BVwG
15.06.2018
W151 2116979-1
W151 2116982-1/29E
W151 2116979-1/27E
W151 2116977-1/25E
W151 2116981-1/25E
W151 2122864-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ über die Beschwerden von 1. römisch 40 , geb. römisch 40 , 2. römisch 40 , geb. römisch 40 , 3. römisch 40 , geb. römisch 40 , 4. römisch 40 , geb. römisch 40 , und 5. römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Afghanistan, BF 3 bis 5 durch BF 2 gesetzlich vertreten, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt, Mozartstraße 11, 4020 Linz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2015, Zl. römisch 40 (BF 1), Zl. römisch 40 (BF 2), Zl. römisch 40 (BF 3), Zl. römisch 40 (BF 4), wegen Paragraphen 8,, 10, 55 und 57 AsylG 2005, sowie Paragraphen 46,, 52 und 55 FPG 2005 und gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2016, Zl. römisch 40 (BF 5), wegen Paragraphen 8,, 10, 55 und 57 AsylG 2005, sowie Paragraphen 46,, 52 und 55 FPG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden der BF 1 bis 5 wird stattgegeben und römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , und römisch 40 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, Asylgesetz 2005 wird römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , und römisch 40 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.06.2019 erteilt.
B)
Die Revisionen sind gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
römisch eins. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF 1), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste mit seiner Ehefrau (BF 2) und seinen zwei minderjährigen Töchtern (BF 3 und 4) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.02.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am selben Tag fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF 1 im Beisein eines Dolmetschers, welcher in die Sprache Punjabi übersetzte, statt. Dort gab der BF an, sein Name sei römisch 40 , geboren am römisch 40 in der Provinz Nangarhar, römisch 40 , afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Punjabi und Sikh. Er sei mit der BF 2 traditionell verheiratet und spreche Punjabi, Dari und Paschtu. Er habe keine Schulbildung und sei zuletzt als Verkäufer tätig gewesen. Er legte seine Geburtsurkunde und die seiner Frau und Kinder vor.
Seine Frau römisch 40 (BF 2) sei am römisch 40 , seine Tochter römisch 40 (BF 3) sei am römisch 40 und seine Tochter römisch 40 (BF 4) sei am römisch 40 geboren.
Zum Fluchtgrund gab der BF an, dass er und seine Familie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von den dortigen Moslems misshandelt und verfolgt worden seien. Sie hätten gedroht, die Töchter des BF 1 zu verschleppen. Ebenso habe man von ihnen verlangt, die Religion zu wechseln. Aus Angst um ihr Leben hätten sie das Heimatland verlassen.
Die BF 2 gab ergänzend an, dass sie und ihre Töchter sexuell belästigt worden seien. Sie seien oft beschimpft und bedroht worden. Darum hätten sie kaum das Haus verlassen können. Für die beiden minderjährigen Kinder würden dieselben Fluchtgründe gelten.
3.1. Am 15.10.2015 wurde der BF 1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, im Beisein und eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi niederschriftlich einvernommen. Darin gab der BF 1 an, dass er bis jetzt die Wahrheit gesagt habe. Die Familie habe zuletzt in römisch 40 , gelebt. Der BF 1 habe ein Textilgeschäft gehabt, mit der er die ganze Familie erhalten habe können. Dieses habe er ca. eineinhalb Monate vor der Ausreise aufgegeben. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr. Er wisse darum nicht, ob seine Eltern und sein Bruder noch in römisch 40 aufhältig seien. Bis zu ihrer Ausreise habe die ganze Familie zusammen gewohnt. Die Töchter des BF 1 seien nicht zur Schule gegangen, da sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit attackiert worden seien. Zum Fluchtgrund brachte der BF 1 vor, dass sie als Sikhs in Afghanistan keine Geschäfte machen und auch nicht ihre Religion ausüben hätten können. Seiner Frau sei schon öfter das Kopftuch entrissen und dem BF 1 sein Turban heruntergerissen worden. Man hätte von ihnen verlangt, dass sie Moslems werden. Der BF 1 sei auch geschlagen worden und man habe ihm sein Geld gestohlen. Anzeige habe der BF 1 wegen dieser Vorfälle aber nicht erstattet. Hätte er sich beschwert, hätte man ihn sicher umgebracht. Die Eltern seiner Frau und ihr Bruder hätten bis vor 5 Monaten ebenfalls in römisch 40 gewohnt. Der Schwager des BF 1 sei seit ein paar Monaten in Österreich. Die Kinder hätten die Schule auch deshalb nicht besuchen können, da nicht auf Punjabi unterrichtet worden sei und die Kinder kein Dari sprechen würden. Außerdem wäre es zu gefährlich für sie gewesen. Einmal sei der Familie auf dem Weg zum Sikh Tempel gedroht worden, dass man die BF 2 und die Töchter entführen wollen würde.
Dem BF 1 wurden die aktuellen Länderfeststellungen angeboten und ihm eine Frist zur Stellungnahme zu diesen eingeräumt. Dies lehnte der BF 1 ab.
In Österreich lebe der BF 1 nun von der Grundversorgung und besuche einen Deutschkurs. Er habe einmal den Sikh Tempel in Wien besucht. In Vereinen sei er nicht, die Kinder würden die Schule besuchen.
Ergänzend brachte der BF 1 vor, dass sein Kastenname römisch 40 sei.
3.2. Ebenso wurde die BF 2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, am 15.10.2015 im Beisein und eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi niederschriftlich einvernommen. Darin gab die BF 2 an, dass sie bis jetzt die Wahrheit gesagt habe. Sie machte dieselben Angaben wie der BF 1. Weiters brachte sie vor, dass sie Angst habe bei einer Rückkehr vergewaltigt zu werden.
4. Mit Bescheiden vom 23.10.2015, Zln: römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , wies das Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz , in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) ab, wies die Anträge bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraphen 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, gegen sie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Die Identität der BF stehe aufgrund der Vorlage der Geburtsurkunden fest. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihnen unter Zugrundelegung ihres Vorbringens in Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten Verfolgung drohen würde. Eine Verfolgung im Herkunftsstaat habe ebenso wenig festgestellt werden können wie eine Bedrohungssituation im Fall einer Rückkehr. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan sei von der erfolgreichen Abdeckung ihrer lebensnotwenigen Bedürfnisse auszugehen. Die BF hätten außer sich (Kernfamilie) keine familiären Beziehungen in Österreich. Den Angehörigen sei weder Asyl noch subsidiärer Schutz gewährt worden. Sie hätten in Österreich keine sozialen Kontakte, die sie binden würden. Sie würden über kein Eigentum verfügen und seien auf Dauer nicht selbsterhaltungsfähig. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung in Österreich bestehe.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die Identität der BF aufgrund der Vorlage der Geburtsurkunden feststehe. Die BF seien bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig. Die Behörde gehe davon aus, dass die Angaben, wonach die BF als Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sikh zahlreichen Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt gewesen seien, glaubhaft seien. Den geschilderten Vorfällen würde aber die erforderliche Intensität des Eingriffes fehlen um asylrelevant zu sein. Die angesprochene "Verschleppung" der Töchter habe vom BF 1 trotz Befragung nicht konkretisiert werden können. Auch das Vorbringen, dass er in Afghanistan "keine Geschäfte" machen könne, entbehre jeglicher Grundlage, zumal der BF 1 in der Befragung schilderte, dass er bis zum Verkauf seines Textilgeschäftes davon gut leben habe können. Mit den Einnahmen habe er seine Familie und auch seine Eltern ernähren können. Ebenso deute der Umstand, dass die Ausreise von langer Hand geplant und vorbereitet war daraufhin, dass keine akute asylrelevante Verfolgung gesetzt worden sei. Die BF hätten ihr Heimatland aufgrund der jahrelangen Anfeindungen und Diskriminierungen der moslemischen Bevölkerung verlassen. Die BF hätten keinerlei Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK bzw. Artikel 3, EMRK sprechen würden, vorgebracht, sodass auch im Zusammenhang mit der fehlenden Asylrelevanz keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR feststellbar gewesen seien, die gegen eine Abschiebung nach Afghanistan sprechen würden. Der BF 1 habe bereits vor dem Verlassen Afghanistans in römisch 40 durch eigene Arbeitsleistung als Inhaber eines Textilgeschäfts für sich und seine Familie gesorgt. Es bestehe kein Grund, warum der BF 1 bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht wieder in der Lage sein sollte, für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen.
Rechtlich beurteilend wurde ausgeführt, dass die BF keine Verfolgung ihrer Person oder eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung in keinster Weise vorgebracht hätten, weshalb die Anträge auf internationalen Schutz aufgrund des Fehlens der Flüchtlingseigenschaft abzuweisen gewesen seien. Es könne nicht von systematischen weit verbreiteten Übergriffen gegen alle Angehörigen der Religionsgruppe der Sikh gesprochen werden. Es handle sich um ein Familienverfahren.
Subsidiärer Schutz wurde den BF ebenso nicht zuerkannt, da im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan bestehe. Da keinem Angehörigen subsidiärer Schutz gewährt worden sei, sei die Entscheidung mit einer Ausweisung zu verbinden gewesen. Auch habe keine Voraussetzung für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" vorgelegen. Ebenso seien die Rückkehrentscheidungen nach §9 Absatz eins -, 3, BFA-VG als zulässig erachtet worden.
5. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde den BF am 23.10.2015 mit Verfahrensanordnung gemäß Paragraph 63, Absatz 2, AVG der Verein Menschenrechte Österreich gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
6. Mit Schreiben vom 02.11.2015 erhoben die BF 1 bis 4, BF 3 und 4 vertreten durch die BF 2, Beschwerde wegen unschlüssiger Beweiswürdigung/ rechtlicher Beurteilung und in Folge dessen, mangelhaftem Ermittlungsverfahren gegen die Spruchpunkte römisch II. und römisch III. der oben angeführten Bescheide. Darin wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass den BF der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Nach einer kurzen Zusammenfassung des Sachverhalts wurde ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen der BF einzugehen. Ebenso habe sie eine Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren Herkunftsstaat-spezifischen Informationen verabsäumt. Nach Zitaten aus dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Sicherheitslage in Afghanistan und den Gefährdungsprofilen der Sikhs wurde zusammenfassend festgehalten, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr nach Indien mit maßgeblicher Verfolgung asylrelevanter Intensität durch Privatpersonen zu gewärtigen hätten. In Afghanistan sei es zu einer staatlich gebilligten Einschränkung der Religionsausübung, tätlichen Angriffen auf Nicht-Muslime und zur Verhinderung des Schulbesuchs der Kinder gekommen. Somit sei davon auszugehen, dass die BF als Angehörige der Sikh-Minderheit im Fall einer Rückkehr allein schon wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung entgegen Artikel 3, EMRK ausgesetzt wären.
7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 11.11.2015 vom BFA vorgelegt.
8. Am 15.01.2016 stellten der BF 1 und die BF 2 als gesetzliche Vertreter für die neugeborene, minderjährige Tochter römisch 40 (BF 5), geb. römisch 40 , StA. Afghanistan, einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 34, Absatz eins, AsylG.
9. Mit Bescheid vom 23.02.2016, Zl: römisch 40 , wies das Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen den Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz , in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) ab, wies den Antrag bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraphen 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, gegen sie gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Der Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz sei unter Bezugnahme auf das Asylverfahren der Eltern beantragt worden. Die Asylverfahren der Eltern seien in 1. Instanz negativ entschieden worden. Es habe eine Verfolgung im Herkunftsstaat ebenso wenig wie eine Bedrohungssituation im Falle einer Rückkehr festgestellt werden können. Da auch keinem anderen Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für die BF 5 keine Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens in Betracht. Dasselbe gelte für die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz.
10. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde der BF 5 am 24.02.2016 mit Verfahrensanordnung gemäß Paragraph 63, Absatz 2, AVG der Verein Menschenrechte Österreich gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
11. Mit Schreiben vom 07.03.2016 erhob die BF 5, gesetzlich vertreten durch die BF 2, Beschwerde wegen unschlüssiger Beweiswürdigung/ rechtlicher Beurteilung und in Folge dessen, mangelhaftem Ermittlungsverfahren gegen die Spruchpunkte römisch eins., römisch II. und römisch III. des angeführten Bescheides. Darin wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass der BF 5 Asyl gewährt werde, in eventu der BF 5 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraphen 57 und 55 AsylG zu erteilen.
Die BF 5 habe keine eigenen Fluchtgründe. Es werde gebeten, die mündliche Verhandlung im Sinne der Verfahrenseffizienz für das Familienverfahren gleichzeitig durchzuführen.
12. Vor dem BVwG wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 22.06.2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Rechtsberaters, eines länderkundigen Sachverständigen sowie eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi durchgeführt, zu der die BF 1 bis 5 persönlich erschienen. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben. Die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Darin wurden die BF 1 und 2 ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt. Die BF 2 zog als gesetzliche Vertreterin der BF 5 deren Beschwerde zu Spruchpunkt römisch eins (Asyl) zurück.
13. Am 15.11.2016 langte die von der Richterin beauftragte gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen für Afghanistan, Dr. Sarajuddin Rasuly, vom 15.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein (Auszug siehe Punkt römisch II.1.2.c).
14. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.11.2016 wurden die BF und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen 14 Tagen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden, soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordert.
Die Parteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.
15. Mit Erkenntnis des BVwG vom 31.03.2017, Zln: römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 , römisch 40 und römisch 40 , wurde ausgesprochen, dass das Verfahren hinsichtlich des Spruchpunktes römisch eins. des angefochtenen Bescheides des BF 5 wegen Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchpunkt römisch eins. gemäß Paragraphen 28, Absatz eins,, 31 Absatz eins, VwGVG eingestellt wird. Zudem wurden die Beschwerden der BF 1 bis 5 gemäß den Paragraphen 8, Absatz eins,, 10 Absatz eins, Ziffer 3,, 55, 57 AsylG 2005 idgF., Paragraph 9, BFA-VG idgF., und Paragraphen 52,, 55 FPG idgF. als unbegründet abgewiesen.
16. Gegen dieses Erkenntnis erhoben die BF 1 bis 5 durch ihre rechtliche Vertretung mit Schreiben vom 17.05.2017 Beschwerde wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie des Rechts auf Asylgewährung und stellten die Anträge, auf Aufhebung des Erkenntnisses wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie auf Verfahrenshilfe.
17. Mit Erkenntnis des VfGH vom 11.10.2017, römisch 40 , wurde das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, insoweit aufgehoben. Ebenso wurde den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des Paragraph 64, Absatz eins, Litera a, ZPO stattgegeben und ausgesprochen, dass der Bund schuldig ist, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.270,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
18. Am 23.11.2017 langte die Vollmacht des rechtsfreundlichen Vertreters beim BVwG ein.
19. Mit Schreiben vom 25.01.2018 erging ein Parteiengehör zur beabsichtigten Bestellung eines Sachverständigen zur aktuellen spezifischen Situation von erwachsenen und minderjährigen weiblichen Sikhs in Afghanistan.
20. Am 21.03.2018 wurde das Gutachten des länderkundlichen Sachverständigen in Vorlage gebracht.
21. Mit Parteiengehör vom 22.03.2018 wurde den BF das Sachverständigengutachten zur aktuellen spezifischen Situation von erwachsenen und minderjährigen weiblichen Sikhs in Afghanistan zur Kenntnis gebracht und ihnen eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt.
22. Am 04.04.2018 langte die Stellungnahme der BF vom 03.04.2018 ein, in der auf die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan sowie die spezifischen Gefahren der Sikhs in Afghanistan hingewiesen wurde.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Personen der BF 1 bis 5:
Die BF sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Chopra an und bekennen sich zur Religion der Sikh. Ihre Muttersprache ist Punjabi. Alle BF sind gesund und befinden sich nicht in ärztlicher Behandlung. Die BF konnten ihre Geburtsurkunden und weitere diverse Unterlagen vorlegen.
Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Familien der BF noch in Afghanistan leben.
Der BF 1, der Ehegatte, ist mit der BF 2 traditionell verheiratet. Es bestand vor der Einreise nach Österreich eine aufrechte Ehe des BF 1 und der BF 2. Der BF 1 und die BF 2 sind die leiblichen Eltern der BF 3, 4 und 5.
Der BF 1 stammt aus der Provinz Nangarhar, Stadt römisch 40 , Bezirk römisch 40 wo er bis zu seiner Ausreise mit seinen Eltern sowie seiner Kernfamilie zusammenlebte. Er hat keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern; der letzte Kontakt bestand zum Zeitpunkt der Flucht. Er verfügt über keine Schulbildung. Er spricht Punjabi, Dari und Paschtu. Zuletzt war der BF 1 Inhaber seines eigenen Textilgeschäfts. Der monatliche Verdienst lag zwischen 15.000 und 20.000 Afghani. Davon konnte er die gesamt Familie erhalten und nebenbei monatlich einen Betrag ersparen. Im Hinblick auf die Versorgungs- und Sicherheitslage von erwachsenen Sikhs wird festgestellt, dass sie Einschränkungen aufgrund der ethnischen Volksgruppenzugehörigkeit unterliegen, der BF aber bisher in römisch 40 leben und arbeiten konnte.
Die BF 2 stammt aus der Provinz Nangarhar, Stadt römisch 40 , Bezirk römisch 40 , wo sie bis zu ihrer Ausreise mit ihren Schwiegereltern sowie ihrer Kernfamilie zusammenlebte. Sie hat keinen Kontakt zu ihrer Familie. Sie verfügt über keinerlei Schulbildung. Sie spricht Punjabi und Dari. Die BF 2 ist Hausfrau. Sikh-Frauen können sich, im Vergleich zu muslimischen Frauen, nicht frei bzw. alleine in der Öffentlichkeit bewegen. Selbst bei Einhaltung der Bekleidungs- und Verhaltensregeln können sie Opfer von Übergriffen werden. Sie benötigen den Schutz eines Mannes. Die BF 2 ist aufgrund der ständigen Gefährdung in ihrer Bewegungsfreiheit äußerst eingeschränkt. Es wird festgestellt, dass eine Versorgung durch den BF 1 gewährleistet werden kann.
Die BF 3 ist die älteste minderjährige Tochter des BF 1 und der BF 2 und wurde in der Provinz Nangarhar, Stadt römisch 40 , Bezirk römisch 40 , geboren. Dort lebte sie mit ihren Eltern und Großeltern zusammen. Sie verließ im Alter von acht Jahren ihre Heimat. In Afghanistan besuchte sie keine Schule. In Österreich besucht sie nun seit September 2014 die Volksschule. Im Hinblick auf die ethnische Zugehörigkeit der minderjährigen Sikh-Mädchen wird zur Versorgungs- und Sicherheitslage festgestellt, dass eine Versorgung der BF 3 durch den BF 1 gewährleistet werden kann. In Bezug auf Entführungen und Vergewaltigungen kommt es zu einem erhöhten Risiko für Sikh-Mädchen im Vergleich zu muslimischen Mädchen. Es wird festgestellt, dass den Sikh-Mädchen ein Schulbesuch, zum einen in ihren Tempeln, zum anderen in einer staatlichen finanzierten Schule für Sikh-Kinder in Kabul, möglich ist. Die BF 3 könnte zwar weiterhin eine Schule besuchen, aber ist es ihr aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage und nicht gegebenen Bewegungsfreiheit für Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen nicht möglich, den Weg zu einer Schule selbständig zurückzulegen. Es besteht die Möglichkeit, dass Sikh-Kinder von muslimischen Kindern beschimpft oder angetastet werden, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs sind. Aufgrund der Berufstätigkeit des BF 1 ist es diesem nicht möglich, seine Kinder in die Schule zu bringen und von dort wieder abzuholen. Aufgrund der massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen ist der BF 3 eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich und zumutbar.
Die BF 4 ist die mittlere minderjährige Tochter des BF 1 und der BF 2 und wurde ebenfalls in der Provinz Nangarhar, Stadt römisch 40 , Bezirk römisch 40 , geboren. Dort lebte sie mit ihren Eltern und Großeltern zusammen. Sie verließ im Alter von sechs Jahren ihre Heimat. In Afghanistan besuchte sie keine Schule. In Österreich besucht sie nun seit September 2014 die Volksschule. Im Hinblick auf die ethnische Zugehörigkeit der minderjährigen Sikh-Mädchen wird zur Versorgungs- und Sicherheitslage festgestellt, dass eine Versorgung der BF 4 durch den BF 1 gewährleistet werden kann. In Bezug auf Entführungen und Vergewaltigungen kommt es zu einem erhöhten Risiko für Sikh-Mädchen im Vergleich zu muslimischen Mädchen. Es wird festgestellt, dass den Sikh-Mädchen ein Schulbesuch, zum einen in ihren Tempeln, zum anderen in einer staatlichen finanzierten Schule für Sikh-Kinder in Kabul, möglich ist. Die BF 4 könnte zwar weiterhin eine Schule besuchen, aber ist es ihr aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage und nicht gegebenen Bewegungsfreiheit für Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen nicht möglich, den Weg zu einer Schule selbständig zurückzulegen. Es besteht die Möglichkeit, dass Sikh-Kinder von muslimischen Kindern beschimpft oder angetastet werden, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs sind. Aufgrund der Berufstätigkeit des BF 1 ist es diesem nicht möglich, seine Kinder in die Schule zu bringen und von dort wieder abzuholen. Aufgrund der massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen ist der BF 4 eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich und zumutbar.
Die BF 5 wurde am 11.12.2015 in Österreich geboren und ist die jüngste minderjährige Tochter des BF 1 und der BF 2. Es fand zwar noch keine Sozialisierung der zweieinhalb Jährigen in Afghanistan statt, dennoch aber eine Sozialisierung in ihrem afghanischen Familienverband. Im Hinblick auf die ethnische Zugehörigkeit der minderjährigen Sikh-Mädchen wird zur Versorgungs- und Sicherheitslage festgestellt, dass eine Versorgung der BF 5 durch den BF 1 gewährleistet werden kann. In Bezug auf Entführungen und Vergewaltigungen kommt es zu einem erhöhten Risiko für Sikh-Mädchen im Vergleich zu muslimischen Mädchen. Es wird festgestellt, dass den Sikh-Mädchen ein Schulbesuch, zum einen in ihren Tempeln, zum anderen in einer staatlichen finanzierten Schule für Sikh-Kinder in Kabul, möglich ist. Die BF 5 könnte zwar bei Erreichen des schulpflichtigen Alters eine Schule besuchen, aber ist es ihr aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage und nicht gegebenen Bewegungsfreiheit für Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen nicht möglich, den Weg zu einer Schule selbständig zurückzulegen. Es besteht die Möglichkeit, dass Sikh-Kinder von muslimischen Kindern beschimpft oder angetastet werden, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs sind. Aufgrund der Berufstätigkeit des BF 1 ist es diesem nicht möglich, seine Kinder in die Schule zu bringen und von dort wieder abzuholen. Aufgrund der massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen ist der BF 5 eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich und zumutbar.
