Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

25.06.2018

Geschäftszahl

W249 2175531-1

Spruch

W249 2175531-1/7E

W249 2175530-1/6E

W249 2175529-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.05.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter römisch 40 , geboren am römisch 40 , diese vertreten durch die römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.05.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seine Mutter römisch 40 , geboren am römisch 40 , diese vertreten durch die römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.05.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin ( römisch 40 , in der Folge BF1) ist verwitwet und die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin ( römisch 40 , in der Folge BF2) sowie des Drittbeschwerdeführers ( römisch 40 , in der Folge BF3).

BF1 stellte für sich und ihre minderjährigen Kinder nach unrechtmäßiger, schlepperunterstützer Einreise am 29.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 31.10.2015 vor der Polizeiinspektion römisch 40 erfolgten Erstbefragung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari gab BF1 im Wesentlichen an, sie sei am römisch 40 in Daikundi, römisch 40 , geboren worden, schiitischen Bekenntnisses und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Sie habe zwei Kinder und sei in der 6. Woche schwanger. Ihr Mann sei im August 2015 an der afghanisch-iranischen Grenze verstorben. BF1 habe in ihrem Herkunftsstaat keine Ausbildung genossen und sei Hausfrau gewesen.

Zur finanziellen Situation befragt führte BF1 an, dass diese in Afghanistan schlecht gewesen sei. Auch jene der Familie sei schlecht. Sie würden dort ein Grundstück besitzen.

BF1 habe vor ca. 1 1/2 Monaten Afghanistan verlassen, und die Reise sei durch sie selbst organisiert worden. Die Kosten dafür hätten für sie selbst und ihre beiden Kinder 8 Millionen Toman betragen.

Zum Fluchtgrund führte BF1 aus, dass sie ihr Heimatland aufgrund der Sicherheitslage in Afghanistan und den finanziellen Problemen verlassen habe. Sie könne dort nicht weiterleben und habe dort nichts, um zu leben.

3. Mit Schreiben vom 28.10.2016 ersuchte BF1 das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) unter Beigabe eines ärztlichen Attestes darum, dass dieses die Geburtsdaten ihrer Kinder richtigstelle. Daraufhin fand eine niederschriftliche Einvernahme von BF1 am 15.11.2016 statt. Die Datenkorrekturen wurden jeweils am 15.11.2016 vorgenommen.

4. BF1 wurde am 18.09.2017 erneut vor dem BFA, Regionaldirektion

römisch 40 , niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legten diese folgende Unterlagen vor:

* Unterstützungsschreiben ("Erklärung") vom 16.08.2017

* Teilnahmebestätigungen an einer Deutsch-Sommerschule für Asylwerber vom 15.09.2017 und an einem Deutschkurs für Asylwerber vom 16.09.2017

* Kopien aus dem Mutter-Kind-Pass

5. Im Rahmen der Befragung vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari führte BF1 an, dass sie in Daikundi, römisch 40 , geboren worden und ca. 24 Jahre alt sei. Sie sei im 2. Monat schwanger gewesen, als sie nach Österreich gekommen sei und habe ihr Kind zur Adoption freigegeben. BF1 habe zwei weitere Kinder und sei verwitwet. In Afghanistan habe sie keine Schule besucht, sie sei Hausfrau gewesen und habe ihrem Mann auf den Feldern geholfen.

Zu den Fluchtgründen befragt gab BF1 im Wesentlichen an, dass die Familie wegen dem Krieg das Land verlassen habe. Ihr Mann sei ständig krank gewesen, und sie hätten ihre Kinder nicht in der schlechten Situation aufwachsen lassen wollen. BF1 und ihr Ehemann hätten Angst gehabt, dass diese entweder Terroristen werden oder selbst von Terroristen getötet werden würden.

BF1 führte zudem an, dass ihr Mann in ein christliches Land gewollt habe, weil es dort gute Ärzte gebe. Er habe sich wegen seines kranken Herzes nach Europa begeben und sei deshalb nicht in Afghanistan geblieben. In Kabul wäre die Behandlung auch nicht besser gewesen, und dort wäre auch nicht die Sicherheit gegeben.

Bei einer Rückkehr habe BF1 Angst, als Mutter von zwei Kindern und alleinstehende Frau nicht menschlich behandelt zu werden. Sie würde als Frau durch die Männer diskriminiert und schlecht behandelt werden. Ihre Kinder hätten dieselben Fluchtgründe.

Zu ihrem Tagesablauf in Österreich befragt sagte BF1, dass sie in einer Pension wohne und von der Grundversorgung lebe. Ihre Kinder würden in die Schule und in den Kindergarten gehen. BF1 habe Deutschkurse absolviert.

6. Das BFA wies mit den in den Sprüchen angeführten Bescheiden vom 28.09.2017 die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) (Spruchpunkte römisch eins.) ab, erkannte jeweils den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG) (Spruchpunkte römisch II.) zu und erteilte jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG bis zum 27.09.2018 (Spruchpunkte römisch III.).

In der Begründung der Bescheide gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben von BF1 wieder und traf Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und der Lage in Afghanistan. Es habe nicht festgestellt werden können, dass diese in ihrem Heimatland von den Taliban oder dem IS verfolgt worden seien. Vielmehr hätte die Familie das Land aufgrund wirtschaftlicher Gründe, wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Ehemannes von BF1 und aus Angst um die Sicherheit der Kinder verlassen.

Beweiswürdigend führte das BFA insbesondere an, dass eine aktuell drohende individuell gegen die Beschwerdeführer gerichtete Gefahr einer Verfolgung im Heimatland nicht glaubhaft gemacht werden habe können.

BF1 erhielt aufgrund einer realen Gefahr einer Verletzung von Artikel 3, EMRK im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, subsidiären Schutz (verwitwete Frau mit zwei Kindern, ohne Schul- und Berufsausbildung). BF2 und BF3 erhielten aufgrund des Paragraph 34, Absatz 3, AsylG den Status von subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt.

7. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 28.09.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG jeweils die römisch 40 als Rechtsberatung zur Seite gegeben.

8. Mit 10.10.2017 wurde die römisch 40 zur rechtsfreundlichen Vertretung von BF1 (und damit BF2 und BF3) bevollmächtigt.

9. Mit Schreiben vom 23.10.2017 erhoben die Beschwerdeführer jeweils fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde. Die Beschwerden brachten im Wesentlichen vor, dass BF1 einer asylrelevanten Verfolgung und Diskriminierung in Afghanistan als Witwe und alleinstehende Frau ausgesetzt sei. Außerdem sei diese westlich orientiert. Aufgrund dieses selbstbestimmten Auftretens wären auch BF2 und BF3 einer Gefahr ausgesetzt. Den Kindern würden zudem aufgrund ihrer Minderjährigkeit kinderspezifische Probleme drohen. Hinzu komme, dass die Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara angehören würden, was bei einer Rückkehr zu Schwierigkeiten führen würde.

10. Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) am 06.11.2017 vorgelegt.

11. Am 30.05.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Das BFA verzichtete mit der Beschwerdevorlage vom 02.11.2017 auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Zuge dieser Verhandlung wurde durch Parteienvernehmung von BF1 in Anwesenheit ihrer Rechtsvertreterin Beweis erhoben.

Vorgelegt wurden dabei von BF1:

* Kursbesuchsbestätigung am Startpaket "SINA" von BF1 vom 17.05.2018

* Schulbesuchsbestätigung von BF3 vom 16.05.2018

* Kindergartenbesuchsbestätigung von BF2 vom 15.05.2018

* ACCORD-Anfragebeantwortung vom 13.10.2017 ("Existenzmöglichkeiten alleinstehender Frauen und Mädchen")

* ACCORD-Anfragebeantwortung vom 26.08.2016 ("Situation von Witwen - Schutz, Arbeit, Wohlfahrtsstrukturen")

12. Die Niederschrift der Befragung von BF1 lautet auszugsweise:

"[...]

BF1 ist mit langärmeliger, oberschenkellanger Bluse sowie Hose bekleidet und trägt ein Kopftuch.

[...]

Zur heutigen Situation:

[...]

R: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF1: Ja.

R: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF1: Nein, ich bin gesund.

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

R: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF1: Ich bin verwitwet.

R: Sind Sie verlobt, oder beabsichtigen Sie, in nächster Zeit zu heiraten?

BF1: Nein.

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Nein.

R: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF1: Mein Mann hatte Grundstücke. Solange er gesund war, haben wir von diesen Grundstücken gelebt. Nachdem er krank wurde, habe ich von den Nachbarn Geld ausgeborgt, um ihn behandeln zu lassen. Die Nachbarn haben dann unsere Grundstücke genommen. Nachdem mein Mann krank wurde, hat er die Entscheidung getroffen, dass wir ins Ausland gehen sollen. Vielleicht wird er dort behandelt. Wir haben die Grundstücke verkauft, und mit einem Teil von diesem Geld haben wir unsere Reise finanziert.

[...]

R: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

BF1: Das war Ende 2015, in den letzten Monaten.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. R stellt diverse Fragen.

R stellt fest, dass BF1 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und bemüht auf Deutsch beantwortet hat.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1: Ich besuche derzeit den Sprachkurs Niveau A 1.2. Diesen Kurs besuche ich seit 04.12.2017. Davor habe ich keinen anderen Kurs besucht.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF1: Derzeit besuche ich einen Sprachkurs.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Abgesehen davon, dass ich den Sprachkurs besuche und meine Kinder in die Schule oder den Kindergarten bringe, habe ich keine andere Beschäftigung.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF1: Ja, zwei Frauen.

R: Leben Sie in Österreich alleine oder mit jemandem zusammen?

BF1: Ich lebe gemeinsam mit meinen Kindern.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach, machen Sie eine Ausbildung?

BF1: Derzeit möchte ich meine Sprachkenntnisse verbessern. Anschließend habe ich vor, die Kochausbildung zu absolvieren oder Schneiderei.

R: Was sind das für Ausbildungen, welche Voraussetzunen brauchen Sie dafür?

BF1: Was soll ich machen? Ich habe mich zwar nicht erkundigt, aber ich muss dafür lernen.

R: Haben Sie schon eine Deutschprüfung abgelegt?

BF1: Nein.

R: Sind Sie selbsterhaltungsfähig (Frage wird erklärt)?

BF1: Nein. Wenn ich die Sprache gelernt habe, sicher.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF1: Nein.

R: Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus?

BF1: Ich verbringe meinen Tag hier sehr gerne.

Anmerkung R: BF1 grinst und lacht bei verschiedenen Fragen auf.

Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich um 06.00 Uhr in der Früh aufstehe, bis 07.00 Uhr in der Früh frühstücken wir. Dann bringe ich meine Kinder in die Schule und in den Kindergarten. Um 08.00 Uhr gehe ich zum Sprachkurs. Dieser dauert bis 11.00 Uhr.

Auf weitere Nachfrage gebe ich an, dass ich um 12.00 Uhr Lebensmittel einkaufen gehe. Dann bereite ich das Mittagessen zu. Dann gehe ich mit den Kindern spazieren, höre Musik und mache meine Hausaufgaben. Ich bereite dann das Abendessen zu. Ich schaue auch, dass meine Tochter ihren Hausaufgaben macht.

R: R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF1: Ich höre Musik.

R: Wie wollen Sie Ihr Leben in Österreich gestalten, wenn Sie den Asylstatus bekämen?

BF1: Ich möchte ein ruhiges Leben in Österreich führen, wenn ich hier bleibe.

R: Was würden Sie sagen, inwiefern sich Ihr Leben in Österreich von dem in Afghanistan hauptsächlich unterscheidet?

BF1: Es gibt einen großen Unterschied. In Österreich gibt es Sicherheit. Man kann sich in Österreich etwas wünschen, für sich selbst und die Kinder. Diese Wünsche können in Österreich in Erfüllung gehen. Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

R: Wer führt in Ihrer Familie den Haushalt?

BF1: Ich selbst.

R: Haben Sie eigenes Geld, über das Sie frei verfügen können?

BF1: Ja, das Geld, das ich vom Sozialamt bekomme, steht mir zur Verfügung.

R: Gehen Sie alleine einkaufen?

BF1: Ich gehe gemeinsam mit meinen Kindern einkaufen.

R: Wer trifft in Ihrer Familie die Entscheidungen?

BF1: Ich.

R: Welche Zukunft stellen Sie sich für Ihre Kinder vor?

BF1: Ich werde mich bemühen, dass Fatima und Ali bis zu ihrem 19. Lebensjahr die Schule besuchen und nicht auf die schiefe Bahn geraten. Meine Kinder sollen hier eine gute Zukunft, eine Ausbildung und eine gute Arbeit haben.

R: Haben Sie konkrete Anhaltspunkte, dass Ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Zwangsheirat drohen würde?

BF1: Ja, sicher.

R: Warum?

BF1: Weil in Afghanistan das Gesetz so ist. Weder ich noch meine Kinder werden ein gutes Schicksal haben.

R wiederholt die Frage, welche konkreten Anhaltspunkte es für eine Zwangsheirat gibt.

BF1: Wenn ich nach Afghanistan zurückkehren würde und die Männer das mitbekommen sollten, dass ich als alleinstehende Frau nach Afghanistan zurückgekehrt bin, würden sie mich mit Gewalt heiraten. Afghanistan ist nicht sicher. In Afghanistan sind Sunniten und Taliban. Die Sunniten belästigen die Schiiten.

[...]

R: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), und wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Nein, mit niemanden mehr.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

R: Sind Sie jemals aufgrund Ihrer Volkszugehörigkeit zu den Hazara oder Ihrer Religionszugehörigkeit zu den Schiiten konkret persönlich bedroht oder verfolgt worden?

BF1: Nein.

R: Wurden Sie jemals von den Taliban oder dem IS persönlich bedroht oder verfolgt?

BF1: In Afghanistan ist Krieg. Viele Schiiten werden getötet.

R: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe?

BF1: Nein.

R: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihre Kinder in Afghanistan einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt sein könnten?

BF1: Ja, sicher werden sie zwangsrekrutiert.

R: Wieso sind Sie dieser Meinung?

BF1: Jetzt nicht, aber in der Zukunft vielleicht. In Afghanistan herrscht Gewalt. Die Regierung entscheidet, dass die Menschen dies und jenes tun müssen. Was die Regierung entscheidet, wird umgesetzt, und die Menschen können nichts dagegen tun.

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF1: Ich habe mein Leben vor dem Feuer gerettet und bin hierher gekommen. Wie kann ich zurückgehen. Ich möchte in Österreich bleiben und nicht nach Afghanistan zurückkehren.

[...]

BFV: Möchten Sie wieder heiraten?

BF1: Nein. Ich habe nicht den Wunsch, nochmals zu heiraten. Ich konzentriere mich auf meine Kinder.

BFV: Wer soll einmal entscheiden, ob und wen Ihre Kinder heiraten?

BF1: Meine Kinder werden das selbst entscheiden.

[...]

R an BF1: Haben Sie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Ihren Kindern der Zugang zu Bildung in Afghanistan verwehrt wäre?

BF1: Ja, weil in Afghanistan gekämpft wird, und die IS sind Räuber. Sie stehlen die Kinder. Diejenigen, die ihre Kinder in die Schule schicken, haben nicht die Hoffnung, dass die Kinder von der Schule zurückkommen werden."

13. Den Beschwerdeführern wurde in der Verhandlung hinsichtlich folgender vorgelegter Berichte zur Situation in Afghanistan die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt:

* Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018)

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016

* Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016

* Auszug aus dem Urteil des EGMR vom 05.07.2016 (EGMR AM/NL, 5.7.2016, 29.094/09)

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017 ("Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren")

14. In der Beschwerdeverhandlung wurde eine Stellungnahme eingebracht. Darin wurde in Bezug auf BF1 nochmals ausgeführt, dass diese westlich orientiert und aufgrund ihrer Stellung als Witwe und alleinstehende Frau in Afghanistan gefährdet sei. Für BF2 gebe es keine Bildungsmöglichkeiten als Mädchen aufgrund der terroristischen Gruppen in Afghanistan. Die Familie als Ganzes sei mit Problemen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara konfrontiert.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

1.1.1. BF1 führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , BF2 den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , und BF3 den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 .

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie sprechen Dari als Muttersprache. BF1 ist die Mutter von BF2 und BF3, deren Vater im August 2015 während der Ausreise an der Grenze zum Iran verstorben ist. Dieser litt an Herzproblemen, was mitunter ein Grund zur Ausreise war (dieser hat sich eine Behandlung in Europa erhofft).

Als BF1 nach Österreich kam, war diese etwa im 2. Monat schwanger. Sie gebar das Kind im Bundesgebiet und gab es daraufhin zur Adoption frei.

Die Beschwerdeführer haben Angehörige in Afghanistan: Als BF1 ungefähr 10 Jahre alt war, ließen ihre in den Iran ziehenden Eltern sie zusammen mit dem Stiefbruder und einer Schwester in Afghanistan auf dem Grundstück, das die Familie besaß, zurück. Diese beiden Angehörigen leben nach wie vor in der Herkunftsprovinz. Weitere Angehörige (Eltern, zwei Brüder und eine Schwester von BF1) wohnen im Iran. Es besteht kein Kontakt.

1.1.2. Die Beschwerdeführer wurden in der Provinz Daikundi, römisch 40 , geboren und blieben dort bis zu ihrer Ausreise nach Österreich.

1.1.3. BF1 besuchte keine Schule und genoss keine Berufsausbildung in ihrem Herkunftsstaat. Sie war Hausfrau und übte keine Erwerbstätigkeit aus. BF1 half ihrem Mann auf den Feldern aus, mit denen die Familie ihren Lebensunterhalt bestritt.

1.1.4. Im August 2015 reisten die Beschwerdeführer von Afghanistan aus über die Türkei, Griechenland und mehrere weitere Staaten nach Österreich. Die Reise wurde durch den Verkauf der Grundstücke der Familie finanziert.

1.1.5. Derzeit lebt BF1 von der Grundversorgung und geht keiner Beschäftigung nach. Sie betätigt sich auch in keinem Verein und geht keiner sportlichen oder kulturellen Aktivität nach. BF1 ist Hausfrau. Sie hat einen Deutschkurs ( römisch 40 , Oktober 2015 bis Oktober 2016) sowie eine Deutsch-Sommerschule ( römisch 40 , 21.07.2017 bis 15.09.2017, je 2 Wochenstunden) besucht und besucht aktuell einen Deutsch-Sprachkurs ( römisch 40 , 15.03.2018 bis 29.06.2018, Niveau A1.2, täglich je 3 Stunden). Sie hat bisher keine Sprachprüfung absolviert und konnte die in der Verhandlung auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen der Richterin großteils verstehen und bemüht auf Deutsch beantworten. BF1 hat Kontakt zu Österreichern (zwei Damen). In ihrer Freizeit hört sie Musik. In Zukunft möchte BF1 eine Kochausbildung absolvieren oder im Schneidereibereich tätig sein, hat sich aber noch nicht informiert, welche Voraussetzungen sie dafür braucht.

BF2 geht in die Schule und BF3 in den Kindergarten.

1.1.6. Die Beschwerdeführer leiden an keiner chronischen oder akuten Krankheit oder anderen Leiden oder Gebrechen.

1.1.7. Im Bundesgebiet befinden sich keine weiteren Familienangehörigen der Beschwerdeführer. Diese sind zudem strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen und einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat

1.2.1. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer konkreten individuellen Verfolgung durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Taliban und IS) ausgesetzt waren oder wären und konnten von ihnen dahingehende asylrelevante Gründe für das Verlassen ihres Heimatstaates nicht glaubhaft gemacht werden.

1.2.2. Die Beschwerdeführer konnten darüber hinaus nicht glaubhaft darlegen, dass ihnen konkret als Angehörige der Volksgruppe der Hazara sowie als schiitische Muslime bzw. dass jedem/r Angehörigen/r der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft Verfolgung droht und konnten somit dahingehende asylrelevante Gründe in Bezug auf Afghanistan nicht glaubhaft machen.

1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF1 wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der verwitweten und alleinstehenden Frauen (ohne männlichen Schutz) konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt bzw. Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan droht und konnten somit dahingehende asylrelevante Gründe in Bezug auf Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden.

1.2.4. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF1 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. BF1 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

Bei BF2 ist keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

1.2.5. BF2 und BF3 haben ihr Vorbringen, dass sie aufgrund der selbstbestimmten Lebensweise ihrer Mutter psychischer und/oder physischer Gewalt bzw. Bedrohung oder Verfolgung bei einer Rückkehr ausgesetzt wären, nicht glaubhaft gemacht.

1.2.6. Es haben sich auch keine Faktoren ergeben, die eine Gefahrenverdichtung in den Personen von BF2 und BF3 aufgrund ihrer Minderjährigkeit darstellen. Diese laufen nicht Gefahr, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.

