BVwG
16.05.2018
W252 2155065-1
W252 2155059-1/10E
W252 2155065-1/11E
W252 2155056-1/11E
W252 2155061-1/10E
W252 2155060-1/12E
W252 2170777-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elisabeth SHALA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden von
1.) römisch 40 , geb. römisch 40 , 2.) römisch 40 , geb. römisch 40 3.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , 4.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , 5.) mj. römisch 40 , geb. römisch 40 und 6.) mj.
römisch 40 , geb. römisch 40 , alle StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 07.04.2017, Zl. römisch 40 ,
2.) vom 07.04.2017, Zl. römisch 40 , 3.) vom 07.04.2017, Zl. römisch 40 , 4.) vom 07.04.2017, Zl. römisch 40 , 5.) vom 07.04.2017, Zl. römisch 40 und 6.) vom 10.08.2017, Zl. römisch 40 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
BEGRÜNDUNG:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, stellten am 10.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin und der Vater der Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer.
2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin statt. Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass es seiner Familie in Afghanistan finanziell sehr gut gegangen sei, jedoch die Sicherheitslage in seiner Region sehr schlecht gewesen sei. Die Taliban seien dort sehr mächtig und die Regierung habe keine Kontrolle, weshalb er schließlich Afghanistan verlassen habe.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass es in Afghanistan keine Sicherheit, sondern Krieg gäbe und in ihrem Heimatdorf die Taliban an der Macht seien. Zudem sei die Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Schwager schlecht behandelt worden, weil er sie geschlagen und verletzt habe und ihr verboten habe das Haus zu verlassen. Sie habe deshalb Afghanistan verlassen.
3. Am 22.03.2017 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab betreffend seine Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass eines Tages die Taliban zu ihm gekommen seien als er am Feld gearbeitet habe und ihn aufgefordert hätten mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie hätten ihn geschlagen und seien dann gegangen. Eine Woche später seien wieder Mitglieder der Taliban gekommen und hätten ihn brutal zusammengeschlagen und ihm mit dem Tod sowie mit dem Anzünden seines Hauses gedroht. Er habe daraufhin Afghanistan verlassen.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab nach ihren Fluchtgründen befragt an, dass ihr Schwager, der mit ihr und ihrer Familie in einem Haus gelebt habe, sie seit ihrer Hochzeit vor zehn Jahren immer wieder geschlagen habe und ihr nicht erlaubt habe ihre Eltern zu besuchen. Er habe sie auch verbrannt.
Hinsichtlich der Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass diese keine eigenen Fluchtgründe hätten.
4. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) ab, erkannte ihnen den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass weder der Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin eine konkrete individuelle asylrelevante Verfolgung geltend gemacht hätten.
5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. der oben genannten Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass das Vorbringen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin glaubhaft gewesen sei. Das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes habe nicht den Anforderungen des Paragraph 18, Absatz eins, AVG genügt, weshalb das Verfahren mangelhaft sei. Zudem habe sich das Bundesamt betreffend die Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin nicht ausreichend mit der Situation als Frau in Afghanistan im Allgemeinen bzw. ihrer individuellen Situation auseinandergesetzt.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.03.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Akten der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.
7. Mit Stellungnahme vom 19.03.2018, eingelangt am 20.03.2018, wurde ausgeführt, dass der Fünftbeschwerdeführerin als Angehörige der sozialen Gruppe "junger westlich orientierter Mädchen" eine geschlechts-spezifische Verfolgung in Afghanistan drohe.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Er ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet. Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen römisch 40 und das Geburtsdatum römisch 40 . Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben gemeinsam vier Kinder: den am römisch 40 geborenen Drittbeschwerdeführer römisch 40 , den am römisch 40 geborenen Viertbeschwerdeführer römisch 40 , die am römisch 40 geborene Fünftbeschwerdeführerin römisch 40 und den am römisch 40 in Österreich geborenen Sechstbeschwerdeführer römisch 40 .
Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara, der Untergruppe der Sadat, an und bekennen sich zum muslimisch-schiitischen Glauben. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari (W252 2155059-1 - Akt 1, Sitzung 5; W252 2155065-1 - Akt 2, Sitzung 5; Protokoll vom 05.03.2018 - in beiden Akten OZ 7, Sitzung 7, 20 f).
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin stammen aus der Provinz Logar. Der Erstbeschwerdeführer hat den Lebensunterhalt seiner Familie durch seine eigene Landwirtschaft bestritten (Akt 1, Sitzung 5, 103 ff; Akt 2, S.5; OZ 7, Sitzung 7, 20).
Der Erstbeschwerdeführer hat 9 Jahre lang eine Schule besucht (Akt 1, Sitzung 5, 103; OZ 7, Sitzung 16). Die Zweitbeschwerdeführerin ist Analphabetin, sie hat keine Schule besucht (Akt 2, S.5, 113; OZ 7, Sitzung 21 f).
Die Beschwerdeführer reisten im Familienverband gemeinsam mit drei Neffen des Erstbeschwerdeführers unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 10.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz (Akt 1, Sitzung 6 ff; Akt 2, Sitzung 6 ff).
Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.
1.2.1 Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer von den Taliban aufgesucht und aufgefordert worden ist mit diesen zusammenzuarbeiten. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer von den Taliban geschlagen worden ist. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden ist.
1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin von ihrem Schwager und dessen Frau geschlagen oder verletzt worden ist.
1.2.3. Die Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin sind in ihrem Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.
Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht (faktisch) kein Deutsch und kann nicht lesen und schreiben. Sie kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und die Kinder, was sie auch bisher in Afghanistan getan hat. Sie hat keine Freundschaften in Österreich geschlossen. Sie bedarf einer Unterstützung im Alltag durch ihren Mann bzw. eine (freiwillige) Dolmetscherin und trägt jedenfalls Kopftuch.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass es der Fünftbeschwerdeführerin unmöglich oder unzumutbar wäre, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
1.2.4. In Afghanistan besteht Schulpflicht, wo ein Schulangebot faktisch auch vorhanden ist. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn der Fünftbeschwerdeführerin eine grundlegende Bildung zukommt.
1.2.5. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zu einer Untergruppe der Volksgruppe der Hazara konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.
1.2.6. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban, dem Schwager der Zweitbeschwerdeführerin oder durch andere Personen droht.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.01.2018 wiedergegeben:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).
In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).
Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).
Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).
Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).
Kontrolle von Distrikten und Regionen
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).
Rebellengruppen
Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).
Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).
Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).
Taliban und ihre Offensive
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand (Reuters 27.1.2017).
Zivile Opfer
Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).
Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).
Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).
KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vergleiche BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019
Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vergleiche NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vergleiche The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vergleiche The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vergleiche Reuters 24.1.2018).
Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vergleiche NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).
Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).
Zivilist/innen:
Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).
High-profile Angriffe:
Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).
Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).
Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).
Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Taliban
Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.
Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).
KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:
improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).
Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).
Taliban
Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).
Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch:
BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).
Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).
Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).
Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:
sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).
Logar
Logar hat folgende Distrikte: Mohammad Agha, Sarkh, Kharwar, Baraki
Barak, Khwaki und Azrah und eine Provinzhautstadt: Pole Alam. Kabul liegt im Norden von Logar, Paktia im Süden, Nangarhar im Osten und die Provinz (Maidan) Wardak im Westen. Ein Streifen der Provinz Ghazni berührt ebenfalls Logar. Stämme der Pashtunen, Tadschiken und Hazara leben in der Provinz (Pajhwok o.D.t). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 398.535 geschätzt (CSO 2016).
Das Haqqani Netzwerk verfügt über eine Präsenz in Teilen der Provinz (The Diplomat 15.11.2016; vergleiche auch: Khaama Press 30.5.2016). Im Rahmen einer Sicherheitsoperation wurden Schlüsselfiguren des Haqqani Netzwerkes in der Provinz verhaftet (Kabul Tribune 14.6.2016).
In der Provinz wurden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 4.1.2017; Pajhwok 14.10.2017; Pajhwok 15.4.2016); dabei wurden Aufständische getötet (Pajhwok 4.1.2017). Hochrangige Talibanführer wurden verhaftet (Pajhwok 20.2.2017; vergleiche auch: Khaama Press 20.2.2017) oder getötet (Khaama Press 20.4.2016).
Religionsfreiheit
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Artikel 3, der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).
Schiiten
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9.2016; vergleiche auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9.2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).
Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).
Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).
Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vergleiche auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9.2016).
Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."
(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).
Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).
Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9.2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9.2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9.2016; vergleiche auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).
Frauen
Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).
Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Bildung
Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).
Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004).
Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).
Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren
63.911 Frauen (CSO 2016).
Frauenuniversität in Kabul
Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:
MORAA 31.5.2016).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:
University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).
Berufstätigkeit
Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).
Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).
Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).
Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).
Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).
Frauen im öffentlichen Dienst
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).
Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).
Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften
Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).
Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).
Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).
Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften
Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vergleiche auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vergleiche auch:
SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).
Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).
Strafverfolgung und Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).
Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).
Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).
Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).
Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).
Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).
Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).
Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).
Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).
Legales Heiratsalter:
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).
In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).
Frauenhäuser
USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).
Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).
Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).
Medizinische Versorgung - Gynäkologie
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016)
Kinder
Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9.2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9.2016).
Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016).
Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen
In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost (AA 9.2016). Üblicherweise sind die Jungen zwischen 10 und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vergleiche auch: AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt und manchmal werden sie von ihren Familien, aufgrund von Armut, an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).
Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. (AA 9.2016)
Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetzesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Schaffung einer Organisation - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015).
Die UNAMA unterstütze weiterhin Bemühungen der AIHRC Bacha Bazi, und andere Formen sexuellen Missbrauchs, vorzubeugen und zu kriminalisieren: sie drängte die afghanische Regierung Bacha Bazi zu kriminalisieren, indem die von einer Kommission entworfenen und vorgeschlagenen Gesetze, durch ein Präsidialdekret bestätigt werden sollen. Derzeit gibt es sehr wenige Leistungen und Unterstützungsmechanismen für Opfer von Bacha Bazi - oftmals werden sie selbst bestraft (UNAMA 6.2.2017).
Kinderarbeit
Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:
Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).
Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9.2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).
Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).
Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fällen nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).
Bildungssystem in Afghanistan
In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.
Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).
Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9.2016).
1.3.2. Übersetzung aus dem EASO Bericht von Dezember 2017 betreffend die Sicherheitslage in der Provinz Logar (Seite 191-194) (Fußnoten entfernt):
"[...] Die Konfliktsituation der Provinz Logar ist eine der volatilsten und eine der am meisten ändernde in der Zentralregion. Daraus hat sich ein "aufständischer Highway" von Pakistan nach Kabul entwickelt, der über die schlecht bewachte Grenze in der Nähe des Distrikt Azra führt. Die Unruhen habe in Logar im Jahr 2005 begonnen, insbesondere in den Distrikten Kharwar, Charkh und Baraki Barak. Später haben sich die Aufstände in der gesamten Provinz ausgebreitet. Dennoch sind diese drei Distrikte die am meisten von den Taliban betroffenen, was auch an den Nachbarbewegungen der Taliban in Ghazni, Paktya und Wardak liegt.
Die Situation in Logar hat begonnen sich im Jahr 2011 zu verschlechtern als gezielte Tötungen und Entführungen von einflussreichen Ältesten, von Familienmitgliedern von Regierungsmitarbeitern und Mitgliedern des Friedensrats üblich wurden. Die Distrikte Azra, Baraki Barak, Charkh, Kharwar und Mohammad Agha werden als die von den Aufständen am meisten betroffenen beschrieben. Der Distrikt Mohammad Agha, der sich auf dem "Kabul-Gardez Highway" nur 23 Kilometer von der Stadtgrenze Kabuls entfernt befindet, wird als Schlüsselgebiet sowohl aufgrund der Nähe zu der Hauptstadt als auch zu den Provinzen Nangarhar, Paktya, Paktika, Khost, Wardak, Ghazni, beschrieben.
Die Taliban haben eine starke Präsenz in Logar. Die Distrikte Kharwar, Charkh und Azra sind fast vollkommen unter der Kontrolle der Taliban. Die meisten Zonen dieser Distrikte sind bereits Ende 2014 unter die Kontrolle der Taliban gefallen. Talibans Miran Shah Shura, das in der Region Nord Wazristan in Pakistan stationiert ist und nur aus Haqqani Netzwerk Mitgliedern besteht, hat Einfluss in der Provinz Logar.
Laut einem Repräsentanten der Provinz, der im Juni 2017 interviewt wurde, kontrollieren die Taliban mehr als die Hälfte des Gebiets in Logar. Die Taliban haben Checkpoints am "Kabul-Gardez Highway" errichten und suchen so nach Personen und Autos. Die Sicherheitslage hat sich 2017 verschlechtert und fremde Kämpfer wurden an der Seite der lokalen Taliban gesehen. Kharwar, ein bergiger Distrikt, war unter den ersten Distrikten in Zentralafghanistan, in denen die Taliban begonnen haben sich im Jahr 2005 neu zu organisieren. Bereits 2008 hatten die Taliban volle Kontrolle über den Distrikt. Laut Offiziellen waren im Distrikt Azra nur vier Dörfer und das Distriktzentrum im Juli 2017 unter der Kontrolle der Regierung. Alle vier Straßen dieses Distrikts sind seit den letzten 13 Jahren für den Verkehr gesperrt. Abgesehen von der unsicheren Lage, leidet der Distrikt Azra auch an einem Mangeln an medizinischer Versorgung.
