BVwG
11.10.2018
W250 2148532-1
W250 2148532-1/9E
W250 2148525-1/8E
W250 2148528-1/8E
W250 2148526-1/10E
W250 2148530-1 /8E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) römisch 40 , geb. am römisch 40 , 2.) mj. römisch 40 , geb. am römisch 40 , 3.) mj. römisch 40 , geb. am römisch 40 , 4.) mj. römisch 40 , geb. am römisch 40 , und 5.) mj. römisch 40 , geb. am römisch 40 , alle StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2017 1.) zur Zl. römisch 40 , 2.) zur Zl. römisch 40 , 3.) zur Zl. römisch 40 , 4.) zur Zl. römisch 40 , und 5.) zur Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.06.2018, zu Recht:
A)
römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 und römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
BEGRÜNDUNG:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten gemeinsam in Besitz eines Visum der Kategorie
D in das Bundesgebiet ein und stellten am 03.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerde-führerin ist die Mutter der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer.
2. Am selben Tag fand die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Sie gab zu den Fluchtgründen befragt an, dass weder sie noch ihre vier Kinder (die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer) eigene Fluchtgründe haben würden. Sie habe den Antrag auf internationalen Schutz für sich und ihre vier Kinder gestellt, weil ein weiterer Sohn der Erstbeschwerdeführerin seit 30.12.2013 als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich lebe.
3. Am 17.01.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich zu den Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen. Die Erstbeschwerdeführerin gab betreffend ihre Fluchtgründe an, dass sie aus der Provinz Daikundi stamme, sie jedoch bereits vor ca. 13 Jahren aus Angst vor den Taliban Afghanistan verlassen habe und im Iran gelebt habe. Den Iran habe sie verlassen, weil sie dort illegal aufhältig gewesen sei und ihre Kinder keine Schule besuchen durften.
Hinsichtlich der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
4. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) ab, erkannte ihnen den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin keine asylrelevante individuelle Verfolgungsgefährdung vorgebracht habe. Auch für die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer seien keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden.
5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. der oben genannten Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes nicht den Anforderungen des Paragraph 18, Absatz eins, AsylG genügt habe, zumal es Ermittlungen zur westlichen Orientierung der Erstbeschwerdeführerin sowie zu eigenen Fluchtgründen der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer unterlassen habe. Zudem seien die herangezogenen Länderberichte unvollständig, teilweise veraltet und würden sich nicht mit der konkreten Situation der Beschwerdeführer befassen. Den Beschwerdeführern drohe Verfolgung wegen der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara sowie der Erstbeschwerdeführerin zusätzlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Mütter. Den Beschwerdeführern werde aufgrund ihres Aufenthaltes im Iran und ihrer westlichen bzw. liberalen Einstellung von islamischen Extremisten wie den Taliban und dem Islamischen Staat in Afghanistan eine feindliche politische Gesinnung unterstellt. Zum Beweis für die Richtigkeit ihrer Angaben beantragten die Beschwerdeführer die Durchführung von Nachforschungen in ihrem Heimatstaat.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.06.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.
7. Mit Stellungnahme vom 06.07.2018 wurde vorgebracht, dass es speziell für die Zweit- und die Fünftbeschwerdeführerin keine Garantie für einen Schulbesuch in Daikundi gäbe. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre die Schule nicht entsprechend ausgestattet, weshalb sie keine Möglichkeiten hätten sich unter den besten Umständen frei zu entfalten. Eine Lebensweise, in der die Anerkennung und die Ausübung der Grundrechte zum Ausdruck kommen, sei ein wesentlicher Bestandteil der Identität der Erstbeschwerdeführerin geworden. Der Zweit- und der Fünftbeschwerdeführerin drohe ebenso aufgrund ihrer grundrechtsgeprägten Lebensweise Verfolgung in Afghanistan.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Sie ist die Mutter der am römisch 40 geborenen Zweitbeschwerdeführerin römisch 40 , des am römisch 40 geborenen Drittbeschwerdeführers römisch 40 , des am römisch 40 geborenen Viertbeschwerdeführers römisch 40 und der am römisch 40 geborenen Fünftbeschwerdeführerin römisch 40 .
Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zum muslimisch-schiitischen Glauben (Verhandlungsprotokoll vom 13.06.2018 = VP, Sitzung 7).
Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus der Provinz Daikundi, dem Distrikt römisch 40 (beim Bundesamt "XXXX" geschrieben) und dem Dorf römisch 40 (W250 2148532-1 = BF 1 AS 63; VP, Sitzung 7). Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer wurden in Afghanistan in der Provinz Daikundi geboren (jeweils Seite 2 des Befragungsformulars im Familienverfahren der österreichischen Botschaft in Teheran betreffend BF 3 und BF 4). Die Erstbeschwerdeführerin ist mit ihrem Ehemann und ihren Kindern ca. im Jahr 2005 über Pakistan in den Iran gezogen (BF 1 AS 63 ff; VP, Sitzung 8 f). Die Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen wurden in Teheran (Iran) geboren (jeweils Seite 2 des Befragungsformulars im Familienverfahren der österreichischen Botschaft in Teheran betreffend BF 2 und BF 5). Der Ehemann der Erst- bzw. Vater der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer ist seit dem Jahr 2010 verschollen (BF 1 AS 65; VP, Sitzung 9 f). Die Erstbeschwerdeführerin ist Analphabetin, sie hat keine Schule besucht (BF 1 AS 63).
Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer reisten im Familienverband im Besitz eines Visums der Kategorie D nach Österreich ein und stellten am 03.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz (BF 1 AS 1 ff).
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
1.2.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin Afghanistan vor ca. 14 Jahren aufgrund einer Verfolgung durch die Taliban verlassen hat. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass aus den Gründen, die zur Ausreise des Ehemannes der Erst- bzw. des Vaters der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer aus Afghanistan geführt haben, eine Gefahr von physischer und/oder psychischer Gewalt für die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan abgeleitet werden könnte.
1.2.2. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass sie sich in Europa aufgehalten haben, in Afghanistan als westlich orientiert gelten.
1.2.3. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass sie sich seit dem Kindesalter im Iran aufgehalten haben (Dritt- und Viertbeschwerdeführer) bzw. im Iran geboren worden sind (Zweit- und Fünftbeschwerde-führerin) und sich (in der Folge) in Europa aufgehalten haben (Erstbeschwerdeführerin), in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wären. Es kann nicht festgestellt werden, dass afghanischen Staatsangehörigen, die aus dem Iran bzw. Europa nach Afghanistan zurückkehren, in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthaltes außerhalb Afghanistans psychische und/oder physische Gewalt droht.
1.2.4. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihrer ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.
1.2.5. Die Beschwerdeführer verließen den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen.
1.2.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt droht und sie deswegen einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.
In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern eine grundlegende Bildung zukommt. Die Mutter würde den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern eine Schulbildung ermöglichen.
1.2.7. Die Erst-, Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass es den Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
1.2.8. Die Erstbeschwerdeführerin ist eine junge auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Die Erstbeschwerdeführerin kleidet sich in Österreich nach westlicher Mode und frisiert und schminkt sich ebenso. Die Erstbeschwerdeführerin erzieht ihre Kinder alleine nach westlichen Grundsätzen und frei von Zwängen, sie geht in ihrer Freizeit schwimmen und erledigt alleine den Einkauf. Sie hat auch bereits einen Deutschalphabetisierungskurs absolviert und will einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Die Erstbeschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben.
Vor diesem Hintergrund würde die Erstbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 30.01.2018 (LIB) wiedergegeben:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).
In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).
Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).
Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).
Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).
Kontrolle von Distrikten und Regionen
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).
Taliban und ihre Offensive
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand (Reuters 27.1.2017).
Daikundi
Die Provinz Daikundi ist seit dem Jahr 2014 autonom (UNDP 5.2.2017); davor war sie ein Distrikt der Provinz Uruzgan (Pajhwok. O.D.ac).
Daikundi ist mehr als 400 km von Kabul entfernt, liegt in Zentralafghanistan und grenzt an die Provinzen Ghor, Ghazni, Uruzgan und Helmand (Tolonews 15.11.2016). Administrative Einheiten sind:
die Provinzhauptstadt Nieli, Ashtarly, Khijran, Khedir, Kitti, Miramor, Sang Takh Shahristan und Gizab (Pajhwok o.D.ac). Die Provinz Daikundi ist die zweitgrößte Region, in der Hazara leben; in der Provinz sind dies 86% der Bevölkerung (UNDP 5.2.2017; vergleiche auch:
Die Zeit 5.1.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf
468.178 geschätzt (CSO 2016).
Daikundi ist eine gebirgige Provinz mit schwacher Infrastruktur ohne asphaltierte Straßen (Pajhwok 25.3.2015; vergleiche auch: Tolonews 15.11.2016). Die abgelegene Provinz Daikundi in Afghanistan, hat derzeit die einzige amtierende Gouverneurin des Landes (France Soir 1.8.2016).
Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2015 wurden in der Provinz Daikundi 48 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Daikundi ist als relativ friedliche Provinz anzusehen, einzig der Distrikt Kijran gilt als relativ unsicher. Dennoch gilt die Provinz für Anrainer/innen als unterentwickelt - viele Gegenden haben wenig oder gar keinen Zugang zu Elektrizität; Gesundheitsleistungen und anderen elementaren Leistungen (Tolonews 15.11.2016; vergleiche auch:
Xinhua 1.10.2016).
Nur in einer Handvoll der 34 Provinzen Afghanistans (wie Balkh, Bamyan, Ghor, Daikundi, Jawzjan und Samangan) stellen die Taliban keine große Bedrohung dar. Die fehlende Mehrheit der Paschtunen erklärt die relative Stabilität dieser Provinzen (Lobe Log Foreign Policy 14.9.2016).
Religionsfreiheit
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Artikel 3, der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).
Schiiten
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9.2016; vergleiche auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9.2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).
Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).
Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).
Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vergleiche auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9.2016).
Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."
(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).
Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9.2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9.2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9.2016; vergleiche auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).
Frauen
Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).
Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Bildung
Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004).
Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).
Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren
63.911 Frauen (CSO 2016).
Frauenuniversität in Kabul
Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:
MORAA 31.5.2016).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:
University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).
Berufstätigkeit
Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).
Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).
Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).
Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).
Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).
Frauen im öffentlichen Dienst
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).
Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).
Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften
Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).
Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).
Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).
Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften
Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vergleiche auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vergleiche auch:
SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).
Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).
Strafverfolgung und Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).
Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).
Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).
Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).
Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).
Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).
Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).
Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).
Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).
Legales Heiratsalter:
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).
In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).
Frauenhäuser
USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).
Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).
Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).
Medizinische Versorgung - Gynäkologie
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016)
Kinder
Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9.2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9.2016).
Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016).
Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen
In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost (AA 9.2016). Üblicherweise sind die Jungen zwischen 10 und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vergleiche auch: AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt und manchmal werden sie von ihren Familien, aufgrund von Armut, an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).
Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. (AA 9.2016)
Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetzesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Schaffung einer Organisation - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015).
Die UNAMA unterstütze weiterhin Bemühungen der AIHRC Bacha Bazi, und andere Formen sexuellen Missbrauchs, vorzubeugen und zu kriminalisieren: sie drängte die afghanische Regierung Bacha Bazi zu kriminalisieren, indem die von einer Kommission entworfenen und vorgeschlagenen Gesetze, durch ein Präsidialdekret bestätigt werden sollen. Derzeit gibt es sehr wenige Leistungen und Unterstützungsmechanismen für Opfer von Bacha Bazi - oftmals werden sie selbst bestraft (UNAMA 6.2.2017).
Kinderarbeit
Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:
Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).
Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9.2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).
Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).
Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fällen nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).
Bildungssystem in Afghanistan
In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.
Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).
Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016).
1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016:
"[...] 7. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen
Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.
Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als ‚sehr gefährliches' Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.
Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). Das im August 2009 verabschiedete Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge der politische Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend wird es Berichten zufolge nicht vollständig durchgesetzt, insbesondere nicht in ländlichen Gebieten. Die überwiegende Mehrheit der Fälle der gegen Frauen gerichteten Gewaltakte, einschließlich schwerer Straftaten gegen Frauen, wird immer noch nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen statt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern. Durch Entscheidungen gemäß diesen Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanierung und Ausgrenzung ausgesetzt.
Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere diskriminierende Bestimmungen für Frauen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.
Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.
[...]
Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)
Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.
Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.
[...]
Zusammenfassung
Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass - je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls - für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen kann. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls kann auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen."
1.3.3. Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 12.06.2015 betreffend die Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen (u.a. mögliche Ausgrenzung oder Belästigungen) sowie das Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren (a-9219):
"[...]
[...] Darin gehen die Autoren auf die Motivationen und die Lage von afghanischen Flüchtlingen im Iran ein, die nach Afghanistan zurückkehren. Wie der Artikel anführt, würden RückkehrerInnen bei ihrer Ankunft in Afghanistan nach einer Abwesenheit von sieben bis 30 Jahren bemerken, dass sie weitgehend von den Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronage-Beziehungen, die sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hätten, ausgeschlossen seien. So würden RückkehrerInnen beispielsweise berichten, dass sie keine Jobs über Verwandte oder Freunde bekommen könnten, da sie keinem Patronage-Netzwerk mit Zugang zu Ressourcen angehören würden. Dies führe nicht nur dazu, dass ihr neues Leben wirtschaftlich unhaltbar sei, sondern auch zu vielen Anzeichen einer Identitätskrise bei den RückkehrerInnen. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan seien sie Fremde im eigenen Land, die Mühe hätten, ihre schwachen sozialen Beziehungen, die sich weder materiell auszahlen noch Schutz bieten würden, neu zu beleben [...]
Die Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU), eine unabhängige Forschungsorganisation mit Sitz in Kabul, geht in einem Bericht vom Juli 2009 auf die Erfahrungen junger AfghanInnen bei ihrer Rückkehr aus Pakistan und dem Iran ein. Wie der Bericht anführt, sei die soziale Ablehnung durch AfghanInnen, die während der Konfliktjahre in Afghanistan geblieben seien, eine schwierige Erfahrung für einige RückkehrerInnen der zweiten Generation gewesen. Es gebe zwei wichtige Gründe, warum Flüchtlinge der zweiten Generation bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mit dieser sozialen Exklusion konfrontiert seien: Zum einen könnten einige Flüchtlinge als "Eindringlinge" in die afghanische Gesellschaft angesehen werden, zum zweiten könnte es sich um das erste Mal handeln, dass sie als AfghanInnen mit tiefgreifenden ethnischen und Stammes-Unterschieden unter ihren Landsleuten konfrontiert würden. Rund ein Viertel der befragten RückkehrerInnen, die meisten aus dem Iran, aber auch einige aus Pakistan, hätten berichtet, dass sie bzw. Familienangehörige oder Freunde von anderen AfghanInnen wegen ihrer Rückkehr aus einem anderen Land geächtet worden seien. Bei den RückkehrerInnen, die dies berichtet hätten, habe es sich vor allem um alleinstehende, gebildete und weibliche Personen gehandelt. Zurückgekehrte Frauen seien relativ einfach anhand ihrer Kleidung auszumachen und ihre Erscheinung und ihr Verhalten könnten im Widerspruch zu den lokalen kulturellen Erwartungen und sozialen Codes stehen. Bei diesen RückkehrerInnen handle es sich eindeutig um "AußenseiterInnen", die leichte Ziele für Schikanierungen seitens anderer AfghanInnen darstellen würden. Insbesondere dann, wenn Flüchtlinge der zweiten Generation sich sehr stark in die pakistanische oder iranische Lebensweise integriert hätten und nicht wüssten, was für AfghanInnen "normal" sei, bzw. sich nicht dementsprechend verhalten könnten, könnten sie als "verwöhnt", "Nichtstuer" oder "nicht afghanisch" betrachtet werden.
Im Großen und Ganzen scheine es eine generelle negative Einstellung gegenüber einigen RückkehrerInnen zu geben, denen von einigen in Afghanistan verbliebenen Personen vorgeworfen werde, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben. Einer der Gründe für diese Vorwürfe sei Angst im Zusammenhang mit der Konkurrenz um Ressourcen. RückkehrerInnen der zweiten Generation, bei denen es wahrscheinlich sei, dass sie sich in einer besseren sozioökonomischen Lage befinden würden als Personen, die in Afghanistan geblieben seien, würden von ihren Landsleuten, die ihr "Territorium" in den Bereichen Bildung, Arbeit, Eigentum und sozialer Status bedroht sehen würden, manchmal als unerwünschte Eindringlinge angesehen. Darüber hinaus scheine es eine stereotype Wahrnehmung von zurückgekehrten Mädchen und Frauen zu geben, wonach diese "freier" seien. Dies hänge mit der generellen Wahrnehmung der AfghanInnen von pakistanischen und iranischen Frauen zusammen. Afghanische Flüchtlinge der zweiten Generation würden diese Frauen oftmals als "freier" ansehen, sowohl in negativer (z.B. Scham in Verbindung mit einem weniger moralischen Verhalten) als auch in positiver Hinsicht (z.B. besserer Zugang zu Bildung und Arbeit). Die jungen RückkehrerInnen, die in Pakistan und im Iran aufgewachsen seien, würden von den in Afghanistan Verbliebenen ähnlich betrachtet. Wie der Bericht weiters anführt, werde Diskriminierung aus ethnischen, religiösen und politischen Gründen von Flüchtlingen der zweiten Generation noch intensiver erlebt als von Flüchtlingen der ersten Generation oder AfghanInnen, die bereits Erfahrungen in Afghanistan gemacht hätten und sich dieser Realität bewusster seien [...]
In einem im Februar 2011 von den beiden Denkfabriken Middle East Institute (MEI) und Fondation pour la Recherche Stratégique (FRS) veröffentlichten Bericht geht Bruce Koepke, der aktuell beim Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) tätig ist und zuvor für die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) in Nordafghanistan, Kabul und Teheran gearbeitet hat, auf die Lage von AfghanInnen im Iran ein. Wie Koepke anführt, habe der Umstand, dass die Mehrheit der im Iran geborenen AfghanInnen, vor allem Dari-/Farsi-sprechende sunnitische TadschikInnen und schiitische Hazara, über Schule und Arbeit die iranische Kultur und Lebensweise aufgenommen habe, ihre kulturelle Anpassung erleichtert. Gleichzeitig werde dadurch aber auch ihre Repatriierung erschwert. Für viele sei die Vorstellung, in ländliche Gebiete Afghanistans zurückzukehren, die meist ("most commonly") nur ein sehr grundlegendes Maß an Infrastruktur, sozialen Diensten und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten würden, beängstigend. Darüber hinaus seien im Iran ausgebildete AbsolventInnen bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan nicht selten mit unterschiedlich stark ausgeprägten Vorurteilen konfrontiert [...]
[...] Wie Nawa anführt, würden diese AfghanInnen die Identität Afghanistans ändern und das Land iranischer machen. Diese Änderungen hätten zu Spannungen zwischen AfghanInnen, die das Land nie verlassen hätten, und den afghanischen RückkehrerInnen geführt. Den qualifizierten RückkehrerInnen werde übel genommen, dass sie bessere Jobs bei Hilfsorganisationen und der afghanischen Regierung bekommen würden. Konservative Personen würden die afghanischen Frauen, die im Iran aufgewachsen seien, verachten, da diese liberaler und mutiger erscheinen würden. Wie Nawa weiter anführt, würden Hazara, bei denen es sich historisch betrachtet um die ärmste der Minderheiten in Afghanistan gehandelt habe, reicher, gebildeter und geeint zurückkehren.
