Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

06.07.2018

Geschäftszahl

W261 2175828-1

Spruch

W261 2175805-1/14E

W261 2175825-1/13E

W261 2175830-1/12E

W261 2175828-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1. römisch 40 , geb. römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan

2. römisch 40 , geb. römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

3. mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , vertreten durch ihre Mutter, römisch 40 , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

4. mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , vertreten durch seine Mutter, römisch 40 , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

alle bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, jeweils gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom

1. 05.10.2017, Zl. XXXX

2. 05.10.2017, Zl. XXXX

3. 05.10.2017, Zl. XXXX

4. 05.10.2017, Zl. XXXX

nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 25.04.2018 zu Recht:

A)

römisch eins. Der Beschwerde der römisch 40 wird stattgegeben und römisch 40 wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

römisch II. Den Beschwerden von römisch 40 , mj. römisch 40 und mj. römisch 40 wird stattgegeben und römisch 40 , mj. römisch 40 und mj. römisch 40 wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 , mj. römisch 40 und mj. römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Gang des Verfahrens:

Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (in der Folge BF2), beide afghanischer Staatsbürger, reisten nach ihren Angaben am 23.10.2015 gemeinsam mit ihrer minderjährigen ehelichen Tochter, der Drittbeschwerdeführerin (in der Folge BF3), ebenfalls afghanische Staatsbürgerin, und mit der Familie des BF2, bestehend aus seinen Eltern und fünf Brüdern, irregulär in Österreich ein und stellten einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Erstbefragungen von BF1 und BF2 fanden am 25.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadt- und Bezirkspolizeipolizeikommandos römisch 40 , Polizeiinspektion römisch 40 statt.

BF1 und BF2 gaben durch ihre bevollmächtigte Vertreterin der belangten Behörde am 12.06.2017 (einlangend) die Geburt des Viertbeschwerdeführers (in der Folge BF4), eines afghanischeren Staatsbürgers, bekannt, und stellten am 20.06.2017 als gesetzliche Vertreter für diesen einen Antrag auf Durchführung eines Familienverfahrens und beantragten, diesem denselben Schutz zu gewähren, wie seinen Eltern.

Am 24.08.2017 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten (in der Folge belangte Behörde oder BFA) die Ersteinvernahme von BF1 und am 30.08.2017 die Ersteinvernahme des BF2, je im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari durch.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 05.10.2017 wies diese jeweils in den Spruchpunkten römisch eins die Anträge auf internationalen Schutz ab. In den Spruchpunkten römisch II wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. In den Spruchpunkten römisch III erteilte die belangte Behörde den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. In den Spruchpunkten römisch IV legte die belangte Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Mit jeweiligen Verfahrensanordnungen vom 06.10.2017 stellte die belangte Behörde den BF die juristische Person Verein ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe amtswegig als Rechtsberater zur Seite. Mit Verfahrensordnung vom selben Tag wies die belangte Behörde die BF darauf hin, dass diese verpflichtet seien, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

Gegen diese Bescheide brachten die BF, alle bevollmächtigt vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH mit Eingaben vom 02.11.2017 jeweils fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und legten eine Vertretungsvollmacht vor.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden der BF samt den Aktenvorgängen jeweils mit Schreiben vom 03.11.2017 dem BVwG zur Entscheidung vor, wo diese am 08.11.2017 einlangten.

Das BVwG holte 23.04.2018 Strafregisterauskünfte der BF ein, wonach BF1 und BF2 in Österreich strafrechtlich unbescholten sind.

Am 25.04.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt, zu der BF1 und BF2 gemeinsam mit ihrer Rechtsvertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH erschienen. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil.

Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung führten die BF im Wesentlichen das aus, was sie bereits vor der belangten Behörde aussagten und legten eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Länderinformationen zu Afghanistan, im Besonderen zur Situation von Frauen in Afghanistan vor, und räumte sowohl den BF als auch der belangten Behörde, der die Niederschrift im Anschluss an die mündliche Beschwerdeverhandlung samt allen Beilagen vom BVwG übermittelt wurde, die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Die BF gaben mit Eingabe vom 16.05.2018, bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingswerk gem. GmbH, eine Stellungnahme ab, worin sie insbesondere zur Situation von Frauen in Afghanistan und zur Sicherheit- und Versorgungslage in Afghanistan ausführten. Die belangte Behörde äußerte sich nicht zum bisherigen Ermittlungsergebnis.

Die belangte Behörde übermittelte am 02.07.2018 ein von der BF1 an diese gesandtes Zertifikat über die erfolgreiche Absolvierung des Deutschkurses Niveau A1 vom 02.05.2018 zur Kenntnis.

Laut den am 03.07.2018 vom BVwG eingeholten Speicherauszügen aus dem Betreuungsinformationssystem befinden sich alle BF laufend in der vorübergehenden Grundversorgung.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu den Spruchpunkten A)

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern

BF1 führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 im Dorf römisch 40 , im Distrikt römisch 40 in der Provinz Herat und ist Afghanische Staatsbürgerin. BF1 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

BF1 besuchte in Afghanistan elf Jahre lang die Grundschule. Nach ihrer Verlobung mit BF2 brach sie die Schule ab. Sie lebte nach der Hochzeit zuerst gemeinsam mit BF2 in deren Heimatdorf und in weiterer Folge gemeinsam mit ihrem Mann, BF2, seinen Eltern und fünf seiner Brüder für ca. ein Jahr im Iran in römisch 40 . Sie war im Iran nicht berufstätig.

Die Eltern von BF1 heißen römisch 40 und römisch 40 . BF1 hat einen jüngeren Bruder und sieben Schwestern. Die Eltern und die Geschwister von BF1 leben nach wie vor Dorf römisch 40 , im Distrikt römisch 40 in der Provinz Herat, wo sie Eigentümer eines Hauses samt kleinem Geschäft und einigen Grundstücken sind.

BF1 absolvierte am 28.11.2017 den Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds. In der Zeit vom 17.11.2017 bis 02.02.2018 nahm BF1 an Deutsch-Lerngruppen im Rahmen von "Treffpunkt Deutsch", organisiert vom Österreichischen Integrationsfonds, teil. Sie besucht seit 23.03.2018 eine Caritas Einrichtung "Karitatives Stricken". BF1 nimmt regelmäßig am Sportangebot "Fit & Fun" für Frauen im römisch 40 in römisch 40 ebenso teil, wie am Frauensprachcafe in der Pfarre römisch 40 . BF1 nimmt seit 27.02.2018 an dem vom Europäischen Sozialfonds finanzierten Projekt "Auf dem Weg", Begleitung, Beratung, Unterstützung und Qualifizierung von (bildungs-) benachteiligten, ausgegrenzten jungen Frauen in ein selbstbestimmtes Erwerbsleben im Mädchenzentrum in römisch 40 teil. BF1 bestand die Prüfung "ÖSD Zertifikat A1" am Prüfungszentrum in römisch 40 am 02.05.2018.

BF1 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

BF2 führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 Dorf römisch 40 römisch 40 , im Distrikt römisch 40 in der Provinz Herat und ist Afghanischer Staatsangehöriger. BF2 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

BF2 besuchte zwölf Jahre lang die Grundschule und studierte ein Jahr lang Ingenieurwesen an der Universität in römisch 40 .

Die Eltern des BF2 heißen römisch 40 römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ) und römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ). BF2 hat insgesamt sechs Brüder, wovon fünf Brüder, römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ), römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ), römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ), römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ) und römisch 40 (IFA Zahl römisch 40 ), ebenfalls in Österreich als Asylwerber leben. Sein ältester Bruder, römisch 40 , und seine drei Schwestern leben nach wie vor in der Provinz Herat. Sein ältester Bruder hat einen eigenen LKW, mit welchem er den Lebensunterhalt seiner Familie verdient. Zwei der drei Schwestern des BF2 sind verheiratet und als Lehrerinnen an einer Schule in römisch 40 tätig, die dritte Schwester ist ledig, wohnt bei ihrem Bruder im Heimatdorf und hat ihr Studium bereits abgeschlossen.

