BVwG
29.08.2019
W271 2175246-1
W271 2175227-1/18E
W271 2175245-1/18E
W271 2175246-1/16E
W271 2175241-1/16E
W271 2175243-1/16E
W271 2214042-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 alias
römisch 40 , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am römisch 40 und römisch 40 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am römisch 40 und römisch 40 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der minderjährigen römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreter: römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , und römisch 40 , geb. römisch 40 , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am römisch 40 und römisch 40 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreter: römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , und römisch 40 , geb. römisch 40 , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am römisch 40 und römisch 40 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
5.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der minderjährigen römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreter: römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , und römisch 40 , geb. römisch 40 , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am römisch 40 und römisch 40 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
6.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreterin: römisch 40 , geb. römisch 40 , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 , Zl. römisch 40 , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am römisch 40 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
römisch eins. Verfahrensgang
1. Der Erstbeschwerdeführer römisch 40 (in der Folge: "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin römisch 40 (in der Folge: "BF2") stellten am römisch 40 zusammen mit ihren drei minderjährigen Kindern (Drittbeschwerdeführerin römisch 40 , in der Folge: "BF3";
Viertbeschwerdeführer römisch 40 , in der Folge: "BF4";
Fünftbeschwerdeführerin römisch 40 , in der Folge: "BF5"), alle afghanische Staatsangehörige der Volksgruppe der Tadschiken, einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am römisch 40 fand die Erstbefragung des BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt.
2. a. Der BF1 gab im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei am römisch 40 in Kabul geboren worden und habe vier Jahre lang eine Grundschule besucht. Danach habe der BF1 etwa acht Jahre lang als Computertechniker (selbst beigebracht) gearbeitet. Dieser gab weiters an, über eine Familie im Herkunftsland zu verfügen: Diese bestehe aus seinen Eltern und seinen Geschwistern (zwei Brüder und vier Schwestern). Außerdem halte sich eine Schwester in Österreich auf.
Als Fluchtgrund führte der BF1 an, dass er durch seinen Beruf Kontakt zu diversen NGOs gehabt habe - er habe dort Drucker- und Computerreparaturen durchgeführt. Eines Tages, als der BF1 sein Geschäft habe schließen wollen, seien zwei Personen gekommen und hätten von ihm verlangt, einen Drucker in eine dieser Organisationen zu transportieren; dafür hätten diese ihm USD römisch 40 bezahlt. Der BF1 habe das Angebot abgelehnt und sei mit dem Umbringen bedroht worden. Anschließend sei er eine Woche lang nicht mehr in die Arbeit gegangen. Dann seien die Männer zum BF1 gekommen und hätten ihn abermals mit dem Umbringen bedroht, weshalb er in den Iran geflohen sei. Nach sechs Monaten habe die Polizei die Familie nach Afghanistan abschieben wollen, der BF1 habe aber Schmiergeld gezahlt und die Familie sei in die Türkei gereist. In der Türkei seien sie fünf Monate in einer Mietwohnung geblieben, der BF1 habe aber nicht arbeiten können und es habe keine finanzielle Hilfe vom Staat gegeben. Um seiner Familie ein besseres Leben zu bieten, habe dieser die Türkei verlassen.
2. b. Die BF2 führte im Wesentlichen Folgendes an:
Sie sei am römisch 40 in Kabul geboren worden, habe 12 Jahre lang eine Grundschule besucht und sei Hausfrau gewesen. Im Herkunftsstaat würden ihre Eltern sowie ihre Geschwister (drei Brüder und drei Schwestern) leben.
Als Fluchtgrund gab die BF2 zu Protokoll, dass ihr Ehemann in Afghanistan von den Taliban mit dem Umbringen bedroht worden sei. Diese hätten verlangt, dass er mit ihnen kooperiere; er habe irgendetwas transportieren sollen, habe sich aber geweigert und sei mit dem Umbringen bedroht worden. Deshalb sei die Familie in den Iran geflohen. Weil ihnen die Abschiebung gedroht habe, seien sie weiter in die Türkei gereist, wo sie sich fünf Monate aufgehalten hätten. Die Familie habe einen Asylantrag gestellt, aber die finanzielle Lage sei nicht gut gewesen. Sie hätten gehört, dass die finanzielle Unterstützung in Österreich besser sei, weswegen sie nach Österreich gewollt hätten.
3. Die Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") erfolgte am römisch 40 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson.
Zu Beginn der Vernehmung wies der BF1 darauf hin, dass in der Erstbefragung nicht alles vollständig protokolliert worden sei und es gebe Stellen, die er nicht gesagt habe; dieser wolle ergänzen, dass es damals schon Vorfälle gegeben habe.
3. a. Der BF1 schilderte, dass er römisch 40 in Kabul geboren worden sei und aufgrund der Sicherheitslage keine Schule besucht habe. Als er 12 Jahre alt gewesen sei, habe er zwei Jahre in Pakistan gelebt und als Teppichknüpfer gearbeitet. Nach seiner Heirat habe der BF1 in einer Mietwohnung in Kabul gelebt. Er habe für elf Jahre als Computertechniker gearbeitet und drei Jahre sogar eine eigene Firma gehabt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt schilderte der BF1 zusammengefasst, dass er in seinem Geschäft gearbeitet habe, als zwei unbekannte Männer gekommen seien und ihm einen Vertrag angeboten hätten. Laut diesem Vertrag hätte er eine Kopiermaschine von römisch 40 (NGO-Organisation), die bei ihm im Geschäft gewesen sei, austauschen und stattdessen eine HP-Kopiermaschine, die ihm diese Personen übergeben hätten, zu dem Gebäude der NGO bringen sollen. Dafür seien dem BF1 USD römisch 40 versprochen worden. Der BF1 habe dann nachgefragt, was sie damit bezwecken würden: Die Personen hätten gemeint, dass es nicht seine Sache wäre. Der BF1 habe daraufhin gesagt, dass er Zeit für eine Entscheidung benötige. Ab diesem Zeitpunkt sei er dann nicht mehr in die Arbeit gegangen. Eine Woche später sei der BF1 dann von Leuten bei seinem Haus aufgesucht und bedroht worden.
3. b. Die BF2 führte im Rahmen der Befragung zum Fluchtgrund an, in Kabul geboren worden zu sein und zehn Jahre lang eine Schule besucht zu haben, wo sie den Stoff von zwölf Jahren gelernt habe. Sie sei zuletzt Hausfrau gewesen.
Zum Fluchtgrund schilderte die BF2, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe. Sie sei nicht persönlich verfolgt worden. Die BF3 bis BF5 hätten ebenfalls keine eigenen Fluchtgründe. Die BF2 sei zusammen mit den Kindern nur ihrem Ehemann gefolgt. Die Bedrohung ihres Mannes sei der Grund für die Ausreise gewesen; die Taliban seien gekommen und hätten sie bedroht.
4. Mit Bescheiden vom jeweils römisch 40 wies das BFA die Anträge der BF1 bis BF5 auf internationalen Schutz gemäß Paragraphen 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.
5. Die BF1 bis BF5 erhoben jeweils am römisch 40 gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Insbesondere wurde dort vorgebracht, dass der BF1 wegen seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen/NGOs im Herkunftsstaat bedroht sowie verfolgt werden würde und der BF2 eine Gefahr wegen ihres westlichen Lebensstils drohe. In Afghanistan herrsche überdies eine schlechte Sicherheitslage und es stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative für die Familie zur Verfügung.
6. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom römisch 40 . Am römisch 40 langten die Akten der BF1 bis BF5 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.
7. Mit Schreiben vom römisch 40 brachten die BF1 bis BF5 mehrere Dokumente zum Leben der BF in Österreich in Vorlage.
8. Das BVwG führte am römisch 40 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin der BF1 bis BF5 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde auch eine Vertrauensperson der Familie als Zeuge einvernommen.
Zu Beginn seiner Einvernahme gab der BF1 bekannt, dass er bei der Erstbefragung über den Fall ausführlich gesprochen habe, aber alles ganz kurz niedergeschrieben worden sei. Die BF2 vermeinte, dass der Dolmetscher bei der Erstbefragung nicht alles verstanden habe. Daraufhin äußerte die Rechtsvertretung, dass diese im Rahmen der Vorbereitungen nicht bekannt gegeben habe, ob bzw. dass etwas falsch übersetzt worden sei.
9. Am römisch 40 wurde der Sechstbeschwerdeführer römisch 40 (in der Folge: "BF6") als Sohn des BF1 und der BF2 in Österreich geboren. Seine Mutter stellte für diesen als gesetzlicher Vertreterin am römisch 40 einen Antrag auf internationalen Schutz. Beigelegt wurden dem Ansuchen eine Meldebestätigung und eine Geburtsurkunde.
10. Mit Bescheid vom römisch 40 wies das BFA den Antrag des BF6 auf internationalen Schutz gemäß Paragraphen 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.
11. Der BF6 erhob gegen diesen Bescheid am römisch 40 Beschwerde in vollem Umfang. Vorgetragen wurde, dass dieser im Bundesgebiet geboren worden sei und folglich keine eigenen Fluchtgründe habe. Hinsichtlich der detaillierten Beschwerdegründe werde auf die Fluchtgründe der Mutter verwiesen.
12. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom römisch 40 . Am römisch 40 langte der Akt des BF6 beim BVwG ein.
13. Mit Schreiben vom römisch 40 übermittelten die BF1 bis BF5 weitere Dokumente betreffend ihre Integration.
14. Am römisch 40 fand eine weitere Verhandlung in der Sache in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin der BF statt.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zu den BF
1.1.1. Der BF1 trägt den Namen römisch 40 und führt das Geburtsdatum XXXX
.
Die BF2 trägt den Namen römisch 40 und führt das Geburtsdatum römisch 40 .
Der BF1 und die BF2 sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen BF3 ( römisch 40 , geb. römisch 40 ), des minderjährigen BF4 ( römisch 40 , geb. römisch 40 ), der minderjährigen BF5 ( römisch 40 , geb. römisch 40 ) und des minderjährigen BF6 ( römisch 40 , geb. römisch 40 ). Alle sind afghanische Staatsbürger, Volksgruppenangehörige der Tadschiken und schiitische Moslems.
Die BF sprechen Dari als Muttersprache. BF1 und BF2 beherrschen die Sprache in Wort und Schrift. Der BF1 spricht auch etwas Englisch. Dari ist eine der Landessprachen Afghanistans.
1.1.2. Die BF1 bis BF5 wurden in Kabul geboren. Die Familie der BF lebte dort bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan in einem Mietshaus im römisch 40 . Kabuler Bezirk ( römisch 40 ). Der BF1 wuchs im Elternhaus im römisch 40 . Kabuler Bezirk ( römisch 40 ) auf. Der BF6 ist in Österreich auf die Welt gekommen. Die BF sind mit den familiären Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut.
1.1.3. Der BF1 war für einige Jahre in der Grundschule. Er war in Kabul für zumindest acht Jahre als Computertechniker tätig und hatte für drei Jahre ein eigenes Geschäft. Er besaß daneben auch noch ein zweites Geschäft für Männerkleidung. In seiner Jugendzeit arbeitete der BF1 zwei Jahre als Teppichknüpfer in Pakistan und während des Iranaufenthaltes der Familie in einer Plastikfabrik. Die BF2 besuchte zumindest zehn Jahre lang die Schule und war Hausfrau.
1.1.4. Die Eltern des BF1 sowie zwei Brüder und zwei Schwestern, zu denen Kontakt besteht, halten sich nach wie vor in Kabul auf. Außerdem gibt es einen Onkel väterlicherseits in Afghanistan. Drei weitere Schwestern des BF1 leben im Iran, in Deutschland und in Österreich.
Zu den Verwandten des BF1 in Kabul: Die Eltern des BF1 leben gemeinsam mit einem Bruder des BF1 und zwei Brüdern des Vaters in einem eigenen Haus im römisch 40 . Kabuler Bezirk ( römisch 40 ). Dieses Haus gehörte dem Großvater des BF1; auch der BF1 wohnte darin. Der andere Bruder des BF1 lebt im römisch 40 . Kabuler Bezirk ( römisch 40 ), eine Schwester lebt in römisch 40 und die zweite in römisch 40 . Die finanzielle Situation der Familie ist mittelmäßig; der älteste Bruder des BF1 ist finanziell sehr gut aufgestellt und hat eine eigene Wohnung. Die anderen Geschwister des BF1 leben in Mietwohnungen. Der Vater des BF1 ist Angestellter bei einer Privatuniversität, seine Ehefrau ist Hausfrau. Die beiden Brüder des BF1 arbeiten als Chauffeure für eine internationale Bank bzw. für eine Sicherheitsbehörde. Eine Schwester des BF1 arbeitet als Gemeindebeamtin, die andere Schwester ist Hausfrau; ihre Ehemänner arbeiten.
Zu den Verwandten des BF1 außerhalb Afghanistans: Eine Schwester des BF1 ist in Österreich; ihr Mann ist österreichischer Staatsbürger und Taxifahrer. Zu den anderen Schwestern besteht kein Kontakt.
Die Verwandtschaft der BF2 (Eltern, vier Brüder und zwei Schwestern) befindet sich ebenfalls in Kabul und es besteht regelmäßiger Kontakt. Darüber hinaus leben drei Tanten mütterlicherseits in Afghanistan. Eine weitere Schwester der BF2 wohnt in Kanada.
Die Eltern der BF2 wohnen in einem Haus in römisch 40 , in dem auch die Brüder der BF2 leben. Der Vater der BF2 ist pensionierter Lehrer, seine Ehefrau ist Hausfrau. Die drei Brüder der BF2 sind arbeitslos, die zwei Schwestern Hausfrauen. Die Schwester aus Kanada unterstützt die Familie finanziell. Im Großen und Ganzen geht es der Familie gut.
1.1.5. Die BF1 bis BF5 haben Afghanistan frühestens im römisch 40 verlassen; danach wohnte die Familie mehrere Monate lang im Iran und in der Türkei. Diese stellten am römisch 40 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Schleppung, die vom BF1 finanziert wurde, wurden USD römisch 40 gezahlt. Für den in Österreich nachgeborenen BF6 wurde am römisch 40 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.1.6. In ihrem Herkunftsstaat sind die BF nicht vorbestraft, sie waren politisch nicht tätig und hatten keine Probleme mit den Behörden.
1.1.7. Die BF sind gesund.
1.1.8. Im Bundesgebiet verfügt der BF1 über eine Schwester und eine Tante väterlicherseits. Es besteht alle zwei Wochen telefonischer Kontakt zur Schwester. Gegenseitige Besuche sind aufgrund der weiten Wohndistanzen eher selten.
1.1.9. Die BF wohnen derzeit in einer Unterkunft in römisch 40 . Sie leben seit ihrer Ankunft in Österreich überwiegend aus Mitteln der Grundversorgung. Beginnend ab römisch 40 war der BF1 als Hausmeister in einem Altersheim für fünf Stunden pro Woche angestellt und verdiente pro Monat EUR römisch 40 ,00. Derzeit arbeitet er als Hausmeister in einem Gasthaus; nebenbei erlernt er das Kochen. Bei Asylerhalt wurde ihm eine 100%-Beschäftigung in Aussicht gestellt. Die BF2 hat für den Fall eines positiven Verfahrensausgangs ebenfalls eine Zusage erhalten, in einem Steakhouse als Küchenhilfe anfangen zu dürfen. Der BF1 übte seine Tätigkeiten stets zur Zufriedenheit seines Dienstgebers aus. Bekämen die BF einen Aufenthaltstitel, würde ein Unterstützer ihnen vorübergehend ein Quartier zur Verfügung stellen.
Der BF1 hat seit seiner Ankunft im Bundesgebiet mehrere Deutschkurse besucht und eine A2-Sprachprüfung absolviert. Dieser hat sich mehrfach für die Gemeinde ehrenamtlich betätigt (Rasenmähen) und spielt in seiner Freizeit Fuß- und Volleyball.
Die BF2 erhält regelmäßig ehrenamtlichen Deutschunterricht. Sie hat ebenfalls Deutschkurse absolviert und besuchte zusätzlich eine Frauengruppe in Deutsch. Sie geht in ihrer Freizeit spazieren und fährt mit dem Rad. Die BF2 nahm zweimal als Engel verkleidet an einem " römisch 40 " teil.
Für die Familie wurden mehrere Empfehlungsschreiben ausgestellt, die ihren Integrationswillen und ihre Bemühungen zur Teilhabe an der Gesellschaft unterstreichen. Dabei werden sie als aufgeschlossen, sehr nett und hilfsbereit beschrieben. Sie sind Mitglieder der " römisch 40 " und engagieren sich auch in der Pfarre römisch 40 , wobei ihnen hier ein respektvoller Umgang mit Andersgläubigen attestiert wird. Die BF2 und der BF1 besuchen Elternabende für ihre Kinder.
Hinsichtlich BF4 und BF5 wurde ausgeführt, dass diese im Kindergarten immer anwesend waren. Sie waren immer pünktlich und brachten alle erforderlichen Dinge (Turngewand, Hausschuhe, Geld, ...) mit. BF4 und BF5 haben sich gut in ihr soziales Umfeld im Kindergarten integriert. Die BF3, der BF4 sowie die BF5 besuchen nunmehr die Schule, der BF6 ist ein Kleinkind.
Die Familie hat mit mehreren österreichischen Freunden Kontakt, welche die Familie besuchen und die Kinder sowie die Eltern unterrichten. Die BF und diese Freunde gehen einander gegenseitig besuchen oder miteinander spazieren. Bei den Besuchen bei den BF wird gemeinsam gekocht, was die Freunde gerne haben.
Die Familie ist auch mit Afghanen befreundet, welche diese in der Unterkunft, in der die BF leben, kennengelernt haben. Sie besuchen einander gegenseitig zu verschiedenen Festen bzw. schiitisch-religiösen Festen, sie feiern die Geburtstage der Kinder zusammen und essen gemeinsam.
1.1.10. Die BF sind in Österreich nicht vorbestraft, sie waren nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und haben keine Verwaltungsstrafe begangen.
1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates/Nachfluchtgründe
1.2.1. Die BF2 und der BF1 sind nicht persönlich glaubwürdig. Der BF1 und seine Familie hatten im Herkunftsstaat keine Probleme mit den Taliban; auch nach der Ausreise der BF sind deren Familien nicht in den Fokus der Taliban geraten. Die von den BF geschilderten Vorfälle haben nicht stattgefunden: Der BF1 wurde nicht in seinem Computergeschäft unter Anbot eines Geldbetrages (USD römisch 40 ) und der Androhung des Todes zu einer Zusammenarbeit mit der regierungsfeindlichen Gruppierung angehalten. Dieser musste keinen präparierten Drucker/Kopierer zu einer NGO transportieren. Weder die Taliban noch sonst jemand bedrohte die BF zu irgendeinem Zeitpunkt zuhause und planten diese auch keine wie auch immer gearteten Übergriffe auf die BF. Weder der BF1, noch die übrigen Familienmitglieder wurden in Afghanistan von den Taliban oder sonst jemanden bedroht; eine solche Bedrohung stand nicht unmittelbar bevor und ist im Fall einer Rückkehr auch nicht zu befürchten.
Die BF hatten in Afghanistan auch sonst keine Probleme mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder Privaten. Insbesondere hatten sie in Afghanistan keine Probleme wegen ihrer Nationalität, Religion, Ethnie, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung und sind solche Probleme im Fall ihrer Rückkehr auch nicht speziell zu befürchten.
1.2.2. In Afghanistan war die BF2 Hausfrau. Diese hat in ihrem Herkunftsstaat bereits insofern "frei" gelebt, als sie weder von ihrer "liberalen" Familie noch von ihrem Mann Vorschriften erhalten hat und ihr volle Entscheidungsfreiheit zugestanden wurde: Die BF2 durfte sich kleiden, wie sie wollte (zumeist trug sie ein Kopftuch mit einer Hose und einer Bluse), arbeiten gehen, alleine das Haus verlassen, hat Geld zur freien Verfügung erhalten etc. Die BF2 hat in ihrer Wohngegend oder sonst wo noch nie Taliban gesehen. Einer Arbeit ist sie nicht nachgegangen. Grundsätzlich ist es Frauen in Kabul möglich, sich ohne männliche Begleitung und ohne Burka frei zu bewegen, sich zu bilden sowie einem Beruf nachzugehen. Die BF2 hätte damit bereits an ihrem Herkunftsort die genannten Freiheiten genießen können, ohne damit Verfolgung, Gefahr oder Bedrohung auf sich zu ziehen, auch wenn von Seiten der Gesellschaft womöglich Beschimpfungen und Belästigungen gegenüber selbstständigeren Frauen drohten. Diese Nachteile erreichen dabei kein identitäts- und integritätsbedrohendes oder unerträgliches Ausmaß.
In Österreich hat die BF2 etwas mehr Selbstständigkeit erlangt. Sie erledigt tägliche Wege (Einkaufen oder Deutschkurs) überwiegend alleine und hat soziale Kontakte. In ihrer Freizeit geht die BF2 spazieren und Rad fahren. Ihr Bewegungsradius ist bei all diesen Aktivitäten jedoch eher gering, auch weil sie ihre vier Kinder betreut.
Die BF2 möchte später als Friseurin oder Kellnerin arbeiten, hat sich mit den geäußerten Berufswünschen aber noch nicht näher auseinandergesetzt, obwohl sie eine Zusage für eine Teilzeitarbeit in einem Steakhaus hat. Mit der Aufnahme einer Arbeit will sie nämlich solange zuwarten, bis ihr kleinstes Kind nach seinem dritten Lebensjahr einen Kindergarten besucht (somit erst in gut zwei Jahren). Der BF1 würde seine Frau nach Möglichkeit in Afghanistan bei Bestrebungen, einen Beruf zu ergreifen und eine Ausbildung zu machen, weiterhin unterstützen und ihr keine Kleidervorschriften machen. Die BF2 hätte auch keine Repressalien seitens der dort ansässigen Familie zu befürchten, die sowohl auf Seite des BF1, als auch der BF2, "liberal" eingestellt ist.