[...]"
1.3.3. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 betreffend die zusammenfassende Darstellung der Risikogruppen, der Zwangsrekrutierung und Frauen mit bestimmten Profilen:
"[...] Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:
(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;
(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;
(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;
(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;
(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;
(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;
(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;
(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;
(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;
(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;
(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;
(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;
(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;
(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und
(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).
[...]
Zwangsrekrutierung:
[...] Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung
Berichten zufolge werden Fälle von Zwangsrekrutierung Minderjähriger zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.
a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)
Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.
Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.
b) Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte
Im Januar 2011 unterzeichneten die Vereinten Nationen und die Regierung einen Aktionsplan für die Verhinderung von der Rekrutierung Minderjähriger. Im Juli 2014 legte die Regierung ein Konzept für die Einhaltung des Aktionsplans fest. Im Februar 2015 stimmte Präsident Ghani einem 2014 von Parlament und Senat beschlossenen Gesetz zu, das die Rekrutierung Minderjähriger durch die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) unter Strafe stellte. Trotz der Unterstützung des Aktionsplans seitens der Regierung und trotz der erreichten Fortschritte bleiben Berichten zufolge Herausforderungen bestehen, darunter mangelnde Rechenschaftspflicht für die Rekrutierung von Minderjährigen. Im März 2016 stellte die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte fest, dass zwar deutliche Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans erreicht worden seien, dass die Vereinten Nationen jedoch nach wie vor die Rekrutierung und den Einsatz von Jungen durch die afghanische lokale Polizei (ALP) und die afghanische nationale Polizei (ANP) dokumentierten sowie in einigen Fällen, die den afghanischen nationalen Streitkräften zugeordnet werden.
Es wurde außerdem berichtet, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Einheimische zwingen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) bereitzustellen.
c) Zusammenfassung
Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass - je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls - für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen kann. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls kann auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen.
Asylanträge von Kindern sollten einschließlich der Untersuchung von Ausschlussgründen bei ehemaligen Kindersoldaten sorgfältig und gemäß den UNHCR-Richtlinien für Asylanträge von Kindern geprüft werden. Wenn Kinder, die mit bewaffneten Gruppen in Verbindung standen, einer Straftat bezichtigt werden, sollte berücksichtigt werden, dass diese Kinder Opfer von Verstößen gegen internationales Recht und nicht nur Täter sein können.
[...]
Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen
Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.
Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.
Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). Das im August 2009 verabschiedete Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge der politische Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend wird es Berichten zufolge nicht vollständig durchgesetzt, insbesondere nicht in ländlichen Gebieten. Die überwiegende Mehrheit der Fälle der gegen Frauen gerichteten Gewaltakte, einschließlich schwerer Straftaten gegen Frauen, wird immer noch nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen statt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern. Durch Entscheidungen gemäß diesen Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanierung und Ausgrenzung ausgesetzt.
Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere diskriminierende Bestimmungen für Frauen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.
Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.
a) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. Dazu gehören Ehrenmorde, Entführung, Vergewaltigung, erzwungene Abtreibung und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zu Abtreibungen gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie sind häufige Gründe dafür, dass Überlebende sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht anzeigen. Gleichzeitig werden weiterhin Fälle von Selbstverbrennung aufgrund von häuslicher Gewalt gemeldet.
Behörden leiten nach wie vor die meisten Anzeigen wegen häuslicher Gewalt zur Entscheidung an traditionelle Institutionen zur Streitbeilegung weiter. Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs ("zina") oder des "von zu Hause Weglaufens". Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Klage zu erheben und haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben.
Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt. Polizistinnen sind Berichten zufolge selbst der Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz einschließlich Vergewaltigungen durch männliche Kollegen ausgesetzt. Sie sind außerdem durch gewaltsame Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gefährdet.
Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.
b) Schädliche traditionelle Bräuche
Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:
(i) "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie einer Familienschuld verkauft werden;
(ii) baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;
(iii) baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;
(iv) Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.
Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, da diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.
Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch, wie oben festgestellt, langsam und inkonsistent.
c) Zusammenfassung
Je nach den Umständen des Einzelfalls ist UNHCR der Auffassung, dass bei Frauen, die den folgenden Kategorien unterfallen, wahrscheinlich ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht:
a) Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind;
b) Überlebende schädlicher traditioneller Bräuche sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind; und
c) Frauen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen (siehe Abschnitt römisch III.A.8).
Je nach den Umständen des Einzelfalls kann bei dieser Personengruppe ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (die als "Frauen in Afghanistan" definiert ist), aufgrund ihrer Religion, ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen.
8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen
Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.
Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen.
In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.
Im Licht der oben beschriebenen Situation ist UNHCR der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Religion, ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann. ...]"
1.3.4. Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 02.09.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan (a-9737-V2):
" [...]In einer E-Mail-Auskunft vom 11. August 2016 teilt Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, mit, dass es unterschiedlich gefährliche Gegenden überall in Afghanistan gebe. Berichten zufolge werde zwischen "sehr gefährlich", "mittel-gefährlich" und "niedrig-gefährlich" unterschieden, nicht gefährlich würde nicht vorkommen. Das würde daran liegen, dass vereinzelte Kampfhandlungen, Terroranschläge oder Entführungen jederzeit und überall möglich seien und diese seien in letzter Zeit besonders gegen Hazara gerichtet. Weiters würde er nicht zwischen städtischen und ländlichen Gebieten unterscheiden, die Sicherheitslage und die Kampfsituation seien sehr fließend, dem asymmetrischen Charakter des Krieges entsprechend, und es gebe kaum feste Frontverläufe (Ruttig, 11. August 2016).
Melissa Chiovenda Kerr, eine in der USA und Afghanistan tätige Anthropologin, die sich mit Hazara beschäftigt, antwortet in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom 25. August 2016 folgendes auf die Frage, ob es bestimmte Regionen gebe, in denen die Sicherheit von Hazara besonders gefährdet sei, oder ob es möglich sei, zwischen gefährlichen und weniger gefährlichen Regionen für Hazara zu unterscheiden ("Are there specific regions (provinces, districts etc.) where the security of Hazara is particularly threatened? Or is it possible to localize security threats, saying that some regions are more dangerous and other regions are less dangerous?"). Auch wenn dies definitiv der Fall sei, gebe es große Vorbehalte gegen eine solche Unterteilung in sichere und nicht-sichere Regionen, da grundsätzlich jeder, der in Mehrheitsgebieten der Hazara ansässig sei, aufgrund von Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung in größere Städte reisen müsse. Fast alle Hazara würden durch unsichere Regionen reisen müssen, wo sie aufgrund ihrer Ethnizität und Religionszugehörigkeit gefährdet seien.
Grundsätzlich seien homogene Gebiete, in denen hauptsächlich Hazara wohnen würden, sicher, die Provinzen Bamiyan und Daikondi seien Großteils sicher. Es gebe instabile Gebiete im nördlichen Teil Bamiyans, der an Regionen grenze, in denen es Aktivitäten aufständischer Kämpfer gebe. Die Provinz Daikondi sei auch zu großen Teilen sicher, mit Ausnahme der Gebiete, die an die Provinz Urusgan grenzen würden, wo es Aktivitäten aufständischer Kämpfer gebe. Nötige Reisen aus diesen sicheren Gebieten und Provinzen nach Kabul oder Kandahar seien aber extrem heimtückisch. In der Provinz Wardak gebe es zwei Distrikte mit Hazara-Mehrheiten namens Behsud, die zu großen Teilen sicher seien, außer wenn jährlich Konflikte mit paschtunischen Kuchi-Nomaden, die in die Region ziehen würden, aufgrund von Landstreitigkeiten ausbrechen würden. In der Provinz Ghazni würden viele Hazara und Paschtunen wohnen und Hazara seien dort sehr gefährdet. Auch dort gebe es Distrikte wie Jaghori mit Hazara-Mehrheiten, in denen es grundsätzlich sicher sei, aber die dortigen Bewohner müssten in die Stadt Ghazi reisen, was gefährlich sei. Es gebe Gebiete wie Karabogh, in denen Hazara und Paschtunen in gemischten Gemeinschaften zusammenleben würden, die extrem gefährlich seien. Dieses Muster lasse sich überall wiederfinden, im Norden sowie im Westen. Die Antwort sei deshalb grundsätzlich, dass es zwar Gebiete gebe die sicher seien, wenn es möglich wäre einen bestimmten Distrikt niemals zu verlassen. Da Menschen aber medizinische Versorgung bräuchten und arbeiten müssten, seien alle Hazara, ohne Ausnahme, einem Risiko ausgesetzt, wenn sie längere Strecken ("travelling") zurücklegen würden. Nach dem Anschlag am 23. Juli 2016 (Selbstmordanschlag in Kabul auf eine Demonstration von Hazara, bei dem 80 Menschen getötet und rund 230 verletzt wurden, Anmerkung ACCORD), gebe es Berichte von Quellen, die nicht genannt werden können, dass weitere Anschläge geplant seien, Kabul selbst sei für Hazara daher unsicher: [...]
Die internationale Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) schreibt in einem Artikel vom Dezember 2015, dass es westlich der Stadt Maidan Shahr einen 40 Kilometer langen Abschnitt einer Schnellstraße gebe, der als "Todesstraße" bekannt sei, da dort Mitglieder der Hazara-Minderheit von Aufständischen getötet würden. Ein Busfahrer berichtet davon, dass er über die Jahre zahlreiche Leichen ohne Kopf an der Straße gesehen habe. Die Menschen seien von den Taliban getötet worden. Die Straße führe durch die Provinz Wardak, in der es viele Taliban gebe, und sei eine von nur zwei Möglichkeiten um nach Bamyan, eine der wichtigsten Städte des Hazarajat, zu gelangen.
Nach einer Reihe von Enthauptungen und Entführungen und Furcht vor einem Wiederaufleben der Taliban und dem Aufstieg der Gruppe Islamischer Staat hätten Tausende in Kabul gegen die unsichere Lage der Hazara demonstriert. Laut dem Menschenrechtsaktivist Aziz Royesh sei es den Hazara nicht möglich ihre Heimat zu verlassen, da sie auf den Straßen ihr Leben riskieren würden. Statistiken, die die genaue Anzahl der Tötungen auf der "Todestsraße" verzeichnen, würden nicht zur Verfügung stehen [...]".
1.3.5. Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.06.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan (a-9695-1):
"[...] Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, schreibt in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie zu Hazarajat, dass dieses Gebiet die Provinz Bamiyan sowie Teile von benachbarten Provinzen umfasse. Die exakten Grenzen des Hazarajat seien umstritten, doch würden diese für den Zweck der Studie mit jenen des Gebietes alten Schura gleichgesetzt, das die folgenden Distrikte umfasse: Schebar, Bamiyan, Panjao, Waras, Yakawlang (Provinz Bamiyan); Balchab (Jowzjan); Dar-e-Souf (Samanghan); Lal o Sari Jangal (Ghor); Dai Kundi, Sharistan (Uruzgan); Malistan, Jaghori, Nawor (Ghazni); Behsud römisch eins und Behsud römisch II (Wardak). Obwohl es auch möglich sei, historisch von einem noch größeren Gebiet Hazarajat zu sprechen, würden alle genannten Distrikte im Allgemeinen als Teil des Hazarajat anerkannt, und diese Definition des Gebietes entspreche auch den Realitäten der Arbeit der Hilfsorganisationen. Das Hazarajat stelle das am stärksten mono-ethnische Gebiet Afghanistans dar. Die Bevölkerung des Gebiets setze sich überwiegend aus Imami-Schiiten zusammen, obwohl es dort auch einige Ismaili-Schiiten sowie auch sunnitische Hazara gebe. Das am stärksten ethnische gemischte Gebiet innerhalb des Hazarajat sei die Provinz Bamiyan, deren Bevölkerung sich zu 67% aus Hazara, 15% aus Tadschiken, 14% aus Sayyed und zu knapp 2% aus Paschtunen sowie 2% aus Quizilabasch zusammensetze. Insgesamt habe es in den zwei Jahrzehnten vor Veröffentlichung der Studie eine Zunahme an ethnischen Spannungen gegeben, die sich nicht von der politischen Entwicklung loslösen lasse.
Doch auch innerhalb der ethnischen Gruppe der Hazara gebe es Gegensätze und ein System von Untergruppen, das derart komplex sei, dass sich das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder dieser Gruppen als eigene Gruppe angesehen hätten, je nach Zeit in Abhängigkeit von den in dem Gebiet aktiven politischen Bewegungen unterschiedlich gewesen sei. Die Gruppenzugehörigkeit gehe sowohl aus Mustern traditioneller Führung in Bezug auf Land, Familie und Religion ab und diese Führungsmuster könnten sich überschneiden. Am ambivalentesten sei der Status der Sayyed, welche die traditionelle religiöse Führung der Hazara bilden und rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung des Hazarajat ausmachen würden. Sie würden ihre Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführen und seien ursprünglich Araber gewesen. Während Ehen zwischen Hazara-Männern und Sayyed-Frauen selten seien, komme es häufig zu Eheschließungen zwischen Sayyed-Männern und Hazara-Frauen. Manchmal würden sich Sayyed selbst als Hazara bezeichnen und auch von anderen als solche bezeichnet. In anderen Fällen würden sich die Sayyed als eigene Gruppe bezeichnen.