BF2 nimmt am Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses teil und hat bereits das zweite der drei Semester besucht und schon einige Prüfungen absolviert. BF2 arbeitete im Kalenderjahr 2016 insgesamt 87 Stunden entgeltlich für die Gemeinde römisch 40 . BF2 ist in der Reservemannschaft des GSC römisch 40 Fußball. BF2 hat der ÖSD Zertifikat für Deutsch A1.

BF2 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

BF1 und BF2 haben am 14.10.1392 (das ist am 04.01.2014), in Afghanistan traditionell geheiratet. Der Ehe entstammen die mj. Tochter, BF3, und der mj. Sohn, BF4.

Die mj. BF3 führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 in römisch 40 , Iran und ist Afghanische Staatsangehörige. BF3 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. BF3 ist in Österreich noch nicht strafmündig.

Der mj. BF4 führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 in römisch 40 , Österreich und ist Afghanischer Staatsangehöriger. BF4 gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. BF4 ist in Österreich noch nicht strafmündig.

Die Muttersprache der BF ist Dari.

Alle BF sind gesund.

Alle BF befinden sich in der laufenden Grundversorgung.

1.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

BF1 und BF2 haben gemeinsam mit den Eltern des BF2 und seinen fünf Brüdern aufgrund von Streitigkeiten mit der Dorfbevölkerung des Dorfes römisch 40 römisch 40 im Zusammenhang mit Geräten, die von einer internationalen Organisation für eine Konditorei im Haus des Vaters von BF2 zur Verfügung gestellt wurden, Afghanistan in Richtung Iran verlassen. Die Familie lebte dort für ca. ein Jahr, bevor sie weiter nach Europa flüchtete.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder wegen ihrer politischen Überzeugung, ausgesetzt waren oder aktuell ausgesetzt wären.

Die BF1 ist eine Frau, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie trägt ihr Haar bewusst offen und mit einem losen Schal bedeckt und ist ansonsten westlich gekleidet. Die Beschwerdeführerin führt in Österreich ein freies, selbstbestimmtes Leben, wobei sie zudem plant, in Zukunft auch außerhalb ihres Heimes als Frisörin berufstätig zu sein. Die finanzielle Haushaltsführung obliegt in der Familie der BF der BF1. Die BF nimmt seit November 2017 laufend an diversen Kursangeboten, die ihr eine Integration und in weiterer Folge eine berufliche Selbständigkeit ermöglichen sollen, teil. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.

Die BF stellten am 23.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen sind oder nach denen ein Ausschluss der BF zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der aktuellen Fassung vom 30.01.2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

"...

3. Sicherheitslage

...

3.13 Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel, Ghorian, Guzra und Pashtoon Zarghoon, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba, Kurkh, Kushk, Gulran, Kuhsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirker zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna, Farsi, und Chisht-i-Sharif als Bezirke dritter Stufe (o.D.q). Provinzhauptstadt ist Herat City, mit etwa 477.452 Einwohner/innen (UN OCHA 26.8.2015; vergleiche auch: Pajhwok 30.11.2016). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.928.327 geschätzt (CSO 2016).

Herat ist eine vergleichsweise entwickelte Provinz im Westen des Landes. Sie ist auch ein Hauptkorridor menschlichen Schmuggels in den Iran - speziell was Kinder betrifft (Pajhwok 21.1.2017).

...

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Herat 496 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in abgelegenen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 2.1.2017; vergleiche auch: RFE/RL 6.10.2016; Press TV 30.7.2016; IWPR 14.6.2014). Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig heilige Orte wie Moscheen an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt um manche Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AAN 11.1.2017).