Die BF2 spricht nur rudimentär Deutsch und kümmert sich auch in Österreich hauptsächlich um ihre Kinder und den Haushalt. Die Elternsprechtage für die Kinder besucht zumeist BF1.
Im Herkunftsstaat hat die BF2 ein Kopftuch getragen, in Österreich trägt sie inzwischen kein Kopftuch mehr und schminkt sich. Sie schätzt im Bundesgebiet vor allem die Sicherheit und die Bewegungsfreiheit.
Die Veränderung, die die BF2 in Österreich durchlaufen hat, ist - weil sie auch in der Herkunftsstadt schon überdurchschnittlich viele Freiheiten (insbesondere seitens ihrer "liberal" eingestellten Familie) genossen hat - nicht groß. Sie hat auch keine Lebensweise angenommen oder Werthaltung verinnerlicht, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung von Grundrechten in einer Weise zum Ausdruck kommt, wie sie in der Herkunftsstadt der BF2 nicht möglich wäre. Der BF2 droht bei Beibehaltung ihrer Interessen und ihres Lebensstils in Kabul keine lebensbedrohliche Gefahr oder integritätsgefährdende Bedrohung, auch wenn Teile der Gesellschaft, auch in den liberaleren Städten, selbstständigere und arbeitende Frauen diskriminieren oder auf sie herabblicken.
Bei BF3 bis BF6 konnte wegen ihres kindlichen Alters keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung erkannt werden, dass die Verinnerlichung einer westlichen Lebensführung als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität hätte angenommen werden können. Es handelt sich bei ihnen zudem um Kinder im anpassungsfähigen Alter.
1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die minderjährigen BF aufgrund persönlicher Eigenschaften, insbesondere ihrer Eigenschaft als Kinder, im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan - konkret nach Kabul - eine speziell gegen sie gerichtete Bedrohung zu befürchten hätten. Die weiblichen BF laufen insbesondere nicht Gefahr, Opfer von (häuslicher) Gewalt, Bedrohung, Entführung, Elend oder einer Zwangsheirat zu werden.
Der BF1 und die BF2 umsorgen ihre Kinder liebevoll, legen großen Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder und haben nicht vor, diese durch Zwang zu verheiraten sowie lassen diesen die Entscheidungsfreiheit über ihr Leben.
Im Herkunftsland besteht Schulpflicht und es ist auch ein reichhaltiges Schulangebot in Kabul vorhanden. Es gibt dort keine systematische Verweigerung von Bildung, auch wenn es vereinzelt zu Angriffen auf Schulen in Kabul kommt. BF1 hat sich vor der Ausreise schon mit der Überlegung auseinandergesetzt, seine Kinder Privatschulen besuchen zu lassen.
Es gibt in Kabul für die BF sanitäre und medizinische Versorgung sowie Unterkunft. Die BF3 bis BF6 würden im liebevollen Familienverband miteinander leben. Die Familie weist keine Merkmale auf, welche diese, insbesondere die BF3 bis BF6, der konkreten Möglichkeit einer Entführung oder einem erhöhten Risiko, Opfer einer Gewalttat oder sonst eines Schadens zu werden, aussetzen.
1.3. Situation im Herkunftsstaat
1.3.1. Integrierte Kurzinformationen
KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr)
Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anmerkung statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quellezufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vergleiche IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).
Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b). Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019). Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den
Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Rückkehr
Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).
KI vom 1.3.2019 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte.
In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vergleiche UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vergleiche NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vergleiche DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vergleiche DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vergleiche FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vergleiche DP 28.1.2019, IM 28.01.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vergleiche WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vergleiche FP 29.1.2019).
KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vergleiche IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vergleiche NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vergleiche IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).
Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vergleiche IM 22.1.2019).
Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vergleiche Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vergleiche Reuters 15.1.2019).
KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul
Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vergleiche ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vergleiche Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vergleiche AJ 25.12.2018).
Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl
Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vergleiche TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vergleiche RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).
Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vergleiche AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vergleiche NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.08.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vergleiche TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vergleiche LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vergleiche TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban, noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vergleiche AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vergleiche DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vergleiche DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vergleiche AJ 12.11.2018). Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vergleiche 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vergleiche 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vergleiche 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vergleiche 1TV 31.10.2018).
KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)
Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anmerkung in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vergleiche LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vergleiche CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vergleiche LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:
Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vergleiche AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vergleiche RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vergleiche RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).
Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern vergleiche AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).
Zivile Opfer
Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).
Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:
davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für
1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).
KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vergleiche Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vergleiche Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vergleiche UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anmerkung getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vergleiche NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vergleiche UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vergleiche UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vergleiche KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vergleiche UNGASC 10.9.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018). Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vergleiche UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b). Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018). (UNAMA 15.7.2018)
Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und -prävention" und das Protokoll römisch fünf der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).
Wahlen
Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distriktenwurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vergleiche IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichnet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018). Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vergleiche UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vergleiche AAN 9.10.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 [Stand:
04.06.2019, in Folge: "LIB"], Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen")
1.3.2. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vergleiche Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vergleiche Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vergleiche DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vergleiche AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vergleiche USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vergleiche USDOS 15.8.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vergleiche CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vergleiche AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vergleiche Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) Ausschussbericht 18.11.2017; vergleiche AAN 6.5.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vergleiche AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vergleiche Ausschussbericht 29.5.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram Ausschussbericht 15.1.2016; vergleiche Ausschussbericht 29.5.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vergleiche AAN 21.8.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vergleiche TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vergleiche Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vergleiche TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen.
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vergleiche Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anmerkung erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anmerkung Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vergleiche TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 2. "Politische Lage")
1.3.3. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018).
Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vergleiche AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vergleiche UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vergleiche SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vergleiche Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vergleiche BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen:
* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vergleiche Gandhara 30.5.2018)
* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vergleiche Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vergleiche Tolonews 9.5.2018).
* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vergleiche APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vergleiche Tolonews 30.4.2018b).
* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vergleiche APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vergleiche APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vergleiche APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vergleiche AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vergleiche APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vergleiche APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vergleiche APN 30.4.2018a).
* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vergleiche NYT 28.1.2018).
* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vergleiche TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vergleiche TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vergleiche Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vergleiche DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vergleiche AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vergleiche UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vergleiche UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben:
* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vergleiche Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vergleiche RFE/RL 5.6.2018).
* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vergleiche Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vergleiche TG 20.5.2018).
* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vergleiche TG 20.10.2017).
* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).
* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vergleiche Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).
* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).
* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).
Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung
Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vergleiche DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:
* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vergleiche Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).
* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vergleiche NZZ 22.4.2018).
* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vergleiche Slate 22.4.2018).
Zivilist/innen
Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA
2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).
Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vergleiche HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vergleiche HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (engl. "explosive remnants of war", Anmerkung 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vergleiche LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vergleiche LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vergleiche Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedenskonferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vergleiche Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).
Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vergleiche AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vergleiche AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018) gerichtet. Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).
Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).
Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).
Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).
Haqqani-Netzwerk
Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).
Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).
Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).
Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vergleiche AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).
Al-Qaida
Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")
1.3.4. Grundversorgung und Wirtschaftslage
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vergleiche WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).
Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).
Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit
Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vergleiche AF 14.11.2017).
In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vergleiche SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).
Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).
Projekte der afghanischen Regierung
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.
a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vergleiche GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).
Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")
Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Abschätzung der Arbeitslosenrate ist wegen des informellen Charakters des Markts schwierig. Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll, jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.
Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, unregulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks [in Folge:
"EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf, Pkt. 4.1.)
1.3.5. Medizinische Versorgung
Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5.2018).
In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vergleiche USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).
Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5.2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Krankenkassen und Gesundheitsversicherung
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vergleiche MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).
Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vergleiche AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5.2018).
Krankenhäuser in Afghanistan
Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 22. "Medizinische Versorgung")
1.3.6. Sicherheits- und Justizsystem in Afghanistan
In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018).
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF).
Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).
Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5.2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vergleiche E1 2.12.2017).
Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF
Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vergleiche USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).
Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).
Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq römisch II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).
Reformen der ANDSF
Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden (SIGAR 30.4.2018a). Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen (TD 1.4.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 5. "Sicherheitsbehörden")
Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vergleiche Ausschussbericht 7.6.2017, AP o.D.).
Laut dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, während 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vergleiche USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vergleiche USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).
Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:
Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vergleiche AP o.D.).
Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt.
Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vergleiche USIP o.D.).
Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vergleiche USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).
Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert.
Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vergleiche AT 29.3.2017).
Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).
Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vergleiche FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018).
Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 4. "Rechtsschutz/Justizwesen")
Laut den Artikeln 29 und 30 der afghanischen Verfassung ist Folter verboten. Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt wurden, sind ungültig (AA 9.2016; vergleiche MPI 27.1.2004, AA 5.2018). Am 22. April 2017 genehmigte die afghanische Regierung ein neues Anti-Folter-Gesetz und erweiterte das im ursprünglichen Strafgesetzbuch enthaltene Folterverbot. Das neue Gesetz bezieht sich jedoch nur auf Folterungen, die im Rahmen des Strafrechtssystems erfolgt sind, und nicht eindeutig auf Misshandlungen, die von militärischen sowie anderen Sicherheitskräften verübt werden (USDOS 20.4.2018). Trotz dieser Vorgaben gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Gefängnispersonal und Polizei. Quellen zufolge wenden die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt an, einschließlich Folter und Gewalt gegen Zivilisten (USDOS 20.4.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 6. "Folter und unmenschliche Behandlung")
1.3.7. Meldewesen und Bankensystem
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vergleiche EASO 2.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 19.1. "Meldewesen")
Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, aber nicht alle Afghanen haben ein Bankkonto. Dies gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung. Das Vertrauen der Bevölkerung in Banken und Bankensysteme ist gering.
Für diejenigen, welche das Bankensystem nicht nutzen können oder wollen kann Geld durch ein informelles Überweisungssystem überwiesen werden ("Hawala"). Dabei handelt es sich um ein etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Geldüberweisungen, dem die Bevölkerung vertraut. Ein gewisser Prozentsatz der überwiesenen Summe wird als Gebühr einbehalten. Geld kann in alle Teile des Landes überwiesen werden, auch nach und von Nachbarstaaten, wie dem Iran und Pakistan.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.3.)
1.3.8. Frauen
Allgemeines
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vergleiche UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vergleiche UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vergleiche USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).
Bildung
Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vergleiche MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).
In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).
Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).
Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon
77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).
Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vergleiche MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vergleiche UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).
Berufstätigkeit
Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).
Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018). Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen usw.
Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).
Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.
Bewegungsfreiheit und Kleidungsvorschriften
Frauen in Afghanistan unterliegen strengen gesellschaftlichen Einschränkungen in Bezug auf Kleidung, Aussehen und Verhalten, insbesondere in der Öffentlichkeit.
Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar-e Sharif und Kabul.
Frauenbekleidung kann in Afghanistan das volle Spektrum von moderner Kleidung, über farbenreiche Volkstrachten bis zur Burka durchlaufen. Moderne Kleidung, wie das sogenannte "Mantau chalvar" (französisch "manteau", d.h. "Mantel" und persisch "shalvar", d.h. "Hose") ist häufiger in urbanen Gebieten zu finden, besonders in den Gebieten, die von dem Einfluss der Taliban befreit worden sind. "Mantau chalvar" ist ein langer Mantel, der über einer Hose getragen wird und besonders bei Frauen in der Hauptstadt Kabul beliebt ist, die relativ frei über ihre Kleidung entscheiden können. "Mantau chalvar" wird immer zusammen mit einem Kopftuch (hijab) getragen, das fest unter dem Kinn zusammengebunden wird. Manche Frauen tragen einen chador namaz (oder chadori) - ein langes, ausschweifendes Kleidungsstück, das den Kopf und Körper komplett bis zu den Knöcheln bedeckt. Das Gesicht kann frei liegen oder bedeckt sein, bis auf die Augen. Das ist die beliebteste Alternative zur extremeren Burka, die unter der Talibanherrschaft obligatorisch war.
Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 AfghanInnen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf-und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessenste Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf-bzw. Körperbedeckung.
Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten
Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa ein "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.
Politische Partizipation und Öffentlichkeit
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).
Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vergleiche MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vergleiche USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).
EVAW-Gesetz
Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vergleiche UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).
Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:
Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).
Frauenhäuser
Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vergleiche NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in
den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anmerkung bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anmerkung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vergleiche TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).
Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Legales Heiratsalter
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vergleiche AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).
Familienplanung und Verhütung
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vergleiche USDOS 3.3.2017).
Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Ehrenmorde (AIHRC 11.3.2018; vergleiche Tolonews 11.3.2018).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).
Reisefreiheit
Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).
(Auszug bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 17. "Frauen"; EASO, Country of Origin Report Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms [in Folge: "EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen"], abrufbar unter:
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_society.pdf, Pkt. 3.2.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017 ["Frauen in urbanen Zentren"], unter Angaben weiterer Quellen)
1.3.9. Kinder
Sicherheitslage
Kinder gehören zu den am stärksten gefährdeten Gruppen der Gesellschaft, die unter dem anhaltenden Konflikt leiden. Die Zahl der Kinderopfer ist seit 2009 stetig gestiegen. Im Februar 2019 wies Save The Children Afghanistan als eines der zehn schlimmsten Konfliktländer für Kinder aus.
Gemäß dem Jahresbericht zum Schutz von Zivilisten in Afghanistan im Jahr 2018, den UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) im Februar 2019 veröffentlichte, hatte der bewaffnete Konflikt in Afghanistan weiterhin schwerwiegende Auswirkungen auf Kinder, die 2018 28 Prozent aller zivilen Opfer darstellten. Zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember verzeichnete UNAMA 3.062 Opfer, die Kinder waren (927 Tote und 2.135 Verletzte). Während dies einen leichten Rückgang gegenüber 2017 darstellt, erreichten die Todesfälle bei Kindern 2018 Rekordhöhen. Unter allen getöteten oder verletzten Kindern waren 71 Prozent Buben und 27 Prozent Mädchen. Der leichte Rückgang der Opfer unter Kindern ist hauptsächlich auf einen Rückgang der Opfer bei Kämpfen und explosiven Kampfmittelrückständen zurückzuführen, der einen im Jahr 2017 beobachteten Trend fortsetzt.
Während regierungsfeindliche Elemente auch 2018 den Großteil der Opfer unter Kindern verursachten, dokumentierte UNAMA einen Anstieg der Opfer, die auf regierungsfreundliche Kräfte zurückzuführen sind. Anti-Regierungselemente verursachten 1,343 Opfer unter Kindern (324 Todesfälle und 1,019 Verletzte), was 44 Prozent aller Opfer unter Kindern im Jahr 2018 und einen Rückgang um drei Prozent im Vergleich zu 2017 ausmacht. Regierungsnahe Kräfte verursachten 1,051 Opfer unter Kindern (414 Tote und 637 Verletzte), davon 34 Prozent der gesamten Opfer unter Kindern und ab 2017 ein Plus von 15 Prozent. UNAMA führte 470 Opfer unter Kindern (124 Tote und 346 Verletzte) auf gemeinsame Handlungen von regierungsfeindlichen Elementen und regierungsnahen Kräften zurück, was 15 Prozent aller Toten unter Kindern entspricht. Davon wurden 62 Kinder durch Gefechtfeuer bei Bodeneinsätzen getötet und 211 verletzt (insg. 273), bei welchen der Täter nicht identifiziert werden konnte, wie auch durch explosive Kampfmittelrückstände, die den Parteien bei jüngsten Kämpfen gemeinsam zugeschrieben wurden.
Wichtigste Ursachen für Opfer unter Kindern:
* Bodeneinsätze (39 Prozent): 1.192 Kinder (276 Tote und 916 Verletzte)
* Improvisierte Bomben (improvised explosive devices, IEDs; Nicht-Selbstmord) (17 Prozent): 517 Kinder (129 Tote und 388 Verletzte)
* Luftangriffe (16 Prozent): 492 Kinder (236 Tote und 256 Verletzte)
* Explosive Kampfmittelrückstände (14 Prozent): 426 Kinder (136 Tote und 290 Verletzte)
UNAMA dokumentierte 275 Opfer unter Kindern (67 Tote und 208 Verletzte) durch Selbstmord- und komplexe Angriffe im Jahr 2018, ein Anstieg von 33 Prozent gegenüber 2017 und ein deutlicher Anstieg der Zahl der getöteten Kinder um 116 Prozent, der hauptsächlich auf Angriffe von Daesh/ISKP zurückzuführen ist. UNAMA führte 152 solcher Opfer unter Kindern (40 Tote und 112 Verletzte) auf Daesh/ISKP zurück, was einem Anstieg von 158 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. UNAMA schrieb 83 solcher Opfer (24 Tote und 59 Verletzte) den Taliban zu, ein Rückgang von 35 Prozent im Vergleich zu 2017 (grafische Darstellung der Opferzahlen unter Kindern im Zeitverlauf 2009-2018 s. Abb. in der Originalquelle, Anm.).
Dass Kinder überproportional hoch Opfer von explosiven Kriegsmassen werden, hängt mit Armut, mangelnder Bildung und dem Bewusstsein für die Gefahren zusammen. Landminen und IEDs sind für Kinder besonders bedrohlich und stellen die zweithäufigste Ursache für Tod und Verletzung dar. Einige der Minen sind so konstruiert, dass Kinder denken, sie könnten Spielzeug sein.
Bildungssystem in Afghanistan
Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5.2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).
Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).
Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2016 mussten im ganzen Land mehr als 1.000 Schulen aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage geschlossen werden. 24 der insgesamt 34 Provinzen Afghanistans sind von derartigen Schließungen betroffen. Rund 150.000 Schulkinder in unsicheren Gegenden haben keinen Zugang zu Bildung und es wurde in diesem Zusammenhang auch über Fälle von Entführung und Belästigung durch Bewaffnete berichtet. Regierungstruppen wie auch die Taliban benutzen Bildungseinrichtungen als Depots für Munition und Waffen sowie als Stützpunkte für Kämpfer. Indes kann es auch zu lokalen Kooperationen zwischen den Konfliktparteien kommen. So gibt es auch gänzlich unter Taliban-Kontrolle stehende Gebiete, in denen die Schulen dennoch geöffnet sind und von der Regierung unter Duldung der Taliban weiterbetrieben werden. Die Taliban erlauben Mädchen jedoch den Schulbesuch lediglich bis zur vierten Klasse. Neben Mädchenschulen können auch Schulen für Burschen, die als zu "westlich" angesehen werden, Ziel von Angriffen der Taliban werden, die es bevorzugen, dass ihre eigenen Koranschulen besucht werden.
Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018).
In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet (BFA Staatendokumentation 4.2018). Nachdem in den meisten ländlichen Gemeinden konservative Einstellungen nach wie vor präsent sind, ist es hilfreich, wenn beim Versuch Modernisierungen durchzusetzen, auf die Unterstützung lokaler Meinungsträger zurückgegriffen wird - vor allem lokaler religiöser Würdenträger, denen die Dorfgemeinschaft vertraut. Im Rahmen von Projekten arbeiten unterschiedliche UN-Organisationen mit religiösen Führern in den Gemeinden zusammen, um sie in den Bereichen Frauenrechte, Bildung, Kinderehen und Gewalt, aber auch Gesundheit, Ernährung und Hygiene zu beraten. Eines dieser Projekte wurde von UNDP angeboten; als Projektteilnehmer arbeiten die Mullahs der Gemeinden, die weiterzugebenden Informationen in ihre Freitagpredigten ein. Auch halten sie Workshops zu Themen wie Bildung für Mädchen, Kinderehen und Gewalt an Frauen. Auf diesem Wege ist es ihnen möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Im Rahmen eines Projektes hat UNICEF im Jahr 2003 mit rund 80.000 Mullahs zusammengearbeitet, mit dem Ziel Informationen zu Gesundheit, Ernährung, Hygiene, Bildung und Sicherheit in ihre Predigten einzubauen. Die tatsächliche Herausforderung dabei ist es, die Informationen in den Predigten zu vermitteln, ohne dabei Widerstand innerhalb der Gemeinschaft hervorzurufen (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können (AA 9.2016). Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld (AA 9.2016; vergleiche CAN 2.2018), in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016). Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren (CAN 2.2018).
Kinderarbeit
Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 20.4.2018).
Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert (AA 5.2018; vergleiche UNTC 9.4.2018). Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten (AA 5.2018). Berichten zufolge arbeiten mindestens 15% der schulpflichtigen Kinder (IRC 15.2.2018; vergleiche FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen (AA 5.2018; vergleiche IDMC 1.2018). Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen für diese gesetzlichen Regelungen (AA 5.2018). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 20.4.2018; vergleiche AA 5.2018).
Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem (USDOS 20.4.2018; vergleiche IRC 15.2.2018, FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt (USDOS 20.4.2018).
Sexueller Missbrauch bzw. Bacha Bazi
Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Artikel 653,). In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 5.2018). Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen (MoJ 15.5.2017; vergleiche LSE 24.1.2018).
Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vergleiche AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vergleiche AA 5.2018). Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (TAD 9.3.2017). Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 5.2018).
Strafverfolgung von Kindern
Das Gesetz besagt, dass die Festnahme eines Kindes als letztes Mittel und so kurz wie möglich vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kindern in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquater Verpflegung, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Festgenommenen Kindern werden oftmals Grundrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe sowie das Recht, nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor; wegen limitierter Ressourcen sind spezielle Jugendgerichte nur in sechs Gebieten funktionsfähig:
Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. Im afghanischen Strafjustizsystem sind Kinder oftmals eher die Opfer als die Täter (USDOS 20.4.2018).
Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016). Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5.2018).
Rekrutierung von Kindern
Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet (USDOS 20.4.2018).
Entführungen
In Afghanistan kommt es zu landesweiten Entführungen mit Lösegeldforderungen. Insbesondere, aber nicht nur, sind als wohlhabend wahrgenommene Personen bzw. deren Familien, darunter auch Kinder, davon betroffen. In Kabul, Herat und Mazar-e Sharif kommt es vermehrt zu Entführungen. Eine Quelle berichtet von einer Entführung pro Tag in Kabul (Stand 2018), eine andere Quelle berichtet von fünf bis zehn Entführungen pro Woche in Herat (Stand 2015).
Aus Berichten geht hervor, dass die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) Kinder zu unterschiedlichen Zwecken entführen, unter anderem als Bestrafungen und Vergeltungsakte, die sich gegen Familienangehörige des Opfers richten. Kinder werden Berichten zufolge auch aufgrund ihrer angeblichen Unterstützung der Gegenpartei außerdem entführt oder getötet.
