 2016 rund 975.000 Frauen und Mädchen vor dem 15. Lebensjahr verheiratet, doppelt so viele wie 1990 (USDOS 20.4.2018).
Nach Angaben des Hohen Rates für Frauenangelegenheiten der kurdischen Regionalregierung tragen Flüchtlinge und IDPs in der Autonomen Region Kurdistan zu einer zunehmenden Zahl an Kinderehen und Polygamie bei (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen und Mädchen sind durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass minderjährige Frauen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen (AA 12.2.2018).
Fasliya bezeichnet eine traditionelle Stammespraxis zur Schlichtung von Konflikten, bei der Frauen bzw. Mädchen eines Stammes mit Männern eines verfeindeten Stammes als Entschädigung für Mord bzw. für die Verletzung von Mitgliedern des anderen Stammes verheiratet werden (UNHCR 15.1.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018). Obwohl die "Blutgeld-Ehe" seit den 1950er Jahren gesetzlich verboten ist, hat sie in den letzten Jahrzehnten vor allem im Südirak einen Wiederaufschwung erlebt (UNHCR 15.1.2018; vergleiche Al-Monitor 18.6.2015). Die Praxis existiert auch in anderen Teilen des Landes (z.B. im Zentralirak) (Al-Monitor 18.6.2015) und wird auf kurdisch als badal khueen oder jin be xwen bezeichnet (FO 29.12.2015). Frauen, die im Zuge solcher Arrangements "als Kompensation" bzw. "als Ersatz" für den Toten bzw. für das vergossene Blut verheiratet werden, können sich nicht scheiden lassen und sind häufig Missbrauch ausgesetzt (Raseef22 17.8.2016; vergleiche FO 29.12.2015, Niqash 29.7.2010).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018
- Al-Monitor (18.6.2015): Blood money marriage makes comeback in Iraq, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2015/06/iraq-tribes-women-blood-money-marriage-dispute-settlement.html, Zugriff 5.11.2018
- FO - Fair Observer (29.12.2015): Woman-for-Blood Marriages Persist in Iraq, https://www.fairobserver.com/region/middle east north africa/woman-for-blood-marriages-persist-in-iraq-21101/, Zugriff 5.9.2018
- HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls, https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-vear-old-girls,
Zugriff 29.8.2018
- Niqash (29.7.2010): Abuse of women continues, http://www.niqash.org/en/articles/society/2728/. Zugriff 5.9.2018
- Raseef22 (17.8.2016): In Iraq, Women are Offered as Tributes to Settle Tribal Vendettas, https://raseef22.com/en/life/2016/08/17/fasliya-marriage-iraq-girls-peace/, Zugriff 5.9.2018
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Tribal Conflict Resolution in Iraq, http://www.refworld.org/docid/5a66f84f4.html, Zugriff 5.9.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018
17.1.4. Ehrenverbrechen an Frauen
Sogenannte "Ehrenverbrechen" sind Gewalttaten, die von Familienmitgliedern gegen Verwandte ausgeübt werden, weil diese "Schande" über die Familie oder den Stamm gebracht haben. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. "Entehrung". Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können (MRG 11.2015). Ehrenmorde bleiben ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 20.4.2018).
Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche "Verletzungen der Ehre" werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrübertretung zu sühnen (MRG 11.2015).
Ehrenverbrechen finden in allen Gegenden des Irak statt und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen. Sie werden gleichermaßen von Arabern und Kurden ausgeübt, von Sunniten und Schiiten, wie auch von einigen ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist schwer, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen und Ehrenmorden im Irak zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt werden bzw. oft als Selbstmord oder Unfall angeführt werden (MRG 11.2015).
In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht den Grund der "Ehre" als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis (USDOS 20.4.2018). In der Regel werden Ehrenverbrechen nicht angezeigt und auch nicht strafrechtlich verfolgt. Von der Polizei und den zuständigen Behörden werden die Fälle in der Regel als "Familiensache" gesehen, die dem Ermessen männlicher Familienmitglieder obliegt. Nur sehr wenige Fälle kommen vor Gericht und, wenn dies der Fall ist, werden die Täter oft freigesprochen oder zu sehr leichten Strafen verurteilt, selbst wenn eindeutige, belastende Beweisen vorliegen (MRG 11.2017).
Quellen:
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4 OCTOBER-2015 WEB.pdf, Zugriff 4.9.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018
[...]
17.1.5. Weibliche Familienoberhäupter, Witwen, Geschiedene, alleinstehende Frauen
Jahre der Instabilität und des Krieges haben im Irak zu einer großen Zahl an Haushalten geführt, deren Haushaltsvorstände Frauen sind ("female-headed-households"). Laut einer Schätzung betrug die Zahl solcher Haushalte im Jahr 2011 zwischen einer und zwei Millionen (IOM 12.10.2011). Präzise Angaben existieren nicht. Die Zahlen variieren, je nach Art der Erhebung (MIGRI 22.5.2018; vergleiche z.B. ICRC 8.2011). Als Witwen, Geschiedene oder von ihren Ehemännern Getrennte, versorgen diese Frauen ihre Familien alleine. Manchmal ist der Ehemann krank oder pflegebedürftig. Viele von Frauen geführte Haushalte stellen einen besonders vulnerablen Teil der irakischen Bevölkerung dar, vor allem in ländlichen Gebieten bzw. als IDPs (IOM 12.10.2011).
Zehn Prozent der irakischen Frauen sind Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien. Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.2.2018). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 20.4.2018).
Scheidung bleibt im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vergleiche MIGRI 22.5.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 12.2.2018).
Laut einer Studie führt das mit einer Scheidung assoziierte gesellschaftliche Stigma dazu, dass viele Frauen in Beziehungen bleiben, in denen sie Missbrauch ausgesetzt sind, um Ablehnung bzw. die Androhung von noch größerer Gewalt durch Familienmitglieder und Mitglieder der Community zu vermeiden. In manchen Fällen ist das Stigma so groß, dass Frauen von ihren Familien gezwungen werden, zu ihren sie misshandelnden Ehemännern zurückzukehren. Geschiedene Frauen, die zu ihren Familien zurückkehren, sind aufgrund ihres Status als geschiedene Frauen oft weiteren Formen des Missbrauchs und der Stigmatisierung ausgesetzt (MRG 11.2015).
Opfern von Zwangsscheidungen wird die Rückkehr ins Elternhaus durch einen Ehrenkodex verwehrt. Bei Zwangsscheidungen handelt es sich um eine Praxis, die vor allem im Süden des Landes vorkommt. Dabei droht der Mann seiner Frau mit der Scheidung, falls ihre Familie ihm oder seiner Familie nicht mehr Geld zukommen lässt. Wenn dies nicht geschieht, muss die Frau ihren Mann und ihre Familie verlassen und bleibt als Verstoßene zurück. Die Rückkehr ins Elternhaus wird aus Ehrengründen verwehrt (USDOS 20.4.2018).
Ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten können Frauen keine Ausweisdokumente erhalten (MIGRI 22.5.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018). Die Gesetzgebung hindert Frauen daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (USDOS 20.4.2018; vergleiche FH 16.1.2018). Frauen können ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten auch keinen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (USDOS 20.4.2018). Zusätzlich wird generell erwartet, dass eine Frau immer mit einem Mann reist, der als ihr Vormund agiert (Lattimer EASO 26.4.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018
- FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 10.9.2018
- ICRC - The International Committee of the Red Cross in Iraq (8.2011): Households Headed by Women in Iraq: A Case for Action, https://www.icrc.org/eng/assets/files/2011/iraq-women-survey-2011-08-eng.pdf, Zugriff 10.9.2018
- IOM - International Organization for Migration (12.10.2011): Iraq - Special Report: Female Headed Households, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Full%20Report 278.pdf, Zugriff 7.9.2018
- Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 5.11.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): OverView of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018
- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4OCTOBER-2015 WEB.pdf, Zugriff 4.9.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018
17.1.6. Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil
Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 16.1.2018). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.2.2018). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 29.5.2018). Es gab mehrere Fälle. in denen Frauen in Basra schriftliche Mitteilungen erhielten. wonach sie in falscher Kleidung oder in kompromittierenden Situationen gesehen worden sind (Lattimer EASO 26.4.2017).
Zahlreiche Frauen sind aufgrund ihrer politischen Aktivitäten oder weil sie "moralische Verbrechen" begangen haben zum Ziel von Tötungen geworden (Lattimer EASO 26.4.2017). Auch wurden Cafes angegriffen, weil dort Frauen arbeiteten (ICSSI 19.10.2016; vergleiche ACCORD 30.4.2018). 2018 wurden mehrere weibliche Instagram-Stars sowie eine plastische Chirurgin und eine Kosmetikerin gezielt ermordet. Das Motiv hinter den Morden soll stets die progressive und weltoffene Lebensart sowie die Eigenständigkeit der Entscheidungen der Frauen gewesen sein (Standard 23.10.2018).
Im Allgemeinen wird im Irak, auch in der kurdischen Autonomieregion, von Frauen erwartet, Männern gegenüber unterwürfig zu sein (Lattimer EASO 26.4.2017). Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine "frühe Ehe" für sie vor (GIZ 11.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak. https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018
- ACCORD - Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (30.4.2018): Anfragebeantwortung zum Irak: Lage westlich orientierter Frauen. https://www.ecoi.net/en/document/1434094.html, Zugriff 12.9.2018
- FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 10.9.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2014): Irak - Gesellschaft und Kultur. https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/#c35887, Zugriff 20.11.2018
- ICSSI - Iraq Civil Society Solidarity Initiative (19.10.2016): House Of The Devil? Religious Extremists Bomb Cafes In Basra Because They Employ Women, http://www.iraqicivilsociety.org/archives/5981, Zugriff 12.9.2018
- Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting. 25-26 April 2017, Brussels. https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf. Zugriff 5.11.2018
- Standard (23.10.2018): Welle von Morden an weiblichen Instagram-Stars schockiert. https://derstandard.at/2000089213394-1895/Mordwelle-an-weiblichen-Instagram-Stars-schockiert, Zugriff 6.11.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018
17.2. Kinder [Kinderehen siehe 17.1.3]
Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.2.2018). Laut UNICEF machten Kinder im August 2017 fast die Hälfte der damals drei Millionen durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 20.4.2018).
Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur VN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.2.2018). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern. sowie Pornografie jeglicher Art. einschließlich Kinderpornografie (USDOS 20.4.2018).
Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im IS-Gebiet geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten (USDOS 20.4.2018).
Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark einschränkt (USDOS 20.4.2018). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt (AA 12.2.2018).
Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vergleiche UNICEF 31.1.2017). Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus (UNICEF 31.1.2017). 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.2.2018). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).
Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem. Im Jahr 2011 waren 46 Prozent der Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren familiärer Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.4.2018). Die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch nimmt zu. Soziale Medien helfen verstärkt bei der Aufdeckung von Missbrauch und Folter (Al Monitor 2.5.2017). Berichten zufolge verkaufen Menschenhandelsnetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 28.6.2018). Auch Kinderprostitution ist ein Problem. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der Autonomen Region Kurdistan elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer. Strafen für die kommerzielle Ausbeutung von Kindern reichen von Bußgeldern und Freiheitsstrafen bis hin zur Todesstrafe. Es lagen jedoch keine Informationen darüber vor, mit welcher Wirksamkeit der Staat diese Strafen durchsetzt (USDOS 20.4.2018).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit für Personen unter 18 Jahren auf sieben Stunden pro Tag und verbietet Beschäftigungen, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren schaden. Trotzdem gibt es im ganzen Land Fälle von Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen. Es gibt dokumentierte Fälle von durch den Konflikt intern vertriebenen Kindern, die gezwungen wurden Kinderarbeit zu leisten. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos (USDOS 20.4.2018).
Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern
Es gibt keine Berichte, wonach von staatlicher Seite Kinder zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden (USDOS 20.4.2018). Kinder sind jedoch weiterhin in hohem Maße von gewaltsamer Rekrutierung und Verwendung durch mehrere im Irak operierende bewaffnete Gruppen gefährdet, einschließlich (aber nicht nur) durch den IS, die PMF, Stammesgruppierungen, die Kurdische Arbeiterpartei PKK, und vom Iran unterstützte Milizen (USDOS 28.6.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018, UNGASC 16.5.2018). Es gibt Berichte, wonach eine Vielzahl an Kindern vom IS als Kindersoldaten eingesetzt wurde und von Umerziehungskampagnen traumatisiert ist. Zahlreiche Jugendliche sind nach Angaben der Vereinten Nationen wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt worden. PMF-Einheiten rekrutieren weiterhin Kinder, bilden diese militärisch aus und setzen sie ein. Im Südirak und in den schiitischen Gegenden von Bagdad erinnern Plakate an gefallene minderjährige Kämpfer, die vornehmlich für die Brigaden der Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und der Kata'ib Hizbollah (KH) gekämpft hatten. Die PMF bot nach eigenen Angaben im Jahr 2017 militärische Ausbildungskurse für Kinder und Jugendliche im Alter von 15-25 Jahren an (USDOS 28.6.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 5.9.2018
- Al Monitor (2.5.2017): How can Iraq address child abuse, torture?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/05/child-abuse-iraq-domestic-violence.html, Zugriff 20.9.2018
- UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (16.5.2018): Children and armed conflict, https://www.ecoi.net/en/file/local/1436649/1930_1530169188_n1815109.pdf, Zugriff 18.7.2018
- UN News - United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace - UNICEF, https://news.un.org/en/storv/2018/01/1000811, Zugriff 20.9.2018
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National Poverty Reduction Strategy 2017-2020, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq- analvsis-child-povertv-trends-and-policv-recommendations-national, Zugriff 20.9.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 5.9.2018
- USDOS - United States Department of State (28.6.2018): Trafficking in Persons Report 2018 - Country Narratives - Iraq, https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/countries/2018/282675.html, Zugriff 14.9.2018
17.3. Sexuelle Minderheiten
Das Strafgesetzbuch des Irak verbietet gleichgeschlechtliche Intimität nicht (HRW 18.1.2018). Es gibt keine Gesetze, die gleichgeschlechtliches Verhalten (same-sex conduct) kriminalisieren (HRW 16.4.2018). Nach Artikel 394 ist jedoch das Eingehen einer außerehelichen sexuellen Beziehung strafbar (HRW 18.1.2018). Die Behörden stützen sich auf Anklagen wegen Sittlichkeitsvergehen oder Prostitution, um gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivität strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 20.4.2018).
Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung (AA 12.2.2018) bis hin zu Ehrenmorden (AA 12.2.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018). Konfessionelle Milizen haben in den letzten Jahren wiederholt Mitglieder sexueller Minderheiten bedroht und verfolgt und werden mit Ermordungen von homosexuellen Männern in Verbindung gebracht (AA 12.2.2018). Lokale Quellen berichteten, dass Milizen "Tötungslisten" verfasst und als Angehörige sexueller Minderheiten wahrgenommene Männer hingerichtet haben (USDOS 20.4.2018). Unter den schiitischen Milizen der PMF, wurden in den letzten Jahren vor allem den Asa'ib Ahl al-Haqq zahlreiche Gewalttaten homophober und transphober Natur zugeschrieben. Auch im Jahr 2017 kam es Berichten zufolge zu Tötungen schwuler Männer durch die Asa'ib Ahl al-Haqq (HRW 16.4.2018). Der IS veröffentlichte Videos über Hinrichtungen von Personen, die wegen homosexueller Aktivitäten angeklagt waren, einschließlich durch Steinigungen und das Werfen aus/von Gebäuden. Einige bewaffnete Gruppen starteten eine Kampagne gegen homosexuelle Personen in Bagdad (USDOS 20.4.2018).
Eine polizeiliche Untersuchung ist in den wenigsten Fällen bekannt geworden; die Polizei wird mitunter eher als Bedrohung denn als Schutzmacht empfunden (AA 12.2.2018). Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten hat es die Regierung verabsäumt, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw. mögliche Opfer zu schützen (USDOS 20.4.2018). Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt (AA 12.2.2018).
Diskriminierung von Angehörigen sexueller Minderheiten sind in Bezug auf Beschäftigung, Beruf und Wohnen im Irak weit verbreitet. Es kommt auch zu Gewalt vonseiten der Familien und nichtstaatlicher Akteure (USDOS 20.4.2018).
Auch in der kurdischen Autonomieregion kommt es zu Gewalt gegen Angehörige sexueller Minderheiten. Mögliche Gefahr droht diesen insbesondere vonseiten bewaffneter Gruppen, der Polizei, dem Stamm oder der Familie (BFA 13.3.2018; vergleiche Al-Monitor 16.6.2017, Daily Beast 7.6.2017).
Im Jahr 2012 wurde von der Regierung ein interministerielles Komitee zu Fragen betreffend sexueller Minderheiten eingerichtet. Das Komitee hat allerdings nie öffentliche Berichte oder konkrete politische Ergebnisse vorgelegt und ist seit Mitte 2014, als sich die Regierung mehr und mehr dem Kampf gegen den IS zuwenden musste, nicht mehr in Erscheinung getreten (AA 12.2.2018; vergleiche HRW 16.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 5.9.2018
- Al-Monitor (16.6.2017): LGBT community struggles for recognition, rights in Iraqi Kurdistan, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/06/lgbt-iraq-kurdistan-human-right-gender-quality.html#ixzz55wA0g8in, Zugriff 6.11.2018
- BFA - Staatendokumentation (13.3.2018): Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Sexuelle Minderheiten in Irakisch Kurdistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427557/5618_1521806655_irak-mr-min-sexuelle-minderheiten-2018-03-13-ke.doc, Zugriff 27.9.2018
- Daily Beast (7.6.2017): Murdered for 'Looking Gay': How LGBT Iraqis Are Fighting for Their Lives, https://www.thedailybeast.com/murdered-for-looking-gay-how-lgbt-iraqis-are-fighting-for-their-lives, Zugriff 6.11.2018
- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iraq, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/iraq, Zugriff 27.9.2018
- HRW - Human Rights Watch (16.4.2018): Audacity in Adversity: LGBT Activism in the Middle East and North Africa, http://www.refworld.org/docid/5b34f0827.html, Zugriff 27.9.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 21.9.2018
- Vice News (20.11.2014): Caught Between the Islamic State and Shiite Militias, Gays Are Dying in Iraq, https://news.vice.com/article/caught-between-the-islamic-state-and-shiite-militias-gays-are-dying-in-iraq, Zugriff 6.11.2018
[...]
18. Bewegungsfreiheit
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).
Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.4.2018).
Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehenlassen (USDOS 20.4.2018).
Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).
Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.4.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vergleiche GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).
In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vergleiche AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).
Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.2.2018).
Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird im Allgemeinen durch Recht und Brauchtum nicht respektiert. So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen angeblich verboten, ihr Zuhause ohne männlichen Verwandten zu verlassen (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- AAA - Asharq Al-Awsat (29.1.2018): Iraq Reopens 600 Main Streets, Lifts 281 Security Checkpoints in Baghdad, https://aawsat.com/english/home/article/1158316/iraq-reopens-600-main-streets-lifts-281-security-checkpoints-baghdad, Zugriff 5.10.2018
- AAA - Asharq Al-Awsat (8.8.2018): Removal of Roadblocks in Iraq's Capital Oils Traffic and Trade, https://aawsat.com/english/home/article/1356981/removal-roadblocks-iraqs-capital-oils-traffic-and-trade, Zugriff 5.10.2018
- albawaba (12.3.2018): ISIS Kills 10 Civilians at Fake Checkpoint in Eastern Iraq, https://www.albawaba.com/news/isis-kills-10-civilians-fake-checkpoint-eastern-iraq-1101032, Zugriff 5.10.2018
- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1442330.html, Zugriff 29.10.2018
- GardaWorld (29.3.2018): Iraq: Increasing IS attacks on fake checkpoints in north, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/104516/iraq-increasing-is-attacks-on-fake-checkpoints-in-north, Zugriff 5.10.2018
- Iraqi News (29.1.2018): Iraq plans to remove 300 checkpoints, erect security fence in Baghdad, https://www.iraqinews.com/iraq-war/iraq-uncovers-plan-remove-300-checkpoints-set-security-fence-around-baghdad/, Zugriff 5.10.2018
- Iraqi News (28.6.2018): 17 Islamic State militants killed as they set fake checkpoint to kidnap civilians, near Mosul, https://www.iraqinews.com/iraq-war/17-islamic-state-militants-killed-as-they-set-fake-checkpoints-to-kidnap-civilians-near-mosul/, Zugriff 5.10.2018
- Kurdistan24 (29.3.2018): IS ambush at another fake checkpoint leaves five Iraqi forces dead, http://www.kurdistan24.net/en/news/995d414a-88be-42ec-be9b-b3cf84e2bac5, Zugriff 5.10.2018
- NYT - New York Times (2.4.2018): In Iraq, römisch eins Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html, Zugriff 5.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018
19. IDPs und Flüchtlinge
Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den IS im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Ende September 2018 betrug die Zahl der weiterhin intern Vertriebenen noch 1,89 Millionen (IOM 30.9.2018). Dabei handelt es sich um die niedrigste Zahl an IDPs seit Ende 2014 (IOM 4.9.2018). Die Zahl der Vertriebenen sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (UNHCR 31.8.2018; vergleiche UNHCR 31.7.2018, IOM 30.9.2018); die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen (IOM 30.9.2018). Bis zu einer Million Menschen bleiben weiterhin aus dem konfessionellen Konflikt von 2006-08 vertrieben (USDOS 20.4.2018).
Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, versuchen, IDPs Schutz und andere Hilfe zu gewähren. Eine hohe Anzahl von IDPs außerhalb der Lager belastet die Ressourcen der Gastgebergemeinden (USDOS 20.4.2018).
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen an IDPs im Irak von März 2014 bis September 2018. Das Diagramm mit den blauen Balken links unten veranschaulicht die Verteilung der IDPs auf die jeweiligen Provinzen.
http://iraqdtm.iom.int/IDPsML.asp [Grafik gelöscht, Anm.]
Wie den folgenden Grafiken zu entnehmen ist, sind die Provinzen mit den höchsten Zahlen an IDPs Ninewa, gefolgt von Dohuk, Erbil, Salah al-Din, Sulaymaniya, Kirkuk, Bagdad, Anbar und Diyala (IOM 30.9.2018; vergleiche UNOCHA 31.8.2018, IOM 4.9.2018).
http://iraqdtm.iom.int/DTMDisplacementDashboards.asp [Grafik gelöscht, Anm.]
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iraq_idps_and_returnees_by_governorate_dtm-iom_round_102_aug31_2018.pd [Grafik gelöscht, Anm.]
Anfang 2018 lag die Rückkehrrate noch bei ca. 200.000 Menschen pro Monat. Diese Zahl hat sich seither drastisch verringert. So kehrten im März 2018 beispielsweise 112.446 Menschen in ihre Heimat zurück, von April bis Mai 2018 durchschnittlich 79.000 pro Monat, von Juni bis Juli 45.871. Im August 2018 lag die Zahl der Rückkehrer bei 33.528 Menschen (Joel Wing 19.9.2018).
Verschiedene Hilfsorganisationen berichten über eine Änderung der Einstellung von IDPs. Ursprünglich erklärte eine Mehrheit, sie würden zurückkehren, sobald der Krieg gegen den IS vorbei sei. Jetzt sind sie besorgt aufgrund der Sicherheit, dem Mangel an Dienstleistungen, zerstörten Häusern, wenig Arbeitsplätzen und wenig Geld. Es gibt auch eine beträchtliche Anzahl an IDPs, denen die Rückkehr verweigert wird, weil ihnen vorgeworfen wird, mit dem IS in Verbindung zu stehen. Darüber hinaus gibt es Menschen, die in ihre ursprünglichen Gebiete zurückgereist sind, die Situation dort jedoch als mangelhaft wahrgenommen haben und wieder in die Binnenvertreibung zurückgekehrt sind (Joel Wing 19.9.2018). Der Großteil der verbliebenen IDPs hat keine unmittelbaren Pläne zur Rückkehr (IOM 26.6.2018; vergleiche REACH 29.8.2018, Joel Wing 11.10.2018). Schwierige Rückkehrbedingungen finden sich unter anderem in Sinjar Zentrum, Telafar Zentrum, West Mosul, al-Ba'aj, im Wüsten-Streifen von al-Tal, Hatra (Hadr) und Muhallabiyya (Provinz Ninewa); in Baiji, Tuz Khurmatu/Sulayman Beg und Balad/Duloeiya (Provinz Salah al-Din); in Taza Khurmatu, Hawija Zentrum und al-'Abassi (Provinz Kirkuk); in al-Adheim und Sa'adiya/Jalawla (Provinz Diyala); und im Falludscha-Ramadi Streifen sowie in Ana Zentrum (Provinz Anbar) (IOM 9.2018).
In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende von Familien haben mehr als eine Vertreibung erlebt, und viele waren gezwungen, auf der Suche nach Schutz über die Grenzen der jeweiligen Provinz hinaus zu ziehen. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, haben eine destabilisierende Wirkung auf die ohnehin schon komplexe soziale und politische Dynamik des Landes. Dies belastet die Kapazitäten der lokalen Behörden und offenbart die Grenzen der rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen (USDOS 20.4.2018).
Sowohl Vertriebene als auch Rückkehrer sind vulnerabel und auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt wiederzuerlangen und ihre Familien ernähren zu können (IOM 4.9.2018).
Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der kurdischen Autonomieregion, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten (USDOS 20.4.2018). Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren, und nicht alle IDPs können in jeder Provinz auf Lebensmittel aus dem Public Distribution System (PDS) zugreifen. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrer eingetragenen Provinz einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 20.4.2018).
Personen, die sich nicht als IDPs an ihrem Wohnort registriert haben, verfügen manchmal nur über einen begrenzten Zugang zu staatlichen Leistungen. Die lokalen Behörden entscheiden oft darüber, ob IDPs Zugang zu örtlichen Leistungen erhalten. Humanitäre Organisationen berichten, dass einige IDPs mangels erforderlicher Unterlagen Schwierigkeiten bei der Registrierung haben. Viele Bürger, die zuvor in den vom IS kontrollierten Gebieten gelebt haben, besitzen keine Personenstandsdokumente, was die Schwierigkeit, einen Ausweis und andere persönliche Dokumente zu erhalten, noch vergrößerte. Durch die Bereitstellung von Rechtshilfe unterstützen die Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei Behörden, um den Zugang zu staatlichen Leistungen zu verbessern (USDOS 20.4.2018).
[...]
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (26.6.2018): Returns Continue While Obstacles to Return Remain in Iraq: IOM, https://www.iom.int/news/returns-continue-while-obstacles-return-remain-iraq-iom, Zugriff 11.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (9.2018): Return Index: Findings Round 1 | Iraq, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Return%20Index%20Briefing%20Round%201%20FindingsSeptember%202018.pdf, Zugriff 11.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (4.9.2018): Iraq Displacement Figures Drop Below Two Million for First Time Since 2014; Nearly Four Million Have Returned Home, https://www.iom.int/news/iraq-displacement-figures-drop-below-two-million-first-time-2014-nearly-fpur-million-have, Zugriff 5.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (30.9.2018): Iraq Mission: Displacement Tracking Matrix (DTM): IDPs, http://iraqdtm.iom.int/IDPsML.aspx, Zugriff 5.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (31.8.2018): More Evidence Iraq Reaching Tipping Point With Displaced, Few Want To Return Home, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/08/more-evidence-iraq-reaching-tipping.html, Zugriff 11.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (19.9.2018): Number Of Displaced In Iraq Returning Home Declined Again, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/number-of-displaced-in-iraq-returning.html, Zugriff 11.10.2018
- REACH Initiative (29.8.2018): Majority of IDPs living outside of displacement camps have no intention of returning home - Findings from Dahuk, Erbil, Ninewa, Salah al-Din and Sulaymaniyah, http://www.reach-initiative.org/iraq-majoritv-of-idps-living-out-of-displacement-camps-have-no-intention-of-returning-home-findings-from-dahuk-erbil-ninewa-salah-al-din-and-sulaymaniyah, Zugriff 11.10.2018
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.7.2018): Iraq Protection Update - July 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180820%20Iraq%20Protection%20Update%20-%20Julv%202018.pdf, Zugriff 11.10.2018
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (31.8.2018): Iraq Protection Update August 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20180919%20Iraq%20Protection%20Update%20-%20August%202018.pdf, Zugriff 11.10.2018
- UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Internally displaced people by governorate, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iraqidpsandreturneesbygovernoratedtm-iomround102aug312018.pdf, Zugriff 5.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018
20. Grundversorgung und Wirtschaft
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).
Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).
In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).
Wirtschaftslage
Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staat und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).
Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018). Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).
So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).
Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).
Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen.
Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).
Stromversorgung
Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).
Wasserversorgung
Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).
Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).
Nahrungsversorgung
Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).
Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vergleiche USAID 1.8.2017).
Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- AW - The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq's ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018, Zugriff 15.10.2018
- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_waterchallengesIraq.pdf, Zugriff 15.10.2018
- Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 15.10.2018
- FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 15.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 20.11.2018
- Iraqi News (28.8.2018): Iraq's Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/, Zugriff 15.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfsirak-dlde.pdf:isessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018
- K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 15.10.2018
- UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20Iraq%20Humanitarian%20Bulletin%20-%20August%202018.pdf, Zugriff 15.10.2018
- USAID - Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture https://www.usaid.gov/iraq/agriculture, Zugriff 16.10.2018
- USAID - Unites States Agency for International Development (23.2.2018): Food Assistance Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/Iraq_-_Country_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018
- WB - The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018, https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018, Zugriff 16.10.2018
- WB - The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview, http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview, Zugriff 15.10.2018
- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2018
21. Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).
Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).
Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).
In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767, Zugriff 20.11.2018
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dlde.pdf:jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1cid294?blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 16.10.2018
22. Rückkehr
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).
Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vergleiche REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).
Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD Anmerkung, ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD Anmerkung, ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD Anmerkung, ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018
- IEC - Iraq's Economic Center (24.1.2018): Rising Real Estate Prices in Iraq encourages buying abroad, http://en.economiciraq.com/2018/01/24/rising-real-estate-prices-in-iraq-encourages-buying-abroad/, Zugriff 17.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20IraqReturneesSnapshot-Report%20-%20V5.pdf, Zugriff 16.10.2018
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dlde.pdf:jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018
- MCH - Ministry of Construction and Housing (10.2010): Iraq National Housing Policy. https://www.humanitarianlibrary.org/sites/default/files/2013/05/634247_INHP_English_Version.pdf, Zugriff 17.10.2018
- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles. Drivers and Return. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe_in_2016_june_2017%20%281%29.pdf, Zugriff 16.10.2018
- Reuters (12.2.2018): Iraq says reconstruction after war on Islamic State to cost $88 billion. https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-reconstruction/iraq-savs-reconstruction-after-war-on-islamic-state-to-cost-88-billion-idUSKBN1FW0JB, Zugriff 17.10.2018
- UNHSP - United Nations Human Settlements Program (6.11.2017): The Council of Ministers Endorses the Updated Housing Policy of Iraq by the Ministry of Construction. Housing Municipalities and Public Works through the support of UN-Habitat. https://reliefweb.int/report/iraq/council-ministers-endorses-updated-housing-policy-iraq-ministry-construction-housing, Zugriff 17.10.2018
23. Dokumente und Staatsbürgerschaft
Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D- Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen. v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, diese Pässe auszustellen (AA 12.2.2018).
Der irakische Personalausweis (Civil Status ID bzw. CSID oder National Identity Card) heißt auf Arabisch Bitaqa shakhsiya bzw. Bitaqa hawwiya (UKHO 9.2018; vergleiche IRBC 25.11.2013). Die CSID- Karte ist gesetzlich vorgeschrieben und wird jedem irakischen Staatsbürger, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Irak, gegen Vorlage einer Geburtsurkunde ausgestellt. Sie gilt als das wichtigste persönliche Dokument und wird für alle Kontakte mit Behörden, dem Gesundheits- und Sozialwesen, Schulen, sowie für den Kauf und Verkauf von Wohnungen und Autos verwendet. Die CSID-Karte wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie z.B. Reisepässe, benötigt (UKHO 9.2018).
Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.2.2018).
Laut Verfassung kann jede Person, die über zumindest einen irakischen Elternteil verfügt, irakischer Staatsbürger werden (USDOS 20.4.2018). Das irakische Staatsbürgerschaftsrecht ist jedoch widersprüchlich bezüglich der Möglichkeit der Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter. Einerseits bestehen Widersprüche zwischen der Verfassung und Teilen des Staatsbürgerschaftsgesetzes; außerdem ist das Staatsbürgerschaftsgesetz in sich selbst widersprüchlich. Wie auch die irakische Verfassung, besagt Artikel 3 des Nationalitätsgesetzes, dass sowohl Väter als auch Mütter die irakische Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weitergeben können. Laut Artikel 4 des Nationalitätsgesetzes ist dies jedoch im Falle der Mutter, wenn das Kind im Ausland geboren ist, nur unter bestimmten Umständen (Vater unbekannt oder staatenlos) möglich. In der Praxis ist den Quellen zufolge die Weitergabe der irakischen Staatsbürgerschaft durch die Mutter an ihre im Ausland geboren Kinder, deren Väter nicht Iraker und auch nicht staatenlos oder unbekannt sind, nicht gewährleistet (BFA 8.8.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018
- BFA - Staatendokumentation (8.8.2017): Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - Irak/Syrien: Staatsbürgerschaft Kind, Vater Syrer, Mutter Irakerin, https://www.ecoi.net/en/file/local/1407773/5209_1502703961_syri-irak-ra-staatsbuergerschaft-kind-vater-svrer-mutter-irakerin-2017-08-08-ke.doc, Zugriff 20.9.2018
- IRBC - Immigration and Refugee Board of Canada (25.11.2013): Iraq: Civil Status Identification Card, including purpose and validity; requirements and procedures for the issuance, renewal and replacement of cards, including the location of issue; frequency of fraudulent identity cards, http://www.refworld.org/docid/52cd0a934.html, Zugriff 17.10.2018
- UKHO - United Kingdom Home Office (9.2018): Country Policy and Information Note - Iraq: Internal relocation, civil documentation and returns, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/738200/Iraq_-_IFA_docs_and_return_-_CPIN-v7September_2018_.pdf, Zugriff 17.10.2018
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018"
Aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Homosexuellen in Bagdad; Sanktionen; innerstaatliche Fluchtalternative [a-10869] vom 06.02.2019 geht hervor:
"Rechtliche Situation und staatlicher Schutz
Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in einem im April 2018 erschienenen Bericht zu LGBT-Aktivismus (LGBT: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) im Nahen Osten und in Nordafrika, dass der Irak einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen Erwachsenen nicht verbiete. Paragraph 401, des Strafgesetzes sehe vor, dass jede Person, die sich in der Öffentlichkeit "unzüchtig" verhalte, zu einer Gefängnisstrafe von bis zu sechs Monaten verurteilt werden könne - eine vage formulierte Bestimmung, die unter Umständen dazu benutzt werden könne, um gegen sexuelle Minderheiten vorzugehen. Es seien jedoch keine derartigen Fälle dokumentiert worden. Weiters gäbe es Bestimmungen, die bei bestimmten unerwünschten Themen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einschränken würden, was die Arbeit von LGBT-Menschenrechtsverteidigern beeinträchtigen könne. §210 verbiete jegliche Verbreitung von Informationen und Anschauungen, die den öffentlichen Frieden' stören würden, und §403 und §404 würden jegliche obszöne Ansprache oder Veröffentlichung unter Strafe stellen. In einem dokumentierten Fall sei ein Arzt in der Autonomen Region Kurdistan zu sechs Monaten Haft verurteilt worden, weil er einen Artikel über gesundheitliche Aspekte von gleichgeschlechtlichem Verkehr zwischen Männern veröffentlicht habe. Er sei später begnadigt worden:
"Iraq does not criminalize consensual adult homosexual intercourse. Paragraph 401 of the Code holds that any person who commits an immodest act' in public can be put in prison for up to six months, a vague provision that could be used to target sexual and gender minorities, although such cases have not been documented. In addition, other provisions restrict the freedoms of expression, association, and assembly relating to unpopular issues, which can impact human rights defenders working on LGBT [Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, and other] rights. Paragraph 210 prohibits the dissemination of any information or idea that disturbs the public peace,' while paragraphs 403 and 404 penalize any obscene or indecent publication or speech.' In one case, Kurdish Regional Government prosecutors used paragraph 403 to sentence a doctor to six months imprisonment for publishing an article on health issues impacting men who have sex with men. He was later pardoned." (HRW, 16. April 2018, Seite 66)
Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA), ein weltweiter Dachverband von LGBTI-Interessensgruppen, erwähnt in ihrem im Mai 2017 veröffentlichten weltweiten Bericht zu LGBT-Themen, dass das irakische Strafgesetz aus dem Jahr 1969 nach der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2003 wiedereingesetzt worden sei. Dieses Gesetz verbiete gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht:
"After the American invasion in 2003 the Penal Code of 1969 was reinstated in Iraq. This code does not prohibit same-sex relations." (ILGA, Mai 2017, Sitzung 128)
Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Menschenrechtsbericht vom April 2018 (Berichtszeitraum: 2017), dass es der Regierung trotz wiederholter Drohungen und Gewalt gegen LGBTI Personen nicht gelungen sei, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen, zu verfolgen oder die Opfer vor Angriffen zu schützen. Laut dem Bericht würden die Behörden auf Anklagen wegen öffentlicher Indiskretion oder Prostitution zurückgreifen, um gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten rechtlich zu verfolgen. Die Behörden würden dieselben Anklagepunkte heranziehen, um heterosexuelle Personen zu verhaften, die sexuelle Beziehungen mit anderen Personen als ihrem Ehepartner eingingen:
"Despite repeated threats and violence targeting LGBTI [lesbian, gay, bisexual, transgender, and intersex] individuals, the government failed to identify, arrest, or prosecute attackers or to protect targeted individuals. Authorities relied on public indecency or prostitution charges to prosecute same-sex sexual activity. Authorities used the same charges to arrest heterosexual persons involved in sexual relations with anyone other than their spouse." (USDOS, 20. April 2018, Section 6)
IraQueer, eine im Irak aktive, auf LGBT+ Themen (LGBT+: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Andere) spezialisierte Menschenrechtsorganisation, veröffentlicht einen mit Jahr 2018 datierten Bericht. Dieser basiere laut IraQueer auf einem einjährigen Rechercheprojekt, das von Mitgliedern der Organisation durchgeführt worden sei. Dabei seien 257 LGBT+ Personen (davon 61,5 Prozent Homosexuelle), elf Beamte oder Regierungsmitarbeiter, 16 religiöse Führer und 201 Mitglieder der irakischen Gesellschaft befragt worden. Laut dem Bericht habe es im Irak trotz der laut IraQueer großen Zahl an Morden an LGBT+ Personen keine Maßnahmen vonseiten der Regierung gegeben um die Täter dieser Verbrechen vor Gericht zu bringen. Tatsächlich sei die Regierung laut dem Bericht an diesen Verbrechen beteiligt. Niemand sei für das Foltern und Töten von LGBT+ Personen oder von Personen, die als solche wahrgenommen würden, verantwortlich gemacht worden:
"[D]espite the large reported numbers of killings, there has been no action from the government to bring those who committed these crimes to justice. In fact, the government is complicit in these crimes, and that has only served to further isolate queer individuals by reducing their ability to advocate for their rights, push back against oppression, and safely live a life of their choosing." (IraQueer, 2018, Sitzung 7)
"But despite the public and horrific nature of these crimes, the Iraqi government and its legal system have failed to address them. No one has been held accountable for torturing and killing members of the LGBT+ [Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, and others] community or those who are perceived to be members." (IraQueer, 2018, Sitzung 9)
Möglichkeit, im Irak (insbesondere in Bagdad) Homosexualität auszuleben; mögliche Konsequenzen bei Verdacht auf Homosexualität
Laut dem Bericht von IraQueer sei die LGBT+ Gemeinschaft eine der am meisten im Verborgenen lebenden Gemeinschaften im Irak. Die Mitglieder dieser Gruppe seien aus Angst, ihre Grundrechte auf Gesundheit und Bildung oder sogar ihr Recht auf Leben zu verlieren, gezwungen, im Geheimen zu leben. Die Gemeinschaft sehe sich der Gewalt von bewaffneten Gruppen, der Regierung und sogar von Familien, Freunden und Nachbarn gegenüber. Seit 2006 gebe es jedes Jahr mindestens eine Tötungskampagne, der die LGBT+ Gemeinschaft im Irak ausgesetzt sei. Human Rights Watch schätze die im Jahr 2012 begangenen Morde auf mehr als 200. IraQueer und seine Partner würden die Morde für das Jahr 2017 auf mehr als 220 schätzen:
"The Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, and other (LGBT+) community is one of the most invisible communities in Iraq. Members of this group are forced to live in the shadows for fear of losing basic rights to health and education, and even their right to life. The community faces violence from armed groups, the government, and even families, friends, and neighbors. Every year since 2006, there has been at least one killing campaign targeting the LGBT+ community in Iraq. Human Rights Watch estimates the killings in 2012 at more than 200.