Die BF befinden sich seit spätestens 17.02.2014 in Österreich. Sie sind illegal in das Bundesgebiet eingereist.
Die BF sind unbescholten. Die BF 1 und 2 haben in Österreich einen Deutschkurs besucht. Die BF 1 und 2 gehen in Österreich keiner Arbeit nach und verfügen auch nicht über eine Einstellungszusage. Die BF haben in Österreich vor allem Kontakt zu anderen Sikhs. Der Schwager des BF 1 lebt mit seiner Familie in Österreich. Ein besonders enger Kontakt konnte nicht festgestellt werden.
Die BF sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, bzw. sind die BF 3, 4 und 5 noch nicht strafmündig. Der BF 1 und die BF 2 haben sich im Herkunftsstaat nicht politisch betätigt, waren nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatten keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.
Nach konkreter Auseinandersetzung mit der in Kabul herrschenden Rückkehrsituation, unter besonderer Berücksichtigung der vorherrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit wird festgestellt, dass es Frauen und Mädchen aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sikh nicht möglich ist, sich alleine in der Öffentlichkeit zu bewegen wie es andere Frauen in Afghanistan tun, da sie angefasst und beschimpft werden können. Sie haben männlichen Schutz zwingend nötig. Aufgrund der anzunehmenden Berufstätigkeit des BF 1 ist es der BF 2 als Frau nicht möglich, ihre Töchter, die BF 3 bis 5, alleine zur Schule zu bringen oder sich sonst ohne Gefahr vor Übergriffen - im Vergleich zu anderen muslimischen Frauen - frei zu bewegen. Auch den Töchtern ist ein alleiniges Bewegen in der Öffentlichkeit, selbst im Beisein der Mutter, nicht möglich.
Soweit im Übrigen in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Name, Geburtsdatum und Geburtsort) getroffen wurden, beruhen diese auf den vom Sachverständigen festgestellten Angaben und auf den glaubwürdigen Angaben und vorgelegten Beweismitteln, wie etwa der österr. Geburtsurkunde der BF 5. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Personen der BF im Asylverfahren.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden zugrunde gelegt:
a) nachstehende Länderberichte über die Lage/Sicherheitslage in Afghanistan, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Wien am 02.03.2017, (letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018) - (auszugsweise werden nur die für die Personen der BF relevanten Stellen angeführt)
"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vergleiche BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019
Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vergleiche NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vergleiche The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vergleiche The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vergleiche Reuters 24.1.2018).
Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
The Guardian (22.1.2018)
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vergleiche NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
Quellen:
KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vergleiche SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vergleiche SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vergleiche SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).
Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).
Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).
(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)
Zivilist/innen
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
High-profile Angriffe:
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vergleiche Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vergleiche Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vergleiche BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vergleiche NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vergleiche BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vergleiche NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vergleiche UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe
Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).
Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).
Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:
Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um
3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Taliban
Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):
Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vergleiche BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).
Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).
Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).
Politische Entwicklungen
Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).
Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).
Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).
Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).
In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).
Quellen:
KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).
Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).
Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).
(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)
Zivilist/innen
Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).
Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).
Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)
(UNAMA 7.2017)
High-profile Angriffe:
Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).
Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:
Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vergleiche, BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vergleiche, NYT 25.8.2017).
Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).
"Green Zone" in Kabul
Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).
Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).
Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).
Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vergleiche Reuters 6.8.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).
Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).
Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen: Taliban
Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.
Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).
Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vergleiche SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vergleiche, Tolonews 17.6.2017).
Politische Entwicklungen
Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).
Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).
Quellen:
U.S. military,
https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-airstrike/senior-islamicstate-commanders-killed-in-afghanistan-air-strike-u-s-military-idUSKCN1AT06J, Zugriff 19.9.2017
https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2017-07-30qr.pdf, Zugriff 19.9.2017
afghanistan-and-its-implications-international-peace-and-7, Zugriff 21.9.2017
KI vom 27.6.2017: Afghanische Flüchtlinge im Iran (betrifft: Abschnitt 23 Rückkehrer)
Aus gegebenem Anlass darf auf folgendes hingewiesen werden:
Informationen zur Situationen afghanischer Flüchtlinge im Iran können dem Länderinformationsblatt Iran entnommen werden (LIB Iran - Abschnitt 21/Flüchtlinge).
Länderkundliche Informationen, die Afghanistan als Herkunftsstaat betreffen, sind auch weiterhin dem Länderinformationsblatt Afghanistan zu entnehmen.
KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:
improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).
(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)
(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus UNGASC 3.3.2017; UN GASC 7.3.2016)
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).
Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).
High-profile Angriffe:
Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).
Hauptstadt Kabul
Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vergleiche auch:
al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).
(The Guardian 31.5.2017) [Anm.: man beachte, dass die Opferzahlen in dieser Grafik, publiziert am Tag des Anschlags, noch überhöht angegeben wurden]
Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vergleiche auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).
Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).
Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vergleiche auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vergleiche auch: The Guardian 3.6.2017).
Herat
Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vergleiche auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vergleiche auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).
Mazar-e Sharif
Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).
Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vergleiche auch: al-Jazeera 11.6.2017).
Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vergleiche auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).
Taliban
Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).
Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch:
BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).
Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al- Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).
Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).
Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:
sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vergleiche auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: DZ 14.6.2017).
Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vergleiche auch:
NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).
Quellen:
steigt-auf-ueber-150-15048658.html, Zugriff 20.6.2017
_15_june_2017.pdf, Zugriff 20.6.2017
42a6-8d68-6ea04bb3cfc9_story.html?utm_term=.abe31cb01667, Zugriff 21.6.2017
KI vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q1.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).
INSO berichtet für den Zeitraum Jänner - März 2017 von insgesamt
6.799 sicherheitsrelevanten Vorfällen in ganz Afghanistan (INSO o. D.):
Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).
Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).
Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017
Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).
Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).
High-profile Angriffe:
Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vergleiche auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).
Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vergleiche auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).
(SIGAR 30.4.2017).
Taliban
Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).
Helmand
Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vergleiche auch: Khaama Press 11.4.2017). Auch das afghanische Verteidigungsministerium hat Befreiungsoperationen gestartet, die sogenannten Khalid-Operationen in Helmand aus den beiden Distrikten, Garamser und Nad-e Ali heraus (Khaama Press 11.4.2017). Militärischen Quellen zufolge, wurde im Mai eine riesige Kommandozentrale der Taliban im Distrikt Nad-e Ali zerstört (Sputnik News 10.5.2017).
Kunduz
Seit zwei Jahren ist Kunduz Zentrum intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LWJ 9.5.2017); die Stadt Kunduz fiel zweimal bevor die ANDSF und die Koalitionskräfte sie wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten (SIGAR 30.4.2017; vergleiche auch: LWJ 9.5.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).
Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vergleiche auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein - so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vergleiche auch: BBC 8.5.2017).
In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe, in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer, sowie vier Kommandanten, getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vergleiche auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).
Quellen:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).
In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).
INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).
Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).
Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).
Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).
Kontrolle von Distrikten und Regionen
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).
Rebellengruppen
Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).
Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).
Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).
Taliban und ihre Offensive
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).
Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vergleiche auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vergleiche auch:
The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).
Haqqani-Netzwerk
Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).
Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).
Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).
Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).
Al-Qaida
Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vergleiche auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).
Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)
Siehe Kapitel 2 - Politische Lage - Friedens- und Versöhnungsprozesse
IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat
Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vergleiche auch:
MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).
Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vergleiche auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).
Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).
Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).
Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).
Drogenanbau und Gegenmaßnahmen
Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums, vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis, verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen, im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potentielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus - eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkter Beseitigungsbemühungen, aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen, zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).
Zivile Opfer
Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).
UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).
Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).
Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).
Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte
Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge, sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Int. Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden 5 Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015).
Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).
Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).
Quellen:
Kabul
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)
Distrikt Kabul
Gewalt gegen Einzelpersonen 21
Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe 18
Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen 50
Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften 31
Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt 28
Andere Vorfälle 3
Insgesamt 151
(EASO 11.2016)
Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Provinz Kabul
Gewalt gegen Einzelpersonen 5
Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe 89
Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen 30
Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften 36
Andere Vorfälle 0
Insgesamt 161
(EASO 11.2016)
Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).
In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).
Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vergleiche auch: UNAMA 6.2.2017).
Quellen:
Nangarhar
Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und den Gebirgszug Spinghar im Süden (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.545.448 geschätzt (CSO 2016)
Gewalt gegen Einzelpersonen 127
Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe 1.049
Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen 199
Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften 460
Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt 55
Andere Vorfälle 11
Insgesamt 1.901
Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Nangarhar
1.901 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).
Seit dem Auftreten des Islamischen Staates in der bergreichen Provinz Nangarhar kommt es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräfte und IS-Aufständischen (Xinhua 18.2.2017; vergleiche auch: Xinhua 10.2.2017). Die Aktivitäten des Islamischen Staates in der Provinz sind auf einige Gebiete in Nangarhar beschränkt (Tolonews 19.2.2017). Berichten zufolge sind dies insbesondere die Distrikte Achin, Kot, Haska Mina, sowie andere abgelegene Distrikte in Nangarhar (Khaama Press 22.1.2017).
In der Provinz werden regelmäßig Luftangriffe gegen den Islamischen Staat durchgeführt (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: Khaama Press 21.2.2017; Khaama Press 14.2.2017; ICT 7.2.2017; Global Times 28.1.2017; Khaama Press 29.12.2016). Auch werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: Khaama Press 16.2.2017; Khaama Press 14.2.2017; Xinhua 10.2.2017; Xinhua 14.1.2017; Pajhwok 26.7.2016); getötet wurden dabei hochrangige Führer des IS (Khaama Press 16.2.2017; Xinhua 10.2.2017; vergleiche auch:
Shanghai Daily 4.2.2017), aber auch Anführer der Taliban (Khaama Press 29.12.2017). In manchen Teilen der Provinz hat sich die Sicherheitslage aufgrund von militärischen Operationen verbessert (Pajhwok 19.9.2016). Einem hochrangigen Beamten zufolge, werden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin Druck auf Sympathisanten des IS in Ostafghanistan ausüben, um zu verhindern, dass diese sich in den Distrikten Nangarhars oder anderen Provinzen ausweiten (Khaama Press 24.1.2017).
Quellen:
Religionsfreiheit
Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vergleiche USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vergleiche auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Artikel 3, der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vergleiche auch:
CSR 8.11.2016).
Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).
Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).
Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).
Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).
Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).
Quellen:
Sikhs/Hindus
Von den Sikhs wird angenommen, vor etwa 200 Jahren nach Afghanistan gekommen zu sein. Bis 1992 stieg ihre Zahl auf bis zu 50.000, wobei sie sich vor allem in Jalalabad, Kabul, Kandahar und Ghazni ansiedelten. Jahrzehntelange Instabilität und Intoleranz haben Emigrationswellen verstärkt und dadurch die Gemeinschaft landesweit verkleinert (RAWA 17.6.2013; vergleiche auch: CRS 8.11.2016). Fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt sei - laut Sikhführern - der Hauptgrund für die Emigration. Sie berichteten von einer gesteigerten Emigration, nachdem sich die wirtschaftliche Lage für ihre Gemeinschaften verschlechtert hat und es zu erhöhten Sicherheitsbedenken gekommen war (USDOS 10.8.2016). Derzeit wird die Bevölkerung der Sikhs in Afghanistan auf 5.000 geschätzt (Sikh24 22.9.2016).
