Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

09.05.2018

Geschäftszahl

W249 2163384-1

Spruch

W249 2163386-1/14E

W249 2163384-1/14E

W249 2163385-1/12E

W249 2163388-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch

römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.12.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch

römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.12.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seine Mutter römisch 40 , geboren am römisch 40 , diese vertreten durch römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.12.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter römisch 40 , geboren am römisch 40 , diese vertreten durch römisch 40 , gegen den Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.12.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin ( römisch 40 , in der Folge BF1) und der Zweitbeschwerdeführer ( römisch 40 , in der Folge BF2) sind verheiratet und die Eltern des Drittbeschwerdeführers ( römisch 40 , in der Folge BF3) und der Viertbeschwerdeführerin ( römisch 40 , in der Folge BF4). BF1 ist die Vertreterin der minderjährigen BF3 und BF4 im gegenständlichen Verfahren.

BF1 und BF2 stellten nach unrechtmäßiger, schlepperunterstützer Einreise am 24.11.2015 für sich und ihre Kinder Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 25.11.2015 vor der Polizeiinspektion römisch 40 erfolgten Erstbefragung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi gab BF1 im Wesentlichen an, sie sei in der Provinz Baghlan, Afghanistan, geboren, sunnitischen Bekenntnisses und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie habe einen Ehemann und drei Kinder, wobei ein Kind auf der Reise von der Familie getrennt worden sei. BF1 sei Hausfrau gewesen und habe neun Jahre lang eine Schule besucht. Eine Ausbildung habe sie nicht erhalten. Ihre eigene Finanzsituation in Afghanistan sowie die ihrer Familie gab sie mit "mittel" an.

BF1 brachte weiters vor, die Fluchtroute habe zusammen mit ihrem Ehemann und den zwei Kindern von römisch 40 , Afghanistan, nach Pakistan, in den Iran und von dort über die Türkei nach Griechenland und über mehrere weitere Länder nach Österreich geführt. Die Familie habe vor ca. 35 Tagen das Land verlassen. BF1 wolle nur in Österreich Asyl.

Zum Fluchtgrund führte BF1 aus, dass es Streit zwischen der Familie ihres Mannes und dem Onkel ihres Schwiegervaters um ein Grundstück gegeben habe. Der Bruder ihres Ehemannes ( römisch 40 ) habe im Zuge eines Streits den Cousin ihres Schwiegervaters getötet. Daher sei sie mit ihrem Mann und der Familie nach Österreich geflüchtet. Sie würden befürchten, vom Onkel des Schwiegervaters getötet zu werden. Daher könnten sie nicht nach Afghanistan zurückkehren.

3. BF2 gab bei der Erstbefragung an, er sei in der Provinz Baghlan, Afghanistan, geboren, gehöre der sunnitischen Religion an und sei Tadschike. Er habe eine Ehefrau und zwei Kinder. Im Herkunftsstaat würden seine Eltern und ein Bruder leben. BF2 habe fünf Jahre lang eine Schule besucht und 15 Jahre lang als LKW-Fahrer gearbeitet. Er habe zuletzt in Baghlan, römisch 40 , Afghanistan, gelebt.

Die Reise habe 35 Tage gedauert und USD 7.000,-- gekostet. Dabei schilderte BF2 die Reiseroute und die Finanzsituation wie BF1.

Zum Fluchtgrund brachte er vor, dass es es zwischen seiner Familie und dem Onkel seines Vaters einen Streit wegen einem Grundstück gegeben habe. Ein Cousin von seinem Vater sei durch seinen Bruder ( römisch 40 ) getötet worden. Im Zuge eines Streits habe römisch 40 diese Tat begangen. Aus diesem Grund sei BF2 mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet. Er habe gefürchtet, dass der Onkel seines Vaters sie töten könne.

4. Am 04.07.2016 ersuchte BF2 am Verkehrsamt in römisch 40 um Austausch eines nicht-EWR-Führerscheins und legte dabei einen Führerschein der Islamischen Republik Afghanistan (Ausstellungdatum: 24.03.2015) vor, der bei einer Untersuchung durch das Bundeskriminalamt als Totalfälschung befundet wurde, sodass die Staatsanwaltschaft römisch 40 am 21.10.2016 einen Strafantrag wegen Urkundenfälschung gegen BF2 stellte.

5. BF1 und BF2 wurden am 21.04.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Burgenland, niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legten BF1 und BF2 folgende Unterlagen vor:

* Geburtsurkunde von BF2

* afghanischer Führerschein mit Ausstellungsdatum vom 24.03.2015 von BF2

* Drohbrief der Taliban (05.08.2015) von BF2

* Foto des Bruders von BF2

* Foto des ausgebrannten LKWs von BF2

* Vereinbarung über die Abtretung des Grundstückes (01.12.2013) von BF2

* Ausweis von einer Transportfirma ( römisch 40 ) von BF2

* Zertifikat einer Transportfirma ( römisch 40 ) von BF2

* Teilnahmebestätigungen von BF2 zu einem Deutschkurs (12.04.2017) und einem Alphabetisierungskurs (26.08.2016)

* Teilnahmebestätigungen von BF2 an einer Erstberatung zu "Zugang zu Bildung/Qualifizierung und Beruf für Flüchtlinge in Österreich" (25.08.2016) und einem Orientierungskurs (10.06.2016)

* Teilnahmebestätigungen von BF1 an Deutschkursen (20.04.2017, 12.04.2017), einem zweistündigen Workshop Deutsch (13.04.2017) und einem Alphabetisierungskurs (29.07.2016)

* Teilnahmebestätigungen von BF1 an einer "Individuellen Bildungs- und Berufsberatung: Bildungserhebung und Berufsperspektiven" (13.04.2017), zwei Werte- und Orientierungskursen (10.06.2016, 10.03.2017) und Unterstützung bei Caritas-Veranstaltungen (20.04.2017)

* diverse Empfehlungsschreiben (07.04.2017, 13.04.2017, 15.04.2017)

* ärzlicher Entlassungsbrief (Befunde, Medikamente) von BF1 vom 20.03.2017

* diverse Fotos von BF2, BF3 und BF4 bei Veranstaltungen

* Kindergruppen-Bestätigung von BF4 (13.04.2017)

* Schreiben zur Aufnahme in den Kindergarten von BF3 (11.01.2016)

* Schreiben zur Aufnahme in die Vorschulklasse von BF3 (14.04.2016)

* Feststellung zum Semesterschluss von BF3 (19.02.2017)

6. Im Rahmen der Befragung vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari führte BF1 an, dass sie in Österreich an der Gebärmutter operiert worden sei, wegen psychischer Probleme behandelt werde und Medikamente nehme. BF3 und BF4 seien gesund.

BF1 sei in der Provinz Baghlan geboren und habe dort zuletzt in römisch 40 gelebt. Bis zu ihrer Heirat habe sie in römisch 40 gewohnt. BF1 habe neun Jahre lang die Schule besucht und sei Hausfrau gewesen. Ihre Kinder würden derzeit in den Kindergarten und die Volksschule römisch 40 gehen.