[...]
In einem Update zur Sicherheitslage in Afghanistan vom September 2015 thematisiert die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Situation von Hazara wie folgt:
‚Diskriminierung gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sind verbreitet und es kommt immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, welche zu Todesopfern führen. Die Diskriminierung Angehöriger der Hazara äußert sich in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung. Hazara wurden überdurchschnittlich oft zu Opfern gezielter Ermordungen' (SFH, 13.09.2015).
Der im April 2016 veröffentlichte Länderbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage (Berichtsjahr 2015) hält fest, dass im November 2015 unbekannte Bewaffnete mindestens 14 Hazara-Männer aus Bussen in der Provinz Zabul entführt hätten. Über deren Verbleib hätten bis Dezember 2015 keine Informationen vorgelegen. Im Februar 2015 hätten Aufständische 31 Hazara-Männer aus einem Bus in der Provinz Zabul entführt und im Mai 2015 19 Geiseln und im November 2015 acht weitere freigelassen. Mit Stand November 2015 seien die übrigen vier Geiseln weiterhin vermisst gewesen.
Im März 2015 sei es im ganzen Land zu Protesten gekommen, bei denen Demonstrierende die Regierung aufgefordert hätten, die 31 im Februar entführten Hazara freizubekommen. Im November 2015 seien in Städten im ganzen Land Proteste ausgebrochen, nachdem Aufständische mit mutmaßlichen Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) sieben Hazara in der Provinz Zabul enthauptet hätten, darunter zwei Frauen und ein neunjähriges Mädchen. Die Demonstrationen seien ein Ausdruck öffentlichen Unmuts gegen die Unfähigkeit der Regierung gewesen, mit der Bedrohung durch Aufständische fertig zu werden und hätten ein Licht auf die Ängste der Hazara vor weiteren Anschlägen geworfen.
Weiters berichtet das USDOS von fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung von Hazara in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft. Laut NGOs seien Hazara-Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als Nicht-Hazara-Beamte. Aus mehreren Provinzen, darunter Ghazni, Zabul und Baghlan, seien eine Reihe von Entführungen von Hazara berichtet worden. Die Entführer hätten Berichten zufolge ihre Opfer erschossen, enthauptet, Lösegeld für sie verlangt oder sie freigelassen. Wie das USDOS weiter bemerkt, seien ethnische Hazara, Sikhs und Hindus zusätzlich zur allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung weiterhin von Diskriminierung bei der Jobeinstellung und bei der Zuteilung von Arbeiten betroffen. [...]
Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnische gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können. 13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere während der Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Spionage für die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen.
UNAMA führt folgende Beispiele für Entführungen und anschließende Tötungen von Hazara an: Am 23.02.2015 seien im Bezirk Shajoy der Provinz Zabul 30 Hazara-Insassen zweier öffentlicher Busse, die von Herat nach Kabul unterwegs gewesen seien, entführt worden. Drei der Entführungsopfer seien während ihrer Gefangenschaft getötet worden, während zwei offenbar aufgrund von natürlichen Ursachen verstorben seien. Zwischen Mai und August 2015 seien die übrigen Geiseln freigelassen worden, nachdem es Berichten zufolge zu einem Austausch mit einer Gruppe von Häftlingen gekommen sei. Am 13.10.2015 hätten regierungsfeindliche Kräfte sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter zwei Frauen, zwei Jungen und ein Mädchen, die sich auf der Autobahn zwischen Kabul und Kandahar auf dem Weg in den Distrikt Jaghuri (Provinz Ghazni) befunden hätten, entführt. Stammesälteste hätten sich vergeblich um deren Freilassung bemüht. Die Hazara seien im Distrikt Arghandab der Provinz Zabul festgehalten worden, bis Kämpfe zwischen revalisierenden regierungsfeindlichen Gruppen, darunter auch der Gruppe, zu denen die Entführer gehört hätten, ausgebrochen seien. Im Zeitraum von 6. bis 8. November hätten die reguierungsfeindlichen Kräfte allen sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter auch den Kindern, die Kehlen durchgeschnitten. Dieser Vorfall habe Demonstrationen in der Stadt Kabul ausgelöst, bei denen mehr Schutz für die Hazara-Gemeinde gefordert worden sei. [...]"
1.3.6. Auszug aus der gutachterlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. RASULY vom 17.02.2016 zur Lage der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W119 2102332-1 (grammatikalische und Rechtschreibfehler teilweise korrigiert):
"[...] Die Lage der Hazara seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001:
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde Ende 2001 in einer Konferenz in Bonn festgelegt, dass alle Ethnien Afghanistans, einschließlich der Hazara, an der staatlichen Macht beteiligt werden müssen. So haben die Hazara und andere schiitische Gruppen seit Ende 2001 im afghanischen Staat einen stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen stellvertretenden Minister im Staatssicherheits-, Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der stellvertretende Armee-Chef ist derzeit ein Hazara namens General Morad Ali Morad. General Morad hat weitgehende Befehlsbefugnisse und befehligt derzeit in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan oder Helmand die Operationen gegen die Taliban. Die Hazara-Parteien, allen voran die Hezb-e Wahdat, kontrollieren derzeit die Hauptsiedlungsgebiete der Hazara im Rahmen der staatlichen Authorität.
Diese Gebiete sind: Bamiyan, Daykundi, die Distrikte Jaghuri, Malistan, Nawur, Jaghatu, Teile von Qarabagh usw. in der Provinz Ghazni, die Hazara-Wohnbezirke in Mazar-e Sharif und einige Distrikte der Provinzen Samangan, wie Dara-e Suf, Hazara-Siedlungsgebiete in der Provinz Sara-e Pul und in der Provinz Balkh, sowie die von Hazara bewohnten Distrikte und Dörfer in der Provinz Maidan Wardak, v.a. Hessa-i-Awal-i Behsud, Behsud-i Markazi und Daymirdad. Die Hazara sind in Kabul im politisch-kulturellen Leben und im Bildungs- und Wirtschaftsbereich maßgebend vertreten. Sie betreiben mehrere Fernsehsendungen und haben dutzende Privatuniversitäten und Institute im Land. Sie stellen in den staatlichen Universitäten im Verhältnis zu ihrer Anzahl mehr Studenten als jede andere Ethnie des Landes, weil sie durch ihre leidgeprüfte Geschichte die derzeitigen Möglichkeiten besser wahrnehmen.
Die Hazara und andere Schiiten haben in Großstädten wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eigene islamische Bildungseinrichtungen für die schiitische Islam-Lehre. Diese werden vom Iran finanziert und mit Lehrkräften unterstützt. Die Hazara als Schiiten dürfen zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans seit dem Sturz des Taliban-Regimes ungestört und in vollem Umfang schiitische Rituale, wie den wichtigsten Feiertag Ashura, den Gedenktag an den Märtyrertod Imam Husain, mit Prozessionen auch in den nicht schiitischen Bezirken in Kabul und Mazar-e Sharif und in anderen Städten zelebrieren, ohne von den Sunniten gestört und lächerlich gemacht zu werden. Früher haben sie nur in ihren Moscheen unter sich gefeiert. Ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten in Kabul sind Hazara bzw. Schiiten und sind mit den sunnitischen Abgeordneten gleichberechtigt am politischen Prozess beteiligt. Somit sind die Hazara an der Staatsgewalt maßgebend beteiligt. Sie waren bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001 in diesem Ausmaß in Afghanistan nie an der staatlichen Macht beteiligt.
Sie sind nicht nur an der Zentralgewalt beteiligt, sondern sie stellen auch die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten in den Provinzen Bamiyan, Daikundi und in allen anderen hauptsächlich von den Hazara bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat behördlich verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazara, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad, von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet. Mit ihrer neuen Stellung, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihren Möglichkeiten befinden sich die Hazara in Afghanistan seit Ende 2001 nicht mehr in einer Opferrolle. Sie sind im Stande, sich kollektiv mit ihren Möglichkeiten im Rahmen des Staates zu verteidigen. Allerdings kommt es vor, dass immer wieder Taliban auf den Hauptstraßen zwischen den Provinzen im Süden, Westen und auf dem Weg nach Maidan Wardak und Bamiyan Reisebusse anhalten und bestimmte Reisende mitnehmen. Die meisten dieser Geiseln auf diesen Strecken sind Hazara. In den Jahren 2013 bis 2015 ist es mehrere Male vorgekommen, dass auf dieser Strecke Hazara aus den Reisebussen gezerrt und mitgenommen worden sind. Einige von ihnen wurden freigelassen, Dutzende wurden getötet. Diese Aktionen der Taliban richten sich nicht nur gegen die Hazara, sondern die Taliban töten und entführen auch Paschtunen, Usbeken und Tadschiken. Bei jeder dieser Aktionen erwecken die Taliban den Anschein, als wäre sie nur gegen die jeweilige Volksgruppe, deren Mitglieder sie gerade entführt und getötet haben, gerichtet. Die Hauptroute von Kabul über den Salang-Pass nach Norden, Baghlan - Mazar-e Sharif - Kunduz, wird hauptsächlich von Paschtunen, Tadschiken und Usbeken befahren. Die Strecke zwischen Baghlan und Kunduz ist sehr gefährlich und die Reisenden versuchen, bis 14 Uhr die Strecke Baghlan nach Kunduz zu passieren, weil nachmittags die Taliban die Route immer wieder kurzfristig unter ihre Kontrolle bringen. Sie zerren willkürlich Personen aus Reisebussen und Taxis und nehmen sie als Geiseln mit. Einige dieser Personen werden von den Taliban später getötet. Dies sind großteils Tadschiken und Usbeken. Die meisten von den Taliban kontrollierten Gebiete in Afghanistan werden von Usbeken, Paschtunen und Tadschiken bewohnt. In diesen Gebieten werden die Menschen willkürlich bestraft und Personen, die einmal für die Regierung gearbeitet haben, geraten unter die Verfolgung und Unterdrückung der Taliban. Die Provinzen und Distrikte, wo hauptsächlich die Hazara wohnen, werden von diesen kontrolliert. Sie haben bis jetzt ihre Siedlungsgebiete soweit geschützt, dass die Taliban dort nicht eindringen konnten. Aber Distrikte wie Gisab in Uruzgan und Nirkh in Maidan Wardak, die auch von Paschtunen bewohnt werden, sowie einige Dörfer, die in den mehrheitlich von Paschtunen oder Usbeken bewohnten Gebieten liegen, werden nicht von den Hazara-Parteien kontrolliert. Manche dieser Gebiete werden immer wieder von den Taliban kurzfristig kontrolliert.
Die Taliban sind Anhänger der arabischen Fundamentalisten, allen voran Saudis, die gegen den Iran und damit gegen die Schiiten eingestellt sind. Daher kommt es immer wieder vor, dass die Taliban ihre Opfer, wenn sie Schiiten sind, zur Schau stellen. Aber sie bringen mehr Paschtunen und Usbeken um, deren Gebiete sie leicht unter ihre Kontrolle bringen können. In diesen Gebieten kommt es häufig vor, dass die Taliban willkürlich Menschen verfolgen, töten und die Jugendlichen, wenn sie benötigt werden, rekrutieren. Eine Zwangsrekrutierung seitens der Taliban ist dort möglich, wo sie vorherrschen.
Diese Gebiete liegen in den von Paschtunen und Usbeken bewohnten Provinzen, wie Nangarhar, Kandahar, Kunar, Kunduz, Faryab, Helmand usw. Wenn die Jugendlichen sich nicht dort befinden oder sich der Zwangsrekrutierung der Taliban entziehen und in Großstädte oder ins Ausland flüchten, werden sie von den Taliban nicht weiter gesucht. Allerdings können diese Jugendlichen nicht mehr in ihre Heimatregion zurückkehren, wenn die Taliban weiterhin dort vorherrschend sind. Zwangsrekrutierung ist nicht weit verbreitet, weil viele Jugendliche aus Gründen der Arbeitslosigkeit und ethnischer Solidarität sich den Taliban anschließen. Auch gibt es Regionen, deren Bevölkerung aus Gründen des Paschtunwali - dem Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen - es in "Krisenzeiten" für notwendig erachtet, den Taliban freiwillig Soldaten bereitzustellen. Die meisten Opfer der Taliban sind von 2013 bis Februar 2016 in den von Paschtunen bewohnten Provinzen Kandahar, Nangarhar, Kunar, Helmand, Logar, Wardak und in den Provinzen Kunduz, Faryab, Baghlan und Badakhshan zu verzeichnen, wo hauptsächlich Usbeken, Tadschiken und Paschtunen wohnen. Die Taliban haben im Oktober 2015 die Stadt Kunduz eingenommen und in wenigen Tagen den UNO-Berichten zufolge mehr als 800 Menschen getötet. Die getöteten Zivilisten waren Tadschiken und Usbeken. Derzeit werden die meisten Distrikte von Nangarhar von den Taliban kontrolliert und von ihnen werden immer wieder Massaker an der Zivilbevölkerung verübt. [...]"
