Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

11.09.2018

Geschäftszahl

W252 2171599-1

Spruch

W252 2171605-1/9E

W252 2171603-1/8E

W252 2171599-1/8E

W252 2171602-1/8E

W252 2171600-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elisabeth SHALA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1.) römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , 2.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 3.) mj.

römisch 40 , geb. römisch 40 alias römisch 40 , 4.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , 5.) mj.

römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch RA Mag. Wolfgang AUNER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.08.2017 1.) zur Zl. römisch 40 , 2.) zur Zl. römisch 40 , 3.) zur Zl. römisch 40 , 4.) zur Zl. römisch 40 und 5.) zur Zl. römisch 40 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

römisch eins. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide wird den Beschwerden stattgegeben und römisch 40 und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Asylgesetz 2005 sowie römisch 40 , römisch 40 und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

römisch III. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 29.01.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Am römisch 40 wurde der Fünftbeschwerdeführer in Österreich geboren. Für ihn wurde am 21.09.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind traditionell miteinander verheiratet und die Eltern der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer.

2. Am 30.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin statt. Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er und seine Familie aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara von den IS-Truppen und den Taliban verfolgt worden sei. Seinen Kindern sei es nicht möglich gewesen in die Schule zu gehen und er habe nicht arbeiten gehen können. Sein Leben sei aus diesen Gründen nicht sicher.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu den Schiiten von den IS-Truppen verfolgt worden sei. Sie hätten sich nicht frei bewegen und ihr Mann hätte nicht arbeiten gehen können. Sie habe Angst vor den IS-Truppen und den Taliban, weil diese vor kurzem ihr bekannte Familien umgebracht hätten.

3. Am 02.08.2017 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab betreffend seine Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass er und seine Familie aufgrund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Hazara belästigt worden seien. Die Belästigungen seien schlimmer geworden als die Taliban bzw. der IS an die Macht gekommen sei. Der Schwager des Beschwerdeführers, der Dorfpolizist gewesen sei, sei für den Tod eines Mitglieds der Taliban verantwortlich gemacht worden. Die Familie des Beschwerdeführers habe deshalb fliehen müssen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab nach ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie als schiitische Hazara beschimpft und belästigt worden sei. Als sie mit ihrer Tochter schwanger gewesen sei, habe man ihr die Behandlung verweigert, weshalb sie tot geboren worden sei.

Für die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

4. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt römisch II.) ab und erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer ihre Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnten. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

5. Gegen die genannten Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass sich das Bundesamt weder konkret mit dem Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers noch mit der aktuellen Situation der Frauen in Afghanistan auseinandergesetzt habe. Der Zweitbeschwerdeführerin drohe in Afghanistan aufgrund ihrer westlichen Einstellung und Wertehaltung eine Verfolgung. Es wurde der Antrag auf Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens gestellt zum Beweis dafür, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine Totgeburt zu vergegenwärtigen gehabt habe, dieser aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit in Afghanistan Verfolgung drohe und sie als Frau ein entsprechendes Fortkommen in Afghanistan nicht finden könne.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.07.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung sowie mit dem Verfahren des Bruders des Erstbeschwerdeführers zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.

7. Mit Stellungnahme vom 09.08.2018 wurde den Länderberichten nicht substantiiert entgegengetreten. Zur objektiven Überprüfung der Angaben der Beschwerdeführer wurde beantragt ein länderkundiges Sachverständigengutachten einzuholen.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 alias römisch 40 . Er ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet. Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Dieser Ehe entstammen der am römisch 40 alias römisch 40 geborenen Drittbeschwerdeführer römisch 40 , der am römisch 40 geborenen Viertbeschwerdeführer römisch 40 und der am römisch 40 in Österreich geborene Fünftbeschwerdeführer römisch 40 .

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zum muslimisch-schiitischen Glauben. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari (W252 2171605-1 - BF 1 AS 1, 61, 65, 95; W252 2171603-1 - BF 2 AS 1, 77, 81, 89; Protokoll vom 30.07.2018 - in allen Akten OZ 6, Sitzung 5, 8 f, 20).

Der Erstbeschwerdeführer stammt aus der Provinz Logar, Distrikt römisch 40 , Dorf römisch 40 (beim Bundesamt " römisch 40 " geschrieben; BF 1 AS 61, 103; OZ 6, Sitzung 21) und die Zweitbeschwerdeführerin aus der Stadt römisch 40 . Die Zweitbeschwerdeführerin ist nach ihrer Heirat zu ihrem Mann in die Provinz Logar gezogen (BF 2 AS 93). Der Erstbeschwerdeführer hat den Lebensunterhalt seiner Familie durch das selbständige Betreiben eines eigenen Lebensmittelgeschäfts bestritten und er hat nebenbei in seinem Geschäft als Schuster gearbeitet. Die Geschäftsräumlichkeiten waren gemietet (BF 1 AS 101; BF 2 AS 95; OZ 6, Sitzung 9, 21).

Der Erstbeschwerdeführer hat 12 Jahre lang eine Schule besucht (BF 1 AS 1, 65, 101). Die Zweitbeschwerdeführerin ist Analphabetin, sie hat keine Schule besucht (BF 2 AS 1, 81, 97; OZ 6, Sitzung 9).

Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer reisten im Familienverband gemeinsam mit einem Neffen des Erstbeschwerdeführers sowie mit zwei Neffen der Zweitbeschwerdeführerin unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 29.01.2016 bzw. den Fünftbeschwerdeführer betreffend am 21.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz (BF 1 AS 3 ff; BF 2 AS 3 ff, 91).

Der Erstbeschwerdeführer verfügt über einen Bruder und eine Schwester im Iran sowie über eine Schwester in Pakistan (OZ 6, Sitzung 21, 31). Die Familie des Erstbeschwerdeführers verfügt nach wie vor über ein Eigentumshaus und Ackerland in Afghanistan, wobei der Erstbeschwerdeführer und seine Familienangehörigen nicht wissen, was damit passiert ist (BF 1 AS 101; OZ 6, Sitzung 22; W252 2189511-1 AS 113, 117).

Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt in der Provinz Ghazni über einen Bruder, zu dem sie jedoch keinen Kontakt hat (OZ 6, Sitzung 10). Sie verfügt im Iran über ihre Mutter, einen Bruder und fünf Schwestern, zu denen sie jedoch seit ihrer Ausreise aus dem Iran kein gutes Verhältnis und daher keinen Kontakt hat (BF 2 AS 3; OZ 6, Sitzung 9 f).

Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen oder sonstigen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sie sind gesund.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Es kann nicht festgestellt werden, dass der Cousin bzw. der Schwager des Erstbeschwerdeführers ein Mitglied der Taliban tödlich verletzt hat. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer für den Tod des Talibanmitglieds (mit)verantwortlich gemacht wurde. Zudem kann weder festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer Drohbriefe von den Taliban erhalten haben noch, dass der Erstbeschwerdeführer persönlich von den Taliban aufgefordert worden ist die Adresse seines Cousins bzw. Schwagers zu verraten. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer von den Taliban konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden sind.

1.2.2. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit die Behandlung im Krankenhaus versagt worden ist. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.2.3. Die Zweitbeschwerdeführerin ist in ihrem Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht kaum Deutsch und kann nicht lesen und schreiben. Sie kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und die Kinder, was sie auch bisher in Afghanistan getan hat. Sie hat lediglich Bekanntschaften zu Nachbarn in Österreich geschlossen. Sie bedarf einer Unterstützung im Alltag durch ihren Mann bzw. Dolmetscher.

1.2.4. Es kann weder festgestellt werden, dass es den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren noch, dass ihnen aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt droht und sie deswegen einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

Den Beschwerdeführern würde bei einer Rückkehr in die Provinz Logar ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Bei einer Rückkehr bzw. einer Ansiedelung in der Stadt Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat können der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, für sich und ihre drei minderjährigen (Klein)Kinder nicht befriedigen. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin würden daher in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten. Die Beschwerdeführer können auch nicht mit Unterstützung durch den im Iran lebenden Bruder des Erstbeschwerdeführers, die im Iran lebenden Familienangehörigen der Zweitbeschwerde-führerin oder ihrem in der Provinz Ghazni lebenden Bruder rechnen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 wiedergegeben:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vergleiche AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vergleiche UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vergleiche SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vergleiche Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vergleiche BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vergleiche LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vergleiche LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vergleiche Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Logar

Logar befindet sich 65 km südlich von Kabul. Die Provinz grenzt im Norden an Kabul, im Osten an Nangarhar, im Süden an Paktia, im Westen an Maidan Wardak und im Südwesten an Ghazni. Logar besteht aus folgenden Distrikten: Mohammad Agha/Mohammadagha, Sarkh/Charkh, Kharwar, Baraki Barak/Barakibarak, Khwaki/Khoshi, Azrah/Azra und Pole Alam/Pul-e-Alam. Die Provizhauptstadt ist Pole Alam und befindet sich im gleichnamigen Distrikt (Pajhwok o.D.; vergleiche NPS o. D., UN OCHA 4.2014). In Barakibarak befindet sich ein Militärflughafen vergleiche Flughafenkarte der Staatendokumentation, Kapitel 3.35.). Verschiedene Teilstämme der Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Kuchi leben in der Provinz (Pahjwok o.D.; vergleiche NPS o.D.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 405.109 geschätzt (CSO 4.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Logar gehört zu den volatilen Provinzen Afghanistans (Tolonews 12.2.2018; vergleiche Khaama Press 21.11.2017). Einem hochrangigen Polizeibeamten zufolge hat sich die Sicherheitslage im Vergleich zur Vergangenheit verbessert. Außerdem plane man, Operationen gegen die Taliban zu verstärken (IWPR 5.3.2018). Aufgrund der Nähe zu den Außendistrikten der Stadt Kabul, fanden in Logar heftige Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften statt (Tolonews 12.2.2018).

Im Jahr 2017 gehörte Logar zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Logar 148 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 81 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen und Luftangriffen. Dies bedeutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Obwohl die Gefechte u.a. in Logar stiegen, sank in der Provinz die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Logar

ANA-Beamten zufolge verstärken afghanische Truppen ihre militärischen Operationen gegen die Taliban in der volatilen Provinz, um die Stellungen der Aufständischen zu zerstören (Tolonews 12.2.2018). So werden in Logar regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Pajhwok 25.3.2018; vergleiche Tolonews 3.3.2018, Tolonews 12.2.2018, Pajhwok 21.1.2018, Tolonews 4.2.2018, Khaama Press 4.1.2017, Khaama Press 21.11.2017, TIE 30.10.2017, Pajhwok 14.10.2017); dabei wurden Talibananführer und Mitglieder des Haqqani-Netwerkes getötet (Tolonews 12.2.2018; vergleiche Khaama Press 21.11.2017, TIE 30.10.2017, TNI 28.9.2017, Tolonews 11.9.2017). Luftangriffe werden durchgeführt (Pajhwok 25.3.2018; vergleiche MENAFN 24.2.2018, Pajhwok 30.8.2017); dabei wurden Aufständische getötet (Pajhwok 25.3.2018; vergleiche TNI 28.9.2017, Tolonews 3.8.2017, Pajhwok 4.1.2017). Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 12.2.2018; vergleiche Gandhara 5.11.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Logar

Talibankämpfer sind in einigen Distrikten der Provinz aktiv (Tolonews 12.2.2018; vergleiche TP 12.2.2018, Pajhwok 27.12.2017, HT 28.11.2017, Xinhua 25.10.2017, Reuters 29.4.2017). Auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, über eine Präsenz in Teilen der Provinz zu verfügen und verschiedene Angriffe in Logar auszuüben (Tolonews 11.9.2017; vergleiche The Diplomat 15.11.2016, Khaama Press 30.5.2016). In einigen abgelegenen Distrikten der Provinz versuchten Taliban, ihre religiösen Ansichten in den Schulen zu verbreiten (Pajhwok 11.3.2018; vergleiche IWPR 5.3.2018). Im März 2017 versuchte der IS, junge Männer in der Provinz Logar zu rekrutieren (JF 26.1.2018), auch wurden tschetschenische Staatsbürger, möglicherweise Anhänger des IS, in der Provinz Logar verhaftet (Tolonews 30.11.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in Logar IS-bezogene Vorfälle (Gefechte) registriert (ACLED 23.2.2018).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vergleiche Pajhwok o.D.z).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vergleiche Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vergleiche Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vergleiche UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vergleiche FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vergleiche VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vergleiche AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vergleiche MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vergleiche RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vergleiche NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vergleiche HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vergleiche Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand vergleiche Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vergleiche NPS o.D.).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vergleiche EN 9.11.2017). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vergleiche EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vergleiche UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Herat

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vergleiche NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vergleiche NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vergleiche AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vergleiche UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vergleiche Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vergleiche DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vergleiche Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vergleiche NYT 29.8.2017).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

Mazar-e Sharif

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten.

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen vergleiche Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vergleiche Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vergleiche Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vergleiche BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vergleiche iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vergleiche Tolonews 22.4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vergleiche PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vergleiche PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vergleiche Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vergleiche USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vergleiche CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie vergleiche MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Proselytismus (Missionierung, Anmerkung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Artikel 323,). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vergleiche AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vergleiche USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vergleiche CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vergleiche UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vergleiche UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vergleiche USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% Ausschussbericht 7.6.2017; vergleiche USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vergleiche USCIRF 2017).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vergleiche CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vergleiche CIA Factbook 18.1.2018).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vergleiche MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vergleiche AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vergleiche IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vergleiche GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vergleiche BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vergleiche USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Grundversorgung und Wirtschaft

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vergleiche WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechung und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vergleiche AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vergleiche SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Rückkehr

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart römisch II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart römisch II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichts-materialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

1.4.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 betreffend die interne Schutzalternative und die zusammenfassende Darstellung der Risikogruppen:

"[...] Interne Schutzalternative

Die Prüfung, ob eine interne Schutzalternative gegeben ist, erfordert eine Prüfung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative. Eine interne Schutzalternative ist nur dann relevant, wenn das für diesen Zweck vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und legal erreichbar ist, und wenn die betreffende Person in diesem Gebiet nicht einem weiteren Risiko von Verfolgung oder ernsthaftem Schaden ausgesetzt ist. Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

Wenn Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, die vom Staat oder seinen Akteuren ausgeht, so gilt die Vermutung, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative für Gebiete unter staatlicher Kontrolle nicht relevant ist. Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen.

UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

Wenn der Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur hat, müssen die Möglichkeit des Akteurs, den Antragsteller auf dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zu verfolgen, und die Fähigkeit des Staates, Schutz in diesem Gebiet zu bieten, geprüft werden. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, müssen Nachweise hinsichtlich der Fähigkeit dieses Akteurs, Angriffe in Gebieten außerhalb des von ihm kontrollierten Gebiets durchzuführen, berücksichtigt werden.

Bei Personen wie Frauen und Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben, und Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten, die aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen mit Verfolgungshandlungscharakter Schaden befürchten, muss die Unterstützung derartiger Bräuche und Normen durch große Teile der Gesellschaft und durch mächtige konservative Elemente auf allen Ebenen des Staates als Faktor berücksichtigt werden, der der Relevanz einer internen Schutzalternative entgegensteht.

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

Im Hinblick auf unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder aus Afghanistan ist UNHCR der Auffassung, dass über die sinnvolle Unterstützung des Kindes durch seine (erweiterte) Familie oder größere ethnische Gemeinschaft im Gebiet der voraussichtlichen Neuansiedlung hinaus die Neuansiedlung nachweislich dem Kindeswohl dienen muss. Die Rückkehr unbegleiteter oder von ihren Eltern getrennter Kinder nach Afghanistan unterliegt außerdem den Mindestgarantien gemäß der Aide- memoire: Special Measures Applying to the Return of Unaccompanied and Separated Children to Afghanistan.

Die Erwägung einer möglichen internen Schutzalternative ist grundsätzlich für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Artikel römisch eins (2) der OAU-Konvention von 1969 nicht relevant.

[...]

Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

[...]

3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung

Berichten zufolge werden Fälle von Zwangsrekrutierung Minderjähriger zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.

a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.

b) Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte

Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung von der Rekrutierung Minderjähriger. Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Einhaltung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem 2014 von Parlament und Senat beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) unter Strafe stellte. Trotz der Unterstützung des Aktionsplans seitens der Regierung und trotz der erreichten Fortschritte bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, darunter mangelnde Rechenschaftspflicht für die Rekrutierung von Minderjährigen. Im März 2016 stellte die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte fest, dass zwar deutliche Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans erreicht worden seien, dass die Vereinten Nationen jedoch nach wie vor die Rekrutierung und den Einsatz von Jungen durch die afghanische lokale Polizei (ALP) und die afghanische nationale Polizei (ANP) dokumentierten sowie in einigen Fällen, die den afghanischen nationalen Streitkräften zugeordnet werden.

Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Einheimische zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.

c) Zusammenfassung

Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass - je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls - für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen kann. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls kann auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen.

Asylanträge von Kindern sollten einschließlich der Untersuchung von Ausschlussgründen bei ehemaligen Kindersoldaten sorgfältig und gemäß den UNHCR-Richtlinien für Asylanträge von Kindern geprüft werden. Wenn Kinder, die mit bewaffneten Gruppen in Verbindung standen, einer Straftat bezichtigt werden, sollte berücksichtigt werden, dass diese Kinder Opfer von Verstößen gegen internationales Recht und nicht nur Täter sein können.

[...]

7. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen

Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.

Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.

Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). Das im August 2009 verabschiedete Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge der politische Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend wird es Berichten zufolge nicht vollständig durchgesetzt, insbesondere nicht in ländlichen Gebieten. Die überwiegende Mehrheit der Fälle der gegen Frauen gerichteten Gewaltakte, einschließlich schwerer Straftaten gegen Frauen, wird immer noch nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen statt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern. Durch Entscheidungen gemäß diesen Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanierung und Ausgrenzung ausgesetzt.

Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere diskriminierende Bestimmungen für Frauen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.

Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.

a) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. Dazu gehören Ehrenmorde, Entführung, Vergewaltigung, erzwungene Abtreibung und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zu Abtreibungen gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie sind häufige Gründe dafür, dass Überlebende sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht anzeigen. Gleichzeitig werden weiterhin Fälle von Selbstverbrennung aufgrund von häuslicher Gewalt gemeldet.

Behörden leiten nach wie vor die meisten Anzeigen wegen häuslicher Gewalt zur Entscheidung an traditionelle Institutionen zur Streitbeilegung weiter. Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs ("zina") oder des "von zu Hause Weglaufens". Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Klage zu erheben und haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben.

Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt. Polizistinnen sind Berichten zufolge selbst der Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz einschließlich Vergewaltigungen durch männliche Kollegen ausgesetzt. Sie sind außerdem durch gewaltsame Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gefährdet.

Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.

b) Schädliche traditionelle Bräuche

Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:

(i) "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie einer Familienschuld verkauft werden;

(ii) baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;

(iii) baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;

(iv) Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.

Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, da diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.

Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch, wie oben festgestellt, langsam und inkonsistent.

c) Zusammenfassung

Je nach den Umständen des Einzelfalls ist UNHCR der Auffassung, dass bei Frauen, die den folgenden Kategorien unterfallen, wahrscheinlich ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht:

a) Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind;

b) Überlebende schädlicher traditioneller Bräuche sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind; und

c) Frauen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen (siehe Abschnitt römisch III.A.8).

Je nach den Umständen des Einzelfalls kann bei dieser Personengruppe ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (die als "Frauen in Afghanistan" definiert ist), aufgrund ihrer Religion, ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen.

8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen.

In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

Im Licht der oben beschriebenen Situation ist UNHCR der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Religion, ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

[...]

10. Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben

Kinder können mehreren der weiteren in diesen Richtlinien beschriebenen Risikoprofilen entsprechen. Jedoch können Kinder auch der Gefahr kinderspezifischer Formen von Verfolgung ausgesetzt sein, einschließlich Rekrutierung von Minderjährigen, Kinderhandel, Entführung, Zwangskinderarbeit, gefährliche Kinderarbeit, häusliche Gewalt gegen Kinder, Zwangsheirat, Kinderheirat, Kinderprostitution und Kinderpornographie sowie die systematische Verweigerung von Bildung.

a) Zwangskinderarbeit und gefährliche Kinderarbeit

Eine Erwerbstätigkeit von Kindern unter 14 Jahren ist nach dem Arbeitsgesetz ausnahmslos verboten. Kinder zwischen 15 und 18 Jahren dürfen "leichte Arbeiten" bis zu 35 Stunden die Woche verrichten, jedoch keine Arbeiten, die ihre Gesundheit bedrohen oder zu Behinderungen führen können. Dessen ungeachtet ist Kinderarbeit Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. In Afghanistan existieren, wie Berichten zu entnehmen ist, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, wie etwa Schuldknechtschaft und andere Formen von Zwangsarbeit, der Einsatz von Kindern für illegale Tätigkeiten wie Drogenhandel oder im Rahmen von Prostitution. Kinder werden, wie aus Berichten hervorgeht, außerdem für gefährliche Arbeiten benutzt, die ihre Gesundheit, Sicherheit oder Moralverständnis gefährden. Berichten zufolge behindern jedoch mangelnde institutionelle Kapazitäten - darunter inadäquate Ressourcen für Kontrollen und die Durchsetzung von Sanktionen bei Verstößen - nach wie vor die Durchsetzung des Arbeitsgesetzes erheblich. Zusätzlich erschwert wird die Durchsetzung des Arbeitsgesetzes in Bezug auf Kinder Berichten zufolge durch die Tatsache, dass weniger als zehn Prozent der Kinder über formelle Geburtsregistrierungen verfügten.

Straßenkinder gehören zu den ungeschütztesten und schutzbedürftigsten Gruppen Afghanistans und haben kaum oder keinen Zugang zu staatlichen Leistungen. Armut und Lebensmittelknappheit sind Berichten zufolge die Hauptgründe dafür, warum Familien ihre Kinder zum Betteln um Essen und Geld auf die Straße schicken.

b) Gewalt gegen Kinder, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt

Kindesmissbrauch ist Berichten zufolge im gesamten Land weit verbreitet, wobei die Zahl der gemeldeten Vorfälle steigt. Zu den verbreiteten Formen der Misshandlung zählen körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Aussetzung und generelle Vernachlässigung. Einige Formen der häuslichen Gewalt gegen Kinder finden Berichten zufolge zum vorgeblichen Zweck der Disziplinierung statt. Sexueller Kindesmissbrauch ist Berichten zufolge weiterhin weit verbreitet. Während die meisten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, insbesondere solche an Mädchen, Berichten zufolge von Familienangehörigen ausgehen, sind Jungen und Mädchen auch gefährdet, Opfer von sexueller Gewalt durch regierungsnahe Kräfte, regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und durch zivile Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Jungen niederiger Altersstufen sind weiterhin durch bacha bazi gefährdet, einen Brauch, bei dem Jungen von einflussreichen Personen gehalten werden, die sie in weiblicher Kleidung vor einem männlichen Publikum tanzen lassen und sie für sexuelle Zwecke missbrauchen. Dieser Brauch verbreitet sich Berichten zufolge weiter.

Straflosigkeit bei sexuellem Kindesmissbrauch stellt Berichten zufolge weiterhin ein Problem dar: Die meisten Verantwortlichen werden nicht verhaftet und es wird berichtet, dass Kinder durch Sicherheits¬und Polizeikräfte vergewaltigt wurden, ohne dass die Täter bestraft wurden. Einige Kinder, die aufgrund "moralischer Vergehen" verfolgt wurden, waren vielmehr Überlebende von Missbrauch als Täter jener Vergehen. Nachdem sie Fälle von sexuellem Missbrauch gemeldet hatten, wurden sie als Schande für die Familie angesehen und bestraft. Berichten zufolge wurden einige Kinder, die Familienangehörige eines Straftäters waren, an dessen Stelle als Vertreter ihrer Familie inhaftiert.

c) Systematische Verweigerung des Zugangs zu Bildung

Aus Berichten geht hervor, dass der Zugang zu Bildung für Kinder mit erheblichen Problemen verbunden ist. Es wurden Bedenken in Hinblick auf die Tatsache geäußert, dass die offiziellen Statistiken der Regierung zu Schulbesuchen eine deutlich höhere Zahl an Kindern ausweisen, die zur Schule gehen, als in der Realität gegeben ist und dass die Angaben zur Qualität der Bildung ebenfalls nicht der Realität entsprechen. Weiterhin liegt die Anzahl der Mädchen, die die Schule besuchen, deutlich unter der hinsichtlich der Jungen. Das hohe Maß an Unsicherheit ist ein großes Hindernis beim Zugang zu Bildung. Die in Berichten dokumentierte Benutzung von Schulen zu militärischen Zwecken durch sowohl regierungsfeindliche als auch regierungsnahe Kräfte stellt ein weiteres Problem dar.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) führen Berichten zufolge außerdem weiterhin gezielte Angriffe auf Schulen, Lehrer und Schüler aus, insbesondere im Zusammenhang mit Bildung für Mädchen.

Die Angriffe werden mehrheitlich den Taliban zugerechnet, jedoch schließen auch mit ISIS verbundene Gruppen gewaltsam Schulen, bedrohen Lehrer und schüchtern sie ein. Weitere Hindernisse, die die Bildung - insbesondere von Mädchen - erschweren, sind Armut, frühe und erzwungene Heirat, mangelnde familiäre Unterstützung, Mangel an weiblichen Lehrkräften und weite Entfernungen zur nächsten Schule.

d) Entführungen, Bestrafungen und Vergeltungsakte durch die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Aus Berichten geht hervor, dass afghanische nationale Sicherheitskräfte (ANSF) und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) Kinder zu unterschiedlichen Zwecken entführen, darunter als Bestrafungen und Vergeltungsakte, die sich gegen Familienangehörige des Opfers richten. Kinder werden Berichten zufolge aufgrund von angeblicher Unterstützung der Gegenpartei außerdem entführt und anschließend hingerichtet, verstümmelt oder vergewaltigt.

e) Zusammenfassung

Je nach den Umständen des Einzelfalls ist UNHCR der Auffassung, dass bei Kindern, die den folgenden Kategorien unterfallen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann:

a) Kinder aus Gebieten, in denen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) oder die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) Minderjährige rekrutieren;

b) Kinder aus sozialen Schichten, in denen Kinderzwangsarbeit oder gefährliche Kinderarbeit üblich ist; c) Überlebende von Gewalt gegen Kinder, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, Kinder, die entsprechend gefährdet sind, einschließlich Kindern aus sozialen Schichten, in denen solche Gewalt üblich ist;

d) Kinder im Schulalter, insbesondere Mädchen;

e) Kinder, an deren Eltern Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) oder der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) Vergeltung üben möchten, und Kinder, die von den afghanischen nationalen Sicherheitskräften (ANSF) oder von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) der Unterstützung der Gegenpartei verdächtigt werden.

Nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls kann bei dieser Personengruppe ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, aufgrund ihrer Religion, aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen.

Asylanträge von Kindern sollten einschließlich der Untersuchung von Ausschlussgründen bei ehemaligen Kindersoldaten sorgfältig und gemäß den UNHCR-Richtlinien für Asylanträge von Kindern geprüft werden.

1.4.3. Auszug aus den Anmerkungen von UNHCR von Dezember 2016 zur Situation in Afghanistan:

"[...]

Mit Blick auf eine regionale Differenzierung der Betrachtung der Situation in Afghanistan möchte UNHCR anmerken, dass UNHCR aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage bei der Feststellung internationalen Schutzbedarfes selbst keine Unterscheidung von ‚sicheren' und ‚unsicheren' Gebieten vornimmt. Für jede Entscheidung über den internationalen Schutzbedarf von Antragstellern aus Afghanistan ist es vor allem erforderlich, die Bedrohung unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls zu bewerten. Die Differenzierung ist also in erster Linie eine individuelle, welche die den Einzelfall betreffenden regionalen und lokalen Gegebenheiten berücksichtigt.

Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Feststellung einer internen Schutzalternative. Ein pauschalierender Ansatz, der bestimmte Regionen hinsichtlich der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen, wie sie für den Flüchtlingsschutz oder den subsidiären Schutz relevant sind, als sichere und zumutbare interne Schutzalternative ansieht, ist nach Auffassung von UNHCR vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Afghanistan nicht möglich. Vielmehr ist stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung erforderlich.

UNHCR möchte des Weiteren betonen, dass die Situation in Afghanistan volatil ist. Vor diesem Hintergrund ist zu unterstreichen, dass die Bewertung des Schutzbedarfs stets aufgrund aller zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren, neuesten Erkenntnisse erfolgen muss. Bei einem bereits länger zurückliegenden negativen Abschluss eines Asylverfahrens wird somit häufig Anlass bestehen, aufgrund der Veränderung der Faktenlage eine neue Ermittlung des Schutzbedarfs vorzunehmen. [...]

Im Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit einer Neuansiedlung wird in den UNHCR-Richtlinien betont, dass den Antragsteller keine ‚unzumutbaren Härten' treffen sollten, was die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Möglichkeiten für das wirtschaftliche Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet anbelangt. Dazu sollten Punkte, wie beispielsweise Zugang zu einer Unterkunft, die Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung wie Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung sorgfältig geprüft werden. Es bedeutet auch, nicht von interner Vertreibung bedroht zu sein. [...]

Die Zahl der Selbstmordanschläge in Kabul hat im Laufe des Jahres zugenommen. Sie sind außerdem komplexer geworden und führen zu einer höheren Zahl an Todesopfern als die sporadischen Zusammenstöße in anderen Teilen des Landes. [...]

Außerdem ist Kabul massiv vom starken Anstieg der Zahl der Rückkehrer aus Pakistan betroffen, mit fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und einem ähnlichen Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan, die sich in den überfüllten informellen Siedlungen in Kabul niedergelassen haben. Angesichts des ausführlich dokumentierten Rückgangs der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 ist die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, äußerst eingeschränkt. [....]

Die Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich in Kabul sind aufgrund der seit Jahren andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen im Land, die in Verbindung mit einer natürlichen (nicht konfliktbedingten) Landflucht und Urbanisierung zu Massenbewegungen in Richtung der Stadt geführt hat, extrem angespannt. Im Jahr 2016 wurde die Situation durch den Umstand, dass mehr als 25 Prozent der Gesamtzahl der aus Pakistan zurückgekehrten Afghanen nach Kabul gezogen ist, weiter erschwert. Diese Umstände haben unmittelbare Auswirkungen auf die Prüfung, ob Kabul als interne Schutzalternative vorgeschlagen werden kann, insbesondere mit Blick auf eine Analyse der Zumutbarkeit. Die in den UNHCR-Richtlinien vom April 2016 dargestellten Erwägungen bleiben für die Bewertung des Vorhandenseins einer internen Schutzalternative in Kabul bestehen. Die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen muss unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers von Fall zu Fall geprüft werden.

[...]"

1.4.4. Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul von Dr. Sarajuddin RASULY vom 23.10.2015 in einem anderen Verfahren des BVwG betreffend einen anderen Asylwerber zur Zahl W119 2006001-1 (Schreibfehler teilweise korrigiert):

"Betreffend die Versorgungs- und Sicherheitslage in Kabul habe ich in Kabul vom 24.08. bis zum 03.09.2015 Forschungen angestellt. Außerdem habe ich bis Mitte Oktober durch meine Mitarbeiter in Kabul Informationen zu diesem Thema erhalten. Meine persönlichen Beobachtungen in Kabul umfassten folgende Schritte:

1. Ich habe in Kabul zivile Angestellte und Beamte des Staates, Angehörige der Sicherheitsministerien und Vertragsbedienstete zu diesem Zweck befragt und Zahlen betreffend das Gehaltsschema der Ministerien und Firmen gesammelt.

2. Ich habe auch Privatfirmen, wie Laden- und Firmenbesitzer und Geschäftsmänner, Pendler aus den umliegenden Regionen von Kabul und aus anderen Provinzen, die nach Kabul kommen und arbeiten bzw. Arbeit suchen, befragt.

3. Ich habe Studenten, Politiker, Hoteliers, Straßenkinder, Rückkehrer aus dem Ausland, die auf der Straße leben, Straßenbettler, Geschäftsleute und Familien vom 06. - 09.01.2015 in Kabul angetroffen und sie befragt.

4. Meine Mitarbeiter haben ihre diesbezüglichen Beobachtungen in meinem Auftrag bis Mitte Oktober fortgesetzt und ihre Informationen mir telefonisch übermittelt. Nach diesen Informationen und nach meinen Beobachtungen in Kabul möchte ich das folgende Gutachten zur derzeitigen Versorgungs- und Sicherheitslage in Kabul erstatten:

Versorgungslage in Kabul:

In Kabul ist die Versorgungslage verschieden zu beurteilen: In Kabul gibt es alle Konsumgüter, die man in Europa vorfindet, d.h. man kann in Kabul jede Konsumware finden, die man in Österreich kaufen kann.

Allerdings sind die Preise der meisten Luxuswaren unerschwinglich, und ein Afghane mit dem Gehalt eines Lehrers oder eines Soldaten oder eines Hilfsarbeiters kann sich nicht diese Waren leisten.

Versorgungslage für Unterschicht und Rückkehrer ohne Familienrückhalt:

Die Waren, die für Grundversorgung benötigt werden, sind auch für die breite Schicht der Kabuler Bevölkerung, die zunehmend aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit verarmen, sehr teuer geworden, z.B. Lebensmittel, Kleidung, Medikamente und Miete. Für einen Afghanen, der als Lehrer oder Hilfsarbeiter oder Soldat in Kabul lebt, sind die Preise dieser Waren derzeit sehr hoch. Sie können sich und ihre Familie in Kabul mit den notwendigsten Grundnahrungsmitteln ernähren, aber nicht ausreichend, sodass die Mehrheit der Unterschicht in Kabul im Winter vor Hunger, Kälte, und Krankheiten nicht geschützt ist. Die Unterschicht ist froh, wenn sie täglich zwei Mal am Tag Brot und Tee und Gemüse, welche sie sich leisten können, als Hauptspeise vor sich finden. Mindestens 20% der Kabul Bevölkerung sind sehr verarmt; sie sind teilweise die internen Flüchtlinge, können manchmal nur einmal am Tag für ihre Familie Brot und Tee besorgen. Diese Familien können sich Monate lang kein Fleisch leisten, und sie wären froh, wenn sie bei einer Totenzeremonie oder einer anderen Almosen-Gabe etwas Fleisch oder Reis oder etwas anderes zubereitetes Essen vielleicht in der Woche einmal zu sich nehmen könnten. Wenn es die internationale Hilfe, die sehr spärlich ist, und Almosengabe in der Gesellschaft nicht gäbe und wenn die Flüchtlinge im Ausland ihre Familien nicht unterstützen könnten, würde unter diesen 20% der Bevölkerung in Kabul im Winter eine Hungersnot ausbrechen.

Behausung:

Die Hilfsarbeiter leben meistens am Rande der Stadt Kabul in Slums, oder mehrere Personen mieten ein Zimmer, wo sie unter sehr schwierigen und menschenunwürdigen Bedingungen leben. Sie haben großteils keine Wasch-und Kochgelegenheit, keinen Strom und Heizung und keinen geschützten Mietvertrag und sind jederzeit von Verlust der Behausung bedroht. Diese Situation ist auch dadurch bedingt, dass hunderttausende Menschen aus den unruhigen Provinzen sich, seit dem Beginn der Kriege im Norden, nach Kabul begeben haben, mit der Hoffnung, in Kabul in Sicherheit zu leben und Arbeit zu finden. Ein Großteil von Rückkehrern, die aus dem Iran oder Pakistan abgeschoben werden, gehört zu dieser Kategorie der Menschen in Kabul.

Versorgungslage für Rückkehrer mit Familienrückhalt aus der Mittel- und Oberschicht:

Personen, die in Kabul eine eigene Wohnung oder ein Haus besitzen und mindestens einen kleinen Laden betreiben oder Familien haben, zu denen sie hinziehen könnten, haben keine Versorgungsschwierigkeiten. Besonders die Jugendlichen werden von ihren Eltern und leiblichen Brüdern langfristig aufgenommen und auch versorgt.

Unter engen Verwandten gibt es eine traditionelle verpflichtende Solidarität, dass kein enges Familienmitglied vom Hause der Familie verstoßen wird. Solange einer der Elternteile am Leben ist, ist der Rückkehrer am Erbe beteiligt. Ausgenommen die Jugendlichen, die in die Drogenszene geraten und mit ihren Familien nicht auskommen. Diese behausen unter den Brücken und in Abbruchhäusern in Kabul.

Fachkräfte wie gute Köche, gut ausgebildete Mechaniker, Krankenschwester, gute Buchhalter, soweit sie eine Arbeit finden und benötigt werden, können mit ihrem Gehalt in Kabul ohne besondere Probleme leben.

Betreffend die Jugendlichen ohne Fachausbildung und jugendlichen Rückkehrer aus den Nachbarländern habe ich verschiedene Parkanlagen, abgelegene Straßenränder und Abbruchhäuser in Kabul besucht und solche Personen angetroffen. Ich habe beobachten können, dass tausende junge Menschen in den öffentlichen Parkanlagen und in Abbruchhäusern sich zusammentun und dort großteils Drogen einnehmen und ein elendes Leben führen. Nach meiner Information sind diese Jugendlichen meisten Personen, die aus den Nachbarländern wie dem Iran abgeschoben worden sind, oder sie sind Kriegskinder, die Waisen waren oder ihre Familienbindung verloren haben. Ein Großteil dieser jungen Menschen stammt aus den Provinzen, die mit der Hoffnung nach Kabul gekommen waren, Arbeit zu finden.