Zu den Fluchtgründen befragt gab BF1 im Wesentlichen an, keine eigenen Gründe zu haben. Diese sei wegen der Flucht ihres Mannes und wegen der Vorfälle zwischen dem Bruder und dem Cousin des Schwiegervaters ausgereist. Es habe einen Streit wegen Wasser zur Bewässerung der Landwirtschaft gegeben. Der Cousin habe das Wasser zu seinem Grund umgeleitet, weshalb es zu einer Schlägerei zwischen diesem und dem Bruder von BF2 gekommen sei. Der Cousin des Schwiegervaters sei nach einigen Monaten verstorben, und es sei behauptet worden, dass dies wegen des Streits gewesen sei. Sie seien daraufhin bedroht worden, dass die Familie des Verstorbenen sie nicht in Ruhe lassen werde.

Ferner gab BF1 an, dass ein Teil der Landwirtschaft durch die Dorfältesten an die Familie des Verstorbenen übertragen worden sei. Nach 18 Monaten habe die Polizei dann dort bei einer Kontrolle Waffen und Bomben gefunden. Die Familie habe behauptet, dass ihre Schwiegereltern die Behörden informiert hätten.

Nach diesem Vorfall sei ein Brief vor dem Haus gefunden worden, in dem von den Taliban Geld und Korn gefordert worden sei. Sie habe den Brief zu ihrem Schwiegervater gebracht, da sie Paschtu nicht lesen könne. Genaueres wisse sie nicht, es könne sein, dass dieser Brief "von der anderen Familie" gewesen sei. Die beiden Cousins der anderen Familie seien Polizisten und hätten gute Verbindungen zu den Taliban.

Der Schwiegervater von BF1 sei in der Folge von der Polizei abgeholt und wegen des Stückes Land befragt worden, weil die Familie behauptet habe, dass das gefundene Material ihnen gehören solle. Er habe erklärt, dass das Land an die Verwandten habe abgetreten werden müssen und sei am selben Tag wieder zurückgekehrt. Als er hingegen später eine Beschwerde bei der Behörde machen habe wollen, um zu beweisen, dass der Vorfall mit dem Grundstück nicht die Schuld seiner Familie gewesen sei, sei er nicht mehr aufgetaucht.

BF1 brachte weiters vor, dass ein paar Tage später BF2 von unbekannten Personen beschossen worden und daraufhin zu ihrer Mutter in römisch 40 geflohen sei. Am nächsten Tag seien am Abend etwa 14 Personen bewaffnet zu ihrem Haus in römisch 40 gekommen und hätten den Bruder von BF1 geschlagen und mitgenommen. In der Folge sei die Familie ausgereist.

Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Diese würden die Hauptsschule und den Kindergarten besuchen.

Zu ihrem Tagesablauf in Österreich befragt sagte BF1, dass sie nicht arbeite und von der Grundversorgung lebe. Sie wolle in Zukunft selbst arbeiten als Friseurin, Köchin oder Verkäuferin. Sie stehe in der Früh auf, bereite die Kinder für die Schule und den Kindergarten vor, besuche einen Deutschkurs, lerne, stricke und trainiere.

7. BF2 gab am Anfang seiner Befragung vor dem BFA an, er stamme aus der Stadt römisch 40 in der Provinz Baghlan und habe Afghanistan vor etwa 21 bis 22 Monaten verlassen. Er spreche Dari, Paschtu und Deutsch und habe fünf Jahre lang eine Schule besucht. Danach habe er als LKW-Fahrer gearbeitet (15 Jahre mit Führerschein, drei Jahre ohne Führerschein).

Zum Führerschein befragt gab BF2 an, dass er seinen afghanischen gegen einen österreichischen Führerschein habe tauschen wollen, wobei die österreichische Polizei festgestellt habe, dass dieser eine Fälschung gewesen sei. BF2 sei daraufhin zur afghanischen Botschaft gegangen, die eine Überprüfung vor Ort in Afghanistan veranlasst und herausgefunden habe, dass es sich bei dem Führerschein um ein echtes Dokument handeln würde. BF2 habe dieses Dokument bei der Verhandlung vor Gericht vorgelegt, und dieses werde geprüft.

BF2 schilderte zudem, dass sich in Afghanistan noch sein drittes Kind ( römisch 40 ) bei seiner Mutter und den Schwiegereltern aufhalte. Der Aufenthaltsort seines Vaters sei unbekannt. Auch über seinen Bruder wisse er nichts.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab BF2 im Wesentlichen an, dass die Familie Schwierigkeiten gehabt habe, Wasser auf ihr Grundstück zu bringen. Als diese berechtigt gewesen seien, Wasser von der Versorgungsstelle zu holen, hätte der Neffe des Cousins seines Vaters ( römisch 40 ) Wasser auf dessen Grundstück, das neben dem Grundstück der Familie gelegen sei, geleitet. Der Bruder von BF2 und römisch 40 seien daraufhin in Streit geraten und hätten sich gegenseitig so heftig geschlagen, dass beide bewusstlos und ins Krankenhaus gebracht worden seien. Sechs Monate später sei römisch 40 ohne besonderen Vorfall oder Grund verstorben. Dessen Familie habe daraufhin der Familie von BF2 vorgeworfen, dass römisch 40 seit dem Streit kein gutes Leben und immer wieder Probleme wegen der Verletzungen am Kopf gehabt habe.

BF2 gab außerdem an, dass römisch 40 zwei Brüder habe, die zivile Polizisten bei der staatlichen Polizei seien und nebenbei als Agenten für die Taliban arbeiten würden. Einer der Brüder habe der Familie von BF2 den Zutritt zum Haus verboten und diese bedroht, dass römisch 40 aufgrund der Verletzungen von dem Vorfall verstorben sei und sie die Familie nicht in Ruhe lassen und tun würden, was sie könnten.

Zwei Monate später seien die Ältesten des Dorfes zusammengerufen worden, und die Familie von römisch 40 habe als Wiedergutmachung einen Teil des Grundstückes der Familie von BF2 angenommen. 18 Monate später habe die Polizei dieses Grundstück durchsucht und Waffen, Bomben und vier Motorräder gefunden.

BF2 führte weiter aus, dass er einen Tag nach der Durchsuchung einen Brief der Taliban erhalten habe, in dem ihm mitgeteilt worden sei, dass diese von der Familie 500.000,-- Afghani, 14.000 kg Korn und die Unterstützung der regierungsfeindlichen Gruppierung durch BF2 verlangen würden. Zwei Tage nach der Durchsuchung sei der Vater von BF2 von der Polizei abgeholt worden, dieser sei jedoch am selben Tag wieder zurückgekommen. Am selben Tag habe BF2 einen Anruf der Taliban erhalten, dass, falls er die Forderung nicht innerhalb von drei Tagen erfülle, sein Leben und das seiner Familie in Gefahr sei.

Vier Tage nach diesem Anruf sei BF2 mit dem LKW von römisch 40 mit Ziel Kabul durch die Provinz Baghlan gefahren, und es sei von hinten auf den LKW geschossen worden. Er habe aufgrund der zerschossenen Reifen nicht weiterfahren können und sei zusammen mit seinem Beifahrer geflüchtet. BF2 habe sich fünf oder sechs Stunden in der Umgebung der Ortschaft versteckt. Der LKW habe dann zu brennen begonnen. Sein Beifahrer habe ein Foto gemacht und dieses ausgedruckt und BF2 gleich am nächsten Abend gebracht.