IraQueer and its partners estimate the killings in 2017 at more 220." (IraQueer, 2018, Sitzung 7)
In ihrem Bericht an den UNO-Menschenrechtsrat vom Juni 2018 erwähnt die UNOSonderberichterstatterin für außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen das Thema sexuelle Minderheiten. Sie hält fest, dass sie Informationen über Anstiftungen zu Feindseligkeiten via traditionelle und soziale Medien erhalten habe, sowie Informationen über Drohungen, körperliche Übergriffe und Morde, die sich gegen Männer und Knaben auf Grundlage ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität gerichtet hätten. Auch Informationen über derartige Angriffe gegen Aktivisten und Organisationen, die die Menschenrechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und intersexuellen Personen zu schützen versuchen würden, habe sie erhalten. Ein nennenswertes Beispiel sei Karar Nushi, Schauspieler und Model, der am 2. Juli 2017 in Bagdad ermordet worden sei. Die Regierung habe mitgeteilt, dass als Reaktion auf diese Morde ein Ausschuss eingesetzt worden sei, der sich diesem Thema widmen würde. Der Sonderberichterstatterin sei jedoch unklar, welche Ergebnisse der Ausschuss gegebenenfalls erbracht habe. Es bestehe darüber hinaus die Befürchtung, dass mit dem militärischen Sieg über den IS ("Islamischer Staat") die Aufmerksamkeit wieder auf diejenigen gelenkt werden könnte, die als "unmoralisch" wahrgenommen würden, und dass die Angriffe auf die lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Gemeinschaft zunehmen könnten:
"The Special Rapporteur also received information on incitement to hatred through traditional and social media, and attacks, including threats, physical assaults and killings, of men and boys on the basis of their actual or perceived sexual orientation or gender identity, as well as of activists and organizations supporting the human rights of lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex persons. A notable example is the killing of Karar Nushi, actor and model, in Baghdad on 2 July 2017. The Government indicated that, in response to these killings, a committee had been established dedicated to this issue. römisch eins t is, however, unclear to the Special Rapporteur which results, if any, it has yielded. There is further fear that, with the military victory over ISIL [Islamic State of Iraq and the Levant] attention may again turn towards those perceived as engaging in 'immoral' activities and attacks on the lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex community may increase." (HRC, 20. Juni 2018, Sitzung 11)
Der Bericht von IraQueer hält fest, dass der größte Teil der öffentlichen Gewalt gegen LGBT+ Personen in Bagdad und den umliegenden Städten stattfinden würde. Dies liege vor allem daran, dass bewaffnete Gruppen wie Asai'b Ahl al-Haqq in Bagdad und den umliegenden Städten aktiv seien. Laut dem Bericht könne es jedoch auch daran liegen, dass Informationen und Berichte über die stattfindende Gewalt in Bagdad und den umliegenden Städten besser zugänglich seien:
"Most of the public violence faced by LGBT+ individuals occurs in Baghdad and surrounding cities. This is mainly because armed groups like Asae'b Ahl-Haq operate in Baghdad and the surrounding cities. römisch eins t could also be because information and reports on the violence in these areas is more accessible in those areas." (IraQueer, 2018, Sitzung 15)
Aus einer im IraQueer-Bericht angeführten Grafik geht hervor, dass 96 Prozent der im Zeitraum 2015-2018 für den Bericht befragten LGBT+ Personen angegeben hätten, verbaler oder physischer Gewalt ausgesetzt gewesen zu seien. (IraQueer, 2018, Sitzung 10)
In dem Bericht steht weiters, dass verbales Mobbing und Misshandlungen gegenüber LGBT+ Personen weit verbreitet seien. Das Tragen von Röhrenjeans, langen Haaren oder "weibliches" Aussehen seien Gründe, warum Personen verbal angegriffen worden seien. In vielen Fällen seien LGBT+ Personen körperlicher Gewalt, Vergewaltigung und im Extremfall dem Tod ausgesetzt. Mazin, ein schwuler Mann, der in Bagdad lebe, habe im Januar 2018 gegenüber IraQueer angegeben, dass er vor sechs Monaten aus dem Haus seiner Familie geflohen sei. Sein Vater, von Beruf Polizist, habe herausgefunden, dass er schwul sei. Seitdem habe er gedroht, ihn zu töten. Mazin wohne nun im Haus eines Freundes und verlasse nur selten das Haus. Von Gruppen wie der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq organisierte Mordkampagnen seien seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßige Ereignisse. Die letzte Kampagne habe Berichten zufolge im Januar 2017 stattgefunden, dabei seien mehr als hundert Namen auf eine Liste gesetzt worden. Die aufgelisteten Personen seien davor gewarnt worden, ihre Verhaltensweisen zu ändern oder getötet zu werden. Organisationen wie IraQueer und Helem7 seien in direktem Kontakt mit mehreren Personen, die auf der Liste gestanden hätten und zu Beginn des Jahres 2017 Hilfe benötigt hätten. Einige dieser Leute hätten auch weitere Queer gekannt, die auf der Liste gestanden hätten und auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur LGBT+ Gemeinschaft getötet worden seien.
Trotz der vom Bericht als "relativ positives Statement" bezeichneten Erklärung des prominenten irakischen religiösen Führers und Politikers Muqtada Al Sadr, in der dieser das Ermorden von Menschen generell, einschließlich der LGBT+ Personen, verurteilt habe, gebe es im Irak weiterhin Gewalt gegen Homosexuelle.
Die irakische Regierung sei auch selbst direkt an Menschenrechtsverletzungen gegenüber LGBT+ Personen beteiligt gewesen. Mehrere Personen - insbesondere Transgender - hätten von Fällen verbalen, körperlichen und sexuellen Missbrauchs an verschiedenen Checkpoints in Bagdad sowie in anderen Städten berichtet:
"The vast majority of the LGBT+ community have reported that they have faced violence in some form. Verbal bullying and abuse extremely common against LGBT+ people. Wearing skinny jeans, having long hair, and having a more 'feminine' gender expression are all reasons for why those individuals have faced verbal abuse. In many cases, LGBT+ people have faced physical violence, rape, and in extreme cases, death. Mazin, a gay man living in Baghdad, told IraQueer about the threats he's been facing from his father. In an interview conducted in January 2018 he said, 'I escaped my family's home six months ago. My dad is a police officer and he found out that römisch eins am gay. He's been threatening to kill me since then. I've been staying at my friend's house since, and rarely go out.' The killing campaigns organized by groups like Asa'ib Ahl al-Haqq have been a regular occurrence for more than a decade. The latest campaign was reported to have taken place in January of 2017 when more than a hundred names were put on a list warning those listed to either change or be killed. Organizations like IraQueer and Helem7 have been directly in touch with several individuals who were on the list and needed help in early 2017. Several of those people also knew other queer individuals who were on the list and killed for being LGBT+." (IraQueer, 2018, Sitzung 9-10)
"Despite the relatively positive statement by the prominent Iraqi religious leader and politician, Muqtada Al Sadr who condemned the killing of any individual including LGBT+ people, violence against queer people persists in Iraq." (IraQueer, 2018, Sitzung 12)
"The Iraqi government itself has also been directly involved in violating the rights of LGBT+ individuals. Despite its obligations under international human rights law to protect and realize human rights for all its citizens, and its ratification of several human rights treaties including the International Covenant Against Torture, several individuals - especially trans persons - have reported instance of verbal physical, and sexual abuse at various checkpoints across Baghdad and other cities." (IraQueer, 2018, Sitzung 13)
Der IraQueer-Bericht enthält ein Diagramm, das die im Zeitraum 2015-2018 für den Bericht dokumentierten Verstöße gegenüber LGBT+ Personen anhand der Tätergruppen aufschlüsselt:
[Bild entfernt]
(IraQueer, 2018, Sitzung 14)
Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in einem Bericht vom April 2018, dass einige Aktivisten der Meinung seien, dass durch den Fokus auf das extrem brutale Vorgehen des IS gegen LGBT-Personen Übergriffe, die von der Regierung und regierungsnahen Gruppen verübt worden seien, in der Berichterstattung unterrepräsentiert seien. In Bezug auf von Seiten Verbündeter der Regierung ausgeübter Gewalt habe der Irak im regionalen Vergleich die am stärksten belastete Geschichte. Im Jahr 2009 habe eine Gruppe von Kämpfern - mutmaßlich assoziiert mit Muqtada al-Sadr's Mahdi-Armee, die homosexuelle und weiblich aussehende Männer als "das dritte Geschlecht" diffamiert habe - innerhalb einiger Monate mehrere hundert Männer getötet, die meisten davon in Bagdad. Eine weitere Welle von Morden, die laut einigen Medienberichten einer anderen bewaffneten regierungsnahen Gruppe, der Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen), zugeschrieben werde, habe im Jahr 2012 stattgefunden, nachdem der irakische Innenminister die Subkultur Emo' als satanistisch verurteilt habe. Im Jahr 2014 habe die Gruppe Asa'ib Ahl al-Haq mehrere Männer getötet, die homosexuell gewesen oder als homosexuell wahrgenommen worden seien, und hätten Fahndungsplakate für weitere solche Personen aufgehängt. Im Jahr 2017 seien erneut Morde an schwulen Männern gemeldet worden, die der Gruppe Asa'ib Ahl al-Haq zugeschrieben worden seien:
"At the same time, some activists have raised concern that a narrow focus on ISIS' horrific anti-LGBT abuses may distract from abuses by governments and their proxies who are also responsible for homophobic and transphobic violence. [...]
Iraq has the most troublesome history in the region in terms of violence by progovernment armed groups. In 2009, fighters suspected of affiliation with Muqtada al-Sadr's Mahdi army, an armed group which publicly vilified gay and effeminate men as 'the third sex,' kidnapped, tortured and murdered as many as several hundred men in a matter of months, most of them in Baghdad. The Mahdi army was allied with the government at the time. Another wave of killings, attributed in some media reports to another government-allied armed group, Asa'ib Ahl al-Haq (Leagues of the Righteous), took place in 2012 after Iraq's interior minister condemned as 'Satanist' the 'emo' subculture-a subculture related to a form of punk music and marked by a particular form of dress, including tight jeans and long or spiky hair for men. The government failed to act against the killings, which targeted nonconformist young people, including but not limited to people perceived to be LGBT. In 2014, Asa'ib Ahl al-Haq killed several men who were, or who were perceived to be, gay and put up 'wanted' posters for others. Killings of gay men attributed to Asa'ib Ahl al-Haq were reported once again in 2017." (HRW, 16. April 2018, Seite 16ff)
Kurdistan 24, ein in der Autonomen Region Kurdistan ansässiger Nachrichtensender, berichtet in einem Artikel vom Oktober 2018 über ein in sozialen Medien geteiltes Video, in dem ein männlicher Teenager zu sehen sei, der als Homosexueller verhöhnt werde während er - nachdem auf ihn eingestochen worden sei - auf dem Boden liegend verbluten würde. Dem Artikel zufolge seien ihm offenbar die Eingeweide herausgenommen worden. Von dem Opfer werde gesagt, dass es sich dabei um den 15-jährigen Hamoudi al-Mutairi handeln würde, der zuvor Bilder in sozialen Medien gepostet habe, mit denen er stereotype Geschlechterrollen in Frage gestellt habe. Gemäß einigen Medienberichten sei Mutairi zum Zeitpunkt der Tat auf seinem Weg nach Hause, in Bagdads Viertel Jarmuk, gewesen, als der Täter ihn verfolgt und mehrmals auf ihn eingestochen habe.
Zur allgemeinen Situation von LGBT Personen hält der Artikel fest, dass Iraker, die als lesbisch, schwul, bisexuell oder transsexuell wahrgenommen würden, insbesondere Männer mit weiblichem Aussehen, in Bagdad und allgemein im Irak häufig ins Visier genommen würden. Die Zahl der Angriffe sei in periodischen Abständen immer wieder sprunghaft angestiegen, insbesondere im Jahr 2009 und dann wieder im Jahr 2012. Die Angriffe seien Milizen, staatlichen Sicherheitskräften oder Personen, die den Opfern bekannt gewesen seien, wie z.B. Familienangehörigen, angelastet worden. Menschenrechtsorganisationen hätten mehrere Fälle dokumentiert, in denen Männer, die im Verdacht nicht-traditioneller sexuellen Vorlieben oder Verhaltensweisen gestanden seien, von Angehörigen der Polizei oder des Militärs verhaftet, gefoltert und manchmal vergewaltigt worden zu sein:
"A shocking video being shared on Iraqi social media appears to depict a teenage boy being taunted with homosexual slurs while on the ground bleeding to death after being stabbed and seemingly disemboweled. The victim is said to be a 15year-old, known as Hamoudi al-Mutairi, who had earlier posted pictures challenging gender stereotypes. According to some media reports, Mutairi had been on his way home in Baghdad's Yarmouk neighborhood when his assailant, in pursuit, caught the teenager and began repeatedly stabbing him. [...]
Iraqis perceived to be lesbian, gay, bisexual, or transgender, especially effeminate-appearing males, have often been targetted in Baghdad and Iraq in general. Periodically, numbers of attacks have dramatically spiked, notably in 2009 and then again in 2012. Attacks have been blamed on militias, government security forces, or individuals known to the victims such as family members. Human rights organizations have documented multiple cases of males suspected of non-traditional sexual preferences or behavior being arrested, tortured, and sometimes raped by members of the police or military." (Kurdistan 24, 10. Oktober 2018)
Ehrenverbrechen
Das USDOS berichtet, dass LGBTI-Personen abgesehen von der gezielten Gewalt ihnen gegenüber im Berichtsjahr 2017 auch weiterhin der Gefahr ausgesetzt gewesen seien, Opfer von Ehrenverbrechen zu werden. So hätte beispielsweise im März 2017 ein nahes Familienmitglied einen Mann getötet, von dem angenommen worden sei, dass er einer von zwei Männern sei, die in einem im Internet kursierenden Schwulen-Sex-Video zu sehen waren:
"In addition to targeted violence, LGBTI persons remained at risk for honor crimes. For example, on March 1, a close family member killed a man purported to be one of two men shown in a gay-sex video circulated online." (USDOS, 20. April 2018, Section 6)
Die kanadische Einwanderungsbehörde (Immigration and Refugee Board, IRB), lässt in einer Anfragebeantwortung vom Februar 2016 zum Thema Ehrengewalt in Kurdistan unterschiedliche Meinungen bezüglich der Häufigkeit von Ehrenmorden an Männern und zu Schutzunterkünften zu Wort kommen. Gemäß Angaben eines Repräsentanten der NGO Wadi sei in den meisten Fällen, in denen Männer von Ehrenmorden betroffen seien, Verdacht auf Homosexualität das Motiv. Laut einer weiteren in dem Bericht zitierten Quelle, Dr. Aisha K. Gill, sei das Coming Out als homosexuelle, bisexuelle oder transsexuelle Person einer der Gründe, warum Männer Schande auf sich ziehen' würden. Die meisten Opfer von Ehrenmorden seien jedoch laut Gill Frauen. Unter Verweis auf verschiedene Quellen wird darauf hingewiesen, dass über stattfindende Ehrengewalt häufig keine Berichterstattung erfolge:
"Information on male victims of honour-based violence was scarce among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response. Citing the country representative for Diakonia, an international development organization (Diakonia 27 Sept. 2013) in the city of Dahuk, the Danish fact-finding mission report states that 'men are equally at risk of becoming victims of honour crimes as women' (Denmark 2010, 3). In contrast, in the opinion of the WADI representative, boys and men are 'not very likely' to become victims of honour-based violence in Iraqi Kurdistan, and when they are affected, 'most' of the time it is due to 'supposed homosexuality' (WADI 25 Jan. 2016). A March 2014 article by Dr. Gill similarly states that men are most likely to cause dishonour as a result of their behaviour towards women, including through (i) their choice of romantic and/or sexual partners, (ii) refusing an arranged marriage, (iii) coming out as gay, bisexual or transgender, and/or (iv) refusing to commit an act of HBV [honour-based violence]. Nevertheless, the fact remains that the majority of victims are female and the majority of perpetrators male. (Gill 14 Mar. 2014). The 2015 Ceasefire Centre for Civilian Rights and MRG joint report states that men are 'occasionally' the victims of honour-based violence and they are 'sometimes' killed to restore the offended family's honour (Nov. 2015, 26). [...]
According to sources, there is no assistance for male victims of honour-based violence (Denmark 2010, 9; WADI 25 Jan. 2016). According to the Danish factfinding mission report, if a man who had sexual relations outside of marriage feared honour-based violence and approached the police, 'he would most likely be offered protection. However, the only possible way for him to be protected would be to be kept in police custody,' which is not viable in the long-term as staying in prison is 'not a durable solution' (Denmark 2010, 10). [...]
The WADI representative stated that the 'official number of honour killing cases is 50-60 per year' for the Kurdistan region of Iraq, but that this is likely an underestimation, as cases 'are not registered in a professional fashion,' with only those cases involving a visit to the police station or hospital counted (WADI 25 Jan. 2016). Other sources similarly state that acts of honour-based violence often go unreported (The Guardian 17 Mar. 2013; PassBlue 6 May 2014; Gill 14 Mar. 2014)". (IRB, 15. Februar 2016, Abschnitt 1.2)
Vergleich der Situation von LGBT Personen in der Autonomen Region Kurdistan mit dem Restirak
Der IraQueer-Bericht enthält ein Diagramm, das die im Zeitraum 2015-2018 für den Bericht dokumentierten Verstöße gegenüber LGBT+ Personen anhand der drei Hauptregionen des Irak aufschlüsselt:
[Bild entfernt] (IraQueer, 2018, Sitzung 15)
Die in London ansässige, unabhängig finanzierte Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Think Tanks veröffentlicht, behandelt in einem im April 2018 veröffentlichten Artikel das Thema LGBT-Personen im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan. Die Autonome Region werde im Vergleich zum Restirak allgemein als säkularer und gesellschaftlich liberaler angesehen, auch wenn dies nicht für alle Bereiche gelte - als Beispiel wird an dieser Stelle genannt, dass die Mehrheit der Frauen in der Autonomen Region Kurdistan weiblicher Genitalverstümmelung ausgesetzt sei. Dennoch, so der Artikel, sei der Einfluss konservativer religiöser Kräfte und bewaffneter Gruppen in der Kurdenregion verglichen mit dem Restirak schwächer ausgeprägt. Der in diesem Artikel zitierte stellvertretende Direktor der Menschenrechtsorganisation Rasan, Ayaz Shalal, meine zu diesem Thema, dass in Kurdistan sogar die Situation der LGBT Personen besser sei als im Restirak, aus dem viele Menschen in den Norden des Landes flüchten würden, wo es für LGBT Personen sicherer sei. Er ergänze allerdings, dass es auch dort keinesfalls sicher sei, aber dass LGBT-Personen dort immerhin nicht auf offener Straße "der Kopf eingeschlagen werde":
"The KRG [Kurdistan Regional Government], as a whole, has generally been perceived as more secular and socially liberal than the Arab-majority regions of Iraq - although not on all issues, with the majority of Kurdish women facing FGM [Female Genital Mutilation], for example. Overall, though, the influence of socially conservative religious organisations and armed groups is less pronounced. 'Even if you compare the situation of LGBTs themselves, it's better and safer in Kurdistan. So many people just run away from the rest of the cities and they come to the north because it's safer,' said Shalal. That doesn't mean it's safe. At all. But it's safer. Compared to the rest of Iraq, they don't get their heads smashed in the street.' [...]