Medizinische und psychosoziale Versorgung
Im Vergleich zu ähnlichen Gebieten in der Region hat Afghanistan seit 2003 im Gesundheitssektor Fortschritte erzielt, darunter bessere Dienstleistungen und eine bessere Abdeckung. Dies hat zu verbesserten Basisgesundheitsindikatoren geführt, die laut Weltbank für die Gesundheit von Frauen und Kindern besonders wichtig waren (Weltbank 2018, Sitzung 7, 17). Trotzdem gehört Afghanistan immer noch zu den Ländern mit der weltweit höchsten Kindersterblichkeit für Kinder unter fünf Jahren. Die Anzahl der Kinder, die vor Erreichen des fünften Lebensjahres starben, betrug im Jahr 2017 etwa 80.000, und vier von fünf dieser Kinder überlebten das erste Lebensjahr nicht.
Beim Zugang zu Gesundheitsdiensten bestehen erhebliche geografische Unterschiede. Im Allgemeinen bieten ländliche Gebiete weniger und schlechtere Gesundheitsleistungen als Städte. Dies bedeutet, dass diejenigen, die auf dem Land leben, häufig in das nächstgelegene Stadtzentrum reisen müssen, wenn sie für das Gesundheitswesen benötigt werden. Die ökonomische Situation der Familie hat großen Einfluss auf den Zugang von Kindern zu Gesundheitsdiensten.
Der Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen weist darauf hin, dass es wenig Wissen über die psychische Gesundheit junger Menschen in Afghanistan gibt, die vorliegenden Forschungsergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen an unbehandelten psychischen Störungen aufgrund von Traumata und Stress aufgrund von Konflikten, Binnenvertreibung, Armut und Gewalt leiden. Eine Studie aus dem Jahr 2006 zeigte, dass der Anteil der Kinder, die die Kriterien für eine wahrscheinliche psychiatrische Störung erfüllten, doppelt so hoch war wie erwartet für diese Altersgruppe, und zwei Drittel hatten ein traumatisches Ereignis. In Afghanistan steht die psychische Gesundheit nur wenig im Mittelpunkt. Es fehlt unter anderem an Psychiatern und Krankenbetten für Menschen mit psychischen Störungen. Die Ressourcen für Diagnose und Behandlung sind mangelhaft und schlecht entwickelt (Ahmad 2017; Samuel Hall 2016, Sitzung 12). Laut einem Artikel des Institute for War & Peace Reporting (IWPR) hat das Gesundheitsministerium in allen Provinzen Kliniken zur Behandlung psychischer Störungen eingerichtet (Habib 2016). Die Behandlung psychischer Störungen wird häufig von Privatpersonen oder von nichtstaatlichen Organisationen durchgeführt.
Waisenhäuser
Die Lebensbedingungen für Kinder in Waisenhäusern sind schlecht. Berichten zufolge sind 80% der Kinder zwischen vier und 18 Jahren in den Waisenhäusern keine Waisenkinder, sondern stammen aus Familien, die nicht die Möglichkeit haben, für Nahrung, Unterkunft und Schulbildung zu sorgen. Quellen zufolge werden Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt; auch sind sie manchmal Menschenhandel ausgesetzt. Der Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtungen und Bildung wird nicht regelmäßig gewährleistet (USDOS 20.4.2018).
(Auszug bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 17.1. "Kinder"; UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.10.d); EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Security situation [in Folge:
"EASO-Bericht Sicherheitslage"], abrufbar unter:
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_security_situation_2019.pdf, Pkt. 1.4.5.; ACCORD-Bericht vom Dezember 2016 ["Das Schulsystem in Afghanistan"]; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.05.2019 ["Medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif"]; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 ["Erpresserische Entführungen von Kindern"]; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.05.2019 ["Sicherheitslage für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif"], unter Angaben weiterer Quellen)
1.3.10. Rückkehr
Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).
Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).
Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die Regierung und IOM bis April 2019 eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Seither gibt es für zwangsrückgeführte Afghanen eine Barzuwendung und Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten vergleiche hierzu das LIB mit Stand 04.06.2019).
Unterstützung von Rückkehrer/innen durch unterschiedliche Organisationen
IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart römisch II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart römisch II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).
NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung
Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen
Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Afghanische Flüchtlinge in Pakistan
Die pakistanische Regierung hat die Gültigkeit der PoR-Cards (Proof of Registration Cards) für die 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge im Land bis 30.6.2018 verlängert - vorbehaltlich der Prüfung nach den bevorstehenden Bundeswahlen in Pakistan und der Ernennung des neuen Kabinetts. Zusätzlich hat NADRA (National Database and Registration Authority) damit begonnen, die sogenannte Afghan Citizen Card (ACC) an 878.000 nicht registrierte Afghanen zu verteilen, die sich seit 16.8.2017 in 21 Registrierungszentren in Pakistan haben registrieren lassen; bis 28.2.2018 wurden der Registrierungsprozess für die ACC abgeschlossen, die Zentren bleiben nach wie vor offen, um die Karten zu verteilen. Die Karten sind bis 30.6.2018 gültig; deren Besitzer sind verpflichtet bis dahin nach Afghanistan zurückzukehren, um Dokumente zu beantragen (einen afghanischen Pass und ein Visum für Pakistan) bevor sie nach Pakistan zurückkehren. Die restlichen rund 200.000 nicht-registrierten Afghan/innen könnten möglicherweise einer Deportation ausgesetzt sein. Bis 12.3.2018 erhielten 175.321 ihre ACC (IOM 20.3.2018).
Afghanische Flüchtlinge im Iran
Die letzten zwei bis drei Jahre zeigen doch auf eine progressivere Entwicklung für Afghanen im Iran, wo sich die Maßnahmen der iranischen Behörden auf einen höheren Integrationsgrad der Afghanen zubewegen. Die freiwillige Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ist immer noch das Hauptziel der iranischen Flüchtlingspolitik, aber man hat eingesehen, dass dies im Moment nicht in größerem Maße geschehen kann. Deshalb versucht man Maßnahmen zu ergreifen, die die Situation für die Afghanen verbessern, während man darauf wartet, dass eine Rückkehr stattfinden kann. Es gibt heute einen politischen Willen, die Fähigkeit der Afghanen, sich besser selbst zu versorgen und selbstständiger zu werden, zu unterstützen, aber gleichzeitig sind die Ressourcen des Iran begrenzt und dies bedeutet eine große Herausforderung für die iranischen Behörden. Es gibt auch von den iranischen Behörden nicht zuletzt aus sicherheitsmäßigen Aspekten Interesse daran, mehr Kenntnisse über die Anzahl der sich illegal im Land aufhaltenden Staatsbürger zu erhalten. Dieses hatte zur Folge, dass die iranischen Behörden im Jahr 2017 mit einer Zählung (headcount) und der Registrierung der Afghanen, die sich illegal im Land aufhalten, begonnen haben. In dieser ersten Runde hat man einige ausgewählte Kategorien priorisiert, beispielsweise nicht-registrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind und Kinder in der Schule haben (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).
Trotz aller Kritik sind sich UNHCR und NGOs einig, dass dem Iran im Umgang mit afghanischen Flüchtlingen mehr Anerkennung zusteht, als ihm zuteil wird (AN 17.3.2018). So haben sich die Zugangsmöglichkeiten für afghanische Flüchtlinge zum Gesundheits- und Bildungswesen sowie zu sozialen Absicherungsmaßnahmen in Iran verbessert (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vergleiche AN 17.3.2017, EN 26.10.2017, DW 22.9.2017). Der Iran hat einen Präzedenzfall geschaffen, indem allen Flüchtlingen im Land Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversicherung Salamat Universal Public Health Insurance (UPHI) eröffnet wurde; diese Versicherung ist jenen Versicherungsleistungen ähnlich, zu denen iranische Staatsbürger/innen Zugang haben (UNHCR 17.10.2017; vergleiche GV 3.1.2015).
Im Gegensatz zu Pakistan leben nur 3% der afghanischen Flüchtlinge in Iran in Camps (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vergleiche UNHCR 17.10.2017). Auch wenn die Flüchtlingslager für Amayesh-registrierte ("Amayesh" ist die Bezeichnung für das iranische Flüchtlingsregistrierungssystem, Anmerkung Personen vorgesehen sind, leben dort in der Praxis auch nicht-registrierte Afghanen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).
Die Mehrheit der Afghanen, die sich sowohl legal als auch illegal im Land aufhalten, wohnen in von Afghanen dominierten urbanen und halb-urbanen Gebieten. Schätzungen zufolge leben circa 57% der Afghanen im Iran in der Provinz Teheran, Isfahan sowie Razavi-Chorsan (mit Maschhad als Hauptort). Um die 22% leben in den Provinzen Kerman, Fars und Ghom, während die Übrigen in den anderen Provinzen verteilt sind. Die afghanische Flüchtlingspopulation im Iran besteht aus einer Anzahl unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Schätzungen über die registrierten Afghanen zufolge gehört die Mehrheit von ihnen der Ethnie der Hazara an, gefolgt von Tadschiken, Paschtunen, Belutschen und Usbeken. Es fehlen Zahlen zur nicht-registrierten Gemeinschaft, dennoch stellen auch hier die Hazara und die Tadschiken eine Mehrheit dar (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 23. "Rückkehr")
1.3.11. Kabul
Allgemeines
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vergleiche Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017). Schätzungen gehen teilweise von bis zu 7 Millionen Menschen aus, die allein in Kabul-Stadt leben sollen. Die Hälfte der Einwohner der Stadt Kabul war 2013 unter 18 Jahre alt.
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
(Auszug bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 3.1. "Kabul"; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, August 2017 [in Folge:
"EASO-Bericht Sozioökonomie 2017"], abrufbar unter:
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_IPA_August2017.pdf, Pkt. 1.1.1.)
Erreichbarkeit
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018). Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vergleiche HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3.35. "Erreichbarkeit")
Sicherheitslage
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vergleiche UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vergleiche FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vergleiche VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).
Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden vergleiche auch Pkt. römisch II.1.3.3. oben).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt
1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
römisch 40 ist ein bekannter Ort für Drogenhändler. Die Sicherheitskräfte sind im gesamten Gebiet stark vertreten, da sie ein wichtiges Ziel politischer Gewalt sind.
römisch 40 ): Das Gebiet liegt auf einem der Infiltrationswege der Aufständischen in die Hauptstadt und die Präsenz der Sicherheitskräfte ist entsprechend. Darüber hinaus sind einige Moscheen in römisch 40 und römisch 40 dafür bekannt, dass sie in der Vergangenheit eine politische Haltung zugunsten des Aufstands gezeigt haben und daher unter Kontrolle gehalten werden. Gewöhnliche Kriminelle zielen oft sogar auf zentrale Bereiche wie römisch 40 mit Hausdurchsuchungen und Raubüberfällen, trotz der Versuche der Polizei, das Gebiet zu sichern.
(Auszug aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 3.1. "Kabul"; EASO-Bericht Sicherheitslage, Pkt. 2.15.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 09.05.2019 ["Sicherheitslage für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif"], unter Angaben weiterer Quellen)
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vergleiche AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vergleiche MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3.1. "Kabul")
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vergleiche RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vergleiche NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3.1. "Kabul")
Wohnungsmarkt
In den großen Städten sind die meisten Menschen auf den Mietmarkt verwiesen, weil der Kauf einer Immobilie teuer ist. Der Preis für formelles Wohnen in Kabul lag zwischen 35.000 und 500.000 USD, während das durchschnittliche monatliche Haushaltseinkommen in Kabul und in der Zentralregion 2017 auf 208 USD geschätzt wurde. Von den Haushalten in Kabul besitzen etwa 64,9% ihre Unterkunft und 27,6% mieten die Wohneinheiten, in denen sie leben.
Die Mieten nehmen in den städtischen Gebieten Afghanistans zu, jedoch nur in Kabul wird dies als gängige Praxis angesehen. Nach IOM betrugen die Mietkosten im Jahr 2016 für eine Wohnung zwischen 400 bis 600 USD pro Monat, plus den Kosten für Wasser und Elektrizität von etwa 40 USD. Der Nationale Konsumentenpreisindex von März 2014 des Zentralamts für Statistik in Afghanistan bestätigte, dass nach 2014 die Mietpreise in Kabul, wie auch an anderen Orten, wegen verminderter Nachfrage sanken. Gemäß einer im Mai 2017 interviewten Quelle der Vereinten Nationen sind die Preise wieder wegen einer großen Anzahl an Rückkehrern aus Pakistan angestiegen. Es besteht auch die Möglichkeit, ein einzelnes Zimmer zu mieten, was nach Landinfo günstiger ist.
In den Städten gibt es auch die Möglichkeit, günstig in sogenannten "Teehäusern" (engl. "tea houses") Unterkunft zu nehmen.
(Zusammenfassung aus folgenden Quellen: EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.2.; EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 2.3.5., 2.7. und 2.7.4.; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, April 2019 [in Folge:
"EASO-Bericht Sozioökonomie 2019"], abrufbar unter:
https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, Pkt. 9.5.)
Versorgung mit Lebensmitteln
2016 lebten 1,6 Millionen bzw. 6% der Afghanen mit schwerer Lebensmittelunsicherheit, 34% in mäßiger Lebensmittelunsicherheit. Die Lebensmittelunsicherheit nimmt, gerade in Städten, zu, was u.a. aufsteigende Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sowie Migrationsströme in Städten zurückzuführen ist.
Generell gibt es in Kabul keine Nahrungsmittelknappheit, auch wenn die Lebensmittelpreise in den letzten Jahren gestiegen sind und die Dürre 2018 die Situation angespannt hat. Die wichtigste Variable beim Zugang zu Nahrungsmitteln sind die dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Existenzmittel, was im Falle von Binnenflüchtlingen und Rückkehrern problematisch sein kann.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 2.4.; 2019, Pkt. 6.)
Sanitäre Situation
Nach einer Studie der afghanischen Regierung aus dem Jahr 2015 gibt es einen weitreichenden Zugang zu behandeltem, also vor externer Kontaminierung angemessen geschütztem, Trinkwasser in den Städten. In den afghanischen Städten umfassen behandelte Wasserquellen private und öffentliche Pumpen, private und öffentliche Brunnen oder Wasserleitungen. Allerdings fand dieselbe Studie heraus, dass sogar Wasser aus behandelten Quellen nicht frei von durch Wasserübertragene Krankheitserregern, Chemikalien und anderen Schadstoffen ist. Im Februar 2017 berichtete Reuters, dass eine wachsende Bevölkerung die Wasserversorgung in der afghanischen Hauptstadt belastet und zwingt diejenigen, welche es sich nicht leisten können, unkontrolliert Brunnen immer tiefer zu graben.
Einer anderen Quelle ist zu entnehmen, dass Dürreperioden, das Fehlen von Hygiene, eine entsprechende Abfallwirtschaft und das Bevölkerungswachstum die Wasserressourcen in den großen Städten stark beeinträchtigen, insbesondere in der Stadt Kabul. Die meisten der gemeinschaftlich genutzten Wasserversorgungseinrichtungen sind kontaminiert und wasserübertragene Krankheitserreger üblich.
Nach einer aus 2015 stammenden Studie der afghanischen Regierung ist der Zugang zu behandeltem Abwasser deutlich geringer als zu behandeltem Wasser.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 2.7.3.1.).
Rückkehrsituation/Binnenflüchtlinge
Kabul hat einen überproportionalen Anteil an Haushalten mit Migrationshintergrund aufgenommen. Alle Unterkategorien von Migranten - Binnenvertriebene, Rückkehrer und Wirtschaftsmigranten - haben einen erheblichen Nachteil in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit. Vor allem im ersten Jahr sind Binnenvertriebene sehr vulnerabel. Oftmals fehlen ihnen Ausweisdokumente, welche ihren Zugang zu grundlegenden Rechten wie Justiz, Bildung, formaler Anstellung und dem formalen Wohnungsmarkt behindern. Daher enden viele in überfüllten und unterversorgten informellen Siedlungen. Die Situation in IDP-Siedlungen in Kabul ist besonders im Winter schwierig. Im Jahr 2012 starben Berichten zufolge Dutzende von Vertriebenen an Unterkühlung.
In einem Bericht der afghanischen Regierung aus dem Jahr 2015 heißt es jedoch, dass "die Mehrheit der Rückkehrer und Binnenvertriebenen, die sich an geeigneten Orten lokal integrieren können, in der Regel nach drei Jahren einen Lebensstandard und Zugang zu Dienstleistungen auf Augenhöhe mit der lokalen Bevölkerung erreicht".
Die Mehrheit der Rückkehrer aus Pakistan im Jahr 2016, schätzungsweise 275.000, landeten in der Provinz Nangarhar, hauptsächlich in und um Jalalabad. Die zweitgrößte Gruppe von Rückkehrern, schätzungsweise 110.000, ging nach Kabul. Nahezu die Hälfte der von IOM zwischen November 2016 und Februar 2017 befragten Rückkehrer aus Pakistan, die von Pakistan aus befragt wurden, gaben Unterkunft als ihr Hauptbedürfnis an. UNOCHA warnte im September 2016, dass "die Mehrheit der Rückkehrer [...] angibt, in erster Linie nach Kabul zu gehen", was die lokalen Ressourcen und Dienste erheblich belastet und die Bewältigungsmechanismen in unterversorgten Gemeinschaften erschöpft, die in vielen Fällen beherbergte bereits eine große Anzahl neuer und langwieriger konfliktbedingter Binnenflüchtlingen. Die Konzentration von Rückkehrern in städtischen Zentren und halbstädtischen Gebieten, insbesondere [...] Kabul, zusammen mit der fehlenden Aufnahmekapazität und anderen Faktoren wie einem dysfunktionalen Landzuteilungssystem und dem Mangel an Unterkunftskapazitäten werden die derzeitigen Trends der sekundären Vertreibung verstärken und zu akuten humanitären Notfällen, insbesondere in den Wintermonaten, führen.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 2.3.6.).
Arbeitsmarkt und Kinderarbeit
Als Hauptstadt ist Kabul das Finanzzentrum und politische Zentrum und die größte Stadt des Landes und beheimatet die meisten internationalen Organisationen. Es hat einen höheren Grad an Industrialisierung als andere Städte.
Nach Aussagen der afghanischen Regierung hat Kabul grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen und Behörden, wenngleich sich die Situation seit der zweiten Hälfte 2015 verschlechtert hat. Dies aufgrund von Sicherheit, dadurch einem reduzierten Vertrauen von Investoren sowie verringerter Entwicklungshilfe, wobei letzterer Umstand in größeren Verlusten von, von solchen Hilfsleistungen abhängigen, Haupt- und Hilfstätigkeiten mündete. Ohne Verbindungen ist es schwierig, eine Beschäftigung bei Regierungsstellen oder NGOs zu finden.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 2.2.5.).
Kabul ist eine städtische Provinz mit einer wirtschaftlich aktiven Bevölkerung, die in Berufe unterteilt ist, die mit Handel, Dienstleistungen und Hilfsarbeit zu tun haben. Die Hauptstadt hat einen großen Anteil an Angestellten, während Selbständigkeit im Vergleich zu ländlichen Teilen des Landes seltener vorkommt. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul zählen kommunale, soziale und persönliche Dienste sowie die öffentliche Verwaltung. Der öffentliche Sektor bietet zwar nur begrenzte Gehälter an, diese sind jedoch sicherer als andere Beschäftigungsformen. Die Gehälter in Kabul sind im Allgemeinen höher als in andere Provinzen, insbesondere für diejenigen, die für ausländische Organisationen arbeiten (z. B. können Computertechniker monatlich durchschnittlich 25 000 AFN, fast 375 USD verdienen).
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomie 2019, Pkt. 4.2.1.)
Zugang zum Arbeitsmarkt ist ein kritischer Faktor für eine erfolgreiche Reintegration. Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosenquote ist hoch. Wegen des informellen Charakters des Arbeitsmarkts, ist es schwierig, eine Arbeitslosenquote festzumachen. Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.
Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, ungeregelten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.
Eine lokale Botschaft beschreibt, wie Tagelöhner von der Straße angeworben werden. In Kabul gibt es lokale Treffpunkte für Arbeitssuchende und Nachfragende. Dort werden Vereinbarungen über Tagesarbeiten und kleinere Tätigkeiten kurzer Dauer, in der Regel unqualifizierte Handarbeit, wobei es auch höherqualifizierte Tätigkeiten sein können, abgeschlossen. Es kommen viele Personen zusammen, und nicht jeder erhält Arbeit. Das Gehalt beträgt ungefähr 4,3 USD/Tag für unqualifizierte Arbeit, während qualifizierte Arbeiter bis zu ungefähr 14,5 USD/Tag verdienen können.
(Auszug bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft"; EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.1.)
Verschiedene humanitäre Organisationen schätzen, dass 60.000 bis 100.000 Kinder auf den Straßen von Kabul arbeiteten. Die meisten von ihnen waren Jungen - Schätzungen zufolge arbeiteten fast 5% der Jungen im Alter von 5 bis 17 Jahren im Jahr vor der Erhebung von 2013. In der Provinz Kabul waren die meisten berufstätigen Kinder im Handwerk (Handwerk, Lebensmittelverarbeitung, Holzarbeiten und Bekleidung), im Verkauf und in geringfügigen Berufen beschäftigt. Berufstätige Kinder können auch Misshandlungen durch die Polizei ausgesetzt sein, die sie um Geld bitten oder den Zugang zu bestimmten Bereichen einschränken.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 4.4.4.)
Bildung
Kabul ist seit langem der gebildetste Teil Afghanistans und ein Anziehungspunkt für gut ausgebildete Personen aus anderen Teilen des Landes.