Nach dem Vorfall mit dem LKW sei BF2 zu den Schwiegereltern gefahren. In derselben Nacht seien 13 Personen der Taliban zu seinem Haus gekommen und hätten seinen Bruder mitgenommen. Am nächsten Tag habe er einen weiteren Anruf der Taliban erhalten. Man habe ihm gesagt, dass er zu ihnen komme solle, oder er würde seinen Bruder nie wieder sehen. Er habe nachgedacht und sei zu dem Schluss gekommen, dass er seinen Bruder nicht mehr wiedersehen werde. Außerdem habe BF2 beschlossen, dass er nicht mehr in Afghanistan leben könne und sei gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern ausgereist. Etwa sechs Monate nach seiner Ankunft in Österreich habe ihn sein Vater oft angerufen. Er habe die Originaldokumente, die BF2 bei seinen Schwiegereltern hinterlassen habe, zur Behörde gebracht und habe beweisen wollen, dass der Grund bereits abgetreten worden sei. Seitdem wisse man nichts mehr von seinem Vater.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan werde die Familie mit den beiden Cousins viele Probleme bekommen. Sie würden alle töten.

Zu den Fotos (ausgebrannter LKW, Bruder) befragt gab BF2 an, dass jenes des Bruders bei den Schwiegereltern gewesen sei und von den Schwiegereltern abfotografiert und geschickt worden sei. Das Foto des LKW habe die Schwester seiner Frau geschickt, und er habe diese in einem Geschäft in römisch 40 ausdrucken lassen.

Zu seiner Lebensweise in Österreich brachte BF2 vor, dass er seinen Sohn in der Früh in die Schule bringe und dreimal in der Woche einen Deutschkurs besuche. Zuhause unterstütze er seine Frau, gehe laufen und lerne Deutsch.

8. Am 24.04.2017 langte eine Bestätigung der afghanischen Botschaft hinsichtlich der Echtheit eines von BF2 vorgelegten afghanischen Führerscheins (Ausstellungsdatum: 18.05.2003) vom 03.10.2016 ein.

9. Das BFA veranlasste die Übersetzung zweier von BF2 vorgelegter Schriftstücke (Drohbrief, Abtretung des Grundstückes), die am 23.05.2017 erfolgte.

10. Mit 10.05.2017 wurde römisch 40 zur rechtsfreundlichen Vertretung von BF1 und BF2 (und damit auch BF3 und BF4) bevollmächtigt.

11. Am 24.05.2017 langte eine Stellungnahme von BF1 beim BFA hinsichtlich der ausgehändigten Länderinformationen ein. Darin wurde vorgebracht, dass sich die Behörde näher mit der frauenspezifischen Thematik auseinandersetzen hätte müssen.

BF1 habe in Afghanistan eine Frauenschule besucht und das Handwerk des Haareschneidens erlernt. Seit sie verheiratet gewesen sei, habe sie nur noch zuhause bei den Kindern sein und den Haushalt führen müssen. Diese habe nicht arbeiten dürfen, und es sei ihr verboten worden, zu studieren. Der Schwiegervater von BF1 sei extrem streng und dominant gewesen, auch ihr Ehemann habe sich unterordnen müssen. BF1 habe sich wie das Eigentum der Schwiegereltern gefühlt. In Österreich sei sie endlich frei, könne sich auf der Straße bewegen. Sie gehe oft mit den Kindern zum Spielplatz und treffe sich mit Freundinnen. Sie besuche einen Areobic-Kurs und gehe seit zwei Monaten zum " römisch 40 ", wo sie österreichische Frauen kennengelernt habe.

12. Mit Schreiben vom 29.05.2017 erfolgte eine Stellungnahme durch BF2 hinsichtlich der zugesandten Länderinformationen des BFA und zu den Fluchtgründen.

BF2 habe in Afghanistan selbstständig als LKW-Fahrer gearbeitet und unterschiedliche Transportaufträge entgegengenommen, auch von ausländischen Firmen. Ein Konflikt im Jahr "1392" zwischen dem Bruder von BF2 und dem Neffen eines Cousins ( römisch 40 ) sei eskaliert, als römisch 40 verstorben sei. Dieser habe zwei Brüder, die als zivile Polizisten und als Spione der Taliban tätig seien. Zur Bereinigung des Konflikts sei vom Vater von BF2 ein Grundstück abgetreten worden. In der Folge habe BF2 einen Drohbrief und einen Drohanruf der Taliban erhalten. Vier Tage nach dem Anruf hätten ihn vier uniformierte Polizisten anhalten wollen. BF2, der erkannt habe, dass diese nicht wirklich Polizisten, sondern Taliban seien, sei weitergefahren, woraufhin seine Reifen zerschossen worden seien. Die Gegend gelte dort als extrem gefährlich, weshalb es sich nicht um echte Polizisten handeln habe können. Da sich im LKW wertvolle Ware befunden habe, seien Fotos vom Fahrzeug gemacht worden, zum Beweis dem Kunden gegenüber, dass die Ware zerstört worden sei.

Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Jahren nicht verbessert habe.

BF2 sei aufgrund seiner Tätigkeit bei ausländischen Firmen und militärischen Institutionen einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Auch die für die Taliban als Spion tätige Familie von BF2 stelle eine Gefahr dar. Außerdem sei der Schwiegervater verschwunden.

13. Das BFA wies mit den in den Sprüchen angeführten Bescheiden vom 31.05.2017 die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) (Spruchpunkte römisch eins.) ab, erkannte jeweils den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG) (Spruchpunkte römisch II.) zu und erteilte jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG bis zum 31.05.2018 (Spruchpunkte römisch III.).

In der Begründung der Bescheide gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben der Beschwerdeführer wieder und traf Feststellungen zu deren Personen und der Lage in Afghanistan. Die vorgebrachten Fluchtgründe von BF1 und die diesbezüglich gemachten Angaben seien nicht glaubhaft. BF2, BF3 und BF4 hätten keine eigenen Ausreisegründe vorgebracht.

Beweiswürdigend führte das BFA insbesondere an, dass das BFA massive Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens von BF2 bzw. an den geschilderten Vorfällen habe, zumal sich erhebliche Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten zu den vorgebrachten Fluchtgründen ergeben hätten.

BF1 und BF2 erhielten aufgrund einer realen Gefahr einer Verletzung von Artikel 3, EMRK im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, subsidiären Schutz. BF3 und BF4 erhielten aufgrund des Paragraph 34, Absatz 3, AsylG den Status von subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt.

14. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 31.05.2017 wurde den Beschwerdeführern jeweils gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG römisch 40 als Rechtsberatung zur Seite gegeben.

15. Mit Schreiben vom 16.06.2017 erhoben die Beschwerdeführer jeweils fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. des jeweils angefochtenen Bescheids wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung günstigere Bescheide erzielt worden wären.

Die Beschwerden brachten im Wesentlichen vor, dass Grundstückstreitigkeiten in Afghanistan oft in blutigen Auseinandersetzungen enden würden. Es sei nicht auszuschließen, dass den Beschwerdeführern aufgrund dieser alten Streitigkeiten Probleme in Afghanistan erwachsen könnten.

BF2 drohe daher eine Verfolgung durch die Familie des römisch 40 . BF2 drohe zudem eine Verfolgung seitens der Taliban, die die Möglichkeit hätten, durch formelle und informelle Kommunikation Personen, insbesondere in ruralen Gebieten ausfindig zu machen (Schattenstrukturen). Es sei schwieriger für Taliban, in urbanen Gebieten Personen zu finden, aber selbst dort könnten Spione Informationen sammeln, beispielsweise in Flüchtlingscamps. BF2 habe aufgrund der Weigerung, den Forderungen der Taliban zu entsprechen, eine oppositionelle Einstellung gegenüber diesen zum Ausdruck gebracht. Der Staat könne seine Staatsangehörigen außerdem nicht ausreichend schützen.