The most well documented and virulent recent cases of violence against LGBT people in Iraq were the executions carried out in areas controlled by the Islamic State group." (MEE, 13. April 2018)
In einem Artikel der britischen Tageszeitung Independent kommt mehrere Male IraQueer-Gründer Amir Ashour zu Wort. Ashour, der gemäß dem Artikel aus Sulaimaniyya (Autonome Region Kurdistan) käme, sei aufgrund seiner sexuellen Orientierung verprügelt und verhaftet worden. Im Jahr 2015 hätte er flüchten müssen, er lebe nunmehr in Schweden. Er habe angegeben, dass selbst in einer [für den Irak] vergleichsweise liberalen Region wie der Autonomen Region Kurdistan Verfolgungsjagden auf Menschen stattfinden würden, die im Verdacht stünden, homosexuell zu sein oder sich bei "sündhaften" Aktivitäten beteiligen würden:
"Ashour, originally from Sulaimaniyah in Iraqi Kurdistan (http://www.independen t.co.uk/voices/kurdish-independence-is-coming-but-the-kurds-themselves-have-t o-secure-it-a7040736.html), has been beaten up and arrested because of his sexuality. In 2015, he was forced to flee his home and seek asylum in Sweden, fearing for his life. [...] Ashour's family, and group of friends and activists at university, were all very accepting, he says. But even in a relatively liberal area such as Iraqi Kurdistan, witch-hunts are still mounted for people suspected of being gay, or partaking in 'sinful' behaviour." (Independent, 16. August 2016)
Vice News, ein zum US-Medienkonzern Vice Media gehörender Sender, der sich laut eigenen Angaben auf Reportagen zu Themen spezialisiert hat, über die die Massenmedien nur wenig berichten, schreibt in einem Artikel vom November 2014 zur Situation von LGBT Personen in der Autonomen Region Kurdistan: Sogar in Kurdistan, einer Region, die verglichen mit dem Restirak als liberaler und "verwestlichter" angesehen werde, seien LGBT Personen in Gefahr, durch die lokalen Sicherheitskräfte (Asayish) entführt zu werden. Ein NGO-Mitarbeiter in Kurdistan, der Binnenvertriebene in der Autonomen Region Kurdistan unterstütze, sage dazu, dass, wenn er über einen Mann berichten würde, dass dieser homosexuell sei und dass er unanständige Handlungen verüben würde, [die Sicherheitskräfte] ihn einfach verhaften und ihn anschließend verschwinden lassen würden. Die Asayish seien laut dem NGOMitarbeiter unglaublich gut darin, Menschen verschwinden zu lassen:
Even in Kurdistan, a region considered relatively more liberal and Westernized than the rest of Iraq, LGBT people are at risk of vanishing at the hands of local security forces known as the Asayish. 'If römisch eins said that a man is homosexual and he's committing lewd acts, they would simply detain him and then have him disappear,' the worker said. 'And the Asayish is incredibly good at making people disappear.'" (Vice News, 20. November 2014)
Schutzunterkünfte
Laut dem HRW-Bericht vom April 2018 sei in der Autonomen Region Kurdistan die oben bereits erwähnte Organisation Rasan aktiv, ursprünglich eine Frauenrechtsorganisation, die sich ab dem Jahr 2012 auch der Rechte von LGBT-Personen angenommen habe. In Bagdad dagegen, so der Bericht, sei es solchen Gruppen auf Grund der ihnen drohenden Gewalt nicht möglich, öffentlich aufzutreten:
"In some countries, LGBT activists work within organizations with broader objectives, such as in the Kurdistan Region of Iraq, where Rasan Organization, a women's rights organization, also formally took on LGBT rights in 2012. In Baghdad, where LGBT groups cannot have a public presence due to the risk of violence, partnerships with other human rights organizations have also been essential to carrying out day-to-day work." (HRW, 16. April 2018, Seite 36)
Weitere Informationen zur Situation von LGBT Personen im Irak finden sich in den folgenden beiden Anfragebeantwortungen von ACCORD:
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von LGBT-Personen; Rechtliche Situation und staatlicher Schutz; Diskriminierung und Vorfälle von Gewalt, Behandlung durch Milizen; Schutzunterkünfte, LGBTI-Aktivismus [a-10587], 30. Mai 2018 https://www.ecoi.net/de/dokument/1435689.html (https://www.ecoi.net/de/doku ment/1435689.html)
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: (Religiöse) Autorität von Ali Sistani und Muqtada al-Sadr (z.B. Erlass von Fatwas); Einstellung von Ali al-Sistani und Muqtada al-Sadr zu LGBT-Personen [a-10715], 6. September 2018 https://www.ecoi.net/de/dokument/1453698.html (https://www.ecoi.net/de/doku ment/1453698.html)
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. Februar 2019
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Homosexuellen in Bagdad; Sanktionen; innerstaatliche Fluchtalternative [a-10869], 06. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/1457700.html (https://www.ecoi.net/de/dokument/1457700.html);
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von LGBT-Personen; Rechtliche Situation und staatlicher Schutz; Diskriminierung und Vorfälle von Gewalt, Behandlung durch Milizen; Schutzunterkünfte, LGBTI-Aktivismus [a-10587], 30. Mai 2018 https://www.ecoi.net/de/dokument/1435689.html (https://www.ecoi.net/de/doku ment/1435689.html);
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: (Religiöse) Autorität von Ali Sistani und Muqtada al-Sadr (z.B. Erlass von Fatwas); Einstellung von Ali al-Sistani und Muqtada al-Sadr zu LGBT-Personen [a-10715], 6. September 2018 https://www.ecoi.net/de/dokument/1453698.html (https://www.ecoi.net/de/doku ment/1453698.html);
HRC - UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights): Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her mission to Iraq [A/HRC/38/44/Add.1], 20. Juni 2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1441557/1930_1535104047_g1818594.pdf (https://www.ecoi.net/en/file/local/1441557/1930_1535104047_g1818594.pdf)
HRW - Human Rights Watch: Audacity in Adversity - LGBT Activism in the Middle East and North Africa, 16. April 2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1429537/5228_1523875416_lgbt-mena0418-we b-0.pdf (https://www.ecoi.net/en/file/local/1429537/5228_1523875416_lgbt-mena 0418-web-0.pdf)
ILGA - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association: State Sponsored Homophobia 2017, Carroll, Aengus; Mendos, Lucas Ramón (Autor): A world survey of sexual orientation laws: criminalisation, protection and recognition, Mai 2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1399981/90_1495430692_ilga-state-sponsoredhomophobia-2017-web-corr.pdf (https://www.ecoi.net/en/file/local/1399981/90_1495430692_ilga-state-sponsored-homophobia-2017-web-corr.pdf)
Independent: Iraq's only openly gay activist on how he's fighting to make his country safer, 16. August 2016 https://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/isis-iraq-gay-lgbt-activist-amir-ashour-iraqueer-fighting-to-make-country-safer-a7193751.html (https://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/isis-iraq-gay-lgbt-activist-amir-asho ur-iraqueer-fighting-to-make-country-safer-a7193751.html)
Iraqi LGBT: Safe Houses Project, ohne Datum https://www.iraqilgbt.org.uk/the-safe-houses-project/ (https://www.iraqilgbt.org.uk/the-safe-houses-project/)
IraQueer: Fighting for the Right to Live, 2018 https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=2ahUKEwjHu-ySm4HgAhXkA2MBHdhgAZQQFjABegQIABAC&url=https%3A%2F%2Fwww.iraqueer.org%2Fapp%2Fdownload%2F13584815327%2FIraQueer%2520%2B%2520Partner%2520Baseline%2520Study%25202018.pdf%3Ft%3D1539193535&usg=AOvVaw142QInkm07gIrIeH185ppP (https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=2ahUKEwjHu-ySm4HgAhXkA2MBHdhgAZQQFjABegQIABAC&url=https%3A%2F%2Fwww.iraqueer.org%2Fapp%2Fdownload%2F13584815327%2FIraQueer%2520%2B%2520Partner%2520Baseline%2520Study%25 202018.pdf%3Ft%3D1539193535&usg=AOvVaw142QInkm07gIrIeH185ppP)
IRB - Immigration and Refugee Board of Canada: Iraq: Honour-based violence in the Kurdistan region; state protection and support services available to victims [IRQ105424.E], 15. Februar 2016 https://www.ecoi.net/de/dokument/1212358.html (https://www.ecoi.net/de/doku ment/1212358.html)
Kurdistan 24: Video said to show Baghdad teen dying while filmer makes anti-gay taunts, 10. Oktober 2018 http://www.kurdistan24.net/en/news/cd2f53d3-9df6-4276-b6d5-dd3a8f01ad4e (http://www.kurdistan24.net/en/news/cd2f53d3-9df6-4276-b6d5-dd3a8f01ad4e)
MEE - Middle East Eye: 'The world is changing': Iraqi LGBT group takes campaign to streets, 13. April 2018 http://www.middleeasteye.net/news/rasan-1330280220 (http://www.middleeasteye.net/news/rasan-1330280220)
USDOS - US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, 20. April 2018 https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html (https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html)
Vice News: Caught Between the Islamic State and Shiite Militias, Gays Are Dying in Iraq, 20. November 2014 https://news.vice.com/en_us/article/9kv758/caught-between-the-islamic-state-an d-shiite-militias-gays-are-dying-in-iraq (https://news.vice.com/en_us/article/9kv758/caught-between-the-islamic-state-and-shiite-militias-gays-are-dying-in-iraq)"
Aus der Anfragebeantwortung der BFA-Staatendokumentation zum Irak: Einfluss der Stämme; Verstoß gegen Stammesvorgaben vom 23.11.2018 geht hervor:
"[...] Anmerkungen der Staatendokumentation zu den Fragen 1-5:
Grundsätzlich wird die Regelung von Stammesangelegenheiten von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wie zum Beispiel der Art des Verstoßes gegen Stammesvorgaben bzw. des Verbrechens, der soziale Status der beteiligten Stämme, Geschlecht und sozialer Status der Beteiligten, und die Geschichte der Fehden zwischen den beteiligten Stämmen.
Tief verwurzelte kulturelle Praktiken wie Stammesstrukturen bzw. das Stammesrecht im Irak ändern sich nur langsam, daher wurden für die Beantwortung der Fragen auch ältere Quellen berücksichtigt.
1. Wie weit reicht ganz allgemein der Einfluss einzelner Stämme im irakischen Staatsgebiet?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch wenige Informationen gefunden. Gesucht wurde auf google.com und ecoi.net mit den Suchworten ""Irak", "irakisch", "Stamm", "geographisch", "Einfluss", "Weite", "Gebiet", "Einflussgebiet", "Machtbereich", "Verbreitung", "Tribalismus", "Kontrolle", "Grenzen (des Einflusses)", "andere Provinzen" (und fremdsprachigen Äquivalenten).
Die Frage wurde aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellung zur Recherche an eine externe Stelle übermittelt. Es handelte sich dabei um Mark Lattimer, Direktor des Ceasefire Center for Civilian Rights und Experten zum Irak.
Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.
Informationen zur Fragestellung finden sich auch auf dem Koordinationsboard und auf www.staatendokumentation.at in der AFB http://www.bfa.bmi.intra.gv.at/board/staatendokumentation/Lists/Aktuell/Irak/Anfragebeantwortung/IRAK_MR_MIN_Stammeszugehörigkeit.%20Stammesausschluss.%20Strafe%20wegen%20Alkoholverkaufs_2018_11_07_KE.doc,
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass der Einfluss von Stämmen theoretisch keine Grenzen hat; in der Praxis hängt er von der geographischen Dichte und der relativen Größe und Stärke des Stammes ab. Stammesrecht kann auf viele verschiedene Arten ausgeübt werden. Genauere Informationen entnehmen Sie bitte den Einzelquellen.
Einzelquellen:
Mark Lattimer ist Direktor und Irak-Experte des Ceasefire Centre for Civilian Rights (CCCR). Das CCCR ist eine internationale Initiative zur Entwicklung einer zivil geführten Überwachung von Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. der Menschenrechte mit Sitz in London.
Gemäß Mark Lattimer weisen viele Berichterstatter zu Recht auf die Bedeutung von Stammesdynamiken für das Verständnis von Politik und Gesellschaft im Irak hin. Die Bedeutung der Stammesstrukturen ist jedoch historischen Veränderungen unterworfen (sie ist in der jüngsten Geschichte des Irak gestiegen und gesunken) und variiert auch zwischen Stämmen und Gemeinschaften sowie zwischen städtischen und ländlichen Bevölkerungsgruppen.
Unter dem Baath-Regime wurde der gezielte Versuch unternommen, Stammesstrukturen zu schwächen; aber wie auch im Falle der Religion, wurde die Bedeutung der Stämme später gefeiert und zum Machterhalt gefördert. Im heutigen Irak stellen konfessionelle Identitäten und Strukturen (wie z.B. die Hashd al Shaabi und andere Milizen) einerseits ein konkurrierendes Machtzentrum in der Gesellschaft dar, und andererseits gleichzeitig eines, das in manchen Fällen zur Stärkung von Stammesstrukturen beitragen kann. Generalisierungen zur irakischen Stammesstruktur als Ganzes sind deshalb schwierig. Es ist wichtig den Kontext eines jeden individuellen Falles zu beachten.
Bezüglich der Reichweite des Einflusses eines Stammes im Irak schreibt Lattimer, dass es in der Theorie keine Grenzen gibt. Verbrechen wie Ehrenmorde wurden auch schon in irakischen Gemeinden im Exil, in Großbritannien oder anderen Teilen Europas, verübt. In der Praxis hängt es von der geographischen Dichte und der relativen Größe und Stärke des Stammes ab. Es ist für Mitglieder durchaus üblich, nach Bagdad oder in andere große Städte zu reisen und dort zu arbeiten, wodurch die Verbindungen zum Stamm nachhaltig geschwächt werden oder verloren gehen; auf der anderen Seite ist es in Fällen der Familien- oder Stammesehre üblich, dass Familienmitglieder reisen, um Einzelpersonen zu finden und mit ihnen abzurechnen [orig. to settle with them].
Cautionary note: Many commentators, correctly, point to the importance of tribal dynamics in understanding Iraqi politics and society. However, the importance of tribal structures has waxed and waned during Iraq's recent history, and also varies between tribes and communities, and between urban and rural populations. Under Ba'athism, a concerted effort was made to weaken the influence of tribal structures but, as with religion, the importance of tribe was later celebrated and promoted as a way of maintaining power. In contemporary Iraq, sectarian identities and structures (including the Hash'd al Shaabi and other militias) present both a competing locus of power in society, and at the same time one which can work in some cases to strengthen tribal structures. römisch eins t is therefore difficult to come to any generalizations across Iraqi tribal structures as a whole, and it is important to consider the context of each individual case.
1. What's the possible extent of the influence of individual tribes on their respective members within the territory of Iraq? (How far is the tribal reach or the ability of an individual tribe to go after one of its members in case of transgression of tribal norms or expectations?)
In theory there are no limits. Indeed, to take the case of honour killings, such crimes have been committed in Iraqi exile communities based in the UK and other parts of Europe. In practice, it will depend on the degree of geographic concentration of the tribe and its relative size and strength. römisch eins t is certainly common for members to travel and work in Baghdad and other big cities and effectively weaken or lose most links with the tribe; on the other hand, in cases of tribal or family 'honour', it is also common for family members to travel to find individuals and settle with them.
Mark Lattimer (13.11.2018): Al Rufai - General Questions, Auskunft per E-mail
War on the Rocks ist nach eigenen Angaben eine US-amerikanische Plattform für Analyse und Diskussion von außen- und sicherheitspolitischen Themen. War on the Rocks schreibt in einem Artikel vom 17.1.2018, dass ungefähr 75% der irakischen Bevölkerung entweder Mitglied eines der landesweit ungefähr 150 Stämme sind oder eine enge Verbindung zu einem von ihnen haben. Im Irak seien vor allem die sunnitischen Gebiete Anbar, Salahadin, Kirkuk und Nineveh und die großteils schiitische Provinz Basra stammesgesellschaftlich organisiert.
About 75 percent of Iraq's population is either a member or close associate of one of the country's approximately 150 tribes. The tribes, which comprise multiple family-based clans, have wielded considerable influence since modern Iraq's founding in 1921. In contemporary Iraq, tribes and tribalism are most prominent in Sunni areas - Anbar, Salahadin, Kirkuk, Nineveh - and the southern, mainly Shia province of Basra. Tribal leaders, called sheikhs, settle disputes within their tribes, some of which cut across ethnic and sectarian lines. Tribal networks can help members gain employment, secure government services and protect members from external threats.
War On The Rocks (17.1.2018): Baghdad Must Seize the Chance to Work With Iraq's Tribes, https://warontherocks.com/2018/01/baghdad-must-seize-chance-work-iraqs-tribes/, Zugriff 18.10.2018
Fanack ist eine unabhängige Online-Medienorganisation, die sich auf den Nahen/Mittleren Osten und Nordafrika (Geschichte, Politik, Wirtschaft, Soziales, Wasser- und Energieressourcen) spezialisiert. Sie wurde 2010 in den Niederlanden gegründet; die Website ist auf Englisch und Arabisch verfügbar. Fanack richtet sich vor allem an ein jüngeres Zielpublikum (18-35 Jahre). In einem Beitrag, der am 27.9.2018 aktualisiert wurde, heißt es, dass die irakische Gesellschaft stark an Familie und Clan (der aus einigen Familien besteht) orientiert ist. Circa 40% der Bevölkerung stehen ihrem Stamm (der aus mehreren Clans besteht) loyal gegenüber. Diese traditionellen sozialen Beziehungen stellen einen immensen sozialen Druck und Kontrolle dar. Das Verhalten von Individuen ist streng geregelt, und der Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze werden bestraft. Die Familienehre gilt als höchstes Gut und definiert das Prestige einer Familie in Relation zu anderen Familien. Verstöße gegen traditionelle Regeln und Bräuche werden als "Schandfleck" der Familienehre gesehen und mit physischer Gewalt bestraft, um den Schaden für die Familie wiedergutzumachen.
Iraqi society is organized differently from Western, post-industrial society. There is a strong orientation to the family and the clan (which consists of several families). About 40 percent of the population are also loyal to their own tribe (which consists of several clans). There are about a hundred large tribes and twenty-five tribal confederations. [...] These traditional social relationships impose immense social pressure and control. Individual conduct is tightly regulated, and violations of unwritten laws are punished. Family honour is regarded as the highest good and defines a family's prestige in relation to other families. Violations of traditional rules and customs, such as improper contacts between men and women, are regarded as a blot on the family honour and punished with physical violence, in order to redress the harm done to the family. Violence can be used in response to violence. According to Islamic law, questions of honour and acts of violence should be laid before an Islamic court for judgement and punishment, but this generally does not happen, particularly in rural areas: people take the law into their own hands, sometimes acting in complete disregard of Islamic law.
Fanack (27.9.2018): Tribe in Iraq, https://fanack.com/iraq/society-media-culture/society/family-clan-tribe/, Zugriff 18.10.2018
The Christian Science Monitor (CSM) ist laut eigenen Angaben ein unabhängiges Medienunternehmen, dessen Besitzer die Kirche First Church of Christ, Scientist aus Boston ist. Laut einem Artikel des CSM aus dem Jahr 2014 erstrecken sich die größten Stämme des Irak von Norden nach Süden, wie z.B. der al-Jubbur Stamm. Nur wenige der größten Stämme bestehen aus einer einzigen konfessionellen oder ethnischen Gruppe.
Saddam Hussein tapped Iraq's tribes, which cross geographic and ethnic lines, to bolster his regime. Now some tribesmen are offering to help fend off the self-declared Islamic State. [...] Formed Aug. 6 and endorsed by the government in September, the tribal council groups some of the largest tribes of Iraq - including Al-Jubbur, which is scattered through central and northern Iraq and has Shiite members in the south. [...] Iraq's largest tribes stretch from north to south, and only a few are made up of a single sect or ethnic group. This diversity, tribal leaders insist, could be instrumental in bridging the country's crippling ethnic and sectarian divides, provided the government can harness their power.
The Christian Science Monitor (19.10.2014): Could Iraq's tribes provide the glue that keeps the country from falling apart?, https://www.csmonitor.com/World/Middle-East/2014/1019/Could-Iraq-s-tribes-provide-the-glue-that-keeps-the-country-from-falling-apart, Zugriff 18.10.2018
Die finnische Migrationsbehörde berichtet am 22.5.2018, dass der Irak grundsätzlich eine stammesgesellschaftlich organisierte Gesellschaft ist. Traditionelle Stammeswerte, wie die Ehre eines Individuums oder einer Familie, und Solidarität der eigenen Familie und dem Clan gegenüber beeinflussen soziale Praktiken und die politische Kultur des Landes stark. Obwohl ein ziviles Justizsystem existiert, haben vor allem in ländlichen Gebieten, manchmal auch in urbanen Gebieten, Praktiken des Stammesrechts überlebt. Weil das Justizsystem nicht verlässlich oder nicht zugänglich ist, wenden sich viele Iraker stammesrechtlichen Institutionen zu, um Konflikte zu lösen. Es gibt sehr wenig Information darüber, wie innerhalb der Stämme Stammesrecht gesprochen wird.
Iraq is fundamentally a tribal society. Traditional tribal values, such as the honour of an individual or a family (sharaf) and solidarity towards one's family or clan ('asabiyya) have a strong bearing on social customs and the political culture of the country. Despite the existence of a civil justice system, practices deriving from traditional tribal justice ('urf) survive in rural areas, in particular, as well as in some urban areas. According to Freedom House (2018), the Iraqi judiciary is prone to corruption, political pressure, tribal intimidation and religious interests. Because the judicial system is unreliable or inaccessible, many Iraqis turn to tribal justice bodies for the resolution of disputes. Very little information is available on how tribal justice is administered within tribes.
Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the Satus of Women living without Safety Net in Iraq, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf/ab7712ba-bad7-4a1f-8c1f-f3f4013428a7/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf.pdf, Zugriff 18.10.2018
Das Small Wars Journal ist ein von ehemaligen US-Marines gegründetes Online-Magazin, das sich mit Fragen asymmetrischer und hybrider Kriegsführung beschäftigt und von der gemeinnützigen Small Wars Foundation geführt wird. Small Wars Journal berichtet in einem Artikel davon, dass irakische Stämme mächtige Interessensgruppen sind, die die irakische Gesellschaft durchdringen. Mehr als 85% der Iraker hätte eine Art der Stammeszugehörigkeit. Die Stammesidentität ist eine parallele, informelle, aber machtvolle Einflusssphäre in der Gemeinschaft. Irakische Stammesoberhäupter stellen ein konkurrierendes Machtzentrum dar, und die Stämme selbst sind Teil einer parallelen Hierarchie, die sich mit den formalen Regierungsstrukturen und politischen Zugehörigkeiten überlappt.
To understand what follows, you need to realize that Iraqi tribes are not somehow separate, out in the desert, or remote: rather, they are powerful interest groups that permeate Iraqi society. More than 85% of Iraqis claim some form of tribal affiliation; tribal identity is a parallel, informal but powerful sphere of influence in the community. Iraqi tribal leaders represent a competing power center, and the tribes themselves are a parallel hierarchy that overlaps with formal government structures and political allegiances. Most Iraqis wear their tribal selves beside other strands of identity (religious, ethnic, regional, socio-economic) that interact in complex ways, rendering meaningless the facile division into Sunni, Shi'a and Kurdish groups that distant observers sometimes perceive. The reality of Iraqi national character is much more complex than that, and tribal identity plays an extremely important part in it, even for urbanized Iraqis.
Small Wars Journal (o.D.): Anatomy of a Tribal Revolt, http://smallwarsjournal.com/blog/anatomy-of-a-tribal-revolt, Zugriff 18.10.2018
Al Monitor ist eine Onlinezeitung mit Sitz in Washington, DC., welche durch eigene und übersetzte Inhalte Reportagen und Analysen über den Nahen Osten bietet. Al-Monitor schreibt in einem Artikel vom 20.1.2016, dass der Einfluss der Stämme immer dann wächst, wenn der Staat schwach ist.