Das afghanische Institut für strategische Studien (AISS) hat die alljährliche Konferenz "Herat Sicherheitsdialog" (Herat Security Dialogue - HSD) zum fünften Mal in Herat abgehalten. Die zweitägige Konferenz wurde von hochrangigen Regierungsbeamten, Botschafter/innen, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten und Repräsentanten verschiedener internationaler Organisationen, sowie Mitgliedern der Presse und der Zivilgesellschaft besucht (ASIS 17.10.2016).

...

16. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vergleiche auch: Max-Planck-Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

...

16.2 Tadschiken

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

...

17. Frauen

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Bildung

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max-Planck-Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule, wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24-jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vergleiche auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vergleiche auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurden Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täter bei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

Medizinische Versorgung - Gynäkologie

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016)

..."

Weiters wird folgender Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 festgestellt:

"...

7. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen

Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.

Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichtegemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.

Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). Das im August 2009 verabschiedete Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge der politische Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend wird es Berichten zufolge nicht vollständig durchgesetzt, insbesondere nicht in ländlichen Gebieten. Die überwiegende Mehrheit der Fälle der gegen Frauen gerichteten Gewaltakte, einschließlich schwerer Straftaten gegen Frauen, wird immer noch nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen statt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern. Durch Entscheidungen gemäß diesen Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanierung und Ausgrenzung ausgesetzt.

Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere diskriminierende Bestimmungen für Frauen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.

Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.

a) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. Dazu gehören Ehrenmorde, Entführung, Vergewaltigung, erzwungene Abtreibung und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zu Abtreibungen gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie sind häufige Gründe dafür, dass Überlebende sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht anzeigen. Gleichzeitig werden weiterhin Fälle von Selbstverbrennung aufgrund von häuslicher Gewalt gemeldet.

Behörden leiten nach wie vor die meisten Anzeigen wegen häuslicher Gewalt zur Entscheidung an traditionelle Institutionen zur Streitbeilegung weiter. Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs ("zina") oder des "von zu Hause Weglaufens". Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Klage zu erheben und haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben.

Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt. Polizistinnen sind Berichten zufolge selbst der Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz einschließlich Vergewaltigungen durch männliche Kollegen ausgesetzt. Sie sind außerdem durch gewaltsame Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gefährdet.

Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.

b) Schädliche traditionelle Bräuche

Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:

römisch eins. "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie einer Familienschuld verkauft werden;

römisch II. baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;

römisch III. baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;

römisch IV. Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.

Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, da diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.

Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch, wie oben festgestellt, langsam und inkonsistent.

c) Zusammenfassung

Je nach den Umständen des Einzelfalls ist UNHCR der Auffassung, dass bei Frauen, die den folgenden Kategorien unterfallen, wahrscheinlich ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht:

a) Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind;

b) Überlebende schädlicher traditioneller Bräuche sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind; und

c) Frauen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen (siehe Abschnitt römisch III.A.8).

Je nach den Umständen des Einzelfalls kann bei dieser Personengruppe ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (die als "Frauen in Afghanistan" definiert ist), aufgrund ihrer Religion, ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen.

..."

2. Beweiswürdigung

2.1 Zu den Beschwerdeführern

Die Angaben der persönlichen Verhältnisse der BF ergeben sich aus dem Akt, insbesondere auch aus der persönlichen Einvernahme von BF1 und BF2 vor dem BVwG am 25.04.2018. Das erkennende Gericht erachtet diese Angaben der BF als glaubhaft. Die Feststellungen zur Identität der BF dienen ausschließlich zur Identifikation dieser Personen im Asylverfahren.

Die Feststellungen zu den jeweiligen Verwandten der BF1 und des BF2 gründen sich auf deren glaubhaften Angaben bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG. vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seiten 7 ff und 15ff)

Das individuelle Vorbringen von BF1 und BF2 hinsichtlich ihrer Lebensumstände in Afghanistan bzw. im Iran sind glaubhaft.

Die Feststellungen zu den Kursen, die BF1 und BF2 in Österreich absolvierten bzw. absolvieren, ergeben sich aus den von ihnen vor der belangten Behörde und bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegten unbedenklichen Urkunden.