Hinsichtlich BF1 habe es die Behörde verabsäumt, Feststellungen zu deren westlicher Orientierung zu treffen. Diese habe sich im Verfahren für ein freies und selbstbestimmtes Leben für sich selbst als Frau und für ihre Töchter ausgesprochen. BF1 besuche einen Deutschkurs, genieße ihre Bewegungsfreiheit und wolle alsbald arbeiten. Ihr drohe aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen Verfolgung, da sie sich herrschenden gesellschaftlichen Normen nicht beugen wolle und zu jenen Frauen zähle, die von geschlechtsspezifischer (häuslicher) Gewalt und schädlichen traditionellen Praktiken betroffen sei.

Bezüglich BF4 seien keine Feststellungen als Mädchen hinsichtlich ihres Zugangs zur Bildung, Bewegungsfreiheit und anderer grundlegender Rechte (Teilnahmemöglichkeit am gesellschaftlichen Leben, medizinische Behandlung, freie Wahl des Ehepartners) getroffen worden. BF4 wäre von einem weiteren Bildungsweg und dem Ergreifen eines Berufes ausgeschlossen.

Weiters wurde auf mehrere Passagen aus dem Bescheid des BFA Bezug genommen und begründet, weshalb die Behörde die Aussagen von BF2 fälschlicherweise als unglaubhaft befunden habe.

16. Mit 08.06.2017 wurde römisch 40 zur rechtsfreundlichen Vertretung von BF1 und BF2 (und damit für BF3 und BF4) bevollmächtigt.

17. Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakte gelangten am 05.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

18. Am 12.12.2017 wurde durch das BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Das BFA verzichtete mit der Beschwerdevorlage vom 16.11.2017 auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Zuge dieser Verhandlung wurde durch Parteienvernehmung von BF1 und BF2 Beweis erhoben.

Vorgelegt wurden dabei:

* Werte- und Orientierungskurs von BF2 (13.07.2017)

* Teilnahmebestätigungen von BF2 an Deutschkursen (26.04.2017, 12.07.2017, 07.12.2017) und einem Alphabetisierungskurs (ohne Datum)

* ÖSD-Zertifikat von BF2 vom 07.08.2017 (nicht bestanden)

* ÖSD-Zertifikat von BF1 vom 07.08.2017 (bestanden)

* Bestätigung der afghanischen Botschaft vom 03.10.2016

* Schreiben vom AMS von BF2 (auf Deutsch und Englisch; ohne Datum)

* Foto

19. Die Niederschrift der Befragung von BF1 und BF2 lautet auszugsweise:

"Zur heutigen Situation:

[...]

R: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF1 + BF2: Ja.

R: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF1: Ich leide unter starken Kopfschmerzen und Depressionen. Ich bin besorgt wegen meines Sohnes, der in AF ist. Als ich die Antidepressiva genommen habe, hatte ich Haarausfall. Deswegen habe ich damit aufgehört. Zweimal hatte ich eine Kürettage, einmal vor 7 und einmal vor einem Monat.

BF2: Ich bin gesund.

Zur Identität und Herkunft sowie zu den Lebensumständen:

[...]

BF1 ist mit Jeans, einer Jeans-Bluse, beigen Stiefeletten bekleidet und trägt kein Kopftuch. Sie trägt das Haar zu einem Zopf, ist leicht geschminkt.

[...]

R: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF1 + BF2: Wir sind Tadschiken und sprechen Dari.

R: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF1+ BF2: Wir sind sunnitische Moslem.

R: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF1+ BF2: Wir sind verheiratet.

R: Haben Sie Kinder?

BF1 + BF2: Ja, wir haben drei Kinder.

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Ich habe 9 Jahre die Schule besucht. Ich war Hausfrau.

BF2: Ich habe 5 Jahre die Schule besucht. Ich habe als LKW-Fahrer gearbeitet.

R: Können Sie heute Dokumente oder andere Beweismittel vorlegen, die Ihre Angaben zu Ihrer Identität belegen (zB. Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde)?

BF1: Nein.

BF2: Ich habe meine Tazkira bereits vorgelegt und verfüge über keine weiteren Dokumente.

R: Können Sie heute eine Bestätigung der afghanischen Botschaft über die Echtheit Ihres Führerscheins vorlegen?

BF2: Ja.

R: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

BF1 + BF2: Wir haben AF vor ca. 2 Jahren, glaublich war es Herbst, verlassen. Genauer gesagt: Von heute aus haben wir vor 2 Jahren und 4 Monaten Afghanistan verlassen.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. R stellt diverse Fragen.

R: Wie geht es Ihnen heute?

BF1: Gut.

R: Wo leben Sie?

BF1: Ich lebe in römisch 40 , römisch 40 .

R: Wie viele Kinder haben Sie?

BF1: Ich habe drei Kinder. Zwei Kinder sind bei mir, ein Kind ist in AF.

R: Haben Sie schon einen Deutschkurs gemacht?

BF1: Ja, aber heute bin ich in keinem Kurs. Nächstes Monat mache ich wieder einen Deutschkurs.

R: Der letzte Deutschkurs hat wie lange gedauert?

BF1: Der erste Kurs hat 3 Monate, der nächste 1 1/2 Monate gedauert.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF1: Ich lese, koche und spiele mit meinen Kindern. Ich übe mit meinem Sohn lesen und schreiben.

R stellt fest, dass die BF1 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und gebrochen auf Deutsch beantwortet hat.

Die Verhandlung wird wieder mit Übersetzung geführt.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1: Ich habe den Sprachkurs A1 mit Zeugnis absolviert. Es wurde mir gesagt, dass ich im Neuen Jahr den Kurs A2 bekommen werde.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF1: Nein.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Nein. Ich gehe spazieren, bringe die Tochter in den Kindergarten und mein Mann den Sohn in die Schule. Ich gehe mit den Kindern in den Park spielen. Eine Arbeit habe ich noch nicht. Ich bin bemüht, meine Sprachkenntnisse zu verbessern.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF1: Ja, in römisch 40 .

R: Wieso in römisch 40 ?

BF1: Ich bin erst seit zwei Monaten in römisch 40 . Davor habe ich in römisch 40 gelebt.

R: Wer sind diese Freunde?

BF1: römisch 40 . Diese kenne ich, weil sie in dem Heim, in dem ich gewohnt habe, Deutsch unterrichtet haben. Sie haben mit uns Ausflüge gemacht. So habe ich sie kennengelernt. Es handelt sich dabei um drei Frauen.

R: Wo leben Sie derzeit in Österreich?

BF1: In römisch 40 .

R: Leben Sie in Österreich alleine oder mit jemandem zusammen?

BF1: Ich lebe gemeinsam mit meiner Familie.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach, machen Sie eine Ausbildung?

BF1: Nein.

R: Haben Sie schon eine Deutschprüfung abgelegt?

BF1: Ja, A1.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF1: Ich habe mich bei der "Tafel" des Roten Kreuzes in römisch 40 gemeldet und um Arbeit ersucht. Sie haben aber gemeint, ich soll zunächst meine Sprache verbessern. Dann bestünde die Möglichkeit aufgenommen zu werden.