Nichtmuslim/innen, wie z.B. Sikhs, Hindu und Christen waren Belästigung ausgesetzt und in manchen Fällen sogar Gewalt. Nachdem Religion und Ethnie stark miteinander verbunden sind, ist es schwierig die vielen Vorfälle nur als Vorfälle bezüglich religiöser Identität zu kategorisieren (USDOS 10.8.2016). Hindus und Sikhs verlautbarten, es sei ihnen möglich ihre Religion öffentlich zu praktizieren; dennoch leiden sie an gesellschaftlicher Diskriminierung, inklusive Einschränkungen bei Bildung und wirtschaftlichen Möglichkeiten (CRS 8.11.2016)
Sikhs und Hindu waren Diskriminierung ausgesetzt und berichteten von ungleichem Zugang zu Regierungsjobs und Belästigungen in Schulen, sowie verbaler und physischer Misshandlung an öffentlichen Orten. Präsident Ashraf Ghani hat sich mit Sikhs und Hindus im September 2016 getroffen, um das Opferfest zu zelebrieren (USDOS 13.4.2016).
Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus/Sikhs schon auf Grund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 9.2016). Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Dieser Sitz wird zurzeit durch eine Frau eingenommen (AA 9.2016). Nach jahrelanger politischer Diskussion, hat die afghanische Einheitsregierung (RNE) im September 2016 der Reservierung eines Parlamentssitzes im Unterhaus für Sikhs und Hindus stattgegeben (Pakistan Defence 21.9.2016; vergleiche auch: Sikh 24 22.9.2016).
Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft zeigten sich besorgt über nachbarschaftliche Dispute. Aus Angst vor Vergeltung, bevorzugen sie, Entschädigungen nicht durch Gerichte einzuklagen. Mitglieder der beiden Gemeinden gaben an, dass sie ihre Fälle allgemein nicht an ein ziviles Gericht herantragen, sondern ziehen es vor ihre Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde zu lösen. Sikhs und Hindus haben die Möglichkeit sich an Schlichtungsstellen wie z. B. das Spezialgericht für Land- und Besitzfragen ("Special Land and Property Court") zu wenden. Beide Gemeinschaften gaben an, sich durch diese Mechanismen nicht geschützt zu fühlen. Laut Vertreter/innen dieser Minderheitenreligionen haben Gerichte Nichtmuslim/innen nicht dieselben Rechte wie Muslimen anerkannt, und sie in weiterer Folge der hanafitischen Rechtsprechung unterstellt (USDOS 10.8.2016).
Kremation:
Hindus und Sikhs werden von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter wahrgenommen. Viele Muslim/innen lehnen insbesondere die Feuerbestattung ab, die im Hinduismus und Sikhismus das zentrale Begräbnisritual darstellt (AA 9.2016). In den vergangenen Jahren, gaben Hindus und Sikhs an, dass es ihnen aufgrund von Anrainer/innen aus der Nähe des Krematoriums nicht möglich war, ihre Toten im Rahmen ihrer Traditionen zu verbrennen. Obwohl ihnen die Regierung das Land für eben diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat, beschweren sich Sikhs, dass das Land zu weit entfernt liegt und zu unsicher ist. Die Regierung stellt weiterhin Polizeiunterstützung für die Sikh- und Hindugemeinschaft zur Verfügung, während sie ihre Kremationsrituale abhalten (USDOS 10.8.2016).
In Afghanistan existieren drei aktive Gurdwaras (Sikh-Gebetsstätten) und fünf Mandirs (Hindu-Tempel); buddhistischen Ausländer/innen steht es frei in Hindu-Tempeln zu beten (CRS 8.11.2016).
Eine staatlich finanzierte Schule für Sikh-Kinder befindet sich in Kabul. Die Regierung hat Schulen in den Provinzen Helmand und Ghazni geschlossen, nachdem die Zahl der Anmeldungen zurückgegangen war. Die Regierung stellt proportional finanziell dieselben Mittel für Lehrergehälter, Schulbücher und Schulerhalt zu Verfügung, wie auch bei anderen Schulen. Das Bildungsministerium stellt den Bildungsplan für die Sikh-Schule zusammen - ausgenommen davon ist der Religionsunterricht. Die Gemeinschaft bestellt einen Lehrer für den Religionsunterricht, der vom Bildungsministerium bezahlt wird. Eine privat finanzierte Sikh-Schule in Jalalabad wird von einer NGO, dem Schwedischen Komitee für Afghanistan, unterstützt. Einige Sikh-Kinder besuchen internationale Privatschulen. An der medizinischen Universität in Kabul studiert ein Sikh. Da Hindus keine eigenen Schulen haben, gehen ihre Kinder in die Sikh-Schulen (USDOS 10.8.2016).
Quellen:
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."
(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).
Frauen
Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).
Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Bildung
Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004).
Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).
Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren
63.911 Frauen (CSO 2016).
Frauenuniversität in Kabul
Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:
MORAA 31.5.2016).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:
University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).
Berufstätigkeit
Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).
Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).
Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).
Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).
Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).
Frauen im öffentlichen Dienst
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).
Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).
Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften
Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).
Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).
Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).
Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften
Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vergleiche auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vergleiche auch:
SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).
Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).
Strafverfolgung und Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).
Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).
Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).
Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).
Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).
Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).
Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).
Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).
Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).
Legales Heiratsalter:
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).
In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).
Frauenhäuser
USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).
Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).
Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).
Medizinische Versorgung - Gynäkologie
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016)
Quellen:
Kinder
Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9.2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9.2016).
Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016).
Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen
In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost (AA 9.2016). Üblicherweise sind die Jungen zwischen 10 und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vergleiche auch: AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt und manchmal werden sie von ihren Familien, aufgrund von Armut, an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).
Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. (AA 9.2016)
Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetzesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Schaffung einer Organisation - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015).
Die UNAMA unterstütze weiterhin Bemühungen der AIHRC Bacha Bazi, und andere Formen sexuellen Missbrauchs, vorzubeugen und zu kriminalisieren: sie drängte die afghanische Regierung Bacha Bazi zu kriminalisieren, indem die von einer Kommission entworfenen und vorgeschlagenen Gesetze, durch ein Präsidialdekret bestätigt werden sollen. Derzeit gibt es sehr wenige Leistungen und Unterstützungsmechanismen für Opfer von Bacha Bazi - oftmals werden sie selbst bestraft (UNAMA 6.2.2017).
Kinderarbeit
Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:
Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).
Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9.2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).
Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).
Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fälle nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).
Bildungssystem in Afghanistan
In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.
Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).
Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016).
Quellen:
Rückkehr
Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind, laut Internationalem Währungsfonds (IMF), hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).
IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind - davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind (Khaama Press 17.1.2017).
Afghanische Rückkehrer/innen, afghanische Flüchtlinge und nicht registrierte Afghan/innen
Pakistan
Pakistan hat seit 1978 nicht weniger als eine Million Afghan/innen beherbergt. In den Jahren 1986 bis 1991 waren etwa drei Millionen Flüchtlinge in Pakistan. Zwischen 2002 und 2015 unterstütze UNHCR 3,9 Millionen Afghan/innen bei der Rückkehr. Der Großteil davon kehrte bis Ende 2008 zurück, danach ging die Rückkehrrate signifikant zurück (HRW 13.2.2017).
Wegen zunehmender Spannungen zwischen der afghanischen und pakistanischen Regierung (Die Zeit 13.2.2017), waren im Jahr 2016
249.832 Afghan/innen entweder freiwillig oder durch Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Stand: 7.1.2017) (IOM 8.1.2017).
Bis Ende 2017 soll eine weitere halbe Million Afghan/innen aus Pakistan zurückkehren. Die Anzahl der Rückkehrer/innen ist in den letzten zwei Jahren stetig gestiegen (DAWN 12.1.2017). In der ersten Jännerwoche 2017 kehrten 1.643 nicht registrierte Afghan/innen aus Pakistan (freiwillig oder im Rahmen von Abschiebungen) nach Afghanistan zurück (IOM 8.1.2017). In der zweiten Jännerwoche sind insgesamt 1.579 nicht registrierte Afghan/innen über Nangarhar und Kandahar, entweder freiwillig oder im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt. IOM hat im Berichtszeitraum 79% nicht registrierte Afghan/innen unterstützt; dies beinhaltete Essen und Unterbringung in Transitzentren in Grenznähe, sowie Haushaltsgegenstände und andere Artikel für Familien, spezielle Unterstützung für Personen mit speziellen Bedürfnissen, eine ein-Monatsration vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) und andere relevante Hygieneartikel. Im Rahmen einer Befragung gaben 76% Ende 2016 an, Nangarhar als Niederlassungsprovinz zu wählen, für 16% war dies Kabul, für 4% war es Laghman, 2% gingen nach Kunar und weitere 2% nach Logar (IOM 15.1.2017).
Im Februar 2017 veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) einen Bericht, in dem von "Zwangsrückführungen" afghanischer Flüchtlinge gesprochen wird (HRW 13.2.2017). Der HRW-Bericht basiert auf 115 Interviews mit afghanischen Rückkehrer/innen nach Afghanistan, sowie afghanischen Flüchtlingen und nicht registrierten Afghan/innen in Pakistan (DAWN 13.2.2017; vergleiche auch: HRW 13.2.2017). UNHCR hatte im Juni 2016 die finanzielle Unterstützung für jede Rückkehrer/in von US$ 200 auf US$ 400 erhöht (HRW 13.2.2017). HRW argumentiert, dies sei ein Faktor, der afghanische Flüchtlinge dazu bewogen habe nach Afghanistan zurückzukehren. Laut UNHCR wurden 4.500 Rückkehrer/innen bei Ankunft interviewt, von denen keiner die Bargeldzuschüsse als primären Faktor für die Rückkehrentscheidung angab (DAWN 13.2.2017). Als Gründe für die Rückkehr wurden unter anderem folgendes angegeben: Einrichtung formeller Grenzkontrolle in Torkham; große Besorgnis über die Gültigkeit der Proof of Registration Card (PoR-Cards); Kampagne der afghanischen Regierung in Pakistan ("home sweet home"), die Afghan/innen bat nach Hause zurückzukehren (UNHCR 3.2.2017).
Zahl der Afghan/innen, die von Pakistan in den Jahren 2009 - 2016 zurückgekehrt sind
(HRW 13.2.2017)
Zahl der Afghan/innen, die von Pakistan im Jahr 2016 zurückgekehrt sind
(HRW 13.2.2017)
Iran
Seit 1. Jänner 2016 sind insgesamt 461.112 nicht-registrierte Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. In der zweiten Jännerwoche 2017 sind insgesamt 9.378 nicht registrierte Afghan/innennach Afghanistan durch Herat oder Nimroz zurückgekehrt; von diesen sind 3.531 freiwillig und 5.847 im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt - 2% der nicht registrierten Afghan/innen, die in den Transitzentren in Herat oder Nimroz ankamen, wurden von IOM unterstützt. Dazu zählten 101 UMF (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge), denen IOM eine besondere Unterstützung zukommen ließ, inklusive medizinischer Behandlung, sichere Unterkünfte und die Suche nach Familienangehörigen (IOM 15.1.2017).
Ein UNHCR-Vertreter berichtete, dass afghanische Flüchtlinge in Gegenden zurückkehrten, in denen der Friede wieder hergestellt wurde. Dennoch sei es schwierig, alle afghanischen Flüchtlinge eines Jahres zu verteilen, da der Iran afghanische Migrant/innen zurückschickt und Afghanistan eine Anzahl wohnungsloser Menschen hat, die zusätzlich die Situation verkomplizieren (Pakistan Observer 2.1.2017). Die IOM-Transitzentren in Grenznähe bieten elementare Unterkünfte, Schutz für unbegleitete Minderjährige, Haushaltsgegenstände (Töpfe und Pfannen), sowie Transportmöglichkeiten für Familien, um sich in ihren Wunschgebieten ansiedeln zu können (DAWN 12.1.2017).
Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort
Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsenden Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:
Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen, Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt - um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkindern aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).
Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen - insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9.2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).
Staatliches Pensionssystem
Es ist nur ein öffentliches Rentensystem etabliert. Das übliche Rentenalter liegt zwischen 63 und 65 Jahren, hängt jedoch vom Einzelfall ab. Personen, die in Afghanistan gearbeitet haben, haben Zugang zu Rentenzahlungen. Es gibt keine Einschränkungen, die einzige Voraussetzung ist, dass die Person mehr als 32 Jahre gearbeitet hat und zwischen 63-65 Jahren alte ist. Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen werden als vulnerabel/schutzbedürftig eingestuft. Sie können Sozialhilfe beziehen und zumindest körperlich benachteiligte Menschen werden in der Gesellschaft respektvoll behandelt. Schwierig ist es allerdings mit mental erkrankten Menschen, diese können beim Roten Halbmond und in entsprechenden Krankenhäusern (Ali Abad Mental Hospital, siehe Kontakte) behandelt werden (IOM 2016).
Es gibt keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Arbeitsministerium und der NGO ACBAR (www.acbar.org) angeboten (IOM 2016).
Erhaltungskosten in Kabul
Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).
Wohnungssituation in Sar-e Pul
Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Sar e Pol für zwei Personen belaufen sich auf ca. 180-200 USD pro Monat. Die monatlichen Mietkosten für ein durchschnittliches Haus betragen ca. 70-90 USD und 150-200 USD pro Monat für ein Luxusapartment (IOM 4.8.2016).
Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan
Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).
Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:
Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).
Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vergleiche auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).
Memorandum of Understanding (MoU)
Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden haben seit 2002 mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen (MoU - Memorandum of Understanding) zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u. a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien schieben abgelehnte Asylbewerber/innen afghanischer Herkunft nach Afghanistan ab. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Der afghanische Flüchtlingsminister Balkhi (seit Ende Januar 2015 im Amt) lehnt die Rücknahme von afghanischen Flüchtlingen ab und ignoriert die MoUs, wurde jedoch von Präsident Ghani in seinem Einfluss beschnitten. Ein deutsch-afghanisches Rücknahme-MoU wurde am 2. Oktober 2016 in Kabul unterzeichnet (AA 9.2016).
Quellen:
b) Zu den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchsuchender des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 19.April 2016:
• Abrufbar unter: http://www.refworld.org
c) gutachterliche Stellungnahme des länderkundlichen Sachverständigen, Dr. Sarajuddin RASULY, vom 15.11.2016:
"Zum Vorbringen des BF:
Ausgehend von den Ergebnissen der Forschungen meiner Mitarbeiter in römisch 40 , Kabul, Kunduz, Helmand, Khost und Parwan betreffend die Sikh-Gemeinschaften in den letzten fünf Jahren und von meiner eigenen Wahrnehmungen über die Lage der Sikh in Afghanistan, zuletzt von 21. Oktober bis 31. Oktober 2016, möchte ich folgendes Gutachten zu den Angaben der BFs erstatten.
Die Angaben des BF1 in der Beschwerdeverhandlung waren insofern den Tatsachen entsprechend, dass er neben Punjabi auch Dari und Paschtu gesprochen hat. Er hat auch die Stadt römisch 40 entsprechend der Gegebenheiten dieser Stadt beschrieben und auch seine private und Geschäftsadressen spontan beschrieben. Daher gehe ich davon aus, dass der BF1 auf alle Fälle aus römisch 40 stammt. Aber er war in den Bürgerkriegsjahren und in der Zeit nach dem Sturz des Taliban-Regimes, Seit Ende November 2001, nicht in Afghanistan wohnhaft, sonst müsste er die sicherheitsbetreffende Ereignisse in römisch 40 zumindest von 211 bis 2013 beschreiben können, und auch er müsste angeben können, welche Vorschriften die Taliban-Führung den Sikh in Afghanistan in den Jahren 2000 bis Ende 2001 gemacht hatten.
Ich möchte diesbezüglich einige Beispiele auflisten: Im Februar 2011 haben die Taliban die Kabul-Bank in römisch 40 angegriffen und mehr als 40 Soldaten und Zivilisten getötet. Bei diesem Angriff sind auch mehr als 70 Personen schwer verletzt worden. Solche Detonationen sind in der ganzen Stadt zu hören und es wird Tagelang darüber im Fernsehen berichtet und überall in der Stadt, vor allem im Bazar im Zentrum der Stadt römisch 40 , darüber gesprochen. Im Februar 2012 haben die Taliban das Militärflughafen römisch 40 angegriffen und mehrere Ausländer getötet. Darüber wurde in den afghanischen Medien berichtet. Besonders die Händler im Bazar von römisch 40 können sich bis heute über solche Ereignisse erinnern. Im Jahre 2013, im August, wurde das indische Konsulat in römisch 40 von den Taliban angegriffen und dutzende Menschen kamen dabei ums Leben. Dieses Ereignis versetzte damals die Sikh und Hindus in Angst und Panik-Situation. Hierzu möchte ich auf die Beilagen 1, 2 und 3 hinweisen.
Zur allgemeinen Lage der Sikh und Hindus in Afghanistan:
Die Sikh sind in Afghanistan unterschiedlichen Art von Diskriminierungen ausgesetzt. Sie können sich nicht wie die Muslime in Afghanistan immer frei bewegen. Ihre Frauen müssen seit der Herrschaft der Fundamentalisten, seit 1992 bis zur Gegenwart, sich wie die muslimischen Frauen strak verhüllen, wenn sie das Haus verlassen. Sie gehen nicht alleine aus dem Haus, weil sie vom Pöbel vereinzelt angefasst werden können, ohne dass diesen Pöbeln Konsequenzen drohen würden. Ihre Kinder konnten bis zum Sturz des kommunistischen Regimes die öffentliche Schulen besuchen. Sie waren auch damals vereinzelt Diskriminierungen ausgesetzt, indem sie mit beleidigenden Wörtern beschimpft und ihre Turbane heruntergerissen worden sind. Trotz dieser Diskriminierung konnten die Sikh bis 1992 sich in den Städten frei bewegen und am politischgesellschaftlichen Leben ohne Hindernisse teilnehmen. Aber sie dürften schon damals nicht mit der Ausübung ihrer Religion die Muslime provozieren, und sie mussten nur in ihrem Tempel ihr Glauben praktizieren und sie mussten sich "brav" verhalten. Nach der Machtübernahme der Mujaheddin, im Jahre 1992 bis zum Vertreiben der Mujaheddin aus Kabul und anderen Großstädten durch die Taliban im Jahre 1995 bzw. 1996 waren sie eine Art Freiwild für die Mujaheddin. Es hat in dieser Zeit auch Übergriffe auf die Frauen der Sikh gegeben. Ihre Häuser, Geschäfte und Gebetshäuer wurden von Kommandanten konfisziert. Das führte dazu, dass die Sikh und Hindus mehrheitlich Afghanistan verlassen haben. Unter den Taliban waren wenige Sikh und Hindus in Afghanistan geblieben. Während der Herrschaft der Taliban waren kaum Übergriffe auf die Sikh zu verzeichnen, dafür aber wollten die Taliban, dass die Sikh und Hindus gelbe Schleifen mit sich tragen, damit man sie von den Muslimen unterschieden konnte. Hierzu möchte ich auf folgende Internetquelle hinweisen: http://www.taz.de/!5203529/ und Beilage 4.
Unter den Mujaheddin und unter den Taliban ist es vorgekommen, dass manche Sikh und Hindus von den Fundamentalisten angesprochen worden, dass sie Muslime werden sollten. Die Weigerung der Sikh in solchen Fällen haben damals zu keiner weiteren Konsequenzen mit drakonischen Strafen gehabt. Viele Sikh und Hindus haben aber solche Diskriminierungen und Beleidigungen nicht ausgehalten und haben das Land verlassen. Unter den Taliban haben viele Sikh versucht, möglichst nicht als Sikh aufzufallen. Deshalb haben sie sich so angezogen, wie ein muslimischer Afghane, z.B. ein Paschtune sich anzieht. Auch derzeit versuchen die Sikh, außer strenggläubigen Sikh, sich in der afghanischen Gesellschaft anzupassen, damit sie nicht beim ersten Blick als Sikh erkannte werden können. Mit diesem Schritt wollen sie die Blicke der Pöbel und der Fundamentalisten nicht auf sich ziehen. Im Ramadan müssen sie ihre Geschäfte zu machen, wenn sie ihr Mittagsessen haben wollen. Ich habe während meiner Reisen die Tempel der Sikh in Kabul und Kunduz besucht und in Erfahrung bringen können, dass in Großstädten keine Übergriffe der Taliban auf die Sikh und Hindus gibt. Aber sie sind weiterhin täglich mit Diskriminierung verschiedener Art in der Gesellschaft konfrontiert, wenn sie sich nicht an den Regeln halten, die die Muslime von diesen erwarten. Z.B: sie müssen vermeiden, an den Wasserquellen und Brunnen mit der Handfläche Wasser aus den Quellen zu trinken, sonst müssen sie u.U. damit rechnen, dass bestimmte Muslime sich davor ekeln und diese Sikh beschimpfen und möglicherweise auch zusammenschlagen. Seit Jahrhunderten haben die Sikh und Hindus Afghanistans sich an diesen Diskriminierungen "gewöhnt" und sie versuchen, möglichst "nicht provokativ" in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Die Sikh und Hindus wurden bis jetzt wegen ihre Religion nicht entführt. Aber es wurde ca. im Jahre 2009 bekannt, dass ein Sikh in Kunduz auf offener Straße erschossen wurde. Dieser Mord geht auf das Konto der Taliban. Die Taliban führen die Befehle des pakistanischen Geheimdienstes aus, indem sie angeblich die indischen Agenten in Afghanistan eliminieren. Der Vertreter des Zentralverbandes der Sikh und Hindus in Afghanistan hat die Behauptung der Asylwerber aus der Reihe der Sikh in Österreich, dass die Muslime die Frauen der Sikh¿ auch seit dem Sturz des Taliban-Regimes entführen würden, nicht bestätigt. Seit dem Sturz des kommunistischen Regimes meiden die Sikh Kinder, die öffentlichen Schulen. Seit einigen Jahren, ca. seit 2007 haben Sikh-Gemeinschaften in Afghanistan begonnen, mit Hilfe der Regierung auch Volksschulen in ihrer Sprache neben ihren Tempeln zu gründen. Vereinzelt gehen die Sikh-Jugendlichen auch in den öffentlichen Schulen, aber nur in Jalalabad und in Kabul. Betreffend die Lage der Sikh und Hindus im Laufe der Geschichte Afghanistans besonders seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges möchte ich auf ein Artikels in der Zeitschrift "The Journal of Nationalism and Ethnicity"(Volume 42, Issue 2, 2014). Wegen der Schikanen und Übergriffe der Mujaheddin und Taliban haben nach 1992 ca. 80% der Sikh und Hindus das Land verlassen. Die restlichen Sikh und Hindus konnten unter den Taliban von 1995 bis 2001 unter