Tribal influence grows stronger when the state is weak. Social researcher Qasim Mohammed told Al-Monitor, "This influence increased [even more] following 2003, when the Saddam regime fell, and the tribes have managed many government departments by virtue of the ties that government officials running these departments have with the tribes."
Al-Monitor (20.1.2016): Can Iraq curb tribal disputes?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/01/iraq-tribes-armed-conflict.html, Zugriff 18.10.2018
UNHCR berichtet am 15.1.2018, dass Berichten zufolge die Stammesjustiz im Irak aufgrund der aufeinanderfolgenden Konflikte, einer schwachen Staatsgewalt und eines ineffektiven Justizsystems wieder an Bedeutung gewonnen hat. Die Menschen wenden sich wieder vermehrt den Stämmen zu, um ihre Konflikte zu lösen. Justizbeamte sind oft selbst Mitglieder eines Stammes aus der Gegend, und greifen, Berichten zufolge, oft nicht in Konflikte zwischen Stämmen ein, weil ihre persönliche Involvierung den Konflikt verschlimmern könnte. Andere stellen sich Berichten zufolge bei Stammeskonflikten auf eine Seite, je nach ihrer eigenen Stammeszugehörigkeit.
According to reports, tribal justice has reportedly gained renewed strength as a result of successive conflicts affecting Iraq, weak state authority and an ineffective formal justice system and people increasingly resort to tribes to resolve their differences. Law enforcement personnel, who are often themselves members of tribes in the area, are said to be reluctant to interfere in tribal conflicts as their involvement may risk further escalating the situation. Others are reported to take sides in tribal disputes along their own tribal affiliation.
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Tribal Conflict Resolution in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422677/1930_1516710358_5a66f84f4.pdf, Zugriff 18.10.2018
2. Kann eine Person oder Familie aus eigenem Willen den ursprünglichen Stamm verlassen?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch keine Informationen gefunden. Gesucht wurde auf google.com undecoi.net mit den Suchworten "Irak", "Stamm", "verlassen", "austreten", "freiwillig", "Ausgestoßener", "Mitglieder des Stammes", "Stammesrecht", "(Stammes-)Traditionen" (und fremdsprachigen Äquivalenten).
Die Frage wurde aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellung zur Recherche an eine externe Stelle übermittelt. Es handelte sich dabei um Mark Lattimer, Direktor des Ceasefire Center for Civilian Rights und Experten zum Irak.
Informationen zu (unfreiwilligem) Stammesausschluss finden sich auf dem Koordinationsboard in der AFB: http://www.bfa.bmi.intra.gv.at/board/staatendokumentation/Lists/Aktuell/Irak/Anfragebeantwortung/IRAK_MR_Stammesausschluss_2017_03_10_KE.docx
Zusammenfassung:
Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass tribale Identität im Irak generell als Merkmal gesehen wird, das man bei der Geburt erwirbt und welches bis zum Tod erhalten bleibt. Eine Einzelperson kann deshalb zwar versuchen, den Stamm zu verlassen, oder ihm den Rücken zuzukehren, wird aber immer noch die Konsequenzen dafür tragen, wenn andere Mitglieder des Stammes ihre Entscheidung nicht akzeptieren oder auf eine Wiedergutmachung für vermeintliche Schande bestehen.
Einzelquellen:
Der Direktor des Ceasefire Center for Civilian Rights (CCCR) Mark Lattimer schreibt in seiner Auskunft per E-Mail, dass tribale Identität, genauso wie religiöse oder ethnische Identität, im Irak generell als Merkmal gesehen wird, das man bei der Geburt erwirbt und welches bis zum Tod erhalten bleibt. Es ist kein freiwilliges Attribut und unterliegt nicht der Möglichkeit einer Konversion bzw. eines Austritts [orig. is not subject to conversion]. Die wichtigste, partielle Ausnahme stellen Frauen in Ehen zwischen zwei verschiedenen Stämmen dar [orig. inter-tribal marriages]. Eine Einzelperson kann zwar versuchen, den Stamm zu verlassen, oder ihm den Rücken zuzukehren, sie wird aber dennoch mit den Folgen dafür konfrontiert sein, dass andere Mitglieder des Stammes ihre Entscheidung nicht akzeptieren oder auf eine Wiedergutmachung für vermeintliche Schande bestehen. Generalisierungen bezüglich Mitgliedern, die gegen Stammesvorschriften verstoßen, sind sehr schwierig. Die Reaktion von Stammes- oder Familienoberhäuptern kann von einem Ignorieren des vermeintlichen Verstoßes bis zu sehr ernsten Konsequenzen, auch Mord, reichen.
3. How does an Iraqi tribe react to
a member voluntarily leaving the tribe (römisch eins s this even possible)?
Tribal identity, just like religious or ethnic identity, is generally conceived of in Iraq as a characteristic acquired at birth that persists until death. römisch eins t is not a voluntary attribute and is not subject to conversion. (The main, partial exception to this is the case of women in inter-tribal marriages.) Therefore an individual may seek to leave, or turn his/her back on, a tribe, but will still face the consequences of other members of the tribe not accepting their decision or insisting on reparation for perceived dishonor.
a member of the tribe breaching tribal rules (e.g. sell alcohol, reject a fasl-marriage)?
Once again, generalizations are very difficult. The reaction of both tribal leaders and heads of families can range from effectively ignoring the perceived breach to very serious consequences, including murder. And in some parts of Iraq, those selling or drinking alcohol, for example, may be at greater risk from miltias seeking to implement their own moral codes.
Mark Lattimer (13.11.2018): Al Rufai - General Questions, Auskunft per E-mail
3. Ist feststellbar, ob einzelne Familien wegen eines Verstoßes gegen die Stammesvorgaben aktiv vom Stamm und zum Zwecke einer Bestrafung gesucht werden?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch wenige Informationen gefunden. Gesucht wurde auf google.com und ecoi.net mit den Suchworten "Stamm", "Irak", "Stammesrecht", "Stammestraditionen", "verfolgen", "Verstoß gegen Stammesvorgaben/Stammestraditionen/Normen", "Konsequenzen", "Bestrafung" (und fremdsprachigen Äquivalenten).
Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.
Zusammenfassung:
Siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
In einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom 31.8.2018 wird Folgendes berichtet:
Die dänische Migrationsbehörde (Danish Immigration Service, DIS), der dänische Flüchtlingsrat (DRC) und das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo geben im Juli 2009 in ihrem Bericht zur gemeinsamen Fact-Finding Mission im März 2009 im Irak zu Ehrenverbrechen im Süd- und Zentralirak an, dass diese laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Generationen im Irak begangen würden. Es sei hinzugefügt worden, dass Ehrenverbrechen nichts Neues seien und die Regierung kaum in der Lage sei, diese zu verhindern, da es sich um eine Stammespraxis handle. Es sei selten der Fall, dass Angelegenheiten im Zusammenhang mit Ehrenverbrechen in Stammesräten behandelt würden. Wenn ein solches Problem jemals außerhalb der eigenen vier Wände angesprochen werde, würden die Stammesführer miteinbezogen. Dies geschehe zum Beispiel, wenn Personen außerhalb der Familie in den Vorfall verwickelt seien, wie bei außerehelichen Affären. Unabhängig vom Ausgang einer sogenannten illegalen Liebesaffäre, in die unverheiratete Personen verwickelt seien, komme es häufig vor, dass beide Parteien ihren Heimatort verlassen müssten. In vielen Fällen würden große Geldbeträge nach traditionellen Regeln als Entschädigung gezahlt. Es komme auch vor, dass der Stamm des Täters den Täter drängt, seinen Stamm zu verlassen oder der Stamm, dessen Ehre verletzt worden sei, das Opfer zur Flucht dränge. Es könne auch vorkommen, dass Menschen sich aufgrund der wahrgenommen Verletzungen ihrer Rechte rächen würden. In Stammesangelegenheiten sei alles möglich, und auch wenn eine Entschädigung gezahlt worden sei, könne das Opfer immer noch von Racheakten bedroht sein: [...]
ACCORD (31.8.2018): Anfragebeantwortung zum Irak: Lage für unverheiratete Männer, die mit einer verheirateten Frau Geschlechtsverkehr hatten: Sanktionen, Verfolgungen von Seite der Familie der verheirateten Frau, gerichtliche Sanktionen, Sanktionen der eigenen Familie, https://www.ecoi.net/de/dokument/1442975.html, Zugriff 18.10.2018
Gemäß einem Bericht von EASO zum Expertennetzwerktreffen Irak, das am 25.-26. April 2017 in Brüsselstattgefunden hat, konnten die eingeladenen Experten auf die Frage, ob ein Stamm eines seiner Mitglieder ausschließen oder sogar zum Tode verurteilen könne, keine definitive Antwort geben. Sie waren sich jedoch darüber einig, dass es für einen Stamm oder Clan möglich sei, ein Mitglied (vor allem Frauen) für den Verstoß gegen Stammesvorgaben, wie beispielsweise eine gemischte Ehe, zu bestrafen.
Can a clan / tribe expel a member or even condemn him to death? An example was given of a person who provided a written document saying they had been expelled from the tribe - have there been reports of this? There was no clear answer to this question as the experts were not aware of the inner workings of tribal legal affairs. On the other hand, they agreed that it is possible for a clan or a tribe to punish a member (especially a woman) for committing a misguided act, such as a mixed marriage. römisch eins t was unclear whether they would be likely to issue a document expelling a person.
EASO - European Asylum Support Office (7.2017): EASO COI Meeting Report: Iraq; Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf, Zugriff 18.10.2018
Laut dem Direktor des CCCR, Mark Lattimer, ist die unmittelbarste Konsequenz eines Stammesausschlusses der Verlust des Schutzes durch den Stamm ist. In vielen Gebieten des Irak wirken Stammesstrukturen als eine Form des Sicherheitsschutzes für Einzelpersonen und Familien, und ein Verlust dieses Schutzes kann Einzelpersonen durch Milizen, kriminelle Bande, etc. verwundbar machen. Bezüglich anderer Konsequenzen sind Spekulationen schwierig, da man die Gründe für einen Stammesausschluss kennen müsste. In einigen Fällen könnte es eine adäquate Strafe sein, durch das Stammesoberhaupt abgelehnt zu werden. In anderen Fällen könnten Mitglieder der Familie bzw. des Clans versuchen, die Einzelperson zu verbannen oder sogar zu töten, weil sie vermeintlich Schande über die Familie gebracht hat.
Es ist, so Lattimer, für Mitglieder durchaus üblich, nach Bagdad oder in andere große Städte zu reisen und dort zu arbeiten, wodurch die Verbindungen zum Stamm nachhaltig geschwächt oder verloren werden; auf der anderen Seite ist es in Fällen der Familien- oder Stammesehre üblich, dass Familienmitglieder reisen, um Einzelpersonen zu finden und mit ihnen abzurechnen [orig. to settle with them].
2. What are the consequences of being expelled from one's tribe?
The most immediate consequence in modern-day Iraq is to lose the protection of the tribe. In many areas of Iraq tribal structures act as a form of security protection for individuals and families, and losing that protection can make individuals vulnerable to militias, criminal gangs, etc. For other consequences it is difficult to speculate on the consequences without understanding the reasons for any alleged expulsion. In some cases being disowned by a tribal leader might itself constitute an adequate punishment; in other cases members of a family/clan may seek to banish or even kill an individual for bringing perceived dishonor on the family.
1. What's the possible extent of the influence of individual tribes on their respective members within the territory of Iraq? (How far is the tribal reach or the ability of an individual tribe to go after one of its members in case of transgression of tribal norms or expectations?)
In theory there are no limits. Indeed, to take the case of honour killings, such crimes have been committed in Iraqi exile communities based in the UK and other parts of Europe. In practice, it will depend on the degree of geographic concentration of the tribe and its relative size and strength. römisch eins t is certainly common for members to travel and work in Baghdad and other big cities and effectively weaken or lose most links with the tribe; on the other hand, in cases of tribal or family 'honour', it is also common for family members to travel to find individuals and settle with them.
Mark Lattimer (13.11.2018): Al Rufai - General Questions, Auskunft per E-mail
The Daily Star (TDS) ist eine libanesische, englischsprachige Tageszeitung mit Sitz in Beirut. Am 19.11.2018 berichtet TDS in einem Artikel darüber, dass ein alter Brauch der Stämme im Irak nunmehr als "terroristischer Akt" gilt und mit der Todesstrafe bestraft werden kann. Irakische Stämme haben ihr eigenes jahrhundertealtes System, um Konflikte zu lösen. In de-facto "Anhörungen" [orig. "hearings"] bringen Würdenträger des Stammes die beiden Konfliktparteien zusammen und vermitteln [orig. to mediate]. Wenn eine Seite nicht zu so einem Treffen erscheint, schießt der rivalisierende Clan auf das Haus der nicht erschienenen Person oder auf das von Stammesangehörigen. Diese Praxis ist auch bekannt als "degga ashairiya" oder "tribal warning". In einer Zeit, in der irakische ländliche Gebiete und Städte mit Waffen überschwemmt sind, die sich staatlicher Kontrolle entziehen, kann "degga" tödlicher als je zuvor sein. Sogar in Bagdad können in einem Streit [orig. dispute] auch Maschinengewehre und raketenbetriebene Granaten zum Einsatz kommen.
A bloody, age-old custom used by Iraq's powerful tribes to mete out justice has come under fire, with authorities classifying it as a "terrorist act" punishable by death. For centuries, Iraqi clans have used their own system to resolve disputes, with tribal dignitaries bringing together opposing sides to mediate in de facto "hearings."
römisch eins f one side failed to attend such a meeting, the rival clan would fire on the absentee's home or that of fellow tribesmen, a practice commonly known as the "degga ashairiya" or "tribal warning." But in an age when Iraq's vast rural areas and built-up cities alike are flooded with weapons outside state control, the "degga" may be deadlier than ever.
A recent dispute between two young men in a teashop in the capital's eastern district of Sadr City escalated to near-fatal proportions, leaving a 40-year-old policeman with a broken hip and severely damaged abdomen. His cousin Abu Tayba explained the policeman was "wounded in a stray bullet during a 'degga' on a nearby home." "Weeks after the incident, he's still in the hospital, hovering between life and death," Abu Tayba told AFP.
Even in Baghdad, disputes often involve machine guns and rocket-propelled grenades, the city's military command warned a top Iraqi court recently. That body, the country's Superior Magistrate Council, issued a decision last week classifying "deggas" as "terrorist acts" and therefore warranting the death penalty because of their severe impact on public safety.
The Daily Star (19.11.2018): In Iraq, bloody tribal custom now classed as 'terrorism', https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Nov-19/469535-in-iraq-bloody-tribal-custom-now-classed-as-terrorism.ashx, Zugriff 23.11.2018
4. Ist es realistisch, dass im Falle einer Bestrafung durch den Stamm wegen eines Versto-ßes gegen die Stammesvorgaben alle erwachsenen männlichen Familienmitglieder gefährdet sind?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch einige Informationen gefunden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt.
Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass eine Einzelperson davon betroffen sein kann, dass ein Verwandter in einen Stammeskonflikt involviert ist (das Prinzip der kollektiven Schuld). Laut einer Quelle ist es im Stammesrecht beispielsweise möglich, die Verletzung oder den Tod eines anderen Mitgliedes zu rächen, unter anderem indem eine Person aus der erweiterten Familie des Täters getötet wird. In einer anderen Quelle heißt es, wenn sich eine Person nicht an die Entscheidung des Stammesgerichts hält, können auch andere Mitglieder der beiden in den Konflikt involvierten Stämme in einen größeren Konflikt oder sogar eine Fehde verwickelt werden.
Einzelquellen:
UNHCR schreibt in einem Bericht vom 15.1.2018, dass im Stammesrecht die männlichen Mitglieder einer erweiterten Familie (khamsa) dazu verpflichtet sind, die Verletzung oder den Tod eines anderen Mitglieds zu rächen, sei es in Form des Tötens einer Person aus der "khamsa" des Mörders, oder in Form einer finanziellen Entschädigung (Blutgeld, "fasl" oder "diyya") an die Familie des Opfers. In schweren Fällen kann der Stamm des Täters diesen "entehren" und den Ausschluss des Täters und seiner Familie aus dem Stamm anordnen, oder ihn töten. Berichten zufolge es hat es ernste Konsequenzen für den sozialen Status und das Alltagsleben, wenn man aus seinem Stamm ausgeschlossen wird, weil man alle Rechte auf Unterstützung verliert.
Tribal conflicts can reportedly be triggered by intentional or unintentional killing, but also by other offences such as the infliction of injury, loss of "honour" (e.g. as a result of the kidnapping or rape of a woman or girl, or socially unacceptable activities on social media), theft, unpaid debts, or unresolved disputes over land, access to water supplies or property. Under tribal custom, male members of an extended family ("khamsa") are obliged to avenge the injury or death of another member, be it in the form of killing someone from the murderer's "khamsa", or, more commonly, agreeing on financial compensation (blood money, "fasl" or "diyya") to the family of the victim. [...]
In serious cases, the perpetrator's tribe can "dishonour" the perpetrator and order his and his family's expulsion from the tribe, or even kill him. Being expelled from one's tribe reportedly has serious consequences for the affected individual's social status and every-day life, as he loses all claims to protection by the tribe. In the event of a formal expulsion from the tribe, which can be for a specific period of time or forever, the expulsion is reportedly announced through a document ("sanad", or "certification"). römisch eins t reportedly has the purpose of informing other tribes of a tribe's decision to expel a certain member and that the tribe does not take any responsibility for any of his future actions. According to UNHCR information, such letters do not follow a standard format. The perpetrator may receive a copy of such a letter based on his standing in the tribe and his relationship with the sheikh, or may be informed verbally through relatives or other members of the tribe.
UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (15.1.2018): Tribal Conflict Resolution in Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/1422677/1930_1516710358_5a66f84f4.pdf, Zugriff 18.10.2018
In einem Artikel von Niqash, einer dreisprachigen (Arabisch, Englisch, Kurdisch) Medienplattform mit Sitz in Berlin und mehreren Zweigstellen im Nahen Osten (u.a. im Irak), wird berichtet, dass sich der Beschwerdeführer bei Konflikten entscheiden muss, ob er sich an das staatliche Rechtssystem oder an die Stammesjustiz wendet. Wählt er das Stammesrecht, muss sich der Angeklagte an die Entscheidung des Stammesgerichts halten. Wenn er das nicht tut, bedeutet das, dass auch andere Mitglieder der beiden Stämme in einen größeren Konflikt oder sogar eine Fehde verwickelt werden können. Das bedeutet in der Praxis, dass Familien- und Stammesmitglieder die Angeklagten höchstwahrscheinlich davon überzeugen, den Wünschen des Beschwerdeführers nachzukommen.
In tribal law, when a dispute arises, the complainant decides whether they wish to use tribal law or go to the legal system. römisch eins f they choose tribal law, then the accused must abide by their decision; if they do not, then it may mean that more members of the two tribes involved are forced into a wider dispute, perhaps even a feud. What this means in effect is that family and tribe members would most likely persuade the accused to accede to the complainant's wishes.
Niqash (o.D.): In Basra, 'Terrorism By Tradition' Causes Fear And Waste, http://www.niqash.org/en/articles/society/5543/, Zugriff 18.10.2018
Das britische Innenministerium berichtet, in Bezug auf Blutfehden in Kurdistan, dass sich ein Stamm als Einheit begreift, und von Außenstehenden auch als solche wahrgenommen wird. Damit verbunden ist die Idee der kollektiven Verantwortung, was bedeutet, dass als Vergeltungsmaßnahme jedes Mitglied der Gruppe des Täters von Mitgliedern der Gruppe des Opfers angegriffen werden kann. Als Quelle nennt das britische Innenministerium hier "The Kurdish National Movement: Its Origins and Development" von Wadie Jwaideh (1960, S.34). Als weitere Quelle wird ein Artikel aus der Zeitschrift "Perspectives on Terrorism" aus dem Jahr 2007 angeführt.
Jwaideh explained: 'The tribal group regards itself as a single unit and is so regarded by outsiders - a fact that engenders the idea of collective responsibility, with the consequent practice of retaliation against the offender or any member of his group by any member of the victim's group... '[The notion of] 'tola' (vengeance) [is] one of the three things that dominate the Kurd's thinking and determine the pattern of his loyalties and behaviour. The commission of murder is the signal for the beginning of a blood feud in conflicts concerning such matters as theft of animals, water or grazing rights, and, most serious of all, questions of honour involving women. According to Nikitine, who wrote about the Kurds of central Kurdistan, the victim's family acquires the right of retaliation against the murderer, who is banished from the tribe for a period of five years or more. At the end of this period, provided a settlement has been made, the murderer may return to the tribe, with the elder's approval and the chieftain's confirmation. The victim's family, however, retains its right of retaliation.' [...]
The journal Perspectives on Terrorism, in an article dated 2007, explained that blood feuds can be settled by 'killing a member of the khams that murdered the family member or more commonly through managing financial compensation for the death (al-diya).'