R: Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus? Entspricht er dem, was Sie sich vorgestellt haben?

BF1: Nach dem Frühstück bringe ich meine Tochter in den Kindergarten, mein Mann bringt meinen Sohn in die Schule. Wenn ich zurückkomme, bereite ich das Mittagessen für meine Kinder zu. Am Nachmittag, wenn ich Zeit habe, lerne ich. Wenn ich einkaufen muss, dann gehe ich einkaufen. Um 16.00 Uhr hole ich meine Tochter vom Kindergarten ab. Ich bin mit meinen Kindern beschäftigt. Wenn es draußen nicht kalt ist, gehe ich mit meinen Kindern in den Park. Mein Leben entspricht nicht meiner Vorstellung, weil ich mir vorgestellt habe, dass ich arbeiten gehe und ein besseres Leben haben werde. Ich möchte einen Beruf lernen und eine Ausbildung machen.

R: Haben Sie sich schon erkundigt, ob Sie eine Ausbildung machen können?

BF1: Ich würde gerne als Köchin, Friseurin oder Verkäuferin arbeiten. Ich habe mich diesezüglich bei meinen Freundinnen erkundigt. Sie haben gemeint, ich soll zunächst die Sprache lernen und dann eine Ausbildung zwischen 1 und 1 1/2 Jahren machen.

R: Wenn Sie nachmittags Deutsch lernen: Wie machen Sie das?

BF1: Ich habe das Buch A1 noch immer bei mir. Ich wiederhole dieses Buch oder ich lerne die Wörter für A2 auf YouTube.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF1: Ich bin mit den Kindern und meinem Haushalt beschäftigt. Mein Sohn kommt um 12.00 Uhr aus der Schule. Mein Ehemann besucht derzeit einen Sprachkurs. Ich muss zu Hause sein.

R: Wie wollen Sie Ihr Leben in Österreich gestalten, wenn Sie den Asylstatus bekämen?

BF1: Ich möchte mir ein gutes Leben gemeinsam mit meinem Mann und meinen Kindern aufbauen. Ich möchte etwas lernen. Mein Mann und ich sollten arbeiten gehen. Meine Kinder sollen die Schule besuchen und ausgebildet werden.

R: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, wenn Sie den Asylstatus bekämen?

BF1: Wir werden arbeiten.

R: Was würden Sie sagen, inwiefern sich Ihr Leben in Österreich von dem in Afghanistan hauptsächlich unterscheidet?

BF1: Es gibt sehr viele Unterschiede zwischem meinen Leben in Ö und in AF. In Ö habe ich ein freies Leben. Ich habe meine Freiheiten, kann mich um die Schule und die Ausbildung meiner Kinder kümmern. In AF hatte ich die Freiheiten, die ich in Ö habe, nicht. Ich konnte in AF nicht arbeiten. Ich war gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Ich konnte mich, so wie ich heute gekleidet bin, in AF nicht kleiden. Ich kann hier alleine das Haus verlassen und einkaufen gehen. Ich kann hier auch alleine lernen gehen. In AF konnte ich das nicht.

R: Haben Sie eigenes Geld, über das Sie frei verfügen können?

BF1: Das Geld, das wir hier bekommen, ist meistens bei mir, und ich verwalte das Geld.

R: Wer trifft in Ihrer Familie die Entscheidungen?

BF1: Wir treffen die Entscheidungen gemeinsam.

R: Welche Zukunft stellen Sie sich für Ihre Kinder vor?

BF1: Sie sollen eine gute Zukunft haben und etwas erreichen. Meine Tochter würde gerne Ärztin werden, ich möchte das auch für sie. Sie sagt, dass sie mir dann Medikamente verschreiben würde, damit ich wieder gesund werde. Mein Sohn möchte gerne Polizist werden. Mein Sohn spielt auch sehr gerne Fußball. In römisch 40 war er auch in einer Fußballmannschaft.

R: Wer führt in Ihrer Familie den Haushalt?

BF1: Ich führe den Haushalt. Wenn ich viel zu tun habe, unterstützt mich mein Mann.

R: Wieso haben Sie in AF keine weiterführende Ausbildung gemacht?

BF1: Ich habe geheiratet, und nach meiner Heirat wurde mir nicht erlaubt, die Schulbildung weiterzuführen.

R: Wenn Sie etwas brauchen für Ihren Haushalt, z.B. Lebensmittel, Sanitärartikel, etwas für die Kinder - wie läuft das dann konkret ab? Haben Sie z.B. jeden Monat eine bestimmte Summe zur Verfügung, über die Sie selbst entscheiden können, besprechen Sie jede Ausgabe mit Ihrem Mann oder gehen Sie überhaupt gemeinsam einkaufen?

BF1: Wir besprechen die monatlichen Einkäufe. Manchmal gehe ich alleine einkaufen, manchmal gehen wir auch gemeinsam einkaufen.

R: Wollen Sie zu Ihrer Situation in Österreich sonst noch etwas angeben?

BF1: Nein, ich bin mit meinem Leben in Ö sehr froh.

[...]

R: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Ja, einmal im Monat habe ich Kontakt zur Heimat. Wenn sie Internet haben, oder per Facebook. Wenn kein Internet vorhanden ist, dann telefoniere ich. Sie rufen mich an.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

[...]

R: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF1: Ich habe damals alles wahrheitsgemäß gesagt. Ich halte meine Angaben aufrecht.

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF1: Was mit meinem Schwiegervater und meinem Schwager passiert ist, wird auch mit uns passieren.

R: Wieso denken Sie das?

BF1: Ich vermute das, weil die Familie meines Mannes eine Feindschaft hat. Unser Leben ist in Gefahr. Wir sind deshalb auch geflüchtet.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

[...]

R ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. R stellt diverse Fragen.

R stellt fest, dass der BF2 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen kaum verstanden und rudimentärst auf Deutsch beantwortet hat.

Die Verhandlung wird in Dari weitergeführt.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF2: Ja. Ich habe zweimal den Kurs A1 besucht. Die Prüfung habe ich nicht bestanden. Derzeit besuche ich den Sprachkurs A1, seit zwei Wochen, noch einmal.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF2: Derzeit gehe ich keiner Arbeit nach. Ich besuche den Deutschkurs.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF2: Ich gehe zwei bis dreimal in der Woche laufen. Ich besuche einen Sprachkurs. Wir sind erst nach römisch 40 umgezogen, und es sind behördliche Angelegenheiten zu erledigen. Damit bin ich sehr beschäftigt.

R: Wie sieht Ihr Alltag in Ö aus?

BF2: Wir bringen die Kinder in den Kindergarten und in die Schule. Wir holen sie auch wieder ab. Wir gehen einkaufen. Wenn wir Post bekommen, erledigen wir das. Wir gehen zum Sozialamt. Ich lerne zu Hause Deutsch.

R: Wer führt in Ihrer Familie den Haushalt?

BF2: Wir führen gemeinsam den Haushalt.

R: Da hat Ihre Frau ein wenig anderes ausgesagt?

BF2: Was hat sie gesagt?

R: Was machen denn Sie im Haushalt?

BF2: Ich koche gerne. Ich sauge die Zimmer. Ich koche zwei bis dreimal in der Woche.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF2: Ich lerne zu Hause. Was ich im Kurs lerne, wiederhole ich zu Hause. Ich lerne auch aus meinem Mobil-Telefon.