Dem Artikel zufolge würden die RückkehrerInnen als "Afghan-e badal" oder falsche AfghanInnen bezeichnet. Nur wenige von ihnen hätten politische Verbindungen in den Iran, aber aufgrund ihrer Zeit im Iran seien sie in den Augen der AfghanInnen, die das Land nicht verlassen hätten, kulturell nicht authentisch und politisch verdächtig [...]
In einer im Jahr 2014 eingereichten Masterarbeit an der University of Ottawa geht Masuma Moravej auf die Situation junger afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehren, ein. Unter anderem basiert die Arbeit auf Angaben von zwölf afghanischen RückkehrerInnen in Kabul (im Alter zwischen 19 und 34, davon sechs Hazara), die sich bereit erklärten, mit der Autorin über ihre Erfahrungen zu sprechen. Wie Moravej anführt, habe es InterviewpartnerInnen gegeben, die sich diskriminiert und geringgeschätzt gefühlt und angegeben hätten, als "verwöhnt", "Nichtstuer" oder "nicht afghanisch" bezeichnet zu werden. Obwohl einige Interviewte der Aussage, es komme zu Diskriminierung, nicht zugestimmt hätten, habe ungefähr die gleiche Anzahl an Interviewten dieser Aussage beigepflichtet. Ausgrenzung aufgrund des Status eines/r Rückkehrers/Rückkehrerin sei nur eine der negativen Erfahrungen gewesen, die die InterviewpartnerInnen gemacht hätten. Eine weitere sei die Diskriminierung aufgrund persönlicher Merkmale (so wie Ethnie, Religion und Geschlecht) gewesen. Eine(r) der Interviewten habe mitgeteilt, dass man als RückkehrerIn aus dem Iran mit verschiedenen Arten von Diskriminierung und einem gewissen Grad an Stereotypisierung durch die lokale Gemeinschaft (andere AfghanInnen) konfrontiert werde. Deshalb müssten sich RückkehrerInnen mehr anstrengen, um bei der Arbeit oder in anderen Lebensbereichen erfolgreich zu sein. Drei Interviewte hätten angegeben, dass die BewohnerInnen Kabuls ihnen gegenüber ein unfreundliches Verhalten an den Tag gelegt hätten. Die BewohnerInnen hätten sie als OpportunistInnen und SchwindlerInnen angesehen, die während des Krieges geflüchtet und nun nach Afghanistan zurückgekehrt seien, um von der teilweise stabilisierten Lage im Land zu profitieren. Das Problem der ethnischen Diskriminierung sei von zehn der Interviewten genannt worden. So habe eine der Interviewten (eine Hazara) angegeben, dass sie im Iran wegen ihres Afghanisch-Seins beleidigt worden sei und nun in Kabul wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werde. Wie Moravej anführt, hätten die den Hazara angehörenden Interviewten berichtet, mit einem größeren Ausmaß ethnischer Diskriminierung konfrontiert worden zu sein [...]
Der vom US-amerikanischen Kongress finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtet im Februar 2015, dass Bewaffnete zwei Busse mit 30 Hazara an Bord in der Provinz Zabul auf dem Highway zwischen Kandahar und Kabul aufgehalten hätten. Laut Angaben lokaler Behörden hätten die Bewaffneten die männlichen Hazara mitgenommen, während Frauen, Kinder und Personen, die nicht den Hazara angehört hätten, zurückgelassen worden seien. Es werde davon ausgegangen, so RFE/RL weiters, dass es sich bei den BusinsassInnen um afghanische Flüchtlinge gehandelt habe, die aus dem Iran zurückgekehrt seien. Keine Gruppe habe sich zu dieser Massenentführung bekannt [...]
In einer E-Mail-Auskunft vom 4. Juni 2015 schreibt Liza Schuster vom Institut für Soziologie an der City University London, die gegenwärtig als Gastwissenschaftlerin am Afghanistan Centre der Kabul University (ACKU) tätig ist, dass sie keine Studie kenne, die sich mit dieser konkreten Fragestellung beschäftige. Sie könne lediglich sagen, dass Hazara zur Zielscheibe würden und Hazara, die Zeit im Iran verbracht hätten, aufgrund ihres veränderten Akzents und ihrer Kleidung (vor allem Frauen, die kleinere Kopftücher und kurze Mäntel über enganliegenden Hosen tragen würden) hervorstechen würden. Die 31 Hazara, die vor kurzem in Zabul entführt worden seien, hätten sich auf dem Rückweg aus dem Iran befunden. Es sei allerdings nicht bekannt, ob das Motiv für die Tat die Annahme, die Entführten hätten Geld, ihre ethnische Zugehörigkeit zu den Hazara oder politische Gründe gewesen sei. Sie habe gehört, dass fünf der Entführten getötet und 26 im Austausch für die Freilassung von Taliban-Kämpfern freigelassen worden seien, so Schuster weiter [...]
In einer E-Mail-Auskunft vom 5. Juni 2015 schreibt Niamatullah Ibrahimi von der Australian National University, dessen Forschungsschwerpunkt auf politischen und Menschenrechtsthemen in Afghanistan liegt, dass die Behandlung eines Hazara, der aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehre, von den individuellen Umständen abhängen könnte. Im Allgemeinen denke er, dass folgende Punkte berücksichtigt werden müssten:
Zum einen könnten Hazara, die längere Zeit im Iran verbracht hätten oder dort geboren seien, mit beträchtlichen Herausforderungen bei der Wiederansiedelung und Reintegration in Afghanistan konfrontiert sein. Es sei wahrscheinlich, dass die betreffende Person einen iranischen Akzent angenommen und einen städtischen und iranischen Lebensstil entwickelt habe und nur wenig über die sich schnell verändernden sozialen und sicherheitsrelevanten Dynamiken in Afghanistan wisse. Dies könnte die Person einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit und Kontrolle aussetzen, was zu beträchtlichen Herausforderungen in Gebieten, die einem iranischen Einfluss feindlich gegenüberstehen würden, führen könnte.
Zum zweiten seien die Taliban dem Iran traditionell feindlich gesinnt und würden dazu tendieren, die religiösen und kulturellen Verbindungen der Hazara zum Iran mit Misstrauen zu betrachten. Während es einige Fraktionen innerhalb der Taliban gebe, die gemäßigtere Ansichten in Bezug auf den Iran und die Hazara haben könnten oder einem Angriff auf aus dem Iran zurückkehrende Hazara zu diesem Zeitpunkt keine Priorität einräumen würden, würden einige Taliban-Fraktionen gegenüber Hazara, die sie als eng mit dem Iran verbunden wahrnehmen würden, ein extremistischeres und gewalttätigeres Verhalten an den Tag legen [...]"
1.3.4. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.03.2018 betreffend die Schulbildung von Mädchen in der Provinz Daikundi:
"[...] Verschiedene afghanischen Stellen berichten über einen Bestand von etwa 350 bis 400 Schulen in der Provinz Daikundi, während eine internationale Quelle 2017 die Existenz von lediglich 80 Bildungseinrichtungen in der Provinz anführt.
Der offizielle Anteil von Schülerinnen in der Provinz Daikundi lag gem. den nachfolgenden Angaben zufolge 2016 bei 44 Prozent [Anm. d.
Staatendokumentation: der landesweite Schnitt für Mädchen liegt bei 40 Prozent].
Nur sechs Prozent der Schulen in der Provinz Daikundi verfügen über angemessene Gebäude und Räumlichkeiten für eine Unterrichtsgestaltung. Auch herrscht ein Mangel an professionellem Lehrpersonal. Viele Familien versuchen aber trotz enormer Widerstände, ihren Töchtern eine gute Schulausbildung zukommen zu lassen. Auch wird über den Bau neuer Schulgebäude, wie auch die Existenz von Schulen für Mädchen in der Provinz Daikundi berichtet.
Human Rights Watch (HRW) führt im Oktober 2017 an, dass in Gebieten, welche unter der Kontrolle der Taliban stehen, von diesen die Ausbildungszeit der Mädchen entweder auf wenige Schuljahre beschränkt, oder ganz verboten wird. In umkämpften Gebieten sind Mädchen, welche eine Schule besuchen wollen, erhöhten Sicherheitsrisiken wie sexuellen Belästigungen, Entführungen und Säureangriffen sowie gezielten Angriffen und Drohungen gegen die Bildung von Mädchen im Allgemeinen ausgesetzt.
Trotzdem versuchen viele Familien - trotz dieser Risiken - ihren Töchtern Bildung zukommen zu lassen. HRW sprach mit Familien, die in andere Stadtteile und sogar in andere Teile des Landes gezogen sind, um eine Schule für ihre Töchter zu finden. Auch wird über Familien berichtet, welche sich getrennt haben damit den Mädchen das Studium ermöglicht werden kann. So wurden von älteren Brüdern gefährliche Reisen zum Zwecke eines illegalen Arbeitsaufenthaltes in den Iran unternommen, um die Ausbildungskosten für deren jüngere zu Hause gebliebene Schwestern zu verdienen. [...]
Human Rights Watch (HRW) führt im Oktober 2017 an, dass in Gebieten, welche unter der Kontrolle der Taliban stehen, von diesen die Ausbildungszeit der Mädchen entweder auf wenige Schuljahre beschränkt, oder ganz verboten wird. In umkämpften Gebieten sind Mädchen, welche eine Schule besuchen wollen, erhöhten Sicherheitsrisiken wie sexuellen Belästigungen, Entführungen und Säureangriffen sowie gezielten Angriffen und Drohungen gegen die Bildung von Mädchen im Allgemeinen ausgesetzt.
Trotzdem versuchen viele Familien - trotz dieser Risiken - ihren Töchtern Bildung zukommen zu lassen. HRW sprach mit Familien, die in andere Stadtteile und sogar in andere Teile des Landes gezogen sind, um eine Schule für ihre Töchter zu finden. Auch wird über Familien berichtet, welche sich getrennt haben damit den Mädchen das Studium ermöglicht werden kann. So wurden von älteren Brüdern gefährliche Reisen zum Zwecke eines illegalen Arbeitsaufenthaltes in den Iran unternommen, um die Ausbildungskosten für deren jüngere zu Hause gebliebene Schwestern zu verdienen. [...]