schwierigen Umständen leben, aber sie haben auch ihre Familien ins Ausland evakuiert. Nachdem Sturz des Taliban-Regimes trauten sich die Sikh, aus ihrem ausländischen Exil, vor allem aus Indien, in die Großstädte von Afghanistan zu kommen. Sie haben wieder Geschäfte in Großstädten gegründet und auch ihre Tempeln wieder aufgebaut. Allerdings sind die meisten Sikh von Afghanistan ferngeblieben, weil sie durch das Wiedererstarken der Taliban ab 2006 im Osten und ab 2007 auch in anderen Teilen des Landes Angst hatten, sich in Afghanistan wieder niederzulassen. Die im Lande verbliebenen oder zurückgekehrten Sikh in Afghanistan gehen Tätigkeit nach. Sie sind Laden-Besitzer, Naturheiler und Gewürzverkäufer. In Großstädten wie in Kabul und in Jalalabad können sie ohne Schwierigkeiten sich am täglichen Bazar-Leben beteiligen. Sie werden nicht von der Bevölkerung angegriffen, weil sie Sikh sind. Aber sie dürfen ihr Glauben in der Öffentlichkeit nicht ausleben und sie müssen sich auf der Straße untertänig bewegen und wenn ein muslimischer Pöbel sie auslacht oder anfasst, keine Reaktion zeigen. Es kommt auch heute vor, dass manche Sikh Kinder, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs sind von muslimischen manchen Kindern beschimpft oder auch angetastet werden. Aus diesem Grunde meiden die Sikh Kinder, wenn sie nach Afghanistan zurückgekehrt sind, die öffentliche Schulen, die sie in der Monarchie und in der kommunistischen Zeit besuchen konnten. Die Sikh Frauen werden seit dem Sturz des Taliban-Regimes in der Öffentlichkeit nicht von jedem Muslim angegriffen und sie werden auch nicht aufgefordert, sich zum Islam zu bekennen. Aber es gibt in den Städten wie Kabul und Jalalabad Lumpen und Pöbel, die gelegentlich die Sikh Frauen unsittlich antasten und auch anreden. Allerdings stehen die Sikh in Großstädten wieder unter besonderem Schutz der Behörde. Dieser Schutz haben die Sikh der großzügigen Finanz - und Militärhilfe Indiens für den afghanischen Staat zu verdanken. Trotzdem müssen die Sikh ständig auf der Hut sein, wenn sie außerhalb der Städte reisen. Es kann passieren, dass die Taliban sie entführen, wenn ihre Entführung für die Propaganda der Taliban notwendig ist. Allerdings sind von den Entführungen der Taliban auch Muslime betroffen, die die Taliban als Feind erachten. Die Sikh bewegen sich in Städten in Gruppen und die meisten von ihnen leben in Tempeln oder in der Nähe ihrer Tempel in Gruppen. Die Sikh können zwischen Jalalabad und Kabul wie jeder Afghane reisen und sie werden von den Reisenden oder von bewaffneten Gruppen nicht gezielt gehindert, nach Kabul zu reisen. Auf der Hauptstraße von Kabul bis Jalalabad hat die Armee Militärposten errichtet und die Reisenden von Kabul nach Jalalabad und umgekehrt können weitgehend ohne Probleme reisen. Allerdings versuchen die Reisenden und Linientaxis schon vor dem Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel zu erreichen. Da in der Nacht nicht ausgeschlossen ist, dass die bewaffneten Gruppen und Banden sich auf die Straßen trauen. In diesem Falle ist es nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Personen beraubt oder mitgenommen werden, auch Sikh bleiben in einer solchen Situation nicht verschont. Auf dem Weg nach Jalalabad kann es alle paar Monate passieren, dass die Taliban plötzlich ein Militärkonvoi oder Militärposten angreifen und dabei auch die Zivilisten zu Schaden kommen können."
d) die ergänzende gutachterliche Stellungnahme des länderkundlichen Sachverständigen, Dr. Sarajuddin RASULY, für Afghanistan, vom 21.03.2018:
"1. Wie ist die Sicherheitslage und Versorgungslage betreffend erwachsene Sikhs in der Stadt Kabul und Jalalabad sowie in ganz Afghanistan? 2. Wie ist die Sicherheitslage betreffend minderjährige weibliche Sikhs (im Alter der BF 3-5) in der Stadt Kabul und Jalalabad sowie in ganz Afghanistan? Besteht für diese die Gefahr Opfer von willkürlichen Übergriffen, sexuellen Belästigungen, Vergewaltigungen oder sonstigen Übergriffen, die die physische oder psychische Integrität betreffen, zu werden? Sind solche Vorkommnisse bekannt und wie oft passieren diese? 3. Kann man als erwachsener Sikh aktuell von Kabul ohne Sicherheitsrisiko nach Jalalabad reisen oder besteht ein besonderes Gefährdungspotential für Sikh? 4. Besteht bei so einer Reise ein erhöhtes Risiko für minderjährige Sikh-Mädchen im Alter der BF 3-5, Opfer von willkürlichen Übergriffen, sexuellen Belästigungen, Vergewaltigungen oder sonstigen Übergriffen, die die physische oder psychische Integrität betreffen, zu werden?
Zur aktuellen allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage der Sikh und Hindus in Afghanistan:
Auch derzeit, im März 2018, sind die Sikhs in Afghanistan unterschiedlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Sie können weiterhin nicht in der afghanischen Gesellschaft mit dem gehobenen Haupt auf der Straße gehen. Die mehrheitlich rückständigen Muslime betrachten das selbstbewusste Auftreten in der afghanischen Gesellschaft nur ihr alleiniges "Privileg".
Die Sikhs müssen untertänig schmeichelnd, manchmal auch mit depressiver Stimmung, in der Öffentlichkeit erscheinen bzw. in ihren Geschäften sitzen.
Die meisten Sikhs haben Stoff-, Drogerie- und Naturheilmittelgeschäfte und sie sitzen unauffällig in ihren Geschäften und schließen ihre Geschäfte vor dem Sonnenuntergang und begeben sich, meistens mehrere Sikhs zusammen, zu ihren Häusern oder Tempeln.
Ihre Frauen müssen sich seit Beginn der Herrschaft der Fundamentalisten, seit 1992 bis zur Gegenwart, wie die muslimische Frauen größere Kopftücher und Körperbedeckung tragen und sie gehen ohne männliche Begleitung nicht aus ihren Häusern. Wenn sie sich auf die traditionelle Gebiete, außerhalb der Großstädte, begeben, tragen sie teilweise auch Burqa, damit sie nicht angepöbelt und beschimpft werden. Außerhalb der Großstädte sind die Sikhs-Frauen derselben strengen Regeln verpflichtet, wie die muslimischen Frauen, sie in der Öffentlichkeit erscheinen.
Die Sikhs- und Hindus sind kaum ohne Beschäftigung und sie sind erfinderisch und betreiben die traditionellen Berufe ihrer Eltern und Großeltern treu. Daher sind die Sikhs nicht besonders von der schlechten Wirtschaftslage betroffen. Aber wenn sie reicher werden und ihre Geschäfte expandieren müssen sie Schutzgeld für die bewaffneten Gruppen, aber auch den kriminellen Banden zahlen, damit sie oder ihre Kinder nicht entführt werden.
Zu den Kindern der Sikhs und Hindu in Afghanistan:
Die Kinder der Sikhs und Hindus konnten bis zum Sturz des kommunistischen Regimes die öffentlichen Schulen bzw. staatliche Schulen besuchen. Sie wurden zwar schon damals von Schulkindern belächelt und auch damals mussten diese Kinder sich untertänig verhalten. Aber ihnen ist damals nichts passiert und die Gesellschaft mischte sich ein, zeigte Zivilcourage und stellte sich schützend vor die Sikh-Kinder, wenn sie in ernstere Gefahr geraten waren.
Es kommt auch heute vor, dass manche Sikh Kinder, wenn sie alleine auf der Straße unterwegs sind, von einzelnen Kindern und Pöbel mit ordinären und beleidigenden Wörter angesprochen und es wird auch gelegentlich an ihren Haaren und Turbanen gezogen. Aus diesem Grunde meiden die Sikh-Kinder weiterhin die öffentlichen Schulen, die sie in der Zeit der Monarchie und in der kommunistischen Zeit besuchen konnten. Auch in der Zeit der Monarchie wurden die Sikh diskriminiert.
Aber die Autorität der Behörde hinderte die Menschen damals, diese anzugreifen, was heute nicht ausgeschlossen ist, wenn ein Fundamentalist primitive Argument für seinen Angriff auf einen Sikh oder Sikh-Frau im Raum stellt, dass die Passanten sich mit dem primitiven Fundamentalisten und Pöbel solidarisieren und die Sikhs angreifen.
Die Sikhs-Kinder, besonders die Mädchen meiden die öffentliche Schulen, aber sie besuchen Privatschulen und auch die Schulen ihrer eigenen Tempel.
Die Mädchen der Sikhs gehen hauptsächlich in ihren Tempeln in die Schule.
Die Sikhs-Mädchen können entführt und vergewaltigt werden, wie auch die muslimische Mädchen, die den Kriminellen und auch den Söhnen der Mächtigen auffallen. Während die muslimischen Mädchen von ihren Familienmitgliedern verteidigt werden könnten, ist es den Sikhs oft nicht möglich, ihre Mädchen zu schützen, wenn sie auf der Straße auffallen und einem Kriminellen oder einem Kommandanten gefallen. Obwohl die Sikhs unter besonderer Schutz der Behörde stehen, versuchen sie möglichst nicht aufzufallen und bleiben ihre Kinder und Frauen zu Hause, wenn sie nicht unbedingt, außerhalb des Hauses gehen müssen.
Die Sikh können zwischen Jalalabad und Kabul wie jeder Afghane reisen und sie werden von den Reisenden oder von bewaffneten Taliban nicht gezielt am der Reise zwischen Kabul und Jalalabad gehindert. Auf der Hauptstraße von Kabul bis Jalalabad hat die Armee Militärposten errichtet und die Reisenden von Kabul nach Jalalabad und umgekehrt können weitgehend ohne Probleme reisen. Allerdings versuchen die Reisenden und Linientaxis schon vor dem Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel zu erreichen. Da in der Nach nicht ausgeschlossen ist, dass die bewaffneten Gruppen, Taliban, IS und Banden sich auf die Straßen zeigen.
In diesem Falle ist es nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Personen beraubt oder mitgenommen werden, auch Sikh bleiben in einer solchen Situation nicht verschont. Auf dem Weg nach Jalalabad kann alle paar Monate passieren, dass die Taliban plötzlich ein Militärkonvoi oder Militärposten angreifen und dabei auch die Zivilisten Zum Schaden kommen können.
Nach meiner Telefoninformation aus Afghanistan werden die Sikhs zwar nicht von den Taliban als Zielgruppe auf ihren Reisewegen angegriffen, aber die neue Terrorgruppe, nämlich Daesh, töten die Sikhs, auch ihre Frauen und Kinder, wenn sie diese auf den Hauptstraßen erwischen."
2. Beweiswürdigung:
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der darin enthaltenen niederschriftlichen Angaben der BF, den bekämpften Bescheiden, den Beschwerden, dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, der Stellungnahme der BF sowie dem ergänzenden Sachverständigengutachten Beweis erhoben.
2.1. Zu den Personen der BF:
Die getroffenen Feststellungen zu den Personen ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen der BF 1 und 2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und zur Religionszugehörigkeit, zur Herkunft und zu den Lebensumständen der BF 1 bis 4 im Herkunftsstaat sowie aller BF in Österreich stützen sich auf die Angaben der BF im Verfahren vor dem BFA, in den Beschwerden, sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Punjabi. Die Angaben der BF waren gleichlautend und somit glaubhaft. Dies wurde schon in den Bescheiden des BFA gleichlautend ausgeführt.