Die Zahl der Arbeitslosigkeit ist unter den Jugendlichen in Afghanistan im Allgemeinen und in Kabul im Besonderen derzeit im Wachsen. Nach meiner Schätzung beträgt die Arbeitslosigkeitsrate unter den Jugendlichen derzeit mehr als 60 Prozent. Gäbe es keine Familiensolidarität, so würden sofort noch weitere tausende Jugendliche in Kabul verelenden.

Lebenskosten in Kabul:

Ausgehend von diesen Informationen braucht z.B. ein junger Rückkehrer in Kabul, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können, im Monat für sich alleine folgendes an Mittel:

Eine Einzelperson braucht in Kabul ca. USD 350.- für seine Lebensunterhaltskosten. Diese Kosten beinhalten: Zimmermiete, Kleidung, Transport und Essen.

Eine Familie benötigt ca. USD 600.- im Monat in Kabul für ihre Lebensunterhaltskosten. Diese Kosten beinhalten Wohnungsmiete, Kleidung, Fahrtkosten und Lebensmittelkosten.

Wenn eine Person oder eine Familie schon im Vorhinein ein eigenes Privat-Haus oder Privatwohnung in Kabul hat, können diese Kosten sich auf $250.- bzw. auf $400 minimieren. [...]

Zusammenfassung:

Kosten für Lebensunterhalt einer Person pro Monat $ 200 -300.-

Kosten für Lebensunterhalt einer Familie pro Monat: $ 500.- [...]

Wenn die Rückkehrer nach Kabul keine familiäre Bindung und kein Geldmittel bei sich haben, werden sie mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein. Wenn sie Fachausbildung haben, könnten sie sich im Lauf der Zeit etwas verdienen bzw. eine Stelle bekommen oder ein Geschäft gründen. Aber wenn junge Leute keine Bildung- und keine Fachausbildung haben, werden sie mit Sicherheit in ernster Versorgungssituation geraten. Die jungen Leute in den Dörfern laufen zu den Taliban über, damit sie etwas verdienen können. Auf diesem Weg sind viele Fronten in Dörfern entstanden, die mit den Taliban Ideologisch nichts am Hut haben, aber sie arbeiten für sie als Söldner.

Die schlechte Versorgungslage in Kabul hat auch dazu geführt, dass Gewaltbereitschaft und Raubüberfälle in den Außenbezirken Kabuls vermehr zugenommen haben.

[...]"

Diese Ausführungen hat der Ländersachverständige in der Folge in mehreren gutachterlichen Stellungnahmen im Wesentlichen bestätigt und sind diese somit nach wie vor aktuell vergleiche BVwG 22.09.2016, W151 1435926-2; 28.07.2016, W154 2009999-1 ua.; 03.02.2017, W217 2122982-1).

1.4.5. Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 02.09.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan (a-9737-V2):

" [...]In einer E-Mail-Auskunft vom 11. August 2016 teilt Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, mit, dass es unterschiedlich gefährliche Gegenden überall in Afghanistan gebe. Berichten zufolge werde zwischen "sehr gefährlich", "mittel-gefährlich" und "niedrig-gefährlich" unterschieden, nicht gefährlich würde nicht vorkommen. Das würde daran liegen, dass vereinzelte Kampfhandlungen, Terroranschläge oder Entführungen jederzeit und überall möglich seien und diese seien in letzter Zeit besonders gegen Hazara gerichtet. Weiters würde er nicht zwischen städtischen und ländlichen Gebieten unterscheiden, die Sicherheitslage und die Kampfsituation seien sehr fließend, dem asymmetrischen Charakter des Krieges entsprechend, und es gebe kaum feste Frontverläufe (Ruttig, 11. August 2016).

Melissa Chiovenda Kerr, eine in der USA und Afghanistan tätige Anthropologin, die sich mit Hazara beschäftigt, antwortet in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom 25. August 2016 folgendes auf die Frage, ob es bestimmte Regionen gebe, in denen die Sicherheit von Hazara besonders gefährdet sei, oder ob es möglich sei, zwischen gefährlichen und weniger gefährlichen Regionen für Hazara zu unterscheiden ("Are there specific regions (provinces, districts etc.) where the security of Hazara is particularly threatened? Or is it possible to localize security threats, saying that some regions are more dangerous and other regions are less dangerous?"). Auch wenn dies definitiv der Fall sei, gebe es große Vorbehalte gegen eine solche Unterteilung in sichere und nicht-sichere Regionen, da grundsätzlich jeder, der in Mehrheitsgebieten der Hazara ansässig sei, aufgrund von Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung in größere Städte reisen müsse. Fast alle Hazara würden durch unsichere Regionen reisen müssen, wo sie aufgrund ihrer Ethnizität und Religionszugehörigkeit gefährdet seien.

Grundsätzlich seien homogene Gebiete, in denen hauptsächlich Hazara wohnen würden, sicher, die Provinzen Bamiyan und Daikondi seien Großteils sicher. Es gebe instabile Gebiete im nördlichen Teil Bamiyans, der an Regionen grenze, in denen es Aktivitäten aufständischer Kämpfer gebe. Die Provinz Daikondi sei auch zu großen Teilen sicher, mit Ausnahme der Gebiete, die an die Provinz Urusgan grenzen würden, wo es Aktivitäten aufständischer Kämpfer gebe. Nötige Reisen aus diesen sicheren Gebieten und Provinzen nach Kabul oder Kandahar seien aber extrem heimtückisch. In der Provinz Wardak gebe es zwei Distrikte mit Hazara-Mehrheiten namens Behsud, die zu großen Teilen sicher seien, außer wenn jährlich Konflikte mit paschtunischen Kuchi-Nomaden, die in die Region ziehen würden, aufgrund von Landstreitigkeiten ausbrechen würden. In der Provinz Ghazni würden viele Hazara und Paschtunen wohnen und Hazara seien dort sehr gefährdet. Auch dort gebe es Distrikte wie Jaghori mit Hazara-Mehrheiten, in denen es grundsätzlich sicher sei, aber die dortigen Bewohner müssten in die Stadt Ghazi reisen, was gefährlich sei. Es gebe Gebiete wie Karabogh, in denen Hazara und Paschtunen in gemischten Gemeinschaften zusammenleben würden, die extrem gefährlich seien. Dieses Muster lasse sich überall wiederfinden, im Norden sowie im Westen. Die Antwort sei deshalb grundsätzlich, dass es zwar Gebiete gebe die sicher seien, wenn es möglich wäre einen bestimmten Distrikt niemals zu verlassen. Da Menschen aber medizinische Versorgung bräuchten und arbeiten müssten, seien alle Hazara, ohne Ausnahme, einem Risiko ausgesetzt, wenn sie längere Strecken ("travelling") zurücklegen würden. Nach dem Anschlag am 23. Juli 2016 (Selbstmordanschlag in Kabul auf eine Demonstration von Hazara, bei dem 80 Menschen getötet und rund 230 verletzt wurden, Anmerkung ACCORD), gebe es Berichte von Quellen, die nicht genannt werden können, dass weitere Anschläge geplant seien, Kabul selbst sei für Hazara daher unsicher: [...]

Die internationale Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) schreibt in einem Artikel vom Dezember 2015, dass es westlich der Stadt Maidan Shahr einen 40 Kilometer langen Abschnitt einer Schnellstraße gebe, der als "Todesstraße" bekannt sei, da dort Mitglieder der Hazara-Minderheit von Aufständischen getötet würden. Ein Busfahrer berichtet davon, dass er über die Jahre zahlreiche Leichen ohne Kopf an der Straße gesehen habe. Die Menschen seien von den Taliban getötet worden. Die Straße führe durch die Provinz Wardak, in der es viele Taliban gebe, und sei eine von nur zwei Möglichkeiten um nach Bamyan, eine der wichtigsten Städte des Hazarajat, zu gelangen.

Nach einer Reihe von Enthauptungen und Entführungen und Furcht vor einem Wiederaufleben der Taliban und dem Aufstieg der Gruppe Islamischer Staat hätten Tausende in Kabul gegen die unsichere Lage der Hazara demonstriert. Laut dem Menschenrechtsaktivist Aziz Royesh sei es den Hazara nicht möglich ihre Heimat zu verlassen, da sie auf den Straßen ihr Leben riskieren würden. Statistiken, die die genaue Anzahl der Tötungen auf der "Todestsraße" verzeichnen, würden nicht zur Verfügung stehen:

[...]".

1.4.6. Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.06.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan (a-9695-1):

"[...] Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, schreibt in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie zu Hazarajat, dass dieses Gebiet die Provinz Bamiyan sowie Teile von benachbarten Provinzen umfasse. Die exakten Grenzen des Hazarajat seien umstritten, doch würden diese für den Zweck der Studie mit jenen des Gebietes alten Schura gleichgesetzt, das die folgenden Distrikte umfasse: Schebar, Bamiyan, Panjao, Waras, Yakawlang (Provinz Bamiyan); Balchab (Jowzjan); Dar-e-Souf (Samanghan); Lal o Sari Jangal (Ghor); Dai Kundi, Sharistan (Uruzgan); Malistan, Jaghori, Nawor (Ghazni); Behsud römisch eins und Behsud römisch II (Wardak). Obwohl es auch möglich sei, historisch von einem noch größeren Gebiet Hazarajat zu sprechen, würden alle genannten Distrikte im Allgemeinen als Teil des Hazarajat anerkannt, und diese Definition des Gebietes entspreche auch den Realitäten der Arbeit der Hilfsorganisationen. Das Hazarajat stelle das am stärksten mono-ethnische Gebiet Afghanistans dar. Die Bevölkerung des Gebiets setze sich überwiegend aus Imami-Schiiten zusammen, obwohl es dort auch einige Ismaili-Schiiten sowie auch sunnitische Hazara gebe. Das am stärksten ethnische gemischte Gebiet innerhalb des Hazarajat sei die Provinz Bamiyan, deren Bevölkerung sich zu 67% aus Hazara, 15% aus Tadschiken, 14% aus Sayyed und zu knapp 2% aus Paschtunen sowie 2% aus Quizilabasch zusammensetze. Insgesamt habe es in den zwei Jahrzehnten vor Veröffentlichung der Studie eine Zunahme an ethnischen Spannungen gegeben, die sich nicht von der politischen Entwicklung loslösen lasse.

Doch auch innerhalb der ethnischen Gruppe der Hazara gebe es Gegensätze und ein System von Untergruppen, das derart komplex sei, dass sich das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder dieser Gruppen als eigene Gruppe angesehen hätten, je nach Zeit in Abhängigkeit von den in dem Gebiet aktiven politischen Bewegungen unterschiedlich gewesen sei. Die Gruppenzugehörigkeit gehe sowohl aus Mustern traditioneller Führung in Bezug auf Land, Familie und Religion ab und diese Führungsmuster könnten sich überschneiden. Am ambivalentesten sei der Status der Sayyed, welche die traditionelle religiöse Führung der Hazara bilden und rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung des Hazarajat ausmachen würden. Sie würden ihre Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführen und seien ursprünglich Araber gewesen. Während Ehen zwischen Hazara-Männern und Sayyed-Frauen selten seien, komme es häufig zu Eheschließungen zwischen Sayyed-Männern und Hazara-Frauen. Manchmal würden sich Sayyed selbst als Hazara bezeichnen und auch von anderen als solche bezeichnet. In anderen Fällen würden sich die Sayyed als eigene Gruppe bezeichnen.

[...]

In einem Update zur Sicherheitslage in Afghanistan vom September 2015 thematisiert die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Situation von Hazara wie folgt:

‚Diskriminierung gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sind verbreitet und es kommt immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, welche zu Todesopfern führen. Die Diskriminierung Angehöriger der Hazara äußert sich in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung. Hazara wurden überdurchschnittlich oft zu Opfern gezielter Ermordungen' (SFH, 13.09.2015).

Der im April 2016 veröffentlichte Länderbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage (Berichtsjahr 2015) hält fest, dass im November 2015 unbekannte Bewaffnete mindestens 14 Hazara-Männer aus Bussen in der Provinz Zabul entführt hätten. Über deren Verbleib hätten bis Dezember 2015 keine Informationen vorgelegen. Im Februar 2015 hätten Aufständische 31 Hazara-Männer aus einem Bus in der Provinz Zabul entführt und im Mai 2015 19 Geiseln und im November 2015 acht weitere freigelassen. Mit Stand November 2015 seien die übrigen vier Geiseln weiterhin vermisst gewesen.

Im März 2015 sei es im ganzen Land zu Protesten gekommen, bei denen Demonstrierende die Regierung aufgefordert hätten, die 31 im Februar entführten Hazara freizubekommen. Im November 2015 seien in Städten im ganzen Land Proteste ausgebrochen, nachdem Aufständische mit mutmaßlichen Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) sieben Hazara in der Provinz Zabul enthauptet hätten, darunter zwei Frauen und ein neunjähriges Mädchen. Die Demonstrationen seien ein Ausdruck öffentlichen Unmuts gegen die Unfähigkeit der Regierung gewesen, mit der Bedrohung durch Aufständische fertig zu werden und hätten ein Licht auf die Ängste der Hazara vor weiteren Anschlägen geworfen.

Weiters berichtet das USDOS von fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung von Hazara in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft. Laut NGOs seien Hazara-Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als Nicht-Hazara-Beamte. Aus mehreren Provinzen, darunter Ghazni, Zabul und Baghlan, seien eine Reihe von Entführungen von Hazara berichtet worden. Die Entführer hätten Berichten zufolge ihre Opfer erschossen, enthauptet, Lösegeld für sie verlangt oder sie freigelassen. Wie das USDOS weiter bemerkt, seien ethnische Hazara, Sikhs und Hindus zusätzlich zur allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung weiterhin von Diskriminierung bei der Jobeinstellung und bei der Zuteilung von Arbeiten betroffen. [...]

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnische gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können. 13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere während der Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Spionage für die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen.

UNAMA führt folgende Beispiele für Entführungen und anschließende Tötungen von Hazara an: Am 23.02.2015 seien im Bezirk Shajoy der Provinz Zabul 30 Hazara-Insassen zweier öffentlicher Busse, die von Herat nach Kabul unterwegs gewesen seien, entführt worden. Drei der Entführungsopfer seien während ihrer Gefangenschaft getötet worden, während zwei offenbar aufgrund von natürlichen Ursachen verstorben seien. Zwischen Mai und August 2015 seien die übrigen Geiseln freigelassen worden, nachdem es Berichten zufolge zu einem Austausch mit einer Gruppe von Häftlingen gekommen sei. Am 13.10.2015 hätten regierungsfeindliche Kräfte sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter zwei Frauen, zwei Jungen und ein Mädchen, die sich auf der Autobahn zwischen Kabul und Kandahar auf dem Weg in den Distrikt Jaghuri (Provinz Ghazni) befunden hätten, entführt. Stammesälteste hätten sich vergeblich um deren Freilassung bemüht. Die Hazara seien im Distrikt Arghandab der Provinz Zabul festgehalten worden, bis Kämpfe zwischen revalisierenden regierungsfeindlichen Gruppen, darunter auch der Gruppe, zu denen die Entführer gehört hätten, ausgebrochen seien. Im Zeitraum von 6. bis 8. November hätten die reguierungsfeindlichen Kräfte allen sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter auch den Kindern, die Kehlen durchgeschnitten. Dieser Vorfall habe Demonstrationen in der Stadt Kabul ausgelöst, bei denen mehr Schutz für die Hazara-Gemeinde gefordert worden sei."

1.4.7. Auszug aus der gutachterlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. RASULY vom 17.02.2016 zur Lage der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W119 2102332-1 (grammatikalische und Rechtschreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] Die Lage der Hazara seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde Ende 2001 in einer Konferenz in Bonn festgelegt, dass alle Ethnien Afghanistans, einschließlich der Hazara, an der staatlichen Macht beteiligt werden müssen. So haben die Hazara und andere schiitische Gruppen seit Ende 2001 im afghanischen Staat einen stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen stellvertretenden Minister im Staatssicherheits-, Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der stellvertretende Armee-Chef ist derzeit ein Hazara namens General Morad Ali Morad. General Morad hat weitgehende Befehlsbefugnisse und befehligt derzeit in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan oder Helmand die Operationen gegen die Taliban. Die Hazara-Parteien, allen voran die Hezb-e Wahdat, kontrollieren derzeit die Hauptsiedlungsgebiete der Hazara im Rahmen der staatlichen Authorität.

Diese Gebiete sind: Bamiyan, Daykundi, die Distrikte Jaghuri, Malistan, Nawur, Jaghatu, Teile von Qarabagh usw. in der Provinz Ghazni, die Hazara-Wohnbezirke in Mazar-e Sharif und einige Distrikte der Provinzen Samangan, wie Dara-e Suf, Hazara-Siedlungsgebiete in der Provinz Sara-e Pul und in der Provinz Balkh, sowie die von Hazara bewohnten Distrikte und Dörfer in der Provinz Maidan Wardak, v.a. Hessa-i-Awal-i Behsud, Behsud-i Markazi und Daymirdad. Die Hazara sind in Kabul im politisch-kulturellen Leben und im Bildungs- und Wirtschaftsbereich maßgebend vertreten. Sie betreiben mehrere Fernsehsendungen und haben dutzende Privatuniversitäten und Institute im Land. Sie stellen in den staatlichen Universitäten im Verhältnis zu ihrer Anzahl mehr Studenten als jede andere Ethnie des Landes, weil sie durch ihre leidgeprüfte Geschichte die derzeitigen Möglichkeiten besser wahrnehmen.

Die Hazara und andere Schiiten haben in Großstädten wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eigene islamische Bildungseinrichtungen für die schiitische Islam-Lehre. Diese werden vom Iran finanziert und mit Lehrkräften unterstützt. Die Hazara als Schiiten dürfen zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans seit dem Sturz des Taliban-Regimes ungestört und in vollem Umfang schiitische Rituale, wie den wichtigsten Feiertag Ashura, den Gedenktag an den Märtyrertod Imam Husain, mit Prozessionen auch in den nicht schiitischen Bezirken in Kabul und Mazar-e Sharif und in anderen Städten zelebrieren, ohne von den Sunniten gestört und lächerlich gemacht zu werden. Früher haben sie nur in ihren Moscheen unter sich gefeiert. Ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten in Kabul sind Hazara bzw. Schiiten und sind mit den sunnitischen Abgeordneten gleichberechtigt am politischen Prozess beteiligt. Somit sind die Hazara an der Staatsgewalt maßgebend beteiligt. Sie waren bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001 in diesem Ausmaß in Afghanistan nie an der staatlichen Macht beteiligt.