Die Provinz Kabul hat die höchste Alphabetisierungsrate in Afghanistan und zählt auch zu den Provinzen mit der höchsten Besuchsrate von Elementarschulen unter Mädchen und Buben. Laut den 2018 von der afghanischen Statistikbehörde (NSIA, früher CSO) veröffentlichten Provinz-Profilen sei die Alphabetisierungsrate Jugendlicher zwischen 15 und 24 Jahren in der Provinz Kabul 2016/17 bei 74,4 Prozent gelegen, die Schulbesuchsrate ("net attendance rate") sei für die Primärstufe bei 74,4 Prozent, für die Sekundärstufe bei 49,7 Prozent und für den Tertiärbereich bei 17,8 Prozent gelegen (NSIA, 2018, Sitzung 9-10). Verglichen mit den anderen Distrikten der Provinz verzeichne Kabul-Stadt zudem die höchste Schulbesuchsrate für die Schulstufen 1 bis 6 (73,1 Prozent), für die Schulstufen 7 bis 9 (48,9 Prozent), die Stufen 10 bis 12 (39,1 Prozent) und die höchste Rate bei höherer Bildung (14,4 Prozent) (CSO, 2013, Sitzung 29, Sitzung 35).
EASO führt in seinem im Juni 2018 veröffentlichten Leitfaden zu Afghanistan an, dass es in den Städten Herat, Mazar-e Sharif und Kabul Bildungseinrichtungen gebe.
(Auszug bzw. Zusammenfassung aus folgenden Quellen: ACCORD-Bericht vom 07.12.2018 ["Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balk) und Kabul 2010-2018]", Pkt. 2.8.; EASO-Bericht Sozioökonomie 2017, Pkt. 2.5.2. und Pkt. 4.4.4.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 ["Bildungsmöglichkeiten für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif"], unter Angaben weiterer Quellen)
1.3.12. Ethnische Minderheit der Tadschiken
Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vergleiche LIP 5.2018); und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:
In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).
Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 16.3. "Tadschiken")
1.3.13. Religiöse Minderheit der Schiiten
Allgemeines
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vergleiche USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vergleiche CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vergleiche AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017). Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vergleiche CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 15. "Religionsfreiheit")
Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam "innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte". Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und "kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf". Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung, noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.
(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.5.)
Religiöse Minderheiten
Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung, noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtsprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden personenstandsrechtliche Angelegenheiten, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Personenstandsrecht angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht.
Das Strafgesetzbuch von 2017 enthält Bestimmungen hinsichtlich "Straftaten, die eine Beleidigung einer Religion darstellen", denen zufolge die vorsätzliche Beleidigung einer Religion oder die Störung ihrer Zeremonien oder die Zerstörung ihrer genehmigten Gebetsstätten oder Symbole, die den Anhängern einer Religion heilig sind, strafbar ist. Ebenfalls strafbar ist der Angriff auf einen Anhänger einer Religion, der in der Öffentlichkeit rechtmäßig religiöse Rituale vollzieht oder die Herabwürdigung oder Verzerrung des Glaubens oder der Bestimmungen des Islams. Ferner steht auch die Anstiftung zur Diskriminierung aufgrund der Religion unter Strafe.
Ungeachtet dessen werden nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich schikaniert und in manchen Fällen tätlich angegriffen. Es heißt, dass Angehörige religiöser Minderheiten wie Baha'i und Christen es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung vermeiden, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Es wird berichtet, dass sich nicht-muslimische Frauen genötigt sehen, eine Burka oder andere Gesichtsschleier zu tragen, um sich sicherer in der Öffentlichkeit bewegen zu können und den gesellschaftlichen Druck zu verringern.
Im Zeitraum vom 1. Januar bis 7. November 2017 "dokumentierte [UNAMA] 51 - hauptsächlich auf regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführende - Fälle gezielter Tötungen, Entführungen, und Einschüchterungen von Religionsgelehrten und religiösen Führern, sowie Anschlägen auf Gebetsstätten und Personen, die ihr Recht auf Religionsausübung durch Gottesdienst, Bräuche und Riten wahrnahmen. Diese Zwischenfälle forderten 850 Opfer unter der Zivilbevölkerung (273 getötete und 577 verletzte Personen), was fast eine Verdoppelung der zivilen Opferzahlen derartiger Angriffe im gesamten zurückliegenden Siebenjahreszeitraum von 2009 bis 2015 darstellt."
2016 und 2017 wurden religiöse Führer Berichten zufolge in fortlaufendem und steigendem Maße zum Ziel von Tötung, Entführung, Bedrohung und Einschüchterung - hauptsächlich ausgeübt durch regierungsfeindliche Kräfte. Ferner wird berichtet, dass auch religiöse Gelehrte mehrmals durch regierungsfeindliche Kräfte angegriffen wurden, während regierungsnahe Kräfte gezielt gegen Imame von Moscheen, die angeblich regierungsfeindliche Kräfte unterstützten, vorgingen.
Analysten äußerten ihre Besorgnis, dass gewisse Bestimmungen eines neuen Gesetzesentwurfs zur Versammlungsfreiheit ganz besonders die Rechte religiöser Minderheiten einschränken würden. Der Gesetzesentwurf stellt Berichten zufolge "Ansammlungen, Streiks, Demonstrationen, Sitzstreiks zur Durchsetzung ethnischer, religiöser und regionaler Forderungen" als gesetzwidrige Proteste unter Strafe.
(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.5.a))
Schiiten
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vergleiche USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% Ausschussbericht 7.6.2017; vergleiche USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vergleiche USCIRF 2017).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).
(Auszug aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 15.1. "Schiiten")
Laut Vertretern der Schiiten steht die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Anteil der Schiiten an der Gesamtbevölkerung. Während einige Quellen angeben, dass die offene Diskriminierung der Schiiten durch die Sunniten abgenommen habe, berichten andere, dass eine derartige Diskriminierung an bestimmten Orten weitergehe. Regierungsfeindliche Kräfte betrachten Schiiten Berichten zufolge als "Ungläubige", "Abtrünnige" oder "Halb-Muslime". Ferner wird berichtet, dass die gewalttätigen Angriffe regierungsfeindlicher Kräfte gegen die schiitische Bevölkerung seit 2016 beträchtlich zugenommen haben. Diese Angriffe erfolgten in Form von Verschleppungen und Entführungen, gezielten Tötungen, Angriffen auf Schiiten an Gebetsstätten oder in Dörfern sowie komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen. Es ist darauf hinzuweisen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion in Afghanistan oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die vorwiegend schiitische ethnische Gruppe der Hazara. Daher kann oftmals nicht eindeutig zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits und Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit andererseits unterschieden werden.
(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.5.a))
1.3.14. Risikogruppen
In seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (kurz "UNHCR-Richtlinien") führt UNHCR verschiedene Risikogruppen an. Auch EASO geht in seinen "Country Guidance: Afghanistan" aus Juni 2018 bzw. 2019 (EASO, Country Guidance: Afghanistan, June 2018 bzw. 2019 [in Folge: "EASO-Leitfaden 2018 bzw. 2019"], abrufbar unter https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf bzw. https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf) von ähnlichen Risikoprofilen aus.
Für die BF kommen folgende Risikogruppen in Betracht:
Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden. Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer.
Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2017 schrieb UNAMA 570 gezielte Tötungen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) zu, die 1 032 zivile Opfer (650 Tote und 382 Verletzte) forderten, was 10 Prozent aller zivilen Opfer des Jahres entsprach. Die Anzahl der von AGEs verübten derartigen Anschläge stieg von 483 im Jahr 2016 auf 570 im Jahr 2017 und die Zahl der dabei getöteten Zivilisten erhöhte sich um 13 Prozent.
Im Januar 2018 führten die Taliban drei getrennte Angriffe in Kabul durch, bei denen 150 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt wurden. In einer öffentlichen Erklärung begründeten die Taliban am 28. Januar 2018 einen dieser Angriffe, jenen auf das Innenministerium, mit folgenden Worten: "Dieses Ziel war der Feind, und auch die Mitarbeiter des Ministeriums waren die Hauptleidtragenden."
Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operations an. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich "gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land" richten. Trotz des erklärten Ziels der Taliban, "besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten", gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden.
Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen.
(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.1.a))
Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen
Berichten zufolge werden Personen, die aus "westlichen" Ländern zurückkehren, von regierungsfeindlichen Kräften bedroht, gequält oder getötet, weil angenommen wurde, dass sie Werte angenommen hätten, die mit diesen Ländern verbunden werden, weil sie "Fremde" geworden sind, oder weil angenommen wurde, sie seien Spione für oder Unterstützer eines westlichen Landes. Rückkehrern wird Berichten nach mit Vorbehalten begegnet, dies sowohl von ihrem Umfeld als auch vom Staat, was zu Diskriminierung und Isolation führen kann.
(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.1.i))
Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen können, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch wegen der Asylantragstellung oder des Bereisens westlicher Länder vorkomme.
(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Verfolgung unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen, Pkt. 8.)
Bei der Frage, ob eine "Verwestlichung" zu Problemen führen kann, ist zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden. Afghanische Frauen und Kinder, die sich an die Freiheiten und Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten begegnen, sich wieder an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Frauen können auch als "verwestlicht" angesehen werden, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder eine höhere Bildung aufweisen. Diesen Frauen kann unterstellt werden, gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen zu verstoßen und können Opfer von Gewalt seitens der Familie, konservativen Elementen in der Gesellschaft und regierungsfeindlichen Elementen werden. Teile der Bevölkerung, insbesondere in Städten stehen westlichen Werten offen gegenüber, wohingegen anderen Teile, meistens in ländlichen oder konservativen Umgebungen, diese ablehnen.
Es gibt wenige Berichte über Angriffe gegenüber "verwestlichten" Personen.
(Zusammenfassung aus dem EASO-Leitfaden 2019, Kapitel "Individuals perceived as ‚Westernised'")
Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen
Allgemeines
Seit 2001 unternahm die Regierung eine Zahl von Schritten, um die Situation von Frauen im Land zu verbessern, wozu Maßnahmen gehörten, um die politische Partizipation von Frauen zu erhöhen und die Schaffung eines Ministeriums in Frauenangelegenheiten. Der Versuch, internationale Standards für den Schutz von Frauenrechten in die nationale Gesetzgebung zu implementieren begegnete wiederkehrenden Schwierigkeiten.
Trotz der Setzung wichtiger Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen und Mädchen im Land blieben Verbesserungen der Situation Berichten zufolge jedoch marginal. Der begrenzte Zugang zu Bildung und Gesundheitseinrichtungen, Restriktionen hinsichtlich der Bewegungsfreiheit und ungerechte Bestrafungen für "Verbrechen gegen die Moral", ungleiche Teilnahme am staatlichen Geschehen, Zwangsheirat und Gewalt, bleiben wesentliche Herausforderungen für Frauen und Mädchen in Afghanistan. Gewalt gegenüber Frauen bleibt eine weit verbreitete, alltägliche und unleugbare Realität, wobei Frauen sowohl in unsicheren Provinzen als auch in ländlichen Gegenden Afghanistans verletzlich gegenüber Gewalt und Missbrauch sind. Täter bleiben häufig straffrei. Sexuelle Belästigung und tief verwurzelte Diskriminierung gegenüber Frauen bleiben weit verbreitet.
Oftmals wird Behörden fehlender Wille zur Umsetzung der in jüngerer Vergangenheit geschaffenen legislativen Verbesserung hinsichtlich Frauenrechten zugeschrieben.
Die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, geben Anlass zu besonderer Sorge. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist nach wie vor weit verbreitet: Die Zahl der Fälle steigt, jedoch wird angenommen, dass die tatsächlichen Fallzahlen höher als die angezeigten Fälle sind. Gewalt gegen Frauen wird als eine der größten menschenrechtlichen Herausforderungen Afghanistans beschrieben. Diese Gewalt umfasst Ehrenmorde, Entführung, Vergewaltigung, sexuelle Belästigung, erzwungene Abtreibung und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zu Abtreibungen gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie sind häufige Gründe dafür, dass Überlebende sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht anzeigen.
Das neue Strafgesetzbuch in Afghanistan, das im Februar 2018 in Kraft trat, kriminalisiert "Jungfräulichkeitstests", die nicht einvernehmlich stattfinden. Dennoch werden trotz der Kriminalisierung Jungfräulichkeitstests bei Frauen durchgeführt, die des Ehebruchs bezichtigt werden oder Opfer von sexueller Gewalt sind. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert auch "zina"-Delikte (geschlechtliche Handlungen zwischen unverheirateten Paaren).
Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt, weil junge Frauen, welche zur Polizei gehen, weitschichtig stigmatisiert werden. Polizistinnen sind Berichten zufolge selbst der Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz einschließlich Vergewaltigungen durch männliche Kollegen ausgesetzt. Sie sind außerdem durch gewaltsame Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gefährdet.
Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.
Schädliche traditionelle Bräuche
Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:
(i) "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie einer Familienschuld verkauft werden;
(ii) baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;
(iii) baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;
(iv) Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.
Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, da diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.
(Auszug aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien, Pkt. römisch III.A.7.)
1.4. Persönliche Situation der BF im Falle einer Rückkehr
Die BF können sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in ihrer Herkunftsstadt Kabul ansiedeln; diese würden im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Der Reiseweg dorthin ist legal und sicher.
Den BF und insbesondere auch den minderjährigen BF3 bis BF6 stehen Unterkünfte (zahlreiche Familienmitglieder und zumindest ein Freund der BF wohnen in Kabul; bei letzterem haben die BF auch schon gewohnt), grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) und Lebensgrundlagen (Arbeitsfähigkeit der Eltern, mögliche Eingliederung am Kabuler Arbeitsmarkt) zur Verfügung. Die Existenzgrundlage der BF3 bis BF6 wird durch ihre liebevoll für sie sorgenden Eltern bewahrt und zur Verfügung gestellt.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass
? die BF in Kabul einer realen Gefahr des Todes oder der Folter bzw. der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wären oder die bloße Anwesenheit in Kabul sie wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde,
? die BF im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht im Stande wären, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zu sorgen; die BF laufen nicht Gefahr, in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten,
? die BF3 bis BF6 sich gegenüber anderen Kindern in ihrem Alter in Kabul insofern hervorheben würden, als dass von einer realen Gefahr sowohl von wirtschaftlicher und versorgungsrelevanter wie auch von sicherheitsrelevanter Sicht gesprochen werden könnte.
In Kabul verfügen die BF über zahlreiche Familienangehörige, von denen sie sich eine - wenn auch bescheidene - dauerhafte Unterstützung erwarten könnten. Zudem könnten die Schwester der BF2 aus Kanada sowie die Schwester des BF1 aus Österreich finanzielle Beiträge an die Familie leisten. Es besteht sowohl zur Familie des BF1, als auch zu jener der BF2 Kontakt.
Darüber hinaus ist eine Kontaktaufnahme und der Erhalt einer Hilfe durch den in Kabul lebenden Freund des BF1 namens römisch 40 möglich.
Als Wohnmöglichkeit für die BF könnte etwa das Haus des Vaters des BF1 oder das Haus der Familie der BF2 genutzt werden, auch wenn es räumlich vorübergehend und bis die BF eine eigene Bleibe finden, beengt wäre. Die Unterstützung im Rahmen der Rückkehrhilfe beinhaltet neben finanziellen Zuwendungen außerdem Beratungen vor der Abreise aus Österreich und nach der Rückkehr, finanzielle und medizinische Unterstützungen sowie Sachleistungen.
Nach einer Übergangszeit ist zu erwarten, dass BF1 aufgrund seiner bisherigen Erwerbstätigkeit und Berufserfahrung durch sein Einkommen die Familie ernähren kann; schon vor der Ausreise hat er seine damals insgesamt fünfköpfige Familie durch seine Erwerbstätigkeit gut ernähren können. Auch für BF2 ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, etwa als Reinigungskraft, Friseurin oder Köchin, möglich, womit sie ebenfalls zum Familieneinkommen beitragen kann, während ihre Familie die Kinderbetreuung übernimmt. Es wäre auch möglich, dass sie eine Erwerbsarbeit zu Hause ausübt.
2. Beweiswürdigung
Ad 1.1. Zu den BF
Ad 1.1.1. Die Identität der BF konnte durch die Vorlage ihrer Tazkiras festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Nationalität sowie zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zu den Sprachkenntnissen gründen sich auf die gleichlautenden Aussagen des BF1 und der BF2 im Zuge der Erstbefragung sowie vor dem BFA und auf die Angaben in der Beschwerde sowie in den mündlichen Verhandlungen.
Hinsichtlich der Sprachbeherrschung fiel auf, dass der BF1 in der Ersteinvernahme angab, die Sprachen, die er spricht (Dari und Englisch), auch lesen und schreiben zu können und vier Jahre die Grundschule besucht zu haben (Erstbefragung BF1, Seite 1). Ab dem BFA brachte er dann vor, Analphabet zu sein (BFA-Protokoll BF1, Seite 7; 1. Verhandlungsprotokoll, Seite 24). Dieses Vorbringen überzeugt nicht: Der BF1 konnte nämlich im Rahmen des Asylverfahrens von Beginn an genaue Daten etwa zu den Geburtstagen seiner Kinder, seiner Hochzeit oder den fluchtauslösenden Momenten machen und Altersangaben zu seiner in Afghanistan lebenden Familie sowie Angaben zur der Aufenthaltsdauer der BF in mehreren Drittstaaten tätigen. Darüber hinaus führte er in der ersten Beschwerdeverhandlung an, in seinem Beruf auch Softwareinstallationen durchgeführt zu haben, bei denen er u.a. Usernamen und Codes hätte eingegeben müssen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 23). Es ist nicht mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar, dass derartig spezifische Eingaben ohne die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, beruflich durchgeführt werden könnten. Die Behauptung des BF1, sich den Vorgang durch Praxis angeeignet zu haben (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 24), erschien angesichts der Tatsache, dass sich diese Eingaben nicht immer ident wiederholen, unglaubwürdig. Somit war, wie anfangs angegeben, festzustellen, dass auch der BF1 lesen und schreiben kann.
Der BF1 und die BF2 führten im Laufe des Verfahrens überzeugend an, miteinander verheiratet und Eltern von nunmehr vier Kindern zu sein.
Dass Dari eine der beiden Landessprachen Afghanistans ist, gründet auf den eingebrachten Länderberichten.
Ad 1.1.2. Die Feststellungen zum Geburts- und dem gemeinsamen Aufenthaltsort der BF1 bis BF5 bis zu ihrer Ausreise in Kabul beruhen auf den plausiblen und weitgehend gleichbleibenden Angaben des BF1 und der BF2 im Verfahren vor der Polizeiinspektion, dem BFA und dem BVwG. Dass der BF6 im Bundesgebiet das Licht der Welt erblickt hat, geht aus der vorgelegten Geburtsurkunde vor.
Die BF1 bis BF5 sind in Afghanistan und der BF6 in Österreich im Familienkreis bei ihren afghanischen Eltern aufgewachsen, sodass die BF entsprechend der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert sind.
Ad 1.1.3. Während der BF1 vor der Polizeiinspektion schilderte, vier Jahre lang eine Grundschule besucht zu haben (Erstbefragung BF1, Seite 1), berichtete er vor dem BFA, wegen der schlechten Sicherheitslage in Kabul, nicht zur Schule gegangen zu sein (BFA-Protokoll BF1, Seite 7). Dies war jedoch - angesichts der früheren Auskunft in der Erstbefragung und dem allgemein kultivierten und gebildeten Eindruck, den der BF1 hinterließ, der zudem in einem qualifizierten Beruf gearbeitet hat - unglaubwürdig, weswegen festgestellt wurde, dass er ein paar Jahre die Grundschule besucht hat.
Die BF2 erzählte in der Erstbefragung, zwölf Jahre lang zur Schule gegangen zu sein (Erstbefragung BF2, Seite 1). Bei der belangten Behörde machte diese dann die Angabe, zehn Jahre lang die Schule besucht, aber den Stoff von zwölf Jahren gemacht zu haben (BFA-Protokoll BF2, Seite 6). Vor dem BVwG tat diese wiederum kund, bis zur zehnten Klasse eine Schule gemacht, danach zwei Jahre zuhause gelernt und eine Matura absolviert zu haben (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 9). Somit war festzustellen, dass die BF2 zumindest für zehn Jahre in der Schule war.
Die Feststellungen zu den bisherigen beruflichen Aktivitäten des BF1 und der Hausfrauentätigkeit der BF2 beruhen auf deren insoweit plausiblen und weitgehend gleichbleibenden Angaben im Verfahren vor der Polizeiinspektion, dem BFA und dem BVwG. Unstimmigkeiten traten hinsichtlich der Dauer und der Ausbildung des BF1 zum Computertechniker auf: So gab dieser in der Ersteinvernahme an, sich alles selbst beigebracht zu haben und acht Jahre lang in dem Bereich gearbeitet zu haben (Erstbefragung BF1, Seiten 2 f). Später äußerte der BF1, das Fach bei einem Meister gelernt zu haben und elf Jahre lang als Computertechniker tätig gewesen zu sein (BFA-Protokoll, Seiten 7 f). Somit konnte nur festgestellt werden, dass er zumindest für acht Jahre als Computertechniker tätig war und später ein eigenes Geschäft sowie ein Geschäft für Männerkleidung hatte, was auch die BF2 bestätigte.
Ad 1.1.4. Die Feststellungen zu den Angehörigen des BF1 und der BF2 stützen sich auf deren Angaben im Rahmen des Verfahrens vor der Polizeiinspektion, der belangten Behörde und dem BVwG, wobei hinsichtlich der Aufenthaltsorte und der Beschäftigung den jeweils aktuelleren Angaben der Vorzug zu geben war. Der BF1 gab durchgehend an, die finanzielle Situation seiner Familie sei gut bzw. zumindest mittelmäßig. Erst in der zweiten Verhandlung vor dem BVwG änderte er diese Aussage dahingehend, die finanzielle Situation seiner Familie sei schlecht, obwohl sein Vater zwischenzeitlich sogar wieder eine bezahlte Beschäftigung aufgenommen hat. Dieser spätere Versuch, die finanzielle Lage seiner Familie als schlecht darzustellen, um auch eine mögliche finanzielle Unterstützung auszuschließen, vermochte nicht zu überzeugen, weswegen eine mittelmäßige bzw. hinsichtlich des Bruders eine entsprechend gute finanzielle Situation festzustellen war.