1.2.7. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF2 und BF3 ein Zugang zur Bildung in Afghanistan (für BF2 insbesondere aufgrund ihrer Eigenschaft als Mädchen) verwehrt wäre.

1.2.8. BF3 hat weiters sein Vorbringen, dass die Gefahr der Zwangsrekrutierung drohe, nicht glaubhaft gemacht.

1.2.9. Es sind auch sonst keine Gründe hervorgekommen, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan einer konkreten individuellen Bedrohung oder Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt waren oder wären.

1.2.10. Die Beschwerdeführer wurden in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatten mit den Behörden ihres Heimatstaates keine Probleme. Sie waren nie politisch tätig und gehörten keiner politischen Partei an.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 30.01.2018

1.3.1.1. Neuste Ereignisse

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vergleiche BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vergleiche NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vergleiche The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vergleiche The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vergleiche Reuters 24.1.2018).

[...]

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

[...]

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vergleiche NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

0. Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

[...]

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vergleiche SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vergleiche SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vergleiche SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

[...]

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

[...]

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vergleiche Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vergleiche Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vergleiche BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vergleiche NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vergleiche BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vergleiche NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

[...]

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vergleiche UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vergleiche BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriffen auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

[...]

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

[...]

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

[...]

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadans (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten, dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vergleiche, BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vergleiche, NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Ein erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vergleiche Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vergleiche SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vergleiche, Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

[...]

KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

[...]

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vergleiche auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

[...]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vergleiche auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vergleiche auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vergleiche auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vergleiche auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vergleiche auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vergleiche auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vergleiche auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vergleiche auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vergleiche auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

[...]

KI vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q1.2017

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

[...]

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

High-profile Angriffe:

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vergleiche auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vergleiche auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

[...]

Taliban

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

Helmand

Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vergleiche auch: Khaama Press 11.4.2017). Auch das afghanische Verteidigungsministerium hat Befreiungsoperationen gestartet, die sogenannten Khalid-Operationen in Helmand aus den beiden Distrikten, Garamser und Nad-e Ali heraus (Khaama Press 11.4.2017). Militärischen Quellen zufolge, wurde im Mai eine riesige Kommandozentrale der Taliban im Distrikt Nad-e Ali zerstört (Sputnik News 10.5.2017).

Kunduz

Seit zwei Jahren ist Kunduz Zentrum intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LWJ 9.5.2017); die Stadt Kunduz fiel zweimal bevor die ANDSF und die Koalitionskräfte sie wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten (SIGAR 30.4.2017; vergleiche auch: LWJ 9.5.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).

Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vergleiche auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein - so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vergleiche auch: BBC 8.5.2017).

In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe, in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer, sowie vier Kommandanten, getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vergleiche auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).

[...]

1.3.1.2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vergleiche auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vergleiche Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vergleiche CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vergleiche auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

[...]

1.3.1.3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

[...]

 

1.12.2015 - 15.2.2016

16.2.2016 - 19.5.2016

20.5.2016 - 15.8.2016

16.8.2016 - 17.11.2016

1.12.2015 - 17.11.2016

sicherheitsrelevante Vorfälle

4.014

6.122

5.996

6.261

22.393

Bewaffnete Zusammenstöße

2.248

3.918

3.753

4.069

13.988

Vorfälle mit IED¿s

770

1.065

1.037

1.126

3.998

gezielte Tötungen

154

163

268

183

768

Selbstmordattentate

20

15

17

19

71

(UN GASC 13.12.2016; UN GASC

7.9.2016; UNGASC10.6.2016; UN GASC 7.3.2016; Darstellung durch die Staatendokumentation des BFA)

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vergleiche auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vergleiche auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Al-Qaida

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vergleiche auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vergleiche auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vergleiche auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums, vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis, verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen, im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potentielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus - eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkter Beseitigungsbemühungen, aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen, zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

Zivile Opfer

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge, sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Int. Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden 5 Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015).

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

[...]

1.3.1.3.1. Daikundi

Die Provinz Daikundi ist seit dem Jahr 2014 autonom (UNDP 5.2.2017); davor war sie ein Distrikt der Provinz Uruzgan (Pajhwok. O.D.ac).

Daikundi ist mehr als 400 km von Kabul entfernt, liegt in Zentralafghanistan und grenzt an die Provinzen Ghor, Ghazni, Uruzgan und Helmand (Tolonews 15.11.2016). Administrative Einheiten sind:

die Provinzhauptstadt Nieli, Ashtarly, Khijran, Khedir, Kitti, Miramor, Sang Takh Shahristan und Gizab (Pajhwok o.D.ac). Die Provinz Daikundi ist die zweitgrößte Region, in der Hazara leben; in der Provinz sind dies 86% der Bevölkerung (UNDP 5.2.2017; vergleiche auch:

Die Zeit 5.1.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

468.178 geschätzt (CSO 2016).

Daikundi ist eine gebirgige Provinz mit schwacher Infrastruktur ohne asphaltierte Straßen (Pajhwok 25.3.2015; vergleiche auch: Tolonews 15.11.2016). Die abgelegene Provinz Daikundi in Afghanistan, hat derzeit die einzige amtierende Gouverneurin des Landes (France Soir 1.8.2016).

Gewalt gegen Einzelpersonen

7

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

26

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

8

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

6

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

1

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

48

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2015 wurden in der Provinz Daikundi 48 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Daikundi ist als relativ friedliche Provinz anzusehen, einzig der Distrikt Kijran gilt als relativ unsicher. Dennoch gilt die Provinz für Anrainer/innen als unterentwickelt - viele Gegenden haben wenig oder gar keinen Zugang zu Elektrizität; Gesundheitsleistungen und anderen elementaren Leistungen (Tolonews 15.11.2016; vergleiche auch:

Xinhua 1.10.2016).

Nur in einer Handvoll der 34 Provinzen Afghanistans (wie Balkh, Bamyan, Ghor, Daikundi, Jawzjan und Samangan) stellen die Taliban keine große Bedrohung dar. Die fehlende Mehrheit der Paschtunen erklärt die relative Stabilität dieser Provinzen (Lobe Log Foreign Policy 14.9.2016). [...]

1.3.1.4. Rechtschutz/Justizwesen

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vergleiche auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vergleiche auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vergleiche auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).

[...]

1.3.1.5. Sicherheitsbehörden

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vergleiche auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

Resolute Support Mission

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

[...]

1.3.1.6. Folter und unmenschliche Behandlung

Laut afghanischer Verfassung ist Folter verboten (Artikel 29,) (AA 9.2016; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004). Fälle von Folter durch Angehörige der Polizei, des NDS und des Militärs sind nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden zumindest offiziell als Problem erkannt (AA 9.2016; vergleiche OHCHR 11.2.2016).

Generell sind Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr, misshandelt zu werden. In jüngerer Vergangenheit wurden im Zusammenhang mit Häftlingen, die im Zuge des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan festgenommen wurden, grobe Missstände aufgedeckt (AA 9.2016).

Im Jänner 2015, startete Präsident Ghani einen Nationalen Aktionsplan zur Eliminierung von Folter; das dafür zuständige Komitee wurde im Mai 2015 gegründet (HRW 27.1.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Im November 2015, war das Justizministerium dabei ein neues Anti-Folter-Gesetz zu erarbeiten. Von diesem wird erwartet, weitläufige Bestimmungen zur Wiedergutmachung für Folteropfer zu enthalten (OHCHR 11.2.2016). Human Rights Watch zufolge, gab es im Jahr 2016 diesbezüglich keine weiteren Entwicklungen (HRW 12.1.2017).

Artikel 30 der afghanischen Verfassung besagt, dass Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt worden sind, ungültig sind (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Da die Abgrenzung zwischen polizeilicher und staatsanwaltlicher Arbeit nicht immer gewahrt ist, werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte zudem nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger. Schließlich liegt ein zentrales Problem in der Tatsache begründet, dass sich afghanische Richter/innen bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als "Beweismittel" erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung, wodurch sich der Druck auf NDS und Polizei erhöht, ein Geständnis zu erzwingen. Da die Kontrollmechanismen weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig sind, erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Allerdings scheint sich die Lage dieser Häftlinge insgesamt verbessert zu haben: rund 35% der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im UNAMA-Bericht von Januar 2013) (AA 9.2016).

Im Juni 2015 gab der NDS wiederholt Anweisungen betreffend das Folterverbot, speziell zum Erhalt von Geständnissen (HRW 27.1.2016; vergleiche auch AI 24.2.2016).

[...]

1.3.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vergleiche auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet - (AI 24.2.2016).

[...]

1.3.1.8. Haftbedingungen

Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten werden von unterschiedlichen Organisationen verwaltet:

Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), ist verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) sind verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Die Afghan National Police (ANP) unter dem Innenministerium und dem National Directorate of Security (NDS), ist verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Bezirksebene. Das Verteidigungsministerium betreibt die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan und Pul-e-Charki (USDOS 13.4.2016).

Aus dem Bericht der UNAMA, dem eine fast zweijährige Studie (1. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014) in 221 Anstalten in 28 verschieden Provinzen Afghanistans vorrausgegangen war, geht hervor, dass allgemein die Zahl der interviewten Häftlinge, die misshandelt bzw. gefoltert wurden, um 14% niedriger ist als im Vergleichszeitraum (Oktober 2011 bis Dezember 2013). Von den 790 befragten Häftlingen gaben 278 an misshandelt oder gefoltert worden zu sein, was in etwa 35% entspricht (UNAMA 2.2015; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Ein staatliches Komitee führte Interviews, um die im UNAMA-Bericht 2013 vorgebrachten Folteranschuldigungen zu prüfen. Die Feststellungen des Komitees wurden nicht veröffentlicht. Die Regierung hat die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (USDOS 13.4.2016). In einem Fall wurden zwei Beamte des nationalen Geheimdienstes (NDS) aufgrund von Folter strafrechtlich verfolgt (OHCHR 11.2.2016).

Im Juni 2015 erließ der NDS eine Anordnung, in der nachdrücklich auf das Verbot von Folter, insbesondere bei Polizeiverhören, hingewiesen wurde; trotzdem kam es zu Folter und anderen Misshandlungen und Isolationshaft, im afghanischen Strafvollzugssystem (AI 24.2.2016)

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind in den meisten Provinzen ein Problem. Beobachtern zufolge, werden Individuen gelegentlich von Polizei und Staatsanwälten, auf Basis von Handlungen, die nach afghanischem Recht nicht strafbar sind, ohne Anklage inhaftiert (USDOS 13.4.2016; vergleiche AI 24.2.2016). Teilweise auch deshalb, weil das Justizsystem nicht in der Lage ist, die Festgenommenen in gegebener Zeit weiter zu beamtshandeln (USDOS 13.4.2016). Die UNAMA berichtete von Verhaftungen wegen "moralischer" Vergehen, Vertragsbruch, Familiendisputen usw. zum Zwecke des Erhalts von Geständnissen. Beobachter berichten, dass ausschließlich Frauen für "moralische" Vergehen inhaftiert werden (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AI 24.2.2016).