Sie sind nicht nur an der Zentralgewalt beteiligt, sondern sie stellen auch die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten in den Provinzen Bamiyan, Daikundi und in allen anderen hauptsächlich von den Hazara bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat behördlich verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazara, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad, von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet. Mit ihrer neuen Stellung, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihren Möglichkeiten befinden sich die Hazara in Afghanistan seit Ende 2001 nicht mehr in einer Opferrolle. Sie sind im Stande, sich kollektiv mit ihren Möglichkeiten im Rahmen des Staates zu verteidigen. Allerdings kommt es vor, dass immer wieder Taliban auf den Hauptstraßen zwischen den Provinzen im Süden, Westen und auf dem Weg nach Maidan Wardak und Bamiyan Reisebusse anhalten und bestimmte Reisende mitnehmen. Die meisten dieser Geiseln auf diesen Strecken sind Hazara. In den Jahren 2013 bis 2015 ist es mehrere Male vorgekommen, dass auf dieser Strecke Hazara aus den Reisebussen gezerrt und mitgenommen worden sind. Einige von ihnen wurden freigelassen, Dutzende wurden getötet. Diese Aktionen der Taliban richten sich nicht nur gegen die Hazara, sondern die Taliban töten und entführen auch Paschtunen, Usbeken und Tadschiken. Bei jeder dieser Aktionen erwecken die Taliban den Anschein, als wäre sie nur gegen die jeweilige Volksgruppe, deren Mitglieder sie gerade entführt und getötet haben, gerichtet. Die Hauptroute von Kabul über den Salang-Pass nach Norden, Baghlan - Mazar-e Sharif - Kunduz, wird hauptsächlich von Paschtunen, Tadschiken und Usbeken befahren. Die Strecke zwischen Baghlan und Kunduz ist sehr gefährlich und die Reisenden versuchen, bis 14 Uhr die Strecke Baghlan nach Kunduz zu passieren, weil nachmittags die Taliban die Route immer wieder kurzfristig unter ihre Kontrolle bringen. Sie zerren willkürlich Personen aus Reisebussen und Taxis und nehmen sie als Geiseln mit. Einige dieser Personen werden von den Taliban später getötet. Dies sind großteils Tadschiken und Usbeken. Die meisten von den Taliban kontrollierten Gebiete in Afghanistan werden von Usbeken, Paschtunen und Tadschiken bewohnt. In diesen Gebieten werden die Menschen willkürlich bestraft und Personen, die einmal für die Regierung gearbeitet haben, geraten unter die Verfolgung und Unterdrückung der Taliban. Die Provinzen und Distrikte, wo hauptsächlich die Hazara wohnen, werden von diesen kontrolliert. Sie haben bis jetzt ihre Siedlungsgebiete soweit geschützt, dass die Taliban dort nicht eindringen konnten. Aber Distrikte wie Gisab in Uruzgan und Nirkh in Maidan Wardak, die auch von Paschtunen bewohnt werden, sowie einige Dörfer, die in den mehrheitlich von Paschtunen oder Usbeken bewohnten Gebieten liegen, werden nicht von den Hazara-Parteien kontrolliert. Manche dieser Gebiete werden immer wieder von den Taliban kurzfristig kontrolliert.

Die Taliban sind Anhänger der arabischen Fundamentalisten, allen voran Saudis, die gegen den Iran und damit gegen die Schiiten eingestellt sind. Daher kommt es immer wieder vor, dass die Taliban ihre Opfer, wenn sie Schiiten sind, zur Schau stellen. Aber sie bringen mehr Paschtunen und Usbeken um, deren Gebiete sie leicht unter ihre Kontrolle bringen können. In diesen Gebieten kommt es häufig vor, dass die Taliban willkürlich Menschen verfolgen, töten und die Jugendlichen, wenn sie benötigt werden, rekrutieren. Eine Zwangsrekrutierung seitens der Taliban ist dort möglich, wo sie vorherrschen.

Diese Gebiete liegen in den von Paschtunen und Usbeken bewohnten Provinzen, wie Nangarhar, Kandahar, Kunar, Kunduz, Faryab, Helmand usw. Wenn die Jugendlichen sich nicht dort befinden oder sich der Zwangsrekrutierung der Taliban entziehen und in Großstädte oder ins Ausland flüchten, werden sie von den Taliban nicht weiter gesucht. Allerdings können diese Jugendlichen nicht mehr in ihre Heimatregion zurückkehren, wenn die Taliban weiterhin dort vorherrschend sind. Zwangsrekrutierung ist nicht weit verbreitet, weil viele Jugendliche aus Gründen der Arbeitslosigkeit und ethnischer Solidarität sich den Taliban anschließen. Auch gibt es Regionen, deren Bevölkerung aus Gründen des Paschtunwali - dem Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen - es in "Krisenzeiten" für notwendig erachtet, den Taliban freiwillig Soldaten bereitzustellen. Die meisten Opfer der Taliban sind von 2013 bis Februar 2016 in den von Paschtunen bewohnten Provinzen Kandahar, Nangarhar, Kunar, Helmand, Logar, Wardak und in den Provinzen Kunduz, Faryab, Baghlan und Badakhshan zu verzeichnen, wo hauptsächlich Usbeken, Tadschiken und Paschtunen wohnen. Die Taliban haben im Oktober 2015 die Stadt Kunduz eingenommen und in wenigen Tagen den UNO-Berichten zufolge mehr als 800 Menschen getötet. Die getöteten Zivilisten waren Tadschiken und Usbeken. Derzeit werden die meisten Distrikte von Nangarhar von den Taliban kontrolliert und von ihnen werden immer wieder Massaker an der Zivilbevölkerung verübt. [...]"

1.4.8. Auszug aus dem LANDINFO-Bericht zu Afghanistan betreffend die Rekrutierung durch die Taliban (Arbeitsübersetzung) vom 29.06.2017 (Fußnoten entfernt):

"[...] WER WIRD VON DEN TALIBAN REKRUTIERT?

[...] Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte verfügt über diese Sachkompetenzen, und von mehreren Quellen hieß es, dass die Taliban aktiv versuchen würden, sie auf ihre Seite zu ziehen. Da nun ein stärkerer Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrung gelegt wird, ist auch das wahrscheinliche Durchschnittsalter der Rekruten gestiegen

[...].

Da die Taliban nun beträchtliche Gebiete kontrollieren, einschließlich der Provinz Helmand, wo angenommen wird, dass 80% des Territoriums unter ihrer Kontrolle stehen, werden die Rekruten nun im Vergleich zu früher verstärkt auf afghanischem Boden ausgebildet. Laut einer Quelle von Landinfo betreiben die Taliban derzeit in vielen Landesteilen Ausbildungslager [...]. Zusätzlich zu den Camps im Süden gibt es Ausbildungslager im Norden (Kunduz, Faryab und Jawzjan) und im Osten (Kunar und Paktika) [...].

So wie die afghanischen Sicherheitskräfte verlieren auch die Taliban zahlreiche Männer auf dem Schlachtfeld oder bei sonstigen bewaffneten Aktivitäten. Aus der Sicht der Rekrutierung dürften die Verluste für die Taliban bisher kein Problem darstellen, die Bewegung scheint mit dem Zugang zu Rekruten keine Schwierigkeiten zu haben. Dies steht im Gegensatz zu den Erfahrungen der afghanischen Sicherheitskräfte. [...]

VOLLZEIT- UND TEILZEITKÄMPFER, LOKALE UND AUSLÄNDISCHE KÄMPFER

Der anerkannte Afghanistan-Experte Antonio Giustozzi [...] behauptet, dass es zwei Gruppen mit unterschiedlicher Loyalität zu den Taliban und den Kernwerten der Organisation gäbe: "Teilzeit- und Vollzeitkämpfer". Bei den Teilzeitkämpfern dominiert die Loyalität gegenüber den lokalen Warlords und Stammesältesten, diese Gruppe ist nur in geringem Ausmaß anfällig für Indoktrinierung. Unter den Vollzeitkämpfern - den Elitetruppen und den professionellen Kämpfern, von denen viele in Madrassen rekrutiert werden - sind die Loyalität gegenüber den Taliban und die dschihadistischen Überzeugungen stark ausgeprägt. Professionelle Vollzeitkämpfer spielen nun eine stärkere Rolle als in der Vergangenheit.

Mehrere Gesprächspartner von Landinfo (Treffen in Kabul 2016) vertraten die Ansicht, dass die Soldaten der lokalen Talibangruppen ihre Rolle als Soldaten mit einem zivilen Beruf, meist in der Landwirtschaft, verbinden. Für größere Offensiven werden lokale Kader mobilisiert [...]. Ihre Hauptaufgabe ist die Unterstützung der in ihrem Gebiet tätigen professionellen Talibantruppen. Inwiefern sie in Phasen, in denen keine professionellen Truppen anwesend sind, als Taliban agieren, ist wahrscheinlich höchst unterschiedlich und hängt davon ab, inwieweit sie mit einer militärischen Herausforderung konfrontiert sind. Viele Kader leben zuhause, sie "kämpfen einige Stunden am Vormittag" und gehen danach nach Hause, um anderen Tätigkeiten nachzugehen - "auf dem Feld oder im Bazar" [...]. Häufig sind sie größeren Gruppen auf Distriktebene unterstellt, die ihrerseits Führern auf Provinz- und Landesebene zugeordnet sind [...]. Die Mitglieder werden auf der Grundlage ihrer Beziehung, ihres Rufes und ihrer Position von den Kommandanten persönlich rekrutiert.

Im Gespräch mit Landinfo verwendete eine NGO die Begriffe "weiche" und "harte" Taliban (soft and hard Taliban), wobei die Ersteren lokale Kämpfer aus dem jeweiligen Gebiet sind. Es können enge Beziehungen zwischen den Dorfältesten und den Taliban bestehen. Einige der Dorfältesten haben sich den Taliban angeschlossen. Andere haben vielleicht enge Verwandte, wie Söhne und Neffen, die den Taliban angehören, was für die Ältesten die Verhandlungen mit den Taliban vereinfacht. Die "harten" Taliban kämpfen in Gebieten, aus denen sie nicht abstammen, was die Verhandlungen mit der Lokalbevölkerung vermutlich anspruchsvoller gestaltet, aber auch sie respektieren die Ältesten [...].

Die Taliban sind eine weitgehend "dezentralisierte" Organisation, die aus relativ kleinen Gruppen rund um lokale Kommandanten besteht. Sie kooperieren hauptsächlich auf Basis persönlicher Beziehungen. Es besteht wohl Grund anzunehmen, dass die Rekrutierung (Mobilisierung) von lokalen Teilzeitkämpfern gemäß den lokalen Traditionen und Loyalitätsbindungen erfolgt, im Gegensatz zur Rekrutierung von Vollzeitkämpfern und Elitetruppen, die in stärkerem Maße von den Taliban organisiert wird. [...].

Mehrere Gesprächspartner von Landinfo vertraten die Ansicht, dass die Taliban ihren Ansatz gegenüber der religiösen Praxis, den Traditionen und dem sozialen Leben in Gebieten, wo die Lokalbevölkerung (die Stammesältesten) mit der Organisation verbündet sind, geändert haben. Der Ansatz ist sanfter geworden, er schafft Raum für Entscheidungen im Sinne des religiösen und ideologischen Klimas im jeweiligen Gebiet. Die Taliban sind von Gastfreundschaft, Unterstützung und Sympathie abhängig, um in einem Gebiet Fuß zu fassen, was erklärt, warum die Taliban in den von Hazara dominierten Gebieten des zentralen Hochlandes immer noch eine nur minimale Präsenz haben. [Fußnote: Die Taliban haben in den von Hazara dominierten Gebieten nicht Fuß gefasst, weil die Bevölkerung die Vision der Taliban und das Ziel, Afghanistan zu einem unabhängigen, scharia-basierten Emirat zu machen, nicht unterstützt. Ihre eingeschränkte Präsenz ist auch dadurch zu erklären, dass die Hazara gut organisiert sind und für ihre eigene Sicherheit sorgen, überdies ist das Gebiet für die Taliban von geringem strategischen Interesse.]

[...]

ETHNISCHE UND GEOGRAFISCHE ZUGEHÖRIGKEIT

Informationen über die Anzahl und ethnische und geografische Zugehörigkeit der Talibankader beruhen auf Schätzungen. Landinfo geht davon aus, dass die Taliban im Hinblick auf die tatsächlichen und relativen Zahlen noch immer ein hauptsächlich paschtunisches Phänomen darstellen. Die Mehrheit sind Paschtunen, obwohl die Taliban behaupten, dass ethnische Zugehörigkeit, Stamm und Region irrelevant seien.

[...]

Giustozzi stellte in der Vergangenheit fest [...], dass die Taliban von der Hazara-Bevölkerung nur minimale Unterstützung erhalten. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich und nur einige wenige Kommandanten der Hazara sind mit den Taliban verbündet. In den zentralen von Hazara dominierten Gebieten, einschließlich der von Hazara bewohnten Distrikte westlich von Ghazni, besteht kein Grund, von einer umfangreichen Rekrutierung auf individueller Ebene auszugehen. Es gibt nach wie vor nur wenige Hazara, die aktiv für die Taliban kämpfen. [...] Der Analytiker Osman [...] weist darauf hin, dass es für die Taliban wichtig ist, sich auf die Rekruten verlassen zu können. Daher hält es Osman für unwahrscheinlich, dass die Taliban Hazara zwingen würden mit ihnen zu kämpfen.

[...]

WIE REKRUTIEREN DIE TALIBAN?

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte erfolgt; sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban [...] enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich.

Vor einigen Jahren waren alle Mittel, von Pamphleten, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung, wichtige Instrumente des Propagandaapparats [...]. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Wie der Journalist Bashir Ahmad Gwakh [...] in Radio Free Europe ausführte, haben die Taliban verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut [...].

Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke. Das kann bei den Freitagsgebeten in der Moschee oder bei anderen lokalen Veranstaltungen und Schauplätzen geschehen [...]. Ein großer Apparat von politischen Agenten und Vermittlern ist mit der Anwerbung in Moscheen und Madrassen befasst, häufig in Pakistan [...], aber es gibt auch einige Berichte über Madrassen als zentrale Rekrutierungsstätte in Afghanistan [...].

Es gibt mehrere Erklärungsmodelle, warum sich so viele Menschen den Taliban anschließen. Zwei Modelle dominieren:

• Ein Modell unterstreicht die materiellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten; die Rekruten seien durch Armut, fehlende sonstige Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert.

• Das andere Modell unterstreicht die religiösen und kulturellen Gegebenheiten. Die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, spielt dabei eine zentrale Rolle.

[...] Die Motive überschneiden sich vermutlich, es stimmt nicht unbedingt, dass wirtschaftliche Motive für religiös überzeugte Rekruten keine Geltung hätten. Bei den Elitetruppen sind wahrscheinlich beide Parameter stark ausgeprägt. [...]

Materielle und wirtschaftliche Gegebenheiten

Die Taliban haben ihre Position in Afghanistan gestärkt. Ihre Sympathisanten sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe, warum sich viele schließlich den Taliban zuwenden [...]

Das Institute for War and Peace Reporting [...] hat schon in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass "[...] Schätzungen zufolge bis zu 70% der jungen Talibankämpfer aus finanziellen und nicht aus ideologischen Gründen in den Kampf ziehen." Auch Behördenvertreter führen häufig wirtschaftliche und materielle Ursachen und nicht Überzeugungen als Beweggründe an [...]

Es besteht weitestgehend Übereinstimmung darüber, dass durch die internationale Militärpräsenz vor dem Jahr 2014 viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. Nach Schätzungen einer NGO [...] sind seit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung ("Transition") nahezu eine halbe Million Arbeitsplätze verloren gegangen. Die allgemeine wirtschaftliche und materielle Lage ist ein Rekrutierungsanreiz und verstärkt auch in verschiedener Hinsicht den Druck, sich den Taliban anzuschließen.

Junge Menschen, vor allem in ländlichen Gebieten, haben äußert beschränkte Möglichkeiten und wenige Chancen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Viele verfügen über eine minimale Schulbildung und geringe Ressourcen. Um ein Einkommen zu erwirtschaften, können sie sich entweder den Taliban oder den Sicherheitskräften anschließen. In einigen Teilen des Landes, vor allem in konservativen ländlichen Gebieten, ist die Unterstützung der Behörden keine wirkliche Alternative, da die Behörden als vom Volk abgehoben gelten [...].

In manchen Milieus ist der soziale Status einer Assoziation mit den Taliban wesentlich höher als mit den Sicherheitskräften. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Löhne der Sicherheitskräfte unregelmäßig ausbezahlt werden; zwischen den einzelnen Auszahlungen können Monate vergehen und die Anzahl der Todesfälle ist hoch. Es ist nicht gesichert, dass ein im Dienst gefallener Soldat der Sicherheitskräfte in seinem Heimatort begraben werden kann, da der örtliche Mullah einer Bestattung möglicherweise nicht zustimmt. Stirbt jedoch ein Mitglied der Taliban, wird er als Märtyrer verehrt

[...].

Die Sicherheitskräfte gelten gemeinhin als korrupt. Ein Mitarbeiter einer NGO vor Ort [...] berichtete, dass die Rekruten der Sicherheitskräfte erleben, wie ihre Vorgesetzen Waffen und Munition an die Taliban verkaufen. Die Korruptionstheoretikerin Sarah Chayes [...] konstatierte, dass die Billigung der Taliban unter der Bevölkerung nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt ist, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft. Nach Ansicht von Chayes ist dies mit eine Erklärung für die Anziehungskraft der Taliban. [...]

Die Taliban sind in den großen Städten am wenigsten stark etabliert. Der Analytiker Boran Osman [...] verwies jedoch darauf, dass die Talibansympathisanten an mehreren Universitäten offen Propaganda betreiben, etwa in Nangarhar, Khost, Kabul und Kandahar. Die Organisation rekrutiert unter schlecht vernetzten jungen Neuankömmlingen [...].

[...]

FREIWILLIGKEIT UND ZWANG

[...] Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen und Übergriffe können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder der betroffenen Person, gerichtet sein.

Die Grenzen von unmittelbarem, konkretem und strukturellem Zwang sind vielleicht fließend; innerhalb dieses Spektrums macht es vermutlich wenig Sinn, von Freiwilligkeit zu sprechen, eben weil die Alternativen für den Betroffenen sehr beschränkt sind. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen.

Nach Meinung mancher Quellen, so auch des UNHCR, rekrutieren die Taliban mittels Zwang. [...]

AUSMASS UNMITTELBAREN ZWANGS

Quellen von Landinfo haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen [...].

Nach Aussagen der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Afghanistan (UNAMA) ist die Gruppe der Stammesältesten gezielten Tötungen ausgesetzt [...]. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind. Der Analytiker Borham Osman [...] hat auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfen verweigert haben, verwiesen. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet [...], meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen.

Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Nach Osman [...] kann die erweiterte Familie allerdings auch eine Zahlung leisten anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich frei zu kaufen.

Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen

[...].

Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren, die Personen dazu bewegt, sich den Taliban anzuschließen. Allerdings gibt es nur sehr begrenzte Informationen über den Einsatz unmittelbarer Gewalt im Zusammenhang mit der Rekrutierung und Mobilisierung unter der Schutzherrschaft der Taliban. In Gesprächen mit Landinfo im Herbst 2010 meinte Giustozzi, dies sei bedingt durch die Tatsache, dass die Taliban im Zusammenhang mit ihrer Expansion noch nicht genötigt waren, Zwangsmaßnahmen anzuwenden. In dem Artikel Afghanistan: Human Rights and Security Situation aus 2011 trifft er folgende Feststellung:

Zwangsrekrutierungen waren bislang noch kein herausragendes Merkmal dieses Konflikts. Die Aufständischen bedienen sich Zwangsrekrutierungen nur sehr vereinzelt, vor allem, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache der Aufständischen nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Giustozzi 2011, Sitzung 6).

Die Angaben Giustozzis über im November 2015 erfolgten Zwangsrekrutierungen [...] stehen nicht im Widerspruch zu seiner 2011 getätigten Einschätzung. Das relativ eindeutige Bild über Rekrutierungen durch die Taliban deutet darauf hin, dass die Organisation Zwangsrekrutierungen nicht systematisch betreibt und dass Personen, die sich gegen eine Mobilisierung wehren, keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht werden. Zahlreiche Gesprächspartner von Landinfo in Kabul [...] waren der Ansicht, dass die Taliban keine Zwangsrekrutierungen durchführen. Eine NGO [...] verwies darauf, dass es sehr einfach sei zu desertieren [...]. Erklärungen eines nationalen Thinktanks zufolge [...] stünde eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit [...] entgegen. Eine internationale Organisation [...]verwies auf ein Argument, das seitens Landinfo im Zusammenhang mit einer quellenkritischen Bewertung von Informationen über die Zwangsrekrutierung aufgeworfen worden war: bei den Quellen handle es sich oft um Personen oder Gruppen, die Anschuldigungen betreffend Zwangsrekrutierungen im Eigeninteresse erheben, etwa Personen, die von den Sicherheitskräften festgenommen wurden oder die als Binnenvertriebene (IDPs) anerkannt werden möchten.

Die Beantwortung einer Anfrage zur Rekrutierung durch Landinfo im Februar 2012 kommt zu dem Schluss, dass es nur in Ausnahmefällen zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban gekommen ist. Die Antwort bezieht sich auf Gespräche, die Landinfo im Oktober 2011 in Kabul geführt hat [...]. Es gibt keine Angaben, die darauf hindeuten, dass sich das Ausmaß von Zwangsrekrutierungen in den vergangenen Jahren erhöht hat. Das geänderte Konfliktschema und die Tatsache, dass die Taliban ihre Truppen professionalisiert haben, bedeuten auch, dass unmittelbare Zwangsrekrutierungen vermutlich sehr gering verbreitet sind. Dies wurde in Gesprächen von Landinfo im April/Mai 2017 in Kabul bestätigt; unmittelbare Zwangsrekrutierungen erfolgen in sehr beschränktem Ausmaß und lediglich in Ausnahmefällen. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Eine Quelle äußerte den Gedanken, dass es "schwierig sei, einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden/etwas zu kämpfen". [...]

REKRUTIERUNG VON MINDERJÄHRIGEN

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Junge und Mann fließend; ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit, die erweiterte Familie zu repräsentieren. Welchen Status jemand auf der Skala vom Kind zum Erwachsenen innehat und zu welchem Zeitpunkt erwachsenes Verhalten erwartet wird, entspricht im Regelfall weder den nationalen afghanischen Gesetzen noch dem Völkerrecht. Diese Tatsache, gepaart mit der demografischen Zusammensetzung, wirtschaftlichen, politischen und anderen kulturellen Gegebenheiten führt im Ergebnis dazu, dass bewaffnete Soldaten in verschiedenen Gruppen die im Völkerrecht festgelegten Altersgrenzen unterschreiten können. In der überwiegenden Mehrzahl aller Kontexte ziehen Afghanen bei der Beurteilung von Status, Stellung und Reife einer Person nur in geringem Ausmaß formelle und rechtliche Bestimmungen heran.

Wie bereits erwähnt, ist die erweiterte Familie die tonangebende gesellschaftliche Institution und bildet den Rahmen für die Familienmitglieder. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" [...]

DIE HALTUNG DER TALIBAN

Artikel 69 der Layha (Gesetzeskodex der Taliban) besagt, dass "Jugendliche" (deren Bärte aufgrund ihres Alters nicht sichtbar sind) von den Mudschaheddin nicht in Wohn- und Militärzentren untergebracht werden dürfen [...].

Auch wenn die Taliban regelmäßig abstreiten, dass die Organisation Minderjährige ("Kinder und Jugendliche") im Zusammenhang mit sogenannten dschihadistischen Operationen einsetzt, sind diese Richtlinien offensichtlich willkürlich. Entscheidend ist die Beurteilung durch den einzelnen Kommandanten. In der Praxis ist es die lokale Norm, die den Ausschlag gibt, wann jemand als reif und unabhängig gilt, nicht das tatsächliche Alter.

[...] Minderjährige werden zweifellos rekrutiert, allerdings lässt sich das Ausmaß schwer abschätzen und es bestehen vermutlich größere Abweichungen von Ort zu Ort. Da die Taliban nun vermehrt auf militärische Erfahrung und Expertise setzen, kann davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der rekrutierten Minderjährigen rückläufig ist.

[...]"

1.4.9. Auszug aus der Analyse der Staatendokumentation zu Frauen in Afghanistan vom 02.07.2014 (Fußnoten entfernt):

"[...] 2. Gewalt gegen Frauen

2.1. Das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW - law) und Kontroversen

Die Streitigkeiten in Bezug auf das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (Elimination of Violence Against Women - EVAW) unterstreichen, was für ein Drahtseilakt die Verbesserung der rechtlichen Situation von Frauen in Afghanistan ist:

Verabschiedet im Jahr 2009, ist es das erste Gesetz, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert. Es definiert 22 Handlungen als Gewalt gegen Frauen, schlägt Strafen für die Täter vor und nimmt die Regierung in die Pflicht. Verboten werden unter anderem Kinderheirat, Zwangsheirat, Menschenhandel für den Zweck oder unter dem Vorwand der Heirat, die traditionelle Praxis des baads (Übergabe einer Frau oder eines Mädchens zur Streitschlichtung), erzwungene Selbstverbrennung und 17 weitere Gewalthandlungen, inklusive Vergewaltigung und physischer Misshandlung.

Das Strafgesetz des Landes, welches aus dem Jahr 1976 stammt, regelt Verbrechen wie Körperverletzung, Zwangsehen und Mord. Nichtsdestotrotz werden keine expliziten Referenzen in Bezug auf Gewalt innerhalb der Familie oder Kinderheirat gemacht. Zwar legt das afghanische Zivilgesetz das Mindestalter für Heirat mit 15 Jahren fest, jedoch sind im Strafgesetz keine Strafen für Zuwiderhandlung vorgesehen. Das Strafgesetz fasst außerdem Vergewaltigung mit einvernehmlichem Ehebruch zusammen, welches beide strafbare Handlungen sind. Deshalb würde ein separates Gesetz, im Speziellen über Gewalt gegen Frauen, ein starkes Signal bezüglich Straffreiheit für Misshandlungen gegen Frauen sein und würde die afghanische Regierung zwingen diese Angelegenheit ernster zu nehmen. Das EVAW-Gesetz repräsentiert daher einen großen Erfolg, zumal viele von ihm kriminalisierte Handlungen von einem Großteil der afghanischen Gesellschaft, einschließlich der Gesetzesvollzugsorgane, nicht als Verbrechen angesehen werden.

Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und demzufolge seine tatsächliche Anwendung ist jedoch begrenzt. Genauso wie seine allgemeine Bekanntheit, obwohl sich die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), einzelne Gesetzesvollzugsorgane und die Zivilgesellschaft bemühen, diese zu steigern. Teile der Öffentlichkeit und religiöser Kreise erachten das Gesetz nämlich als unislamisch. Somit ist seine erfolgreiche und korrekte Umsetzung auch weiterhin mangelhaft. Laut Angaben von Human Rights Watch, ist die Umsetzung des Gesetzes durch die afghanische Regierung mangelhaft. Eine Erklärung von Frauenrechtsaktivistinnen dafür ist das Fehlen sozialer Legitimität. EVAW wurde nie vom afghanischen Parlament abgesegnet, sondern durch ein Präsidialdekret bewilligt. Laut Artikel 79 der Verfassung von 2004 ist das statthaft (ein Präsidialdekret ist rechtmäßig, außer es wird vom Parlament ausdrücklich abgelehnt). Auch viele andere Gesetze wurden bereits auf diesem Wege erlassen und sind weiterhin in Kraft.

Aus der Hoffnung einiger AktivistInnen heraus, dem Gesetz breitere Anerkennung zu verleihen und seine Umsetzung zu erleichtern, wurden bereits im Herbst 2009 Versuche unternommen, eine entsprechende parlamentarische Akzeptanz zu erreichen. Aufgrund der kontroversen Reaktionen, speziell einflussreicher religiöser Führer, war die afghanische Frauenrechtsgemeinschaft danach jahrelang darüber uneinig, ob EVAW überhaupt dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden sollte. Die Mehrheit der AktivistInnen scheint mit dem Präsidialdekret nicht unzufrieden zu sein, da sie sich keine großen Chancen ausrechnen, das Gesetz in einer akzeptablen Form durch den parlamentarischen Ratifizierungsprozess zu bekommen.

Beim letzten Versuch, im Mai 2013, beeinspruchten reaktionäre Elemente im Parlament auch tatsächlich mindestens acht Artikel dieses Gesetzes. Nach einer Reihe hetzerischer Kommentare konservativer Parlamentarier wurde die Diskussion schnell abgebrochen. Speziell das Verbot von Zwangs- und Kinderheirat, sowie der uneingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Frauenhäusern, wurden von mehreren Mitgliedern des Parlaments als unislamisch betrachtet und eine Streichung dieser Bestimmungen beantragt. Nichtsdestotrotz wurde ein nationaler Aktionsplan für EVAW entworfen, der spezielle Schritte für die Umsetzung des Gesetzes, durch Bewusstseinsbildung, Präventions- und Schutzmaßnahmen vorsieht, darunter das Beobachten und Berichten von Gewalt gegen Frauen.

Gewalt gegen Frauen in Afghanistan existiert in verschiedenen Formen. Das Thema selbst wird in der traditionellen afghanischen Gesellschaft als Tabu erachtet, trotzdem kommt es häufig vor. Die einzigen existierenden statistischen Schätzungen zur Häufigkeit von Gewalt gegen Frauen, leiten sich von einer landesweiten Befragung im Jahre 2008 ab, bei der 4.700 Frauen in 16 afghanischen Provinzen daran teilnahmen.

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 registrierte und sammelte die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC) Berichte zu physischer, sexueller, wirtschaftlicher, verbaler und psychologischer, sowie anderen Formen von Gewalt, die in Verbindung mit schädlichen traditionellen Praktiken und Gebräuchen stehen. In diesem Zeitraum wurden demnach 1.249 Fälle physischer Gewalt gegen Frauen registriert, im Jahr 2012 waren es noch 889 Fälle; dies ist ein Anstieg um 30,1%. Laut AIHRC könnte die Erhöhung auch auf eine Steigerung des öffentlichen Bewusstseins zurückzuführen sein. Nichtsdestotrotz geht AIHRC davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist. [...]

Ferner suchen die meisten Frauen keinen rechtlichen Beistand, weil sie sich ihrer Rechte nicht bewusst sind und überdies Angst haben, selbst strafverfolgt zu werden oder zu ihren Familien bzw. dem Täter zurückgebracht zu werden.

2.2. Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Ehrenmorde werden an Frauen von einem - typischerweise männlichen - Familien- oder Stammesmitglied verübt. Die Motive reichen von bloßen Gerüchten in Zusammenhang mit dem anderen Geschlecht, bis hin zu einer sexuellen Beziehung oder dem Weglaufen von zu Hause.

In Afghanistan ist es eine verbreitete Annahme, dass Frauen den Ruf der Familie tragen. Die Männer spüren diesen sozialen Druck und nehmen sich daher das Recht Frauen zu kontrollieren, damit diese keine Schande über die Familie bringen. Frauen und Mädchen versuchen um jeden Preis Handlungen zu vermeiden, die Schande über Männer oder die Familie bringen könnten. Manche afghanische Stämme im Süden gehen sogar davon aus, dass Schande, die über eine Familie gebracht wurde, Schande über den gesamten Clan bringt.

Die AIHRC gab im November 2013 bekannt, in den vorangegangen zwei Jahren 240 Ehrenmorde registriert zu haben. Eine viel höhere Dunkelziffer wird angenommen. RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan - Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans) schätzt, dass 21% der Ehrenmorde vom Ehemann des Opfers begangen werden. In ungefähr 57% der Fälle waren die Mutter oder andere Verwandte des Ehemannes die Täter. Viele in Ehrenmorde verwickelte Personen bleiben unbekannt.

"Ehre" ist im Falle von Vergewaltigung von zentraler Bedeutung. Im Kontext von Vergewaltigung schreibt die Gemeinschaft eher dem Opfer die Schande zu, als dem Täter. Selbst von der Justiz sehen sich die Opfer oft mit Strafverfolgung wegen des Vergehens des Zina (Ehebruch) konfrontiert. Das EVAW-Gesetz führte zum ersten Mal "Vergewaltigung" als kriminelles Vergehen im afghanischen Gesetz ein. Es bestraft Vergewaltigung mit "dauernder Haft", was weithin als lebenslange Haft interpretiert wird, obwohl das nicht in jedem Fall tatsächlich zutrifft. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe.

Eine verbreitete Form von Gewalt in Verbindung mit einer traditionellen Praktik, ist die Zwangsverheiratung. Dies ist der Fall, wenn Frauen und Mädchen im Alter von 15 Jahren oder jünger ohne ihre Einwilligung (manchmal unter Anwendung von Drohungen oder Gewalt) heiraten müssen, mit dem Ziel, der Heirat entführt oder zum Zweck der informellen Streitschlichtung getauscht zu werden. In Afghanistan ist baad, eine traditionelle Praktik, die den erzwungenen Austausch von Frauen und Mädchen als Bräute zur Beendigung von Blutfehden, zur Schuldentilgung bzw. als Kompensation für kriminelle Handlungen oder persönliche Schädigung zum Nachteil einer anderen Partei oder Familie vorsieht. Auf diesem Weg können Familiendispute geregelt werden, die jedoch im Widerspruch zu den Bestimmungen des afghanischen Gesetzes und internationaler Menschenrechtsstandards stehen. Die Anwendung dieses Gesetzes würde darüber hinaus auch islamischen Rechtsprinzipien entgegenstehen, speziell wenn die Schlichtung die Praxis des baads beinhaltet.

Besonders in ländlichen Gegenden werden weiterhin selbst Verbrechen, welche Gewalt gegen Frauen beinhalten, durch informelle Streitschlichtungsmechanismen geahndet. Und das mit Strafen, die wiederum nachteilig für Frauen sind. Als Konsequenz daraus können etwa Vergewaltigungsfälle durch den Austausch von Frauen beigelegt werden. Frauen und Mädchen, die durch baad verheiratet wurden, werden jedoch selten respektiert, da sie immer mit jenem männlichen Verwandten in Verbindung gebracht werden, für dessen Verbrechen sie ausgetauscht wurden.

Badal ist eine andere Form der Zwangsverheiratung, in welcher der Austausch von Töchtern und Schwestern als Bräute zwischen Familien oder Stämmen stattfindet.

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen. Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung ihres Vaters oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist jedoch unzulässig. Nichtsdestotrotz ist Kinderheirat in Afghanistan weiterhin üblich.

Gemäß Daten, welche von der zentralen afghanischen Statistikorganisation (CSO) und UNICEF zwischen 2000 und 2011 zusammengetragen wurden, sind 20% der afghanischen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren bereits verheiratet, davon sind 15% bereits vor dem 15. Lebensjahr und 46% vor dem 18. Lebensjahr verheiratet. Bildung, Wohlstand und geographische Lage des Haushaltes, in welchem das Mädchen lebt, spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Kinderheirat. Junge Frauen ohne Bildung werden drei Mal häufiger unter 18 Jahren verheiratet, als solche, die über eine Hauptschul- oder höhere Bildung verfügen. Speziell in Zeiten von Krieg und großer Unsicherheit steigt der Prozentsatz der Frühverehelichungen, weil Eltern die Ehre ihrer Töchter gegen Bedrohungen wie Vergewaltigung oder mögliche Zwangsverheiratung mit aufständischen Kommandeuren schützen wollen.

Nach dem EVAW Gesetz sind Personen, die eine Zwangsheirat oder Kinderheirat arrangieren, mit einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren zu bestrafen. Die Umsetzung ist aber weiterhin mangelhaft.

In Afghanistan ist die Mobilität von Frauen ohne männliche Erlaubnis oder Begleitung durch soziale Traditionen eingeschränkt. Unbegleitete Frauen sind gemeinhin nicht gesellschaftlich akzeptiert.

Als letzten Ausweg, in Reaktion auf gegen Frauen gerichtete Gewalt und traditionelle Praktiken, laufen Frauen entweder von zu Hause weg oder verbrennen sich in drastischen Fällen sogar selbst. [...]

3. Strafverfolgung und Unterstützung durch das EVAW Gesetz

In Einklang mit dem EVAW-Gesetz, haben Frauen, welche Opfer von Gewalt wurden, das Recht, die Hilfe der Abteilung für Frauenangelegenheiten (Department of Women¿s Affairs - DoWA), der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission (AIHRC), der Polizei oder des Büros der Staatanwaltschaft zu suchen. Je nach Wunsch der Frau vermitteln DOWA, AIHRC bzw. Justizministerium (Department of Huqooq) oder verweisen die Frauen an relevante Einrichtungen (z.B. Frauenhäuser). Diese Institutionen versuchen durch Mediation und Dialog eine Lösung zu finden.

Fehlendes Wissen über ihre Rechte bzw. Analphabetentum schmälern den Zugang von Frauen zur Justiz. Eine Kultur des Nicht-Anzeige-Erstattens von Gewalt an Frauen ist in Afghanistan präsent und wird teilweise von sozialen Normen gefördert, die es den meisten afghanischen Frauen unmöglich machen, einen männlichen Polizisten anzusprechen. Dies führt zu ausbleibender Strafverfolgung und einer Kultur der Straflosigkeit.

Während die Umsetzung des EVAW-Gesetzes mangelhaft ist, gibt es Berichte über Fälle erfolgreicher Strafverfolgung durch die VAW-Einheiten.