Ad 1.1.5. Die Feststellungen zur Einreise der BF1 bis BF5 nach Österreich und ihrer Antragstellung ergeben sich aus dem Protokoll der Ersteinvernahme. Der BF1 und die BF2 gaben zwar in der Erstbefragung an, vor einem Jahr aus Afghanistan ausgereist zu sein (dies würde römisch 40 bedeuten; Erstbefragung BF1 und BF2, jeweils Seite
4) und der BF1 vermeinte vor dem BFA, dass die Familie am römisch 40 Afghanistan verlassen habe (BFA-Protokoll BF1, Seite 7). Diese Aussagen stehen aber in einem Missverhältnis zum Ausstellungsdatum der Tazkiras der minderjährigen BF, die alle auf den römisch 40 lauten (dies entspricht dem römisch 40 ), sowie im Missverhältnis zur Tazkira des BF1, die am römisch 40 (dies entspricht dem römisch 40 ) ausgestellt wurde, sodass nur festgestellt werden konnte, dass eine Ausreise aus dem Herkunftsland frühestens im römisch 40 stattgefunden hat. Die nachträgliche Antragsstellung für den nachgeboren BF6 kann dem Schreiben seiner gesetzlichen Vertreterin an die belangte Behörde entnommen werden.
Übereinstimmend wurde vom BF1 und der BF2 in sämtlichen Verfahrensstadien (mit Ausnahme des BF1 in der Erstbefragung: USD römisch 40 ; Erstbefragung BF1, Seite 5) auch vorgebracht, dass die Ausreise vom BF1 finanziert wurde sowie ein Betrag von EUR römisch 40 gezahlt wurde, weswegen dies festgestellt wurde.
Ad 1.1.6. Die Feststellungen, dass die BF nicht vorbestraft sind, nicht politisch tätig waren und keine Probleme mit den Behörden in ihrem Herkunftsstaat hatten, ergeben sich aus den Angaben des BF1 und der BF2 im Zuge der Einvernahme vor dem BFA und dem BVwG.
Ad 1.1.7. Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF1 und der BF2 gründen sich auf deren dahingehenden Angaben vor dem BVwG. Hinsichtlich der BF3 bis BF6 wurden keine gesundheitlichen Probleme geltend gemacht und sind solche auch nicht im Verfahren hervorgekommen.
Ad 1.1.8. Dass der BF1 über Angehörige im Bundesgebiet verfügt sowie, dass regelmäßiger telefonischer, aber kaum persönlicher Kontakt besteht, gründet sich auf die übereinstimmenden Aussagen des BF1 und der BF2 in der Erstbefragung, vor dem BFA und dem BVwG.
Ad 1.1.9. Die Feststellungen zur Unterkunft der Familie sowie hinsichtlich der Nutzung der Grundversorgung beruhen auf den Aussagen des BF1 und der BF2 sowie dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Bestätigungen zur Aushilfetätigkeit des BF1 sowie zu dessen ehrenamtlichem Engagement und den Einstellungszusagen der BF wurden im Verfahren zum Nachweis vorgelegt bzw. vom einvernommenen Zeugen in der ersten Beschwerdeverhandlung bekräftigt. Dass der BF1 und die BF2 mehrere Deutschkurse absolviert haben, der BF1 eine Sprachprüfung abgelegt und die BF2 eine Frauengruppe besucht hat, ist ebenfalls eingebrachten Bestätigungen und Zertifikaten zu entnehmen.
Die Feststellungen zu den sozialen Kontakten und Freizeitaktivitäten der BF basieren auf deren plausiblen und glaubwürdigen Angaben vor dem BVwG und eingebrachtem Bildmaterial. Die Feststellungen gründen sich aber auch auf für die Familie ausgestellte Unterstützungsschreiben. Dass die BF3 bis BF5 zurzeit die Schule in Österreich besuchen, ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben ihrer Eltern sowie Schulbesuchsbestätigungen und Jahreszeugnissen. BF6 ist angesichts des jungen Alters ein Kleinkind.
Ad 1.1.10. Dass die BF in Österreich unbescholten sind, ergibt sich aus dem im Zuge des Verfahrens eingeholten Strafregisterauszügen und den dahingehend glaubwürdigen Angaben vor dem BFA und dem BVwG.
Ad 1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates/Nachfluchtgründe
Ad 1.2.1. Die Feststellungen zu den Gründen, warum die BF nicht in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan zurückkehren möchten, sowie, dass keine aktuelle Bedrohung der BF (aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung) in Afghanistan festgestellt werden konnte, stützen sich auf die gesamthafte Würdigung der Angaben im Zuge ihrer Befragungen, allen voran auf die Aussagen des BF1 und der BF2 als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder, und die einschlägigen, in das Verfahren eingebrachten Länderberichte.
Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).
Die nähere Befragung zu den Fluchtgründen bei der Erstbefragung ist unzulässig (VfGH 27.06.2012, U98/12 - U1570/11; U2344/11; U151/12; U202/12; U230/12; VwGH). Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Aus der näheren Darstellung eines bereits bei der Erstbefragung erhobenen Vorbringens, dessen Detaillierung von der Behörde erster Instanz nicht gefordert wurde, darf die zweite Instanz noch nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens schließen (VwGH 20.06.1995, 94/19/0625). Die höchstgerichtliche Judikatur verbietet - angesichts des eingeschränkten Zwecks der Erstbefragung - die unreflektierte Verwendung der darin gewonnenen Beweisergebnisse; zudem darf ein späteres, detaillierteres Vorbringen, dessen Grundlage bereits in der Erstbefragung gelegt wurde, nicht (wegen des höheren Detaillierungsgrads) als unglaubwürdig betrachtet werden. Diese Judikatur verbietet jedoch nicht die Auseinandersetzung mit möglicherweise inkonsistenten oder sogar widersprüchlichen Erzählungen zwischen der Ersteinvernahme und späteren Befragungen (zuletzt etwa VwGH 28.06.2018, Ra 2018/19/0262, Rz 8).
Die Asylbehörden haben in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108, Rz römisch III.4., mwN).
Voranzustellen ist, dass der BF1 und die BF2 bei - für das Fluchtvorbringen im Kern nicht unmittelbar relevanten - Details, die mit einer möglichen Verfolgung durch die Taliban nichts zu tun haben, wie dem angeblichen Ausreisezeitpunkt, der nicht mit den Ausstellungsdaten der vorgelegten Tazkiras übereinstimmte vergleiche "Ad 1.1.5."), der Schul- und Berufsausbildung des BF1 sowie der BF2 und den Schreib- sowie Lesefähigkeiten des BF1 vergleiche "Ad 1.1.1." und "Ad 1.1.3."), unrichtige bzw. widersprüchliche Angaben machten. Es fielen auch die zum Teil im Widerspruch zum Berichtsmaterial stehenden Aussagen der erwachsenen BF auf, die versuchten, die Lage für Frauen sowie die Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder in Kabul als besonders schlecht darzustellen. Bei der Fluchterzählung fiel auf, dass dieses auf einer Bedrohung der Familie durch die Taliban aufbaute, die BF2 aber laut anderen Aussagen weder direkt von Taliban bedroht worden sei, noch diese in ihrer Umgebung gesehen habe (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 10). Diese Unstimmigkeiten ließen gravierende Zweifel an der Glaubwürdigkeit der BF aufkommen und konnte deren persönliche Glaubwürdigkeit nicht festgestellt werden.
Diese Skepsis erhärtete sich schließlich angesichts der Divergenzen und Unplausibilitäten im Zusammenhang mit dem tatsächlichen Fluchtvorbringen. Zusammengefasst gaben die BF an, dass ihnen eine Gefahr durch die Taliban drohe, die ihnen mit dem Umbringen gedroht hätten, wenn BF1 nicht einen manipulierten Drucker zu einer NGO transportiere. Dabei habe lediglich der BF1 direkten Kontakt zu den angeblichen Verfolgern in seinem Geschäft und im Hof des Mietshauses der BF gehabt. Die BF2 habe diese nur einmal, als sie dem BF1 im Hof zur Hilfe geeilt sei, gesehen; eine persönliche Bedrohung habe es gegen sie selbst oder die Kinder, die dem BF1 einfach nach Europa nachgefolgt seien, nie gegeben (BFA-Protokoll BF2, Seite 10).
Sowohl betreffend das erste Zusammentreffen mit den Taliban in seinem Geschäft und das zweite Zusammentreffen beim Haus der BF fielen im Vorbringen der BF Widersprüche auf; zudem steigerten bzw. veränderten diese Elemente des Vorbringens in den verschiedenen Einvernahmen:
In der Erstbefragung und vor dem BFA ging es zunächst lediglich um den Transport eines Druckers bzw. einer Kopiermaschine, dessen Zweck der BF1 nicht zu ergründen vermochte ("Ich habe dann nachgefragt was sie damit bezwecken würden. Sie sagten mir, dass das nicht meine Sache wäre und es nur machen solle.", BFA-Protokoll BF1, Seite 10). Erstmals in der Beschwerdeschrift wurde vorgetragen, dass das Gerät für einen Anschlag präpariert gewesen sei (Beschwerdeschriften, Seite 4). Der BF1 äußerte ab der ersten Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG die Vermutung, dass er für die Taliban explosives Material hätte transportieren sollen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 25); dieser Verdacht sei ihm wegen der Summe und der Aufforderung der Personen, nicht zu Sicherheitsorganen zu gehen, gekommen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 26). Vor der Polizeiinspektion und dem BFA erwähnte der BF1 bisher aber nie konkret Sprengstoff oder eine Bombe.
Festzuhalten ist auch, dass der BF1 in der Erstbefragung aussagte, dass die Taliban gekommen seien, als er das Geschäft habe schließen wollen (Erstbefragung BF1, Seite 6). Vor dem BFA berichtete dieser, mit der Arbeit beschäftigt gewesen zu sein, als die Leute aufgetaucht seien (BFA-Protokoll BF1, Seite 10).
Während der BF1 weiters vor der Polizeiinspektion schilderte, dass er das Angebot abgelehnt habe und sodann mit dem Umbringen bedroht worden sei sowie diese Männer nach einer Woche zu ihm nach Hause gekommen und nochmals mit dem Umbringen gedroht hätten ("Dann kamen diese Männer zu mir und bedrohten mich abermals mit dem Umbringen.", Erstbefragung BF1, Seite 6), erzählte der BF1 nunmehr vor der belangten Behörde, dass er den Männern im Geschäft zunächst gesagt habe, eine gewisse Entscheidungszeit zu brauchen, woraufhin diese gegangen seien (BFA-Protokoll BF1, Seite 10). Nach einer Woche seien andere Personen zu ihm gekommen, die gefragt hätten, ob er jetzt mehr zu dem wisse, was die Kollegen gesagt hätten (BFA-Protokoll BF1, Seite 10); erst bei diesem Besuch habe sich der BF1 dann geweigert, den Auftrag zu erledigen ("Ich verweigerte und sagte, dass ich so etwas nicht machen würde.", BFA-Protokoll BF1, Seite 11). Von einer konkreten Todesdrohung erwähnte der BF vor dem BFA nichts. Vor dem BVwG gab der BF1 diesbezüglich zu Protokoll, dass er den Personen im Geschäft gesagt habe, dass er sich alles überlegen müsse, und es sei ihm - was er hier erstmals erwähnte - eine Bedenkzeit bis zum nächsten Tag eingeräumt worden (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 24). Als dann eine Woche später zwei vermummte Männer vor der Tür gestanden seien, hätten diese nach ihren Kollegen gefragt, und gefragt, warum er nicht auf diese gehört habe (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 24). Der BF1 habe ferner gebeten, dass man ihn nicht zur Ausführung des Auftrages zwingen solle, die Männer hätten aber gemeint, dass dies nicht möglich sei (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 25).
Es fiel auch auf, dass der BF1 angab, die zwei vermummten Männer hätten ihn aufgefordert, er solle sie begleiten; einer hätte ihn von hinten umklammert, der andere habe ihn an den Füßen genommen, weil sie ihn auf diese Weise hätten (vom Haus weg) tragen wollen (Verhandlungsprotokoll, Seiten 24 f). Die BF2 habe versucht, dies zu verhindern und soll ihre Tochter auf dem Arm gehabt haben (BFA-Protokoll BF1, Seite 11; BFA-Protokoll BF2, Seiten 8 f). Angesichts der vom BF1 geschilderten Situation, wie die Angreifer versucht haben sollen, ihn wegzutragen, ist nicht nachvollziehbar, wie einer der beiden Männer die BF2 aus dieser Trageposition heraus in die Rippen getreten (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 25; BFA-Protokoll BF2, Seite 9) haben will (wobei hier nicht klar ist, wie die kleine Tochter im Arm der BF2 ungeachtet des folgenden Sturzes vom Tritt unverletzt geblieben sein soll), bzw. die BF2 gestoßen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 14) oder sogar geschlagen haben will - wobei die BF2 sodann auf Nachfrage nicht genau angeben konnte, ob es ein Fußtritt oder ein Faustschlag gewesen sein soll (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 15). In der ersten mündlichen Verhandlung gab der BF1 erstmals an, dass auch er noch einen Fußtritt auf den Brustkorb erhalten habe (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 25).
Die Schilderungen der BF weisen iZm dieser Situation weitere Widersprüche auf. BF1 gab an, es habe geklopft, er sei aus dem Haus gegangen und habe die Tür zugemacht, damit seine Frau nichts mitbekomme (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 24). Anders hingegen schildert die BF2, sie sei zur Tür gegangen und habe beobachtet, wie zwei Männer versucht haben sollen, die Hände des BF1 hinter dessen Körper zu binden und ihn aus der Hoftür zu ziehen (BFA-Protokoll BF2, Seiten 8 f; 1. Verhandlungsprotokoll, Seite 14). Unstimmig ist dabei sowohl, wie die BF2 durch eine verschlossene Tür das Geschehen verfolgt haben will, als auch die Erzählung, man hätte ihren Mann aus dem Hof ziehen - nicht aber wie von BF1 geschildert - tragen wollen.
Auffallend war in diesem Kontext, dass die BF2 in sämtlichen Einvernahmen zwar immer wieder anführte, dass ihr Mann mit dem Umbringen bedroht worden sei, weil er eine Kooperation mit den Taliban verweigert habe, diese konnte aber nicht näher konkretisieren, was die regierungsfeindliche Gruppierung eigentlich von ihrem Mann gewollt habe ("[...] er hätte irgendwas transportieren sollen, aber da er sich weigerte wurde er wie gesagt mit dem Umbringen bedroht.", Erstbefragung BF2, Seite 6; "Die Taliban haben mit meinen Mann aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten, ich weiß nicht, was sie ihm gesagt haben.", 1. Verhandlungsprotokoll, Seite 13). Hätten sich die - zutreffendenfalls dramatischen - Ereignisse rund um die Taliban tatsächlich so ereignet, wäre die BF2 in Kenntnis der Forderung, die den BF1 zum einwöchigen Fernhalten von seiner Arbeit und schlussendlich die gesamte Familie zur Ausreise gezwungen haben soll, gewesen und hätte sich dazu äußern können. Doch auch der BF1 konnte zum Vorhaben der Personen nichts Konkretes angeben, bzw. mutmaßte er erst spät im Verfahren, es habe sich um den Transport einer Bombe gehandelt.
Zum Vorfall im hauseigenen Hof ist demgegenüber zu bemerken, dass die BF2, die nur zu diesem Vorfall eigene Wahrnehmungen haben soll, diesen bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnte. Dazu fielen folgende Angaben der BF2 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG ins Auge (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 15; Hervorhebungen hinzugefügt):
"RI: Woher wissen Sie, dass die Taliban Ihren Mann zur Arbeit aufgefordert haben?
BF2: Mein Mann ist eine Woche nicht in die Arbeit gegangen und als ich ihn gefragt habe, hat er mir gesagt, dass er von den Taliban bedroht worden ist und dass zwei Personen zu uns nach Hause gekommen sind.
RI: Habe ich das richtig verstanden: "... er mir gesagt, dass er von den Taliban bedroht worden ist und dass zwei Personen zu uns nach Hause gekommen sind".
BF2: Ja, das haben Sie richtig verstanden."
Diese Angaben der BF2 legen nahe, dass sie auch vom angeblichen zweiten Vorfall persönlich keine Wahrnehmungen hat. Dieser Eindruck deckt sich auch mit den vagen und teilweise widersprüchlichen Angaben der BF zum Geschehen.
Vor dem BFA gab die BF2 zum Zwischenfall an, auf die ungebetenen Gäste durch Stimmen aufmerksam geworden zu sein (BFA-Protokoll BF2, Seite 8). In der ersten mündlichen Verhandlung führte diese hingegen an, dass sie Schreie ihres Mannes wahrgenommen habe und so die Gefahrensituation erkannt habe (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 14).
Die BF schilderten anschließend, dass sich der Vorfall am Abend ereignet hätte, als gerade Gebetszeit gewesen wäre und Menschen am Nachhauseweg sich um das Geschehen geschart und die Angreifer dadurch vertrieben hätten (BFA-Protokoll BF1, Seite 11; BFA-Protokoll BF2, Seite 9; 1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 14 und 25). Dabei fällt auf, dass der BF1 vor dem BFA berichtete, dass die vorbeikommenden Menschen sich eingemischt hätten, wodurch die Taliban bzw. die unbekannten Personen Angst bekommen hätten (BFA-Protokoll BF1, Seite 11). Später führte er an, dass die Verfolger, damit sie nicht angehalten werden hätten können, davongelaufen seien (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 25). Die BF2 mutmaßte vor dem BFA, dass die Taliban oder unbekannten Personen vielleicht Angst vor den Menschen bekommen hätten (BFA-Protokoll BF2, Seite 9). In der ersten Beschwerdeverhandlung vermeinte sie, dass die Menschen sich angesammelt hätten (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 14). Hätte es sich dabei tatsächlich um Taliban gehandelt, wäre nicht überzeugend, dass diese sich so leicht von anderen Menschen fürchten bzw. trotz ihrer angeblichen Bewaffnung in die Flucht schlagen ließen.
Angesichts dieser zahlreichen Unplausibilitäten, detailarmer und zum Teil wie einstudiert wiedergegebener Erzählungen, Steigerungen und Widersprüche war das Vorbringen der BF zu einem bzw. zu zwei angeblichen Vorfällen mit den Taliban bzw. unbekannten Leuten unglaubwürdig und konnte keine Feststellungen tragen. Vielmehr war festzustellen, dass die geschilderten Ereignisse sich nicht zugetragen haben.
Doch selbst, wenn man über die bereits angesprochenen Inkonsistenzen in der Erzählung der BF hinwegblicken würde, ergibt sich weder eine glaubwürdige Erzählung, noch eine feststellbare Bedrohung, die letztlich zur Ausreise geführt haben soll:
Das Fluchtvorbringen ist auch aufgrund der Tatsache, dass dem BF1 ein sehr hoher Geldbetrag (USD römisch 40 angeboten worden sein soll, um den gewünschten Transport durchzuführen, weder logisch noch glaubwürdig. Denn eine Drohung mit dem Tod alleine wäre alleine schon Druckmittel genug gewesen, um den BF1 zum gewünschten Handeln zu bewegen. Wieso die "Erpresser" ihm zunächst zusätzlich noch sehr viel Geld angeboten haben sollen, war nicht nachvollziehbar. Zudem hätte aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine geringere Geldsumme als Anreiz zur Erfüllung des Auftrages - durch den BF1 oder eine auch eine völlig andere Person - ausgereicht. Es war auch überdies nicht plausibel, wieso keine Anzeige bei der Polizei von den BF erstattet wurde (BFA-Protokoll BF1, Seite 11), was ein nicht nachvollziehbares Verhalten in dieser Situation darstellt. Dies vor allem, nachdem die angeblichen Angreifer sich laut Erzählung durch herannahende Menschen leicht vertreiben hätten lassen.
Darüber hinaus ergaben sich Ungereimtheiten zwischen den beiden geschilderten Geschehnissen und dem Zeitpunkt der Ausreise der BF:
Der BF1 führte an, dass sich das Ereignis im Computergeschäft am römisch 40 zugetragen habe (BFA-Protokoll BF1, Seite 10; im Übrigen war dies ein Montag und nicht - wie behauptet - ein Samstag, BFA-Protokoll BF1, Seite 8). Er sei danach eine Woche zuhause geblieben, dann sei es zum zweiten Vorfall gekommen und anschließend habe er vier oder fünf Nächte bei seinem Freund römisch 40 verbracht, ehe er mit seiner Familie ausgereist sei. Diesem habe er Geld und den Auftrag gegeben, Reisepässe und ein Visum zu besorgen; dies habe fünf Tage in Anspruch genommen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 25; BFA-Protokoll BF1, Seite 11). Diese Angaben würden auf eine Ausreise am römisch 40 . hindeuten (BFA-Protokoll BF1, Seite 11; 1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 14 und 25). Der BF1 gab aber vor dem BFA an, Afghanistan konkret am römisch 40 verlassen zu haben (BFA-Protokoll BF1, Seite 7).
Eine Ausreise im römisch 40 ist davon abgesehen nicht mit den Ausstellungsdaten der vorgelegten Tazkiras vereinbar: Die Tazkiras der BF3 bis BF5 wurden erst am römisch 40 (dies entspricht dem römisch 40 ausgestellt. Die Tazkira des BF1 wurde überhaupt erst am römisch 40 (dies entspricht dem römisch 40 ) ausgestellt. Zum einen lässt diese Unvereinbarkeit das gesamte Fluchtvorbringen konstruiert wirken und macht es vollkommen unglaubwürdig. Zum anderen fehlte den Geschehnissen - aufgrund der bis zur Ausreise verstrichenen Monate - jede konkrete Bedrohlichkeit. Deswegen könnte, selbst, wenn die geschilderten Ereignisse zuträfen - was mangels Glaubwürdigkeit nicht angenommen wird -, nicht festgestellt werden, dass diese Geschehnisse Grund für die Ausreise der BF waren.