Das Gesetz gewährt einem/r Angeklagte/n das Recht gegen die Untersuchungshaft Einspruch zu erheben und eine Verhandlung in dieser Angelegenheit zu bekommen. Nichtdestotrotz, ist lange Untersuchungshaft ein Problem. Aufgrund fehlender Ressourcen, einer geringen Anzahl an Verteidigern, unerfahrenen Rechtsanwält/innen und Korruption, profitierten viele Häftlinge nicht von allen Bestimmungen der Strafprozessverordnung. Viele Häftlinge werden, trotz Bestimmungen, über die gesetzliche Frist festgehalten, selbst wenn es keine Anklage gibt (USDOS 13.4.2016).

Es gibt Berichte über harte und manchmal lebensbedrohliche Bedingungen und Misshandlungen in öffentlichen Haftanstalten (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AI 24.2.2016). Berichten zufolge, existieren von Mitgliedern der ANDSF privat geführte Gefängnisse, in denen gefoltert und misshandelt wurde (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.9. Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vergleiche USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vergleiche auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Artikel 3, der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vergleiche auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

[...]

1.3.1.9.1. Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9.2016; vergleiche auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9.2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vergleiche auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9.2016).

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

[...]

1.3.1.10. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.10.1. Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz

Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9.2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9.2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9.2016; vergleiche auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

[...]

1.3.1.11. Frauen

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Bildung

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule, wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15-24-Jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täter bei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.11.1. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9.2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9.2016).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016).

Kinderarbeit

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9.2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fällen nahmen die Behörden die Opfer als zu Bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).

Bildungssystem in Afghanistan

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).

[...]

1.3.1.12. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr, die Regierung schränke die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 13.4.2016; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004).

In manchen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In manchen Teilen machen Gewalt von Aufständischen, Landminen und Improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Die Taliban verhängen nächtliche Ausgangssperren in jenen Regionen, in denen sie die Kontrolle haben - Großteiles im Südosten (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.12.1. Meldewesen

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan (DIS 5.2012; vergleiche auch: DW 9.10.2004).

[...]

1.3.1.13. Grundversorgung und Wirtschaft

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vergleiche auch: AA 11.2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11.2016).

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11.2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11.2016).

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11.2016).

Projekte der afghanischen Regierung:

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

[...]

1.3.1.14. Medizinische Versorgung

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 9.2016).

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52, (Max Planck Institute 27.1.2004)].

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9.2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vergleiche auch: AA 9.2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (The World Bank Group 10.2016).

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 9.2016).

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken (WB 2.11.2016). Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2.11.2016). Bei 34% der Geburten war ausgebildetes Gesundheitspersonal anwesend. Schätzungen der UN Population Division zufolge, verwenden 23% der Frauen in gebärfähigem Alter moderne Methoden der Empfängnisverhütung (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016

1.3.2.1. Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen gemäß 1.e (Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen) und 1.i (Frauen im öffentlichen Leben) von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

1.3.2.2. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung

Berichten zufolge werden Fälle von Zwangsrekrutierung Minderjähriger zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.

Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde280 oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.

Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte

Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung von der Rekrutierung Minderjähriger. Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Einhaltung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem 2014 von Parlament und Senat beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) unter Strafe stellte. Trotz der Unterstützung des Aktionsplans seitens der Regierung und trotz der erreichten Fortschritte bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, darunter mangelnde Rechenschaftspflicht für die Rekrutierung von Minderjährigen. Im März 2016 stellte die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte fest, dass zwar deutliche Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans erreicht worden seien, dass die Vereinten Nationen jedoch nach wie vor die Rekrutierung und den Einsatz von Jungen durch die afghanische lokale Polizei (ALP) und die afghanische nationale Polizei (ANP) dokumentierten sowie in einigen Fällen, die den afghanischen nationalen Streitkräften zugeordnet werden.

Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Einheimische zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.

1.3.2.3. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. Dazu gehören Ehrenmorde, Entführung, Vergewaltigung, erzwungene Abtreibung und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zu Abtreibungen gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie sind häufige Gründe dafür, dass Überlebende sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht anzeigen. Gleichzeitig werden weiterhin Fälle von Selbstverbrennung aufgrund von häuslicher Gewalt gemeldet. Behörden leiten nach wie vor die meisten Anzeigen wegen häuslicher Gewalt zur Entscheidung an traditionelle Institutionen zur Streitbeilegung weiter. Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs ("zina") oder des "von zu Hause Weglaufens". Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Klage zu erheben und haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben.

Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt. Polizistinnen sind Berichten zufolge selbst der Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz einschließlich Vergewaltigungen durch männliche Kollegen ausgesetzt. Sie sind außerdem durch gewaltsame Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gefährdet.

Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.

Schädliche traditionelle Bräuche

Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:

(i) "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie einer Familienschuld verkauft werden;

(ii) baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;

(iii) baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;

(iv) Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.

Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, da diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.

Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch, wie oben festgestellt, langsam und inkonsistent.

1.3.2.4. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen

Die Verfassung garantiert, dass Angehörige von anderen Religionen als dem Islam "innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte". Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staats ist und "kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf." Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist. Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen, in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.

Religiöse Minderheiten

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin im geltenden Recht diskriminiert. Wie oben dargestellt gilt gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch das kodifizierte Recht Afghanistans entsprechende Bestimmungen enthalten, die sunnitische Hanafi-Rechtssprechung. Dies gilt für alle afghanischen Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Die einzige Ausnahme bilden Personenstandsachen, bei denen alle Parteien Schiiten sind. In diesem Fall wird das schiitische Recht für Personenstandsachen angewendet. Für andere religiöse Minderheiten gibt es kein eigenes Recht. Nicht-Muslime dürfen Berichten zufolge nur dann untereinander heiraten, wenn sie sich nicht öffentlich zu ihren nicht-islamischen Überzeugungen bekennen.

Das Strafgesetzbuch enthält Bestimmungen für "Straftaten gegen Religionen", denen zufolge Personen, die Angehörige einer jeglichen Religion angreifen, zu einer kurzen Gefängnisstrafe von mindestens drei Monaten und einer Geldbuße verurteilt werden sollen. Ungeachtet dessen erfahren nicht-muslimische Minderheiten Berichten zufolge weiterhin gesellschaftliche Schikanierung und in manchen Fällen Gewalt. Berichten zufolge vermeiden es Mitglieder religiöser Minderheiten wie Baha'i und Christen aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln.

Schiiten

Die Anzahl der schiitischen Parlamentsmitglieder entspricht in etwa dem Anteil der Schiiten an der Gesamtbevölkerung. Während einige Quellen zwar angeben, dass die offene Diskriminierung von Schiiten durch Sunniten abgenommen habe, berichten andere Quellen von fortgesetzter Diskriminierung. Außerdem wird die schiitische Bevölkerung nach wie vor gewaltsam durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) angegriffen. Es ist darauf hinzuweisen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion in Afghanistan oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die vorwiegend schiitische ethnische Gruppe der Hazara. Daher kann oftmals nicht eindeutig zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits und Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit andererseits unterschieden werden.

1.3.2.5. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen

Die Bevölkerung Afghanistans besteht aus mehreren unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die traditionell ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Zentralregierung besitzen. Infolge verschiedener historischer Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit - freiwilliger und erzwungener Art - wohnen einige Angehörige ethnischer Gruppen mittlerweile außerhalb der Gebiete, in denen sie traditionell der Mehrheit angehörten. Daher können Personen, die einer der größten ethnischen Gruppe des Landes angehören, tatsächlich an ihrem Wohnort zu einer ethnischen Minderheit gehören und dementsprechend aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Diskriminierung oder Misshandlungen an ihrem Wohnort konfrontiert sein. Hingegen besteht möglicherweise für ein Mitglied einer ethnischen Gruppe oder eines Clans, der bzw. die auf nationaler Ebene eine Minderheit darstellt, kein Risiko aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Gebieten diskriminiert zu werden, in denen diese ethnische Gruppe bzw. dieser Clan lokal die Mehrheit bildet.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht notwendigerweise homogene Gemeinschaften bilden. Unter Paschtunen können beispielsweise starke Rivalitäten zwischen verschiedenen Untergruppen Spannungen und Konflikte verursachen. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die ethnische Gruppe der Hazara, die vorwiegend schiitisch ist. Daher ist es nicht immer möglich, zu unterscheiden, ob Religion oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe als primärer Grund für Vorfälle oder Spannungen anzusehen ist. Da die politische Zugehörigkeit wiederum oftmals von der ethnischen Zugehörigkeit abhängt, können (vermeintliche) politische Überzeugungen und ethnische Zugehörigkeit untrennbar miteinander verbundene Elemente in Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sein. Es bestehen weiterhin starke Trennlinien zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Afghanistan. Im "Peoples under Threat"-Index von Minority Rights Group International ist Afghanistan als viertgefährlichstes Land der Welt für ethnische Minderheiten aufgeführt, insbesondere aufgrund der gezielten Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und Religion.

Der Index weist insbesondere Hazara, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Belutschen als gefährdete ethnische Minderheiten in Afghanistan aus. Die Verfassung garantiert die "Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme". Dennoch klagen Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen über Diskriminierung von staatlicher Seite auch in Form von ungleicher Behandlung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Hazara

Die Hazara werden Berichten zufolge weiterhin gesellschaftlich diskriminiert und gezielt durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit und körperliche Misshandlung unter Druck gesetzt. Bereits in der Vergangenheit wurden Hazara von Paschtunen marginalisiert und diskriminiert. Seit dem Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 haben sie Berichten zufolge jedoch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht. Jedoch stiegen in jüngerer Zeit Berichten zufolge die Fälle von Schikanierung, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).

1.3.2.6. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen. In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

1.3.2.7. Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben

Kinder können mehreren der weiteren in diesen Richtlinien beschriebenen Risikoprofilen entsprechen. Jedoch können Kinder auch der Gefahr kinderspezifischer Formen von Verfolgung ausgesetzt sein, einschließlich Rekrutierung von Minderjährigen, Kinderhandel, Entführung, Zwangskinderarbeit, gefährliche Kinderarbeit, häusliche Gewalt gegen Kinder, Zwangsheirat, Kinderheirat, Kinderprostitution und Kinderpornographie sowie die systematische Verweigerung von Bildung.