Diese erste VAW-Einheit (Violence Against Women - VAW) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft in Kooperation mit der internationalen Rechtsorganisation (International Development Law Organization - IDLO) initiiert und hat ihren Sitz im Büro der Generalstaatsanwaltschaft in Kabul. Die Staatanwälte dieser Einheit erhalten ein spezielles Training in Bezug auf Gender-Fragen. Innerhalb des ersten Jahres ihres Bestehens, verfolgte die Einheit ungefähr 300 Fälle, darunter Misshandlungs- und Vergewaltigungsfälle, und bis zum letzten Monat des ersten Jahres verdoppelte sich die Anzahl der Anklagen. Die Kabuler VAW-Einheit etablierte ein Netzwerk von Unterstützungsdiensten für Gewaltopfer. Diese bieten Hilfe bezüglich Unterkunft, Gesundheit und Bildung. Im April des Jahres 2011 wurde eine zweite VAW-Einheit im Berufungs-Büro der Staatsanwaltschaft der Provinz Herat angesiedelt.

2012 wurden 1.352 Beschwerden wegen Verstößen gegen das EVAW-Gesetz an die VAW-Einheiten herangetragen. Dies deutet einen signifikanten Anstieg gegenüber den 500 registrierten Fällen im Jahr 2011 an. Die Provinzdirektionen für Frauenangelegenheiten orten darin eher eine gesteigerte Wahrnehmung des Themas Frauenrechte, als eine Zunahme der Gewalt gegen Frauen. Ein großer Teil dieser Beschwerden wurde durch Familien-Mediation gelöst. Die Kabuler VAW-Einheit brachte 38 Fälle vor Gericht und erlangte 28 Verurteilungen, die restlichen 10 Fälle endeten mit Freisprüchen.

Landesweit sind 355 Ermittler der sogenannten "Female Response Unit" in 146 Büros aktiv. Diese sind zum Großteil mit Polizistinnen besetzt, die Gewalt und Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Familien behandeln. Polizistinnen sind darauf trainiert Opfern häuslicher Gewalt zu helfen, jedoch, werden sie durch Vorschriften behindert, die verlangen, dass man warten muss, bis sich das Opfer von selbst meldet. Frauen in der afghanischen Polizei und in zivilen Positionen im Innenministerium bieten Vermittlung und Ressourcen zur zukünftigen Vermeidung von häuslicher Gewalt an.

4. Frauenhäuser

Frauen auf der Suche nach Hilfe in Fällen von häuslicher Gewalt, müssen dies oft außerhalb ihres Heimes und ihrer Gemeinschaft tun. Laut UNICEF, gab es 2012 14 Frauenhäuser im Land. Etwa 40% ihrer Bewohnerinnen waren unter 18 Jahre alt.

Laut Human Rights Watch (HRW) ist die Zahl der Frauenhäuser 2013 auf 18 angestiegen. Das USDOS (United States Department of States) zählt 21 formelle und informelle Frauenhäuser. Seit internationale Bemühungen zu einem Ausbau der Kapazitäten geführt haben, hat sich der Zugang für Frauen zu Frauenhäusern gesteigert. In Kabul wurde eine Zunahme der Vermittlungen an Frauenhäuser durch die Polizei registriert, was auf ein verbessertes Training und Bewusstseinsbildung der afghanischen Polizei hindeutet. Nichtsdestotrotz gibt es nicht genügend Frauenhäuser für den existierenden Bedarf. Manche der 34 Provinzen in Afghanistan haben kein einziges Frauenhaus, vor allem im konservativen Süden des Landes. Aufgrund des Platzmangels in Frauenhäusern, werden in manchen Fällen Frauen zu ihrer eigenen Sicherheit in Schutzgewahrsam genommen. Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, müssen in den Frauenhäusern bleiben, da "unbegleitete" Frauen gesellschaftlich nicht akzeptiert sind.

Die Frauenhäuser sind gänzlich von der Finanzierung durch internationale Geber und Regierungen abhängig. Laut HRW hat die afghanische Regierung kein Interesse gezeigt, Frauenhäuser durch das Regierungsbudget zu finanzieren. Jedoch verlautbarte die afghanische Regierung im Jahr 2011, alle Frauenhäuser nationalisieren zu wollen und sie unter die Leitung des Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MOWA) zu bringen. Menschenrechts-NGOs arbeiteten gemeinsam mit dem Ministerium, um die vorgeschlagene Nationalisierung zu stoppen. Durch eine endgültige Regelung über die Frauenhäuser, unterstehen diese dem MOWA, es erlaubt aber den NGOs, sie weiterhin zu betreiben.

Gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber Frauenhäusern existieren. Im Jahr 2012 stellte sogar der afghanische Justizminister Frauenhäuser mit "Häuser der Prostitution und Immoralität" gleich. Nach Protesten von Frauenrechtsgruppen, entschuldigte er sich später für seine Bemerkungen.

[...]"

1.4.10. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren Afghanistans vom 18.09.2017:

"[...] Kleidungs-und Kopftuchvorschriften in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat variieren erheblich. Dies gilt auch für die Erwartungen, die an Frauen bezüglich ihrer Bekleidung gestellt werden. Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung -diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper-oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten. [...]

[...] Obwohl Frauen seit dem Fall des Taliban-Regimes in 2001 eine größere Rolle im öffentlichen Leben übernommen haben, ist die Burka weiterhin in vielen Teilen des Landes verbreitet. Dabei wird die Burka von vielen als "importiertes" Phänomen gesehen. Selbst Historiker bestätigen, dass die Burka erst relativ "jung" in Afghanistan verwurzelt ist. So ist sie erst vor hundert Jahren aus Indien nach Afghanistan gekommen. Viele afghanische Frauen geben jedoch an, dass das Tragen der Burka ihnen ein Gefühl von Sicherheit bietet, vor allem vor männlicher Belästigung. Ein im Artikel zitierter Verkäufer von Burkas aus Herat erklärt jedoch, dass -seiner Erfahrung nach -Frauen die Burka nicht aus ihrem eigenen Willen tragen, sondern von männlichen Verwandten, wie dem Ehemann oder Schwiegervater, dazu gezwungen werden. Was genau die "angemessene" Form von sittsamer Kleidung für Frauen sei wird vielmehr von islamischen Rechtsgelehrten seit Jahrhunderten debattiert. Maulawi Sayed Husain Husaini, zum Beispiel, erklärt, dass aus den religiösen Texten selbst nicht hervorgeht, das die Burka als ultimative Form des "hijabs" zu verstehen sei [Anmerkung der Staatendokumentation: im Qur'an wird der Begriff "hijab" zwar erwähnt, wie dieser jedoch zu verstehen sei ist seit jeher Gegenstand lebhafter Debatten unter Religionsgelehrten. Wörtlich bedeutet "hijab" nur "Bedeckung", was genau bedeckt werden muss ist Gegenstand von Interpretation und Diskussion]

[...] die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen -rechtlich, beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen, und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt. [...]

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Es trifft Frauen aber auch im Arbeitskontext: So sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt. Insbesondere durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, das "Eliminating Violence Against Women (EVAW) Gesetz, im Jahre 2009 wurde eine wichtige Grundlage geschaffen, Gewalt gegen Frauen -inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt -unter Strafe zu stellen. Das durch Präsidialdekret erlassene Gesetz wird jedoch besonders außerhalb der Städte weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern steht weiterhin aus und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden. [...]

Gleichzeitig ist es für viele Frauen immer noch sehr schwierig, außerhalb des Bildungs-und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten [...]

Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter. Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet. Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht. Eine Erhebung des zuständigen Ministeriums von 2006 zeigt, dass über 50 % der Mädchen unter 16 Jahren verheiratet wurden und dass 60-80 % aller Ehen in Afghanistan unter Zwang zustande kamen. [...]

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre.

[...]

[...] afghanische Frauen sind in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie haben jedoch mit mannigfaltigen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel-und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen. Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen. [...]"

1.4.11. Übersetzung der Seiten 108-111 des EASO COI Report-Updates betreffend die Sicherheitslage in Afghanistan aus Mai 2018:

Aufständische in Logar

Laut einer BBC Studie aus Jänner 2018 haben die Taliban eine "hohe" aktive und physikalische Präsenz im Großteil der Provinz (die Distrikte wurden zumindest zweimal in der Woche attackiert), außer in Azra ("mittel", der Distrikt wurde zumindest dreimal in einem Monat attackiert) und Khoshi ("niedrig", dieser Distrikt wurde zumindest einmal in drei Monaten attackiert).

Talibankämpfer sind in etlichen Distrikten der Provinz aktiv. Auch dem Haqqani-Netzwerk wird eine Präsenz in Teilen der Provinz nachgesagt und vermutet, dass sie Angriffe in Logar starten. Im März 2017 hat die ISKP versucht junge Männer in der Provinz Logar zu rekrutieren.

Regierungsfreundliche Kräfte und militärische Operationen in Logar

Militärische Operationen werden in der Provinz regelmäßig ausgeführt; dabei wurden Talibananführer und Mitglieder des Haqqani-Netwerkes getötet. Luftangriffe werden durchgeführt, dabei wurden Aufständische getötet. Es finden Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften statt.

Jüngste Sicherheitstrends und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

Da Logar nahe zu den äußeren Bezirken von der Stadt Kabul ist, gab es schwere Kämpfe zwischen den Taliban und den Sicherheitskräften.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Logar 148 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 81 Verletzte) registriert. Dies bedeutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen und Luftangriffen. Obwohl die Gefechte in Logar 2017 stiegen, sank in der Provinz die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven: 35 zivile Opfer (11 getötete Zivilisten und 24 Verletzte). Dies bedeutet einen Rückgang von 66% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In einer Einteilung des UNOCHA nach "Konflikt Schweregrad" im Jahr 2017, welche drei Indikatoren - nämlich Sicherheitsvorfälle, zivile Opfer und Umsiedelungen aufgrund des Konfliktes - kombiniert, wurden die zentralen Distrikte Logars (Pul-e Alam, Baraki Barak und Charkh) in die zweit höchste Kategorie und Mohammad Agha in die Kategorie darunter gestuft. Azra, Khoshi und Kharwar sind hingegen in die zweit niedrigste Kategorie eingeteilt worden.

Von 1.01.2017 bis 31.03.2018 wurden laut Aufständischen 140 Zwischenfälle in der Provinz Logar durchgeführt. So habe es vier Vorfälle betreffend zivile Opfer (9 getötete Zivilisten und 15 Verletzte) gegeben.

Im Jänner 2018 haben die Taliban ein ALP-Mitglied geköpft und angeblich seinen Kopf auf einen Pflock gesetzt mit einer Drohung an andere ALP-Mitglieder sollten sie die ALP nicht verlassen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten der Beschwerdeführer, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in Strafregisterauszüge und in Auszüge aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Bruders des Erstbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Unterlagen (betreffend BF 1:

Kopie der Tazkira samt Übersetzung; Kopie des Führerscheins samt Übersetzung und Echtheitsbestätigung der afghanischen Botschaft in Wien; Kopie des Schulzeugnis der letzten drei Schulklassen; Abschlusszeugnis des Bildungsministeriums; ÖSD Zertifikat Prüfung Deutsch A1 bestanden; Konvolut an Teilnahmebestätigungen und Unterstützungsschreiben; betreffend BF 2: Teilnahmebestätigung am Vortrag "Gemeinsam Sicher" vom 09.08.2017; Teilnahmebestätigung am Vortrag "Sammlung und Trennung von Rest- und Wertstoffen vom 23.03.2017; Deutschkursteilnahmebestätigung vom 21.06.2018;

betreffend BF 3: Kopie der Tazkira [ident mit W252 2171599-1 - BF 3 AS 47]; Bestätigung Integration in Fußballverein vom 10.06.2018;

Schulnachricht Schuljahr 2017/18 vom 09.02.2018; Pensenbuch des Schuljahr 2017/18; Jahresinformation Schuljahr 2017/18 vom 29.06.2018; Schulbesuchsbestätigung Schuljahr 2016/17 vom 30.06.2017 [ident mit BF 3 AS 50]; Jahreszeugnis Schuljahr 2015/16 vom 01.07.2016 [ident mit BF 3 AS 49]; Schulnachricht Schuljahr 2016/17 vom 10.02.2017; betreffend BF 5: Auszug aus dem Geburtseintrag [ident mit W252 2171600-1 - BF 5 AS 5-7]; Geburtsurkunde [ident mit BF 5 AS 3]; Mitteilung der Anerkennung der Vaterschaft vom 21.09.2016) sowie durch Einsichtnahme in die Stellungnahme vom 09.08.2018.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:

2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

2.1.2. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, ihrem Lebenslauf (die traditionelle Heirat des Erst- und der Zweit-beschwerdeführerin, die (fehlende) Schulausbildung des Erst- und der Zweitbeschwerde-führerin) gründen sich auf den diesbezüglich im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und übereinstimmenden Aussagen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, weshalb das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung hat, an diesen zu zweifeln.

Dass die Beschwerdeführer Dari als Muttersprache sprechen, ergibt sich aus den Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung (BF 1 AS 65; BF 2 AS 81; OZ 11, Sitzung 5). Sofern in der Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin als Muttersprache Farsi/Persisch festgehalten wurde (BF 1 AS 1; BF 2 AS 1), geht das Gericht davon aus, dass es sich um ein Missverständnis handelt.

2.1.3. Dass der Erstbeschwerdeführer aus der Provinz Logar stammt ergibt sich aus seinen diesbezüglich gleichgebliebenen Angaben (BF 1 AS 61, 103; OZ 6, Sitzung 21). Dass die Zweitbeschwerdeführerin aus der Stadt römisch 40 stammt und nach ihrer Heirat zu ihrem Mann in die Provinz Logar gezogen ist, ergibt sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben beim Bundesamt (BF 2 AS 93). In der Beschwerdeverhandlung hat sie hingegen angegeben in der Provinz Logar geboren zu sein und dort gelebt zu haben (OZ 6, Sitzung 8). Es entspricht jedoch der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es scheint daher als habe die Zweitbeschwerdeführerin versucht ihre Herkunft aus Kabul zu verschleiern.

Die Feststellung zum Bestreiten des Lebensunterhaltes der Familie durch das Betreiben eines eigenen Lebensmittelgeschäfts und der Ausübung der Tätigkeit als Schuster durch den Erstbeschwerdeführer ergibt sich aus den diesbezüglich im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin (BF 1 AS 101; BF 2 AS 95; OZ 6, Sitzung 9, 21). Sofern der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung lediglich angegeben hat, dass er Schuhmacher gewesen sei und sein Lebensmittelgeschäft nicht erwähnt hat, sondern nur angegeben hat, dass er in seinem Geschäft Schuhe repariert habe (OZ 6, Sitzung 21), ist dies aufgrund der Angaben, die er in zeitlich geringerem Abstand zu den Ereignissen und in Übereinstimmung mit der Zweitbeschwerdeführerin gemacht hat, ebenso nicht glaubhaft. Dass die Geschäftsräumlichkeiten lediglich gemietet waren, ergibt sich aus seiner schlüssigen Angabe in der Beschwerdeverhandlung (OZ 6, Sitzung 21).

2.1.4. Die Feststellungen zur Einreise sowie das Datum der Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.1.5. Dass der Erstbeschwerdeführer über einen Bruder und eine Schwester im Iran sowie über eine Schwester in Pakistan verfügt und seine Familie noch über ein Eigentumshaus und Ackerland in Afghanistan verfügt über deren Verbleib weder der Erstbeschwerdeführer noch seine Verwandten Bescheid wissen, stützt sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und seines Bruders (BF 1 AS 101; OZ 6, Sitzung 21, 22, 31; W252 2189511-1 AS 113, 117).

Dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Provinz Ghazni über einen Bruder sowie im Iran über ihre Mutter, einen Bruder und fünf Schwestern verfügt ergibt sich aus ihren diesbezüglich schlüssigen Angaben (BF 2 AS 3; OZ 6, Sitzung 9 f). Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft an, dass sie aufgrund ihrer Ausreise aus dem Iran kein gutes Verhältnis mehr zu ihrer Mutter und deshalb auch keinen Kontakt zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern hat, weil diese nicht wollte, dass die Zweitbeschwerdeführerin nach Europa reist (OZ 6, Sitzung 10). Es ist auch plausibel, dass die Zweitbeschwerdeführerin zwar ein gutes Verhältnis zu ihrem Bruder in Ghazni gehabt hat, aufgrund ihrer Ausreise nach Österreich und dem daraus folgenden schlechten Verhältnis zu ihrer Mutter, jedoch nicht mehr die Telefonnummer ihres Bruders in Ghazni hat (OZ 6, Sitzung 10).

2.1.6. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wonach sie und ihre Kinder gesund sind (BF 1 AS 95; BF 2 AS 89, 91; OZ 6, Sitzung 7, 19) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.1.7. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug jeweils vom 16.07.2018). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer ergibt sich aus ihrer Strafunmündigkeit aufgrund ihres Alters.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Im vorliegenden Verfahren haben die Beschwerdeführer nach ihrer Erstbefragung in der Einvernahme vor dem Bundesamt die Gelegenheit gehabt, ihre Gründe umfassend darzulegen. Der aufgrund dieser Befragung festgestellte Sachverhalt und die Beweiswürdigung finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid. In Anbetracht des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie angesichts der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts, hat dieses auch keine Bedenken gegen die (in der Bescheidbegründung zum Ausdruck kommende) Annahme der belangten Behörde, dass den Beschwerdeführern in ihrem Herkunftsstaat keine konkrete individuelle Verfolgung droht.

2.2.1. Soweit der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vorbrachten, ihnen drohe Lebensgefahr bzw. physische und/oder psychische Gewalt durch die Taliban, weil sie für den Tod eines Talibanmitglieds (mit)verantwortlich gemacht worden seien, kommt ihrem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wurden zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen sind sie jedoch nicht gerecht worden. Sie präsentierten sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung eine bloße Rahmengeschichte, die sie selbst auf mehrfaches Nachfragen kaum mit Details ergänzen konnten. Es ergaben sich viele Widersprüche und Unplausibilitäten, die ihre Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin die Ereignisse jedoch in einer derart widersprüchlichen, unplausiblen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würden, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gaben beim Bundesamt vollkommen vage an, dass der Schwager des Erstbeschwerdeführers Dorfpolizist gewesen sei und dieser für den Tod eines Talibananhängers, der bei einem Kampf zwischen Regierungstruppen und Taliban getötet worden sei, verantwortlich gemacht worden sei. Nachgefragt gaben sowohl der Erst- als auch die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie bzw. ihre Familie nie von Übergriffen durch Taliban betroffen gewesen seien. Der Erstbeschwerdeführer führte weiter aus, dass er aber von Drohungen gehört habe. So habe sein Nachbar ihm gesagt, dass es sein könnte, dass die Taliban als nächstes seine Familie töten würden (BF 1 AS 103; BF 2 AS 95). In der Beschwerde-verhandlung führte der Erstbeschwerdeführer hingegen aus, dass sein Schwager ihm mitgeteilt habe, dass die Taliban "uns alle" [Anm. BVwG: wohl gemeint den Beschwerdeführer, seinen Schwager und seinen Bruder samt den jeweiligen Familien] töten würden. Er führte weiter aus: "[...] Er hat uns mitgeteilt, dass die Taliban glauben, dass die Taliban von uns an die Arbaki Polizei verraten worden seien bzw. sie glaubten, dass wir diese Informationen der Arbaki weitergegeben haben. [...] Wir wurden alle mit dem Tod bedroht. Die Taliban glaubten, dass es unsere Schuld sei, weil einer der Taliban beim Gefecht getötet wurden. [...]" (OZ 6, Sitzung 26). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer dies nicht bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt ausgeführt hat, zumal sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen wäre, bereits im behördlichen Verfahren ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer damit versucht, seinem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen.

