BVwG
19.12.2019
W244 2209279-1
W244 2209279-1/10E
W244 2159717-1/10E
W244 2159713-1/10E
W244 2159709-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Verena JEDLICZKA-MESSNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.
römisch 40 (auch römisch 40 auch römisch 40 ), geb. römisch 40 , 2. römisch 40 , geb. römisch 40 , 3.
römisch 40 , geb. römisch 40 , und 4. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1. vom 12.10.2018, Zl. 1185910607-180337638, 2. vom 11.05.2017, Zl. 1083830107-151155617,
3. vom 11.05.2017, Zl. 1083830009-151155579, und 4. vom 11.05.2017, Zl. 1083829901-151155587, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
römisch eins. Der Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG stattgegeben und es wird römisch 40 (auch römisch 40 auch römisch 40 ) gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005, römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 sowie römisch 40 und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2 und Absatz 6, Ziffer 2, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
römisch eins. Verfahrensgang:
Die Zweitbeschwerdeführerin stellte für sich und ihre beiden zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährigen Söhne, den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer, am 21.08.2015 Anträge auf internationalen Schutz.
Am 23.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Zweitbeschwerdeführerin, des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers statt. Dabei gaben sie u.a. an, afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara zu sein. Befragt zu ihren Fluchtgründen verwiesen sie im Wesentlichen auf die schlechte Sicherheitslage, die schlechten Lebensbedingungen und die fehlenden Zukunftsperspektiven in Afghanistan und im Iran.
Am 03.05.2017 wurden die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge der Zweitbeschwerdeführerin, des Drittbeschwerdeführers und des Viertbeschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 11.05.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt römisch II.) ab. Weiters wurde den genannten Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt, ihnen gegenüber gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt römisch IV.).
Die Erstbeschwerdeführerin stellt am 09.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Dabei gab sie u.a. an, afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara zu sein. Befragt zu ihren Fluchtgründen führte sie an, Afghanistan als Kind verlassen zu haben, weil ihr Vater ermordet worden sei. Den Iran habe sie verlassen, weil sie dort nicht mehr sicher sei und zwangsverheiratet hätte werden sollen.
Am 26.06.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 12.10.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt römisch II.) ab. Weiters wurde der Erstbeschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gegenüber der Erstbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt römisch VI.).
Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.12.2018 und am 26.11.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der insbesondere die Erstbeschwerdeführerin in Anwesenheit ihres Rechtsvertreters befragt wurde. Die Erstbeschwerdeführerin legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer und zu ihren Fluchtgründen:
Die Beschwerdeführer tragen die im Spruch genannten Namen und sind an den im Spruch genannten Daten geboren. Die Zweitbeschwerdeführerin hat drei in Österreich aufhältige Kinder, die Erstbeschwerdeführerin, den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer. Ein weiterer Sohn der Zweitbeschwerdeführerin ist in der Türkei aufhältig.
Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.
Die Beschwerdeführer verließen Afghanistan nach dem Tod des Ehemannes der Zweitbeschwerdeführerin (bzw. Vaters der übrigen Beschwerdeführer) etwa im Jahr 2003 und ließen sich im Iran nieder.
Der im Iran aufhältige Bruder des verstorbenen Ehemannes der Zweitbeschwerdeführerin (bzw. Vaters der übrigen Beschwerdeführer) schrieb der Erstbeschwerdeführerin vor, nach einem traditionellen Frauenbild zu leben; die Erstbeschwerdeführerin durfte sich nicht alleine frei bewegen und musste einen Hijab tragen. Zudem wollte er die Erstbeschwerdeführerin zwangsverheiraten.
Daraufhin verließen die Beschwerdeführer im Jahr 2015 den Iran und reisten Richtung Türkei. An der iranisch-türkischen Grenze verlor die Erstbeschwerdeführerin die übrigen Beschwerdeführer aus den Augen. Die Zweitbeschwerdeführerin reiste mit ihren Söhnen, dem Drittbeschwerdeführer und dem Viertbeschwerdeführer, schlepperunterstützt weiter und erreichte im August 2015 Österreich, wo sie am 21.08.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die Erstbeschwerdeführerin verbrachte etwa drei Jahre lang in der Türkei und reiste im April 2018 schlepperunterstützt in Österreich ein, wo sie am 09.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Erstbeschwerdeführerin besuchte sieben Jahre lang die Schule im Iran. In der Türkei lebte die Beschwerdeführerin zunächst ein Jahr lang bei ihrem Bruder und arbeitete dann für zwei Jahre als Pflegerin bei einer Türkin. In Österreich besucht die Beschwerdeführerin seit Mai 2018 eine Handelsschule. Zusätzlich besucht sie einen Deutschkurs und verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache.
Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Diese von der Erstbeschwerdeführerin in Österreich angenommene "westliche" Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden. Es kann von ihr daher nicht erwartet werden, diese Lebensweise in Afghanistan zu unterdrücken oder überhaupt abzulegen, um dort nicht physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler) zur Lage der Frauen in Afghanistan (Hervorhebungen nicht im Original):
"Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.01.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 02.09.2019). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.06.2018; vergleiche AF 13.12.2017).
Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (BFA 4.2018; vergleiche AA 02.09.2019), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 02.09.2019).
Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (BFA 13.06.2019).
Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vergleiche BFA 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht, Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Wenngleich die afghanische Regierung Schritte unternommen hat, um das Wohl der Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Gewalt zu eliminieren, bleibt die Situation für viele Frauen unverändert, speziell in jenen Regionen, wo nach wie vor für Frauen nachteilige Traditionen fortbestehen (BFA 4.2018; vergleiche UNAMA 24.12.2017).
Seit dem Fall der Taliban wurden mehrere legislative und institutionelle Fortschritte beim Schutz der Frauenrechte erzielt; als Beispiele wurden der bereits erwähnte Artikel 22 in der afghanischen Verfassung (2004) genannt, sowie auch Artikel 83 und 84, die Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm Women's Economic Empowerment gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 03.04.2019). So hat die afghanische Regierung u.a. gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das "Gender Equality Project" der Vereinten Nationen soll die afghanische Regierung bei der Förderung von Geschlechtergleichheit und Selbstermächtigung von Frauen unterstützen (Najimi 2018).
Im Zuge der Friedensverhandlungen bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (TN 0310.5.2019; vergleiche Taz 06.02.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu lernen, zu studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass "im Namen der Frauenrechte" Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 06.02.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 03.09.2019). Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (BFA 13.06.2019).
Einem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen 2.286 Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.03.2018), was an zunehmendem Bewusstsein und dem Willen der Frauen, sich bei Gewaltfällen an relevante Stellen zu wenden, liegt (PAJ 10.12.2018).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 02.09.2019).
Bildung für Mädchen
Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten (HRW 17.10.2017). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung, sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 13.3.2019; vergleiche UNICEF 27.05.2019). Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. UNICEF zufolge haben sich die Angriffe auf Schulen in Afghanistan zwischen 2017 und 2018 von 68 auf 192 erhöht und somit verdreifacht. Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.05.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019).
Schätzungen zufolge sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.05.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.05.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017).
Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.08.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.06.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u. a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (BFA 13.06.2019).
Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.05.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.05.2019; UNAMA 24.04.2019; PAJ 16.04.2019; PAJ 15.04.2019; UNAMA 24.02.2019; PAJ 31.01.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren:
Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.05.2019). Mittlerweile ist nicht mehr die Schließung von Schulen (wie es während der gewalttätigen Kampagne in den Jahren 2006 - 2008 der Fall war) Ziel der Aufständischen, sondern vielmehr die Erlangung der Kontrolle über diese. Die Kontrolle wird durch Vereinbarungen mit den jeweiligen örtlichen Regierungsstellen ausgehandelt und beinhaltet eine regelmäßige Inspektion der Schulen durch die Taliban (AREU 01.2016).
Landesweit waren im Jahr 2016 182.344 Studenten an 36 staatlichen (öffentlichen) Universitäten eingeschrieben, davon waren 41.041 (AF 13.02.2019; vergleiche WB 06.11.2018), also nur 22,5%, weiblich. Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv:
Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung - Kankor - ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen, und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.02.2019).
Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.02.2019).
Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht: [...]
Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen (WB 06.11.2018). Beispielsweise gibt es mittlerweile die erste (und einzige) Frau Afghanistans, die einen Doktor in Spielfilmregie und Drehbuch hat - diesen hat sie an einer Akademie in Bratislava abgeschlossen (RY 16.05.2019).
Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vergleiche EN 25.10.2018; Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 07.11.2017).
[...]
Berufstätigkeit von Frauen
Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 13.03.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 02.09.2019; vergleiche BBW 28.08.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 06.09.2019).
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 03.04.2019). Für das Jahr 2018 wurde der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von der Weltbank mit 35,7% angegeben (WB 4.2019). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.03.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.07.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 06.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.07.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 13.03.2019); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 13.03.2019).
Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (BFA 4.2018; vergleiche FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b).
Politische Partizipation und Öffentlichkeit
Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt (USDOS 13.03.2019). Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert AA 02.09.2019; vergleiche USDOS 13.03.2019).
Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 07.03.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.05.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 02.09.2019), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2018 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.03.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2019 (AA 02.09.2019).
Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 13.03.2019).
Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.05.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 03.05.2019).
Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 06.09.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80 - 85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.04.2019).
[...]
Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung
Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (USDOD 6.2019). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 02.09.2019). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 13.03.2019). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin, sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019). Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten, und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Stand 2017 gab es landesweit 208 FRUs (USDOD 12.2017).
Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet (BFA 4.2018; vergleiche TD 04.12.2017).
EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch
Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt (AA 02.09.2019). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.05.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsidialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 13.03.2019).
Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vergleiche AAN 29.05.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.08.2019).
Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Justiz war weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt, unzureichend ausgebildet, weitgehend ineffektiv und Drohungen, Voreingenommenheit, politischem Einfluss und allgegenwärtiger Korruption ausgesetzt (USDOS 13.03.2019; vergleiche AA 02.09.2019). Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015 - 12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vergleiche AAN 29.05.2018).
Frauenhäuser
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 02.09.2019). Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen. Fast alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Institutionen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan (NYT 17.03.2018).
Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für "unmoralische Handlungen" und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 02.09.2019). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.03.2018).
Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu eine Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 02.09.2019).
Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 16 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 13.03.2019).
In einigen Fällen werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen auch in Gefängnisse gebracht, um sie gegen weitere Missbräuche zu schützen. Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet, und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert (USDOS 13.03.2019).
Auch arrangiert das Ministerium für Frauenangelegenheiten Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können. In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal werden Frauen stellvertretend für verurteilte männliche Verwandte inhaftiert, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 13.03.2019).
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 02.09.2019). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA 03.07.2014) und kommen auch weiterhin vor. UNAMA berichtet von 280 Ehrenmorden im Zeitraum Jänner 2016 - Dezember 2017, wobei nur 18% von diesen zu einer Verurteilung und Haftstrafe führten. Trotz des Verbotes im EVAW-Gesetz üben Behörden oft Druck auf Opfer aus, auch schwere Verbrechen durch Mediation zu lösen. Dies führt zu Straflosigkeit für die Täter (USDOS 13.03.2019). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (KP 23.03.2016; vergleiche UNAMA 5.2018).
Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (AA 02.09.2019; vergleiche USDOS 13.03.2019, MBZ 07.03.2019, 20 minutes 28.11.2018). Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht (AA 02.09.2019). Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre (USDOS 13.03.2019; vergleiche AA 02.09.2019). Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden (USDOS 13.03.2019). In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von 15 Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (MBZ 07.03.2019). Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden (MBZ 07.03.2019). Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert (USDOS 13.03.2019). Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens ein Kind unter 18 Jahren verheiratet (MBZ 07.03.2019).
Mahr, eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet
Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet (MoLSAMD/UNICEF 7.2018), insbesondere im ländlichen Raum (WAW o.D.) und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen - das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist - selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen (AAN 25.10.2016). Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (WAW o.D.).
Die Praktiken des Badal und Ba'ad/Swara, bei denen Bräute zwischen Familien getauscht werden, sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Badal ist gesetzlich nicht verboten und weit verbreitet (USDOS 13.03.2019; vergleiche WAW o.D.). Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (MoLSAMD/UNICEF 7.2018).