Zwangskinderarbeit und gefährliche Kinderarbeit

Eine Erwerbstätigkeit von Kindern unter 14 Jahren ist nach dem Arbeitsgesetz ausnahmslos verboten. Kinder zwischen 15 und 18 Jahren dürfen "leichte Arbeiten" bis zu 35 Stunden die Woche verrichten, jedoch keine Arbeiten, die ihre Gesundheit bedrohen oder zu Behinderungen führen können. Dessen ungeachtet ist Kinderarbeit Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. In Afghanistan existieren, wie Berichten zu entnehmen ist, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, wie etwa Schuldknechtschaft und andere Formen von Zwangsarbeit, der Einsatz von Kindern für illegale Tätigkeiten wie Drogenhandel oder im Rahmen von Prostitution. Kinder werden, wie aus Berichten hervorgeht, außerdem für gefährliche Arbeiten benutzt, die ihre Gesundheit, Sicherheit oder Moralverständnis gefährden. Berichten zufolge behindern jedoch mangelnde institutionelle Kapazitäten - darunter inadäquate Ressourcen für Kontrollen und die Durchsetzung von Sanktionen bei Verstößen - nach wie vor die Durchsetzung des Arbeitsgesetzes erheblich. Zusätzlich erschwert wird die Durchsetzung des Arbeitsgesetzes in Bezug auf Kinder Berichten zufolge durch die Tatsache, dass weniger als zehn Prozent der Kinder über formelle Geburtsregistrierungen verfügten.

Straßenkinder gehören zu den ungeschütztesten und schutzbedürftigsten Gruppen Afghanistans und haben kaum oder keinen Zugang zu staatlichen Leistungen. Armut und Lebensmittelknappheit sind

Berichten zufolge die Hauptgründe dafür, warum Familien ihre Kinder zum Betteln um Essen und Geld auf die Straße schicken.

Gewalt gegen Kinder, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt

Kindesmissbrauch ist Berichten zufolge im gesamten Land weit verbreitet, wobei die Zahl der gemeldeten Vorfälle steigt. Zu den verbreiteten Formen der Misshandlung zählen körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Aussetzung und generelle Vernachlässigung. Einige Formen der häuslichen Gewalt gegen Kinder finden Berichten zufolge zum vorgeblichen Zweck der Disziplinierung statt.429 Sexueller Kindesmissbrauch ist Berichten zufolge weiterhin weit verbreitet. Während die meisten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, insbesondere solche an Mädchen, Berichten zufolge von Familienangehörigen ausgehen, sind Jungen und Mädchen auch gefährdet, Opfer von sexueller Gewalt durch regierungsnahe Kräfte, regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und durch zivile Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Jungen niederiger Altersstufen sind weiterhin durch bacha bazi gefährdet, einen Brauch, bei dem Jungen von einflussreichen Personen gehalten werden, die sie in

weiblicher Kleidung vor einem männlichen Publikum tanzen lassen und sie für sexuelle Zwecke missbrauchen. Dieser Brauch verbreitet sich Berichten zufolge weiter.

Straflosigkeit bei sexuellem Kindesmissbrauch stellt Berichten zufolge weiterhin ein Problem dar: Die meisten Verantwortlichen werden nicht verhaftet und es wird berichtet, dass Kinder durch Sicherheits- und Polizeikräfte vergewaltigt wurden, ohne dass die Täter bestraft wurden. Einige Kinder, die aufgrund "moralischer Vergehen" verfolgt wurden, waren vielmehr Überlebende von Missbrauch als Täter jener Vergehen. Nachdem sie Fälle von sexuellem Missbrauch gemeldet hatten, wurden sie als Schande für die Familie angesehen und bestraft. Berichten zufolge wurden einige Kinder, die Familienangehörige eines Straftäters waren, an dessen Stelle als Vertreter ihrer Familie inhaftiert.

Systematische Verweigerung des Zugangs zu Bildung

Aus Berichten geht hervor, dass der Zugang zu Bildung für Kinder mit erheblichen Problemen verbunden ist. Es wurden Bedenken in Hinblick auf die Tatsache geäußert, dass die offiziellen Statistiken der Regierung zu Schulbesuchen eine deutlich höhere Zahl an Kindern ausweisen, die zur Schule gehen, als in der Realität gegeben ist und dass die Angaben zur Qualität der Bildung ebenfalls nicht der Realität entsprechen. Weiterhin liegt die Anzahl der Mädchen, die die Schule besuchen, deutlich unter der hinsichtlich der Jungen. Das hohe Maß an Unsicherheit ist ein großes Hindernis beim Zugang zu Bildung. Die in Berichten dokumentierte Benutzung von Schulen zu militärischen Zwecken durch sowohl regierungsfeindliche als auch regierungsnahe Kräfte stellt ein weiteres Problem dar.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) führen Berichten zufolge außerdem weiterhin gezielte Angriffe auf Schulen, Lehrer und Schüler aus, insbesondere im Zusammenhang mit Bildung für Mädchen.

Die Angriffe werden mehrheitlich den Taliban zugerechnet, jedoch schließen auch mit ISIS verbundene Gruppen gewaltsam Schulen, bedrohen Lehrer und schüchtern sie ein. Weitere Hindernisse, die die Bildung - insbesondere von Mädchen - erschweren, sind Armut, frühe und erzwungene Heirat, mangelnde familiäre Unterstützung, Mangel an weiblichen Lehrkräften und weite Entfernungen zur nächsten Schule.

1.3.3. Auszug aus dem Urteil des EGMR vom 05.07.2016 (EGMR AM/NL, 5.7.2016, 29.094/09)

"[...] Artikel 3, in Verbindung mit Artikel 13,) verlangt auch im Zusammenhang mit Asylantragstellern nicht die Einrichtung eines mehrstufigen Instanzenzuges. Es reichte daher aus, dass dem Bf im gegenständlichen Fall gegen die negative behördliche Asylentscheidung ein Rechtsmittel an ein Gericht mit automatischer aufschiebender Wirkung bestand, wobei das Gericht eine umfassende Prüfungsbefugnis hatte. Dass das Rechtsmittel gegen die Entscheidung dieses Gerichts an das Höchstgericht keine automatische aufschiebende Wirkung hat und daher in diesem Zusammenhang nicht als effektives Rechtsmittel angesehen werden kann, ändert daran nichts.

Der Bf im gegenständlichen Fall war während der kommunistischen Ära in Afghanistan Mitglied der Revolutionsgarden gewesen, die eng mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hatten, der für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. Später war er Mitglied einer Mudschaheddin-Gruppe gewesen, die ebenfalls Menschenrechtsverletzungen begangen hatte. Dennoch hatte er zunächst unbeanstandet in Afghanistan gelebt, auch nach seiner Flucht aus der Haft bei einer anderen Mudschaheddin-Gruppe hatte diese ihn nicht weiter gesucht. Daher drohte ihm insofern im Fall einer Abschiebung keine unmenschliche Behandlung. Auch dass er der Minderheit der Hazara angehört, führt nicht dazu, dass ihm im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde, unbeschadet der schlechten Situation dieser Minderheit. Schließlich ist die allgemeine Situation in Afghanistan - wie der EGMR schon wiederholt ausgesprochen hat - nicht so gelagert, dass der bloße Umstand einer Rückkehr dorthin ein reales Risiko einer gegen Artikel 3, verstoßenden Misshandlung begründen würde."

2. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der unter römisch eins. dargestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

2.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

2.1.1. Zu den Feststellungen 1.1.1.

Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten konnte die Identität der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden und gelten die in der gegenständlichen Rechtssache getroffenen Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) der Beschwerdeführer daher ausschließlich für die Identifizierung der Personen im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Nationalität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Sprachkenntnissen und zum Familienstand stützen sich auf den eigenen plausiblen Angaben von BF1 im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde bzw. vor dem BVwG.

Die Feststellungen zu den Angehörigen und dass BF1 von ihren Eltern im Herkunftsstaat in jungen Jahren zurückgelassen wurde, basieren auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen sowohl in der Erstbefragung als auch im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG, auch wenn BF1 in der Erstbefragung noch widersprüchlich dazu angab, dass sich alle Verwandten im Iran aufhalten würden (AS 5). In der ausführlicheren Einvernahme vor dem BFA gab BF1 hingegen an, dass sich ihr Stiefbruder und eine Schwester in Afghanistan befänden (AS 56), wobei das BVwG aufgrund der zu diesem Thema insgesamt ausführlicheren Befragung (s. AS 56) von der Richtigkeit der Angaben von BF1 zu diesem Zeitpunkt ausgeht.

Eine weitere Schwangerschaft und die Geburt eines dritten Kindes konnte aufgrund deren glaubhafter Aussagen im Laufe des Verfahrens in Zusammenschau mit den vor dem BFA vorgelegten Kopien aus einem Mutter-Kind-Pass festgestellt werden.

2.1.2. Zu den Feststellungen 1.1.2.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan geboren wurden und ihr Leben dort bis zu ihrer Ausreise nach Europa verbracht haben, gab BF1 übereinstimmend in all ihren Einvernahmen und der Beschwerdeschrift an.

2.1.3. Zu den Feststellungen 1.1.3.

Die Feststellungen zum Ausbildungs- und Berufsstand von BF1 beruhen auf ihren plausiblen Angaben in der Erstbefragung sowie im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG. Diesbezüglich erwies sich das Vorbringen als substantiiert, sodass diesen Angaben gefolgt werden konnte.

2.1.4. Zu den Feststellungen 1.1.4.

Die Feststellungen zum Fluchtweg von Afghanistan nach Österreich beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Erstbefragung von BF1. Diese gab auch glaubhaft an, dass die finanziellen Mittel dafür aus dem Verkauf der Grundstücke der Familie stammten.

2.1.5. Zu den Feststellungen 1.1.5.

Die Feststellungen zur fehlenden Beschäftigung, dem Dasein als Hausfrau und hinsichtlich der Nutzung der Grundversorgung von BF1 beruhen auf deren Aussagen und dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Vorgelegte Bestätigungen bezeugen den Besuch von drei Deutschfortbildungsmaßnahmen durch diese. Dass BF1 noch kein Sprachzertifikat erworben hat, gab diese glaubhaft an (VP Sitzung 8). Nicht plausibel war in diesem Kontext, weshalb diese schilderte, vor ihrem derzeitigen Deutschkurs noch keinen anderen Unterricht besucht zu haben (VP Sitzung 7). Die entsprechenden Deutschkenntnisse wurden durch die erkennende Richterin festgestellt und im Verhandlungsprotokoll festgehalten (VP Sitzung 7).