Die Naval Postgraduate School (NPS), eine Graduiertenschule mit Sitz in Monterey, Kalifornien, die von der United States Navy betrieben wird, listet im März 2017 insgesamt 80 Bildungseinrichtungen für die Provinz Daikundi [...]
Das Bildungsministerium der Islamischen Republik Afghanistan, das Ministry of Education (MoE), berichtet, dass in der Provinz 353 allgemeinbildende Schulen, sieben islamische Schulen, fünf technische und berufliche Institute und sieben Lehrerausbildungszentren bestehen. In Daikundi gibt es gemäß Angaben des Bildungsministeriums 160.121 Schüler und Schülerinnen (45 Prozent) im schulpflichtigen Alter.
Im Jahre 2013 wurden in den technischen und beruflichen Schulungszentren etwa 450 Schülerinnen ausgebildet. Ebenso profitierten rund 1.500 Studenten von der islamischen Bildung, 500 davon waren Studentinnen.
Daikundi hat 9 Distrikte, von denen die Distrikte Khader, Ashtarly und Kitti durch das GPE-Programm (Global Partnership for Education) abgedeckt sind. In diesen Distrikten werden derzeit 57.640 Kinder [Anm. d. Staatendokumentation: wie viele Kinder in den oben genannten drei Distrikten schulpflichtig sind konnte nicht erhoben werden] ausgebildet, davon insgesamt 24.992 Mädchen. Dabei werden durch das GPE-Programm derzeit folgende Bildungsangebote vermittelt:
1.888 Studenten werden in 81 gemeindebasierten Klassen ausgebildet. Davon sind 54 Prozent, also 1.025, Studentinnen.
849 Studierende erfahren Bildung in 30 sog. beschleunigten Lernklassen. 79 Prozent davon - oder 677 - sind weibliche Studierende. In 90 Moscheeklassen werden 2.480 Studenten gelehrt. Von diesen sind 1.220, also 49 Prozent weiblichen Geschlechts. [...]
Kabul Press, eines der meistgelesenen afghanischen Online-Nachrichtenportale berichtet im Mai 2016, dass zum Zeitpunkt der Herausbildung der Provinz im Jahre 2004 nur 15 Schulen bestanden haben. Mittlerweile gibt es mehr als 400 Schulen, welche in Grund-, Mittel- und Oberstufen aufgeteilt sind. 44 Prozent der Schüler Daikundis sind weiblich.
Viele der Schulen in Daikundi verfügen allerdings über keine Gebäude oder geeignete Schulinfrastruktureinrichtungen, sodass der Unterricht zum Teil in Zelten oder unter Bäumen abgehalten werden muss. Der Stellenwert von Bildung wird in dieser Gegend sehr hoch eingeschätzt, was auch in der Wahl der ersten Bürgermeisterin Afghanistans in der Provinzhauptstadt von Daikundi seinen besonderen Ausdruck findet.
Weiters nimmt die Zahl der StudentInnen aus Daikundi, die sich für die schwierigen Hochschulaufnahmsprüfungen anmelden, von Jahr zu Jahr zu.
In dem Bericht von Kabul Press wird auch angeführt, dass nach Angaben von U.S. Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) von Ende März 2015, die United States Agency for International Development (USAID) 769 Mio. USD für die Unterstützung von Bildung in Afghanistan ausgegeben hat. Im SIGAR-Bericht werden afghanische Beamte im Bildungsministerium jedoch beschuldigt, Millionen von Dollar veruntreut zu haben, indem Schulstatistiken gefälscht wurden. [...]"
1.3.5. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 13.10.2017 betreffend die Existenzmöglichkeiten alleinstehender Frauen und Mädchen in Afghanistan:
"[...] Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), [...], schreibt in einem Bericht vom August 2017, dass gemäß der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) Frauen, die alleine leben würden, in der Gesellschaft stigmatisiert würden. Abgesehen von einer kleinen weiblichen Elite sei es gesellschaftlich und kulturell für Frauen unmöglich, alleine zu leben. Unbegleitete Frauen, die vor Missbrauch flüchten würden, etwa Frauen, die nicht mit ihren Familien wiedervereint werden könnten, oder unverheiratete Frauen würden üblicherweise von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Laut offiziellen statistischen Zahlen aus dem Jahr 2012 würden nur 0,4 Prozent der afghanischen Haushalte von weiblichen Vorständen geführt. Von diesen Haushalten seien 54,7 Prozent arm, im Gegensatz zu 36 Prozent der Haushalte mit männlichen Vorständen. Laut Forschungen aus dem Jahr 2008 zu chronisch armen Frauen gebe es nur wenige Haushalte mit weiblichen Vorständen, insbesondere in paschtunischen Gebieten, da Witwen und unverheiratete Frauen meistens als Teil eines anderen Haushaltes unter männlichem Schutz seien. In großen Städten gebe es mehr Haushalte mit weiblichen Vorständen als in ländlichen Gebieten, wo das soziale Netzwerk enger sei. Das Norwegian Refugee Council (NRC) betone, dass es unter den Binnenvertriebenen viele Witwen und weibliche Haushaltsvorstände gebe. Städtische Haushalte mit weiblichen Vorständen seien verletzlicher, weil es eine größere Armut, ein geringeres Einkommen, einen höheren Anteil von Personen ohne Landbesitz, beschränkte soziale und familiäre Netzwerke und eine größere Anfälligkeit für Übergriffe und Ausbeutung gebe. Die meisten Frauen, die Vorstand eines Haushalts seien, seien hauptsächlich von ihren sozialen Netzwerken oder, häufig irregulären, Hilfsleistungen ("charity") abhängig. Verwandte oder Nachbarn würden sie mit Essen, Kleidung und Medikamenten versorgen. Weibliche Haushaltsvorstände in städtischen Gebieten hätten 2008 angegeben, dass die Unterbringung und hohe Mietkosten die Hauptprobleme seien, mit denen sie konfrontiert seien, weil sie nicht in der Lage seien, regelmäßig Miete zu zahlen, und es schwer sei, eine Unterkunft zu finden, wenn sie ein Vermieter auffordere zu gehen.
Laut dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) seien unbegleitete Frauen, Witwen, geschiedene Frauen und Frauen, deren Männer verschwunden seien, einem größeren Risiko ausgesetzt, Opfer von Vergewaltigungen zu werden.
Zu niemals verheirateten Frauen merkt der Bericht von EASO an, dass die Lage von alleinstehenden Frauen in der männerdominierten afghanischen Gesellschaft sehr schwierig sei, da unbegleitete Frauen üblicherweise von der Gesellschaft nicht akzeptiert würden. Offizielle Statistiken würden darauf hindeuten, dass 92 Prozent der Frauen beim Erreichen eines Alters von 25 Jahren verheiratet seien. Mädchen und Frauen, die vor Zwangsehen flüchten würden, würden häufig von ihren Familien verstoßen und könnten wegen des Stigmas, weggelaufen zu sein, nirgendwo hingehen. Frauen und Mädchen könnten sogar wegen des Beschmutzens der Familienehre getötet werden. Diejenigen, die keine familiäre Unterstützung hätten, seien oft gezwungen, zu betteln oder sich zu prostituieren.
Zu geschiedenen Frauen schreibt der Bericht, dass laut verfügbaren Statistiken für Kabul, Herat und Balch weniger als ein Prozent der Bevölkerung als geschieden registriert sei. Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR) weise in einem Artikel darauf hin, dass Scheidung immer noch als zutiefst beschämend empfunden werde. Die Anzahl der registrierten Scheidungen sei jedoch laut einem Vertreter der Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC), der für den Bericht interviewt worden sei, im Steigen begriffen und die Einstellung zu Scheidungen ändere sich langsam, insbesondere in städtischen Gebieten.
Zu Frauen, die zurückgelassen worden seien, also Frauen, deren Männer verschwunden seien oder die ohne Scheidung verlassen worden seien, schreibt EASO, dass sie sechs bis zehn Jahre nicht heiraten könnten und offenbar auch kein Eigentum für sich reklamieren könnten, wenn sie nicht wüssten, ob ihre Männer gestorben seien
[...]
In einem vom schweizerischen Staatssekretariat für Migration (SEM) im Juni 2017 veröffentlichten Bericht von Thomas Ruttig, Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (AAN), finden sich folgende Informationen zu alleinstehenden Frauen: ‚Es ist denkbar, dass alleinstehende Frauen allein leben, allein durch die Stadt gehen und allein in einem Minibus steigen. Das kommt aber nur im Promille-Bereich vor, weil die soziale Kontrolle und die auch in von den meisten Frauen verinnerlichten gesellschaftliche Konventionen sehr stark sind: Es ist eben nicht üblich. Viele Frauen halten sich auch daran, weil man sonst Zielscheibe von Angriffen werden kann. Dasselbe gilt für junge Ehepaare, die allein (d. h. getrennt von Eltern und Familie) leben wollen.
Es gibt inzwischen auch gut ausgebildete Frauen, die ein eigenes Einkommen haben und ihre Arbeit machen. Zumindest bis vor einigen Jahren wären sie auch mal alleine in Provinzen gereist, aber natürlich immer in einem institutionellen Rahmen, also als Teil ihres Jobs (das konnten sie gegenüber ihren Familien verteidigen). Auch schon damals wurde meistens ein männlicher Begleiter mitgenommen. Also sich in den Bus zu setzen und alleine loszufahren, halte ich für kaum möglich - vielleicht in grenznahen Gebieten in Einzelfällen.
Wer hier, im Westen, als alleinstehende Frau ankommt, hat möglicherweise Angehörige unterwegs verloren oder genug Geld, um sich ein Flugticket zu kaufen und legal einzureisen.' [...]