R: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF2: Nein. Wegen meines Führerscheines kam es zu einer Gerichtsverhandlung. Bei der ersten Verhandlung habe ich die Bestätigung der afghanischen Botschaft vorgelegt. Die Richterin hat die Verhandlung vertagt, um es zu überprüfen. Bei der zweiten Verhandlung hat sie gemeint, dass ich unschuldig bin. Sie hat sich entschuldigt und hat mich freigesprochen. Wir sind 20 Tage nach dieser Verhandlung in römisch 40 gewesen. Dann sind wir nach römisch 40 umgezogen. Bis jetzt habe ich keine Post vom Gericht erhalten.

R: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF2: Meine Mutter und mein Sohn leben gemeinsam mit der Familie meiner Frau. Einmal im Monat, wenn die Familie meiner Frau Internet hat, rufen sie uns an.

R: Wollen Sie zu Ihrer Situation in Österreich sonst noch etwas angeben?

BF2: Uns geht es in Ö gut. Wir haben ein gutes Leben in Ö. Die einzige Sorge, die wir haben, ist unser Kind, das nicht bei uns ist. Das Leben unseres 9jährigen Sohnes ist in Gefahr.

R: Wieso ist das Leben Ihres Sohnes in Gefahr?

BF2: Wir sind gemeinsam geflüchtet. An der iranisch/türkischen Grenze sind meine Eltern und mein Sohn, die in einem anderen Fahrzeug waren, abgeschoben worden. Wir haben eine Feindschaft. Aus diesem Grund ist das Leben meines Sohnes in Gefahr.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R: Gab es in den 18 Monaten bis zum Fund von Waffen, Bomben und Motorräder auf dem Grund, den Ihre Familie der Familie von römisch 40 übergeben hatte, Drohungen durch die Familie von römisch 40 ?

BF2: Nein, es war ruhig. Wir haben keinen Kontakt gehabt, aber wir haben uns nur gegrüßt.

R: Sie haben vor dem BFA ausgesagt, dass Ihr Vater von der Polizei abgeholt worden sei, nachdem Waffen, Bomben und Motorräder auf dem Grund, den Ihre Familie der Familie von römisch 40 übergeben hatte, gefunden worden seien. Warum wurde er abholt, wenn dieses Grundstück nun doch nicht mehr ihm gehörte?

BF2: Es war so, dass die beiden Brüder sowohl bei der Polizei als auch bei den Taliban waren. Sie waren "Arbaki" (Regionalpolizei). Sie haben behauptet, dass das Grundstück nicht ihnen gehört. Deswegen hat die Polizei meinen Vater abgeholt. Wir hatten zwar ein Schriftstück, das von den Dorfältesten angefertigt wurde. Es war aber nicht gerichtlich "eingetragen" gewesen.

R: Wie lange war er bei der Polizei?

BF2: Ich war in der Arbeit und nicht zu Hause. Mir wurde gesagt, dass mein Vater ca. 2 bis 3 Stunden bei der Polizei war.

R: D.h., obwohl die beiden Brüder bei den "Arbaki" waren, hat Ihr Vater in relativ kurzer Zeit klären können, dass das Grundstück nicht mehr ihm gehört?

BF2: Mein Vater sagte ihnen, dass sich die diesbezüglichen Dokumente bei seinem Sohn befinden. Wenn sein Sohn zurückkommt, wird er diese Dokumente der Polizei vorlegen.

R: Warum haben Sie die neuerlichen Probleme mit der Familie von römisch 40 nicht an die Dorfältesten herangetragen?

BF2: Sie haben uns die Zeit nicht gegeben. Sie haben uns innerhalb von 6 Tagen aus dem Dorf vertrieben.

R: 6 Tage sind nicht ausreichend, um in einem Dorf mit den Dorfältesten zu sprechen?

BF2: Sie haben uns in diesen 6 Tagen nicht in Ruhe gelassen. Innerhalb dieser 6 Tage ist ein Brief von den Taliban durch sie gebracht worden.

R: Da kann man doch trotzdem zu den Dorfältesten gehen.

BF2: Innerhalb dieser 6 Tage haben sie uns den Drohbrief der Taliban gebracht. Die Polizei hat meinen Vater mitgenommen. Ich habe zwei Drohanrufe erhalten. Ich war von "Sher Khan Bandar" (Hafen) nach Kabul unterwegs. Sie haben mein Fahrzeug angezündet, auf mich geschossen. Innerhalb von 5 Tagen kam es zu so vielen Ereignissen. Wir konnten es dann nicht mehr aushalten und sind am 6. Tag geflüchtet.

R: Was haben die Taliban mit der Durchsuchung des Grundstückes durch die Polizei zu tun?

BF2: Die Bomben, Waffen und Motorrädern gehörten den Taliban. Meine Cousins haben diese überwacht. Meine Cousins waren bei den Taliban und auch bei der Polizei.

R: Wie erklären Sie sich, dass die Cousins zwar bei den Taliban und der Polizei waren, die Polizei aber dann das Grundstück mit den Gütern der Taliban untersucht hat? Nach Ihrer Schilderung müssten ja die Cousins in einer "Interessengemeinschaft" sowohl mit den Taliban und der Polizei sein? In Ihrer Schilderung arbeitete die Polizei mit der Durchsuchung des Grundstückes aber gegen die Taliban.

BF2: Die Polizisten, die die Grundstücke durchsucht haben, haben dies auf Grund von Informationen gemacht. Die Polizisten waren nicht aus der Gegend. Sie sind von einer oberen Stelle gekommen.

R: Dann kann der Einfluss Ihrer Cousins nicht besonders weitreichend nach oben gewesen sein?

BF2: Die "Arbaki"-Polizei ist verantwortlich für die Sicherheit in der Region, in der sie leben.

R: Wieso sollte die Familie von römisch 40 Ihre Familie weiter bedroht haben, wenn es eine Entscheidung durch die Dorfältesten gab? Nach afghanischen Gepflogenheiten ist mit einer solchen Entscheidung der Dorfältesten die betreffende Angelegenheit bereinigt.

BF2: Sie hatten keinen Ausweg seitens der Taliban und seitens der Regierung gehabt, weil sie die Sachen der Taliban aufbewahrt hatten. Die Polizei hat sie auch verdächtigt, weil im Dorf alle wussten, dass dieses Haus vorher wem gehörte und nachher jemand anderem gehörte. Nachdem die Polizei sie verdächtigt hat, haben sie der Polizei gesagt, dass dieses Haus uns gehört, und wir haben das Gegenteil durch Schriftstücke nicht nachweisen können. Sie haben den Taliban gesagt, dass wir die Spione sind, und wir hätten der Polizei verraten, dass die Gegenstände der Taliban sich in dem Haus befinden. Sie haben sich damit gerettet.

R: Wieso gibt es dann weiter eine Feindschaft der Cousins mit Ihrer Familie? Es gibt den Entscheid der Dorfältesten, dann haben sich die Cousins mit der Beschuldigung Ihrer Familie retten können - wieso sollten sie Sie jetzt bedrohen?

BF2: Wenn man die Bomben, Waffen und Motorräder nicht gefunden hätte, hätten wir miteinander kein Problem gehabt. Nachdem man diese angeführten Sachen in diesem Haus gefunden hat, hatten sie keinen anderen Ausweg gehabt, weil sie an Vertrauen sowohl beim Staat als auch bei den Taliban verloren haben. Deswegen haben sie die Doppelrolle gespielt.