Schwierig nachzuvollziehen bleibt zudem, ob die Verfolger, von denen die Vorfälle angeblich ausgingen, überhaupt Taliban waren bzw. woher die BF dies gewusst haben sollen: In der Erstbefragung erwähnte der BF1 mit keinem Wort, dass er von Taliban aufgesucht worden sei (Erstbefragung BF1, Seite 6). Ab dem BFA trug er dann durchgehend vor, dass Anhänger der regierungsfeindlichen Gruppierung ihn aufgesucht hätten. Auf Nachfrage, vor wem sich der BF1 eigentlich konkret fürchte, vermeinte dieser, dass sowas niemand anderes als die Taliban machen würden (BFA-Protokoll BF1, Seite 13); auch vor dem BVwG gab der BF1 nur bekannt, nicht gewiss zu wissen, ob es Taliban gewesen seien. Da ihn die Männer zu dieser Tat aufgefordert hätten, sei er davon ausgegangen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 15).
Abschließend ist festzuhalten, dass die BF im Laufe des Verfahrens angaben, dass ihre Familien mit den Taliban niemals Probleme - nicht einmal nach der Ausreise der BF - gehabt hätten; diese würden sich unbehelligt in Kabul aufhalten können (BFA-Protokoll BF1, Seite 12; BFA-Protokoll BF2, Seite 10; 1. Verhandlungsprotokoll, Seite 15). Deswegen war festzuhalten, dass die Familien der BF nicht in den Fokus der Taliban gerieten.
Wie sich zeigt, war das primäre Fluchtvorbringen der BF in einer Gesamtbetrachtung in mehreren Punkten gesteigert, unplausibel, widersprüchlich und letztlich unvereinbar mit den vorgelegten Dokumenten. Den Erzählungen der BF zu den Gründen ihrer Flucht kam damit keine Glaubwürdigkeit zu. Es war somit nicht möglich, Feststellungen zu einer vergangenen oder aktuellen und konkret gegen die BF gerichteten Bedrohung zu treffen. Vielmehr war festzustellen, dass die geschilderten Geschehnisse nicht stattgefunden haben und für die Familie der BF zu keinem Zeitpunkt eine gesonderte Gefahr seitens der Taliban oder sonst jemandem bestand und eine solche auch derzeit nicht gegeben ist.
Der BF1 führte in der Erstbefragung an, dass die Familie nach Deutschland gewollt habe, weil man gesagt habe, dass man dort Aufenthaltsberechtigung erhalten würde (Erstbefragung BF1, Seite 5). Die BF2 gab an, dass die finanzielle Unterstützung in Österreich besser sei, deshalb habe man dorthin gewollt (Erstbefragung BF2, Seite 6). Berücksichtigt man, dass die erste Station der Ausreise der BF aus Afghanistan in den Iran und in die Türkei führte, wo sie sich einige Monate aufhielten, jedoch keine finanzielle Unterstützung erhielten (Erstbefragung BF1, Seite 4), liegt nahe, dass nicht eine tatsächliche Sorge vor den Taliban zur Ausreise aus Afghanistan bzw. weiter aus dem Iran und der Türkei bewegt hat. Schließlich wäre es bereits in diesen Ländern den BF möglich gewesen, ein Leben frei von Furcht vor den Verfolgern zu führen.
Andere Gefährdungen oder Bedrohungen wurden nicht vorgebracht und konnten nicht festgestellt werden.
Ad 1.2.2. Die BF2 brachte vor, eine westliche Lebensweise in Österreich angenommen zu haben, bei deren weiterer Pflege im Herkunftsstaat diese einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein solle. Es ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit die BF2 sich im Vergleich zu ihren früheren Freiheiten in Kabul, so stark verändert hätte, dass die Beibehaltung ihres Lebensstils zu maßgeblichen, integritätsgefährdenden Problemen führen würde.
Zunächst ist festzuhalten, dass es der BF2 in Kabul zum vormaligen Zeitpunkt möglich war, bei Bedarf Einkäufe zu erledigen, sich außer Haus zu bewegen oder zu kleiden, wie sie das wollte; es gab keine auferlegten Verbote seitens des BF1 (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 8, 30 und 32). Die geschilderte Angst vor den Taliban war nicht überzeugend, zumal die BF2 niemals direkt von der Gruppierung bedroht wurde und deren Anhänger noch nie in ihrer Wohngegend gesehen hat (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 8 und 10; BFA-Protokoll BF2, Seite 12).
Der eingeschränkte Lebensradius der BF2 ist im konkreten Fall mehr mit der kinderreichen Familiensituation und nicht mit den Taliban und dem "Druck der Gesellschaft" zu erklären: Aus den Länderberichten ergibt sich, dass sich Frauen in afghanischen Großstädten draußen alleine bewegen können und in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv sind. Weiters zeigt sich das Bild, dass Frauenkleidung in Afghanistan ein breitgefächertes Spektrum umfasst, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Marzar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservative Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Die allgemeine Situation in urbanen Zentren ist also dergestalt, dass auch weniger strenge Formen der Kopfbedeckung üblich sind. Aus den Länderberichten ist ersichtlich, dass die gesellschaftlichen Restriktionen in größeren Städten betreffend die Kleidungswahl von Frauen bei allen anderen Volksgruppen als jener der Paschtunen sogar weniger einschränkend sind.
Aus dem weiteren Vorbringen der BF2 konnte nicht ersehen werden, dass sich diese von ihrer Lebensführung in Afghanistan seit ihrer Einreise nach Österreich maßgeblich entfernt hätte. So kümmert sich die BF2 weiterhin hauptsächlich um die Kinder - auch weil sie seit ihrer Einreise ein weiteres Kind zur Welt gebracht hat -, den Haushalt und die Einkäufe, wenngleich sie nunmehr die meisten ihrer täglichen Wege alleine bewältigt (BFA-Protokoll BF2, Seite 12; 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 11). Einkäufe in nahegelegenen Geschäften für den täglichen Bedarf stellen für sich genommen noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für das Führen eines selbstbestimmten Lebens dar, das in Afghanistan nicht möglich wäre. Bei den österreichischen Freunden, mit denen sich die BF2 trifft, handelt es sich um überschaubare soziale Kontakte, die diese vornehmlich im Zusammenhang mit integrationsfördernden Maßnahmen geknüpft hat (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 18 f); die meisten davon sind Frauen. Davon abgesehen hat sie auch in Österreich eher afghanische Freunde (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 19). Die afghanischen Freunde sind auch jene Personen, mit denen gemeinsam Feste gefeiert werden, wie etwa die Geburtstage der Kinder (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 19). Die BF2 hat im Übrigen zugegeben, sich bisher nicht mit Frauenrechten beschäftigt zu haben (2. Verhandlungsprotokoll, Seite 27).
Zwar nimmt die BF2 grundsätzlich Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in Anspruch (BFA-Protokoll BF2, Seite 11; 1. Verhandlungsprotokoll, Seite 18). Doch ist darin kein Bruch mit der Gesellschaft in Afghanistan zu erblicken. Es ergab sich aber auch, dass die BF2 auch dabei nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnimmt ("RI: Was heißt, Sie ‚gehen gemeinsam hinaus'? BF2: Damit meine ich, wir gehen in den Hof.", 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 9). Das Länderberichtsmaterial weist im Übrigen auch Freizeitgestaltungsmöglichkeiten von Frauen in Kabul aus.
Zu berücksichtigen ist, dass die BF2 trotz regelmäßiger Deutschkursbesuche und Unterstützung von ehrenamtlichen Lehrern seit ihrer Ankunft nur geringfügige Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache gemacht hat (kein Deutschkurs seit 2017). Eher der BF1 tätigt die Elternsprechtage der Kinder (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 38). Er ist es auch, der arbeiten geht. Die aktuelle Aufgabenverteilung in der Familie entspricht nach wie vor einer "traditionellen" Rollenverteilung.
In den mündlichen Verhandlungen brachte die BF2 zu ihrem Berufswunsch befragt vor, als Friseurin und Kellnerin tätig sein zu wollen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 18; 2.
Verhandlungsprotokoll, Seite 10). Sie hat aber noch keine eigeninitiativen Schritte unternommen, um an eine Arbeit zu kommen. Aus den Aussagen der BF2 ergibt sich vielmehr, dass sie zunächst abwarten möchte, bis ihr jüngstes Kind in den Kindergarten geht und sich erst dann hinsichtlich eines Berufs festlegen möchte, d.h. in zwei bis drei Jahren (2. Verhandlungsprotokoll, Seite 9). Zu der von einem Unterstützer bekanntgegebenen Einstellungszusage äußerte sich die BF2 aus eigenem überhaupt nicht, woraus ebenfalls keine besondere Beschäftigung mit einer möglichen beruflichen Tätigkeit hervorgeht. Ein besonderes Engagement und eine klare Vorstellung sowie eine konkrete Planung ihres Berufszieles waren damit nicht erkennbar. Der grundsätzliche Wunsch nach einer Beschäftigung kann keineswegs als ausschlaggebend für die Annahme einer Verinnerlichung einer westlichen Lebensweise gewertet werden, die in Afghanistan zu Problemen führen würde. Das Ergreifen eines Berufes ist ihr zudem auch in Afghanistan möglich. Ihr Mann steht den Berufswünschen seiner Frau nicht im Weg; es sind auch keine Repressionen seitens der Familie zu erwarten (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 20, 31 und 38). Die Schilderung des BF1, er habe seiner Frau nach einer beobachteten Belästigung verboten, alleine einkaufen zu gehen (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 29) steht im Widerspruch zum Vorbringen der BF2, wonach sie ein "liberales" Leben geführt habe (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 8) und sehr wohl alleine einkaufen gehen durfte (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 9 und 19). Auch steht diese Erzählung im Widerspruch zu den sonstigen Angaben des BF1 selbst, der ebenfalls angab, aus einer liberalen Familie zu kommen, wo den Frauen ein "freies" Leben zugebilligt wurde (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 29 und 31). Die Angabe der BF2, sie habe ein Kopftuch tragen müssen, weil die Anwesenheit der Taliban dies notwendig gemacht hätte (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 8) war nicht glaubwürdig, gab sie doch auch an, dass sie keine Taliban in ihrer Umgebung gesehen hätte (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 10) und ergibt sich deren Präsenz in Kabul auch nicht aus dem Länderberichtsmaterial.
Auch aus den sehr allgemein gehaltenen und farblosen Aussagen der BF2 vor dem BVwG, dass sie sich in Österreich frei bewege und Freiheiten habe (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 19 f; 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 27), kann kein Rückschluss auf einen verinnerlichten Wunsch nach einer selbstbestimmen Lebensweise - wie sie in der konkreten Situation der BF2 in Afghanistan nicht möglich wäre - gezogen werden.
Zu den Beschwerdeverhandlungen erschien die BF2 zwar ohne Kopftuch und mit Make-up (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 7; 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 7). Diesbezüglich wird angemerkt, dass allein das Nicht-Tragen eines Kopftuches nicht ausreicht, um eine "westliche" Geisteshaltung glaubwürdig darzutun, weil die tatsächlich gelebten Umstände bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Haltung darstellen als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung. Dasselbe gilt für das zweimalige Verkleiden als Engel zur Krampuszeit (BFA-Protokoll BF2, Seite 11).
Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich und mit den hier gegebenen Freiheiten vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der BF2 um eine in ihrer Grundeinstellung derart "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung und bzw. oder der Fortsetzung ihres hier gelebten Lebensstils in ihrer Herkunftsstadt einer integritätsbedrohenden Gefahr ausgesetzt wäre. Aus den Angaben der BF2 zu ihrer Lebensführung in Österreich ist eine behauptete "westliche" Lebensweise, die bei Fortführung in der Herkunftsstadt für Probleme sorgen würde, nicht ableitbar. Vielmehr ist es so, dass die BF2 ihren bereits in ihrer Herkunftsstadt bekannten Lebensstil in Österreich im Wesentlichen fortgeführt hat und bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine maßgebliche Rückanpassung notwendig wäre.
Ad 1.2.3. Aus den Länderinformationen geht hervor, dass Kinder unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, Zugang zu Schulbildung und Kinderarbeit nachteiliger Behandlung ausgesetzt sein können. Solche Handlungen können wiederum unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung" darstellen vergleiche dazu auch die Richtlinien Nr. 8 von UNHCR zu Asylanträgen von Kindern vom 22.12.2009, HCR/GIP/09/08). Die erwähnten Benachteiligungen beruhen primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt. Nachdem die minderjährigen BF über eine Familie verfügen, könnten sich diese im Fall einer Rückkehr in deren Schutz begeben und besteht daher keine gesteigerte Wahrscheinlichkeit, dass die BF3 bis BF6 kinderspezifischen Gefährdungen ausgesetzt wären, die integritätsbedrohende Intensität aufweisen würden. Eine solche Gefahr geht auch nicht von den anderen Familienmitgliedern, insbesondere nicht von den Eltern der minderjährigen BF aus, die sich liebevoll um die Kinder kümmern.
Zum Bildungszugang im Speziellen ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Schulbesuch bis zur Unterstufe der Sekundarbildung in Afghanistan Pflicht ist. Da der BF1 und die BF2 den Schulbesuch ihrer Kinder unterstützen und BF1 sich auch mit dem möglichen Besuch einer Privatschule für seine Kinder auseinandergesetzt hat (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 29), ist davon auszugehen, dass sie diesen auch in Afghanistan ermöglichen würden. Die Länderberichte zeigen, dass es in Kabul ein großes Angebot an Bildungseinrichtungen, auch für Mädchen, gibt. Es gibt darüber hinaus kaum dokumentierten Fälle davon, dass Schulen in Kabul durch regierungsfeindliche Kräfte bedroht wurden. Daraus ergibt sich am Herkunftsort der BF keine systematische Verhinderung von Bildung gegenüber Kindern im Allgemeinen und Mädchen im Besonderen.
Der BF1 und die BF2 konnten keine Angaben dazu machen, weshalb ihre Töchter gerade von Belästigung oder Entführung betroffen sein sollten (2. Verhandlungsprotokoll, Seite 22).
Feststellungen hinsichtlich der Einstellung der Eltern, dass ihre Kinder frei entscheiden dürften, wen sie heiraten wollen oder dass sie diese nie zwangsverheiraten würden, basiert auf den glaubwürdigen Aussagen des BF1 und der BF2 in der Beschwerdeverhandlung (1. Verhandlungsprotokoll, Seiten 21 f und 37). Anhaltspunkte dafür, dass die Kinder Opfer einer Zwangsarbeit oder Zwangsrekrutierung werden würden, kamen im Verfahren nicht hervor.
Andere Fluchtgründe und allfällige Probleme in Afghanistan wurden im Zusammenhang mit der Lage der BF nicht bzw. nicht substantiiert dargelegt - insbesondere betonten die BF2 und der BF1 sowie auch die Beschwerde für BF6, dass die Kinder keine eigenen Fluchtgründe haben - und konnten mangels entsprechender sonstiger Anhaltspunkte hierzu keine Feststellungen getroffen werden.
Ad 1.3. Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zu Afghanistan und insbesondere zur Herkunftsprovinz der BF gründen sich auf das vom BFA herausgegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan - mit Stand vom 04.06.2019 samt den darin verwiesenen weiteren Quellen sowie auf die weiteren zitierten Quellen, wie auch die den BF zur Stellungnahme übermittelten Recherchen des BFA zur kinderspezifischen Situation in den größeren afghanischen Städten.
Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht daraus, dass aufgrund von Paragraph 5, Absatz 2, BFA-Errichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diesen Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Das LIB als solches blieb von den BF im Verfahren unbestritten.
Außerdem gründen sich die soeben genannten Feststellungen auf die aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen Informationsberichte des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen EASO samt den darin erwähnten Nachweisen. So insbesondere auf die Berichte zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, staatlichem Schutz und Mobilität in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat von August 2017 bzw. April 2019, zu Netzwerken in Afghanistan von Jänner 2018 und zur Sicherheitslage von Juni 2019. Diese Feststellungen decken sich auch mit den Informationen des EASO-Leitfaden Afghanistan aus Juni 2018, der im Juni 2019 aktualisiert wurde, aber in den hier wesentlichen Fragen nahezu deckungsgleich mit dem vorjährigen Leitfaden ist.
Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen unter Berücksichtigung der darin verwiesenen Quellen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch daraus, dass diese Einrichtung gemäß Artikel 4, Litera a und b der EU-Verordnung Nr. 439/2010 relevante, zuverlässige, genaue und aktuelle Informationen über Herkunftsländer transparent und unparteiisch sammelt und darüber Bericht erstattet. Überdies nennt die EU-Richtlinie 2013/32/EU (konkret: deren Artikel 10, Absatz 3, Litera b,) gerade die Berichte des Unterstützungsbüros als zu verwendende Informationsquelle. Die Berichte als solche blieben von den BF im Verfahren unbestritten.
Die Feststellungen zu den denkbaren Risikoprofilen der BF ergeben sich insbesondere aus den oben genannten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender sowie dem EASO-Leitfaden Afghanistan und wurden unter anderem durch die weiteren jeweils in Klammern verwiesenen Quellen ergänzt. Den UNHCR-Richtlinien ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung", zuletzt etwa VwGH 22.09.2017, Ra 2017/18/0166; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).
Zu den in den Beschwerden der BF ins Treffen geführten Quellen ist Folgendes anzumerken:
? Entsprechende Feststellungen zur Lage von (verwestlichen) Frauen in Afghanistan fanden Eingang in die Risikoprofile der BF vergleiche Pkt. römisch eins.1.3.14., insbesondere auch Pkt. römisch eins.1.3.8.).
? Der Ausschnitt zur Sicherheitslage in Kabul vermag das Gesamtbild zur afghanischen Hauptstadt, das sich aus den in das Verfahren eingebrachten herkunftsbezogenen Berichten ergibt, die im Übrigen weit aktueller sind, nicht zu verändern.
In der ersten Beschwerdeverhandlung wurde die 413 Seiten umfassende Stellungnahme von Friederike Stahlmann für das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 28.03.2018 eingebracht. Dazu ist anzumerken, dass es sich bei der Autorin um eine einzelne Literaturstimme handelt, die selbst im Dezember 2014 zuletzt in Afghanistan war und die eine subjektive Quellenauswahl (unter Heranziehung von teilweise auch veraltete Quellen) und Quelleninterpretation vorgenommen hat. Die Schlussfolgerungen der Gutachterin sind nicht geeignet, eine verallgemeinerungsfähige, über den Einzelfall hinausgehende Feststellung zu treffen: Sie zeigt nicht auf, dass sich etwa die beschriebenen Risiken bei einer bestimmten Anzahl von Rückkehrern tatsächlich realisiert haben und deswegen jeder Rückkehrer einer tatsächlichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Des Weiteren weist das Gutachten für das erkennende Gericht nicht denselben Beweiswert auf wie länderkundliche Informationen (LIB, UNHCR-Richtlinien, EASO-Berichte oder Landinfo-Berichte), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage in Herkunftsstaat durchliefen. Außerdem sind diese Informationen aktueller als das Gutachten aus März 2018.
Ad 1.4. Persönliche Situation der BF im Falle einer Rückkehr
Aus dem LIB ergibt sich, dass Kabul sicher und legal über einen internationalen Flughafen erreicht werden kann. Aus dem LIB ergibt sich auch, dass die Stadt unter staatlicher Herrschaft steht und über Krankenhäuser, medizinische Versorgung, sanitäre und soziale Infrastruktur, Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten verfügt.
Die BF müssten sich in Afghanistan zwar erst wieder eine Existenz aufbauen, der BF1 ist jedoch ein gesunder und arbeitsfähiger Mann, der viele Jahre Berufserfahrung als Computertechniker gesammelt hat. Außerdem weist er Erfahrung im Teppichknüpfen und in einer Plastikfabrik auf. Der BF1 hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, sich selbst eine Existenz aufbauen zu können, indem er es geschafft hat, sich zwei Geschäfte, zwei Autos und ein angemietetes Haus zu erarbeiten. Der BF1 konnte außerdem relativ viel Geld für die Ausreise seiner Familie ansparen. Laut eigener Aussage stellt es - grundsätzlich - auch kein Problem dar, sich eine Existenz zu erarbeiten (2. Verhandlungsprotokoll, Seite 19). Seine im gleichen Atemzug getätigten Einwände hinsichtlich der "Sicherheit" waren angesichts der Unglaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens kein Grund, an seiner Fähigkeit, sich ein Leben aufzubauen, zu zweifeln. Nach der persönlichen Situation des BF1 ist davon auszugehen, dass dieser in Afghanistan neuerlich durch eine Erwerbsarbeit - wie bisher - den Lebensunterhalt der Familie, auch mit einem weiteren Familienmitglied, bestreiten wird können. Darüber hinaus könnte die BF2 einem Beruf nachgehen und könnte so ebenfalls zum Lebensunterhalt beitragen. Die BF lebten seit ihrer Geburt die längste Zeit in Kabul, sodass davon auszugehen ist, dass sie sich rasch in die Umgebung einleben werden. Neben der Ortskenntnis verfügen sie über soziale Kontakte und ein familiäres Netz, die sie bei einer Rückkehr (etwa bei der Arbeitssuche und lokalem Wissen oder Unterkunft) unterstützen könnten. Dadurch, dass die BF1 bis BF5 seit ihrer Geburt in Kabul gelebt haben und diese, wie auch der in Österreich geborene BF6, bei ihren afghanischen Eltern aufwachsen und gemeinsam mit anderen afghanischen Familien in Österreich Feste gefeiert werden, sind auch diese zudem mit der dort herrschenden Kultur und der gesellschaftlichen Erwartungshaltung vertraut.
Die BF3 bis BF6 haben aufgrund ihres Alters den Lebensmittelpunkt bei ihrer Familie und würden von ihren Eltern bei einer Rückkehr entsprechend betreut und unterstützt werden. Bei einer Wiederansiedelung in Kabul wäre deren "Existenzgrundlage" jedenfalls durch ihre Eltern, die dort anwesende Familie, und die in Kabul vorhandene Infrastruktur gesichert und würden diese daher nicht der Gefahr der Zwangsheirat, Kinderarbeit, Unterernährung, extremer Armut oder (familiärer oder sexueller) Gewalt sowie Ausbeutung unterliegen. Das Vorhandensein eines sorgenden Familienverbandes und eines sozialen Netzwerks, welches wesentliche Vor-Ort-Kenntnisse vermitteln kann, minimiert auch das Risiko der BF3 bis BF6, Opfer von Sprengkörpern/Sprengfallen, eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern, zu werden. Am angenommenen Rückkehrort ist die Gefahr von Kampfrückständen im Vergleich zu anderen Landesteilen Afghanistans außerdem deutlich geringer, weil Kampfmittelrückstände überwiegend auf kürzlich stattfindende Kämpfe zurückzuführen sind vergleiche Anfragebeantwortung zur "Sicherheitslage für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif" vom 09.05.2019, Seite 3), aber Kabul in jüngerer Vergangenheit - trotz der immer wieder stattfindenden Anschläge - kein aktives Kriegsgebiet war und auch nicht ist.