BF1 gab nachvollziehbar und glaubhaft in der Beschwerdeverhandlung an, Kontakt zu zwei Österreicherinnen zu haben (VP Sitzung 8). Ebenso verhält es sich mit der Angabe, sich weder in einem Verein zu betätigen, noch einer sportlichen oder kulturellen Aktivität nachzugehen und arbeiten zu wollen. Dennoch äußerte diese, sich noch nicht nach einer Ausbildung bzw. den Voraussetzungen für ihre Berufswünsche erkundigt zu haben (VP Sitzung 8). Die getroffene Feststellung zur Freizeitbeschäftigung von BF1 beruht auf ihrem insoweit glaubhaften Vorbringen im Verfahren (VP Sitzung 9).

Dass BF2 und BF3 die Schule bzw. den Kindergarten besuchen, ergibt sich insbesondere aus den in das Verfahren eingebrachten Bestätigungen.

2.1.6. Zu den Feststellungen 1.1.6.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand von BF1 basieren auf deren glaubhaften Angaben in der Verhandlung vor dem BFA und dem BVwG; hinsichtlich BF2 und BF3 wurden keine gesundheitlichen Probleme geltend gemacht und sind solche auch nicht im Verfahren hervorgekommen.

2.1.7. Zu den Feststellungen 1.1.7.

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführer im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sind und es keine Verwandte in Österreich gibt, ergeben sich aus den übereinstimmenden und plausiblen Aussagen von BF1 im Zuge des Verfahrens und dem Akteninhalt (darin befindet sich auch ein Strafregisterauszug von BF1).

2.2. Zu den Fluchtgründen und einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen basieren auf den von BF1 in der Erstbefragung, vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung getroffenen Aussagen sowie den im Laufe des Verfahrens eingebrachten schriftlichen Vorbringen und deren Würdigung durch das Bundesverwaltungsgericht.

2.2.1. Zu den Feststellungen 1.2.1.

Zusammengefasst brachte BF1 als einen Grund, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu können, die Angst vor den Taliban und dem IS vor. Diese begründete im Verfahren vor der belangten Behörde allgemein, dass sie und ihr Ehemann gefürchtet hätten, dass ihre Kinder Terroristen werden oder selbst von Terroristen getötet werden würden, da die Taliban und der IS in der Provinz Ghazni sehr aktiv seien (AS 58). BF1 vermochte auf Nachfrage jedoch keine Situation der persönlichen Bedrohung oder Verfolgung anzuführen (AS 58). Anstatt von einem etwaigen "Kriegsgeschehen" zu berichten, gab BF1 vielmehr zu Protokoll, dass sie und ihr Mann auf den Feldern gearbeitet hätten (AS 57; VP Sitzung 6), ohne dass sie dabei Vorfälle bei dieser Arbeit im Freien angab, was sich mit den Länderinformationen deckt, zufolge denen die Herkunftsprovinz von BF1 relativ friedlich und stabil ist (römisch II.1.3.1.3.1.). BF1 konnte auch in der Beschwerdeverhandlung keinen Vorfall einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung schildern (VP Sitzung 11).

Eine Verfolgung durch die Taliban und den IS ist auch aufgrund folgender Erwägung nicht anzunehmen: Die angesprochenen Gefahren sind nur dort zu befürchten, wo die regierungsfeindlichen Kräfte wirken. Gemäß den Länderinformationen zur Lage in Daikundi stellen die Taliban dort keine große Bedrohung dar und liegen auch keine Informationen über eine dortige Bedrohung durch den IS vor.

Aus diesem Grund muss auch nicht von einer Änderung der durch das BFA vorgenommenen Beurteilung dieses Sachverhalts aufgrund des Umstands ausgegangen werden, dass BF1 nun Witwe ist, wie in der Beschwerde Sitzung 12, AS 248) vorgebracht wurde.

Eine konkrete und individuelle Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban und den IS vermochten die Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft zu machen.

2.2.2. Zu den Feststellungen 1.2.2.

Die Beschwerdeführer machten geltend, aufgrund ihrer Volks- und Glaubenszugehörigkeit Anfeindungen in Afghanistan zu fürchten. Diese beschränkten sich jedoch nur auf allgemeine Aussagen, wie dass Leute der Volksgruppe der Hazara besonders gerne von regierungsfeindlichen Gruppierungen getötet werden würden (AS 58; VP Sitzung 11), ohne eine Situation der persönlichen Bedrohung oder Verfolgung anzuführen. BF1 verneinte bisherige Bedrohungen oder Verfolgungen als schiitische Hazara (AS 59; VP Sitzung 11), was plausibel ist, da etwa 86% der Bevölkerung Daikundis Hazara sind (s. römisch II.1.3.1.3.1.).

Es mag sein, dass es als Hazara und Schiite in Afghanistan nicht einfach ist, aber es kann allein aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführer Hazara und Schiiten sind, eine Verfolgung ihrerseits als nicht maßgeblich wahrscheinlich angesehen werden vergleiche dazu römisch II.3.2.3.2. und römisch II.3.2.3.3.).

2.2.3. Zu den Feststellungen 1.2.3.

Gemäß ihren Angaben vor dem BFA (AS 60) und dem BVwG (VP Sitzung 10) sowie in der Beschwerdeschrift und der Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung würde BF1 als verwitwete und alleinstehende Frau Gefahr laufen, Verfolgung, Diskriminierungen, Gewalt und Zwangsverheiratung ausgesetzt zu sein. Vorgebracht wurden lediglich allgemeine Behauptungen ihrerseits; auch in den Schreiben wurden mehrere Quellenausschnitte zitiert, die keinen konkreten Bezug zu BF1 haben.

Für die von BF1 in der Beschwerdeverhandlung angesprochene Gefahr einer Zwangsverheiratung konnte sie ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte nennen. Ihrem Vorbringen, dass "in Afghanistan das Gesetz so ist" (VP Sitzung 10), kann das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Länderfeststellungen nicht folgen (s. römisch II.1.3.2.3.).

Auf eine Bedrohung, Verfolgung, Diskriminierung, Gewalt oder Zwangsverheiratung aufgrund ihrer Stellung als verwitwete und alleinstehende Frau ist somit fallbezogen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu schließen, da außer den allgemeinen Risiken keine konkreten Umstände in dieser Hinsicht von BF1 vorgebracht wurden und BF1 zudem in ihrer Heimat auch nicht ohne familiäre Unterstützung/männlichen Schutz leben müsste, da sie dort über einen Stiefbruder und eine Schwester samt deren Familie verfügt. Zu diesen besteht zwar derzeit kein Kontakt, das Bundesverwaltungsgericht kann aber in der relativ friedlichen und stabilen Provinz Daikundi keinen Grund ersehen, warum eine Kontaktaufnahme mit diesen nicht möglich sein sollte. Auch hat BF1 mit diesen bereits zusammengewohnt, als die Eltern in den Iran gegangen sind; BF1 und ihre Schwester sind bei ihrem Stiefbruder geblieben (AS 55), sodass von einem gewissen Naheverhältnis und daraus folgender zumindest sozialer Unterstützung ausgegangen werden kann.

Eine asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung von BF1 aufgrund ihrer Stellung als verwitwete und alleinstehende Frau konnte daher nicht glaubhaft gemacht werden.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Situation von alleinstehenden Frauen schwierig ist. Aus dem Gesamtvorbringen ergeben sich jedenfalls keine konkreten, stichhaltigen Hinweise darauf, dass ein Konventionsgrund, insbesondere auch nicht die Zugehörigkeit zur Gruppe der verwitweten und alleinstehenden Frauen als "bestimmte soziale Gruppe" iSd Genfer Flüchtlingskonvention, ein wesentlicher Faktor für die Bedrohung der Lebensgrundlage von BF1 bzw. für eine existenzielle Bedrohung im Hinblick auf ihre Versorgung und Sicherheit in Afghanistan ist. Vielmehr wäre eine allenfalls drohende Notlage auf die fehlende Schul- und Berufsbildung von BF1 zurückzuführen. Genau dieser Notlage aber wurde durch die belangte Behörde mit der Zuerkennung von subsidiärem Schutz Rechnung getragen.

Das Vorliegen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wäre zudem nur dann zu bejahen, wenn die Auswirkungen der für alle Einwohner Afghanistans prekären Situation, nämlich einer "allgemeinen Gefahrenlage", für BF1 aus diesen Umständen spürbar stärker wären als für die Gesamtheit der Bevölkerung. Im vorliegenden Fall ergaben sich auch keine diesbezüglichen Hinweise im Verfahren. Es kann bei einer Gesamtschau nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Rückkehrsituation von BF1 in Hinblick auf die prekäre Sicherheits- und Lebensgrundlage in Afghanistan von jener etwa einer 24-jährigen, verwitweten afghanischen Staatsangehörigen in Afghanistan wesentlich unterscheiden würde.

2.2.4. Zu den Feststellungen 1.2.4. und 1.2.5.

In der Beschwerdeschrift machte BF1 erstmals geltend, eine "westliche Orientierung" angenommen zu haben.

Bei der Prüfung der Berechtigung eines Asylantrages einer weiblichen Person ist zu untersuchen, ob ihr gepflegter Lebensstil die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan in einem Ausmaß verletzt, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des Lebensstils) Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl liegen vor, wenn dieser Lebensstil ein wesentlicher Teil der Identität geworden ist, sodass es für die Antragsstellerin eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, E 573/2015). In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist keine (Mindest-)Dauer festgelegt worden, während derer eine Asylwerberin einen "westlich orientierten" Lebensstil gelebt haben muss, um davon ausgehen zu können, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Diese Beurteilung erfordert stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

BF1 vermochte im Rahmen der mündlichen Verhandlung weder überzeugend darzulegen, dass sie einen "westlichen" Lebensstil führe, noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung habe und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte:

BF1 hat zwar in ihrem mehr als 2 1/2-jährigen Aufenthalt in Österreich Sprachkurse besucht und konnte die in der Verhandlung auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstehen und bemüht auf Deutsch beantworten (VP Sitzung 7). Sie hat aber noch keine Sprachprüfung abgelegt. Die Deutschkenntnisse von BF1 sind trotz des schon längeren Aufenthalts in Österreich so gering (A1.2-Niveau), dass alleine daraus keine nachhaltige Bestrebung für eine selbstbestimmte Lebensführung ersehen werden kann. Zwar verschließt sich BF1 nicht dem Kontakt mit Österreichern, dennoch zeigte sich, dass diese über für die alltägliche Kommunikation unzureichende Deutschkenntnisse verfügt. Bei den beiden Bekannten handelt es sich im Übrigen ausschließlich um Frauen.