UK Home Office (8.2017): Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, https://www.ecoi.net/en/file/local/1411490/1226_1507804359_iraq-blood-feuds-cpin-version-1-0.pdf, Zugriff 18.10.2018
Raseef22 ist laut Eigenangabe eine unabhängige Medienplattform, die Nachrichten und Meinungskommentare zur arabischen Welt veröffentlicht. Am 16.1.2018 wird in einem Artikel von Personen im Irak berichtet, die von Stämmen gesucht werden, und deren Häuser oder Marktstände mit den Worten "vom Stamm gesucht" oder "von einem Stamm gesucht" ["tribally wanted"] beschmiert werden. So wird gezeigt, dass der Besitzer der beschmierten Immobilie in einen Stammeskonflikt verwickelt ist. Die Worte können potentielle Kunden abschrecken. Sie bedeuten jedoch nicht, dass diese Menschen ein Verbrechen begangen haben. Die Menschen müssen oft dafür herhalten, dass Verwandte von ihnen in solche Stammeskonflikte involviert sind.
römisch eins t is not uncommon in Iraq to see "tribally wanted" emblazoned in red paint on residential buildings to declare that the owners of the marked properties are involved in tribal disputes. The term, which would fend off interest from potential buyers, does not necessarily mean the targeted individuals have committed a crime; people often bear the brunt of relatives' involvement in such disputes.
Raseef22 (16.1.2018): What Does "Tribally Wanted" Mean in Iraq?, https://raseef22.com/en/politics/2018/01/16/tribally-wanted-mean-iraq/, Zugriff 18.10.2018
In einer Arbeit des Institute for Integrated Transition der UN University in Tokio, Japan, wird im Mai 2018 berichtet, dass Stammesrecht im Irak besonders in Gebieten des Irak verbreitet ist, in denen die Staatsgewalt schwach ist. Ein Schlüsselprinzip des Stammesrechts ist die Zuweisung von kollektiver Schuld an die Familie oder den Stamm desjenigen, der ein Verbrechen verübt.
Relatives of IS members are another social group that has become a target for retaliation and extra-judicial violence by Iraqi security forces and by other civilians. Kinship ties to the group are considered a sufficient basis for retaliation even if the relatives of IS members did not personally commit any crimes. A key principle of tribal law, which is influential in Iraq - particularly in areas where state authority is weak - is the attribution of collective guilt to the family or tribe of the perpetrator of a crime. [...]
Unlike state law, tribal law allows for the attribution of collective guilt to the family or tribe of the perpetrator, such that the relatives of an IS member can be held vicariously responsible for crimes that he or she committed individually.
UN University - Insitute for Integrated Transitions (5.2018): The Limits of Punishment, Transitional Justice and Violent Extremism, Iraq Case Study, https://i.unu.edu/media/cpr.unu.edu/attachment/3127/2-LoP-Iraq-final.pdf, Zugriff 18.10.2018
5. Ist feststellbar, ob die Familien potentieller Bräutigame tatsächlich Erkundigungen beim Stamm der Braut einheben?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch keine Informationen gefunden. Gesucht wurde auf google.com, ecoi.net mit den Suchworten "Heirat", "erkundigen", "Information", "Braut", "Bräutigam", "Tradition", "Auswahl", "Heiratspraxis" (und fremdsprachigen Äquivalenten).
Es werden jedoch einige Hintergrundinformationen zur Heiratspraxis und zur Bedeutung der Heirat allgemein in Stammesgesellschaften wie im Irak angeführt.
Eine ausführliche Quellenbeschreibung zu einigen der verwendeten Quellen findet sich unter http://www.ecoi.net/5.unsere-quellen.htm. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquellen" näher beschrieben.
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Heirat in Stammesgesellschaften grundsätzlich eine Angelegenheit der Familie ist, mit möglichen Konsequenzen für den Status und das Ansehen der ganzen Familie. Konflikte zwischen Individuen haben das Potential, zu Konflikten zwischen Gruppen zu werden.
Einzelquellen:
Dawn ist eine pakistanische Tageszeitung, die in englischer Sprache erscheint. In einem Artikel wird berichtet, dass im Irak der Familienname und die Herkunft von Relevanz bei der Jobsuche, Partnerwahl, Heirat oder in der Politik sind. Stammestraditionen haben einen richtigen Einfluss auf die Gesellschaft, wird ein Lehrender der al-Nahrain Universität in Bagdad zitiert.
In Iraq, a conservative Arab country where your origin and family name carries weight in finding a job, a partner in marriage or in politics, "tribal customs have a real impact on society", said Hussein Allawi, a teacher in national security at Baghdad's Al-Nahrain University.
Dawn (24.9.2017): Tribes, tradition stand in way of Iraq police, https://www.dawn.com/news/1359595, Zugriff 18.10.2018
The Washington Institute for Near East Policy (WINEP) ist ein US-amerikanischer Think-Tank, der sich mit der US-amerikanischen Außenpolitik in Bezug auf den Nahen Osten beschäftigt. In einem Bericht eines US-amerikanischen Oberstleutnants zur irakischen Stammeskultur aus dem Jahr 2007 heißt es, dass Heirat keine persönliche Entscheidung ist, sondern eine Angelegenheit der Familie, mit Konsequenzen für den Status und das Ansehen der ganzen Familie. Konflikte zwischen Individuen haben immer das Potential, zu Konflikten zwischen Gruppen zu werden.
Marriage is not a personal choice, but a family affair, with implications for the status and standing of the entire family. Conflicts between individuals always have the potential to become conflicts between groups.
WINEP - Washington Institute for Near East Policy (9.-10.2007): https://www.washingtoninstitute.org/uploads/Documents/opeds/46e959386ed5a.pdf, Zugriff 18.10.2018
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), gegründet 1936, ist ein Dachverband schweizerischer Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, die, neben anderen Tätigkeiten, auch Dienste zur Recherche über Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellen. Im Jänner berichtet die SFH Folgendes über Heiratspraktiken im Irak allgemein und in der Region Kurdistan:
Im Irak, auch in der KRG-Region, müssen sich die Frauen den männlichen Familienmitgliedern unterordnen. Die Ehen sind meistens arrangiert und Frauen haben kaum die Möglichkeit eigene Pläne, welche den Vorstellungen der männlichen Familienangehörigen widersprechen, umzusetzen. Das moralisch korrekte Verhalten und der Erhalt der Jungfräulichkeit der unverheirateten Frauen sind bedeutend für die Familienehre. Zwar hat die strengere strafrechtliche Verfolgung von Ehrenmördern einen gewissen Rückgang von Ehrenmorden zur Folge. Heute werden Ehrenmorde häufig als Selbstmorde oder Unfälle ausgegeben; Selbstmorde junger Frauen und Mädchen haben zugenommen. Frauen haben kaum die Möglichkeit, sich dem Willen der Familie zu entziehen. Auch wenn sie nicht mit Ehrenmord bedroht werden, können junge Frauen in den seltensten Fällen alleine, ausserhalb ihres Familienverbandes leben.
Schweizerische Flüchtlingshilfe (15.1.2015): Schnellrecherche der SFH - Länderanalyse vom 15. Januar 2015 zu Irak: Zwangsheirat, https://www.ecoi.net/en/file/local/1032635/5012_1468234752_150115-irk-zwangsheirat.pdf, Zugriff 18.10.2018
Die unabhängige Online-Medienorganisation Fanack, die 2010 in den Niederlanden gegründet wurde, berichtet in einem Beitrag zur Rolle der Stämme im Irak, dass eine Heirat nicht nur eine Union von zwei Menschen, sondern auch als Allianz von zwei Familien gesehen wird. Wenn eine Frau heiratet, verlässt sie ihre Familie und ist ab dann Teil der Familie des Ehemannes.
Upon marriage, a woman leaves her family and enters the family of her husband. In addition to being a union between two people, a marriage is seen as an alliance between two families. Children from the marriage are counted as members of the husband's family. In the case of divorce, the woman loses her children and returns to her parents or brothers. These traditional social relationships impose immense social pressure and control. Individual conduct is tightly regulated, and violations of unwritten laws are punished. Family honour is regarded as the highest good and defines a family's prestige in relation to other families. Violations of traditional rules and customs, such as improper contacts between men and women, are regarded as a blot on the family honour and punished with physical violence, in order to redress the harm done to the family.
Fanack (27.9.2018): Tribe in Iraq, https://fanack.com/iraq/society-media-culture/society/family-clan-tribe/, Zugriff 18.10.2018"
Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) ergibt sich zu Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten (Punkt römisch III.10., S 116 ff):
"10) Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten
a) Die Situation in Gebieten unter Regierungskontrolle
Das irakische Strafgesetzbuch verbietet nicht ausdrücklich einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen. Eine Reihe vage formulierter Bestimmungen des Strafgesetzbuches lassen Raum für die Diskriminierung und strafrechtliche Verfolgung von Personen, die beschuldigt werden, an einvernehmlichen, gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen teilzunehmen - z.B. wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Prostitution. Allerdings wurden diese Bestimmungen Berichten zufolge nicht systematisch zur Verfolgung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen angewandt.
Seit 2003 gab es einige Wellen vermehrter gezielter Gewalt gegen Personen dieses Profils, einschließlich Personen, die vermeintlich die gesellschaftlichen Normen für akzeptiertes geschlechtsspezifisches Verhalten übertreten. Es wird berichtet, dass das Erstarken nichtstaatlicher bewaffneter Akteure seit 2014 die Vulnerabilität von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten verschlimmert hat. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich diesem Profil entsprechen, sind Berichten zufolge häufig mehreren Formen gesellschaftlicher Diskriminierung (z.B. in Bezug auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit und Grundversorgung) und Gewalt wie Belästigung (z.B. an Checkpoints), Drohungen, körperlicher und sexueller Gewalt, Entführungen und in manchen Fällen Tötungen durch unterschiedliche staatliche und nichtstaatliche Akteure, einschließlich Mitgliedern ihrer Familie oder ihres Stammes, der breiteren Öffentlichkeit, staatlicher Behörden und unterschiedlicher bewaffneter Gruppen ausgesetzt. Transgender-Personen sind Berichten zufolge mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, unter anderem weil sie keine Ausweispapiere erhalten können, in denen ihr Geschlecht entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität ausgewiesen würde. Laut Berichten werden Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten über soziale Medien einschließlich Dating-Apps identifiziert und ins Visier genommen.
Es wurden Bedenken hinsichtlich der Bereitschaft und Fähigkeit der Behörden zur Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten geäußert, sowie hinsichtlich der Bereitschaft und Fähigkeit, diesen Personen Schutz zu gewähren. Infolgedessen wird berichtet, dass Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten aus Angst davor, dass ihre sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität offengelegt werden könnte, sowie aus Angst vor rechtlicher Verfolgung basierend auf vagen strafrechtlichen Bestimmungen und vor weiterem Schaden durch die Behörden und andere Akteure darauf verzichten, Fälle von Diskriminierung, Drohungen und Gewalt bei der Polizei oder den staatlichen Behörden zu melden. Straffreiheit ist deshalb Berichten zufolge weitverbreitet.
Es wird berichtet, dass LGBTI-Organisationen (Organisationen für lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Personen) nicht öffentlich agieren und dass Aktivisten, die sich für die Rechte von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten einsetzen, häufig zu Opfern von Drohungen, Belästigungen und körperlichen Angriffen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure werden. Es wird berichtet, dass einige zivilgesellschaftliche Organisationen vorübergehende Unterkünfte an geheimen Orten für Personen betreiben, die Schaden befürchten. Diese geheimen Unterkünfte werden Berichten zufolge außerhalb jeglichen rechtlichen Rahmens635und unter enormem Risiko sowohl für die bedrohten Personen als auch für die Mitarbeiter der Organisation betrieben.636 Aus Gründen der Sicherheit werden diese geheimen Unterkünfte immer nur für kurze Zeit betrieben, normalerweise für einige Monate, bevor sie entweder geschlossen oder umgesiedelt werden. Es können dort immer nur einige wenige Personen auf einmal aufgenommen werden, um nicht die Aufmerksamkeit der Behörden und anderer Akteure auf sich zu ziehen. IraQueer hat Fälle dokumentiert, in denen Personen von ihrer Familie getötet wurden, nachdem sie eine geheime Unterkunft verlassen hatten.
b) Die Situation in der Autonomen Region Kurdistan
Das irakische Strafgesetzbuch gilt auch in der Autonomen Region Kurdistan und aus den verfügbaren Informationen geht hervor, dass Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder geschlechtlicher Identität wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Prostitution verhaftet und in einigen Fällen strafrechtlich verfolgt wurden. Laut Berichten wird die kurdische Gesellschaft nach wie vor überwiegend von konservativen kulturellen, religiösen und stammesbedingten Werten und Praktiken - einschließlich einem starken Festhalten an traditionellen Vorstellungen von Geschlechterrollen und Familien-"Ehre" - beherrscht und die Toleranz gegenüber offener Homosexualität und unkonventionellen Geschlechteridentitäten ist begrenzt. Es wird berichtet, dass sich langsam ein öffentlicher Diskurs rund um die Rechte von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten entwickelt und zwar überwiegend unter der Führung von einer Frauenrechtsorganisation und einigen Medien. Allerdings geben die meisten zivilgesellschaftlichen Akteure an, dass es noch immer äußerst heikel ist sich mit LGBTIAngelegenheiten zu befassen und dass sie dabei sehr diskret vorgehen müssen und einem persönlichen Risiko ausgesetzt sind.
Es wird berichtet, dass die meisten Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten unter Druck stehen, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität geheim zu halten, um Diskriminierung (z.B. in Bezug auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit und Gesundheitsversorgung), Belästigung, Drohungen, körperliche Misshandlung und sexuelle Gewalt durch die Gesellschaft, durch ihre Familien und die Polizei sowie um "Ehrenmorde" durch ihre Familien zu vermeiden. Die Polizei und Sicherheitskräfte haben Berichten zufolge Missbrauch gegen Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten - einschließlich Belästigung und Festnahmen an Checkpoints und in Haft - begangen. Für Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten besteht Berichten zufolge ein "extrem hohes Risiko", Opfer von Menschenhandel zum Zwecke kommerzieller sexueller Ausbeutung zu werden, insbesondere, weil innerhalb der Autonomen Region Kurdistan keine sicheren Orte für diese Personen existieren. In der Autonomen Region Kurdistan existieren keine speziellen Unterkünfte für gefährdete Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten. Frauen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten können in der Autonomen Region Kurdistan theoretisch in Frauenhäusern unterkommen. Allerdings hängt die Aufnahme von einem Gerichtsbeschluss ab, was bedeutet, dass das Opfer bei der Polizei Anzeige erstatten muss. Für Männer mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten existieren in der Autonomen Region Kurdistan keine Unterkünfte, wenngleich manche zivilgesellschaftliche Organisationen einigen Personen vorübergehende Zufluchtsorte in Privatunterkünften oder Hotels zur Verfügung gestellt haben, wobei dies für gewöhnlich ein erhebliches Risiko sowohl für das Opfer als auch für jene darstellt, die an der Bereitstellung dieser Hilfe beteiligt sind. Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten verfügen oft auch nicht über die finanziellen Mittel, um eine Unterkunft zu mieten oder für ein Hotelzimmer zu bezahlen, da sie üblicherweise außerhalb ihres familiären Unterstützungsnetzwerkes leben.
Es wird berichtet, dass Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten in allen Gebieten Iraks aus Angst vor der Offenlegung ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität, aus Angst vor rechtlicher Verfolgung basierend auf vagen strafrechtlichen Bestimmungen und aus Angst vor weiteren Schäden durch die Behörden und andere Akteure darauf verzichten, Fälle von Diskriminierung, Drohungen und Gewalt bei der Polizei oder anderen staatlichen Behörden anzuzeigen."
Quelle:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/1457700.html, Zugriff 20.12.2019"
Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) ergibt sich zu Personen, die durch Stammeskonfliktlösungen, einschließlich Blutfehden, bedroht sind (Punkt römisch III.11., S 123 ff):
"11) Personen, die durch Stammeskonfliktlösungen, einschließlich Blutfehden, bedroht sind
Bei einer Blutfehde drohen für gewöhnlich die Mitglieder einer Familie, die Mitglieder einer anderen Familie - in vergeltenden Rachehandlungen, die basierend auf einem alten Ehren- und Verhaltenskodex durchgeführt werden - zu töten. Im Irak können Konflikte zwischen (erweiterten) Familien Berichten zufolge durch eine beabsichtigte oder unbeabsichtigte Tötung, aber auch durch andere Vergehen wie eine Körperverletzung, den Verlust der "Ehre" (z.B. als Folge der Entführung oder Vergewaltigung einer Frau oder eines Mädchens oder durch gesellschaftlich inakzeptables Verhalten), Diebstahl, offene Schulden oder ungelöste Streitigkeiten in Bezug auf Landbesitz, den Zugang zur Wasserversorgung oder Eigentum ausgelöst werden. Laut Stammesbräuchen müssen männliche Mitglieder einer erweiterten Familie ("Khamsa") die Verletzung oder den Tod eines anderen Familienmitglieds rächen, z.B. indem jemand aus der Khamsa des Mörders getötet wird,660 oder - was gebräuchlicher ist - indem man sich auf eine Schadenersatzzahlung (Blutgeld, "Fasl" oder "Diya") an die Familie des Opfers einigt, wodurch wiederum deren Recht auf Vergeltung erlischt. Obwohl dies gesetzlich verboten ist, werden Konflikte zwischen Stämmen gelegentlich dadurch gelöst, dass ein Stamm einem anderen ein(e) oder mehrere Frauen oder Mädchen zur Heirat übergibt ("Fasliya"). In ernsten Fällen kann der Stamm des Täters den Täter "entehren" und den (zeitlich begrenzten oder dauerhaften) Ausschluss des Täters und seiner Familie aus dem Stamm anordnen. In besonders ernsten Fällen, wie im Falle von "Ehrenverbrechen" oder der Ermordung eines Stammesoberhauptes, können Stämme auch die Todesstrafe über den Täter verhängen.
Wenn es Stämmen nicht gelingt, ihre Streitigkeiten friedlich zu lösen, können sich diese zu Blutfehden ("Tha'r") entwickeln. Solche Fehden, begleitet von bewaffneten Auseinandersetzungen mit schweren Waffen, Entführungen und Morden, sind laut Berichten nach wie vor ein häufiges Phänomen, insbesondere - aber nicht ausschließlich - in den südlichen Verwaltungsbezirken, wo die Lage Berichten zufolge durch die Rückkehr bewaffneter Kämpfer, die gegen ISIS gekämpft haben, verschärft wird.
Es wird berichtet, dass Stammesjustiz auch in ehemals von ISIS besetzten Gebieten erneut zugenommen hat, da viele Stämme laut Berichten das formale Justizsystem im Umgang mit Personen, die als schuldig hinsichtlich von ISIS begangenen Gräueltaten erachtet werden, als ineffektiv betrachten (und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um vermeintliche ISIS-Mitglieder aus anderen Stämmen oder aus dem eigenen Stamm handelt). Vergeltungsmaßnahmen werden laut Berichten auch häufig gegen Familien mit Verbindungen zu tatsächlichen oder vermeintlichen ISIS-Mitgliedern durchgeführt, basierend auf ihren Verwandtschafts- oder Stammesbeziehungen. Personen, die befürchten, Opfer von Vergeltungsschlägen zu werden, wenden sich aus Angst vor weiteren Vergeltungsmaßnahmen oft nicht an die Polizei, während sich Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, die häufig selber Stämmen angehören, Berichten zufolge nicht in Stammeskonflikte einmischen wollen. Blutfehden können lange Zyklen von gewaltsamen Vergeltungsschlägen und Rachehandlungen auslösen und können manchmal nach einer jahrelangen Ruhephase erneut aufflammen. Berichten zufolge verkündete das Justizministerium im April 2018 die Einrichtung einer Schiedskommission zur Schlichtung von Stammeskonflikten. Laut irakischen Beobachtern wird durch diese Entwicklung das formale Justizsystem noch weiter untergraben."
Quelle:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/1457700.html, Zugriff 20.12.2019"
Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) ergibt sich zu Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten und Personen, die sich strengen islamischen Regeln widersetzen (Punkt römisch III.5., S 87 ff):
"5) Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten und Personen, die sich strengen islamischen Regeln widersetzen
a) Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten
Im Irak lebt eine Vielfalt unterschiedlicher ethnischer Gruppen, unter anderem Araber, Kurden, Turkmenen, Einwohner mit afrikanischen Wurzeln (auch als "Schwarze Iraker" bezeichnet), Roma (Dom), Bidun und Schabak. Der Großteil der Bevölkerung gehört dem schiitischen oder sunnitischen Islam an. Zusätzlich existieren dort Gemeinschaften unterschiedlicher christlicher Konfessionen, Jesiden, sabäische Mandäer, Kaka'i, Bahai und eine sehr geringe Anzahl an Juden.