Die Identität der BF steht - wie auch schon vom BFA festgestellt wurde - aufgrund der Vorlage von Identitätsdokumenten mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.
Die Feststellungen zum Geburtsort, ihrem Leben ebendort und zur Erwerbstätigkeit des BF 1 beruhen auf den plausiblen Angaben des BF 1 und der BF 2 im Verfahren vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht. Diesbezüglich erwies sich das Vorbringen des BF 1 als substantiiert, und es haben sich keine Ungereimtheiten ergeben, sodass diesen Angaben gefolgt werden konnte.
Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des BF 1 sowie zu seiner bisher ausgeübten Tätigkeit in römisch 40 stützen sich ebenfalls auf dessen Angaben im Asylverfahren sowie in der Beschwerdeverhandlung. Dass der BF 1 für den Lebensunterhalt seiner Familie gesorgt hat, ergibt sich schlüssig aus der von ihm bis zu seiner Ausreise ausgeübten Berufstätigkeit.
Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Familie der BF noch in Afghanistan aufhältig sind. Den Angaben des BF 1 zufolge hat weder er noch seine Frau Kontakt zu ihren Familien. In Österreich lebt der Bruder der BF 2.
2.2. Zur Situation der BF in Österreich:
Die Feststellungen zur Aufenthaltsdauer in Österreich, zur familiären Situation, zum Aufenthaltsort der Kernfamilie sowie zum Ausmaß der Integration der BF in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, insbesondere auf die vom BF 1 und von der BF 2 vorgelegten Unterlagen sowie auf die Angaben dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die BF verfügen über Deutschkenntnisse. Keiner der BF ist Mitglied in einem Verein. Es bestehen einige freundschaftliche Kontakte der BF vor allem zu Sikhs, aber auch Kontakt zum Schwager des BF 1. Dazu kommt, dass die BF keine Bindung zu Afghanistan aufweisen.
Die getroffenen Feststellungen zum Besuch von Deutschkursen des BF 1 und der BF 2 wurden durch Vorlage von Teilnahmebestätigungen nachgewiesen. Bestätigungen über die Absolvierung mehrerer Sprachkurse wurden im Verfahren vorgelegt.
Dass die BF 3 und 4 zurzeit die Volksschule in Österreich besuchen, ergibt sich aus den unbedenklichen vorgelegten Schulbesuchsbestätigungen und Zeugnissen.
Die Feststellungen, dass die BF im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sind, ergeben sich aus den eingeholten Strafregisterauszügen.
Die Feststellungen zu den Aktivitäten der BF in Österreich ergeben sich aus den von ihnen vorgebrachten glaubwürdigen Angaben.
Die Feststellung, dass die BF gesund sind und an keinen relevanten medizinischen Beschwerden leiden, konnte aufgrund der Aussagen des BF 1 und der BF 2 im Laufe des Verfahrens sowie auch in der mündlichen Verhandlung getroffen werden. Zweifel an der grundsätzlichen Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des BF 1 sind im Übrigen während des gesamten Verfahrens nicht aufgetaucht.
2.3. Zur derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan und der Heimatregion der BF, zur Versorgunglage- und Rückkehrsituation:
Diese Feststellungen stützen sich auf die oben angeführten Quellen. Das Bundesverwaltungsgericht bediente sich hierbei einer ausgewogenen Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprunges, um sich so ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat der BF machen zu können. Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität dieser Aussagen, der die belangte Behörde weder mündlich noch schriftlich substantiiert entgegengetreten ist, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Zuverlässigkeit und Richtigkeit dieser Quellen zu zweifeln.
Andererseits stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf die erstatteten gutachterlichen Stellungnahmen des mit ausgewiesener Fach- und Landeskunde ausgestatteten länderkundigen Sachverständigen für Afghanistan, Univ.- Lekt. Dr. Sarajuddin Rasuly, zur Sicherheitslage in Afghanistan vom 15.11.2016 und vom 21.03.2018.
Gemäß Paragraph 46, AVG ist dem Verwaltungsverfahren der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel immanent, wodurch alles als Beweismittel herangezogen werden kann, was nach logischen Grundsätzen einen Beitrag zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts zu leisten vermag.
Beim Sachverständigen handelt es sich um einen mit ausgewiesener Fach- und Landeskunde ausgestatteten Experten, der selbst Afghane ist und aufgrund regelmäßiger Vorort-Recherchen in Afghanistan über die dementsprechenden Orts- und Sprachkenntnisse verfügt. Es bestanden daher aus Sicht des erkennenden Gerichtes keine Anhaltspunkte, dem Gutachten nicht zu folgen und folgte das Gericht vielmehr diesem Gutachten zur Gänze.
Aus den herangezogenen Länderberichten ergibt sich, dass den BF aufgrund der prekären aktuellen Sicherheitslage eine Rückkehr in ihre Heimatprovinz weder möglich noch zumutbar ist. Bei der Provinz Nangarhar handelt es sich um eine der volatilsten Provinzen in ganz Afghanistan.
Die aktuelle Beurteilung der Lage in Afghanistan, insbesondere der Situation in der Stadt Kabul, ergibt, dass die allgemeine Lage in Kabul nach den vorliegenden Länderberichten als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen ist, selbst wenn es auch dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Innerhalb Kabuls existieren demnach in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGO¿s sowie gezielt auf (internationale) Sicherheitskräfte ereignen. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.
In den Stellungnahmen des länderkundigen Sachverständigen wurde zur Situation der Sikh in Großstädten, wie Kabul, zudem festgehalten, dass diese zwar unter besonderem Schutz der Behörde stehen, es aber trotzdem zu Einschränkungen im täglichen Leben kommt. Es ist richtig, dass der BF 1 trotz Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sikh ein Geschäft betreiben konnte. Trotzdem gibt es Einschränkungen in Bezug auf die Teilnahme am Alltagsleben. Aus der Stellungnahme vom 21.03.2018 ergibt sich ebenso, dass sich Sikh-Frauen, selbst bei Einhaltung der strengen Verhaltens- und Bekleidungsregeln, nicht selbständig und alleine bewegen können, so wie dies muslimische Frauen tun, da immer die Möglichkeit von Übergriffen auf diese besteht. Für Sikh-Mädchen besteht ein erhöhtes Risiko Opfer einer Entführung oder Vergewaltigung zu werden.
Der BF 2 ist es - selbst unter Einhaltung der Verhaltens- und Bekleidungsregeln im Vergleich zu muslimischen Frauen - nicht möglich, sich alleine in der Öffentlichkeit ohne männliche Bekleidung zu bewegen
Aus diesem Grund ist es der BF 2 auch nicht möglich, die Töchter, die BF 3 bis 5, selbständig zur Schule zu bringen oder abzuholen. Den Sikh-Kindern ist ein Schulbesuch nicht möglich, da es zu Beschimpfungen bzw. Angriffen durch andere Kinder kommen kann, wenn sie alleine unterwegs sind. Die Möglichkeit eine Schule zu besuchen scheitert an der mangelnden Erreichbarkeit dieser, da der Vater, der BF 1, aufgrund seiner Berufstätigkeit, um die Versorgungslage der Familie zu gewährleisten, nicht die Möglichkeit hat, seine Töchter in die Schule zu bringen oder seine Frau beim Verlassen des Hauses zu begleiten.
Daher ist es den BF 2, 3, 4 und 5 nicht möglich, sich alleine frei zu bewegen ohne dabei Opfer von Übergriffen und Beschimpfungen durch andere Muslime zu werden.
Zudem ist besonders auf den in die aktuellen Länderberichte der Staatendokumentation eingearbeiteten Bericht der Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hinzuweisen, in dem ausgeführt wurde, dass im Jahr 2016 die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet wurde (siehe unter römisch II.1.2. S.54). Die zweithöchste Zahl an zivilen Opfern ist dabei in zentralen Regionen, wie auch der Stadt Kabul, registriert worden.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1 Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, zuletzt geändert mit Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 38 aus 2011,) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Paragraph eins, BFA-VG, BGBl römisch eins 2012/87 in der Fassung BGBl römisch eins 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gemäß Paragraph 46, AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.
Zu Spruchteil A)
Das BVwG stellt fest, dass die Verwaltungsverfahren in den wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurden.
Den BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme - jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt.
Die belangte Behörde befragte die BF 1 und 2 in den Einvernahmen insbesondere zu der von ihnen behaupteten Gefahrensituation in Afghanistan und legte ihrer Entscheidung umfangreiche Berichte unbedenklicher Stellen über die Situation in Afghanistan zu Grunde. Die BF haben keine konkreten Hinweise gegeben, die weitergehende Ermittlungen notwendig gemacht hätten.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 31.03.2017 wurde bereits wegen Zurückziehung der Beschwerde rechtskräftig das Verfahren eingestellt, weshalb eine neuerliche Behandlung mit diesem Spruchpunkt entfallen konnte.
3.2. Zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten
Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.
Im Vergleich zu Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 1997, der auf Paragraph 57, FrG verwies, bezieht sicht Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 nunmehr direkt auf die EMRK. Die Verbote des Paragraph 57, Absatz eins, FrG (nunmehr Paragraph 50, FPG 2005) orientierten sich aber gleichfalls an Artikel 3, EMRK (Vgl. auch VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0557) und erweitern ihn um die Todesstrafe, die per se noch keine unmenschliche oder erniedrigende Strafe i.S.d. EMRK darstellt. Angesichts des somit im Wesentlichen identen Regelungsinhalts des bis 31.12.2005 in Kraft stehenden Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 1997 im Verhältnis zum nunmehr in Geltung stehenden Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 - abgesehen vom im letzten Halbsatz des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 nunmehr enthaltenen zusätzlichen Verweis auf eine eventuelle ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als weitere mögliche Bedingung für eine Gewährung subsidiären Schutzes - lässt sich die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Paragraph 8, AsylG 1997 i.V.m Paragraph 57, Absatz eins, auch auf die neue Rechtslage anwenden.
Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8, Absatz eins,) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005).
Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (Paragraph 11, Absatz 2, AsylG 2005).
Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht war somit zu klären, ob im Fall der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.
Gemäß Artikel 2, EMRK wird das Recht jedes Menschen auf Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Artikel 3, EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Der Fremde hat das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren und in den Schutzbereich des Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention fallenden Bedrohung glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist vergleiche VwGH vom 02.08.2000, 98/21/0461, zu Paragraph 57, FrG 1997; auch VwGH vom 25.01.2001, 2001/20/0011).
Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582; VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095). Das Prüfungskalkül des Artikel 3, EMRK fordert somit für die Verletzung dieser Norm das Vorhandensein "einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen" (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen vergleiche VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006).
In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, römisch eins gegen Schweden, Nr. 61 204/09; s. dazu zuletzt auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).
In dem bereits zitierten Beschluss Ra 2015/01/0134 hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Artikel 3, EMRK verstoßen würde vergleiche die Urteile des EGMR jeweils vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande:
Sitzung D. M., Nr. 8161/07; A. G. R., Nr. 13 442/08; A. W. Q. und D. H., Nr. 25 077/06; Sitzung S., Nr. 39 575/06; M. R. A. u. a., Nr. 46 856/07).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479-9, zuletzt ausgeführt hat, hat - besonders im Hinblick auf besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppen - eine konkrete Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Rückkehrsituation unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit zu erfolgen.
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 gegenständlich gegeben sind.
Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.