Die Feststellung, dass die BF gesund sind ergibt sich aus den diesbezüglichen Angaben von BF1 anlässlich der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seite 4), bzw. daraus, dass hinsichtlich der minderjährigen Kinder der BF1 und des BF2 kein Vorbringen hinsichtlich allfälliger gesundheitlicher Beeinträchtigungen von deren Eltern erstattet wurde.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der BF gründet sich auf die vom BVwG eingeholten Strafregisterauszüge. Die Feststellung, dass alle BF sich laufend in der vorübergehenden Grundversorgung befinden, basiert auf die vom BVwG eingeholten Auszüge aus dem Betreuungsinformationssystem.

2.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Nach den übereinstimmenden Angaben der BF1 und des BF2 ist zutage getreten vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seiten 13ff und 20 ff), dass der unmittelbare Anlass für die Ausreise aus Afghanistan die Schwierigkeiten, die der Vater des BF2 mit Dorfbewohnern im Zusammenhang mit Geräten für eine Konditorei, welche von einer internationalen Organisation zur Verfügung gestellt wurden, um auch Frauen eine Berufsmöglichkeit im Heimatdorf der BF zu ermöglichen, war. Es ist grundsätzlich glaubhaft, dass diese Schwierigkeiten letztendlich dazu führten, dass die Eltern des BF2 sich entschlossen, Afghanistan zu verlassen.

Sowohl BF1 als auch BF2 gaben selbst sowohl in deren Ersteinvernahmen am 24.08.2017 (BF1) und am 30.08.2017 (BF2) vor der belangten Behörde vergleiche Verfahren BF1, AS 44, Verfahren BF2 AS 45) in der Beschwerdeverhandlung am 25.04.2018 an, in Afghanistan nie psychisch oder physisch bedroht worden zu sein vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seiten 14 und 23). Keiner der beiden BF brachte von sich aus vor, dass sie bzw. er persönlich aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Rasse, ihrer Religion oder aus politischen Gründen jemals angegriffen worden seien. Daraus ergibt sich, dass nicht festgestellt werden kann, dass die BF aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder wegen ihrer politischen Überzeugung psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt waren oder aktuell ausgesetzt wären.

BF1 fühlte sich nach ihren glaubhaften Angaben in Afghanistan nicht wohl, vor allem, weil es ihr auch nicht möglich war, alleine das Haus zu verlassen. Sie durfte zwar bis zu ihrer Verlobung die Schule besuchen, musste sich aber auf dem kurzen Schulweg als Mädchen auch mit einer Burka verhüllen. Mit dem Zeitpunkt ihrer Verlobung brach die BF die Schule ab, und war in weiterer Folge mehr oder weniger an das eigene Haus gefesselt. Sie durfte sich ihre Kleidung nicht selbst aussuchen, selbst Einkäufe durfte sie nur in Begleitung ihres Mannes erledigen. vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 25.04.2018, Seite 9ff)