1.3.7. Auszug aus dem LANDINFO-Bericht zu Afghanistan betreffend die Rekrutierung durch die Taliban (Arbeitsübersetzung) vom 29.06.2017 (Fußnoten entfernt):
"[...] WER WIRD VON DEN TALIBAN REKRUTIERT?
[...] Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte verfügt über diese Sachkompetenzen, und von mehreren Quellen hieß es, dass die Taliban aktiv versuchen würden, sie auf ihre Seite zu ziehen. Da nun ein stärkerer Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrung gelegt wird, ist auch das wahrscheinliche Durchschnittsalter der Rekruten gestiegen
[...].
Da die Taliban nun beträchtliche Gebiete kontrollieren, einschließlich der Provinz Helmand, wo angenommen wird, dass 80% des Territoriums unter ihrer Kontrolle stehen, werden die Rekruten nun im Vergleich zu früher verstärkt auf afghanischem Boden ausgebildet. Laut einer Quelle von Landinfo betreiben die Taliban derzeit in vielen Landesteilen Ausbildungslager [...]. Zusätzlich zu den Camps im Süden gibt es Ausbildungslager im Norden (Kunduz, Faryab und Jawzjan) und im Osten (Kunar und Paktika) [...].
So wie die afghanischen Sicherheitskräfte verlieren auch die Taliban zahlreiche Männer auf dem Schlachtfeld oder bei sonstigen bewaffneten Aktivitäten. Aus der Sicht der Rekrutierung dürften die Verluste für die Taliban bisher kein Problem darstellen, die Bewegung scheint mit dem Zugang zu Rekruten keine Schwierigkeiten zu haben. Dies steht im Gegensatz zu den Erfahrungen der afghanischen Sicherheitskräfte. [...]
VOLLZEIT- UND TEILZEITKÄMPFER, LOKALE UND AUSLÄNDISCHE KÄMPFER
Der anerkannte Afghanistan-Experte Antonio Giustozzi [...] behauptet, dass es zwei Gruppen mit unterschiedlicher Loyalität zu den Taliban und den Kernwerten der Organisation gäbe: "Teilzeit- und Vollzeitkämpfer". Bei den Teilzeitkämpfern dominiert die Loyalität gegenüber den lokalen Warlords und Stammesältesten, diese Gruppe ist nur in geringem Ausmaß anfällig für Indoktrinierung. Unter den Vollzeitkämpfern - den Elitetruppen und den professionellen Kämpfern, von denen viele in Madrassen rekrutiert werden - sind die Loyalität gegenüber den Taliban und die dschihadistischen Überzeugungen stark ausgeprägt. Professionelle Vollzeitkämpfer spielen nun eine stärkere Rolle als in der Vergangenheit.
Mehrere Gesprächspartner von Landinfo (Treffen in Kabul 2016) vertraten die Ansicht, dass die Soldaten der lokalen Talibangruppen ihre Rolle als Soldaten mit einem zivilen Beruf, meist in der Landwirtschaft, verbinden. Für größere Offensiven werden lokale Kader mobilisiert [...]. Ihre Hauptaufgabe ist die Unterstützung der in ihrem Gebiet tätigen professionellen Talibantruppen. Inwiefern sie in Phasen, in denen keine professionellen Truppen anwesend sind, als Taliban agieren, ist wahrscheinlich höchst unterschiedlich und hängt davon ab, inwieweit sie mit einer militärischen Herausforderung konfrontiert sind. Viele Kader leben zuhause, sie "kämpfen einige Stunden am Vormittag" und gehen danach nach Hause, um anderen Tätigkeiten nachzugehen - "auf dem Feld oder im Bazar" [...]. Häufig sind sie größeren Gruppen auf Distriktebene unterstellt, die ihrerseits Führern auf Provinz- und Landesebene zugeordnet sind [...]. Die Mitglieder werden auf der Grundlage ihrer Beziehung, ihres Rufes und ihrer Position von den Kommandanten persönlich rekrutiert.
Im Gespräch mit Landinfo verwendete eine NGO die Begriffe "weiche" und "harte" Taliban (soft and hard Taliban), wobei die Ersteren lokale Kämpfer aus dem jeweiligen Gebiet sind. Es können enge Beziehungen zwischen den Dorfältesten und den Taliban bestehen. Einige der Dorfältesten haben sich den Taliban angeschlossen. Andere haben vielleicht enge Verwandte, wie Söhne und Neffen, die den Taliban angehören, was für die Ältesten die Verhandlungen mit den Taliban vereinfacht. Die "harten" Taliban kämpfen in Gebieten, aus denen sie nicht abstammen, was die Verhandlungen mit der Lokalbevölkerung vermutlich anspruchsvoller gestaltet, aber auch sie respektieren die Ältesten [...].
Die Taliban sind eine weitgehend "dezentralisierte" Organisation, die aus relativ kleinen Gruppen rund um lokale Kommandanten besteht. Sie kooperieren hauptsächlich auf Basis persönlicher Beziehungen. Es besteht wohl Grund anzunehmen, dass die Rekrutierung (Mobilisierung) von lokalen Teilzeitkämpfern gemäß den lokalen Traditionen und Loyalitätsbindungen erfolgt, im Gegensatz zur Rekrutierung von Vollzeitkämpfern und Elitetruppen, die in stärkerem Maße von den Taliban organisiert wird. [...].
Mehrere Gesprächspartner von Landinfo vertraten die Ansicht, dass die Taliban ihren Ansatz gegenüber der religiösen Praxis, den Traditionen und dem sozialen Leben in Gebieten, wo die Lokalbevölkerung (die Stammesältesten) mit der Organisation verbündet sind, geändert haben. Der Ansatz ist sanfter geworden, er schafft Raum für Entscheidungen im Sinne des religiösen und ideologischen Klimas im jeweiligen Gebiet. Die Taliban sind von Gastfreundschaft, Unterstützung und Sympathie abhängig, um in einem Gebiet Fuß zu fassen, was erklärt, warum die Taliban in den von Hazara dominierten Gebieten des zentralen Hochlandes immer noch eine nur minimale Präsenz haben. [Fußnote: Die Taliban haben in den von Hazara dominierten Gebieten nicht Fuß gefasst, weil die Bevölkerung die Vision der Taliban und das Ziel, Afghanistan zu einem unabhängigen, scharia-basierten Emirat zu machen, nicht unterstützt. Ihre eingeschränkte Präsenz ist auch dadurch zu erklären, dass die Hazara gut organisiert sind und für ihre eigene Sicherheit sorgen, überdies ist das Gebiet für die Taliban von geringem strategischen Interesse.]
[...]
ETHNISCHE UND GEOGRAFISCHE ZUGEHÖRIGKEIT
Informationen über die Anzahl und ethnische und geografische Zugehörigkeit der Talibankader beruhen auf Schätzungen. Landinfo geht davon aus, dass die Taliban im Hinblick auf die tatsächlichen und relativen Zahlen noch immer ein hauptsächlich paschtunisches Phänomen darstellen. Die Mehrheit sind Paschtunen, obwohl die Taliban behaupten, dass ethnische Zugehörigkeit, Stamm und Region irrelevant seien.
[...]
Giustozzi stellte in der Vergangenheit fest [...], dass die Taliban von der Hazara-Bevölkerung nur minimale Unterstützung erhalten. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich und nur einige wenige Kommandanten der Hazara sind mit den Taliban verbündet. In den zentralen von Hazara dominierten Gebieten, einschließlich der von Hazara bewohnten Distrikte westlich von Ghazni, besteht kein Grund, von einer umfangreichen Rekrutierung auf individueller Ebene auszugehen. Es gibt nach wie vor nur wenige Hazara, die aktiv für die Taliban kämpfen. [...] Der Analytiker Osman [...] weist darauf hin, dass es für die Taliban wichtig ist, sich auf die Rekruten verlassen zu können. Daher hält es Osman für unwahrscheinlich, dass die Taliban Hazara zwingen würden mit ihnen zu kämpfen.
[...]
WIE REKRUTIEREN DIE TALIBAN?
Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte erfolgt; sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban [...] enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich.
Vor einigen Jahren waren alle Mittel, von Pamphleten, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung, wichtige Instrumente des Propagandaapparats [...]. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Wie der Journalist Bashir Ahmad Gwakh [...] in Radio Free Europe ausführte, haben die Taliban verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut [...].
Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke. Das kann bei den Freitagsgebeten in der Moschee oder bei anderen lokalen Veranstaltungen und Schauplätzen geschehen [...]. Ein großer Apparat von politischen Agenten und Vermittlern ist mit der Anwerbung in Moscheen und Madrassen befasst, häufig in Pakistan [...], aber es gibt auch einige Berichte über Madrassen als zentrale Rekrutierungsstätte in Afghanistan [...].
Es gibt mehrere Erklärungsmodelle, warum sich so viele Menschen den Taliban anschließen. Zwei Modelle dominieren:
* Ein Modell unterstreicht die materiellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten; die Rekruten seien durch Armut, fehlende sonstige Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert.
* Das andere Modell unterstreicht die religiösen und kulturellen Gegebenheiten. Die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, spielt dabei eine zentrale Rolle.
[...] Die Motive überschneiden sich vermutlich, es stimmt nicht unbedingt, dass wirtschaftliche Motive für religiös überzeugte Rekruten keine Geltung hätten. Bei den Elitetruppen sind wahrscheinlich beide Parameter stark ausgeprägt. [...]
Materielle und wirtschaftliche Gegebenheiten
Die Taliban haben ihre Position in Afghanistan gestärkt. Ihre Sympathisanten sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe, warum sich viele schließlich den Taliban zuwenden [...]
Das Institute for War and Peace Reporting [...] hat schon in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass "[...] Schätzungen zufolge bis zu 70% der jungen Talibankämpfer aus finanziellen und nicht aus ideologischen Gründen in den Kampf ziehen." Auch Behördenvertreter führen häufig wirtschaftliche und materielle Ursachen und nicht Überzeugungen als Beweggründe an [...]
Es besteht weitestgehend Übereinstimmung darüber, dass durch die internationale Militärpräsenz vor dem Jahr 2014 viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. Nach Schätzungen einer NGO [...] sind seit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung ("Transition") nahezu eine halbe Million Arbeitsplätze verloren gegangen. Die allgemeine wirtschaftliche und materielle Lage ist ein Rekrutierungsanreiz und verstärkt auch in verschiedener Hinsicht den Druck, sich den Taliban anzuschließen.
Junge Menschen, vor allem in ländlichen Gebieten, haben äußert beschränkte Möglichkeiten und wenige Chancen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Viele verfügen über eine minimale Schulbildung und geringe Ressourcen. Um ein Einkommen zu erwirtschaften, können sie sich entweder den Taliban oder den Sicherheitskräften anschließen. In einigen Teilen des Landes, vor allem in konservativen ländlichen Gebieten, ist die Unterstützung der Behörden keine wirkliche Alternative, da die Behörden als vom Volk abgehoben gelten [...].
In manchen Milieus ist der soziale Status einer Assoziation mit den Taliban wesentlich höher als mit den Sicherheitskräften. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Löhne der Sicherheitskräfte unregelmäßig ausbezahlt werden; zwischen den einzelnen Auszahlungen können Monate vergehen und die Anzahl der Todesfälle ist hoch. Es ist nicht gesichert, dass ein im Dienst gefallener Soldat der Sicherheitskräfte in seinem Heimatort begraben werden kann, da der örtliche Mullah einer Bestattung möglicherweise nicht zustimmt. Stirbt jedoch ein Mitglied der Taliban, wird er als Märtyrer verehrt
[...].
Die Sicherheitskräfte gelten gemeinhin als korrupt. Ein Mitarbeiter einer NGO vor Ort [...] berichtete, dass die Rekruten der Sicherheitskräfte erleben, wie ihre Vorgesetzen Waffen und Munition an die Taliban verkaufen. Die Korruptionstheoretikerin Sarah Chayes [...] konstatierte, dass die Billigung der Taliban unter der Bevölkerung nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt ist, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft. Nach Ansicht von Chayes ist dies mit eine Erklärung für die Anziehungskraft der Taliban. [...]
Die Taliban sind in den großen Städten am wenigsten stark etabliert. Der Analytiker Boran Osman [...] verwies jedoch darauf, dass die Talibansympathisanten an mehreren Universitäten offen Propaganda betreiben, etwa in Nangarhar, Khost, Kabul und Kandahar. Die Organisation rekrutiert unter schlecht vernetzten jungen Neuankömmlingen [...].
[...]
FREIWILLIGKEIT UND ZWANG
[...] Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen und Übergriffe können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder der betroffenen Person, gerichtet sein.
Die Grenzen von unmittelbarem, konkretem und strukturellem Zwang sind vielleicht fließend; innerhalb dieses Spektrums macht es vermutlich wenig Sinn, von Freiwilligkeit zu sprechen, eben weil die Alternativen für den Betroffenen sehr beschränkt sind. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen.
Nach Meinung mancher Quellen, so auch des UNHCR, rekrutieren die Taliban mittels Zwang. [...]