Das US-Außenministerium schreibt in seinem im März 2017 veröffentlichten Jahresbericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum: 2016), dass traditionelle gesellschaftliche Praktiken, darunter die Notwendigkeit, in Begleitung eines Mannes zu sein oder über die Einwilligung eines Mannes zu verfügen, um arbeiten zu dürfen, weiterhin die Teilnahme von Frauen an der Politik und an Aktivitäten außerhalb des Zuhauses einschränken würden. Unbegleitete Frauen seien in der Gesellschaft üblicherweise nicht akzeptiert. Frauen, die allein unterwegs seien oder außerhalb ihres Zuhauses arbeiten würden, seien häufig Übergriffen und Belästigungen ausgesetzt, darunter unsittliches Berühren oder Hinterhergehen. Am Arbeitsplatz würden Frauen diskriminiert und bedrängt. Frauen würden sieben Prozent der Arbeitskräfte ausmachen. Laut einer Umfrage der Asia Foundation von 2016 würden 74 Prozent der Bevölkerung befürworten, dass es Frauen erlaubt werden sollte, außerhalb ihres Zuhauses zu arbeiten. Aber nur 9,4 Prozent der befragten Frauen hätten angegeben, an Aktivitäten beteiligt zu sein, mit denen Geld verdient werde. Viele Frauen würden von ihren Verwandten unter Druck gesetzt, zu Hause zu bleiben. Zudem seien sie mit Einstellungspraktiken konfrontiert, die Männer bevorzugen würden. Ältere und verheiratete Frauen hätten berichtet, dass es für jüngere und alleinstehende Frauen einfacher sei, einen Job zu finden, als für sie. Frauen, die arbeiten würden, hätten berichtet, dass sie mit Beleidigungen, sexuellen Belästigungen, sowie fehlenden Transportmöglichkeiten und Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder konfrontiert seien. In der Privatwirtschaft würden Frauen in Bezug auf das Gehalt diskriminiert. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen hätten berichtet, häufig bedroht zu werden und Übergriffen ausgesetzt zu sein [...]
Das niederländische Außenministerium (Ministerie van Buitenlandse Zaken, BZ) schreibt in einem im November 2016 veröffentlichten Bericht, dass Frauen in Afghanistan im Prinzip nicht allein leben würden. Etwas Derartiges sei kulturell nicht akzeptabel und die Ehre der Frau, und damit auch der restlichen Familie, sei sofort davon betroffen, was zu den damit verbundenen Konsequenzen führe. Die Frauen, die durch die Umstände gezwungen seien, alleine zu leben, seien trotz allem mit großen Schwierigkeiten konfrontiert und dem Risiko ausgesetzt, Opfer von sexuellem oder anderem Missbrauch zu werden und ein Leben in Armut führen zu müssen. Zu diesen Frauen würden Kriegswitwen und auch andere Witwen zählen, die alleine mit ihren Kindern leben würden. Junge Witwen mit Kindern seien besonders verletzlich. Für Frauen, die geschieden seien oder die ihren Ehemännern davongelaufen seien, sei es unmöglich, alleine zu leben. Sie seien häufig Opfer sexueller oder physischer Gewalt, was auch der Grund für das Weglaufen gewesen sei. Ihre Ehre sei beschmutzt und sie würden ausgegrenzt. Wenn sie keinen Platz in einem Frauenhaus bekämen oder nicht zu ihren Familien zurückkehren könnten, seien sie oft gezwungen, zu ihren Ehemännern oder den Schwiegereltern zurückzukehren. In den letzten Jahren hätten immer mehr Frauen in Frauenhäusern Zuflucht gesucht. Es gebe 28 Frauenhäuser in Afghanistan. Diese würden zu den wenigen Orten zählen, an denen Frauen sicher seien. Frauen, die nicht zu ihren Familien zurück könnten, seien häufig gezwungen, in den Frauenhäusern zu bleiben. Viele von ihnen würden auch auf der Straße enden. Da das Weglaufen von zu Hause als Moralverbrechen angesehen werde, würden viele Frauen ins Gefängnis kommen. In Gegenden, in denen es keine Frauenhäuser gebe, nehme die Polizei manchmal Frauen in Gewahrsam, um sie zu schützen. Es sei für Frauen in Afghanistan, auch für alleinstehende Frauen, üblich, außerhalb des Zuhauses von einem männlichen Familienmitglied (Ehemann oder männlicher Verwandte) begleitet zu werden. Dieses männliche Familienmitglied, der Ehemann oder direkte männliche Verwandte, die die Frau gemäß Scharia nicht heiraten könne, würden als mahram bezeichnet. Vor allem in ländlichen Gebieten sei dies unter Paschtunen noch sehr üblich. Wenn Frauen eine Reise machen würden, seien sie normalerweise auch in Begleitung eines männlichen Verwandten. Dieser beschütze die Frau unter anderem vor Belästigungen anderer Männer. Ohne mahram würden Frauen als Freiwild angesehen [...]"
1.3.6. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 26.08.2016 zur Situation von Witwen in Afghanistan:
"[...] Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) schreibt in ihrem im Februar 2015 erschienenen Jahresbericht zum Schutz von ZivilistInnen im bewaffneten Konflikt (Berichtsjahr 2014), dass Frauen, die nach dem Tod bzw. der Verwundung ihrer Ehemannes als Alleinverdienende zurückgelassen würden, an langfristigen negativen sozioökonomischen Folgen leiden würden und zudem anfällig seien, Opfer von anderen Formen von Gewalt bzw. Misshandlung zu werden. UNAMA habe eine Umfrage unter 60 Witwen durchgeführt. Mehr als ein Viertel von diesen habe angegeben, nach dem Tod ihres Ehemannes zum Ziel von Gewalt (seitens der Verwandtschaft und der weiteren Gemeinschaft) geworden zu sein. Zu den am häufigsten berichteten Formen von Gewalt hätten gezählt: Beschimpfungen, Vertreibung aus dem Familienhaus, erzwungene Wiederverheiratung, körperliche Gewalt und gesellschaftliche Ausgrenzung. In vielen Fällen habe diese Gewalt bereits wenige Tage nach dem Tod des Ehemannes eingesetzt und sei am häufigsten von der Familie des verstorbenen Ehemannes ausgegangen. Interviewpartnerinnen hätten UNAMA gegenüber erklärt, dass die Gewaltbereitschaft darauf zurückzuführen sei, dass Frauen und deren Kinder nach dem Tod der Ehemänner (bzw. des Vaters) als ökonomische Last empfunden würden. Nach demselben Muster würden Verwandte Witwen dazu zwingen, ihre Töchter zu verheiraten. Obwohl mehr als die Hälfte der interviewten Witwen erklärt hätten, dass sie in der Lage seien, ihr Haus ohne Begleitung zu verlassen, hätten viele andere erwähnt, dass sie seit dem Tod ihres Ehemannes in ihrer Bewegungsfreiheit stärker eingeschränkt seien und nur in Begleitung eines männlichen Verwandten außer Haus gehen könnten. Mehrere Witwen hätten erklärt, dass sie den Eindruck hätten, dass sie seit dem Tod ihres Ehemannes innerhalb der Gemeinschaft bzw. der Gesellschaft an Ansehen verloren hätten und als Last wahrgenommen würden. Trotz dieser Einschränkungen hätten mehrere Witwen berichtet, dass ihr Umfeld Verständnis für ihre neue Situation zeige. Die meisten Interviewpartnerinnen hätten angegeben, dass sie von ihrer Umgebung geduldet bzw. unterstützt würden. Einige der Frauen hätten jedoch berichtet, dass ihre Umgebung ihnen gegenüber mit großer Mehrheit ablehnend eingestellt sei. Ein Viertel der befragten Frauen habe angegeben, bei einer Einrichtung bzw. karitativen Organisation um Unterstützung angesucht zu haben. Doch nur eine Frau habe berichtet, dass sie eine positive Antwort auf ihr Ansuchen erhalten habe. Auf die Frage, welche Formen der Unterstützung sie am dringendsten benötigen würden, hätten die interviewten Frauen geantwortet, dass sie (in absteigender Priorität) finanzielle Unterstützung, Nahrungsmittel, Heizmittel bzw. Feuerholz, Wohnraum und Unterstützung für die Ausbildung der Kinder benötigen würden. [...]
Mehrere Quellen berichten über die (auch zwangsweise) Wiederverheiratung von Witwen mit einem männlichen Verwandten des verstorbenen Ehemannes (Levirat). So bemerkt ein älterer UNAMA-Bericht vom Dezember 2010, dass Frauen als Eigentum ihrer eingeheirateten Familie gelten würden und die Zwangsheirat einer Witwe mit einem Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes teilweise auf diese Haltung zurückzuführen sei. Eine solche Heirat sei aber oftmals auch ein Mittel, um die Erbschaft der Witwe in der Familie zu behalten. Im Gegensatz zu nationalem und internationalem Recht sowie zum Scharia-Recht, wo beidseitiges Einverständnis als Voraussetzung für eine Ehe vorgesehen sei, müsse die betroffene Frau daher gegen ihren Willen heiraten. Wenn eine Witwe nicht erneut innerhalb der gleichen Familie heirate, würde sie oft riskieren, ihre Kinder zu verlieren. Nach dem afghanischen Zivilgesetzbuch liege die Vormundschaft für die Kinder ab einem gewissen Alter (neun Jahre für Mädchen und sieben Jahre für Burschen) beim Vater. Im Fall von Scheidung oder Tod des Vaters verfüge die Familie des Vaters über die Vormundschaft der Kinder. Aufgrund der mangelnden Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der eigenen Zukunft von Frauen hätten diese nur begrenzt andere Möglichkeiten. In einigen Provinzen sei berichtet worden, dass Witwen ihr Erbe entzogen worden sei, in der Regel durch Zwangsverheiratung mit einem anderen männlichen Verwandten. [...]