Die getroffene Feststellung betreffend die überwiegende Orientierung der BF1 an dem allgemein als "westlich" zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild ergibt sich primär aus dem selbstbewussten, offenen und natürlichen Auftreten der BF1 und ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung am 25.04.2018 vor dem BVwG. BF1 vermochte in der Beschwerdeverhandlung zu überzeugen, dass sie in Österreich nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese aus tiefer Überzeugung ablehnt. Sie hat sich aufgrund ihres Aufenthaltes in Österreich mittlerweile an die Lebensführung ohne religiös-motivierte Einschränkungen angepasst und will sich auch weiterhin anpassen. BF1 hat - auch ihrem äußeren Erscheinungsbild nach - die zugrundeliegenden Werte mittlerweile verinnerlicht und lebt auch danach. Sie genießt es, sich nach ihrem freien Willen zu kleiden, und sich nicht mehr mit einer Burka zu verhüllen. Sie ist eine Frau, die in Österreich alleine außer Haus geht, sich ohne Orientierung an die traditionellen Kleidungsvorschriften ihres Herkunftsstaates kleidet vergleiche Beilage A zur Niederschrift der Beschwerdeverhandlung) und beabsichtigt, in Österreich eine berufliche Selbstständigkeit als Frisörin zu erlangen. Sie ist in der Familie für die finanziellen Angelegenheiten zuständig. vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seite 12) Dies bestätigt auch BF2 im Rahmen der Befragungen durch die erkennende Richterin. vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seite 19). BF1 besuchte einen Deutschkurs und hat die Prüfung für A1 im Mai 2018 erfolgreich abgelegt. Sie kann sich mittlerweile auch in Deutsch verständigen. BF1 und BF2 haben sich die Kinderbetreuung so aufgeteilt, dass auch BF1 Kurse besuchen und ihren Interessen nachgehen kann. BF1 betreibt Sport, sie nimmt regelmäßig am Sportangebot Fit & Fun für Frauen teil vergleiche Beilage ./4 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung)

Das Leben von BF1in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich, die Mutter von zwei Kindern im Alter von vier Jahren und zwei Jahren sind, führen. Es ist die freie Entscheidung der BF1, sich aktuell als Hausfrau um ihre Familie mit zwei Kleinkindern (BF3 und BF4) zu kümmern, wiewohl ihr bewusst ist, dass sie viel lernen muss, um in Zukunft einen Beruf ausüben zu können. vergleiche Niederschrift der Beschwerdeverhandlung Seite 11) Aus all dem ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin als eine Frau anzusehen ist, die in einer Weise lebt, die nicht mit den traditionellen, konservativen Ansichten betreffen die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft übereinstimmt. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Ablehnung der konservativ-islamischen Wertvorstellungen der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihres Aufenthaltes im westlichen Ausland und ihre Anpassung an das hier bestehende Gesellschaftssystem zumindest unterstellt würde.

Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

2.3. Zur Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen und wurden in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.04.2018 erörtert. Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation von Frauen in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Alle Parteien des Verfahrens hatten die Möglichkeit, zu diesen Länderinformationen eine Stellungnahme abzugeben, wovon die BF auch Gebrauch machten.

3. Rechtliche Beurteilung

Einleitend wird festgehalten, dass das Bundesverwaltungsgericht die gegenständlichen Verfahren gemäß Paragraph 39, Absatz 2, AVG aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.

o Zu Spruchpunkt A römisch eins.: Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an BF1:

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht vergleiche VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zu befürchten habe vergleiche u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass BF1in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt wird, dies primär weil sie der sozialen Gruppe der westlich orientierten Frau zuzuordnen ist.

Sie hat glaubhaft dargelegt, dass sie auf Grund ihrer inneren und nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung und wegen ihres Widerstandes gegen die in Afghanistan vorherrschenden Diskriminierungen und Einschränkungen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein würde. Das von der persönlichen Wertehaltung der BF1 überwiegend getragene und als westlich zu bezeichnende Frauen- und Gesellschaftsbild steht im völligen Gegensatz zu der in weiten Teilen Afghanistans immer noch vorherrschenden und durch teils bizarre gesellschaftliche und politisch-religiöse Zwänge gekennzeichneten Lebensweise.

Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan wäre BF1 unter den dargelegten Umständen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendiger Weise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, Zl. 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (zB von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt - wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (zB VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, insbesondere auch in der Hauptstadt Kabul, einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Es ist zu prüfen, ob es BF1 möglich wäre, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen, bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos - trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat - wahrscheinlich ist:

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen, der afghanische Staat kommt somit seinen Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe meist nicht nach. Ausgehend davon kann BF1 nicht mit hinreichender Sicherheit damit rechnen, dass sie angesichts des sie als Frau betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Angesichts der dargestellten Umstände ist im Fall der BF1 daher davon auszugehen, dass sie in Afghanistan den Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat

Bei der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, Zl. 99/01/0197).