AUSMASS UNMITTELBAREN ZWANGS
Quellen von Landinfo haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen [...].
Nach Aussagen der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Afghanistan (UNAMA) ist die Gruppe der Stammesältesten gezielten Tötungen ausgesetzt [...]. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind. Der Analytiker Borham Osman [...] hat auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfen verweigert haben, verwiesen. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet [...], meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen.
Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Nach Osman [...] kann die erweiterte Familie allerdings auch eine Zahlung leisten anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich frei zu kaufen.
Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen
[...].
Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren, die Personen dazu bewegt, sich den Taliban anzuschließen. Allerdings gibt es nur sehr begrenzte Informationen über den Einsatz unmittelbarer Gewalt im Zusammenhang mit der Rekrutierung und Mobilisierung unter der Schutzherrschaft der Taliban. In Gesprächen mit Landinfo im Herbst 2010 meinte Giustozzi, dies sei bedingt durch die Tatsache, dass die Taliban im Zusammenhang mit ihrer Expansion noch nicht genötigt waren, Zwangsmaßnahmen anzuwenden. In dem Artikel Afghanistan: Human Rights and Security Situation aus 2011 trifft er folgende Feststellung:
Zwangsrekrutierungen waren bislang noch kein herausragendes Merkmal dieses Konflikts. Die Aufständischen bedienen sich Zwangsrekrutierungen nur sehr vereinzelt, vor allem, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache der Aufständischen nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Giustozzi 2011, Sitzung 6).
Die Angaben Giustozzis über im November 2015 erfolgten Zwangsrekrutierungen [...] stehen nicht im Widerspruch zu seiner 2011 getätigten Einschätzung. Das relativ eindeutige Bild über Rekrutierungen durch die Taliban deutet darauf hin, dass die Organisation Zwangsrekrutierungen nicht systematisch betreibt und dass Personen, die sich gegen eine Mobilisierung wehren, keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht werden. Zahlreiche Gesprächspartner von Landinfo in Kabul [...] waren der Ansicht, dass die Taliban keine Zwangsrekrutierungen durchführen. Eine NGO [...] verwies darauf, dass es sehr einfach sei zu desertieren [...]. Erklärungen eines nationalen Thinktanks zufolge [...] stünde eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit [...] entgegen. Eine internationale Organisation [...]verwies auf ein Argument, das seitens Landinfo im Zusammenhang mit einer quellenkritischen Bewertung von Informationen über die Zwangsrekrutierung aufgeworfen worden war: bei den Quellen handle es sich oft um Personen oder Gruppen, die Anschuldigungen betreffend Zwangsrekrutierungen im Eigeninteresse erheben, etwa Personen, die von den Sicherheitskräften festgenommen wurden oder die als Binnenvertriebene (IDPs) anerkannt werden möchten.
Die Beantwortung einer Anfrage zur Rekrutierung durch Landinfo im Februar 2012 kommt zu dem Schluss, dass es nur in Ausnahmefällen zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban gekommen ist. Die Antwort bezieht sich auf Gespräche, die Landinfo im Oktober 2011 in Kabul geführt hat [...]. Es gibt keine Angaben, die darauf hindeuten, dass sich das Ausmaß von Zwangsrekrutierungen in den vergangenen Jahren erhöht hat. Das geänderte Konfliktschema und die Tatsache, dass die Taliban ihre Truppen professionalisiert haben, bedeuten auch, dass unmittelbare Zwangsrekrutierungen vermutlich sehr gering verbreitet sind. Dies wurde in Gesprächen von Landinfo im April/Mai 2017 in Kabul bestätigt; unmittelbare Zwangsrekrutierungen erfolgen in sehr beschränktem Ausmaß und lediglich in Ausnahmefällen. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Eine Quelle äußerte den Gedanken, dass es "schwierig sei, einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden/etwas zu kämpfen". [...]"
1.3.8. Auszug aus der Analyse der Staatendokumentation zu Frauen in Afghanistan vom 02.07.2014 (Fußnoten entfernt):
"[...] 2. Gewalt gegen Frauen
2.1. Das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW - law) und Kontroversen
Die Streitigkeiten in Bezug auf das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (Elimination of Violence Against Women - EVAW) unterstreichen, was für ein Drahtseilakt die Verbesserung der rechtlichen Situation von Frauen in Afghanistan ist:
Verabschiedet im Jahr 2009, ist es das erste Gesetz, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert. Es definiert 22 Handlungen als Gewalt gegen Frauen, schlägt Strafen für die Täter vor und nimmt die Regierung in die Pflicht. Verboten werden unter anderem Kinderheirat, Zwangsheirat, Menschenhandel für den Zweck oder unter dem Vorwand der Heirat, die traditionelle Praxis des baads (Übergabe einer Frau oder eines Mädchens zur Streitschlichtung), erzwungene Selbstverbrennung und 17 weitere Gewalthandlungen, inklusive Vergewaltigung und physischer Misshandlung.
Das Strafgesetz des Landes, welches aus dem Jahr 1976 stammt, regelt Verbrechen wie Körperverletzung, Zwangsehen und Mord. Nichtsdestotrotz werden keine expliziten Referenzen in Bezug auf Gewalt innerhalb der Familie oder Kinderheirat gemacht. Zwar legt das afghanische Zivilgesetz das Mindestalter für Heirat mit 15 Jahren fest, jedoch sind im Strafgesetz keine Strafen für Zuwiderhandlung vorgesehen. Das Strafgesetz fasst außerdem Vergewaltigung mit einvernehmlichem Ehebruch zusammen, welches beide strafbare Handlungen sind. Deshalb würde ein separates Gesetz, im Speziellen über Gewalt gegen Frauen, ein starkes Signal bezüglich Straffreiheit für Misshandlungen gegen Frauen sein und würde die afghanische Regierung zwingen diese Angelegenheit ernster zu nehmen. Das EVAW-Gesetz repräsentiert daher einen großen Erfolg, zumal viele von ihm kriminalisierte Handlungen von einem Großteil der afghanischen Gesellschaft, einschließlich der Gesetzesvollzugsorgane, nicht als Verbrechen angesehen werden.
Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und demzufolge seine tatsächliche Anwendung ist jedoch begrenzt. Genauso wie seine allgemeine Bekanntheit, obwohl sich die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), einzelne Gesetzesvollzugsorgane und die Zivilgesellschaft bemühen, diese zu steigern. Teile der Öffentlichkeit und religiöser Kreise erachten das Gesetz nämlich als unislamisch. Somit ist seine erfolgreiche und korrekte Umsetzung auch weiterhin mangelhaft. Laut Angaben von Human Rights Watch, ist die Umsetzung des Gesetzes durch die afghanische Regierung mangelhaft. Eine Erklärung von Frauenrechtsaktivistinnen dafür ist das Fehlen sozialer Legitimität. EVAW wurde nie vom afghanischen Parlament abgesegnet, sondern durch ein Präsidialdekret bewilligt. Laut Artikel 79 der Verfassung von 2004 ist das statthaft (ein Präsidialdekret ist rechtmäßig, außer es wird vom Parlament ausdrücklich abgelehnt). Auch viele andere Gesetze wurden bereits auf diesem Wege erlassen und sind weiterhin in Kraft.
Aus der Hoffnung einiger AktivistInnen heraus, dem Gesetz breitere Anerkennung zu verleihen und seine Umsetzung zu erleichtern, wurden bereits im Herbst 2009 Versuche unternommen, eine entsprechende parlamentarische Akzeptanz zu erreichen. Aufgrund der kontroversen Reaktionen, speziell einflussreicher religiöser Führer, war die afghanische Frauenrechtsgemeinschaft danach jahrelang darüber uneinig, ob EVAW überhaupt dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden sollte. Die Mehrheit der AktivistInnen scheint mit dem Präsidialdekret nicht unzufrieden zu sein, da sie sich keine großen Chancen ausrechnen, das Gesetz in einer akzeptablen Form durch den parlamentarischen Ratifizierungsprozess zu bekommen.
Beim letzten Versuch, im Mai 2013, beeinspruchten reaktionäre Elemente im Parlament auch tatsächlich mindestens acht Artikel dieses Gesetzes. Nach einer Reihe hetzerischer Kommentare konservativer Parlamentarier wurde die Diskussion schnell abgebrochen. Speziell das Verbot von Zwangs- und Kinderheirat, sowie der uneingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Frauenhäusern, wurden von mehreren Mitgliedern des Parlaments als unislamisch betrachtet und eine Streichung dieser Bestimmungen beantragt. Nichtsdestotrotz wurde ein nationaler Aktionsplan für EVAW entworfen, der spezielle Schritte für die Umsetzung des Gesetzes, durch Bewusstseinsbildung, Präventions- und Schutzmaßnahmen vorsieht, darunter das Beobachten und Berichten von Gewalt gegen Frauen.
Gewalt gegen Frauen in Afghanistan existiert in verschiedenen Formen. Das Thema selbst wird in der traditionellen afghanischen Gesellschaft als Tabu erachtet, trotzdem kommt es häufig vor. Die einzigen existierenden statistischen Schätzungen zur Häufigkeit von Gewalt gegen Frauen, leiten sich von einer landesweiten Befragung im Jahre 2008 ab, bei der 4.700 Frauen in 16 afghanischen Provinzen daran teilnahmen.
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 registrierte und sammelte die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC) Berichte zu physischer, sexueller, wirtschaftlicher, verbaler und psychologischer, sowie anderen Formen von Gewalt, die in Verbindung mit schädlichen traditionellen Praktiken und Gebräuchen stehen. In diesem Zeitraum wurden demnach 1.249 Fälle physischer Gewalt gegen Frauen registriert, im Jahr 2012 waren es noch 889 Fälle; dies ist ein Anstieg um 30,1%. Laut AIHRC könnte die Erhöhung auch auf eine Steigerung des öffentlichen Bewusstseins zurückzuführen sein. Nichtsdestotrotz geht AIHRC davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist. [...]
Ferner suchen die meisten Frauen keinen rechtlichen Beistand, weil sie sich ihrer Rechte nicht bewusst sind und überdies Angst haben, selbst strafverfolgt zu werden oder zu ihren Familien bzw. dem Täter zurückgebracht zu werden.
2.2. Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Ehrenmorde werden an Frauen von einem - typischerweise männlichen - Familien- oder Stammesmitglied verübt. Die Motive reichen von bloßen Gerüchten in Zusammenhang mit dem anderen Geschlecht, bis hin zu einer sexuellen Beziehung oder dem Weglaufen von zu Hause.
In Afghanistan ist es eine verbreitete Annahme, dass Frauen den Ruf der Familie tragen. Die Männer spüren diesen sozialen Druck und nehmen sich daher das Recht Frauen zu kontrollieren, damit diese keine Schande über die Familie bringen. Frauen und Mädchen versuchen um jeden Preis Handlungen zu vermeiden, die Schande über Männer oder die Familie bringen könnten. Manche afghanische Stämme im Süden gehen sogar davon aus, dass Schande, die über eine Familie gebracht wurde, Schande über den gesamten Clan bringt.
Die AIHRC gab im November 2013 bekannt, in den vorangegangen zwei Jahren 240 Ehrenmorde registriert zu haben. Eine viel höhere Dunkelziffer wird angenommen. RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan - Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans) schätzt, dass 21% der Ehrenmorde vom Ehemann des Opfers begangen werden. In ungefähr 57% der Fälle waren die Mutter oder andere Verwandte des Ehemannes die Täter. Viele in Ehrenmorde verwickelte Personen bleiben unbekannt.
"Ehre" ist im Falle von Vergewaltigung von zentraler Bedeutung. Im Kontext von Vergewaltigung schreibt die Gemeinschaft eher dem Opfer die Schande zu, als dem Täter. Selbst von der Justiz sehen sich die Opfer oft mit Strafverfolgung wegen des Vergehens des Zina (Ehebruch) konfrontiert. Das EVAW-Gesetz führte zum ersten Mal "Vergewaltigung" als kriminelles Vergehen im afghanischen Gesetz ein. Es bestraft Vergewaltigung mit "dauernder Haft", was weithin als lebenslange Haft interpretiert wird, obwohl das nicht in jedem Fall tatsächlich zutrifft. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe.
Eine verbreitete Form von Gewalt in Verbindung mit einer traditionellen Praktik, ist die Zwangsverheiratung. Dies ist der Fall, wenn Frauen und Mädchen im Alter von 15 Jahren oder jünger ohne ihre Einwilligung (manchmal unter Anwendung von Drohungen oder Gewalt) heiraten müssen, mit dem Ziel, der Heirat entführt oder zum Zweck der informellen Streitschlichtung getauscht zu werden. In Afghanistan ist baad, eine traditionelle Praktik, die den erzwungenen Austausch von Frauen und Mädchen als Bräute zur Beendigung von Blutfehden, zur Schuldentilgung bzw. als Kompensation für kriminelle Handlungen oder persönliche Schädigung zum Nachteil einer anderen Partei oder Familie vorsieht. Auf diesem Weg können Familiendispute geregelt werden, die jedoch im Widerspruch zu den Bestimmungen des afghanischen Gesetzes und internationaler Menschenrechtsstandards stehen. Die Anwendung dieses Gesetzes würde darüber hinaus auch islamischen Rechtsprinzipien entgegenstehen, speziell wenn die Schlichtung die Praxis des baads beinhaltet.