R: Ja, aber wieso sollte dieser Vorfall die Feindschaft zwischen der anderen und Ihrer Familie wieder aufleben lassen? Die andere Familie hat ja durch die Beschuldigung Ihrer Familie ihre eigenen Probleme gelöst?

BF2: Das Problem wurde nicht gelöst. Die Taliban haben uns bedroht und gesagt, dass wir Spione sind. Sie haben uns aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Der Staat wirft uns vor, dass dieses Grundstück uns gehört.

R: Werden Sie jetzt von der Familie von römisch 40 bedroht oder von den Taliban oder von der Regierung/Polizei? Von wem werden Sie bedroht? Oder werden Sie von allen bedroht?

BF2: Seitens der Familie von römisch 40 , Taliban und dem Staat werden wir bedroht. Von allen dreien werden wir bedroht.

R: Wieso ist der Drohbrief mit Mitte August 2015 datiert, wenn sich rechnerisch aus Ihren Erzählungen ein Datum für die Zustellung des Briefes von Anfang Juni 2015 ergeben müsste?

BF2: Alles was die Daten anbelangt, das Datum, habe ich ungefähr gesagt.

R: Der Vorfall mit dem LKW: Woher wollen Sie wissen, dass dies mit dem Drohbrief der Taliban zu tun hatte?

BF2: 4 Tage bevor mein LKW abgebrannt ist, haben mich die Taliban angerufen. Bei diesem Telefonat haben sie mich gefragt, ob ich den Brief gelesen und verstanden habe. In diesem Brief haben sie mich aufgefordert, dass ich ihnen 500.000 Afghani zahlen und etwas Weizen geben soll. Darüber hinaus soll ich mit ihnen zusammenarbeiten, weil ich für die Amerikaner arbeite. Bei diesem Telefonat hatten sie mir drei Tage Zeit gegeben. Sie haben mir gesagt, wenn ich den Aufforderungen der Taliban nicht nachkomme, werde ich für das Blutvergießen meiner Familie und mich selbst verantwortlich sein. Ich konnte mit ihnen nicht zusammenarbeiten. Am 4. Tag wollte ich nach Kabul reisen und wurde attackiert.

R: Wie viele Polizisten sind für gewöhnlich anwesend, wenn in dieser Gegend Straßenkontrollen vorgenommen werden?

BF2: Es ist eine Gegend, in der es sehr gefährlich ist. Dort gibt es keine Polizei und auch keinen Posten.

R wiederholt die Frage.

R: Sie haben vor dem BFA ausgesagt, dass Sie aufgrund der Anzahl der Polizisten wussten, dass es sich dabei um keine richtigen Polizisten handelt. Daher die Frage: Wie viele Polizisten sind für gewöhnlich anwesend, wenn in dieser Gegend Straßenkontrollen vorgenommen werden?

BF2: In dieser Gegend sind nicht immer Polizisten anwesend. Wenn sie kommen, dann kommen sie in Mannschaften von 60 bis 70 Personen, weil diese Gegend sehr gefährlich ist. Ich habe mich gefragt, was diese 4 Polizisten da sollen. Ich habe genug Erfahrung. Ich habe seit 15 Jahren für die Amerikaner und die NATO gearbeitet. Ich kenne in allen Provinzen AF die gefährlichen Gegenden. Diese Gegend, wo mein Fahrzeug ausgebrannt ist, ist ca. 2 km entfernt von unserem Haus.

R: Woher wissen Sie, dass die Schießerei zwischen den falschen und den echten Polizisten 1-2 Stunden gedauert hat?

BF2: Nachdem mein LKW zum Brennen angefangen hat, bin ich geflüchtet. Sie haben auf mich geschossen und die Posten, die in einer Entfernung von 3 bis 4 km waren, haben die Schüsse gehört und auch den Rauch gesehen. Sie sind von diesem Posten gekommen. Die 4 falschen Polizisten haben mich gesucht, sie wollten mich finden. Es kam zwischen den beiden Parteien zu einer Schießerei.

R: Wo waren Sie?

BF2: Mein Beifahrer und ich sind über die Grundstücke gelaufen und haben uns in den Obstgärten versteckt. Es waren auch Weizenfelder und Bäume dort. Wir konnten sie sehen, sie aber nicht uns. Ich konnte auch den brennenden LKW sehen.

R: Ist eine Schießerei von 1 bis 2 Stunden nicht etwas lang, wenn man eine Gegenwehr von nur 4 Personen hat?

BF2: Diese falschen Polizisten sind aus der Gegend. Sie haben dort ihre Waffenlager. Sie haben auch sehr viel Munition dort. Der Polizei gelingt es nicht, schnell in diese Gegend einzudringen. Der Kampf war nicht sehr intensiv. Sie haben nur geschossen. Die 4 falschen Polizisten sind davon gelaufen. Durch den brennenden LKW war die Straße auf beiden Seiten für die Zivilisten gesperrt. Die Polizisten vom Posten haben dafür gesorgt, dass die Feuerwehr gekommen ist und das Feuer gelöscht hat. Sie haben die Sperre aufgehoben.

R: Wo ist Ihr Bruder jetzt?

BF2: Mein Bruder ist von den Taliban verschleppt worden. Ich glaube nicht, dass er am Leben ist. Unsere Gegner haben uns den Taliban als Spione vorgestellt. Die Taliban sind Tyrannen.

R: Wo lebten Ihre Eltern, nachdem sie vom Iran wieder nach Afghanistan zurückgeschoben wurden?

BF2: Meine Eltern sind zu meiner Schwiegerfamilie gefahren. Sie konnten in unserem Haus in unserer Gegend nicht mehr leben. Die Schwiegereltern leben in der Provinz Baghlan, in der Stadt römisch 40 .

R: Wieso konnten sie ohne weitere Probleme mit den Taliban, der Polizei bzw. der Familie von römisch 40 wieder in Afghanistan, wenn auch in einer anderen Stadt in derselben Provinz, leben?

BF2: Das ist ihre Heimat. Sie sind dort aufgewachsen. Diese Gegend ist entfernt von der Ortschaft, in der wir gelebt haben. Sie führen ein verstecktes Leben.

R: Glauben Sie, dass Sie für die Taliban, die Polizei oder die Familie von römisch 40 so wichtig sind, dass diese sie überall im Land suchen sollten?

BF2: Ja, weil wir den Taliban als Spione vorgestellt wurden.

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF2: Ich bin selbst nicht wichtig. Ich habe meinen Bruder und meinen Vater verloren. Aber meine Frau und meine Kinder sind unschuldig. Mein LKW hat 40.000 US-Dollar gekostet. Das ist auch egal. Aber ich bin hierher gekommen, um das Leben meiner Frau und meiner Kinder zu retten. Als ich meine Heimat verlassen hatte, hatte ich nicht die Gedanken, nach Europa zu kommen. Ich wollte die Heimat verlassen, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Wenn ich dieses Problem nicht hätte: Ich hatte ein sehr gutes Leben in AF, ich hatte einen guten Job und konnte sehr gut leben."