Auch der Tagesablauf von BF1 weist nicht auf ein Verhalten hin, das in Afghanistan verpönt wäre oder die Gefahr einer Verfolgung aufgrund unterstellter politischer bzw. religiöser Gesinnung birgt. Ihr in Österreich gepflegter Lebensstil stellt keinen nachhaltigen Bruch mit den in ihrem Herkunftsstaat verbreiteten gesellschaftlichen Werten dar. BF1 gab diesbezüglich an: "Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich um 06.00 Uhr in der Früh aufstehe, bis 07.00 Uhr in der Früh frühstücken wir. Dann bringe ich meine Kinder in die Schule und in den Kindergarten. Um 08.00 Uhr gehe ich zum Sprachkurs. Dieser dauert bis 11.00 Uhr. Auf weitere Nachfrage gebe ich an, dass ich um 12.00 Uhr Lebensmittel einkaufen gehe. Dann bereite ich das Mittagessen zu. Dann gehe ich mit den Kindern spazieren, höre Musik und mache meine Hausaufgaben. Ich bereite dann das Abendessen zu. Ich schaue auch, dass meine Tochter ihren Hausaufgaben macht." (VP Sitzung 9).

Die Aktivitäten von BF1 finden in der geschützten Sphäre ihres Wohnortes statt. Dass sie in dieser Umgebung ihre Wohnung verlässt, um in der geschützten Sphäre ihrer Wohnumgebung ihre Kinder zur Schule und zum Kindergarten zu bringen sowie Einkäufe in nahegelegenen Geschäften für den täglichen Bedarf sind als nach außen tretende Verhaltensweisen keine ausreichende Grundlage für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil der Identität von BF1 geworden ist. Das Führen des Haushalts und die Kindererziehung entsprechen insgesamt ebenfalls einem traditionellen Frauenbild.

Sie führt den Haushalt alleine (VP Sitzung 9) und nimmt zudem die Möglichkeiten zu sportlichen oder kulturellen Aktivitäten oder die Mitgliedschaft in einem Verein nicht in Anspruch (VP Sitzung 8 und 9). Auch dies sind keine Verhaltensweisen, die einen nachhaltigen Bruch mit den im Herkunftsstaat von BF1 verbreiteten gesellschaftlichen Werten darstellen würden.

BF1 äußerte in der Beschwerdeverhandlung den vagen Berufswunsch, in Zukunft als Köchin oder Schneiderin zu wollen (VP Sitzung 8). Zwar sind die Angaben von BF1 nachvollziehbar, ein besonderes eigenes Engagement und eine klare Vorstellung sowie eine konkrete Planung ihres Berufszieles waren in der mündlichen Beschwerdeverhandlung jedoch nicht erkennbar, hat sie sich bisher auch noch nicht nach einer Ausbildung oder den Voraussetzungen danach erkundigt (VP Sitzung 8). Der grundsätzliche Wunsch nach einer Beschäftigung kann keineswegs als ausschlaggebend für die Annahme einer Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" gewertet werden.

Genauso wenig kann aus den sehr allgemeinen Aussagen vor dem BVwG, dass Frauen und Männer in Österreich gleichberechtigt seien (VP Sitzung 9), weder abgeleitet werden, dass BF1 eine selbstbestimmte "westliche" Lebensweise anstrebt, noch kann dadurch eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" angenommen werden. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe Frauen zu gewähren wäre vergleiche VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

BF1 verwaltet zwar ihr eigenes Geld, geht selbstständig einkaufen und trifft die Entscheidungen in der Familie (VP Sitzung 9), was aber mitunter auch darauf zurückzuführen ist, dass sie keinen Ehemann hat und auf sich alleine gestellt ist. Sie möchte nicht mehr heiraten und ihren Kindern die Ehepartnerwahl überlassen. Dies sind zwar Indizien für ein selbstbestimmtes Leben, allerdings geht das Bundesverwaltungsgericht in Abwägung mit den soeben dargelegten Verhaltensweisen von BF1 nicht davon aus, dass sich bei BF1 der Wille nach einem selbstbestimmten Leben verfestigt bzw. sie eine "westliche Lebensweise" angenommen hat. Im Gegenteil ist aus dem von ihr ausgeübten Lebensstil aus den angegebenen Gründen gerade nicht zu schließen, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führt und widersprechen diese Verhaltensweisen den herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde, noch wäre dies aufgrund ihres Status als Witwe gegeben (s. dazu auch unter römisch II.2.2.3.).

Die Anstrengungen von BF1 stellen somit insgesamt keine besonderen Aktivitäten dar, aus denen geschlossen werden kann, dass es deren unbedingter Wille ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Zur mündlichen Beschwerdeverhandlung erschien BF1 mit langärmeliger, oberschenkellanger Bluse sowie Hose bekleidet und trug ein Kopftuch (VP Sitzung 5), was einem traditionellen Kleidungsstil entspricht. Auch kann alleine aus der nach außen getragenen Kleidung nicht auf das Vorliegen einer letztlich inneren Einstellung, nämlich der, ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen, geschlossen werden.

Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei BF1 um eine in ihrer Grundeinstellung "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde.

Bei BF2 ist aufgrund ihres sehr jungen Alters keine selbstbestimmte Lebensführung anzunehmen. Diese wächst in ihrer afghanischen Familie auf und befindet sich in einem anpassungsfähigen Alter.

Zum Vorbringen in der Beschwerde, dass BF1 als alleinstehende Frau zur Versorgung ihrer Familie im öffentlichen Leben in Erscheinung treten müsse und ihr wegen ihres Auftretens ein gegen die sozialen Normen verstoßendes Verhalten bzw. eine westliche Orientierung unterstellt werden könne bzw. ihren Kindern deswegen Verfolgung oder Diskriminierung drohe, wird auf die Länderfeststellungen unter römisch II.1.3.1.11. verwiesen, aus denen hervorgeht, dass es zwar für viele Frauen schwierig ist, außerhalb des Bildungs- oder Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen, sich die Erwerbstätigkeit von Frauen aber seit dem Jahr 2001 stetig verbessert hat und im Jahr 2016 19% betrug. Das Bundesverwaltungsgericht kann daher nicht ersehen, aus welchen Gründen die Vorbringen in der Beschwerde vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen auf BF1 zutreffen sollten, insbesondere, da keine konkreten, die Beschwerdeführer im Besonderen betreffenden Umstände geltend gemacht wurden, aus denen sich eine Gefahrenverdichtung hinsichtlich dieser Vorbringen ergäbe.

Da BF1 keine "westliche" Lebensweise angenommen hat, ist sohin auch nicht davon auszugehen, dass BF2 und BF3 aufgrund dieses Merkmals einer Verfolgung aufgrund einer Zugehörigkeit zu der sozialen Gruppe der Familie in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt wären.

2.2.5. Zu den Feststellungen 1.2.6., 1.2.7 und 1.2.8.

In der Beschwerdeschrift wurde vorgebracht, dass BF2 und BF3 als Minderjährige insbesondere Gefahr liefen, entführt, zwangsrekrutiert, Opfer von Kinderarbeit und Kinderhandel, Zwangsheirat, häuslicher Gewalt oder Missbrauch zu werden. Auch bestehe ein eingeschränkter Zugang zu Schulbildung. Die Minderjährigkeit von BF2 und BF3 betreffende Fluchtgründe bzw. Risiken, die diese aufgrund individueller Eigenschaften im Falle einer Rückkehr in exzeptioneller Weise besonders zu befürchten hätten (zur Zwangsrekrutierung und Bildung, s. gleich unten), wurden von BF1 nicht behauptet und ergaben sich diesbezüglich auch keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil gab diese, die als Mutter die Gefahren für ihre Kinder am besten einschätzen kann, mehrfach an, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten (AS 55; VP Sitzung 11).

Das Vorliegen einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wäre zudem nur dann zu bejahen, wenn die Auswirkungen der für alle Einwohner Afghanistans prekären Situation, nämlich einer "allgemeinen Gefahrenlage", für BF2 und BF3 aus diesen Umständen spürbar stärker wären als für die Gesamtheit der Bevölkerung. Ansonsten kann von einer Verfolgung aufgrund dieses Konventionsgrundes, der beim Rest der Bevölkerung voraussetzungsgemäß nicht vorliegt, nicht gesprochen werden. Es hat sich nicht gezeigt, dass BF2 und BF3 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan gegenwärtig einer spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung in Afghanistan ausgesetzt wären als andere Minderjährige mit nur einem Elternteil in diesem Alter.

2.2.5.1. Im Speziellen zum Bildungszugang (von Mädchen) und zur Zwangsrekrutierung:

(i) In der Stellungnahme, die in der Beschwerdeverhandlung ausgehändigt wurde, wurde ausgeführt, dass BF2 aufgrund ihrer Eigenschaft als Mädchen in Afghanistan der Schulzugang erschwert sein könnte. Der Wunsch nach Bildung stellt sich jedoch nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates auch für Mädchen/Frauen ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind (s. Länderfeststellungen).

BF1 gab eine solche Gefährdung weder in der Erstbefragung noch vor dem BFA oder dem BVwG an und verneinte jedes Mal, dass ihre Kinder eigene Fluchtgründe hätten (AS 55; VP Sitzung 11). Erst auf Nachfrage schilderte diese, dass ihre Kinder nicht in die Schule gehen könnten, da diese von den Taliban und dem IS "gestohlen" werden würden (VP Sitzung 12). Aus dem allgemeinen Vorbringen lässt sich aber keine individuelle konkrete Bedrohung oder Verfolgung ableiten. Für BF2 und BF3 wäre denkbar, eine Schule zu besuchen, zumal sie seitens ihrer Mutter dafür Zuspruch erhalten und sich deren Unterstützung erwarten können. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Zugang zu Bildung für durch regierungsfeindliche Kräfte eingeschränkt sein könnte, da laut den Feststellungen zum Herkunftsstaat regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Daikundi kaum wirken.