Besonders in ländlichen Gegenden werden weiterhin selbst Verbrechen, welche Gewalt gegen Frauen beinhalten, durch informelle Streitschlichtungsmechanismen geahndet. Und das mit Strafen, die wiederum nachteilig für Frauen sind. Als Konsequenz daraus können etwa Vergewaltigungsfälle durch den Austausch von Frauen beigelegt werden. Frauen und Mädchen, die durch baad verheiratet wurden, werden jedoch selten respektiert, da sie immer mit jenem männlichen Verwandten in Verbindung gebracht werden, für dessen Verbrechen sie ausgetauscht wurden.
Badal ist eine andere Form der Zwangsverheiratung, in welcher der Austausch von Töchtern und Schwestern als Bräute zwischen Familien oder Stämmen stattfindet.
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen. Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung ihres Vaters oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist jedoch unzulässig. Nichtsdestotrotz ist Kinderheirat in Afghanistan weiterhin üblich.
Gemäß Daten, welche von der zentralen afghanischen Statistikorganisation (CSO) und UNICEF zwischen 2000 und 2011 zusammengetragen wurden, sind 20% der afghanischen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren bereits verheiratet, davon sind 15% bereits vor dem 15. Lebensjahr und 46% vor dem 18. Lebensjahr verheiratet. Bildung, Wohlstand und geographische Lage des Haushaltes, in welchem das Mädchen lebt, spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Kinderheirat. Junge Frauen ohne Bildung werden drei Mal häufiger unter 18 Jahren verheiratet, als solche, die über eine Hauptschul- oder höhere Bildung verfügen. Speziell in Zeiten von Krieg und großer Unsicherheit steigt der Prozentsatz der Frühverehelichungen, weil Eltern die Ehre ihrer Töchter gegen Bedrohungen wie Vergewaltigung oder mögliche Zwangsverheiratung mit aufständischen Kommandeuren schützen wollen.
Nach dem EVAW Gesetz sind Personen, die eine Zwangsheirat oder Kinderheirat arrangieren, mit einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren zu bestrafen. Die Umsetzung ist aber weiterhin mangelhaft.
In Afghanistan ist die Mobilität von Frauen ohne männliche Erlaubnis oder Begleitung durch soziale Traditionen eingeschränkt. Unbegleitete Frauen sind gemeinhin nicht gesellschaftlich akzeptiert.
Als letzten Ausweg, in Reaktion auf gegen Frauen gerichtete Gewalt und traditionelle Praktiken, laufen Frauen entweder von zu Hause weg oder verbrennen sich in drastischen Fällen sogar selbst. [...]
3. Strafverfolgung und Unterstützung durch das EVAW Gesetz
In Einklang mit dem EVAW-Gesetz, haben Frauen, welche Opfer von Gewalt wurden, das Recht, die Hilfe der Abteilung für Frauenangelegenheiten (Department of Women¿s Affairs - DoWA), der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission (AIHRC), der Polizei oder des Büros der Staatanwaltschaft zu suchen. Je nach Wunsch der Frau vermitteln DOWA, AIHRC bzw. Justizministerium (Department of Huqooq) oder verweisen die Frauen an relevante Einrichtungen (z.B. Frauenhäuser). Diese Institutionen versuchen durch Mediation und Dialog eine Lösung zu finden.
Fehlendes Wissen über ihre Rechte bzw. Analphabetentum schmälern den Zugang von Frauen zur Justiz. Eine Kultur des Nicht-Anzeige-Erstattens von Gewalt an Frauen ist in Afghanistan präsent und wird teilweise von sozialen Normen gefördert, die es den meisten afghanischen Frauen unmöglich machen, einen männlichen Polizisten anzusprechen. Dies führt zu ausbleibender Strafverfolgung und einer Kultur der Straflosigkeit.
Während die Umsetzung des EVAW-Gesetzes mangelhaft ist, gibt es Berichte über Fälle erfolgreicher Strafverfolgung durch die VAW-Einheiten.
Diese erste VAW-Einheit (Violence Against Women - VAW) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft in Kooperation mit der internationalen Rechtsorganisation (International Development Law Organization - IDLO) initiiert und hat ihren Sitz im Büro der Generalstaatsanwaltschaft in Kabul. Die Staatanwälte dieser Einheit erhalten ein spezielles Training in Bezug auf Gender-Fragen. Innerhalb des ersten Jahres ihres Bestehens, verfolgte die Einheit ungefähr 300 Fälle, darunter Misshandlungs- und Vergewaltigungsfälle, und bis zum letzten Monat des ersten Jahres verdoppelte sich die Anzahl der Anklagen. Die Kabuler VAW-Einheit etablierte ein Netzwerk von Unterstützungsdiensten für Gewaltopfer. Diese bieten Hilfe bezüglich Unterkunft, Gesundheit und Bildung. Im April des Jahres 2011 wurde eine zweite VAW-Einheit im Berufungs-Büro der Staatsanwaltschaft der Provinz Herat angesiedelt.
2012 wurden 1.352 Beschwerden wegen Verstößen gegen das EVAW-Gesetz an die VAW-Einheiten herangetragen. Dies deutet einen signifikanten Anstieg gegenüber den 500 registrierten Fällen im Jahr 2011 an. Die Provinzdirektionen für Frauenangelegenheiten orten darin eher eine gesteigerte Wahrnehmung des Themas Frauenrechte, als eine Zunahme der Gewalt gegen Frauen. Ein großer Teil dieser Beschwerden wurde durch Familien-Mediation gelöst. Die Kabuler VAW-Einheit brachte 38 Fälle vor Gericht und erlangte 28 Verurteilungen, die restlichen 10 Fälle endeten mit Freisprüchen.
Landesweit sind 355 Ermittler der sogenannten "Female Response Unit" in 146 Büros aktiv. Diese sind zum Großteil mit Polizistinnen besetzt, die Gewalt und Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Familien behandeln. Polizistinnen sind darauf trainiert Opfern häuslicher Gewalt zu helfen, jedoch, werden sie durch Vorschriften behindert, die verlangen, dass man warten muss, bis sich das Opfer von selbst meldet. Frauen in der afghanischen Polizei und in zivilen Positionen im Innenministerium bieten Vermittlung und Ressourcen zur zukünftigen Vermeidung von häuslicher Gewalt an.
4. Frauenhäuser
Frauen auf der Suche nach Hilfe in Fällen von häuslicher Gewalt, müssen dies oft außerhalb ihres Heimes und ihrer Gemeinschaft tun. Laut UNICEF, gab es 2012 14 Frauenhäuser im Land. Etwa 40% ihrer Bewohnerinnen waren unter 18 Jahre alt.
Laut Human Rights Watch (HRW) ist die Zahl der Frauenhäuser 2013 auf 18 angestiegen. Das USDOS (United States Department of States) zählt 21 formelle und informelle Frauenhäuser. Seit internationale Bemühungen zu einem Ausbau der Kapazitäten geführt haben, hat sich der Zugang für Frauen zu Frauenhäusern gesteigert. In Kabul wurde eine Zunahme der Vermittlungen an Frauenhäuser durch die Polizei registriert, was auf ein verbessertes Training und Bewusstseinsbildung der afghanischen Polizei hindeutet. Nichtsdestotrotz gibt es nicht genügend Frauenhäuser für den existierenden Bedarf. Manche der 34 Provinzen in Afghanistan haben kein einziges Frauenhaus, vor allem im konservativen Süden des Landes. Aufgrund des Platzmangels in Frauenhäusern, werden in manchen Fällen Frauen zu ihrer eigenen Sicherheit in Schutzgewahrsam genommen. Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, müssen in den Frauenhäusern bleiben, da "unbegleitete" Frauen gesellschaftlich nicht akzeptiert sind.
Die Frauenhäuser sind gänzlich von der Finanzierung durch internationale Geber und Regierungen abhängig. Laut HRW hat die afghanische Regierung kein Interesse gezeigt, Frauenhäuser durch das Regierungsbudget zu finanzieren. Jedoch verlautbarte die afghanische Regierung im Jahr 2011, alle Frauenhäuser nationalisieren zu wollen und sie unter die Leitung des Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MOWA) zu bringen. Menschenrechts-NGOs arbeiteten gemeinsam mit dem Ministerium, um die vorgeschlagene Nationalisierung zu stoppen. Durch eine endgültige Regelung über die Frauenhäuser, unterstehen diese dem MOWA, es erlaubt aber den NGOs, sie weiterhin zu betreiben.
Gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber Frauenhäusern existieren. Im Jahr 2012 stellte sogar der afghanische Justizminister Frauenhäuser mit "Häuser der Prostitution und Immoralität" gleich. Nach Protesten von Frauenrechtsgruppen, entschuldigte er sich später für seine Bemerkungen.
[...]"
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister und dem Fremdeninformationssystem, in Strafregisterauszüge und in Auszüge aus dem Grundversorgungs-Informationssystem sowie durch Einvernahme des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Unterlagen (Schulbesuchsbestätigung des Drittbeschwerdeführers; Schulbesuchsbestätigung der Fünftbeschwerdeführerin; Bestätigung der gemeinnützigen Tätigkeit des Erstbeschwerde-führers) sowie durch Einsichtnahme in die Stellungnahme vom 19.03.2018.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:
2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.
2.1.2. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheits-dienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer Muttersprache, ihrem Lebenslauf (ihr Aufwachsen sowie ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Afghanistan, die (fehlende) Schulausbildung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin) sowie zur traditionellen Eheschließung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gründen sich auf den diesbezüglich im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und übereinstimmenden Aussagen des Erst- und der Zweit- beschwerdeführerin, weshalb das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung hat, an diesen zu zweifeln.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Erst- und der Zweitbeschwerde-führerin ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug jeweils vom 28.02.2018). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Dritt-, Viert-, Sechst- und der Fünftbeschwerdeführerin ergibt sich aus ihrer Strafunmündigkeit aufgrund ihres Alters.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Im vorliegenden Verfahren haben die Beschwerdeführer nach ihrer Erstbefragung in der Einvernahme vor dem Bundesamt die Gelegenheit gehabt, ihre Gründe umfassend darzulegen. Der aufgrund dieser Befragung festgestellte Sachverhalt und die Beweiswürdigung finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid. In Anbetracht des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie angesichts der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts, hat dieses auch keine Bedenken gegen die (in der Bescheidbegründung zum Ausdruck kommende) Annahme der belangten Behörde, dass den Beschwerdeführern in ihrem Herkunftsstaat keine konkrete individuelle Verfolgung droht.
2.2.1. Soweit der Erstbeschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe aufgrund seiner Weigerung mit den Taliban zusammenzuarbeiten Lebensgefahr bzw. physische und/oder psychische Gewalt durch die Taliban, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:
Die zur Entscheidung berufene Richterin des Bundesverwaltungsgerichts geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund ihres persönlichen Eindrucks des Erstbeschwerdeführers davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Vorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Erstbeschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Erstbeschwerdeführer jedoch nicht gerecht worden. Der Erstbeschwerdeführer präsentierte in der mündlichen Verhandlung eine bloße Rahmengeschichte, die er selbst auf mehrfaches Nachfragen kaum mit Details ergänzen konnte. Die Angaben des Beschwerdeführers blieben daher trotz Nachfrage detaillos und vage. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Erstbeschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen, unplausiblen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.
Der Erstbeschwerdeführer gab beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung an, dass er zweimal auf seinem Feld von den Taliban aufgefordert worden sei mit ihnen zusammen-zuarbeiten. Er sei auch beide Male von den Taliban geschlagen und bedroht worden (Akt 1, Sitzung 109 ff; OZ 7, Sitzung 12 ff).
Es fällt auf, dass der Erstbeschwerdeführer die in weiterer Folge angeführten konkreten Drohungen und Angriffe der Taliban in der Erstbefragung gar nicht erwähnte, sondern lediglich anführte, dass die Sicherheitslage wegen der Taliban in seiner Herkunftsregion sehr schlecht gewesen sei und er deshalb Afghanistan verlassen habe (Akt 1, Sitzung 15).
Gemäß Paragraph 19, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen vergleiche hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Die Verwaltungsbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.
Es wird daher im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden. Dass der Erstbeschwerdeführer die - erst in weiterer Folge - konkreten Drohungen und Angriffe der Taliban, somit den wesentlichen Teil seiner Fluchtgründe zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, ist für das Bundesverwaltungs-gericht jedoch nicht nachvollziehbar und zumindest als weiteres Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.