Die Praxis des Ba'ad bzw. Swara ist in Afghanistan gesetzlich verboten, jedoch in ländlichen Regionen - vorwiegend in paschtunischen Gebieten - weit verbreitet. Dabei übergibt eine Familie zur Streitbeilegung ein weibliches Familienmitglied als Braut oder Dienerin an eine andere Familie. Das Alter der Frau spielt keine Rolle, es kann sich dabei auch um ein Kleinkind handeln (TRT 17.05.2019; vergleiche USDOS 13.03.2019, EASO 12.2017). Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (EASO 12.2017).
Familienplanung und Verhütung
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 02.09.2019; vergleiche UNPF 17.07.2018, HPI 22.10.2016). Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (UNPF 17.07.2018).
Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür, und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (BFA 13.06.2019).
Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, USAID's Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielt darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel ist, das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden. Auch wurden SMS-Nachrichten über Familienplanung an einen Mobilfunkbetreiber übermittelt, um Missverständnisse über reproduktive Dienstleistungen aufzulösen. Dabei wurden auch Informationen weitergegeben, wie zum Beispiel die Anwendung von Chlorhexidin (CHX) unmittelbar nach der Geburt. Bis Dezember 2018 wurden 70.030 Anrufe gezählt, um das gesamte Angebot der Familienplanung von HEMAYAT anzuhören, wobei 60.586 Anrufer die Aufnahmen komplett zu Ende hörten. Unter anderem wurde CHX von Jänner - März 2019 bei 48.800 Neugeborenen angewendet; auch wurden
59.198 Neugeborene innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt gestillt (SIGAR 30.07.2019).
Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 02.09.2019). Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anm.: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 661 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (UNPF 17.07.2018; zum Vergleich Österreich: 4).
Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (USDOS 13.03.2019).
Reisefreiheit von Frauen
Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen eingeschränkt (USDOS 13.03.2019; vergleiche BFA 4.2018, MBZ 07.03.2019, BFA 13.06.2019). Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 02.09.2019; vergleiche MBZ 07.03.2019, BFA 13.06.2019).
Gemäß Aussagen der Direktorin von Afghan Women's Network können sich Frauen ohne Burqa und ohne männliche Begleitung im gesamten Land frei bewegen (CA 04.03.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (BFA 4.2018). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 07.03.2019).
Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In unzähligen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (BFA 4.2018; vergleiche BFA 13.06.2019)."
1.2.2. Auszüge aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (Hervorhebungen nicht im Original):
"Die Fähigkeit und Bereitschaft des Staates, Zivilisten vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen
Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der nach nationalem und internationalem Recht bestehenden Verpflichtung Afghanistans diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsführung Afghanistans und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen.
Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte seien oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Der UN-Ausschuss gegen Folter brachte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Regierung keine geeigneten Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten vor Repressalien für ihre Arbeit ergreift.
Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung.190 Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass afghanische Bürger Bestechungsgelder zahlen müssen, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten, etwa dem Büro des Provinzgouverneurs, dem Büro des Gemeindevorstehers und der Zollstelle. Innerhalb der Polizei, so heißt es, sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem sei auf ähnliche Weise von weitverbreiteter Korruption betroffen.
Berichten zufolge wenden sich lokale Gemeinschaften in einigen Gebieten an parallele Justizstrukturen, etwa örtliche Räte oder Ältestenräte oder Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle zu regeln. UNAMA stellt allerdings fest, dass diese Strukturen den Gemeinschaften in der Regel aufgezwungen werden und dass die in diesem Rahmen verhängten Strafen wie Hinrichtungen und Amputationen nach afghanischem Recht kriminelle Handlungen darstellen."
"Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben
Die Regierung hat seit 2001 eine Reihe von Schritten zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Verabschiedung von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe der Frauen und die Schaffung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten. Allerdings stieß die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung immer wieder auf Widerstände. Das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen wurde 2009 durch Präsidialerlass verabschiedet, doch lehnten es konservative Parlamentsabgeordnete und andere konservative Aktivisten weiterhin ab. Das überarbeitete Strafgesetzbuch Afghanistans, das am 4. März 2017 mit Präsidialerlass verabschiedet wurde, enthielt ursprünglich alle Bestimmungen des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und stärkte die Definition des Begriffs Vergewaltigung. Jedoch wies Präsident Ghani das Justizministerium im August 2017 angesichts der Ablehnung durch die Konservativen an, das diesem Gesetz gewidmete Kapitel aus dem neuen Strafgesetzbuch zu entfernen. Das neue Strafgesetzbuch trat im Februar 2018 in Kraft, während in einem Präsidialerlass klargestellt wurde, dass das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen von 2009 als eigenes Gesetz weiterhin Geltung hat.