Das US-Magazin National Geographic zitiert im bereits oben angeführten Artikel vom Dezember 2015 die US-Fotojournalistin Paula Bronstein mit der Aussage, dass die meisten Kriegswitwen, mit denen sie im Rahmen ihres Projektes "War Widows of Afghanistan" gesprochen habe, angegeben hätten, dass sie keine Ausbildung hätten. Dies lasse ihnen kaum andere Erwerbsmöglichkeiten als betteln zu gehen oder als Putzkräfte zu arbeiten. Viele dieser Frauen würden mangels Geld und Unterstützung mit ihren Kindern in extremer Armut leben. In manchen Fällen würde ein Verwandter ihres verstorbenen Ehemannes sie aus Respekt heiraten. Doch viele andere Witwen seien auf sich allein gestellt. [...]
Die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) schreibt indes in einer älteren Analyse vom Dezember 2011 mit Verweis auf einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), dass es "in Afghanistan schlicht nicht möglich [sei], als alleinstehende Frau eine Wohnung zu mieten oder sich mit Arbeit durchzuschlagen"
[...]
Die UNAMA schreibt weiter, dass alle von ihr interviewten 60 Witwen angegeben hätten, dass sich ihre finanzielle Situation, seit dem Tod bzw. der Verwundung ihres Ehemannes erheblich verschlechtert habe. Nur eine der 60 Witwen sei bereits vor dem Tod ihres Mannes angestellt gewesen. Mehrere Frauen hätten angegeben, dass sie seit dem Tod ihres Ehemannes für einen geringen Lohn etwa als Putzkräfte oder Haushaltsangestellte arbeiten würden. Die meisten Frauen hätten jedoch keine Arbeit gefunden. Ein Drittel der befragten Witwen habe angegeben, eine Form von staatlicher finanzieller Unterstützung erhalten zu haben, wobei es sich zumeist um eine einmalige Zahlung und nicht um einen regelmäßigen ausbezahlten Betrag handle. Die meisten Witwen wüssten nicht, wie sie Zugang zu den vom Ministerium für Arbeit und Soziales bzw. vom Büro des Präsidenten angebotenen finanziellen Unterstützungen erhalten würden und seien der Ansicht, dass diese Gelder nur gut vernetzten Angehörigen der Elite zur Verfügung stünden. Nur ein Viertel der Befragten sei in der Lage, ohne finanzielle Unterstützung von außen für ihre Familie zu sorgen. Die Mehrheit der Witwen sei, was ihren Lebensunterhalt betreffe, gänzlich oder teilweise von ihrer Familie (bzw. noch häufiger von der Familie des verstorbenen Ehemannes) abhängig. Vielen sei indes der Zugang zum Eigentum ihres Ehemannes gänzlich verweigert worden. Einige Frauen hätten zwar die Erlaubnis zur Nutzung dieses Eigentums, seien sich jedoch ihrer Rechte in Bezug auf Erbschaft und Eigentum nicht bewusst. [...]
Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) schreibt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Schutz von ZivilistInnen im bewaffneten Konflikt (Berichtsjahr 2015), dass es weiterhin Berichte darüber gebe, dass die Regierung weiterhin nur in eingeschränkten Maße fähig sei, Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand, die aufgrund des Konfliktes den primären Versorger verloren hätten, angemessen zu unterstützen bzw. diese Haushalte anzuerkennen (UNAMA, Februar 2016, Sitzung 14).
Die US-Tageszeitung Wall Street Journal (WSJ) schreibt in einem Artikel vom November 2015, dass es vielen Witwen an Unterstützung durch Verwandte fehle. Da Frauen nur selten außerhalb des Hauses arbeiten würden, hätten nur wenige Frauen Erwerbsaussichten. Und jene, die Anspruch auf staatliche Unterstützung hätten, seien sich dessen oft nicht bewusst. Das afghanische Ministerium für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte (MoLSAMD) zahle nach eigenen Angaben Hilfsgelder an rund 80.000 Kriegswitwen, die sich zu deren Erhalt angemeldet hätten. So hätten Ehefrauen von gefallenen Soldaten, Polizisten und anderen Regierungsbediensteten Anspruch auf eine regelmäßige Rente in Höhe des Einkommens ihres verstorbenen Ehemannes, während Witwen von Zivilisten, die bei Angriffen getötet worden seien, Anspruch auf eine monatliche Rente in Höhe von 5.000 Afghani [rund 66 Euro nach derzeitigem Wechselkurs] hätten. Doch die Zahl derer, die solche Zahlungen erhalten würden, liege weit unter der tatsächlichen Zahl von Frauen, deren Männer aufgrund des Krieges ums Leben gekommen seien. Und die Höhe der tatsächlich ausbezahlten Gelder liege zuweilen unterhalb dessen, worauf sie Anspruch hätten. Ein Sprecher des oben genannten Ministeriums habe angegeben, dass viele Witwen nicht beim Ministerium gemeldet seien. Weiters würden Witwen mitunter Opfer von gängigen Betrugstaktiken, bei denen Mittelsmänner ihnen gefälschte Anmeldekarten verkaufen und das Geld für sich behalten würden. Nach Angaben des Ministeriumssprechers gehe die Regierung gegen derartige Betrugsformen vor. [...]"
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten der Beschwerdeführer, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremden-informationssystem, in Strafregisterauszüge und in Auszüge aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Unterlagen Beilage ./A bis ./T (betreffend BF 1: Röntgenbefund vom 09.02.2018 - Beilage./A;
Röntgenbefund vom 13.03.2018 - Beilage./B; Behandlungstermine vom 13.06.2018 bis 12.07.2018 - Beilage./C; Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 26.07.2017 - Beilage./D;
Integrationskursbestätigung vom 22.02.2018 - Beilage./E;
Deutschkurs-anmeldebestätigung vom 05.03.2018 - Beilage./F;
betreffend BF 2: Schulnachricht vom 02.02.2018 - Beilage./G;
Schulbesuchsbestätigung vom 06.06.2018 - Beilage./H;
Empfehlungsschreiben der Klassenlehrerin vom 06.06.2018 - Beilage./J; Empfehlungsschreiben des Präsidenten des Teakwondoo-Centre vom 25.05.2017 - Beilage./K; betreffend BF 3:
Schulbesuchsbestätigung vom 07.07.2017 - Beilage./L; Schulnachricht vom 02.02.2018 - Beilage./M; Bestätigung des Fußballvereins vom 22.05.2018 - Beilage./N; Bestätigung Erste Hilfe Grundkurs vom 30.05.2018 - Beilage./U; betreffend BF 4: Schulnachricht vom 02.02.2018 - Beilage./P; Schulbesuchsbestätigung vom 05.06.2018 - Beilage./Q; betreffend BF 5: Semesterinformation vom 02.02.2018 - Beilage./R; Schulbesuchsbestätigung vom 06.06.2018 - Beilage./S; Empfehlungsschreiben der Klassenlehrerin vom 12.06.2018 - Beilage./T) sowie durch Einsichtnahme in die Stellungnahme vom 06.07.2018.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:
Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.
Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie ihrem Lebenslauf (ihr Aufwachsen sowie ihre familiäre Situation in Afghanistan bzw. im Iran, die fehlende Schulausbildung der Erst-beschwerdeführerin) gründen sich auf den diesbezüglich im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und stringenten Aussagen der Erstbeschwerdeführerin. Das Bundesverwaltungs-gericht hat keine Veranlassung an diesen Aussagen zu zweifeln.
Dass der Ehemann der Erst- bzw. der Vater der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer seit 2010 verschollen ist, ergibt sich aus den diesbezüglich schlüssigen und gleichgebliebenen Angaben der Erstbeschwerdeführerin beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung (BF 1 AS 65; VP, Sitzung 9 f).
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Erst- und des Drittbeschwerde-führers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug jeweils vom 12.06.2018). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Zweit-, Viert und Fünftbeschwerdeführer ergibt sich aus ihrer Strafunmündigkeit aufgrund ihres Alters.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:
2.2.1. Die Erstbeschwerdeführerin gab sowohl beim Bundesamt als auch in der Beschwerdeverhandlung an, dass vor ca. 13 Jahren [Anm. BVwG:
somit ca. im Jahr 2005] die Taliban eines Nachts zu ihnen nach Hause gekommen seien und ihren Ehemann mitgenommen hätten. Als die Taliban jedoch festgestellt hätten, dass ihr Ehemann lediglich ein Schafhirte sei, hätten sie ihn nach drei Tagen wieder freigelassen. Die Erstbeschwerde-führerin habe ca. zwei Monate danach mit ihrem Ehemann aus Angst vor den Taliban Afghanistan verlassen. In der Zwischenzeit habe es jedoch keine Vorfälle oder Drohungen seitens der Taliban gegeben (BF 1 AS 65; VP, Sitzung 8 ff). Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin Afghanistan vor ca. 14 Jahren aufgrund einer Verfolgung durch die Taliban verlassen hat, zumal der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin - allenfalls - lediglich irrtümlich von den Taliban mitgenommen und wieder freigelassen worden ist.
Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung auch an, dass ihr Ehemann aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben worden sei. Ihr Ehemann sei bei seinem Aufenthalt in Afghanistan nicht bedroht worden (VP, Sitzung 10). Sie vermute, dass ihr Ehemann bei einem Selbstmordanschlag, der nicht dem Ehemann der Erstbeschwerdeführerin gegolten habe, ums Leben gekommen sei (VP, 9 f). Es ist daher auch diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung des Ehemannes der Erst- bzw. des Vaters der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer in Afghanistan ersichtlich.
Es kann daher nicht festgestellt werden, dass aus den Gründen, die zur Ausreise des Ehemannes der Erst- bzw. des Vaters der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer aus Afghanistan geführt haben, eine Gefahr von physischer und/oder psychischer Gewalt für die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan abgeleitet werden könnte.