Der Erstbeschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass die Taliban aufgrund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit zu ihm gekommen seien und ihn aufgefordert hätten mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Taliban hätten keine gute Beziehung zu Schiiten und das Töten der Schiiten sei ein Privileg für sie um ins Paradies zu gelangen (OZ 7, Sitzung 8). Nachgefragt, warum dann gerade er für die Taliban arbeiten hätte sollen, führte der Erstbeschwerdeführer ausweichend an: "Sie haben die Absicht des "Töten" gehabt. Sie wollten ja töten. Schauen sie sich das ganze an. Lesen sie die Geschichte von den Taliban und Afghanistan. Sie werden keine einzigen Schiiten bei den Taliban finden. Das was sie machen ist falsch. Das ist für uns Haram. Ich war mir sicher, wenn ich auch beigetreten wäre, hätten sie mich am Schluss umgebracht, weil sie dem Glauben sind, dass unser Blut für sie Halal ist und sie dadurch ins Paradies kommen. Die Schiiten sind total gegen die Taliban." (OZ 7, Sitzung 15). Da der Erstbeschwerdeführer selbst angegeben hat, dass man keinen einzigen Schiiten bei den Taliban finden würde, ist nicht nachvollziehbar, warum die Taliban ausgerechnet den Erstbeschwerdeführer zur Zusammenarbeit auffordern hätten sollen. Dass die Taliban den Erstbeschwerdeführer lediglich rekrutieren wollten um ihn dann umzubringen scheint ebenso unplausibel, zumal sie ihn bereits im Zuge der angeblichen Vorfälle auf dem Feld hätten töten können.
Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gaben bei der Erstbefragung jeweils an, dass sie Afghanistan ca. ein Monat vor ihrer Ankunft in Österreich verlassen hätten und sie ca. 4 Tage vor der Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich eingereist seien (Akt 1 und 2, Sitzung 11 f). Der Erstbeschwerdeführer gab auch beim Bundesamt an, dass seine Reise von Afghanistan nach Österreich ca. ein Monat gedauert habe (Akt 1, Sitzung 107). Nachdem die Beschwerdeführer am 10.11.2015 die Anträge auf internationalen Schutz in Österreich gestellt haben und sie somit im November 2015 nach Österreich gekommen sind, ist davon auszugehen, dass sie ca. im Oktober 2015 aus Afghanistan ausgereist seien. Befragt wann die beiden Vorfälle mit den Taliban stattgefunden haben, gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung an, dass sich der erste Vorfall mit den Taliban ca. 10 Tage vor seiner Ausreise aus Afghanistan ereignet habe und die Taliban eine Woche nach dem ersten Vorfall erneut zu ihm gekommen seien (Akt 1, Sitzung 109, 111; OZ 7, Sitzung 15 f). In der mündlichen Verhandlung gab der Erstbeschwerdeführer nachgefragt weiter an, dass er auf den Feldern schon ausgesät habe und mit der Bewässerung beschäftigt gewesen sei. Die Pflanzen seien schon ausgewachsen und es sei fast Erntezeit gewesen (OZ 7, Sitzung 16). Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der mündlichen Verhandlung hingegen an, dass bereits geerntet worden sei und die Erntezeit vorbei gewesen sei (OZ 7, Sitzung 21). Nachgefragt gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie sich sicher sei, dass die Ernte vorbei gewesen sei. Die Ernte sei bereits nachhause gebracht und in Säcken bei ihnen zuhause gelagert worden (OZ 7, Sitzung 30). Sofern in der Stellungnahme vom 19.03.2018 ausgeführt wurde, dass die Widersprüche des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin darauf zurückzuführen seien, dass die Zweitbeschwerdeführerin keinerlei Ahnung von der Landwirtschaft habe, ist festzuhalten, dass die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin jedoch mit dem Zeitpunkt der Ausreise der Beschwerdeführer im Oktober 2015 bzw. den Vorfällen, die demnach ca. Ende September 2015 stattgefunden hätten, nach der allgemeinen Lebenserfahrung besser zusammenpassen als die des Erstbeschwerdeführers. So ist die Erntezeit in Afghanistan mit jener in Österreich vergleichbar, sodass es nicht glaubhaft ist, dass Ende September bzw. im Oktober 2015 noch nicht geerntet worden sei. Absolut nicht nachvollziehbar ist, dass der Beschwerdeführer das korrekte Stadium der Ernte nicht angeben konnte, zumal er Landwirt war, auf dem Feld von den Taliban aufgesucht worden sei und es sich dabei wohl um einprägsame Vorfälle gehandelt habe, sodass er sich - hätten sich die Vorfälle tatsächlich zugetragen - wohl daran erinnern würde, ob bereits die Ernte eingefahren gewesen sei oder nicht.
Der Erstbeschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass die Taliban ihn beim ersten Vorfall aufgefordert hätten mit ihnen zusammenzuarbeiten. Der Erstbeschwerdeführer habe jedoch erwidert, dass er mit der Landwirtschaft beschäftigt sei und Geld für seine Familie verdienen müsse. Die Taliban hätten ihm dann vorgeschlagen, dass er tagsüber die Landwirtschaft betreibe und nachts mit ihnen kämpfe. Als der Erstbeschwerdeführer neuerlich abgelehnt habe, für sie zu arbeiten, sei er von vier Mitgliedern der Taliban geschlagen worden (OZ 7, Sitzung 14). Unplausibel scheint, dass der Erstbeschwerdeführer sich den Taliban gegenüber sofort geweigert habe mit ihnen zusammenzuarbeiten, zumal der Erstbeschwerdeführer selbst angegeben hat, dass die Taliban alle jungen Leute im Dorf aufgefordert hätten sich ihnen anzuschließen und bei Nichtbefolgung mit dem Tod gedroht hätten. Deshalb seien viele junge Leute aus dem Dorf geflohen (OZ 7, Sitzung 13). Dem Erstbeschwerdeführer sei daher bewusst gewesen, dass die Taliban einer Verweigerung ihrer Forderungen nicht positiv gegenüberstehen. Dass der Erstbeschwerdeführer daher nicht erst um eine Bedenkzeit gebeten habe, sondern sofort den Taliban ins Gesicht gesagt habe ihrer Forderung nicht nachzukommen, scheint daher unplausibel.
Unplausibel ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass die Taliban den Erstbeschwerde-führer sofort geschlagen haben, zumal sie doch mit ihm hätten zusammenarbeiten wollen. Den Taliban hätte daher bewusst sein müssen, dass der Erstbeschwerdeführer nachdem er von ihnen geschlagen worden sei, ihrer Forderung wohl erst recht nicht mehr nachkommen werde. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die Taliban nicht zunächst eine Bedenkzeit eingeräumt, sondern sofort zugeschlagen hätten.
Der Erstbeschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung zunächst befragt, ob ihm von den Taliban für den Anschluss Anreize gesetzt worden seien, an, dass sie ihm in Aussicht gestellt hätten ein Gehalt zu bekommen. Nachgefragt gab der Dolmetscher dann an, dass der Erstbeschwerdeführer die Frage anders verstanden habe (OZ 7, Sitzung 14). Die Taliban hätten dem Erstbeschwerdeführer keinen konkreten Vorschlag gemacht, sondern er sei selbst davon ausgegangen, dass er einen Lohn bekommen würde, nachdem auch die Taliban ihre Familien ernähren müssen und deshalb wohl einen Lohn erhalten würden. Es sei seine eigene Logik und Annahme gewesen, dass er ein Gehalt bekommen würde (OZ 7, Sitzung 15).
Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist nicht mit den Länderfeststellungen in Einklang zu bringen. Den Länderfeststellungen (insbesondere Punkt römisch II.1.3.7.) ist zu entnehmen, dass die Rekrutierung der Taliban-Streitkräfte hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen (Moscheen, Madrassen) läuft. So bieten die Taliban insbesondere mit hohen Löhnen und sicheren Arbeitsplätzen einen Anreiz für den Anschluss. Sie betreiben keine systematischen Zwangsrekrutierungen, weshalb Zwangsrekrutierungen lediglich Ausnahmefälle darstellen, zumal sie auch ausreichend Zugriff auf freiwillige Rekruten haben. Zudem steht eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen und führe zu Desertationen, die die Organisation schwächen würden. Dass die Taliban den Erstbeschwerdeführer sofort geschlagen hätten und ihm keinen Anreiz zum Anschluss geboten hätten, steht daher im Widerspruch zu den Länderfeststellungen.
Der Erstbeschwerdeführer hat beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er als die Taliban zum zweiten Mal zu ihm gekommen seien, von ihnen brutal bzw. schwer zusammengeschlagen worden sei (Akt 1, Sitzung 109 ff; OZ 7, Sitzung 10). Unplausibel scheint deshalb, dass er beim Bundesamt ausgeführt hat, keine sichtbaren Verletzungen erlitten zu haben und danach noch zu Fuß nach Hause gegangen zu sein (Akt 1, Sitzung 113), zumal das Haus vom Feld ca. 10 Minuten entfernt gewesen sei (Akt 1, Sitzung 111; OZ 7, Sitzung 24). Hätte der Erstbeschwerdeführer tatsächlich - sowie er und die Zweitbeschwerdeführerin nunmehr in der mündlichen Verhandlung angegeben haben - sichtbare Verletzungen erlitten (OZ 7, Sitzung 10, 24) hätte er dies - nachdem er ausdrücklich danach befragt worden ist - bereits beim Bundesamt angegeben (Akt 1, Sitzung 113).
Unplausibel ist auch, dass der Erstbeschwerdeführer sowie seine Neffen, mit denen er gemeinsam nach Österreich gereist ist, alle zirka zur gleichen Zeit von den Taliban bedroht worden seien (OZ 7, Sitzung 9).
Aufgrund der derart unplausiblen und widersprüchlichen Angaben des Erstbeschwerde-führers, ist es ihm weder gelungen glaubhaft zu machen, dass er von den Taliban aufgefordert worden ist mit ihnen zusammenzuarbeiten, noch, dass er von den Taliban geschlagen und/oder konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden ist.
2.2.2. Soweit die Zweitbeschwerdeführerin vorbrachte, sie sei von ihrem Schwager und dessen Frau in Afghanistan geschlagen und verletzt worden, kommt ihrem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:
Die diesbezüglichen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin sind sehr vage. So gab sie beim Bundesamt lediglich an, dass ihr Schwager und seine Frau ungute Menschen gewesen seien und sie geschlagen, verbrannt und ihr nicht erlaubt hätten, ihre Eltern zu besuchen (Akt 2, Sitzung 121). Die Probleme hätten schon seit ihrer Hochzeit vor ca. 10 Jahre begonnen (Akt 2, Sitzung 123). In der mündlichen Verhandlung gab sie lediglich an, dass sie das Haus nicht habe verlassen dürfen, ihren Schwager und dessen Familie habe verpflegen müssen und wenn etwas nicht gepasst habe, geschlagen worden zu sei (OZ 7, Sitzung 23).
Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der mündlichen Verhandlung an, dass der Erst-beschwerdeführer immer der Meinung gewesen sei, dass sie frei leben solle (OZ 7, Sitzung 29). Auch der Erstbeschwerdeführer gab an, dass er der Zweitbeschwerdeführerin ein freies Leben und keine Sorgen wünsche. Er sei sehr entgegenkommend, weil er wisse, dass sie ein schweres Leben hinter sich habe (OZ 7, Sitzung 17). Aufgrund der seiner Frau gegenüber unterstützenden Einstellung des Erstbeschwerdeführers ist nicht schlüssig, warum der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie nicht einfach aus dem Haus, in dem auch der Schwager der Zweitbeschwerdeführerin gewohnt hat (Akt 1, Sitzung 119; OZ 7, Sitzung 11), ausgezogen ist um die Zweitbeschwerdeführerin zu schützen. Diesbezüglich befragt gab die Zweitbeschwerdeführerin lediglich ausweichend an, dass sie von dort nicht wegziehen hätten dürfen, weil sie dort gelebt haben. Sie seien schließlich wegen den Vorfällen des Erstbeschwerdeführer mit den Taliban aus Afghanistan ausgereist (Akt 2, Sitzung 123). Dass der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie nicht einfach in ein eigenes Haus gezogen ist oder schon früher aus Afghanistan ausgereist ist, obwohl ihn die Zweitbeschwerdeführerin angefleht habe Afghanistan zu verlassen (OZ 7, Sitzung 13), ist daher absolut nicht nachvollziehbar.
Nicht nachvollziehbar ist auch, dass der Erstbeschwerdeführer gegen seinen Bruder oder zumindest gegen dessen Frau nichts unternommen habe. Die Zweitbeschwerdeführerin gab diesbezüglich nur an, dass ihr Schwager älter als der Erstbeschwerdeführer sei und er deshalb nichts zu ihm sagen habe können (Akt 2, Sitzung 121; OZ 7, Sitzung 23). Der Erstbeschwerdeführer gab lediglich lapidar an, dass er mit seinem Bruder nicht reden habe wollen, weil er ein unguter Mensch sei (Akt 1, Sitzung 121). Dass der Erstbeschwerdeführer 10 Jahre lang mitbekommen habe wie seine Frau verletzt werde und nichts dagegen unternommen habe, scheint jedoch nicht nachvollziehbar.
Unplausibel ist auch das Verhalten des Schwagers der Zweitbeschwerdeführerin gegenüber seiner eigenen Frau. So ist aufgrund der generellen negativen Einstellung des Schwagers der Zweitbeschwerdeführerin gegenüber Frauen (OZ 7, Sitzung 13) weder plausibel, dass er zwar die Zweitbeschwerdeführerin wie eine Sklavin behandelt haben soll, seine eigene Frau jedoch nicht, noch, dass er seiner eigenen Frau erlaubt habe die Zweitbeschwerdeführerin zu schlagen.