Während die irakischen Behörden Berichten zufolge die Religionsfreiheit generell respektieren, waren Minderheiten, von denen viele kein starkes politisches oder Stammesnetzwerk haben, Vertreibungswellen aufgrund von Konflikten und politischer und religiöser Verfolgung - zuletzt durch ISIS - ausgesetzt. Außerdem berichten Minderheitengruppen über rechtliche, politische und wirtschaftliche Ausgrenzung. Die Ausübung des Bahaitums ist nach wie vor verboten. Minderheitengemeinschaften haben in manchen Gegenden Fälle von Belästigung und sexuellen Übergriffen durch regierungsnahe Gruppen gemeldet.456 In der Autonomen Region Kurdistan kam es laut Meldungen in einigen Fällen zur Diskriminierung von Angehörigen von Minderheitengruppen und der Unterdrückung ihrer politischen Freiheit durch die Behörden.457 In einigen Fällen berichteten Minderheitenrechtsgruppen und -aktivisten über Drohungen und politisch motivierte Beschränkungen ihrer Arbeit durch staatliche und nichtstaatliche Akteure.
Es wird berichtet, dass in und in der Nähe von ehemals von ISIS besetzten Gebieten Anschläge auf Mitglieder von Minderheitengruppen, einschließlich Schiiten, Turkmenen, Kurden und Kaka'i, verübt werden, wobei ISIS Berichten zufolge die Anschläge für sich beansprucht oder dafür verantwortlich gemacht wird. Nahezu 3.000 Jesiden und 1.200 Turkmenen, die meisten davon Frauen und Kinder, werden laut Berichten noch immer vermisst, nachdem sie 2014 von ISIS entführt wurden.
Es wird berichtet, dass arabische und turkmenische Sunniten, vor allem aus ehemals von ISIS besetzten Gebieten, aufgrund ihrer vermeintlichen Unterstützung von ISIS Angriffen ausgesetzt sind.
Über die Jahre gab es immer wieder Berichte über Fälle, in denen Angehörige religiöser Minderheitenwie Christen und sabäische Mandäer von regierungsnahen Gruppen, kriminellen Gruppen und bewaffneten Gruppen aus konfessionellen oder kriminellen Motiven (wegen ihres vermeintlichen Wohlstands) oder basierend auf einer Kombination beider Motive ermordet oder gegen Lösegeld entführt wurden.
Es wird berichtet, dass Häuser von Christen, die seit 2003 aus Bagdad und anderen Gegenden vertrieben wurden, sowie Kirchen und Klöster von Machthabern, Milizen und kriminellen Netzwerken illegal und ungestraft beschlagnahmt wurden.
Außerhalb der Autonomen Region Kurdistan wurden Kurden Berichten zufolge Opfer von Vergeltungsschlägen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung des von der Regionalregierung Kurdistan am 25. September 2017 abgehaltenen Unabhängigkeitsreferendums, welches die Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften verstärkte.
Berichten ist zu entnehmen, dass Angehörige anderer Minderheitengemeinschaften, einschließlich der Roma (Dom) und Iraker mit afrikanischen Wurzeln (auch als "Schwarze Iraker" bezeichnet) mit systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung in allen Lebensbereichen konfrontiert bleiben. Als Folge dessen sollen viele von ihnen in extremer Armut leben und die Analphabeten- und Arbeitslosenraten in diesen Bevölkerungsgruppen sehr hoch sein. Darüber hinaus sind Angehörige der Romagemeinschaft mangels wesentlicher Personaldokumente laut Berichten staatenlos oder von Staatenlosigkeit bedroht, was ihre ohnehin vulnerable Situation weiter verschlechtert. Einige Faili- Kurden und Bidun sind auch weiterhin staatenlos und verfügen folglich über keine amtlichen Dokumente. Dadurch ist ihr Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und zu regulärer Beschäftigung sowie - aufgrund von Schwierigkeiten beim Passieren von Checkpoints - ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
[...]
d) Konvertierung vom Islam zum Christentum
Das Strafrecht verbietet die Konvertierung vom Islam zum Christentum (oder zu irgendeiner anderen Religion) nicht. Allerdings ist die gesetzliche Anerkennung eines geänderten Religionsstatus per Gesetz nicht vorgesehen. Deshalb würde auf dem Personalausweis eines Konvertiten noch immer "Muslim" stehen. Fälle eines offenen Übertritts vom Islam zum Christentum werden im Irak sehr selten gemeldet. Konvertiten halten ihren Glauben Berichten zufolge geheim angesichts der weitverbreiteten Feindseligkeit gegenüber Konvertiten vom Islam in der irakischen Gesellschaft und der Tatsache, dass Familien und Stämme die Konvertierung eines ihrer Mitglieder vermutlich als einen Angriff auf ihre kollektive "Ehre" deuten würden. Eine offene Konvertierung hätte wahrscheinlich Ausgrenzung und/oder Gewalt vonseiten der Gemeinschaft, des Stammes oder der Familie der Person sowie durch bewaffnete islamistische Gruppen zur Folge.
[...]
Quelle:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/1457700.html, Zugriff 20.12.2019"
Der Erstbeschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr, aufgrund seiner Homosexualität und der Konversion zum Christentum bedroht oder verfolg zu werden.
2. Beweiswürdigung:
Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zu den Personen der beschwerdeführenden Parteien:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Familienstand der Beschwerdeführer getroffen wurden, beruhen diese auf den in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, sowie ihren diesbezüglichen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich der Beschwerdeführer Einsicht in das Fremdenregister, die Grundversorgung- und Sozialversicherungsdaten sowie das Zentrale Melderegister und holte weiters einen Strafregisterauszug ein.
Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den in den Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren von den Beschwerdeführern gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und von den Beschwerdeführern zu keiner Zeit bestritten wurden.
Zum Vorbringen der Beschwerdeführer:
Bezüglich des gegenständlich erst im Zuge des Beschwerdeverfahrens vom Erstbeschwerdeführer erstatteten Vorbringens zu seiner Homosexualität und dem Umstand, dass diese der eigentliche Auslöser für seine Probleme mit dem Stamm im Irak bzw. dem von diesem gewollten Beitritt des Erstbeschwerdeführers zur AAH gewesen ist, geht das erkennende Gericht gegenständlich - wie in der rechtlichen Beurteilung noch ausgeführt wird - nicht vom Vorliegen eines Neuerungsverbotes aus. Unabhängig von diesem Vorbringen haben der Erstbeschwerdeführer und auch die Zweitbeschwerdeführerin im Verlauf des gesamten Verfahrens im Wesentlichen zu ihren Problemen mit dem Stamm und den daraus erwachsenen Problemen - bis auf jene Punkte, denen wie noch ausgeführt die Glaubwürdigkeit zu versagen war - durchwegs übereinstimmende Angaben ohne maßgebliche Widersprüche gemacht, die sich zudem mit den entsprechenden Länderberichten decken. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde das bisherige Vorbringen der Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen mit diesen näher erörtert und zur Verifizierung der Angaben auch alle Beschwerdeführer einvernommen. Es waren daher entsprechende Feststellungen zu treffen.
Die Feststellungen zur Homosexualität des Erstbeschwerdeführers beruhen zudem auch auf den ausführlichen Angaben des Erstbeschwerdeführers mit offensichtlich detailliertem Wissen über Szene-Lokale in Wien, den Bestätigungsschreiben von Queer Base und auch den Angaben des Z1 im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Dass er seine sexuelle Orientierung im Irak nicht offen ausleben konnte, sondern diese verheimlichen musste, steht im Einklang mit den herangezogenen Länderberichten zur Lage von Homosexuellen im Irak. Der Erstbeschwerdeführer vermochte in der mündlichen Verhandlung lebensnah darzustellen, wie er seine sexuellen Neigungen in jungen Jahren erkannte und aufgrund gesellschaftlicher Konventionen und des Drucks des Vaters schließlich dennoch die Zweitbeschwerdeführerin heiraten musste. Dass aus dieser Ehe der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführer hervorgingen, stellt keinen Widerspruch zur Homosexualität dar, sondern bestätigt einerseits mehr die Bisexualität des Erstbeschwerdeführers, obwohl er Männer bevorzugt, und ist weiters Ausdruck des sozialen Drucks, unter welchem der Erstbeschwerdeführer stand.
Die landesweite Gefährdung von LGBTIQ-Personen ergibt sich neben den glaubwürdigen Angaben des Erstbeschwerdeführers und des Z1 insbesondere aus den herangezogenen Länderberichten, aus denen im Wesentlichen hervorgeht, dass LGBTIQ-Personen, so auch dem Erstbeschwerdeführer als Bi-/Homosexuellen im gesamten Staatsgebiet, daher auch in Kurdistan, und insbesondere in seiner Heimatstatt Bagdad, sowohl seitens staatlicher Behörde, schiitischen Milizen, dem IS und auch seitens der Stämme und Familie maßgebliche Bedrohung oder Verfolgung, möglicherweise sogar der Tod, droht.
Der Umstand, dass nicht festgestellt werden konnte, dass auch den schiitischen Milizen, darunter insbesondere der AAH, die Homosexualität des Erstbeschwerdeführers bekannt gewesen ist, ergibt sich - in Zusammenschau mit den diesbezüglichen Länderberichten - daraus, dass der Erstbeschwerdeführer diesfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Mitgliedern der AAH aufgesucht und zumindest misshandelt worden wäre. Es wäre ihm weiters nicht ohne weiters möglich gewesen, die vorhandenen Checkpoints auf dem Weg zu den Behörden zwecks Erlangung von Reisepässen für seine Kinder oder in weiterer Folge auf dem Weg zum Flughafen zur legalen Ausreise aus dem Irak unbehelligt zu passieren, zumal der Erstbeschwerdeführer ja vorbrachte, sein Stamm habe gute Verbindungen zur AAH bzw. viele Mitglieder des Stammes würden der AAH angehören. Wäre die Homosexualität des Erstbeschwerdeführers der AAH tatsächlich bekannt gewesen, wäre eine Rekrutierung des Erstbeschwerdeführers als Kämpfer auch nicht in Frage gekommen. Diesbezüglich widerspricht sich sein Fluchtvorbringen. In der Folge konnte auch nicht festgestellt werden, dass tatsächlich zwei den Beschwerdeführern gänzlich unbekannte, vermummte Männer mit Waffen bei ihnen zuhause aufgetaucht sind. In Zusammenschau mit den diesbezüglichen Länderberichten ist es für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass die zwei Männer nicht gleich in das Haus eingedrungen und nach dem Erstbeschwerdeführer bzw. nach dem Drittbeschwerdeführer gesucht hätten. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass - so wie auch das Bundesamt schon ausgeführt hat - die beiden Männer unverrichteter Dinge ohne weiteres wieder gegangen sein sollten und es, obwohl sich die Beschwerdeführer noch weitere knapp sechs Wochen bis zu ihrer Ausreise am 12.09.2015 in Bagdad aufhielten, zu keinem weiteren Besuch oder einer sonstigen Bedrohung - welcher Art auch immer - gekommen ist. Auch wenn sich der Erstbeschwerdeführer bei Freund A. versteckt haben sollte, so hielten sich die Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin sowie der Viertbeschwerdeführer nach wie vor im eigenen Haus auf. In Anbetracht dessen, dass der Stammesführer den Vater des Erstbeschwerdeführers telefonisch kontaktiert und über diesen dem Erstbeschwerdeführer den Stammesausschluss angedroht hat bzw. die Zwangsrekrutierung zur AAH angedroht haben soll, erscheint auch das Haus des Vaters des Erstbeschwerdeführers nicht als geeignetes Versteckt für den Drittbeschwerdeführer, wäre es tatsächlich zu solch einer Bedrohung gekommen. Die diesbezüglichen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin waren, wenn auch nicht widersprüchlich, sehr vage und wenig detailreich und entsprechen nicht der Schilderung einer Person, die einen solchen tatsächlich erlebt hat, obwohl sie die einzige Person gewesen sein soll, die dabei persönlich anwesend gewesen ist. Alle anderen Beschwerdeführer, insbesondere der Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer konnten sich diesbezüglich nur auf ihre Erzählungen stützen. Die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführer erweisen sich somit in ihrer Gesamtheit als unglaubwürdig.
Die Feststellungen zur Konversion des Erstbeschwerdeführers zum Christentum ergeben sich insbesondere aus den in Klammer angeführten Beweismitteln sowie den glaubwürdigen Angaben des ihn betreuenden und taufenden Pfarrers über seine nachhaltige Aktivität in der christlichen Gemeinde und die Ausübung seines Glaubens. Diese Beweismittel sowie der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer seit mittlerweile knapp drei Jahren dem Christentum zugewandt hat und sich durchgehend in der Pfarrgemeinde engagiert, belegen auch den nötigen inneren Entschluss des Erstbeschwerdeführers, nach dem christlichen Glauben zu leben.
Auch wenn eine Konversion vom Islam zum Christentum strafrechtlich im Irak nicht verboten ist, üben Konvertiten nach den Länderberichten ihren Glauben angesichts der weit verbreiteten Feindseligkeiten in der irakischen Gesellschaft und der Tatsache, dass Familien und Stämme die Konvertierung vom Islam zum Christentum oft als Angriff auf ihre kollektive "Ehre" deuten, im geheimen aus. Eine offene Konvertierung führt mit großer Wahrscheinlichkeit zur Ausgrenzung und/oder Gewalt vonseiten der Gemeinschaft, des Stammes oder der Familie sowie durch bewaffnete islamistische Gruppen.
Auch wenn vom erkennenden Gericht nicht verkannt wird, dass im Irak praktisch jedes Dokument gefälscht oder verfälscht werden kann, so ist im gegenständlichen konkreten Einzelfall in Zusammenschau mit dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, den diesbezüglichen Länderberichten, den im Schreiben konkret genannten Namen des Erstbeschwerdeführers und des Stammesführers, dem Zeitpunkt des Stammesausschlusses und dem Inhalt des Schreibens davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer und folglich auch seine Söhne nunmehr aus ihrem Stamm ausgeschlossen wurden.
Das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers bzw. die von ihm vorgebrachte Gefährdung im Falle einer Rückkehr deckt sich somit auch in den festgestellten Länderberichten.
In Anbetracht dessen, dass die Zweitbeschwerdeführerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, sie wäre im Irak eine bekannte Schriftstellerin, jedoch zugleich zwei Mal angab, sie habe bisher keinerlei Werke im Irak veröffentlicht, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar, inwiefern die Zweitbeschwerdeführerin im Irak irgendeinen Bekanntheitsgrad erreicht haben sollte. Dass der Zweitbeschwerdeführerin durch die Veröffentlichung des Gedicht- und Bildbandes im Irak im Falle einer Rückkehr in irgendeiner Form Bedrohung oder Verfolgung drohen würde, wurde zu keiner Zeit substanziiert vorgebracht.
Darüber hinaus kann den Länderberichten zur aktuellen Sicherheitslage in Bagdad entnommen werden, dass der IS inzwischen wieder versucht, seine Aktivitäten insbesondere in der Peripherie der Hauptstadt, somit dem äußeren Norden, Süden und Westen, zu erhöhen. Es ist sowohl im Juni als auch im September 2019 zu Selbstmordattentaten sowie zu fünf Angriffen mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad gekommen. Im Zeitraum von Juli bis September 2019 wurden insgesamt 54 sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad mit 34 Toten und 73 Verletzten verzeichnet. Auch die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar. In diesem Zusammenhang kam es konkret Bagdad betreffend im September 2019 zu Raketeneinschlägen in der Grünen Zone, nahe der US-amerikanischen Botschaft, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Seit 01.10.2019 kam es weiters in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung, aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak. Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen. Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an. Von 02.10.2019 bis 05.10.2019 wurde eine Ausgangssperre ausgerufen und eine Internetblockade von 04.10.2019 bis 07.10.2019 implementiert. Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25.10.2019 weiter und forderten bis zum 30.10.2019 weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte. Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala. Am 28.10.2019 wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen. Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 01.10.2019 bis zum 29.10.2019 getötet und mehr als 8.000 Personen verletzt.
Bezogen auf die übrige Sicherheitslage im Irak, insbesondere hinsichtlich der Provinzen im Nord- und Zentralirak ergeben sich ernst zu nehmende Reorganisationsbemühungen des IS, steigende Anschlagsaktivitäten insbesondere in Diyala (wie bereits dargelegt) und Kirkuk sowie laufende Militäroperationen, "Operation Will of Victory" der irakischen Sicherheitskräfte, der Stammes- und Volksmobilisierungseinheiten und Kampfflugzeugen der US-Streitkräfte.
Sofern in der gegenständlichen Beschwerde ganz allgemeine Problemlagen im Irak und in der Herkunftsregion der Beschwerdeführer (Bagdad) aufgezeigt werden, lassen die Beschwerdeführer, insbesondere die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführerin damit ihre unmittelbare Betroffenheit nicht erkennen. So brachten die Zweit- und Fünftbeschwerdeführer sowie der Dritt- und Viertbeschwerdeführer keine (glaubhaften) konkreten/besonderen Probleme aufgrund ihrer persönlichen Stellung, ihres Geschlechtes oder ihres Alters vor, sondern können letztlich nur allgemein auf allfällige diesbezügliche Problemlagen im Herkunftsstaat verweisen. Auch Probleme mit herkunftsstaatlichen Behörden wurden nicht vorgebracht.
Zusammenfassend ist jedoch im Lichte der in das Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen und insbesondere hinsichtlich der besonderen Vulnerabilität der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin festzuhalten, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass sie im Falle einer Rückkehr in den Irak - unabhängig von den beim Erstbeschwerdeführer vorliegenden (Nach-)Fluchtgründen möglicherweise Opfer der zahlreichen sicherheitsrelevanten Vorfälle bezogen auf den IS und die anhaltenden gewaltsamen Ausschreitungen und Proteste in Bagdad sowie den meisten anderen Provinzen des Irak werden würden.
Die Zweitbeschwerdeführerin, als solche auch als damalige gesetzliche Vertreterin des Drittbeschwerdeführers, des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin, gab bereits seit der Stellung der Anträge auf internationalen Schutz an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und sich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführer zu beziehen. In der Beschwerde wurde die Annahme eines westlichen Lebensstils der Zweitbeschwerdeführerin nur unsubstanziiert behauptet, in der mündlichen Verhandlung jedoch dazu keinerlei Vorbringen mehr erstattet. Mangels eines darüber diesbezüglichen und substanziierten Vorbringens konnte nicht festgestellt werden, dass sich eine westliche Lebenseinstellung in einem identitätsstiftenden Ausmaß in den Verhaltensweisen der Beschwerdeführer manifestiert hätte. Es wurde weder im Verfahren vor dem Bundesamt, der Beschwerde, der Beschwerdeergänzung noch in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dargelegt, welche Verhaltensweisen und Ansichten bei den Beschwerdeführern nunmehr vorliegen würden, um tatsächlich von der Annahme eines westlichen Lebensstils in identitätsstiftender Art und Weise vergleiche dazu VwGH vom 28.06.2018, Ra 2017/19/0579) auszugehen. Konkret geht gegenständlich nicht hervor, dass das allenfalls angenommene Verhalten mit innerer Überzeugung als Ausfluss der Grundrechte angesehen werden würde.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgericht, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Darüber hinaus brachte das Bundesverwaltungsgericht für den konkreten Fall maßgebliche und zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderberichte im Rahmen der mündlichen Verhandlung sowie mit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme in das Verfahren ein. Diesbezüglich wurde von der Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme abgeben. Zu den mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.12.2019 übermittelten Länderberichten wurde seitens der Rechtsvertretung eine Stellungnahme abgegeben. Insgesamt wurde jedoch kein Vorbringen erstattet oder andere Länderberichte vorgelegt, die den Feststellungen des erkennenden Gerichtes zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer entgegenstünden oder eine andere Beurteilung erfordern würden. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben schlussendlich unbestritten. Zum Einwand der mangelnden Aktualität ist auszuführen, dass sich das erkennende Gericht auf das zum Entscheidungszeitpunkt aktuellste Länderinformationsblatt gestützt hat und die Rechtsvertretung ihrerseits - ausgenommen von ganz aktuellen Zeitungsberichten zu den jüngsten Vorkommnissen, die gegenständlich aufgrund der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten aus den angeführten Gründen nicht notwendig entscheidungsrelevant sind - ebenfalls auf Berichte überwiegend aus den Jahren 2012, 2016 und 2017 gestützt hat. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Zur Abweisung des Antrages auf Einholung eines länderkundigen Sachverständigengutachtens über den Irak:
Die Beschwerdeführer beantragten im Zuge ihrer Beschwerde die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens zum Irak ohne jegliche Begründung.
Die Beachtlichkeit eines Beweisantrages setzt die ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas, das mit dem Beweismittel unter Beweis gestellt werden soll, somit jener Punkte und Tatsachen voraus, die durch das angegebene Beweismittel geklärt werden sollen. Erheblich ist ein Beweisantrag dann, wenn Beweisthema eine für die Rechtsanwendung unmittelbar oder mittelbar erhebliche Tatsache ist vergleiche VwGH vom 24.10.2016, Ra 2016/02/0189).
Ein allgemeines Vorbringen, das aus Mutmaßungen besteht, läuft auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist vergleiche VwGH vom 03.01.2018, Ra 2017/11/0207).
In der Unterlassung der Beweisaufnahme ist kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist vergleiche VwGH vom 14.10.2016, Ra 2016/18/0260).
Vor dem Hintergrund der festgestellten Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer und des Vorbringens der Beschwerdeführer entspricht der gegenständliche Beweisantrag nicht den soeben dargestellten Voraussetzungen. Es handelt sich dabei um ein allgemeines Vorbringen, welchem es - unter Berücksichtigung der festgestellten Situation im Herkunftsland und der Würdigung des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführer - an Überprüfbarkeit mangelt.