Als Zielort einer allfälligen Rückverbringung der BF ist zunächst deren Herkunftsort in der Provinz Nangarhar zu prüfen:
Hinsichtlich der im Osten Afghanistans gelegenen Herkunftsprovinz der BF Nangarhar wurden im Zeitraum vom 01.09.2015 bis 31.05.2016
1.901 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Seit dem Auftreten des Islamischen Staates in der bergreichen Provinz Nangarhar kommt es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräfte und IS-Aufständischen. Die Aktivitäten des Islamischen Staates in der Provinz sind auf einige Gebiete in Nangarhar beschränkt. Berichten zufolge sind dies insbesondere die Distrikte Achin, Kot, Haska Mina, sowie andere abgelegene Distrikte in Nangarhar. In der Provinz werden regelmäßig Luftangriffe gegen den Islamischen Staat durchgeführt. Auch werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien; getötet wurden dabei hochrangige Führer des IS, aber auch Anführer der Taliban. In manchen Teilen der Provinz hat sich die Sicherheitslage aufgrund von militärischen Operationen verbessert. Einem hochrangigen Beamten zufolge, werden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin Druck auf Sympathisanten des IS in Ostafghanistan ausüben, um zu verhindern, dass diese sich in den Distrikten Nangarhars oder anderen Provinzen ausweiten.
Im Lichte der Länderberichte kann die Provinz Nangarhar zu den volatilsten Provinzen Afghanistans gezählt werden. Vor diesem Hintergrund geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass den BF bei einer Rückkehr in die Provinz Nangarhar eine reale Gefahr einer Verletzung des Artikel 3, EMRK drohen würde.
Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich, dass den BF eine Rückkehr in ihre Heimatprovinz Nangarhar nicht zumutbar ist.
Zur Rückkehrmöglichkeit der BF in die Hauptstadt Kabul:
Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Stadt Kabul kann nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Artikel 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit droht, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen müsste.
Was die Sicherheitslage betrifft, ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren hat. Seit August 2008 liegt die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz Kabul nicht länger in den Händen von ISAF, sondern bei der afghanischen Armee und Polizei. Diesen ist es nach anfänglichen Schwierigkeiten im Jahr 2010 zunächst gelungen, Zahl und Schwere sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren, auch wenn es dort zuletzt wieder vermehrt zu Anschlägen kommt. Insbesondere medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter sind in Kabul nicht auszuschließen, wie auch der Bombenanschlag vom 31.05.2017 im Botschafts- und Regierungsviertel von Kabul zeigt, der Schätzungen zufolge etwa 150 Todesopfer und mehr als 400 Verletzte gefordert hat. Weitere Anschläge wurden in Kabul ab Juni 2017 verübt (z.B. am 15.06.2017, am 25.08.2017 auf eine Moschee, am 24.07.2017 im Kabuler Berufsverkehr, am 29.08.2017 vor einer Bank in der Nähe der US-Botschaft und des Nato-Hauptquartiers, zuletzt am 20.01.2018 auf das Hotel Intercontinental in Kabul, am 24.01.2018 auf die NGO Save the Children, am 27.01.2018 im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul, am 29.01.2018 auf die Marshal Fahim Militärakademie). Zum schwersten Anschlag seit Mai 2017 mit mehr als 100 Toten ist es am 27.01.2018 in der Nähe mehrerer Botschafts- und Regierungsgebäude gekommen.
Die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen - so etwa auch in Europa (z.B. Vereinigtes Königreich, Frankreich etc.) oder in der Türkei - vermag jedoch für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Artikel 3, EMRK verstoßen würde.
In einer Gesamtbetrachtung ist Kabul eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, noch relativ sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Innerhalb Kabuls existieren in verschiedenen Vierteln freilich unterschiedliche Sicherheitslagen. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich insbesondere, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten hauptsächlich im Nahebereich staatlicher und ausländischer Einrichtungen (etwa Botschaften, Regierungseinrichtungen, Polizei- und Militärgebäude) oder NGOs ereignen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten in dieser Form nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul als (noch) ausreichend sicher zu bewerten ist.
Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Wie aus den o.a. Erkenntnisquellen ersichtlich ist, stellt sich die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum in Kabul insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und finanzielle Unterstützung schwierig dar.
Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vergleiche u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).
Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es allerdings nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Artikel 3, EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.
Besonderes Gewicht kommt der Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit der BF 3, 4 und 5 aufgrund ihrer Minderjährigkeit und somit der Zugehörigkeit zu einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe zu vergleiche VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479-9).
Die BF konnten exzeptionelle individuelle Umstände glaubhaft machen, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Artikel 3, EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.
Für das Vorliegen einer etwaigen innerstaatlichen Fluchtalternative ist in Zusammenschau der länderspezifischen Feststellungen mit den bei den BF persönlich vorliegenden Umständen sowohl die Versorgungsals auch die Sicherheitslage zu überprüfen:
Aufgrund der beruflichen Erfahrung des BF 1 als Inhaber eines Textilgeschäftes in Jalalabad konnte der BF 1 den Lebensunterhalt seiner Familie erwirtschaften. Bei einer Rückkehr der Familie nach Kabul wäre der BF 1 zwar in der Lage, seine Existenz und die seiner Familie - etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten - zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden.
Im Hinblick auf die Sicherheitslage ist den BF 2, 3, 4, und 5 jedoch eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich und zumutbar. Die Frauen der Sikh sind in ihrer Bewegungsfreiheit, selbst bei Einhaltung der Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften, eingeschränkt. Selbst im Vergleich zu anderen muslimischen Frauen ist es ihnen nicht möglich, sich selbständig zu bewegen, ohne Opfer eines Übergriffs zu werden. Aus diesem Grund ist es für sie zwingend erforderlich, immer in männlicher Begleitung zu sein. Dies gilt gleichermaßen für Sikh-Mädchen.
Zudem droht den Töchtern, den BF 3 bis 5, bei einer Rückkehr das reale Risiko einer Verletzung der durch Artikel 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führt. Zum einen stützt sich das erkennende Gericht dabei auf die Ernährung und die besonderen Bedürfnisse kleinerer Kinder. Es wurde festgestellt, dass viele Kinder unterernährt sind und ca. 10 % der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag sterben würden. Zum anderen auf den in die Länderberichte der Staatendokumentation eingearbeiteten jährlichen Bericht der UNAMA (Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan) von 2017, aus dem hervorgeht, dass im Jahr 2016 die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn festgestellt wurde (siehe römisch II.1.2. Seite 54). Die zweithöchste Zahl an zivilen Opfern wurde dabei in zentralen Regionen, wozu auch die Stadt Kabul zählt, registriert.
Aus der Stellungnahme des länderkundigen Sachverständigen vom 21.03.2018 in Zusammenschau mit den zugrunde gelegten Länderberichten ergibt sich zudem, dass Sikh-Kinder zwar die Schule besuchen können, es ihnen aber nicht zumutbar ist, alleine den Schulweg zu bestreiten, da sie von anderen muslimischen Kindern beschimpft und auch berührt werden können.
Den BF 3, 4 und (in der Folge) 5 ist somit zwar der theoretische Besuch einer Schule möglich, aber steht die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Sikh-Frauen und Sikh-Mädchen einem Schulbesuch klar entgegen. Aufgrund der Berufstätigkeit des Vaters ist es diesem nicht möglich seine Frau oder seine Kinder in der Öffentlichkeit zu begleiten, um sie vor Übergriffen zu schützen.
Somit ist es den BF 2, 3, 4 und 5 aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Sikh in Verbindung mit der Sicherheitslage weder möglich noch zumutbar nach Afghanistan zurückzukehren.
Ergebnis:
Es ist somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei der vorherrschenden Sicherheitslage, vor allem in Hinblick auf vulnerable Personengruppen wie die minderjährigen Kinder BF 3 bis 5, eine Verletzung der durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechte bei einer Rückkehr in die Heimat droht und die Sicherheit sowie Bewegungsfreiheit nicht ausreichend gewährleistet ist.
Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der BF 2 bis 5 ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass ihnen und ihrem Vater bzw. Ehemann eine Ansiedlung in Kabul möglich und auch zumutbar wäre.
Den BF würden daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der sie betreffenden individuellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative - ausgehend von Kabul und ergebnismäßig bezogen auch auf die anderen Großstädte - aus den dargelegten Erwägungen nicht in Betracht kommt. Es ist damit dargetan, dass ihre Abschiebung eine Verletzung in ihren Rechten nach Artikel 3, EMRK darstellen würde.
Ausschlussgründe nach Paragraph 8, Absatz 3 a, in Verbindung mit Paragraph 9, Absatz 2, AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins und 2 AsylG) und die BF andererseits unbescholten ist (Ziffer 3, leg.cit.).
Den Beschwerden hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. der angefochtenen Bescheide war daher gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG stattzugeben und den BF 2 bis 5 gem. Paragraph 8, Absatz eins, AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
3.3. Hinsichtlich des BF 1:
Paragraph 34, AsylG enthält folgende "Sonderbestimmungen für das Familienverfahren ":
"§ 34.
(1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8,) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 7,).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Paragraph 9,) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Absatz 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß Paragraph 12 a, Absatz 4, zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Absatz eins bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (Paragraph 30, NAG)."
Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG ist Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Gemäß Paragraph 2, Absatz 3, AsylG ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er 1. wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder 2. mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der BF 1 unterfällt als Elternteil der minderjährigen ledigen Kinder BF 3 bis 5 sowie Ehegatte der BF 2 der Definition von Familienangehörigen nach Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG. Somit sind die Anträge auf internationalen Schutz des BF 1, der BF 2 und ihrer Kinder (BF 3 bis 5) gemäß Paragraph 34, AsylG zwingend gemeinsam als Familienverfahren zu führen vergleiche auch VwGH 9.4.2008, 2008/19/0205 und VfGH 18.09.2015, E 1174/2014) und ex lege als Anträge auf Gewährung desselben Schutzes zu behandeln. Dem BF 1 war daher gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG derselbe Schutz, der seiner Frau (BF 2) und seinen Kindern (den BF 3 bis 5) zuerkannt wurde, nämlich ebenfalls der Status eines subsidiär Schutzberechtigten, zuzuerkennen, zumal er nicht straffällig geworden ist und nicht ersichtlich ist, dass hinsichtlich der Frau oder der Kinder ein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig wäre. Im Übrigen ist auch nicht hervorgekommen, dass den BF 2 bis 5 die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit ihrem Vater bzw. ihrem Ehegatten in einem anderen Staat möglich wäre.
Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 stattzugeben.
3.4. Zu Spruchpunkt römisch II. - Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung:
Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Im gegenständlichen Fall war den BF 2 bis 5 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen. Daher ist gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.
Gemäß Paragraph 8, Absatz 5, AsylG gilt Paragraph 8, Absatz 4, AsylG in einem Familienverfahren mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den BF 2 bis 5 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass dem BF 1 ebenfalls eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen war unter der Maßgabe, dass die Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der der BF 2 bis 5 endet.
3.5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen etwa der Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, sowie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht zwischen diesen gemäß den maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 und des Fremdenpolizeigesetzes lediglich insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann vergleiche VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047; 28.01.2015, Ra 2014/20/0121; 08.09.2015 Ra 2015/18/0134, je mwN).
Da den BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, verlieren die übrigen von der belangten Behörde getroffenen Aussprüche ihre rechtliche Grundlage. Ihrer ausdrücklichen Aufhebung durch das Bundesverwaltungsgericht bedarf es nicht.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.
ECLI:AT:BVWG:2018:W151.2116979.1.00