Aufgrund der derart vagen und unplausiblen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden, dass sie von ihrem Schwager und dessen Frau geschlagen oder verletzt worden ist.
2.2.3. Die Feststellungen zur Zweitbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergeben sich aus den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie dem persönlichen Eindruck, der von der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.
Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.
So handelt es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um eine erwachsene, sehr einfache Frau, die sich primär um den Haushalt und die Kinder kümmert, was sie auch bisher in Afghanistan getan hat (Akt 2, Sitzung 117; OZ 7, Sitzung 28).
Dass sie (faktisch) über keine Deutschkenntnisse verfügt und Analphabetin ist, hat die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben. Zudem konnte die Zweitbeschwerdeführerin nicht einmal in einfachem Deutsch angeben, was sie machen würde, wenn es in ihrer Wohnung brennt (OZ 7, Sitzung 26).
In der mündlichen Verhandlung wurde zudem der Eindruck gewonnen, dass die Zweitbeschwerdeführerin sich in Österreich nur innerhalb eines äußerst kleinen Radius bewegt, obwohl es ihr möglich wäre, alleine das Haus zu verlassen und sich frei zu bewegen. So hat sie zwar angegeben, die Kinder in die Schule zu bringen und abzuholen, darüber hinaus gab sie jedoch an auf ihren Mann zuhause zu warten und mit dem Haushalt sehr beschäftigt zu sein. Nach Hobbys befragt, gab die die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie im Internet Deutsch lerne und bummeln gehe. Ansonsten hole sie die Kinder ab und sei mit ihnen sehr beschäftigt (OZ 7, Sitzung 28). Gelegentliche Spaziergänge in der näheren Umgebung stellen nach Auffassung des Gerichts für sich genommen noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar. Sofern der Erstbeschwerdeführer angegeben hat, dass die Zweit- und die Fünftbeschwerdeführerin jeden Sonntag ins Schwimmbad gehen würden (OZ 7, Sitzung 18), ist festzuhalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin dies von sich aus nicht angegeben hat. Es ist jedoch absolut nicht nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin einen regelmäßigen Besuch im Schwimmbad mit keinem Wort erwähnen würde, obwohl sie ausdrücklich nach ihren Hobbys bzw. ihrer Freizeitgestaltung befragt worden ist (OZ 7, Sitzung 26 ff). Erst auf ausdrückliche Nachfrage gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass es sehr viel Spaß mache mit der Fünftbeschwerdeführerin schwimmen zu gehen (OZ 7, Sitzung 29). Unplausibel scheint jedoch auch, dass die Zweit- und Fünft-beschwerdeführerin alleine ins Schwimmbad gehen, obwohl sie keinen Schwimmkurs besuchen und nicht bzw. nur ein bisschen schwimmen können (OZ 7, Sitzung 18). Dies ist auch deshalb unplausibel, weil man auch im Schwimmbecken - insbesondere, wenn man nicht bzw. nur etwas schwimmen kann - schnell in eine Gefahrensituation geraten kann und die Zweitbeschwerdeführerin in diesem Falle der Fünftbeschwerdeführerin nicht zur Hilfe kommen könnte. Darüber hinaus waren die Angaben des Erstbeschwerdeführers zur Badebekleidung der Zweitbeschwerdeführerin derart vage (OZ 7, Sitzung 19), dass nicht glaubhaft ist, dass die Zweit- und die Fünftbeschwerdeführerin tatsächlich regelmäßig ein Schwimmbad besuchen.
Die Zweitbeschwerdeführerin ist darüber hinaus bei den alltäglichen Erledigungen auf die Unterstützung durch ihren Ehemann und (freiwillige) Dolmetscher angewiesen. So geht sie weder alleine zum Arzt, noch erledigt sie Behördengänge alleine (OZ 7, Sitzung 27 f), was der Annahme eines selbstbestimmten Lebens diametral entgegenläuft. Der Erst- und die Zweit-beschwerdeführerin haben in der mündlichen Verhandlung zwar angegeben, dass die Zweit-beschwerdeführerin für das Haushaltsbudget verantwortlich sei (OZ 7, Sitzung 17, 30). Die Zweit-beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung jedoch auch angegeben, dass sie sich mit der [Anm. BVwG: afghanischen] Währung nicht auskenne (OZ 7, Sitzung 25). Dass die Zweitbeschwerdeführerin sich mit der Währung, mit der sie aufgewachsen ist, nicht auskenne, nunmehr jedoch das Haushaltsbudget verwalte, scheint insbesondere unplausibel, weil die Zweitbeschwerdeführerin erst seit ca. 2 1/2 Jahren mit der österreichischen Währung in Berührung ist und zudem Analphabetin ist. Es ist daher nicht glaubhaft, dass die Zweit-beschwerdeführerin das Haushaltsbudget der Familie verwalte. Darüber hinaus hat der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auch angegeben hat, dass die Zweitbeschwerdeführerin alleine die Einkäufe erledige (OZ 7, Sitzung 17). Dies ist jedoch mit den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin und ihrem persönlichen Eindruck nicht in Einklang zu bringen. So ist sie bei den alltäglichen Erledigungen auf ihren Ehemann und (freiwillige) Dolmetscher angewiesen, ist mit der österreichischen Währung nicht vertraut und hat selbst mit keinem Wort erwähnt, dass sie die Einkäufe für die Familie vornehme. Es konnte daher nicht erkannt werden, dass die Zweitbeschwerdeführer selbständig alltägliche Erledigungen bewältigen kann.
Dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich bereits nachhaltige soziale Kontakte geknüpft hätte, was die Annahme einer westlichen Lebensführung zumindest indizieren könnte, wurde von ihr in der mündlichen Verhandlung selbst verneint, indem sie vorgebracht hat, dass sie in Österreich bis jetzt keine Freunde gefunden hat (OZ 7, Sitzung 28). Die Zweitbeschwerdeführerin hat zwar angegeben: "Es sind Freunde hier, die als Dolmetscher mitgehen." (OZ 7, Sitzung 28). Das Gericht geht aufgrund ihrer Aussagen jedoch davon aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin diese bereits aus Afghanistan kennt.
Die Zweitbeschwerdeführerin bringt zwar vor, hier in Österreich selbst als Taxifahrerin arbeiten zu wollen. Diese Aussage weicht jedoch erkennbar von ihrer Lebenswirklichkeit ab, zumal die Zweitbeschwerdeführerin über keinen Führerschein besitzt und in der mündlichen Verhandlung weder klare Vorstellungen noch eine konkrete Planung oder eigenes Engagement erkennbar waren (OZ 7, Sitzung 27). Zudem war die Zweitbeschwerdeführerin nicht in der Lage, der erkennenden Richterin nachvollziehbar darzulegen, dass sie angesichts ihrer praktisch nicht vorhandenen Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache und bei der Alphabetisierung in der Lage ist, diesen Wunsch auch in die Tat umzusetzen (OZ 7, Sitzung 26 f).
Zur Kleidung der Zweitbeschwerdeführerin ist zunächst anzumerken, dass sie jedenfalls ein Kopftuch trägt. Sofern sie in der mündlichen Verhandlung jedoch angegeben hat, dass sie nicht immer ein Kopftuch trage, sondern dies nur als Accessoire trage, ist dies nicht mit dem persönlichen Eindruck der Zweitbeschwerdeführerin in Einklang zu bringen (OZ 7, Sitzung 29). Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kleidungsstil der Zweitbeschwerdeführerin ihr in Afghanistan grundlegende Probleme bereiten würde, zumal nach dem notorischen Amtswissen die Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum von moderner westlicher Kleidung über farbenreiche volkstümliche Trachten bis hin zur Burka und Vollverschleierung umfasst.
Zusammenfassend kann somit im Falle der Zweitbeschwerdeführerin davon ausgegangen werden, dass diese eine "westliche Orientierung", der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert hat. Die Zweitbeschwerdeführerin ist eine zum Entscheidungszeitpunkt in hohem Maße unselbständige Frau, ohne Deutschkenntnisse, deren Lebensführung in Österreich sich insgesamt nicht wesentlich von jenem unterscheidet, welches sie über Jahre in Afghanistan führte (Haushaltsführung und Kinderbetreuung). Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise", die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, nicht ableiten.
Bei der Fünftbeschwerdeführerin handelt es sich um ein unmündiges minderjähriges Mädchen im Alter von neun Jahren, die bis zu ihrer Ausreise in Afghanistan aufgewachsen ist. Dass sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befindet, ergibt sich zweifelsfrei aus der einschlägigen Judikatur des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes vergleiche VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.). Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass es der Fünftbeschwerdeführerin unmöglich oder unzumutbar wäre, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
2.2.4. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin legten in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dar, dass ihnen die Bildung ihrer Kinder ein großes Anliegen ist und sie diese diesbezüglich in jeder Hinsicht unterstützen. Der von ihnen geäußerte Wunsch betreffend die Bildung ihrer Kinder stellen sich jedoch nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates auch für Mädchen/Frauen ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind.
2.2.5. Auch darüber hinaus vermochten die Beschwerdeführer eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Schiiten oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Untergruppe der Hazara nicht aufzuzeigen:
Sofern der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass er von den Taliban aufgrund seiner ethnisch religiösen Zugehörigkeit zu den Schiiten und einer Untergruppe der Hazara geschlagen und zur Zusammenarbeit aufgefordert worden sei (Akt 1, Sitzung 109; OZ 7, Sitzung 8, 12, 15), ist - wie bereits unter Punkt römisch II.2.2.1. ausgeführt - festzuhalten, dass der Beschwerdeführer diese Vorfälle bzw. Bedrohung durch die Taliban nicht glaubhaft machen konnte.
Darüber hinaus gab der Erstbeschwerdeführer lediglich pauschal an, dass Schiiten allgemein Probleme in Afghanistan hätten (Akt 1, Sitzung 115). Aus diesen lediglich allgemein gehaltenen Angaben kann die erkennende Richterin, insbesondere auch in Zusammenschau mit den Länderberichten zum Fehlen entsprechend massiver religiöser und volksgruppenbezogener Diskriminierung (siehe Punkt römisch II.1.3.1. und römisch II.1.3.4. bis römisch II.1.3.6.), den Schluss ziehen, dass die Beschwerdeführer selbst keiner individuell konkret gegen sie gerichteten Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt gewesen sind.
2.2.6. In einer Gesamtschau des Vorbringens konnte daher nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban, dem Schwager der Zweitbeschwerdeführerin oder andere Personen droht.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die den Länderfeststellungen vergleiche Punkt römisch II.1.3.1 bis römisch II.1.3.8.) zu Grunde liegenden Berichte wurden den Beschwerdeführern mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt bzw. in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebracht. Den Beschwerdeführern wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass aufgrund dieser Berichte die Feststellungen zu ihrem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Ihnen wurde die Möglichkeit gegeben in die Länderberichte Einsicht zu nehmen und allenfalls dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführer haben mit Schriftsatz vom 19.03.2018 Stellung genommen, sind den Länderberichten jedoch nicht substantiiert entgegengetreten.
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist vergleiche VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vergleiche VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung unter Punkt römisch II.2.2.1. und römisch II.2.2.2. dargestellt, kommt dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich ihres konkreten Vorbringens zu ihren Fluchtgründen (betreffend die Gefahr, in Afghanistan seitens der Taliban bzw. dem Schwager der Zweitbeschwerdeführerin und dessen Frau physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein) keine Glaubwürdigkeit zu.
3.3. Weiters konnte im Fall der Zweitbeschwerdeführerin nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im November 2015 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Heimatlandes brechen würde.
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.
Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).
Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Infolgedessen verletzt die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.
Auch hinsichtlich der Fünftbeschwerdeführerin konnte eine gegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK nicht festgestellt werden. Dies insbesondere, weil es sich bei der Fünftbeschwerdeführerin um eine Minderjährige im anpassungsfähigen Alter handelt, der eine Eingliederung in das oder ein Aufwachsen im afghanischen Normensystem zumindest unter dem Aspekt des Fehlens einer drohenden asylrelevanten Verfolgung zumutbar ist.
3.4. Auch eine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit der Beschwerdeführer zu einer Untergruppe der schiitischen Hazara konnten die Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen (siehe Punkt römisch II. 2.2.5.).
In Ermangelung von den Beschwerdeführern individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Untergruppe der Volksgruppe der Hazara oder zur Religionsgruppe der Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wären.
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:
Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara vergleiche insb. Punkt römisch II.1.3.4. bis römisch II.1.3.6.) erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).
Aus den Länderberichten stellt sich die Lage für Schiiten in Afghanistan entsprechend jener der Hazara dar.
Es ist daher eine Gruppenverfolgung - sowohl in Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara bzw. einer Untergruppe der Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben.
3.5. Den Beschwerdeführern ist es entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion der Beschwerdeführer erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
3.6. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt werden konnten, liegen die Voraussetzungen des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG nicht vor.
Die Beschwerden gegen Spruchpunkt römisch eins. der angefochtenen Bescheide war daher gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2018:W252.2155065.1.00