Gemäß Artikel 10, Absatz eins, Litera d, Status-Richtlinie gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

o die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

o die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die der BF1 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan drohende Situation als Frau und auf Grund der von ihrer inneren Wertehaltung getragenen und nach außen hin erkennbaren überwiegenden Orientierung am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild, ihrem bisherigen Verhalten sowie ihrer individuellen Lebensumstände in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität ist.

Im Fall der BF1 liegt somit jedenfalls das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, vor vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 20.06.2002, Zl. 99/20/0172, u.a.).

Eine inländische Fluchtalternative würde BF1 unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umstände in Afghanistan in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Verfügung stehen. Zudem hat BF1 bereits den Status der subsidiär Schutzberechtigten, woraus sich ergibt, dass aktuell für das gesamte Gebiet ihres Herkunftsstaates eine Rückkehr für BF1 nicht zumutbar ist.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht noch ein in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde von BF1 stattzugeben und BF1 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

o Zu Spruchpunkt A römisch II.: Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an BF1, BF3 und BF4:

BF2 hat anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 25.04.2018 angegeben, dass er - außer dem geschilderte Vorfall - persönlich nie einer psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt war. Die erfolgte gemeinsame Ausreise der Familie nach Europa steht daher in keinem Zusammenhang mit einer "wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung", wie dies für einen Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erforderlich wäre. Eine Anknüpfung an einen Konventionsgrund liegt bei BF2, trotz seines Vorbringens im Zusammenhang mit dem Streit seines Vaters mit den Dorfbewohnern nicht vor, wie dies die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden bereits richtig erkannt hat.

Dieser Streit, den der Vater der BF mit den Dorfbewohnern führte, beruht auf kriminellen Motiven der Dorfbewohner, welche den Vater der BF dazu bewegen wollten, die von einer internationalen Organisation gesponserten Geräte für die Konditorei zu verkaufen, und den daraus erzielten Erlös widmungswidrig zu verwenden. Der Vater der BF wollte sich an diesen kriminellen Machenschaften nicht beteiligen, weswegen er von den Dorfbewohnern unter Druck gesetzt wurde. Bedingt durch seine Erkrankung an Morbus Parkinson war es ihm nicht möglich, sich entsprechend gegen diese rechtswidrigen Bedrohungen zur Wehr zu setzen, was letztendlich dazu führte, dass die Großfamilie Afghanistan verließ.

Nach ständiger Judikatur des VwGH kann - wie im gegenständlichen Beschwerdefall - eine nur auf kriminellen Motiven beruhenden Verfolgung keinem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen zugeordnet werden. (VwGH 24.02.2004, 2002/01/0085). Die vom erkennenden Gericht dieser Entscheidung zugrunde gelegten Fluchtgründe sind daher nicht geeignet, um BF2 aufgrund dieser Gründe internationalen Schutz zu gewähren.

Für die minderjährigen Kinder (BF3 und BF4) haben deren Eltern keinen eigenen Fluchtgrund geltend gemacht.

Gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 ist jedoch aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7,).

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 ist unter anderem Familienangehöriger, wer

o Ehegatte ist, sofern die Ehe bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat,

o zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges, lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Der unbescholtene BF2, der die Ehe mit BF1 bereits vor der Einreise geschlossen hat und Vater der mj. BF3 und des mj. BF4 ist, ist Familienangehöriger der BF1 i.S.d. Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005; genauso sind die mj. BF3 und der mj. BF4 als ledige, minderjährige Kinder Familienangehörige der BF1.

Da der BF1 - wie oben dargelegt - der Status der Asylberechtigten zu gewähren war, war dieser Status gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 auch dem BF2 und deren gemeinsamen minderjährigen, ledigen Kindern, mj. BF3 und mj. BF4, bei denen keine der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegen, zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war festzustellen, dass den BF2, mj. BF3 und mj. BF4 von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu Spruchpunkt B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2018:W261.2175828.1.00