In Kabul gibt es weiters freien Zugang zu Bildung, insbesondere auch für Mädchen. Die Eltern der BF3 bis BF6 würden ihr schulisches Fortkommen ihren Möglichkeiten entsprechend fördern; aufgrund geringerer Aktivität regierungsfeindlicher Elemente in Afghanistans Hauptstadt sind Angriffe auf Schulen die Ausnahme. Laut den Länderinformationen geht Gewalt gegen Mädchen überwiegend von Familienangehörigen aus. Es gab jedoch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass die Mädchen der Familie durch ihre Eltern etwa Vernachlässigung, Kinderarbeit, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren haben oder sie dies im Fall einer Rückkehr zu befürchten hätten; vielmehr wurden der BF1 und die BF2 schon in den vorgelegten Empfehlungsschreiben als liebevolle und sorgsame Eltern beschrieben und ergab sich dieser Eindruck auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Verfahren hat auch nicht zu Tage gebracht, dass die Eltern der minderjährigen BF Probleme mit regierungsfeindlichen Kräften, nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften oder anderen Personen haben. Somit ist mit einer Entführung der Kinder als "Racheakt", was gemäß Länderberichten der Hauptgrund für Kindesentführungen darstellt, nicht zu rechnen.
Da die BF zahlreiche Angehörige in Kabul haben, ist davon auszugehen, dass diese die Familie bei einer Rückkehr - zumindest anfangs, wenn nötig aber auch nachhaltig - finanziell oder mit anderen Ressourcen (Wohnung, Essen, Kleidung, Kinderbetreuung) unterstützen könnten, wenngleich die BF2 das verneinte (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 12; 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 26; auch eine Leistung der in Kanada lebenden Schwester wurde ausgeschlossen, 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 25). Die Ablehnung der BF2 war jedoch unglaubwürdig. Dies, weil die BF2 persönlich nicht glaubwürdig war und ihre Aussagen im Verlauf des Verfahrens zunehmend darauf ausgerichtet waren, eine Rückkehr nach Afghanistan als unmöglich darzustellen, und, weil die BF2 bereits erwähnte, dass ihre in Kanada lebende Schwester die Familie unterstützt und - zumindest geringe - Zuwendungen, und sei es auch nur mit Naturalien, jedenfalls möglich erscheinen.
Eine Zuwendung durch die Familie des BF1 bejahte dieser in der ersten Beschwerdeverhandlung (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 34), zog diese Aussage aber später zurück (2. Verhandlungsprotokoll, Seite 19). Auch das war unglaubwürdig, insbesondere angesichts der Tatsachen, dass sein Vater (wieder) einen Beruf ausübt, und laut eigener Aussage auch ein Bruder in finanziell guten Verhältnissen lebt.
Auch angesichts der ausgeprägten Familienkultur in afghanischen Gesellschaften und dem Umstand, dass die BF der ethnischen Gruppierung der Tadschiken angehören, die sich insbesondere als Solidaritätsgruppe versteht, ist ebenfalls von einer Hilfe durch die Verwandtschaft der BF auszugehen. Dafür spricht schon, dass die Schwester der BF2 die Eltern in Afghanistan versorgt (1. Verhandlungsprotokoll, Seite 12; 2. Verhandlungsprotokoll, Seite 25) und zahlreiche Familienmitglieder von BF1 bzw. BF2 unter einem Dach leben.
Auch wurde eine Unterstützung durch den Freund des BF1 namens Zaki ausgeschlossen (2. Verhandlungsprotokoll, Seiten 20 f). Dies war nicht jedoch glaubwürdig, als der Freund die Familie bereits einmal bei sich hat wohnen lassen und den Schlepper zur Ausreise organisiert hat (2. Verhandlungsprotokoll, Seite 18) und nichts hervorgekommen ist, warum auf dessen frühere Hilfsbereitschaft nicht neuerlich - wenn auch nur in geringem Umfang - zurückgegriffen werden könnte.
Wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, setzt eine räumliche Trennung die Angehörigen nicht außer Stande, sie finanziell (etwa durch Überweisungen) zu unterstützen, sodass auch eine Unterstützungszahlung durch die im Ausland lebende Verwandtschaft (Schwester der BF2 aus Kanada oder Schwester des BF1 aus Österreich) ebenfalls möglich erscheint.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde den BF etwa das Haus des Vaters des BF1 oder das Familienhaus der BF2 als Wohnmöglichkeit zur Verfügung stehen. Im Rahmen der angebotenen Rückkehrunterstützungen könnten auch die finanziellen Mittel für einen entsprechenden Wohnraum für die erste Zeit organisiert werden, bis die Familie imstande ist, selbst für ein Auskommen zu sorgen. Die Feststellung der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützungen gründet sich auf das den BF ausgehändigte Informationsblatt über eine mögliche Rückkehrunterstützung und die dazu im LIB enthaltenen Informationen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Durchführung eines Familienverfahrens
Gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG 2005 Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.
Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.
Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Im gegenständlichen Fall liegt sohin ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 vor.
Zu A)
3.2. Zu Spruchpunkt römisch eins. (Asyl) und Spruchpunkt römisch II. (subsidiärer Schutz) der angefochtenen Bescheide
3.2.1. Rechtliches zur Gewährung von Asyl
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht.
Einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.2.2. Anwendung auf den konkreten Fall
Primäres Fluchtvorbringen
Bedrohung durch die Taliban (Verweigerung der Kooperation und Zusammenarbeit mit NGOs):
Als Hauptgrund, weshalb die BF nicht nach Afghanistan zurückkehren könnten, wurde vorgetragen, dass es Schwierigkeiten mit den Taliban gegeben habe.
Die Fluchterzählungen des BF1 und der BF2 waren detailarm, inkonsistent und wiesen zahlreiche Widersprüche auf; das Vorbringen war insgesamt unglaubwürdig. Hinsichtlich der Ereignisse rund um die Taliban (bzw. sonstiger Personen), welche die BF bedroht haben sollen, konnten mangels Glaubwürdigkeit keine Feststellungen zu einer Verfolgung, Gefährdung oder Bedrohung der Familie der BF getroffen werden.
Es fehlt somit generell an der Glaubhaftmachung von insbesondere seitens der Taliban erfolgten Verfolgungshandlungen, Gefährdungen oder Bedrohungen gegenüber den BF in Afghanistan. Es ist auch nicht zu erwarten, dass gegenüber den BF aus diesen oder anderen denkbaren Gründen integritätsbedrohende Handlungen oder Maßnahmen gesetzt werden würden, wenn diese in ihre Herkunftsregion zurückkehren würden. Gesamthaft betrachtet war das Vorbringen der BF nicht ausreichend, um glaubhaft zu machen, dass den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung in Afghanistan gedroht hat bzw. aktuell droht.
Damit konnten die BF nicht glaubhaft machen, dass ihnen Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Sonstiges Fluchtvorbringen
Westliche Orientierung der BF2:
In der Beschwerde wurde geltend gemacht, dass die BF2 aufgrund ihrer "westlichen" Geisteshaltung in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen dann Asyl beanspruchen, wenn sie aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt werden würden (etwa VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579).
Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hat bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994-1000).
Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist keine (Mindest-)Dauer zu entnehmen, während derer eine Asylwerberin einen westlich orientierten Lebensstil gelebt haben muss, um davon ausgehen zu können, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301-0306). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch auch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass ihr deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315-0320).
Das Ermittlungsverfahren hat gezeigt, dass die BF2 Gefallen an den Möglichkeiten in Österreich findet, doch ergibt sich aus ihrem Lebensstil nichts, was in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würde:
Die BF2 durfte bereits in ihrem Heimatort einkaufen und arbeiten gehen sowie eigenständige - auch finanzielle - Entscheidungen treffen. Das Verfahren vor dem BVwG hat ergeben, dass die Frauen im Herkunftsort der BF2 - wenn auch mit mehr Schwierigkeiten als in Österreich verbunden (schlechtes Gerede, Beschimpfungen und Belästigungen) - alleine auf die Straße gehen und arbeiten gehen dürfen. In einer Großstadt wie Kabul und den dortigen gesellschaftlichen Gegebenheiten können sich Frauen draußen ohne ständige männliche Begleitung bewegen. Der BF1 unterstützt seine Frau bei der Erreichung ihrer beruflichen Ziele und Bildungsziele, Repressionen aus dem Familienkreis gegenüber der derzeitigen (und im Vergleich zu Afghanistan kaum veränderten) Lebensweise der BF2 sind nicht zu erwarten.
Das Verfahren brachte nicht hervor, dass eine vorübergehende Anpassung bestimmter Kleidungselemente, Freizeitaktivitäten und das Pflegen von Sozialkontakten in Österreich von Dauer bzw. verinnerlicht oder in einer Weise ausgestaltet ist, dass eine neuerliche Anpassung an afghanische Verhältnisse unzumutbar wäre. Dabei ist den Feststellungen zu entnehmen, dass in Kabul der Kleidungsstil durchaus lockerer gehandhabt wird und Frauen insgesamt mehr Freiheiten genießen als in ländlichen Gebieten. Jedenfalls ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, dass etwa ein - stark verhüllender - Chador getragen werden muss, um gegen eine Frau gerichtete Maßnahmen, die asylrelevante Intensität erreichen, zu vermeiden.
Der Wunsch der BF2, eine Ausbildung zu machen und einen (qualifizierten) Beruf zu ergreifen, vermag eine "westlich" orientierte Haltung, aus der sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsland ergeben würde, nicht zu begründen. So ist es in Afghanistan zunehmend üblich, dass Frauen sich bilden und einen Beruf ergreifen. Der BF1 hat außerdem nichts dagegen, dass die BF2 sich weiterbildet und einen Beruf ergreift; auch in Afghanistan würde dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten Unterstützung bieten.
Aus dem Bestreben der BF2, dass ihren Kinder Entscheidungsfreiheit betreffend ihre Zukunft wie Berufs- und Partnerwahl zustehen soll, ergibt sich keine maßgebliche Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, bedeutet dies doch ebenfalls keinen Bruch mit der afghanischen Wertordnung und erfährt sie auch in diesem Punkt Unterstützung durch ihren Mann.
Zwar sind im Lebensstil der BF2 bereits Ansatzpunkte einer liberaleren Werthaltung und "freieren" Lebensweise erkennbar. Doch ist zum einen der Unterschied zum bisherigen Leben in Kabul nicht maßgeblich und reicht dies nicht hin, um bei der BF2 von einem verinnerlichten westlichen Lebensstil unter Inanspruchnahme der Grundrechte zu sprechen, bei dessen weiterer Pflege die BF2 einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, lässt sich eine Verinnerlichung eines selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensstils, der zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität geworden ist und sich nicht auch im Wesentlichen im liberaleren Kabul weiterführen ließe, nicht ableiten, insbesondere weil die BF2 bereits im Herkunftsort vergleichsweise viele Freiheiten genossen hat und kein Anhaltspunkt ersichtlich war, dass dies nicht mehr möglich wäre. Allfällige Widerstände der Gesellschaft gegenüber selbstbestimmten Frauen erreichen nach den Feststellungen kein indentitäts- oder integritätsbedrohendes oder gar derart erniedrigendes Niveau, dass die BF2 einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität unterdrücken müsste, um einer Verfolgung zu entgehen. Insbesondere in Kabul gibt es demgegenüber sogar Gesellschaftsschichten, die westlichen Werten gegenüber offen eingestellt sind vergleiche EASO-Leitfaden 2018, Seite 57, bzw. 2019, Seite 65).
Somit hat die BF2 auch hinsichtlich dieses Themenbereichs nicht glaubhaft gemacht, dass ihr bei Aufrechterhaltung ihres in Österreich (und davor weitestgehend schon in Afghanistan) gepflegten Lebensstils und ihrer Werthaltung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Kabul eine Verfolgung nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Aus dem Berichtsmaterial ergibt sich auch, dass Kinder, insbesondere Mädchen, Schwierigkeiten haben können, sich wieder an die Gegebenheiten im Herkunftsland anzupassen. Die BF3 bis BF6 sind jedoch kleine bzw. junge Kinder. Zum einen ist bei ihnen aufgrund des jungen Alters die Persönlichkeitsentwicklung noch nicht so fortgeschritten, dass diese wegen ihrer Ansichten oder - noch von ihren afghanischen Eltern vorgegebenen - Lebensweise in Konflikt mit der Gesellschaft treten würden; zum anderen befinden sie sich im anpassungsfähigen Alter (EGMR 31.07.2008, 265/07 "DARREN OMOREGIE"). Es ist daher zu erwarten, dass sie sich in kürzester Zeit (wieder) an die in Kabul gepflegte und gesellschaftlich akzeptierte Lebensweise und Wertehaltung anpassen werden. Es ist folglich nicht davon auszugehen, dass der BF3 bis BF6 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung wegen ihres Lebensstils droht. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgung wurde auch in diesem Zusammenhang nicht glaubhaft gemacht.
Auch BF1 hat bei Beibehaltung seines Lebensstils nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Nachteile zu befürchten, die asylrelevante Intensität aufweisen würden.
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt sowie schädliche traditionelle Bräuche:
Richteten sich Maßnahmen von asylrelevanter Intensität gegen Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung, so ist dies unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen (VwGH 05.03.2007, 2006/19/0290). Als Risikoprofile für Frauen existieren in Afghanistan geschlechtsspezifische Gewalt und schädliche traditionellen Praktiken. Insbesondere hinsichtlich Knaben kann es sexuellem Missbrauch iZm dem Brauch der Bacha Bazi kommen.
Der EASO-Leitfaden 2018 führt auf Seite 53 (bzw. 2019, Seite 61) folgende risikobelastende Umstände an, die bei der individuellen Beurteilung einer möglichen Verfolgung wegen geschlechtsspezifischer Gewalt u.a. in Betracht zu ziehen sind: Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, schlechte sozioökonomische Situation, Art der Arbeit und des Arbeitsumfeldes (für Frauen, die außerhalb des Hauses arbeiten). Bei der Beurteilung schädlicher traditioneller Heiratspraktiken sollen gemäß EASO-Leitfaden 2018, Seite 54 (bzw. 2019, Seite 62), u.a. folgende risikobelastende Umstände berücksichtigt werden: junges Alter (insbesondere unter 16 Jahre), Herkunftsgebiet (besonders in ländlichen Gebieten), ethnische Zugehörigkeit (besonders Paschtunen), Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, schlechte sozioökonomische Situation der Familie, lokale Macht/Einfluss des (potenziellen) Ehemannes und seiner Familie oder seines Netzwerks.
Bei der BF2 und den Kindern der BF2 und des BF1, insbesondere bei deren Töchtern, sind im Verfahren keine Anhaltspunkte für diesbezügliche Verfolgungen hervorgekommen: Der BF1 als Familienoberhaupt vertritt repressionsfreie Ansichten hinsichtlich der Stellung der Frau in der Familie und der Gesellschaft. Die Verwandtschaft in Kabul ist "liberal" eingestellt, sodass im Heimatort nicht mit Repressionen zu rechnen ist. Eine Zwangsverheiratung schließen der BF1 und die BF2 für ihre Kinder aus. Außerdem sind die weiblichen BF Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und Anhaltspunkte einer schlechten sozioökonomischen Situation sind gleichfalls nicht hervorgekommen. Auch hat die Familie keine Überschneidungspunkte zu sonstigen risikoerhöhenden Faktoren, die zB einen sexuellen Missbrauch der Kinder (etwa durch den Brauch des Bacha Bazi), indizieren könnten.
Es ist daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die BF2 bis BF6 in Afghanistan geschlechtsspezifischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt wären oder Opfer schädlicher traditioneller Bräuche werden könnten.
Aus diesem Gesichtspunkt vermochten die BF2 bis BF6 nicht glaubhaft zu machen, dass ihnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht.
Kinderspezifische Gefahren:
Die BF3 bis BF6 sind - wie bereits ausgeführt - schon aus dem Grund mit geringerem Risiko kinderspezifischen Gefahren ausgesetzt, weil sie im liebevollen Familienverband mit ihren sorgsamen Eltern leben, die außerdem viel auf sich genommen haben, um ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Die minderjährigen BF sind daher nicht jenen möglichen Gefahren ausgesetzt, denen alleinstehende Kinder ansonsten ausgesetzt sein können.
Die Kinder sind gesund, sie laufen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, einer Zwangsheirat, Kinderarbeit, Unterernährung, extremer Armut oder (familiärer oder sexueller) Gewalt sowie Ausbeutung oder Zwangsrekrutierung ausgesetzt zu werden, weil ihre Eltern für sie sorgen und im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür auftraten, dass der BF1 und die BF2 eine schlechte oder gar asylrelevante Behandlung ihrer Kinder zulassen würden. Eine derartige Behandlung ist angesichts der familiären Situation (zahlreiche Familienangehörige leben in Kabul und bieten dort ein Netzwerk) auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
In Bezug auf den Bildungszugang für Kinder in Kabul hat sich im Verfahren gezeigt, dass ein ausreichender und freier Zugang zu Schulen für Knaben wie auch für Mädchen in Kabul gewährleistet ist und Angriffe auf Schulen in Kabul nur vereinzelt stattfinden, sodass nicht von einer systematischen Verweigerung zum Zugang von Bildung auszugehen ist - dies insbesondere weder aus Sicherheitsgründen noch von Seiten der Eltern der minderjährigen BF oder deren Familie.
Weitere kinderspezifische Gefahren wurden von den BF in Bezug auf ihre Herkunftsregion nicht substantiiert geltend gemacht und waren auch für das BVwG nicht erkennbar. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgung der minderjährigen BF aus kinderspezifischer Sicht wurde in diesem Zusammenhang daher ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.
Auch mit ihrem weiteren Vorbringen haben die BF nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung in Kabul droht und waren auch für das BVwG keine dahingehenden Anhaltspunkte ersichtlich.
3.2.3. Rechtliches zum subsidiären Schutz
Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).
Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, mwN).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).
Zudem ist auch zu beachten, dass aufgrund der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch eine fehlende Schul- und Berufsausbildung bzw. -erfahrungen, eine drohende Arbeitslosigkeit, eine nicht vorhandene familiäre Unterstützung in Afghanistan, nicht ausreichende Kenntnisse über die örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit keine Verletzung des Artikel 3, EMRK begründen. Insgesamt stellen Probleme hinsichtlich Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht keine exzeptionellen Umstände dar (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; 23.3.2017, Ra 2016/20/0188; 10.3.2017, Ra 2017/18/0064; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, 20.6.2017 Ra 2017/01/0023; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118-5; VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0190).
Der Verwaltungsgerichtshof hat jüngst in einer Entscheidung vom 21.05.2019 ausgesprochen, dass eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat -auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes begründen kann. Artikel 15, der Statusrichtlinie ist nämlich nicht unmittelbar anwendbar und eine richtlinienkonforme Interpretation von Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist ausgeschlossen (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).
3.2.4. Anwendung auf den konkreten Fall
Die BF stammen aus Kabul, weswegen die Stadt nicht als innerstaatliche Fluchtalternative, sondern als Herkunftsort behandelt wird.
Kabul steht unter staatlicher Herrschaft, kann legal und sicher mit dem Flugzeug erreicht werden und bietet die urbane Infrastruktur und Versorgungsstruktur für eine Neuansiedelung, auch wenn es in der Stadt Kabul immer wieder - insbesondere zu öffentlichkeitswirksamen - Angriffen und Selbstmordanschlägen kommt, die auch zivile Opfer fordern. In Kabul-Stadt kommt es auch zu willkürlicher Gewalt vergleiche EASO-Leitfaden 2018, Seiten 23 ff und 83; 2019, Seiten 28 ff und 101 f).
Die Anschläge in Kabul treten jedoch - auch nach der Beurteilung von EASO - insgesamt nicht in einer Dichte und Intensität auf, dass die BF in einer Stadt, in der laut Schätzungen bis zu sieben Millionen Menschen leben, in ihrem täglichen Leben einem nicht bloß möglichen, sondern einem realen Risiko ausgesetzt wären, eine Verletzung ihrer insbesondere durch Artikel 3, EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen, wenn nicht risikoerhöhende Faktoren hinzutreten. Der EGMR betont in seiner Rechtsprechung, "dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Riskio iSd Artikel 3, MRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen (‚in the most extreme cases') diese Voraussetzung erfüllt vergleiche etwa EGMR vom 28. November 2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR vom 17. Juli 2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen (‚special distinguishing features'), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen vergleiche etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217)." (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).
Ein so extremer Fall ist in Kabul Stadt unter Berücksichtigung der derzeitigen Sicherheits- und Versorgungslage nicht gegeben. Dies ergibt sich auch aus der Risikoeinschätzung betreffend Kabul und Kabul-Stadt laut EASO-Leitfaden 2018, Seiten 23 ff und 83; 2019, Seiten 28 ff und 101 f.
Somit läge es an den BF, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihnen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine insbesondere dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fordert das Prüfungskalkül des Artikel 3, EMRK für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Bei den BF handelt es sich um eine Familie mit vier kleinen Kindern. Familien mit minderjährigen Kindern stellen in Hinblick auf die minderjährigen Kinder eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe dar vergleiche Definition schutzbedürftiger Personen in Artikel 21, der EU-Richtlinie 2013/33/EU). Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den BF bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen vergleiche in diesem Sinn bereits VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0036).