2.2.2. Beim Dritt- und Viertbeschwerdeführer handelt es sich um einen sechzehn- und einen dreizehnjährigen Jungen. Soweit in der Beschwerde dargetan wird, dass die Dritt- und Viertbeschwerdeführer als westlich orientierte junge Männer aufgrund ihrer westlichen bzw. liberalen Einstellung, was eine Unterstellung einer feindlichen politischen Gesinnung durch islamische Extremisten zur Folge habe, Verfolgungshandlungen in Afghanistan zu erwarten hätten, so ist hierzu zu bemerken:
Aufgrund der Kürze des Aufenthalts des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers in Österreich ist in Zusammenhang mit dem von ihnen in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer sie in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätten. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade die Dritt- und Viertbeschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten sollten, dass sie auf Grund ihres Lebensstils oder auf Grund ihres Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wären.
So ist alleine daraus, dass die Dritt- und Viertbeschwerdeführer deutsche (Rap)Musik hören, sich westlich modern kleiden und der Viertbeschwerdeführer den Berufswunsch des Architekten hegt sowie der Drittbeschwerdeführer eine eigene Reinigungsfirma gründen möchte (VP, Sitzung 14 ff), nicht davon auszugehen, dass sie deshalb als "verwestlicht" gelten oder eine Verfolgung in Afghanistan zu befürchten haben.
So umfasst die männliche Kleidung in den urbanen Zentren Afghanistans ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über moderne Haarschnitte bis hin zur afghanischen Tracht. Es ist daher bezüglich des Kleidungsstils der Dritt- und Viertbeschwerdeführer kein Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan erkennbar.
Dass es den Dritt- und Viertbeschwerdeführern als jungen Männern in Afghanistan nicht möglich wäre, ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen, wurde von den Dritt- und Viertbeschwerdeführern nicht substantiiert dargetan. Der von ihnen geäußerte Wunsch eines freien selbständigen Lebens stellt sich jedoch nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da Bildung bzw. die Berufsausübung bei Männern keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind. Zudem ist es Männern in Afghanistan grundsätzlich möglich ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen.
Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurden in Afghanistan geboren und sind im Iran aufgewachsen, so dass sie bis zu ihrer Ausreise aus dem Iran stets in einem muslimisch geprägten Land gelebt haben. Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers daher nicht erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen sie sich angeeignet hätten, die für sie im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wären, dass es für sie eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken.
Folglich vermochten die Dritt- und Viertbeschwerdeführer schon mangels Vorliegen einer "westlichen Lebenseinstellung" nicht darzutun, dass ihnen aufgrund einer solchen bei Rückkehr nach Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt drohe.
2.2.3. Eine individuelle konkrete Verfolgung der Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan allein aufgrund ihres Auslandsaufenthaltes im Iran und Europa haben die Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgebracht. Es ist den beigezogenen Länderberichten auch nicht zu entnehmen, dass Rückkehrer aus dem Iran oder Europa in besonderer Form von Gewalt und Bedrohungen betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.
2.2.4. Auch darüber hinaus vermochten die Beschwerdeführer eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Schiiten oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Untergruppe der Hazara nicht aufzuzeigen:
Aus dem diesbezüglich lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen in der Beschwerde kann der erkennende Richter, insbesondere auch in Zusammenschau mit den Länderberichten zum Fehlen entsprechend massiver religiöser und volksgruppenbezogener Diskriminierung (siehe Punkt römisch II.1.3.1.), den Schluss ziehen, dass die Beschwerdeführer selbst keiner individuell konkret gegen sie gerichteten Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt gewesen sind.
Hinsichtlich einer Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.
2.2.5. Soweit die Beschwerdeführer die schlechten Lebensumstände als Afghanen im Iran als Grund für ihre Flucht aus dem Iran angaben, so waren ihre diesbezüglichen Aussagen - auch vor dem Hintergrund des notorischen Amtswissen zur Lage im Iran - schlüssig und plausibel und sohin glaubhaft.
2.2.6. Eine persönliche Bedrohung, die sich gezielt gegen die Zweitbis Fünft-beschwerdeführer gerichtet hätte, hat die Erstbeschwerdeführerin weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht.
Bei der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin handelt es sich um ein elfjähriges und ein achtjähriges Mädchen, bei den Dritt- und Viertbeschwerdeführern handelt es sich um einen sechzehn- und einen dreizehnjährigen Jungen. Sie sind in Afghanistan (Dritt- und Viertbeschwerdeführer) bzw. im Iran (Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin) geboren und würden gemeinsam mit ihrer Mutter im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren.
Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan ist auszuführen, dass aus den Länderinformationen hervorgeht, dass diese unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, Zugang zu Schulbildung und Kinderarbeit nachteiliger Behandlung ausgesetzt sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung" darstellen. Die erwähnte Benachteiligung beruht primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt. Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer leben im Familienverband mit ihrer Mutter. Die Erstbeschwerdeführerin ist zwar alleinerziehend, ihr war es jedoch schon im Iran - einem ebenfalls muslimisch geprägten Land - möglich ihre Kinder nach dem Verschwinden ihres Ehemannes im Jahr 2010 alleine vor spezifischen Gefahren zu schützen. Es sind daher keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, dass die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gewalt oder Kinderarbeit ausgesetzt wären. Laut den Länderinformationen geht Gewalt gegen Mädchen überwiegend von Familienangehörigen aus, es gab jedoch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass die Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen durch ihre Mutter Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren habe. Die Frage einer eventuell drohenden Zwangsheirat der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen ist aufgrund ihres Alters im Entscheidungszeitpunkt eine rein spekulative Mutmaßung hinsichtlich einer eventuell denkbaren zukünftigen Problematik. Es ist zu erwarten, dass die Mutter ihre Kinder auch vor spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen schützen würde.
Die Erstbeschwerdeführerin legte in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft dar, dass ihr die Bildung ihrer Kinder ein großes Anliegen ist und sie diese diesbezüglich in jeder Hinsicht unterstützen werde (VP, Sitzung 11 f). Der von ihr geäußerte Wunsch betreffend die Bildung ihrer Kinder stellt sich auch nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates - auch für Mädchen/Frauen - ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind.
Die Möglichkeit eines Schulbesuches ist insbesondere in der Provinz Daikundi, der Herkunftsprovinz und dem letzten Anknüpfungspunkt ihrer Mutter in Afghanistan, gegeben, da aus den oben angeführten Länderberichten hervorgeht, dass in der Provinz Daikundi mindestens 80 Schuleinrichtungen gegeben sind vergleiche Punkt römisch II.1.3.4.).
2.2.7. Bei den Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen handelt es sich um unmündige minderjährige Mädchen im Alter von elf (Zweitbeschwerdeführerin) und acht (Fünftbeschwerdeführerin) Jahren, die bis zu ihrer Ausreise im Iran - einem ebenfalls sehr streng muslimisch geprägten Land - aufgewachsen sind. Dass sich die Zweit- und die Fünftbeschwerdeführerin in einem anpassungsfähigen Alter befinden, ergibt sich zweifelsfrei aus der einschlägigen Judikatur des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes vergleiche VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.). Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass es den Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen unmöglich oder unzumutbar wäre, sich (wieder) in ein muslimisch geprägtes Gesellschaftssystem, wie es in Afghanistan vorzufinden ist, zu integrieren.
2.2.8. Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem von der Erstbeschwerdeführerin dort gewonnenen persönlichen Eindruck. So hinterließ die Erstbeschwerdeführerin durch ihr aufgeschlossenes Auftreten und die Spontanität ihrer Antworten einen in dieser Hinsicht glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich der ihr drohenden Unterdrückung als westlich orientierte Frau war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere auch im Hinblick auf die vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, als glaubhaft zu beurteilen. Ihre Angaben waren ausreichend substantiiert, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände der Erstbeschwerdeführerin und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel.
Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine erwachsene junge Frau, der es in Afghanistan nicht möglich war die Schule zu besuchen (BF 1 AS 63). In Österreich hat sie hingegen an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage./D), an einem Integrationskurs (Beilage ./E) und einem Deutschalphabetisierungskurs (Beilage ./F) teilgenommen. Sie hat auch privat mit einem Bekannten Deutsch gelernt (VP, Sitzung 12). Die Erstbeschwerdeführerin verfügt daher über grundlegende Deutschkenntnisse.
Die Erstbeschwerdeführerin vermochte in der Beschwerdeverhandlung zu überzeugen, dass sie in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese vielmehr ablehnt. Die Erstbeschwerdeführerin hat sich aufgrund ihres dreijährigen Aufenthaltes in Österreich an eine Lebensführung ohne kulturell motivierte Einschränkungen angepasst und will sich auch weiter anpassen. So führte die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung unter anderem selbstbewusst und glaubhaft aus, dass sie in Afghanistan nicht so leben könne wie hier. Sie habe in Afghanistan keine Freiheit gehabt. Sie könne in Österreich selbst entscheiden was sie anziehe, was sie esse, wohin sie gehe oder wen sie treffe. Dies wäre in Afghanistan oder im Iran nicht möglich gewesen. Es sei auch nicht möglich in Afghanistan als alleinstehende Frau ohne männliche Begleitung zu leben (VP, Sitzung 13). Die Freizeitgestaltung der Erstbeschwerdeführerin ist zwar derzeit aufgrund der alleinigen Versorgung ihrer vier Kinder im Alter von 11, 16, 13 und 8 Jahren eingeschränkt, dennoch geht sie schwimmen, besucht einen Alphabetisierungskurs und trifft sich mit österreichischen Bekannten (VP, Sitzung 11). Die Erstbeschwerdeführerin ist bei den alltäglichen Erledigungen auch nicht auf die Unterstützung anderer angewiesen, zumal sie selbst den Einkauf erledigt (VP, Sitzung 13). Die Erstbeschwerdeführerin gab auch glaubhaft an, dass sie ihre Sprachkenntnisse verbessern möchte und dann als Köchin oder bei Handelsunternehmen arbeiten möchte (VP, Sitzung 12). Aus den soeben genannten Gründen zeigt sich, dass sich die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nicht in einem begrenzten Radius bewegt, sondern Freizeitaktivitäten unternimmt und ihren Hobbies nachgeht. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich führen.