Es fällt auf, dass der Erst-und die Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt angegeben haben, dass der Ehemann der Schwester des Erstbeschwerdeführers, somit sein Schwager, Dorfpolizist gewesen sei (BF 1 AS 103; BF 2 AS 95). Der Bruder des Erstbeschwerdeführers gab beim Bundesamt hingegen an, dass sein Cousin bei der lokalen Polizei tätig gewesen sei und dieser ein Talibanmitglied tödlich verletzt habe (W252 2189511-1 AS 121, 133). In der Beschwerdeverhandlung gaben der Erstbeschwerdeführer und sein Bruder nunmehr gleichlautend an, dass es sich bei dem genannten Dorfpolizisten sowohl um ihren Cousin als auch um den Ehemann ihrer Schwester, somit ihren Schwager, gehandelt habe (OZ 6, Sitzung 26, 35). Während in der Beschwerdeverhandlung der Erstbeschwerdeführer jedoch angab, dass dieser römisch 40 heiße (OZ 6, Sitzung 26), gab sein Bruder an, dass der Name ihres Cousins und Schwagers römisch 40 sei (OZ 11, Sitzung 34). Absolut lebensfremd ist, dass der Erstbeschwerde-führer und sein Bruder nicht übereinstimmend den Namen ihres Cousins und Schwagers nennen konnten.

Weiters fällt auf, dass Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angegeben hat, dass zuerst, ca. fünf Tage nach dem Vorfall, sein Schwager geflüchtet sei. Danach sei sein Bruder samt dessen Familie geflüchtet. Dieser sei noch vor den Beschwerdeführern nach Österreich gereist. Danach seien dann die Beschwerdeführer aus ihrem Heimatdorf geflüchtet. Es sei ca. 10 Tage nach dem Gefecht zwischen der Lokalpolizei und den Taliban gewesen (BF 1 AS 103, 105). Der Bruder des Erstbeschwerdeführers hat beim Bundesamt hingegen angegeben noch am gleichen Tag als das Gefecht zwischen den Taliban und der Lokalpolizei stattgefunden habe mit seiner Familie sowie dem Erstbeschwerdeführer und dessen Familie aus seinem Heimatdorf geflüchtet zu sein (W252 2189511-1 AS 135). In der Beschwerdeverhandlung gaben der Erstbeschwerdeführer und sein Bruder hingegen gleichlautend an, dass sie lediglich ein paar Stunden nach dem Gefecht ihr Heimatdorf verlassen hätten (OZ 6, Sitzung 26, 34 f). Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung jedoch an, dass sie mit ihrer Familie zwei Tage nach dem Gefecht zwischen den Taliban und der Lokalpolizei das Gebiet verlassen habe [Anm. BVwG:

wohl gemeint ihr Heimatdorf, zumal sie weiter ausführte, dass sie 3 oder 4 Tage nach dem Vorfall Afghanistan verlassen hätten] (OZ 6, Sitzung 17).

Das Gericht geht aufgrund der derart vagen und widersprüchlichen Aussagen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin sowie dem Bruder des Beschwerdeführers davon aus, dass es sich beim Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer lediglich um ein auswendig gelerntes Konstrukt handelt. Die Angaben der Beschwerdeführer zu den Bedrohungen durch die Taliban sind daher nicht glaubhaft.

Soweit die Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung vorbrachte, dass ihre Familie Drohbriefe von den Taliban erhalten habe und der Erstbeschwerdeführer in seinem Geschäft von den Taliban aufgesucht worden sei (OZ 6, Sitzung 16, 18), muss sie sich eine Steigerung ihres Vorbringens vorwerfen lassen, die ihr diesbezügliches Vorbringen insgesamt in Zweifel zieht. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt Ausführungen zum Erhalt von Drohbriefen und der persönlichen Drohung gegenüber dem Erstbeschwerdeführer durch die Taliban tätigte, zumal sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen wäre, bereits im behördlichen Verfahren ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Zudem ist absolut nicht nachvollziehbar, dass der Erstbeschwerdeführer der von der Drohung durch die Taliban in seinem Geschäft persönlichen sowie auch von den Drohbriefen betroffen gewesen sei, dies weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung ansatzweise erwähnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es ist daher davon auszugehen, dass die Zweitbeschwerdeführerin damit versucht hat, ihrem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen.

Es konnte daher weder festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer Drohbriefe von den Taliban erhalten haben noch, dass der Erstbeschwerdeführer persönlich von den Taliban aufgefordert worden ist, die Adresse seines Cousins bzw. Schwagers zu verraten.

In einer Gesamtschau des Vorbringens konnte daher nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder andere Personen droht.

2.2.2. Auch darüber hinaus vermochten der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als schiitische Hazara nicht aufzuzeigen:

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben beim Bundesamt angegeben, dass der Zweitbeschwerdeführerin die ärztliche Behandlung während der Schwangerschaft versagt worden sei, weshalb sie ein Kind tot geboren habe (BF 1 AS 107; BF 2 AS 93 ff). In der Beschwerdeverhandlung gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie nicht im Spital aufgenommen worden sei, weil es von einem Angehörigen der Paschtunen kontrolliert worden sei (OZ 6, Sitzung 16). Nachgefragt führte die Zweitbeschwerdeführerin jedoch aus, dass die Ärzte sie nicht aufgenommen hätten, weil sie noch zwei Tage Zeit gehabt habe (OZ 6, Sitzung 17). Zudem sei die Zweitbeschwerdeführerin auch bei den Geburten der Dritt- und Viertbeschwerdeführer im Krankenhaus behandelt worden. Sofern sie diesbezüglich ausführte, dass die Zustände damals nicht so schlimm gewesen seien, sondern dies erst nach der Übernahme der Provinz Logar durch die Taliban so gewesen sei, ist festzuhalten, dass sich die Sicherheitslage betreffend die Präsenz der Taliban in der Provinz Logar nach dem notorischen Amtswissen bereits im Jahr 2011 verschlechtert hat und seither volatil ist. Es ist daher nicht glaubhaft, dass sich die Situation betreffend schiitischer Hazara erst nach der Geburt des Viertbeschwerdeführers im Jahr 2015 verschlechtert hat. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit die Behandlung im Krankenhaus versagt worden ist.

Der Erstbeschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass der Drittbeschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit von anderen Dorfkindern geschlagen worden sei (BF 1 AS 105). Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gaben auch an, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen hätten dürfen und sie gar nicht eingeschult worden seien (BF 1 AS 107; BF 2 AS 95). In der Beschwerdeverhandlung gab der Erstbeschwerdeführer hingegen an, dass sein Kind in der Schule schikaniert worden sei (OZ 6, Sitzung 26). Das Vorbringen der Beschwerdeführer ist daher nicht glaubhaft.

Es fällt auch auf, dass die Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt nicht erwähnt hat, dass ihr Sohn geschlagen worden sei, obwohl sie ausdrücklich nach Übergriffen auf ihre Familienangehörige gefragt worden sei (BF 2 AS 95), in der Beschwerdeverhandlung führte sie jedoch an, dass ihr Sohn auf der Straße geschlagen worden sei (OZ 6, Sitzung 16). Diese Übergriffe auf den Drittbeschwerdeführer seien laut eigenen Angaben des Erstbeschwerdeführers lediglich von anderen Dorfkindern ausgegangen (BF 1 AS 105). Gerade bei Kindern (in Gruppen) kann es häufig zu Gruppenbildungen und Ausgrenzungen einzelner Kinder kommen, was weniger mit einer Diskriminierung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zusammenhängt, sondern ein Phänomen ist, das auch hierzulande häufig vorkommt.

Sofern der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin anführten, dass sie beschimpft, diskriminiert und schikaniert worden seien (BF 1 AS 103; BF 2 AS 93; OZ 6, Sitzung 15 f, 25 f), kann die erkennende Richterin, insbesondere auch in Zusammenschau mit den Länderberichten zum Fehlen entsprechend massiver religiöser und volksgruppenbezogener Diskriminierung (siehe Punkt römisch II.1.3.1. und römisch II.1.3.4. bis römisch II.1.3.6.), den Schluss ziehen, dass die Beschwerdeführer selbst keiner individuell konkret gegen sie gerichteten Verfolgung, sondern lediglich Diskriminierungen aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt gewesen sind.

Hinsichtlich einer behaupteten Gruppenverfolgung der Hazara und Schiiten in Afghanistan wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.

2.2.3. Die Feststellungen zur Zweitbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergeben sich aus den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie dem persönlichen Eindruck, der von der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.

Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

So handelt es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um eine erwachsene Frau, die sich primär um den Haushalt und die Kinder kümmert, was sie auch bisher in Afghanistan getan hat (BF 2 AS 95; OZ 6, Sitzung 13).

Die Feststellung zu den kaum vorhandenen Deutschkenntnissen der Zweitbeschwerde-führerin konnten von der erkennenden Richterin getroffen werden, da die Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen nur teilweise verstanden und lediglich teilweise auf Deutsch beantwortet hat (OZ 6, Sitzung 10). Dass die Zweitbeschwerdeführerin Analphabetin ist, hat sie beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung selbst angegeben (BF 2 AS 1, 97; OZ 6, Sitzung 9). Die kaum vorhandenen Deutschkenntnisse der Zweitbeschwerdeführerin stehen insofern der Glaubhaftmachung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen, als daraus ersichtlich wird, dass sie während der mittlerweile fast dreijährigen Dauer ihres Aufenthaltes in Österreich nur wenige Möglichkeiten ergriffen hat, sich zumindest gefestigte Grundkenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, die es ihr ermöglichen würde, eine zusammenhängende Kommunikation auf einfachem Niveau zu führen. Sofern die Zweitbeschwerdeführerin angab, dass sie den Deutschkurs habe abbrechen müssen, weil ihr Sohn sehr klein gewesen ist und nicht ohne sie sein wollte (OZ 6, Sitzung 11), ist festzuhalten, dass ihr jüngster Sohn bereits vier Monate vor der Beschwerdeverhandlung abgestillt worden ist und er fünf bis sechs Monate vor der Beschwerdeverhandlung anderes Essen und Getränke zu sich genommen hat (OZ 6, Sitzung 25), so dass die Zweitbeschwerdeführerin genug Zeit gehabt hat um sich um einen neuen Deutschkurs zu kümmern.

Die Zweitbeschwerdeführerin benötigt aufgrund ihrer kaum vorhandenen Deutschkenntnisse regelmäßig Unterstützung bei alltäglichen Erledigungen durch andere, sobald sie ihr familiäres Umfeld in Österreich verlässt. So nimmt sie einen Dolmetscher mit zu Besprechungen in der Schule ihrer Kinder (OZ 6, Sitzung 12) und geht weder alleine zum Arzt, noch erledigt sie Behördengänge alleine (OZ 6, Sitzung 13), was der Annahme eines selbstbestimmten Lebens diametral entgegenläuft.

Darüber hinaus wurde in der mündlichen Verhandlung der Eindruck gewonnen, dass die Zweitbeschwerdeführerin sich in Österreich nur innerhalb eines äußerst kleinen Radius bewegt, obwohl es ihr möglich wäre, alleine das Haus zu verlassen und sich frei zu bewegen. So hat sie angegeben, dass sie in ihrer Freizeit zuhause lesen und schreiben übt, sie den Haushalt erledigt und sich um ihre Kinder kümmert. Sie treffe sich auch mit afghanischen Freunden im Park (OZ 6, Sitzung 13) und erledige alleine den Einkauf (OZ 6, Sitzung 15,24). Daraus ist ersichtlich, dass sie hier nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt und sich in Österreich im kleinstmöglichen Umgebungskreis aufhält, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen bzw. sozialen Normen eingeschränkt ist. Gelegentliche Spaziergänge in der näheren Umgebung stellen nach Auffassung des Gerichts für sich genommen eben noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar. Die Zweitbeschwerdeführerin hat in der Beschwerde-verhandlung angegeben, dass sie in ihrer Freizeit schwimmen gehe und einen normalen Bikini wie andere Frauen in Österreich trage (OZ 6, Sitzung 18). Auch der Erstbeschwerdeführer gab an, bei heißem Wetter mit seiner Familie schwimmen zu gehen (OZ 6, Sitzung 27). Da die Zweitbeschwerdeführerin nachgefragt ausführte, dass es dort ein Bad für Kinder geben würde und sie bei ihren Kindern bleibe und auf sie aufpasse (OZ 6, Sitzung 18), geht das Gericht davon aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin lediglich im geschützten Familienverband mit ins Schwimmbad gehe um den Kindern bei heißem Wetter Freizeitaktivitäten zu bieten und um auf sie (im Wasser) aufzupassen. Die Zweitbeschwerdeführerin hat auch selbst angegeben, dass sie lediglich ein bisschen, jedoch nicht sehr gut schwimmen könne (OZ 6, Sitzung 19), weshalb auch daraus ersichtlich ist, dass die Zweitbeschwerdeführerin diesen Freizeitsport nicht von sich aus aktiv betreibt, sondern lediglich im geschützten Rahmen der Freizeitgestaltung ihrer Familie daran teilnimmt.

Auch die von der Zweitbeschwerdeführerin angeführten überschaubaren Kontakte zu österreichischen Bekannten, deren Namen die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht nennen konnte (OZ 6, Sitzung 13), beschränken sich auf gelegentliche Besuche der Zweitbeschwerdeführerin zuhause (OZ 6, Sitzung 13), sodass nicht von nachhaltigen sozialen Kontakten gesprochen werden kann. Zudem bestehen die überschaubaren Kontakte lediglich zu Nachbarn bzw. Personen aus dem Wohnort. Es zeigt sich daher auch hier, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt.

Die Zweitbeschwerdeführerin bringt zwar vor, hier in Österreich selbst als Köchin arbeiten zu wollen. Diese Aussage weicht jedoch erkennbar von ihrer Lebenswirklichkeit ab, zumal die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung weder klare Vorstellungen noch eine konkrete Planung oder eigenes Engagement erkennbar waren (OZ 6, Sitzung 11 f).

Die Zweitbeschwerdeführerin erschien in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in schwarzen Sandalen, einer engen blauen Jeans und einer senfgelben Bluse mit 3/4 Ärmeln. Sie trug eine Armbanduhr, goldene Kreolen und eine Halskette. Ihre Haare waren dunkelblond gefärbt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie war mit einem Alltags-Make Up geschminkt und hatte dunkelrot lackierte Fingernägel.

Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Zweitbeschwerdeführerin ist auszuführen, dass allein das (Nicht-)Tragen eines Kopftuches bzw. auch die Art der übrigen Bekleidung und das Tragen von Make-Up nicht ausreicht, um eine "westliche Orientierung" glaubhaft darzutun. Auch wenn die freie Wahl der äußeren Erscheinung einen Aspekt "westlicher Lebensweise" darstellt, so stellen die oben gewürdigten Aspekte, die die tatsächlich gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung dar als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck von der Zweitbeschwerdeführerin lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" zusammenschauend nicht ableiten, auch wenn sie mit ihrem optischen Auftreten versucht hat, eine derartige Gesinnung zu zeichnen.

Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um eine in ihrer Grundeinstellung "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstatt unterliegen würde.

Zusammenfassend ergibt sich, dass die Zweitbeschwerdeführerin eine "westliche Orientierung", der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert hat. Die Zweitbeschwerdeführerin ist eine zum Entscheidungszeitpunkt in hohem Maße unselbständige Frau, ohne gefestigte Deutschkenntnisse, deren Lebensführung in Österreich sich insgesamt nicht wesentlich von jenem unterscheidet, welches sie über Jahre in Afghanistan führte (Haushaltsführung und Kinderbetreuung). Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise", die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, nicht ableiten.

2.2.4. Eine persönliche Bedrohung, die sich gezielt gegen die Drittbis Fünftbeschwerdeführer gerichtet hätte, haben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht.

Bei den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern handelt es sich um einen achtjährigen, einen dreijährigen und einen fast zweijährigen Buben. Sie sind in Afghanistan bzw. in Österreich geboren und würden gemeinsam im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

Das Bundesverwaltungsgericht geht auch nicht davon aus, dass unmündigen Minderjährigen dieses Alters eine eigene politische Gesinnung im Zusammenhang mit einer "westlichen Lebensweise" zugesonnen werden kann.

Die Möglichkeit eines Schulbesuches ist insbesondere in der Provinz Logar, der Herkunftsprovinz des Erstbeschwerdeführers und dem letzten Anknüpfungspunkt ihrer Eltern in Afghanistan, gegeben. Da - wie aus den oben angeführten Länderberichten hervorgeht - in Afghanistan Schulpflicht besteht und in Logar ein Schulangebot faktisch auch vorhanden ist, zumal der Erstbeschwerdeführer selbst zwölf Jahre die Schule in Logar besucht hat vergleiche Abschlusszeugnis des Erstbeschwerdeführers; BF 1 AS 1, 101). Der Zugang zu diesem Schulangebot ist auch grundsätzlich möglich und die Eltern der Dritt- bis Fünfbeschwerdeführer sind auch willig die Bildung ihrer Kinder zu fördern (siehe dazu BF 1 AS 9, 107, BF 2 AS 99).

Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan ist auszuführen, dass aus den Länderinformationen hervorgeht, dass diese unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, Zugang zu Schulbildung und Kinderarbeit nachteiliger Behandlung ausgesetzt sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung" darstellen. Die erwähnte Benachteiligung beruht primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer leben im Familienverband mit ihren Eltern. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Dritt- bis Fünftbeschwerde-führer bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gewalt oder Kinderarbeit ausgesetzt wären. Ebenso ist zu erwarten, dass die Eltern ihre Kinder auch vor spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen schützen würden.

2.2.5. Soweit in den Stellungnahmen vom 09.08.2018 die Einholung eines Sachverständigen-gutachtens durch Dr. RASULY zur objektiven Überprüfung der Authentizität der Angaben der Beschwerdeführer beantragt wurde, ist Folgendes anzumerken:

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (so zB VwGH 08.11.2016, Ra 2016/09/0096, mwN).