Der Antrag war daher spruchgemäß abzuweisen.
Zum "Antrag auf Konkretisierung der Länderberichte":
Zum in der letzten Stellungnahme vom 24.01.2020 gestellten "Antrag auf Konkretisierung der Länderberichte" wird seitens des erkennenden Gerichtes darauf hingewiesen, dass das Gericht die - seiner Ansicht nach - besonders relevanten Teile im gegenständlichen Erkenntnis festgestellt hat. Der große Umfang der Länderberichte zum Irak ist auch dem erkennenden Gericht bewusst und bleibt es der Rechtsvertretung unbenommen, zu den für die Vertretung im konkreten Fall als relevant angesehenen Teilen eine Stellungnahme abzugeben oder auch nicht. Eine Einschränkung während des laufenden Beschwerdeverfahrens "lediglich" konkret auf das Fluchtvorbringen (das im gegenständlichen Verfahren im Detail aus mehreren Flucht-/Nachfluchtgründen bei mehreren Beschwerdeführern besteht) würde dem erkennenden Gericht eine allfällige Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten bei Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten oder eine gänzliche Abweisung des Antrages und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Lichte der Judikatur, wonach die Gesamtsituation zu umfassenden Prüfung eines Refoulement-Schutzes zu berücksichtigen ist, nicht mehr ermöglichen, da dafür notwendige erhebliche Teile der Länderfeststellungen fehlen könnten.
Darüber hinaus ist das erkennende Gericht nicht dazu gehalten, die Rechtsvertretung zu einem erfolgsversprechenden inhaltlichen Vorbringen im Verfahren zu manuduzieren.
Auch dieser "Antrag" war daher als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides des Erstbeschwerdeführers:
Der mit "Status des Asylberechtigten" betitelte Paragraph 3, AsylG 2005 lautet:
"§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 23,) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11,) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6,) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (Paragraph 5, BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer eins, gilt Absatz 4, mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt."
Im Hinblick auf die Neufassung des Paragraph 3, AsylG 2005 im Vergleich zu Paragraph 7, AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK gilt, grundsätzlich auch auf Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 anzuwenden ist.
Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Unter "Verfolgung" im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen vergleiche VwGH vom 31.07.2018, Ra 2018/20/0182).
Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" jede Verfolgungshandlung im Sinne des Artikel 9, der Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15, Absatz 2, EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Artikel 2, EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Artikel 3, EMRK niedergelegte Verbot der Folter vergleiche VwGH vom 31.07.2018, Ra 2018/20/0182, mit Verweis auf VwGH vom 08.09.2015, Ra 2015/18/0080).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
Vorliegend ist festzuhalten, dass dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers im Ergebnis Asylrelevanz zukommt:
Vorweg ist wie in der Beweiswürdigung bereits angeführt, eine Beurteilung dahingehend durchzuführen, ob das erstmals in der Beschwerde dargelegte Fluchtvorbringen zur Homosexualität des Erstbeschwerdeführers dem Neuerungsverbot iSd Paragraph 20, BFA-VG unterliegt:
Der mit "Vorbringen in der Beschwerde" betitelte Paragraph 20, BFA-VG lautet:
"§ 20. (1) In einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden,
1. wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat;
2. wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war;
3. wenn diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren oder
4. wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.
(2) Über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise muss nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht maßgeblich sind.
(3) Absatz eins, ist auf Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes auf Grund eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 nicht anzuwenden."
Paragraph 20, Absatz eins und Absatz 2, BFA-VG entspricht dabei dem ehemaligen Paragraph 40, AsylG 2005 und legt Sondernormen zur Zulässigkeit neuen Vorbringens in der Beschwerde fest vergleiche EB zur Regierungsvorlage 2144 BlgNR 24. GP, S 14). Die Vorgänger-Bestimmung zu Paragraph 40, AsylG 2005 war Paragraph 32, Absatz eins, AsylG 1997.
Paragraph 40, Absatz eins, AsylG 2005 (nunmehr: Paragraph 20, Absatz eins, BFA-VG) enthält kein grundsätzliches Neuerungsverbot. In einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesasylamtes (nunmehr: Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl) können - neben den in Paragraph 40, Absatz eins, Ziffer eins bis Ziffer 3, AsylG 2005 (nunmehr: Paragraph 20, Absatz eins, Ziffer eins bis 3 BFA-VG) enthaltenen Fällen - neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden, "wenn der Asylwerber nicht in der Lage war, diese vorzubringen" (Paragraph 20, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG). Vom Neuerungsverbot wird damit nur jenes Vorbringen erfasst, das ein Beschwerdeführer bloß zur bewusst intendierten Verfahrensverzögerung erstattet vergleiche Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Paragraph 20, BFA-VG E4 (Stand 01.03.2016, rdb.at)).
Für die Annahme eines Neuerungsverbotes bedarf es nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung der Auseinandersetzung mit der für die Annahme eines Neuerungsverbotes erforderlichen Voraussetzung der missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens (VwGH vom 27.09.2005, 2005/01/0313; vom 26.03.2007, 2007/01/0074; vom 29.07.2015, Ra 2015/18/0036).
Bezogen auf das gegenständlich erstmals mit Beschwerdeergänzung vom 24.05.2019 erstattete Vorbringen der Homosexualität des Erstbeschwerdeführers ist es entsprechend der Begründung in der Beschwerdeergänzung nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer, der seine wahre sexuelle Orientierung immer im Verborgenen ausleben musste, erst nach diesbezüglicher Beratung in Österreich in der Lage gewesen ist, diese als Fluchtgrund vorzubringen.
Zur Homosexualität hat der EuGH - wie in der Beschwerdeergänzung schon ausgeführt - klargestellt, dass aufgrund der besonderen Intimität dieser Thematik das Erfordernis, dass Antragsteller "so schnell wie möglich" alle Anhaltspunkte darzulegen haben, einschränkend auszulegen ist und ein späteres Vorbringen zur sexuellen Orientierung deshalb nicht ohne Weiters als Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Antragsteller heranzuziehen ist (EuGH vom 02.12.2014, Rs C-148/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande).
Eine Missbrauchsabsicht zur Verzögerung des Asylverfahrens ist gegenständlich nicht ersichtlich, zumal es sich bei der Homosexualität des Erstbeschwerdeführers nicht um dessen einzigen asylrelevanten (Nach-)Fluchtgrund handelt.
Gegenständlich findet das Neuerungsverbot somit keine Anwendung.
Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkrieges hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichtete Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 03.05.2018, Ra 2017/19/0476, mit Verweis auf VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/20/0089, mwN).
Generell wird eine "bestimmte soziale Gruppe" durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Person entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen können eine derartige "bestimmte soziale Gruppe" im Sinne der GFK darstellen vergleiche etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, römisch II, 456).
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, Rs C-199/12 bis C-201/12, römisch zehn, Y und Z, zur Frage, ob Artikel 10, Absatz eins, Litera d, der Status- oder Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates so auszulegen ist, dass Homosexuelle bei der Prüfung der Verfolgungsgründe als bestimmte soziale Gruppe vergleiche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK) angesehen werden können, ausgeführt, dass hierfür zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen: Zum einen müssen die Angehörigen einer solchen Gruppe Merkmale oder eine Überzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität sind, dass ein/e Betroffene/r nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten; zum anderen muss die Gruppe in dem betreffenden Herkunftsstaat eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach Ansicht des EuGH steht allgemein fest, dass die sexuelle Orientierung einer Person ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass sie nicht gezwungen werden sollte, darauf zu verzichten. Weiters erlaubt auch "das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen eine abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird". Weiters hat der EuGH in diesem Urteil ausgeführt, dass Artikel 10, Absatz eins, Litera d, der Statusrichtlinie dahin auszulegen ist, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, stellt noch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Artikel 9, Absatz eins, in Verbindung mit Artikel 9, Absatz 2, Litera c, der Statusrichtlinie dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Die nationalen Behörden haben, wenn ein Asylbewerber geltend macht, dass in seinem Herkunftsland Rechtsvorschriften bestünden, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellten, im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände nach Artikel 4, der Statusrichtlinie alle das Herkunftsland betreffenden relevanten Tatsachen einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften dieses Landes und der Weise, in der sie angewandt werden, zu prüfen, wie dies in Artikel 4, Absatz 3, Litera a, der Statusrichtlinie vorgesehen ist. Von einem Asylwerber kann nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden vergleiche auch RS1 zu VwGH vom 20.09.2018, Ra 2018/20/0043).
Auch wenn den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass das irakische Strafgesetzbuch gleichgeschlechtliche Intimität nicht verbietet, stützen sich die Behörden auf Anklagen wegen Sittlichkeitsvergehen oder Prostitution, um gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivität strafrechtlich zu verfolgen. Homosexuelle sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt und es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung bis hin zu Ehrenmorden. Konfessionelle Milizen haben in den letzten Jahren wiederholt Mitglieder sexueller Minderheiten bedroht und verfolgt und werden mit Ermordungen von homosexuellen Männern in Verbindung gebracht. Lokale Quellen berichteten, dass Milizen "Tötungslisten" verfassen und als Angehörige sexueller Minderheiten wahrgenommene Männer hingerichtet haben. Unter den schiitischen Milizen der PMF wurden in den letzten Jahren vor allem den Asa'ib Ahl al-Haqq zahlreiche Gewalttaten homophober und transphober Natur zugeschrieben. Einige bewaffnete Gruppen starteten eine Kampagne gegen homosexuelle Personen in Bagdad.
Angesichts dieser Länderberichte im Zusammenschau mit den glaubwürdigen Angaben des Erstbeschwerdeführers, dass er eigentlich wegen seiner homosexuellen Neigungen bereits im Irak Probleme mit seinem Stamm bekommen hat und inzwischen auch vom Stamm ausgeschlossen wurde, erscheint eine Gefährdung seiner Person maßgeblich wahrscheinlich. Sofern die Bedrohung durch private Personen erfolgt, ist auszuführen, dass der irakische Staat in diesem Fall nicht schutzfähig und -willig im Sinne der oben zitierten Judikatur ist. So sind laut den Länderberichten polizeiliche Untersuchungen in den wenigsten Fällen bekannt geworden und wird die Polizei mitunter eher als Bedrohung denn als Schutzmacht empfunden. Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten hat es die Regierung verabsäumt, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw. mögliche Opfer zu schützen. Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt.
Dass der Erstbeschwerdeführer seine homosexuellen Neigungen wie vor seiner Ausreise auch im Irak verheimlicht, um eine Verfolgung zu vermeiden, kann vom ihm nicht gefordert werden (VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043 und VfGH 11.06.2019, E 291/2019, jeweils mit Hinweis auf EuGH 7.11.2013, verbRs C-199-201/12, römisch zehn ua., Rz 70 f.; daran anknüpfend VfSlg. 20.170/2017; VfGH 18.9.2014, E 910/2014).
Zudem hat der VwGH bereits mehrfach ausgeführt, dass den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist ("Indizwirkung"; vergleiche etwa VwGH vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103-0106; vom 22.09.2017, Ra 2017/18/0166, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörde in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind vergleiche dazu etwa VwGH vom 16.12.2010, 2006/01/0788, mwN). Die Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR findet sich auch im einschlägigen Unionsrecht (Artikel 10, Absatz 3, Litera b, der Richtlinie 2013/32/EU und Artikel 8, Absatz eins und 2 der Richtlinie 2011/95/EU) (VwGH vom 07.06.2019, Ra 2019/14/0114, mwN).
Der UNHCR vertritt in seinen "Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen"(HCR/PC/IRQ/2019/05) vom Mai 2019 in Bezug auf die Verfolgungsgefahr von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten - abhängig von den spezifischen Umständen des jeweiligen Falls - aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe und/oder aus anderen maßgeblichen Gründen wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen.
Weiters ist der Erstbeschwerdeführer in Österreich zum Christentum konvertiert.
In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit, die Intensität von Verfolgung erreichenden, Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines "Interesses am Christentum" reicht zur Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion zum Christentum nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453).
Wie beweiswürdigend dargelegt, konnte der Erstbeschwerdeführer seinen inneren Entschluss, nach dem christlichen Glauben zu leben, glaubhaft vorbringen.
Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass die Verfassung das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend anerkennt und explizit Christen in diesem Zusammenhang nennt. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam. Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten. Jedoch sind Menschen, die den islamischen Glauben ablegen wollen, oft ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt, werden zum Teil sogar getötet, oftmals von den eigenen Angehörigen/Bekannten. Viele religiöse (sunnitische und schiitische) und politische Führer im Irak sind der Meinung, dass die Abkehr vom Islam mit dem Tod bestraft werden sollte. Auch viele Irakerinnen und Iraker, darunter auch einige religiöse und politische Führungspersönlichkeiten, sind der Ansicht, dass der Konvertit, im Einklang mit den strikten islamischen Regeln gegen Konversion, seine Ermordung verdient hat.
Angesichts dieser Länderberichte und den im konkreten Fall glaubwürdigen Angaben des Erstbeschwerdeführers, dass er (unter anderem) wegen der Konversion zum Christentum inzwischen aus seinem Stamm im Irak ausgeschlossen worden ist und dieser die Konversion nicht akzeptiert und gegen ihn vorgehen würde, erscheint eine Gefährdung seiner Person - insbesondere in der gegenständlich vorliegenden Konstellation, dass der Erstbeschwerdeführer auch homosexuell ist - als maßgeblich wahrscheinlich. Sofern die Bedrohung durch private Personen erfolgt, ist auszuführen, dass der irakische Staat in diesem Fall nicht schutzfähig und -willig im Sinne der oben zitierten Judikatur ist. Wendet sich ein Opfer von Belästigung an die Behörden, kann dies zu weiteren Belästigungen oder Gewalt durch Behördenvertreter und Polizei führen. Der Irak belegt den Platz drei der Länder in denen Christen weltweit am stärksten verfolgt werden. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen. Sie bleiben daher, u.a. im Zusammenhang mit ihren Berufen und damit verbundenen Lösegelderwartungen, Opfer von Entführungen und sind bevorzugte Ziele von Anschlägen, wie Angriffe auf Priester, Bombenanschläge auf Kirchen und christliche Einrichtungen. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen. Die Zahl der Christen im Irak hat sich seit Ende des Regimes von Saddam Hussein von ein bis 1,5 Millionen Christen auf geschätzte 400.000 bis 850.000 halbiert.
Auch der UNHCR vertritt in seinen bereits zitierten Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), die Ansicht, dass Personen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind - abhängig von den spezifischen Umständen des jeweiligen Falles - aufgrund ihrer Religion wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen.
Aus dem oben festgestellten Sachverhalt in Zusammenschau mit der diesbezüglichen Lage im Herkunftsstaat folgert das erkennende Gericht, dass der Erstbeschwerdeführer in der konkreten Fallkonstellation aufgrund seiner homosexuellen Orientierung und seiner Konversion zum Christentum in Verbindung mit der dadurch entstandenen Gefährdung seitens seines Stammes und weiteren nichtstaatlichen bzw. staatlichen Akteuren als Zugehöriger zu einer religiösen Minderheit und der sozialen Gruppe der Homosexuellen im Falle einer Rückkehr in den Irak der erheblichen Gefahr schwerer Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt wäre.
In einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers zu seinen Rückkehrbefürchtungen gelangte das erkennende Gericht zum Ergebnis, dass im Gefolge einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in Anbetracht der unveränderten persönlichen Eigenschaften des Erstbeschwerdeführers und der diesbezüglichen Situation im Herkunftsstaat, er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer (neuerlichen) landesweiten Bedrohung durch staatliche Organe und staatsnahe Akteure in Form von in nicht rechtsstaatlicher Art und Weise erfolgten Handlungen verbunden mit gravierenden Eingriffen in seine Rechtssphäre ausgesetzt wäre vergleiche zur Asylrelevanz von Misshandlungen und Folter bei polizeilichen "Befragungen" etwa VwGH vom 19.12.2001, 98/20/0330; vom 03.07.2003, 2000/20/0498; vom 24.01.2008, 2006/19/0985).
Weiters kann der Erstbeschwerdeführer in solchen Fällen angesichts der bisherigen persönlichen Erfahrungen und der aktuellen Lage in seinem Herkunftsstaat nicht damit rechnen, dass er gegen allfällige aufgrund der festgestellten Gründe erfolgenden Übergriffe von Sicherheitsorganen hinreichenden staatlichen Schutz erlangen könnte, und erstreckt sich diese Prognose sowohl auf die Gefährdung durch sicherheitsbehördliche Übergriffe als auch das Fehlen hinreichenden staatlichen Schutzes bezogen auf den gesamten Herkunftsstaat.
Insgesamt kann vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung und den UNHCR-Richtlinien in Verbindung mit den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak im konkreten Fall nicht davon ausgegangen werden, dass für den Erstbeschwerdeführer irgendwo im Irak eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt, zumal eine Unterkunft in Flüchtlingslagern vom UNHCR nicht als "zu berücksichtigende Unterkunft" angesehen wird.
Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls war der festgestellte Sachverhalt war sohin insgesamt als asylrelevant zu qualifizieren.
Vor diesem Hintergrund war daher der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß stattzugeben und ihm gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 20055 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wobei dies gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 mit der Feststellung zu verbinden war, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
In Anwendung des Paragraph 3, Absatz 4, AsylG kommt dem Erstbeschwerdeführer in der Folge eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu.
Zu Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin sowie des Dritt- und Viertbeschwerdeführers:
Der mit "Familienverfahren im Inland" betitelte Paragraph 34, AsylG lautet:
"§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8,) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
Anmerkung, Ziffer 2, aufgehoben durch Artikel 3, Ziffer 13,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 84 aus 2017,)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7,).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
Anmerkung, Ziffer 2, aufgehoben durch Artikel 3, Ziffer 13,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 84 aus 2017,)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 9,) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß Paragraph 12 a, Absatz 4, zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Absatz eins bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (Paragraph 30, NAG)."
Gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG gilt eine auch nur von einem betroffenen Familienmitglied erhobene Beschwerde gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen (Paragraph 2, Ziffer 22, AsylG 2005) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich. Allen Beschwerden gegen Entscheidungen im Familienverfahren kommt aufschiebende Wirkung zu, sobald zumindest einer Beschwerde im selben Familienverfahren aufschiebende Wirkung zukommt.
Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG gilt als Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Sowohl der Drittbeschwerdeführer als auch der Viertbeschwerdeführer sind inzwischen volljährig. Sie waren jedoch bei der Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz am 25.09.2015 noch minderjährige Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Die Fünftbeschwerdeführerin ist nach wie vor minderjähriges lediges Kind des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.
Sowohl die Fünftbeschwerdeführerin als auch der Dritt- und Viertbeschwerdeführers sind somit allesamt Familienangehörige des Erstbeschwerdeführers iSd. Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 und haben allesamt keine (substanziierten) eigenen Fluchtgründe geltend gemacht und sich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers gestützt, weshalb ihnen - bei Fehlen von Hinweisen auf Endigungs- oder Ausschlussgründe sowie vor dem Hintergrund der Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit - gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 ebenfalls der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen und gleichfalls gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 festzustellen war, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Ehe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist inzwischen nicht mehr nur nach traditionellem islamischen Recht, sondern auch gerichtlich geschieden. Der Zweitbeschwerdeführerin kommt somit die Familienangehörigeneigenschaft zum Erstbeschwerdeführer iSd Paragraph 34, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG nicht mehr zu. Die Bestimmungen des Paragraph 34, AsylG sind nach Paragraph 34, Absatz 6, Ziffer 2, AsylG in der Beziehung zwischen dem Erstbeschwerdeführer, dem Dritt- und dem Viertbeschwerdeführerin zur Zweitbeschwerdeführerin nicht anwendbar. Gemäß dieser Bestimmung leitet die Zweitbeschwerdeführerin den Status einer Asylberechtigten jedoch von der minderjährigen und ledigen Fünftbeschwerdeführerin ab, sodass im Ergebnis auch der Zweitbeschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 festzustellen war, dass auch ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Ebenso kommt ihnen gemäß Paragraph 3, Absatz 4, AsylG 2005 ein befristetes Aufenthaltsrecht von drei Jahren zu.
Es war daher auch hinsichtlich der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin als auch des Dritt- und Viertbeschwerdeführers spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkten römisch II. bis römisch IV. der angefochtenen Bescheide:
Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Den Beschwerdeführern wurde mit gegenständlichem Erkenntnis der Status der Asylberechtigten zuerkannt und daher ihrem Antrag auf internationalen Schutz diesbezüglich stattgegeben.
Die Voraussetzungen gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG sowie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und damit in weiterer Folge auch der Abspruch über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG, die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG in Verbindung mit Paragraph 46, FPG sowie die Frist zur freiwilligen Ausreise liegen daher nicht mehr vor, weshalb diese Spruchpunkte ersatzlos zu beheben waren.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Asyls und zur Überschreitung der Eingriffsschwelle der Artikel 2 und Artikel 3, EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese - soweit erforderlich - auch zitiert.
ECLI:AT:BVWG:2020:G308.2177217.1.00