Laut Berichten, halten sich die Verbesserungen in der Lage der Frauen und Mädchen insgesamt sehr in Grenzen. Laut der Asia Foundation erschweren ‚der begrenzte Zugang zum Bildungs- und Gesundheitswesen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, ungerechte Bestrafungen für ‚Verbrechen gegen die Sittlichkeit', ungleiche Teilhabe an der Regierung, Zwangsverheiratung und Gewalt' nach wie vor das Leben der Frauen und Mädchen in Afghanistan. Depressionsraten aufgrund von häuslicher Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen nehmen Berichten zufolge unter afghanischen Frauen zu. Es wird berichtet, dass 80 Prozent der Selbstmorde in Afghanistan von Frauen begangen werden und sich manche von ihnen durch Selbstverbrennung das Leben nehmen.
Die Unabhängige Menschenrechtskommission für Afghanistan (AIHRC) stellte fest, dass Gewalt gegen Frauen noch immer eine ‚weit verbreitete, allgemein übliche und unleugbare Realität' ist und dass Frauen in unsicheren Provinzen und im ländlichen Raum besonders gefährdet durch Gewalt und Missbrauch sind. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte sehr oft straflos bleiben. Sexuelle Belästigung und die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleiben, so die Berichte, endemisch.
Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen Berichten zufolge überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.
Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz der Frauenrechte weiterhin nur langsam umgesetzt werden, vor allem was das Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen betrifft. Das Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge jedoch der Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend werde es nicht vollständig angewendet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Frauen hätten nur in sehr geringem Maße Zugang zur Justiz. Die überwiegende Mehrheit der Fälle von gegen Frauen gerichteten Gewaltakten, einschließlich schwerer Verbrechen gegen Frauen, würden noch immer nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen geschlichtet, anstatt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. Berichten zufolge leiten sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften sowie Einrichtungen gemäß dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen zahlreiche Fälle, auch schwere Verbrechen, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiter und unterminieren dadurch die Umsetzung dieses Gesetzes und fördern die Beibehaltung schädlicher traditioneller Bräuche. Durch Entscheidungen dieser Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanen und Ausgrenzung ausgesetzt.
Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere für Frauen diskriminierende Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.
Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die effektiv von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.
Regierungsfeindliche Kräfte schränken Berichten zufolge die Grundrechte von Frauen in diesen Gebieten weiterhin massiv ein, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, politische Teilhabe, Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Bildung. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich den Frauen beim Zugang zur Justiz besondere Hindernisse entgegenstellen und dass ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von regierungsfeindlichen Kräften in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge regelmäßig die Rechte von Frauen."
"Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen
Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören strenge Kleidungsvorschriften sowie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer, wie etwa Witwen und geschiedene Frauen, sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Lebensgrundlagen, sind sie kaum in der Lage zu überleben.
Bestrafungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia treffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, etwa Inhaftierung aufgrund von ‚Verstößen gegen die Sittlichkeit' wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, und ‚Weglaufen von zu Hause' (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Einem beträchtlichen Teil der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden ‚Verstöße gegen die Sittlichkeit' zur Last gelegt. Es wird berichtet, dass weibliche Inhaftierte oft Tätlichkeiten sowie sexueller Belästigung und Missbrauch ausgesetzt sind. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen ‚Verstößen gegen die Sittlichkeit' Anlass zu Gewalt oder Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen."
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zu den Namen und Geburtsdaten der Beschwerdeführer beruhen auf ihren Angaben in der Erstbefragung, in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Beschwerdeführer im Asylverfahren.
Die Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit, der Volksgruppen- und der Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer gründen sich auf ihre diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.