(ii) In der Beschwerdeschrift und auf Nachfrage in der Beschwerdeverhandlung (VP Sitzung 11) wurden erstmals Ängste vor einer Zwangsrekrutierung vorgebracht: Für eine Bedrohung in Form einer Zwangsrekrutierung lassen sich jedoch weder aus den allgemeinen Behauptungen in der Beschwerde bzw. von BF1 in der Beschwerdeverhandlung individuell auf BF3 bezogene Indizien ableiten, noch geht aus den im Verfahren erörterten Länderinformationen ein Hinweis darauf hervor, dass ein männlicher Rückkehrer, gerade als Angehöriger der Ethnie der Hazara, allein aufgrund dieser Merkmale bereits einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefahr der Zwangsrekrutierung unterläge.

Es sind keine Anzeichen dafür hervorgekommen, warum konkret BF3 einer - gegenüber der "allgemeinen" Zivilbevölkerung Afghanistans - erhöhten Gefährdung einer Zwangsrekrutierung seitens regierungsfeindlicher Gruppierungen ausgesetzt sein sollte, zumal dieser auch aus einer Provinz stammt, in der es kaum Präsenz regierungsfeindlicher Gruppierungen gibt. BF3 hat außerdem noch nicht das rekrutierfähige Alter erreicht. Eine militärische Verpflichtung von Seiten der Regierung fällt nicht unter eine Zwangsrekrutierung vergleiche VP Sitzung 11). Für BF2 kommt eine Rekrutierung schon aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau nicht in Frage.

2.2.5.2. Hinsichtlich dieser Vorbringen konnte demnach keine asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung glaubhaft gemacht werden.

2.2.6. Zu den Feststellungen 1.2.9.

BF1 gab sowohl in der Erstbefragung als auch vor dem BFA und dem BVwG an, das Land aufgrund des Krieges und der finanziellen Lage verlassen zu haben. Derartige Gefährdungen sind nicht asylrelevant. Aus den Länderberichten ergibt sich zudem, dass es sich bei der Provinz Daikundi um eine relativ sichere und stabile Provinz handelt.

Allfällige weitere asylrelevante Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

2.2.7. Zu den Feststellungen 1.2.10.

Die Feststellungen unter 1.2.10. ergeben sich aus dem insoweit glaubhaften Vorbringen von BF1 im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Zu den Feststellungen 1.3.

Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat stützen sich auf die in der Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingeführte Länderdokumentation, die UNHCR-Richtlinien sowie ein EGMR-Urteil. Da die Berichte im Länderinformationsblatt auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der schlüssigen Situationsdarstellungen im Herkunftsstaat zu zweifeln. Dasselbe gilt angesichts der Seriosität der UNHCR-Richtlinien.

Zu dem von den Beschwerdeführern in der Beschwerde ins Treffen geführten Umstand, dass die Länderfeststellungen des BFA unzureichend seien, ist auszuführen, dass die in der Verhandlung vorgelegten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zur Situation von Witwen und alleinstehenden Frauen und zu den Existenzmöglichkeiten in die Beurteilung des konkreten Sachverhalts eingeflossen sind vergleiche römisch II.2.2.3.), darüber hinaus liefern die UNHCR-Richtlinien frauenspezifisches Material. Informationen zu den möglichen Problematiken, denen Kinder bei einer Rückkehr ausgesetzt sein können, sind ebenfalls den UNHCR-Richtlinien zu entnehmen. Soweit Quellen in der Beschwerde die Situation der Hazara ergänzen sollen, ergibt sich daraus kein anderes Bild als aus dem Länderinformationsblatt. Zum Vorbringen, dass über die Schutzfähigkeit und -willigkeit des afghanischen Staates keine ausreichenden Informationen vorlägen (in Gebieten, die von den Taliban besonders heimgesucht werden, fehle jegliche staatliche Schutzfähigkeit), wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführer aus einer relativ friedlichen und stabilen Provinz Afghanistans stammen, in der die Taliban keine große Bedrohung darstellen (s. Länderfeststellungen).

Zu den Ausführungen in der Stellungnahme vom 01.06.2018 zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017 "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" wird angemerkt, dass diese für die Beurteilung der Beschwerde nicht relevant sind, da auch die Außerachtlassung der Anfragebeantwortung zu keinem anderen Ergebnis führt. Eine "westliche" Orientierung konnte bei BF1 aufgrund mehrerer Faktoren nicht ersehen werden vergleiche römisch II. 2.2.4.).

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Anzuwendendes Recht und Zuständigkeit

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Paragraph 6, BVwGG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 82 aus 2015,, geregelt (Paragraph eins, leg. cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Im gegenständlichen Fall liegt hinsichtlich der Beschwerdeführer ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG vor.

3.2. Zu A)

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht; vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.3. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK, nicht gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Beschwerdeführer keine persönliche Verfolgungshandlung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft gemacht haben.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, haben die Beschwerdeführer kein konkretes asylrelevantes Fluchtvorbringen erstattet:

3.2.3.1. Zum Vorbringen betreffend die Verfolgungsgefahr durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Taliban und IS) ist festzuhalten, dass eine keine konkrete individuelle Bedrohung oder Verfolgung der Beschwerdeführer glaubhaft gemacht wurde vergleiche römisch II.2.2.1.).

3.2.3.2. Die Beschwerdeführer führten an, dass sie sich im Falle der Rückkehr nach Afghanistan vor einer Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und ihres schiitischen Glaubens fürchten. Eine konkrete individuelle Bedrohung oder Verfolgung ihrer Personen wurde von diesen jedoch - wie oben dargelegt - nicht glaubhaft gemacht vergleiche römisch II.2.2.2.).

3.2.3.3. In Ermangelung der von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob diese im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder ihrer Religionszugehörigkeit zu den Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wären.

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Anhaltspunkte dafür, dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara und Schiiten im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssten, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das BVwG jedoch nicht finden:

Auch wenn eine in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der Hazara nicht verkannt wird, erreicht die bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.

In zahlreichen Erkenntnissen des BVwG (teilweise auch nach Einholung länderkundlicher Sachverständigengutachten bzw. gutachterlicher Stellungnahmen) wurde eine Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara durchgehend verneint (z.B. BVwG 24.10.2016, W191 2106225-2/10E; 09.05.2016, W119 2012593-1/20E; 18.04.2016, W171 2015744-1; 13.11.2015, W124 2014289-1/8E und viele andere mehr).

Der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an, zum Unterschied zur Region Quetta in Pakistan (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Es ist daher anzunehmen, dass der Verwaltungsgerichtshof, sollte er der Auffassung sein, dass eine Gruppenverfolgung - auch lokal - in Afghanistan aktuell festzustellen wäre, in der zahlreich zu Afghanistan ergangenen Judikatur dies auch festgestellt hätte (siehe auch BVwG 16.06.2016, W159 2105321-1/8E).

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Das BVwG geht daher aus oben angeführten Überlegungen davon aus, dass es den Beschwerdeführern in concreto nicht gelungen ist, eine persönliche Verfolgungsgefahr in Bezug auf die hazarische Abstammung und das Religionsbekenntnis aufzuzeigen.

3.2.3.4. Wie unter Punkt römisch II.2.2.3. dargelegt, konnte eine Verfolgungsgefahr von BF1 aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der verwitweten und alleinstehenden Frauen nicht glaubhaft gemacht werden, sodass eine konkrete aktuelle Bedrohungs- oder Verfolgungsgefahr von BF1 nicht anzunehmen ist.

3.2.3.5. Eine Diskriminierung von BF1 in Bezug auf die Eigenschaft als Frau in Afghanistan konnte nicht aufgezeigt werden vergleiche römisch II.2.2.4.). Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Die Eigenschaft des Frau-Seins führt in der Judikatur alleine an sich nicht zu Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet.

Der Verfassungsgerichtshof führte in diesem Zusammenhang in dem Erkenntnis vom 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9, aus:

"Die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten hängt davon ab, mit welchen Konsequenzen die Asylwerberin aufgrund ihrer Haltung im Herkunftsstaat zu rechnen hat und ob diese als Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sind. Nach einer Stellungnahme des UNHCR von Juli 2003 sollten afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei der Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN). Daraus leitet der VwGH ab, dass einer afghanischen Frau Asyl zu gewähren ist, wenn der von ihr vorgebrachte "westliche Lebensstil" in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionelle Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung droht. Es komme aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob sich eine Asylwerberin den gesellschaftlichen Normen ihres Heimatstaates anzupassen hat oder nicht (VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994; 16.1.2008, 2006/19/0182)."

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass BF1 seit ihrer Einreise im Oktober 2015 keine "westliche" Lebensweise angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der BF1 ist vielmehr gerade zu entnehmen, dass diese keinen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt bzw. bereits pflegt. Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt zudem dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

BF1 verletzt mit ihrer Lebensweise die herrschenden politischen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

Auch bei BF2 war eine selbstbestimmte Lebensweise nicht anzunehmen. Aufgrund ihres jungen Alters und mangels eines entsprechenden Vorbringens ist keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung abzusehen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder einer "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden könnte.

3.2.3.6. Eine konkrete Bedrohungs- oder Verfolgungsgefahr von BF2 und BF3 aufgrund einer "Verwestlichung" ihrer Mutter konnte nicht erkannt werden vergleiche römisch II.2.2.4.).

3.2.3.7. Eine Bedrohung oder Verfolgung von BF2 und BF3 aufgrund ihrer Minderjährigkeit ist nicht zu Tage getreten vergleiche römisch II.2.2.5.).

3.2.3.8. Auch fehlende Bildungsmöglichkeiten in Afghanistan für BF2 und BF3 konnten nicht glaubhaft gemacht werden vergleiche römisch II.2.2.5.).

3.2.3.9. Da BF3 eine Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen nicht glaubhaft hat machen können vergleiche römisch II.2.2.5.), liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, auch diesbezüglich nicht vor.

3.2.3.10. Ebenso lässt sich aus der allgemeinen Lage in Afghanistan für die Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status der Asylberechtigten nicht herleiten vergleiche römisch II.2.2.6): Die Lage in Afghanistan mag sich zwar als prekär darstellen, was auch aus den herangezogenen Berichten hervorgeht. Dennoch ist die allgemeine Lage in Afghanistan ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste (etwa AsylGH 07.06.2011, C1 411.358-1/2010/15E, sowie den diesbezüglichen Beschluss des VfGH vom 19.09.2011, Zahl U 1500/11-6 u. v.a.). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081).

3.2.4. Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass die Beschwerdeführer in ihrer Heimat in asylrelevanter Weise bedroht oder verfolgt wären, waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. des jeweils angefochtenen Bescheides jeweils gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision

3.3.1. Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, sondern stellt die Entscheidungsfindung ausschließlich das Resultat einer eingehenden Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben von BF1 dar.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2018:W249.2175531.1.00