Darüber hinaus kommt die selbstbestimmte Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin insbesondere in der Erziehung ihrer Kinder zum Ausdruck. Die Erstbeschwerdeführerin zieht sowohl ihre Söhne als auch ihre Töchter gleichberechtigt nach "westlichen" Werten und Grundsätzen sowie frei von Zwängen auf. So ist es der Erstbeschwerdeführerin wichtig, dass ihre Kinder selber Entscheidungen treffen und entscheiden, ob sie studieren oder welchen Beruf sie ausüben wollen (VP, Sitzung 12). Sie gibt den Mädchen auch keine Kleidervorschriften vor oder schränkt sie in ihrer Freizeitgestaltung ein, sodass diese ohne Kopftuch aufwachsen und vielen sportlichen Interessen nachgehen. Zum Beispiel nimmt die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig am Taekwandoo-Training, einer für das afghanische Gesellschaftsbild eher untypischen Sportart für Mädchen, teil (VP, Sitzung 17 f). Die Erstbeschwerdeführerin fördert ihre Kinder auch dahingehend, die ihnen in Österreich zukommenden Freiheiten (wie insbesondere freie Partnerwahl, Schulbildung und Berufswahl) auszuleben.
Zudem erschien die Erstbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung geschminkt und mit gefärbten Haaren unter einem locker sitzenden Schal, bei dem die Haare zum Vorschein kamen. Sie trug Schmuck und hatte ein Nasenpiercing (VP, Sitzung 13). Aus den Länderberichten geht zwar hervor, dass auch die Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung umfasst. Dennoch zeigt sich daran, dass die Erstbeschwerdeführerin mit einem nur lockersitzenden Schal bei dem die Haare sichtbar sind außer Haus geht (VP, Sitzung 13), dass sie sich den Gepflogenheiten in Österreich bereist angepasst hat.
Die Erstbeschwerdeführerin konnte somit überzeugend und glaubhaft darlegen, dass sie sich einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugehörig fühlt, nach einer solchen bzw. einem solchen lebt und daran festzuhalten gewillt ist.
In Gesamtschau handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin sohin um eine Frau, die das streng konservativ-afghanische Frauen- und Wertebild ablehnt, demgegenüber westliche Werte bereits verinnerlicht hat und - aus Überzeugung und im Gegensatz zu der konservativ-afghanischen Tradition - auch danach lebt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist klar hervorgekommen, dass die Erstbeschwerdeführerin ihren Kindern einen westlich orientierten Lebensstil ermöglicht.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist vergleiche VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
3.2. Nach Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Stellt ein Familienangehöriger iSd Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß Paragraph 34, Absatz eins, AsylG als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3, AsylG), die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens iSd Artikel 8, EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7, AsylG).
Gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen. Die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 des Paragraph 34, AsylG erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.
Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren gemäß dem 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen (Paragraph 2, Ziffer 22, AsylG) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.
3.3. Es konnte jedoch keine Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin oder ihres Ehemannes (dem Vater der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer) in Afghanistan festgestellt werden. Weder die Erstbeschwerdeführerin noch ihr Ehemann wurden in Afghanistan bedroht. Es ist daher keine Verfolgung der Beschwerdeführer und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund ableitbar.
Dem Beweisantrag der Beschwerdeführer auf Durchführung von Nachforschungen in ihrem Herkunftsstaat war nicht zu folgen. Eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers stehen allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen (VwGH vom 18.01.2017, Ra 2016/18/0197). Der Beweisantrag war daher nicht zulässig.
3.4. Den Dritt- und Viertbeschwerdeführern ist es nicht gelungen eine "westliche" Orientierung in einer sie in Afghanistan exponierenden Weise glaubhaft zu machen. Im Übrigen ist ihnen entgegen zu halten, dass aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar ist, dass eine "verwestlichte" Verhaltensweise, Geisteshaltung, Bekleidung oder auch Haarschnitte bei Männern alleine bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde, da Männer in Afghanistan grundsätzlich ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) führen können; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
3.5. Den Beschwerdeführern ist es - wie unter Punkt römisch II.2.2.3. dargelegt - nicht gelungen, eine individuelle und konkret gegen sie gerichtete Verfolgung als "Rückkehrer" glaubhaft zu machen.
Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden: Aus den oben angeführten Länderberichten kann zwar abgeleitet werden, dass Afghanen, insbesondere Hazara, die ihr Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen, wegen ihres Akzents leicht erkannt werden, oft in wirtschaftlich prekäre Situationen geraten, dem Vorwurf ausgesetzt sind, ihr Land im Stich gelassen zu haben, von sozialer Ausgrenzung betroffen sind und Diskriminierungen erfahren. Diese Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus dem Iran (und aus Europa) ausgehen zu können.
3.6. Auch eine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit der Beschwerdeführer zu den schiitischen Hazara konnten die Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen (siehe Punkt römisch II. 2.2.4.).
In Ermangelung von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wären.
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:
Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara vergleiche insb. Punkt römisch II.1.3.1.) erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).
Es ist daher eine Gruppenverfolgung - sowohl in Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben.
3.7. Soweit sich das fluchtkausale Vorbringen der Beschwerdeführer auf die schwierigen Lebensumstände illegal im Iran aufhältiger Afghanen bezieht, so ist ihnen entgegen zu halten, dass dieses Vorbringen zwar, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, glaubhaft ist und der Beurteilung zu Grunde gelegt wird, dass aber Paragraph 3, Absatz eins, AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 17, AsylG jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Aufgrund der afghanischen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer kann somit ihr Vorbringen im Hinblick auf den Iran außer Betracht bleiben vergleiche VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).
3.8. Hinsichtlich der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer konnte eine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK, insbesondere im Zusammenhang mit einem Wunsch nach Schulbildung nicht festgestellt werden. Für eine asylrelevante Verfolgung der Zweitbis Fünftbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer spezifischen Situation als Kinder gab es auch keine Anhaltspunkte im Verfahren. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist somit weder aufgrund des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin noch sonst eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung der Zweitbis Fünftbeschwerdeführer im Verfahren hervorgekommen.
3.9. Aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan ergeben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen allein aufgrund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter sowie individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-) Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.
Hinsichtlich der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerinnen konnte eine gegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK nicht festgestellt werden. Dies insbesondere, weil es sich bei diesen um unmündige Minderjährige im anpassungsfähigen Alter handelt, denen eine Eingliederung in das oder ein Aufwachsen im afghanischen Normensystem zumindest unter dem Aspekt des Fehlens einer drohenden asylrelevanten Verfolgung zumutbar ist.
3.10. Der Erstbeschwerdeführerin ist es jedoch gelungen, glaubhaft zu machen, eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau zu sein. Sie hat damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründe aufgezeigt: Den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 vergleiche Punkt römisch II.1.3.2.) ist zu entnehmen, dass sich die afghanische Regierung zwar bemüht, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, jedoch Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind und gerade Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, gesellschaftlich stigmatisiert werden und hinsichtlich ihre Sicherheit gefährdet sind (zur Indizwirkung solcher Länderberichte s. VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182). Frauen sind daher besonders gefährdet, in Afghanistan Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten - wie z.B. die freie Fortbewegung oder eine ausgeübte Erwerbstätigkeit - als nicht mit den von der Gesellschaft, von der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.
Für die Erstbeschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt sowie unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation der Gefahr einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Gerade die Erstbeschwerdeführerin unterliegt einer diesbezüglich erhöhten Gefährdung, weil sie aufgrund ihrer Wertehaltung und Lebensweise bei einer Rückkehr gegenwärtig in Afghanistan als eine Frau wahrgenommen würde, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, die Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt vergleiche hierzu auch EGMR 20.07.2010, 23.505/09, N./Schweden, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR).
Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Erstbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen würden.
Diese Verfolgungsgefahr findet auch ihre Deckung in einem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründe, zumal die Erstbeschwerdeführerin einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, zugehörig ist vergleiche dazu VwGH 20.06.2002, 99/20/0172, mwN).
Es ist nach Lage des Falles davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin vor diesen Bedrohungen in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden kann. Zwar stellen die angeführten Bedrohungen keine Eingriffe von staatlicher Seite dar, es ist der Zentralregierung jedoch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen Sorge zu tragen; gegenwärtig besteht in Afghanistan dahingehend kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der oben getroffenen Länderfeststellungen nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Erstbeschwerdeführerin ist damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Frau betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
3.10. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil Paragraph 11, AsylG die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind vergleiche VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
Zudem ist im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen, in der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frauen einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind.
3.11. Die Erstbeschwerdeführerin konnte somit glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK droht. Es liegen gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG keine Endigungs- oder Ausschlussgründe vor.
3.12. Im vorliegenden Fall liegt bezüglich der Verfahren der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer und ihrer Mutter - der Erstbeschwerdeführerin - ein Familienverfahren iSd Paragraph 34, AsylG vor. Da der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden ist, ist gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG auch den Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, weil keine Umstände hervorgekommen sind, die unter einen der Tatbestände des Paragraph 34, Absatz 2, Ziffer eins bis 3 AsylG zu subsumieren wären.
Der Beschwerde ist daher hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG sowie hinsichtlich der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer gemäß Paragraph 3, Absatz eins und 4 AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG stattzugeben und gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG festzustellen, dass den Beschwerdeführern kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die gegenständlichen Anträge der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer auf internationalen Schutz am 03.06.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurden. Die Paragraphen 2, Absatz eins, Ziffer 15 und 3 Absatz 4, AsylG ("Asyl auf Zeit") finden daher gemäß Paragraph 75, Absatz 24, AsylG im vorliegenden Fall keine Anwendung.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist dies nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2018:W250.2148532.1.00