Die Angaben der Beschwerdeführer zu ihren Aufenthaltsorten, ihrem Familienstand und dem vom Bruder des Ehemannes der Zweitbeschwerdeführerin (bzw. Vaters der übrigen Beschwerdeführer) vertretenen Frauenbild waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan bzw. im Iran plausibel. Die Feststellungen zur schulischen Ausbildung der Erstbeschwerdeführerin sowie der Deutschkenntnisse ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, in welcher darüber hinaus damit im Einklang stehende Bescheinigungsmittel vorgelegt wurden vergleiche insbesondere Seiten 6 f des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019 und Beilage ./1 zum Verhandlungsprotokoll vom 26.11.2019).
2.2. Zu den Feststellungen zur "westlichen" Orientierung der Erstbeschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, den vorgelegten Integrationsunterlagen und dem persönlichen Eindruck, der von der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.
Die Erstbeschwerdeführerin vermochte zu überzeugen, dass sie sich einer "westlichen" Wertehaltung und einem "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt hat, danach lebt und daran festzuhalten gewillt ist.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung den Eindruck gewonnen, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Frau handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt und abgelegt hat und demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und - aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition - auch danach lebt. Die Erstbeschwerdeführerin gab selbstbewusst, ohne zu zögern bzw. ohne Scheu, ihre Meinung zu äußern, überlegte und gut formulierte Antworten, sodass sich in der mündlichen Verhandlung ein klares und nachhaltiges Bild von ihren Einstellungen und Verhaltensmustern ergab.
Die Erstbeschwerdeführerin erweckte in der mündlichen Verhandlung den Eindruck einer jungen Frau mit klaren Zielen und einem Fokus auf ihre Ausbildung und ihre persönliche Entfaltung:
Die Erstbeschwerdeführerin besucht seit Mai 2018 eine Handelsschule, nahm an einem Werte- und Orientierungskurs teil und schloss diesen mit einer positiven Integrationsprüfung A1 ab (siehe dazu Sitzung 6 des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019 sowie Beilage ./2 zum Verhandlungsprotokoll vom 26.11.2019). Zudem war sie bereits gemeinnützig in ihrer Gemeinde im Bereich der Flurreinigung tätig (siehe dazu Beilage ./2 zum Verhandlungsprotokoll vom 26.11.2019). Die Erstbeschwerdeführerin hat Berufserfahrung als Altenpflegerin in der Türkei (siehe Sitzung 8 des Verhandlungsprotokolls vom 05.12.2018) und möchte daher auch als Alten- oder Krankenpflegerin in Österreich arbeiten. Sie hat sich bereits über die Voraussetzungen für die Ausübung dieser Berufe erkundigt (siehe Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls vom 05.12.2018 sowie Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019). Die Erstbeschwerdeführerin hat insgesamt klare und realistische Vorstellung von ihrer Zukunft in Österreich.
Zudem verfügt die Erstbeschwerdeführerin über nachhaltige soziale Kontakte in Österreich (siehe Sitzung 8 f des Verhandlungsprotokolls vom 05.12.2019 sowie Sitzung 9 f des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019), besucht kulturelle Veranstaltungen in Österreich (siehe Sitzung 6 ff des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019) und betreibt Sport vergleiche Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls 05.12.2018, Sitzung 6 des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019 sowie Beilage ./2 zum Verhandlungsprotokoll vom 26.11.2019).
Die Erstbeschwerdeführerin verfügt derzeit noch nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache vergleiche Sitzung 7 des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019). Allein der Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht, spricht jedoch noch nicht gegen eine "westliche" Lebensweise vergleiche dazu VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0357). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zugunsten der Erstbeschwerdeführerin, dass sich die Erstbeschwerdeführerin erst seit April 2018 in Österreich befindet und sich um die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse bemüht, indem sie an Deutschkursen teilnimmt und zur Schule geht (siehe Sitzung 7 des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019), sodass unter Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls die mangelhaften Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin das im Übrigen entstandene Bild einer stark verinnerlichten "westlichen" Lebenshaltung nicht maßgeblich zu beeinträchtigen vermögen.