Es liegt im Wesen der freien Beweiswürdigung, dass Beweisanträge nicht mehr berücksichtigt werden müssen, wenn sich die Verwaltungsbehörde bzw. das Gericht auf Grund der bisher vorliegenden Beweise ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltsmomente machen konnte (VwGH 14.10.2009, 2008/12/0203; vergleiche auch Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Manz Kommentar, Rz 65 zu Paragraph 52, AVG, mit weiterführenden Hinweisen auf die Judikatur).

Aufgrund der ins Verfahren eingebrachten Länderberichte vergleiche insbesondere Punkt römisch II.1.4.5. bis römisch II.1.4.10.) und der mangelnden Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers war das Bundesverwaltungsgericht bereits in der Lage, sich ein klares Bild vom relevanten Sachverhalt zu machen. Der Beschwerdeführer vermochte daher mit seinem Antrag keine Verpflichtung zu weiteren Ermittlungen auszulösen. Der entsprechende Beweisantrag war daher abzuweisen.

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Herkunftsprovinz Logar ergeben sich aus den o.a. Länderberichten vergleiche Pkt. römisch II.1.4.1. und römisch II.1.4.11.). Daraus geht unter anderem hervor, dass Logar zu den volatilen Provinzen Afghanistans zählt. In Logar haben heftige Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften stattgefunden. Im Jahr 2017 gehörte Logar zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge. Talibankämpfer sind in einigen Distrikten aktiv. Es werden regelmäßig militärische Operationen und Luftangriffe durchgeführt.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr bzw. Ansiedlung der Beschwerdeführer in außerhalb ihrer Herkunftsprovinz gelegenen Landesteilen, insbesondere in der Stadt Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, ergeben sich aus den o.a. Länderberichten vergleiche Punkt römisch II.1.4.1. und römisch II.1.4.4.) unter Berücksichtigung des von den Beschwerdeführern in der Beschwerde angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen (Punkt römisch II.1.1.).

Nach den o.a. Länderfeststellungen ist die Sicherheitslage in der Stadt Kabul aktuell zwar prekär, was sich insbesondere in Angriffen auf afghanische sowie US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisationen, Restaurants und Hotels äußert. Jedoch behält die afghanische Regierung nach wie vor die Kontrolle über die Stadt Kabul und größere Transitrouten. Die sichere Erreichbarkeit der Stadt Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ist durch den örtlichen Flughafen gewährleistet.

Dass die Wohnraum- und Versorgungslage angespannt ist ergibt sich aus den Länderberichten, wonach in Kabul zwar an sich Wohnraum zur Verfügung steht, es jedoch eine erhebliche Anzahl an Rückkehrern gibt, sodass die Lage angespannt ist. Auch gibt es nicht genügend Arbeitsplätze. Ebenso stellt sich die Lage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif dar.

Dass der Erstbeschwerdeführer nicht mit einer Unterstützung durch seinen im Iran lebenden Bruder rechnen kann, ergibt sich daraus, dass dieser bereits die Ehefrau und die Kinder des in Österreich lebenden Bruders des Erstbeschwerdeführers versorgt und die Situation für diese im Iran schwierig ist, sie jedoch auskommen (OZ 6, Sitzung 32). Das Gericht geht daher davon aus, dass es dem im Iran lebenden Bruder des Beschwerdeführers nicht möglich ist zusätzlich zur Ehefrau und den Kindern des Bruders des Erstbeschwerdeführers, den Erstbeschwerdeführer und dessen Familie zu unterstützen.

Da auch kein gutes Verhältnis zu den im Iran lebenden Familienangehörigen der Zweitbeschwerdeführerin besteht und sie keinen Kontakt zu ihrem Bruder in Ghazni hat, ist auch von den Familienangehörigen der Zweitbeschwerdeführerin mit keiner finanziellen Unterstützung zu rechnen.

Der Erstbeschwerdeführer ist zwar gesund und arbeitsfähig und verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung mit Maturaabschluss sowie über Berufserfahrung als selbständiger Geschäftsbetreiber. Er hat jedoch durch die Aufgabe seines Geschäfts die Lebensgrundlage verloren und muss in Afghanistan nicht nur für sich, sondern auch seine Ehefrau und seine drei minderjährigen (Klein)Kinder sorgen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist Analphabetin und kann über keinerlei Berufsausbildung oder - erfahrung aufweisen. Sie hat drei Kinder, darunter zwei Kleinkinder im Alter von drei bzw. zwei Jahren zu betreuen.

Das Gericht geht daher aufgrund dieser Umstände davon aus, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif mangels sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte, und Unterstützung durch Familienangehöriges sowie aufgrund der Aufgabe des Lebensmittelgeschäftes des Erstbeschwerdeführers und mangels Unterkunftsmöglichkeit infolge Neuansiedelung in diesen Städten, Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich und ihre minderjährigen Kinder nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die den Länderfeststellungen vergleiche Punkt römisch II.1.4.) zu Grunde liegenden Berichte wurden den Beschwerdeführern mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt bzw. in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebracht. Den Beschwerdeführern wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass aufgrund dieser Berichte die Feststellungen zu ihrem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Ihnen wurde die Möglichkeit gegeben in die Länderberichte Einsicht zu nehmen und allenfalls dazu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführer sind den Länderberichten mit Stellungnahme vom 09.08.2018 jedoch nicht substantiiert entgegengetreten.

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Spruchpunkt römisch eins. - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist vergleiche VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2. Es konnten weder eine konkrete individuelle Verfolgung noch sonstige Umstände festgestellt werden, aufgrund welcher die Beschwerdeführer in ihrem Heimatland physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt waren oder ihnen derartiges bei einer Rückkehr in ihr Heimatland droht.

3.3. Auch eine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit der Beschwerdeführer zu den schiitischen Hazara konnten die Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen (siehe Punkt römisch II.2.2.2.).

In Ermangelung von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Hazara oder zur Religionsgruppe der Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wären.

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:

Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara vergleiche insb. Punkt römisch II.1.4.5. bis römisch II.1.4.7.) erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet, sodass die Angriffe keine spezifische Verfolgung schiitischer Muslime darstellen, sondern auf die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen zurückzuführen sind.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Es ist daher eine Gruppenverfolgung - sowohl in Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben.

3.4. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.

Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).

Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Aus diesem Grund ist etwa das Revisionsvorbringen, die Erstrevisionswerberin könne im Falle einer Rückkehr nach Kabul - ohne männliche Begleitung - nicht mehr den Freizeitsport Nordic Walking ausüben, für sich betrachtet jedenfalls kein Grund, ihr asylrechtlichen Schutz zu gewähren. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte vergleiche idS VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388). In diesem Sinne ist auch die rechtliche Argumentation des BVwG zu verstehen, der Bruch mit den gesellschaftlichen Normen des Heimatlandes muss "deutlich und nachhaltig" erfolgt sein (VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im Jänner 2016 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Heimatlandes brechen würde.

Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Infolgedessen verletzt die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

3.5. Hinsichtlich der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer konnte eine begründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK, insbesondere im Zusammenhang mit einem (zukünftigen) Wunsch nach Schulbildung und einem selbstbestimmten Leben, nicht festgestellt werden, dies insbesondere, weil es sich um unmündige Minderjährige im Alter von acht bis fast zwei Jahren handelt und ihnen ein Aufwachsen im afghanischen Normensystem zumindest unter dem Aspekt des Fehlens einer drohenden asylrelevanten Verfolgung zumutbar wäre. Für eine asylrelevante Verfolgung der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer spezifischen Situation als Kinder gab es auch keine Anhaltspunkte im Verfahren. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist somit weder aufgrund des Vorbringens des Erst- oder der Zweitbeschwerde-führerin noch sonst eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im Verfahren hervorgekommen.

3.6. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt werden konnten, liegen die Voraussetzungen des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG nicht vor.

Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide waren daher gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Spruchpunkt römisch II.- Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

3.2.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095; 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

3.2.2. Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG) offen steht. Dies ist gem. Paragraph 11, Absatz eins, AsylG dann der Fall, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8, Absatz eins, AsylG) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerberin zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (Paragraph 11, Absatz 2, AsylG).

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Artikel 3, EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung daher dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (Paragraph 11, AsylG). Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden vergleiche Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, Paragraph 11, AsylG 2005, K15).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016 mwN).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Artikel 3, EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096).

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016 mwN).

3.2.3. Der EGMR geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien ist es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammenhalts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Landflucht verursacht worden ist, ist aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (VfGH 13.09.2013, U 370/2012 mit Verweis auf EGMR, 13.10.2011, Fall Husseini, App. 10.611/09, Ziffer 96 ;, 09.04.2013, Fall H. und B., Appl. 70.073/10 und 44.539/11, Ziffer 45 und 114).

Bei der Einzelfallprüfung hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Übersiedlung nach Kabul kommt den Fragestellungen, ob der Asylwerber bereits vor seiner Flucht in Kabul gelebt hat, ob er dort über soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder ob er auch ohne solche Anknüpfungspunkte seinen Lebensunterhalt derart sichern kann, dass er nicht in eine Artikel 3, EMRK widersprechende, aussichtslose Lage gelangt, maßgebliches Gewicht zu vergleiche dazu VfGH 13.03.2013, U 2185/12; 13.03.2013, U 1416/12; 06.06.2013, U 241/2013; 07.06.2013, U 2436/2012; 12.06.2013, U 2087/2012; 13.09.2013, U 370/2012; 11.12.2013, U 2643/2012).

Der Umstand, dass es sich um eine Familie mit zwei Kleinkindern handelt, erfordert dabei - vor allem im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten - besondere Berücksichtigung vergleiche VwGH vom 08.03.2005, 2003/01/0640).

3.2.4. Betreffend die auch im vorliegenden Fall in Rede stehende Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan nahm der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein willkürliches Vorgehen des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes an, wenn diese das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul für afghanische Asylwerber bejaht hatten, obwohl die Betroffenen nie in der Stadt Kabul gelebt und dort keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte hatten (s. u.a. VfGH 06.06.2013, U 2666/2012; 07.06.2013, U 2436/2012; 13.09.2013, U 370/2012; 23.02.2017, E 1197/2016; 22.09.2017, E 240/2017). In der jüngsten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist jedoch ein Abgehen des Verfassungsgerichtshofes von dieser zuvor bestehenden Judikaturlinie erkennbar (s. VfGH 12.12.2017, E 2068/2017). Seitens des Verfassungsgerichtshofes wurde auch betont, dass es im Falle der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten Feststellungen dahingehend bedarf, dass der Asylwerber auf sicherem Weg in seine Herkunftsregion bzw. in den sonst in Betracht kommenden Zielort gelangen könnte (s. z.B. VfGH 19.11.2015, E 707/2015).

Auch der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Beschwerdeführer konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert nämlich im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

Vor diesem Hintergrund führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass - auf Basis der in dem zugrundeliegenden Erkenntnis getroffenen Feststellungen - nicht von vornherein erkennbar sei, weshalb ein Fremder durch mangelnde tragfähige Beziehungen und mangelnde Ortskenntnisse in afghanischen Großstädten trotz Vertrautheit mit den kulturellen Gegebenheiten und der Sprache in eine Situation ernsthafter individueller Bedrohung seines Lebens kommen sollte vergleiche VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 - der dortige Beschwerdeführer, ein Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, hatte noch nie in der Stadt Kabul gelebt, hatte keine Familienangehörigen in der Stadt Kabul und verfügte darüber hinaus auch über keine finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten durch Familienangehörige von außen; s. weiters u.a. VwGH 20.09.2017, Ra 2016/19/0209; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

3.2.5. Für den vorliegenden Fall ist daher Folgendes festzuhalten:

3.2.5.1. Der Beschwerdeführer stammen aus der Provinz Logar, welche sich - den Länderberichten zufolge vergleiche Punkt römisch II.1.5.1 und römisch II.1.5.9.) -als volatil darstellt. So haben heftige Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften in Logar stattgefunden. Im Jahr 2017 gehörte Logar zu den Provinzen mit der höchsten Anzahl registrierter Anschläge. Talibankämpfer sind in einigen Distrikten aktiv. Es werden regelmäßig militärische Operationen und Luftangriffe durchgeführt.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Artikel 3, EMRK drohen würde.

3.2.5.2. Die Beschwerdeführer können nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan, den Länderberichten vergleiche Punkt römisch II.1.4.) - in Zusammenschau mit den von den Beschwerdeführern glaubhaft dargelegten persönlichen Lebensumständen vergleiche Punkt römisch II.1.1.) - aus folgenden Gründen auch nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in außerhalb der Provinz Logar gelegene Landesteile Afghanistans, wie insbesondere in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, verwiesen werden:

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Länderfeststellungen nicht verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Kabul nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren hat. Darüber hinaus ist Kabul eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens sicher erreichbare Stadt. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Artikel 3, EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich - wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist. Die Sicherheitslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif stellt sich entsprechend jener in Kabul dar.

Vor dem Hintergrund eines in den vergangenen fünf Jahren aus verschiedenen Gründen erfolgten massiven Einbruchs der afghanischen Wirtschaft stellt sich in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum insbesondere für Familien mit Kleinkindern und ohne familiären oder sonstigen sozialen Rückhalt sowie ohne finanzielle Unterstützung nur unzureichend dar, weshalb diese mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert und in ernste Versorgungsschwierigkeiten und eine akute Gefährdung ihres Überlebens geraten werden. Der Zugang zu Arbeit, Wohnraum und sonstigen überlebenswichtigen Ressourcen erfolgt in Afghanistan in der Regel über bestehende Kontakte und Netzwerke. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ist dennoch zumindest grundlegend gesichert.

Beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen, gesunden Mann mit etwa zwölfjähriger Schulbildung und Maturaabschluss bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Erstbeschwerde-führer hat den Lebensunterhalt durch das selbständige Betreiben eines Lebensmittelgeschäftes und der Tätigkeit als Schuster bestritten. Die Geschäftsräumlichkeiten waren jedoch lediglich gemietet. Es ist in diesem Zusammenhang auch maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Neuansiedelung in einer der Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif sowie wegen der Aufgabe seines Geschäftes bei einer Rückkehr nach Afghanistan seine bisherige Tätigkeit in dem Lebensmittelgeschäft nicht ausüben und keinerlei Besitztümer aufweisen könnte. Auch auf das Haus bzw. Ackerland seiner Familie in Afghanistan kann der Beschwerdeführer nicht zurückgreifen, da er nicht weiß was damit geschehen ist.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um eine junge, gesunde Frau, bei der die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Jedoch ist in diesem Zusammenhang demgegenüber maßgeblich zu berücksichtigen, dass sie Analphabetin ist und keinerlei Berufsausbildung und -erfahrung vorweisen kann. Ins Gewicht fällt auch, dass die Zweitbeschwerdeführerin drei Kinder, darunter zwei Kleinkinder im Alter von drei und zwei Jahren zu betreuen hat und daher im Falle einer Rückkehr zumindest zu Beginn noch keiner Erwerbstätigkeit wird nachgehen können. Auch hätte es die Zweitbeschwerdeführerin besonders schwer als Frau in Afghanistan, die weder über eine Schulnoch Berufsausbildung oder Berufserfahrung verfügt, eine Erwerbstätigkeit zu finden.

Ins Gewicht fällt auch, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan über keine familiären Anknüpfungspunkte oder andere soziale Beziehungen verfügen. Es lebt zwar nach wie vor ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin in Ghazni, zu diesem hat sie jedoch keinen Kontakt.

Eine Ansiedelung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin in Kabul, Mazar-e Sharif, Herat oder einer anderen größeren Stadt - ohne familiäre oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte - ist nicht zumutbar, zumal der Erstbeschwerdeführer für seine Familie, bestehend aus seiner Ehefrau und seinen drei minderjährigen Kindern sorgen muss, die alle auf den Erstbeschwerdeführer angewiesen sind, weil auch die Zweitbeschwerdeführerin über keinerlei Besitztümer oder Einkommen verfügt und - wie soeben ausgeführt - aufgrund ihrer fehlenden Schul- und Berufsausbildung und der Betreuung von drei Kindern, darunter zwei Kleinkindern, auch keiner Arbeit in Afghanistan wird nachgehen können. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin würden samt ihren Kindern bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, selbst für den Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten, weil die Familie auch nicht über eine vorläufige Wohnmöglichkeit oder die nötigen finanziellen Mittel für eine Ansiedelung in einer Stadt oder ein vorläufiges Einkommen in Afghanistan verfügt.

3.2.5.3. Ein wie von UNHCR in den - unter Punkt römisch II.1.4.2. - angeführten Richtlinien für die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechender gesicherter Zugang zu Unterkunft, wesentlichen Grundleistungen (z.B. sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung) und Erwerbsmöglichkeiten ist daher nicht ersichtlich; die Beschwerdeführer verfügen auch über keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte in Kabul, Herat oder Mazer-e Sharif oder finanzielle Unterstützung. Die von UNHCR dargelegten "bestimmten Umstände", nach welchen es alleinstehenden leistungsfähigen Männern oder verheirateten Paaren im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten möglich sein kann, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbaner Umgebung zu leben, sind im Falle der Beschwerdeführer aus den dargelegten Gründen daher nicht gegeben.

3.2.5.4. Aus einer Gesamtschau des o.a. Länderberichtsmaterials vermag das Bundesverwaltungsgericht daher keine Möglichkeit zu erkennen, die Beschwerdeführer auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan zu verweisen. Dieser Annahme stehen - insbesondere vor dem Hintergrund der die Beschwerdeführer individuell betreffenden Umstände - auch nicht die übrigen in das Verfahren eingeführten Länderberichte entgegen.

3.2.6. Den Beschwerdeführern würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht in Betracht kommt. Es ist damit - angesichts des von den Beschwerdeführern getätigten Vorbringens - dargetan, dass ihre Abschiebung eine Verletzung in ihren Rechten nach Artikel 3, EMRK darstellen würde.

Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins und 2 AsylG) und der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin andererseits unbescholten sind (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 3, AsylG).

3.2.7. Im vorliegenden Fall liegt bezüglich der Verfahren des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin und ihren Kindern - den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern - ein Familienverfahren iSd Paragraph 34, AsylG vor. Da dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, ist gemäß Paragraph 34, Absatz 3, AsylG auch den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weil keine Umstände hervorgekommen sind, die unter einen der Tatbestände des Paragraph 34, Absatz 3, Ziffer eins bis 4 AsylG zu subsumieren wären.

Der Beschwerde ist daher hinsichtlich des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG sowie hinsichtlich der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG stattzugeben.

3.3. Spruchpunkt römisch III. - Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung:

Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte den Beschwerdeführern mit vorliegendem Erkenntnis den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr zu erteilen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2018:W252.2171599.1.00