Dies verlangt wiederum - auch bei Kindern, die mit ihren Eltern leben - nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF am angenommenen Rückkehrort vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474-0479, und VfGH 11.10.2017, E 1803-1805/2017):
Nach den Feststellungen gibt es keine Hinweise darauf, dass die Sicherheitslage in Kabul derart problematisch ist, dass den minderjährigen BF alleine wegen ihrer Anwesenheit dort eine "reale Gefahr" oder "ernsthafte Bedrohung" iSd Paragraph 8, AsylG 2005 droht. Auch das individuelle Profil der BF lässt nicht erwarten, dass sie als Familie einer "realen Gefahr" oder "ernsthaften Bedrohung" ausgesetzt sind:
Der BF1 und die BF2 wurden in Kabul geboren und haben bis zur Ausreise nach Österreich nahezu ihr gesamtes Leben in der Stadt verbracht. Somit sind diese mit den Strukturen in Kabul sehr gut vertraut und wissen, welche Gegenden von ihnen und insbesondere von ihren Kindern zu meiden sind und wie diese sich weitestgehend "sicher" durch diese Stadt bewegen können. Der BF1 und die BF2 lebten außerdem schon mit den minderjährigen BF3 bis BF5 in Kabul. Sie erwähnten dabei keine konkreten Gefahren für ihre Kinder; gefährliche Vorkommnisse ließen sich nicht feststellen. Hinsichtlich Sprengkörpern/Sprengfallen und Minen wird bemerkt, dass der BF1 und die BF2 ihre Kinder vor diesen spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen, sofern es solche in der Stadt Kabul gibt, nach ihren Möglichkeiten - so wie auch schon bisher bei den BF3 bis BF5 - durch entsprechende Maßnahmen schützen werden. Ihnen kommt auch das soziale und familiäre Netz in Kabul zugute, worüber den BF aktuelles Wissen über die örtlichen Gegebenheiten weitergegeben werden kann und somit umso weniger davon auszugehen ist, dass die BF oder deren Kinder in eine gefährliche Situation geraten.
Auch Anhaltspunkte dafür, dass die BF3 bis BF6 Opfer von Gewalt (körperlichen Übergriffen, einschließlich sexueller Gewalt) werden würden, finden sich gegenständlich nicht. Zwar zeigen die Länderberichte auf, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen konnte und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Es gibt aber keinerlei Hinweise auf Gewalt in der Familie der BF, im Gegenteil stellt sich das Familienleben - aufgrund des Auftretens in der Beschwerdeverhandlung - als sehr harmonisch dar. Es zeigt sich demnach nicht, dass die minderjährigen BF Opfer von Gewalt (körperlichen Übergriffen, einschließlich sexueller Gewalt) innerhalb oder außerhalb der Familie werden würden und ist vor dem Hintergrund des liebevollen Familienumgangs davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 ihre Kinder vor Übergriffen dieser Art bewahren würden. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die die BF3 bis BF6 in der Schule oder durch die Polizei Gewalt ausgesetzt sein werden, auch wenn die abstrakte Möglichkeit besteht, Opfer derartiger Übergriffe zu werden. Gewalt in der Schule ist in ländlichen Gebieten eher gebräuchlich; die die BF3 bis BF6 kehren jedoch in eine Großstadt zurück, womit sich auch hieraus keine "reale Gefahr" oder "ernsthafte Bedrohung" iSd Paragraph 8, AsylG ergibt.
Auch für eine Entführung der minderjährigen BF haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, zumal die Eltern im Herkunftsstaat weder mit dem Staat, noch regierungsfeindlichen Kräften oder anderen privaten Personen in Konflikt stehen.
Der Umstand, dass es sich gegenständlich um eine Familie mit vier minderjährigen Kindern handelt, ist vor dem Hintergrund des Paragraph 8, AsylG 2005 auch im Hinblick auf ein mögliches Risiko der Versorgungslage vor Ort besonders zu berücksichtigen. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, eine entsprechende Unterkunft zu finden. Dabei reicht aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs - jedenfalls bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht - ein allgemeiner Hinweis auf allfällig vorhandene familiäre Unterstützung nicht, sondern ist eine konkrete Auseinandersetzung damit gefordert, welche Rückkehrsituation die BF im Herkunftsstaat (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315-0320):
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass nach den Feststellungen die wirtschaftliche Lage sowie die Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in Kabul im Speziellen jedenfalls als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit hoch ist, was insbesondere auch auf die große Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer zurückzuführen ist. Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich sanitärer und medizinischer Versorgung sowie Lebensmitteln und Bildung sind nach den Länderberichten aber - auch nach dem EASO-Leitfaden - jedenfalls gegeben. In Kabul stehen den BF aufgrund ihres familiären Netzes verschiedene - in der Vergangenheit bereits genutzte - Wohnmöglichkeiten zur Verfügung. Auch gibt es die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Aufgrund der vorhandenen städtischen Infrastruktur besteht die Möglichkeit der Existenzsicherung, wie auch das absehbare Erreichen und dauerhafte Halten eines - hinsichtlich des Niveaus der in Aussicht genommenen Rückkehr - angemessenen Lebensstandards ("adequate standard of living", vergleiche EASO-Leitfaden 2018, Seiten 104 f, oder UNHCR-RL, Seiten 109 f und 113).
Die - grundsätzlich für eine Wiederansiedelung geeignete - Versorgungslage in Kabul reicht auch für die Familie der BF hin, sich wieder dort anzusiedeln, ohne dass eine in Paragraph 8, AsylG 2005 angesprochene reale Gefahr oder ernsthafte Bedrohung zu gewärtigen wäre:
Die Eltern der BF3 bis BF6 wuchsen in Kabul auf und lebten dort. Auch die Kinder sind mit den kulturellen Gegebenheiten des Landes bekannt, zumal diese im Kreise ihrer afghanischen Familie aufgewachsen sind. Ihre Muttersprache ist eine Landessprache. Eine Reintegration in Kabul wird für die Familie daher möglich sein.
Es handelt sich beim BF1 um einen gesunden, arbeitsfähigen, jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Insbesondere aufgrund seiner jahrelangen und verschiedenartigen Berufserfahrung ist es dem BF1 möglich, in Kabul neuerlich eine berufliche Tätigkeit zu finden, um - so wie schon bisher - ein für den Lebensunterhalt seiner Familie ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Dies war ihm auch bereits vor seiner Ausreise möglich, wo der BF1 schon für seine Frau und die BF3 bis BF5 sorgen und ein gutes Leben führen konnte. Aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Kabul ist der BF1 mit der Lage sowie dem Arbeitsmarkt in der Stadt vertraut und könnte seine sozialen Kontakte und sein familiäres Netz zur Suche einer Arbeitsstelle nützen. Überdies könnte die BF2 bei einer Rückkehr eine ihrem Bildungsstand entsprechende Tätigkeit ausüben, um zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen, während etwa ihre Familie tagsüber die Kinder beaufsichtigt.
Schließlich können die BF auch finanzielle Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Zur Zumutbarkeit der Neuansiedlung trägt bei, dass der afghanische Staat seit Dezember 2016 Unterstützungsleistungen für Rückkehrer aus Europa im Rahmen eines mehrdimensionalen Ansatzes ("whole of community") anbietet (dazu die Feststellungen zur Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung). Überdies können die BF - auch finanzielle - Rückkehrhilfe aus besonderen Programmen in Kooperation mit der IOM in Anspruch nehmen. Deshalb ist nicht zu befürchten, dass diese bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor diese in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzgefährdende oder unmenschliche Lage geraten. Zu berücksichtigen ist im Hinblick auf die minderjährigen BF auch, dass im Rahmen der angebotenen Rückkehrunterstützung insbesondere auch Unterstützungsmaßnahmen für Kinder vorgesehen sind (etwa als Bestandteil von "Restart II").
Zudem verfügen die BF über familiäre Kontakte in Kabul, die sie - neben der Verwandtschaft in Kanada und Österreich - bei einer Rückkehr unterstützen könnten. Weiters könnten diese Hilfe bei der Neuansiedelung durch einen Freund des BF1 erhalten. In den Wohnhäusern der Familien des BF1 oder der BF2 könnten die BF jedenfalls entsprechend Wohnraum in Anspruch nehmen.
Angesichts dessen, dass der BF1 für den Lebensunterhalt seiner Familie aufkommen kann, wie es ihm bereits vor der Ausreise nach Europa möglich war, ist nicht davon auszugehen, dass die die BF3 bis BF6 von Kinderarbeit, Zwangsverheiratung oder einem sonstigen schädlichen, allenfalls in einer finanziellen Notlage begründeten Brauch, bedroht sein könnten. Im Bedarfsfall könnten auch die Verwandten des BF1 eine - wenn auch bescheidene - Unterstützung leisten. Aufgrund der Absicherung im Familienband ist auch keine Gefahr für die BF3 bis BF6 ersichtlich, nicht ausreichend Nahrung zu erhalten.
Für die konkrete Rückkehrsituation der BF3 bis BF6 ist weiters maßgeblich, dass ihre Eltern dafür sorgen, dass diese eine Schulbildung erlangen. Es sind diesbezüglich auch keine allgemeinen oder konkret fallbezogenen Umstände ersichtlich, dass ein Schulbesuch in Kabul verwehrt sein könnte. Zwar kommt es manchmal zu Anschlägen, doch zeigt das Gesamtbild nicht, dass in Kabul der Zugang zur Bildung systematisch verweigert wird. Der BF1 und die BF2 würden bei einer Rückkehr einen Schulbesuch ihrer Kinder ermöglichen; BF1 hat sich auch schon mit dem möglichen Besuch von Privatschulen für seine Kinder auseinandergesetzt.
Alle für die Wiederansiedelung notwendigen Elemente der allgemeinen Sicherheitslage, der Versorgungslage und der Infrastruktur sind in Kabul im ausreichenden Umfang vorhanden und können von den BF genutzt werden. Insbesondere wäre der BF1 (allenfalls unter Mitwirkung der BF2 und deren Familien) in der Lage, nach einer gewissen Orientierungsphase eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und der Familie eine adäquate und menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Es bestehen fallbezogen insgesamt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die BF, insbesondere die minderjährigen BF, aufgrund der unter dem Aspekt der Minderjährigkeit zu beurteilenden Faktoren bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer Verletzung der Artikel 2 und 3 EMRK ausgesetzt sind. Die BF haben sohin - auch unter eingehender Berücksichtigung aller denkbar risikoerhöhender Merkmale - nicht substantiiert aufgezeigt, dass bei ihnen nach einer Rückkehr die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden könnten oder sie sonst einer "realen Gefahr" oder "ernsthaften Bedrohung" iSd Paragraph 8, AsylG 2005 ausgesetzt wären. Die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes lagen für die BF somit nicht vor.
3.2.5. Ergebnis
Aus dem Vorausgeführten ergibt sich, dass die BF in Kabul nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung zu befürchten haben und - ohne eine "reale Gefahr" oder eine "ernsthafte Bedrohung" befürchten zu müssen - an ihren Herkunftsort zurückkehren können, weswegen gemäß Paragraph 3, Absatz 3, Ziffer eins, AsylG 2005 die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) sowie gemäß Paragraph 8, AsylG 2005 die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen waren (Spruchpunkt römisch II.).
3.3. Zu Spruchpunkt römisch III. der angefochtenen Bescheide (BF1 bis BF5) bzw. zu Spruchpunkten römisch III. bis römisch fünf. (BF6) betreffend einen sonstigen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung
3.3.1. Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ist dann von Amts wegen zu prüfen, wenn "der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird". Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel, oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Keiner dieser Tatbestände ist im vorliegenden Fall verwirklicht: Der Aufenthalt der BF ist nicht geduldet (Ziffer eins,). Es liegt auch kein Interesse der Rechtspflege am weiteren Verbleib der BF im Bundesgebiet vor (Ziffer 2,). Die BF waren auch kein Opfer von Gewalt und ist die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt nicht erforderlich (Ziffer 3,). Die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 lagen sohin nicht vor.
3.3.2. Zur Rückkehrentscheidung
Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 55, AsylG ist, dass dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:
"Schutz des Privat- und Familienlebens
Paragraph 9, (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraph 45, oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.
[...]"
Zum Familienleben
Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben i.S.d. Artikel 8, EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235). Beziehungen des Fremden zu seinem Bruder, seinen Onkeln und Cousins, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, fallen nicht in den Schutzbereich des Familienlebens (VwGH 21.7.1994, 94/18/0315 noch zu Paragraph 19, FrG 1992).
Da die BF gemeinsam als Familie ausgewiesen werden, werden sie in ihrem Recht auf Familienleben iSd Artikel 8, EMRK nicht verletzt. Der BF1 verfügt über eine Schwester und eine Tante väterlicherseits im Bundesgebiet. Zur Schwester besteht regelmäßiger telefonischer Kontakt. Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt aber nur dann unter den Schutz des Artikel 8, EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VwGH 19.11.2010, 2008/19/0010, mit Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR). Solche Merkmale sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben der BF eingreifen.
Zum Privatleben
Es bleibt zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung ein unzulässiger Eingriff in das Privatleben der BF einhergeht:
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Artikel 8, EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Thym, EuGRZ 2006, 541), wobei eine Interessensabwägung im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen ist (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). In seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu Paragraph 66, Absatz eins, FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, einer festen sozialen Integration, guten Deutschkenntnissen sowie einem großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keinen Familienangehörigen, in einer Interessensabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch die Erkenntnisse VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354).
Der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins, BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Gleichzeitig betonte er aber, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (s. dazu das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 30.07.2015).
Die Umstände eines gesicherten Unterhalts und, dass es zu keiner Straffälligkeit kam, bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen, vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112). Integrative Bemühungen eines Beschwerdeführers sind insofern zu relativieren, als die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (VwGH 26.01.2009, 2008/18/0720). Im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG) kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, eine Bedeutung zukommen (Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, Rz. 4.1 mwN). Dies hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz: Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188). Unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens ist auch von Bedeutung, welche Verhältnisse konkret bei ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorgefunden werden (VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0038).
Im Sinne des Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 8, BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 mwN).
BF1 und BF2
Für die bisher unbescholtenen BF1 und BF2 spricht, dass beide aktiv freundschaftliche Beziehungen zu Österreich pflegen, sich mit Respekt vor Andersgläubigen in der örtlichen Kirche sowie bei den " römisch 40 " engagieren und bemüht sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Positiv zu Gunsten der Integration des BF1 ist zu berücksichtigen, dass dieser sich freiwillig für die Gemeinde betätigt und einer Beschäftigung als Hausmeister nachgeht, wofür er ein wenig Geld erhält. Der BF1 hat seit seiner Ankunft im Bundesgebiet außerdem eine Sprachprüfung abgelegt. Für den BF1 und die BF2 wurden Empfehlungsschreiben ausgestellt, die deren Integrationswillen und höfliche Art hervorstreichen. Beide haben Einstellungszusagen für Jobs und Aussicht auf eine Unterkunft. Des Weiteren leben eine Schwester und eine Tante des BF1 in Österreich.
Dem steht gegenüber, dass der BF1 und die BF2 bisher überwiegend von der Grundversorgung lebten. Sie haben den größten Teil ihres Lebens in Afghanistan, konkret in Kabul, verbracht. Sie wurde innerhalb ihrer afghanischen Familien sozialisiert und sprechen eine Landessprache; sie sprechen die in ihrem Heimatland gesprochene Sprache deutlich besser als Deutsch. Der BF1 und die BF2 sind mit dem Gesellschafts- und Kulturleben Afghanistans vertraut, weil sie seit der Geburt in Afghanistan gelebt haben. Der BF1 und die BF2 waren in Afghanistan mehrere Jahre in der Schule und der BF1 zudem erfolgreich im Beruf tätig. Weiterhin haben die BF auch in Österreich Kontakt mit Afghanen, die sie in der Unterkunft kennengelernt haben; gemeinsam mit diesen werden schiitisch-religiöse Feste und die Geburtstage der Kinder gefeiert. Auch verfügen die BF2 und der BF1 noch über starke familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, weil der überwiegende Teil ihrer nahen Verwandtschaft in Kabul lebt und weiterhin Kontakt besteht. Insgesamt ist daher nicht davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 ihrer Heimat derart entfremdet sind, dass ihnen eine Rückkehr auch vor dem Hintergrund der dort herrschenden schwierigen Verhältnisse nicht mehr zugemutet werden könnte. Vielmehr bestehen ersichtlich noch starke Anknüpfungspunkte ans Herkunftsland; eine über das normale Maß hinausgehende oder gar außergewöhnliche Integration ist nicht ersichtlich. Vor dem Hintergrund ihrer individuellen Umstände sind keine Gründe erkennbar, die einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat und eigenständigen Bestreitung ihres Lebensunterhalts, auch für ihre Kinder, entgegenstehen würden. Bei den im Vorabsatz genannten, bereits erbrachten anerkennenswerten integrativen Leistungen in Österreich mussten sich der BF1 und die BF2 immer ihres bloß vorläufigen und unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013). Schließlich halten sich diese insgesamt erst seit knapp vier Jahren in Österreich auf.
BF3 bis BF6
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind gemäß Paragraph 9, Absatz eins und 2 BFA-VG 2014 bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 5, BFA-VG 2014 dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 21.05.2019, Ra 2019/19/0136; 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR).
Die BF3 bis BF5 wurden in Afghanistan geboren, BF6 wurde in Österreich geboren. BF3 bis BF5 wuchsen dort im Kreis ihrer afghanischen Familie auf und haben ihre Verwandtschaft dort; auch BF6 wird seit der Geburt in einer afghanischen Familie sozialisiert. Diese kennen daher die Gepflogenheiten in einem afghanischen Umfeld. Die Mutter- und Familiensprache der Kinder ist Dari, wobei diese auch schon Deutsch können. Die BF pflegen in Österreich weiterhin freundschaftlichen Kontakt mit afghanischen Freunden, welche BF2 und BF1 in der Unterkunft kennengelernt haben. Gemeinsam mit diesen Freunden feiern die BF schiitisch-religiöse Feste und sie feiern die Geburtstage der Kinder zusammen. Damit haben die BF3 bis BF6 - abgesehen von Kontakten mit Österreichern in der Schule bzw. im Kindergarten und mit jenen Personen, die den BF beim Lernen helfen - weiterhin hauptsächlich Kontakt mit Personen aus Afghanistan und pflegen gemeinsame kulturelle Rituale und Feste. Das kulturelle und sprachliche Umfeld der Kinder ist damit weiterhin stark von Einflüssen der im Herkunftsstaat gelebten Kultur geprägt. Den BF3 bis BF5 ist zugute zu halten, dass sie sich in der Schule bzw. im Kindergarten gut eingefügt haben; BF6 ist noch ein Kleinkind. Eine außergewöhnliche Integration in Österreich bzw. eine außergewöhnliche Bindung an Österreich war auch unter Berücksichtigung sämtlicher Integrationsbemühungen und -erfolge der minderjährigen BF und deren - im Vergleich zum Lebensalter verhältnismäßig langen - Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet nicht festzustellen, wohingegen ersichtlich noch Bindungen an Afghanistan bzw. die dort herrschende Kultur bestehen.
Außerdem sind die BF3 bis BF6 mit ihrem Alter im Entscheidungszeitpunkt (neun, acht, sieben und unter einem Jahr) in einem anpassungsfähigen Alter. Diesen wäre es - unterstützt durch ihre Eltern im bestehenden Familienverband - zumutbar, sich wieder an die Gegebenheiten im Heimatland anzupassen, was ihnen, aufgrund der auch in Österreich gepflegten afghanischen Kultur, leichtfallen wird. Es ist den Eltern der BF3 bis BF6 möglich, diesen in Afghanistan eine Existenz zu schaffen und sie vor kinderspezifischen Gefährdungen zu schützen. Bei einer Rückkehr nach Kabul finden diese Bedingungen vor, die keine Bedenken hinsichtlich einer Gefährdung ihrer Integrität wie Unversehrtheit aufwerfen. Es gibt angesichts der individuellen Umstände der BF auch keine Bedenken hinsichtlich der besten Interessen und des Wohlergehens der minderjährigen BF. Den minderjährigen BF kann zwar nicht der Vorwurf gemacht werden, sie hätten sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen, doch schlägt das Bewusstsein ihrer Eltern über die Unsicherheit des Aufenthalts auf die Kinder durch, wenn auch mit - im Vergleich zu den anderen Kriterien - insgesamt geringerem Gewicht (VwGH 29.02.2012, 2009/21/0251; 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072).
Den privaten Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich und der nicht als außergewöhnlich zu beurteilenden Integration stehen klar die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8, Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).
Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der BF am Verbleib in Österreich und ermöglicht auch eine Berücksichtigung der besten Interessen der Kinder und des Kindeswohles keine andere Beurteilung.
Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung keine Verletzung des Artikel 8, EMRK vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG stellt sohin keine Verletzung der BF in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG in Verbindung mit Artikel 8, EMRK dar. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach Paragraph 55, AsylG 2005 waren nicht gegeben.
3.3.3. Zur Zulässigkeit der Abschiebung
Gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung ist festzustellen, ob eine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz eins, FPG unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005. Eine derartige Gefährdung der BF lässt sich auf Basis der getroffenen Feststellungen jedoch nicht ableiten.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß Paragraph 50, Absatz 2, FPG auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des Paragraph 3, AsylG 2005. Eine derartige Gefährdung der BF lässt sich auf Basis der getroffenen Feststellungen jedoch nicht ableiten.
Die Abschiebung ist nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.
Die Abschiebung der BF nach Afghanistan ist zulässig. Die Beschwerden waren daher auch hinsichtlich dieser Spruchpunkte als unbegründet abzuweisen.
3.4. Zu Spruchpunkt römisch IV. (BF1 bis BF5) bzw. Spruchpunkt römisch VI. (BF6) der angefochtenen Bescheide (Frist für die freiwillige Ausreise)
Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom BFA vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß Paragraph 55, Absatz 3, FPG kann die Frist bei Überwiegen besonderer Umstände für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.
Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom BFA gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Die Beschwerden waren daher auch hinsichtlich dieser Spruchpunkte als unbegründet abzuweisen.
Zu B)
3.5. Unzulässigkeit der Revision
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu die unter A) zitierte Judikatur); auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich überwiegend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2019:W271.2175246.1.00