Die Erstbeschwerdeführerin hat in der Beschwerdeverhandlung verdeutlicht, dass sie ihr Äußeres und ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen angepasst hat und dass sie die - in Afghanistan für Frauen üblichen - traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben ablehnt (siehe Sitzung 10 f des Verhandlungsprotokolls vom 05.12.2019 sowie Sitzung 6 ff des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019). Die Erstbeschwerdeführerin ist sich der unterschiedlichen Rollen der Frau in Afghanistan und Österreich bewusst, sie lehnt die der Frau in Afghanistan zukommende Rolle ab und nimmt - nunmehr in Österreich angekommen - ihre Rechte als in Österreich lebende Frau wahr vergleiche Sitzung 6 ff des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019). Dies wird auch durch das äußere Erscheinungsbild der Erstbeschwerdeführerin verdeutlicht. So lehnt diese die laut der afghanischen Tradition üblichen Kleidungsvorschriften ab und erschien auch zur mündlichen Beschwerdeverhandlung mit einem kurzen Rock, einer Bluse und einem Blazer, mit einer modischen Frisur, geschminkt und ohne Kopftuch (siehe Sitzung 10 f des Verhandlungsprotokolls vom 05.12.2018). Zudem geht die Erstbeschwerdeführerin gerne Radfahren, Schwimmen, Inlineskaten und spielt Volleyball vergleiche Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls 05.12.2018, Sitzung 6 des Verhandlungsprotokolls vom 26.11.2019 sowie Beilage ./2 zum Verhandlungsprotokoll vom 26.11.2019).
In einer Gesamtschau kommt das Bundesverwaltungsgericht deshalb zur Auffassung, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau handelt, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist, und dass diese von der Erstbeschwerdeführerin in Österreich angenommene "westliche" Lebensweise zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. mit Schreiben vom 20.11.2019 ins Verfahren eingebracht. Den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Parteien verzichteten auf eine Stellungnahme zu den Länderberichten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) Zuerkennung des Status der Asylberechtigten:
3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr vergleiche VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann vergleiche VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0357, und jüngst VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0447). Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste. Dabei führt aber nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte vergleiche zu alldem VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301, mwN).
Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Stellt ein Familienangehöriger iSd Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß Paragraph 34, Absatz eins, leg.cit. als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 2, leg.cit. auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3, leg.cit.) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7, leg.cit.).
Gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen, die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 des Paragraph 34, leg.cit. erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.
3.1.2. Aufgrund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen ist es der Erstbeschwerdeführerin gelungen, glaubhaft zu machen, dass es sich bei ihr um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau handelt, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist, und dass diese von der Erstbeschwerdeführerin in Österreich angenommene "westliche" Lebensweise zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist.
Sie hat daher aus nachstehenden Gründen eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe aufgezeigt:
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, Asylrelevanz erreichen.
Den aktuellen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass kulturelle Verbote für die freie Fortbewegung und das Verlassen des Hauses ohne Begleitperson viele Frauen daran hindern, außerhalb ihres Hauses zu arbeiten, und ihren Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge, Polizeischutz und andere soziale Leistungen begrenzen. Öffentliche Schande haftet Frauen an, die ihr Haus ohne männliche Begleitperson verlassen. Frauen sind besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.
Für die Erstbeschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbarer Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Die Erstbeschwerdeführerin unterliegt allerdings einer erhöhten Gefährdung, in Afghanistan dieser Situation ausgesetzt zu sein, weil sie aufgrund ihrer Wertehaltung und Lebensweise gegenwärtig in Afghanistan als eine Frau wahrgenommen würde, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt vergleiche dazu EGMR, 20.07.2010, 23.505/09, N./Schweden). Die die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedrohende Situation ist in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität.
Es ist nach Lage des Falles davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin vor dieser Bedrohung in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden kann. Zwar stellen diese Umstände keine Eingriffe von "offizieller" Seite dar, das heißt, sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet; andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Gegenwärtig besteht in Afghanistan kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber vergleiche zur Fähigkeit und Bereitschaft des Staates, Zivilisten vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, Pkt. 1.2.2.). Für die Erstbeschwerdeführerin ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Frau betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Auch die für die Asylgewährung erforderliche Anknüpfung an einen Konventionsgrund (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) ist im vorliegenden Fall gegeben. Bei der Erstbeschwerdeführerin liegt das dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen vergleiche dazu VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0447, mwN).
Es ist daher zu prognostizieren, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle ihrer nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan als westlich orientierte Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität ausgesetzt sein wird.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Erstbeschwerdeführerin nicht, zumal im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen ist, in der die am "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen einem erhöhten Sicherheitsrisiko und den daraus resultierenden Einschränkungen ausgesetzt sind.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.
Angesichts dieses Ergebnisses kann dahin gestellt bleiben, ob der Erstbeschwerdeführerin auch Verfolgung aus anderen in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen droht.
Da auch keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war der Erstbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
3.1.3. Da im vorliegenden Fall ein Familienverfahren im Sinne des Paragraph 34, AsylG 2005 vorliegt (zur Anwendbarkeit des Paragraph 34, AsylG 2005 auch in jenen Konstellationen, in denen das Kind während des laufenden Verfahrens Volljährigkeit erlangt, vergleiche VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040) und der zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen und ledigen Erstbeschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist auch der Zweitbeschwerdeführerin als ihre Mutter der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des Paragraph 34, Absatz 2, Ziffer eins bis 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.
Auch wenn in Paragraph 34, Absatz 6, Ziffer 2, AsylG 2005 nicht ausdrücklich auf den "Zeitpunkt der Antragstellung" hingewiesen wird, ergeben sich aus den Erläuterungen Regierungsvorlage 330 BlgNR 24. GP, 24) keine Hinweise darauf, dass der Begriff "Familienangehöriger" innerhalb des Paragraph 34, AsylG 2005 unterschiedlich ist und insbesondere der in Paragraph 34, Absatz 6, Ziffer 2, AsylG 2005 verwendete Begriff des "minderjährigen ledigen Kindes" als "Familienangehöriger" nicht im Sinn der Legaldefinition des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 zu verstehen wäre. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der im Antragszeitpunkt minderjährige (und ledige) Dritt- und Viertbeschwerdeführer als Familienangehörige ihrer Mutter, der Zweitbeschwerdeführerin, anzusehen sind, sodass die Voraussetzungen des Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 vorliegen und die Bestimmungen des Familienverfahrens umfänglich anzuwenden sind. In einem solchen Fall schließt Paragraph 34, Absatz 6, Ziffer 2, AsylG 2005 eine nach den Bestimmungen des Familienverfahrens erfolgte Zuerkennung des Status der Asylberechtigten an die Mutter nicht aus, dass auch dem Drittbeschwerdeführer und dem Viertbeschwerdeführer wiederum im Weg des Familienverfahrens der Status der Asylberechtigten in Ableitung von ihrem Mutter zuerkannt werden kann (VwGH 29.04.2019, Ra 2018/20/0031).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418, ausdrücklich ausgesprochen, dass dem Gesetzgeber dann, wenn einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status der Asylberechtigten zu gewähren ist, nicht unterstellt werden kann, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären; dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen. Es kann daher im vorliegenden Fall dahin gestellt bleiben, ob der Zweitbeschwerdeführerin, dem Drittbeschwerdeführer und dem Viertbeschwerdeführer auch aufgrund eigener Fluchtgründe der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen wäre.
3.1.4. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.1.5. Gemäß Paragraph 3, Absatz 4, in Verbindung mit Paragraph 75, Absatz 24, AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, wenn er einen Antrag auf internationalen Schutz nicht vor dem 15.11.2015 gestellt hat. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
Die gegenständlichen Anträge der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Dritt- und Viertbeschwerdeführers wurden zwar am 23.08.2015, somit vor dem 15.11.2015, der Antrag der Erstbeschwerdeführerin allerdings am 09.04.2018, sohin nach dem 15.11.2015, gestellt. Den Beschwerdeführern, denen der Status der Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens zuerkannt wurde, kommt - wie der Erstbeschwerdeführerin - eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu vergleiche dazu auch Paragraph 3, Absatz 4 b, AsylG 2005, wonach Absatz 4, dieser Bestimmung in einem Familienverfahren gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 mit der Maßgabe gilt, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem Recht abgeleitet wird).
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist - soweit diese nicht unvertretbar ist - nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN).
ECLI:AT:BVWG:2019:W244.2209279.1.01