20. Den Beschwerdeführern wurde in der Verhandlung vom 12.12.2017 hinsichtlich folgender vorgelegter Berichte zur Situation in Afghanistan die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt:

* Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, aktualisiert am 25.09.2017)

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016

* Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

1.1.1. BF1 führt den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , BF2 den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , BF3 den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 , und BF4 den Namen römisch 40 , geboren am römisch 40 .

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Dari (BF2 spricht auch Paschtu).

BF1 und BF2 sind die Eltern der in Afghanistan geborenen BF3, BF4 und von römisch 40 . Letztgenannter ist der älteste Sohn von BF1 und BF2 und wurde bei der Ausreise von seiner Familie getrennt. Er wurde durch die iranische Polizei zurück nach Afghanistan abgeschoben und lebt nun mit der Mutter von BF2 und der Familie von BF1 (Mutter, zwei Schwestern und einem Bruder) in Baglahn, römisch 40 . Die Beschwerdeführer haben einmal im Monat Kontakt mit der Verwandtschaft in Afghanistan. Der Aufenthalt des Vaters und des Bruders von BF2 ist unbekannt.

BF2, BF3 und BF4 stammen aus der Provinz Baghlan, Distrikt römisch 40 , römisch 40 , und haben dort bis zu ihrer Ausreise gelebt. Die finanzielle Situation der Familie in Afghanistan war "mittel".

1.1.2. BF1 wurde in römisch 40 geboren und hat dort zusammen mit ihrer Familie bis zu ihrer Heirat gelebt. Danach zog sie nach römisch 40 . Sie war Hausfrau und übte keine Erwerbstätigkeit aus. BF1 hat neun Jahre lang eine Schule besucht.

1.1.3. BF2 wurde in römisch 40 geboren. Dieser besuchte fünf Jahre lang eine Schule. In Afghanistan übte BF2 fünfzehn Jahre lang den Beruf des LKW-Fahrers aus (er fuhr auch für die Amerikaner und die NATO).

1.1.4. Die Beschwerdeführer reisten im Jahr 2015 von Afghanistan aus über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland und mehrere weitere Länder nach Österreich. Die Reise kostete insgesamt USD 25.000,--. Finanziert wurde diese durch Ersparnisse von BF2, einen Geldbeitrag vom Vater von BF2 und durch Gold von BF1 und der Mutter von BF2.

1.1.5. Aktuell geht BF1 in Österreich keiner Berufstätigkeit nach, diese führt den Haushalt und kümmert sich um die Erziehung der Kinder. BF1 hat Deutschkurse besucht (einen dreimonatigen Deutschkurs des BFI sowie einen Deutschkurs der Caritas organisiert von freiwilligen Helfern; diese nahm auch am Frauen-Café zum Workshop "Deutsch üben" teil) und eine Prüfung abgelegt (A1-Niveau). BF1 konnte die in der Verhandlung auf Deutsch gestellten, nicht übersetzten Fragen der Richterin verstehen und gebrochen auf Deutsch beantworten.

Diese hat auch eine zweistündige Bildungs- und Berufungsberatung der römisch 40 und einen Orientierungskurs der Caritas ("Leben in Österreich") besucht und einen Alphabetisierungskurs an der römisch 40 absolviert. BF1 hat drei österreichische Freundinnen an ihrem ehemaligen Wohnort römisch 40 (mittlerweile wohnt die Familie in römisch 40 ). In römisch 40 hat diese einen Aerobic-Kurs frequentiert und gestrickt.

1.1.6. BF2 geht keiner Beschäftigung nach. Er hat zwei A1-Deutschkurse besucht bzw. besucht derzeit zum dritten Mal einen solchen. Er hat bisher keine Sprachprüfung positiv abgelegt und konnte die von der Richterin in der Verhandlung auf Deutsch gestellten, nicht übersetzten Fragen kaum verstehen und rudimentärst auf Deutsch beantworten. BF1 hat zudem zwei Alphabetisierungskurse an der römisch 40 absolviert und an einer Erstberatung zum "Zugang zur Bildung für Flüchtlinge" der römisch 40 und einem Orientierungskurs der Caritas ("Leben in Österreich") teilgenommen. BF2 geht in seiner Freizeit laufen.

BF1 und BF2 haben beide darüber hinaus an einem eintägigen Werte- und Orientierungskurs (10.03.2017 bzw. 13.07.2017) teilgenommen.

1.1.7. BF3 besucht in Österreich die Schule und BF4 einen Kindergarten.

1.1.8. Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten. Gegen BF2 wurde ein strafrechtliches Verfahren wegen Urkundenfälschung geführt.

1.1.9. Im Bundesgebiet befinden sich keine Familienangehörigen der Beschwerdeführer.

BF2, BF3 und BF4 leiden an keinen chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen. BF1 leidet unter Kopfschmerzen und Depressionen aufgrund der Trennung von ihrem ältesten Sohn.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

1.2.1. Die Familie von BF2 besitzt ein Grundstück mit einem Familienhaus und einer Landwirtschaft (30.000 m²) in der Provinz Baghlan, Distrikt römisch 40 , Dorf römisch 40 . Das Nachbargrundstück gehört einem Verwandten väterlicherseits von BF2, dessen Sohn ( römisch 40 ) im Jahr 2013 Wasser vom Grundstück von der Familie von BF2 abgeleitet hat. Daraufhin kam es zu einem Streit zwischen dem Bruder von BF2 ( römisch 40 ) und römisch 40 , der damit endete, dass beide ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Sechs Monate nach diesem Vorfall verstarb römisch 40 . Die Familie von römisch 40 machte römisch 40 für den Tod ihres Sohnes verantwortlich.

Zwei Monate später wurden die Dorfältesten zusammengerufen und an die Familie von römisch 40 ein Teil des Grundstückes der Familie von BF2 als Wiedergutmachung abgetreten. Um das abgetretene Stück Land wurde ein Zaun von der Familie von römisch 40 errichtet.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan der Verfolgung durch private (Familie von römisch 40 ) oder staatliche Akteure ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Verfolgung ausgesetzt wären.

1.2.2. Im Jahr 2015 kam es bei einer LKW-Fahrt von BF2 zu einem Zwischenfall, bei dem der LKW von BF2 abbrannte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Verfolgung ausgesetzt wären.

1.2.3. BF1, BF3 und BF4 wurden in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatten mit den Behörden ihres Heimatstaates keine Probleme. BF2 war vor 15 Jahren aufgrund eines Unfalls einen Monat lang inhaftiert. Die Beschwerdeführer waren nie politisch tätig und gehörten keiner politischen Partei an.

1.2.4. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF1 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. BF1 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

Es konnte darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass BF1 von geschlechtsspezifischer (häuslicher) Gewalt und schädlichen traditionellen Praktiken betroffen war oder bei einer Rückkehr betroffen wäre.

1.2.5. Bei BF4 ist keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass BF4 aufgrund ihrer Eigenschaft als Mädchen in Afghanistan schädliche traditionelle Praktiken Mädchen betreffend oder ein Ausschluss von Bildung, Beruf und grundlegenden Menschenrechten drohen.

1.2.6. Es haben sich keine Faktoren ergeben, die eine Gefahrenverdichtung in den Personen von BF3 und BF4 aufgrund ihrer Minderjährigkeit darstellen. Diese laufen nicht Gefahr, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 25.09.2017

1.3.1.1. Neuste Ereignisse

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

[...]

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

[...]

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vergleiche, BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vergleiche, NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vergleiche Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vergleiche SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vergleiche, Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

[...]

KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

[...]

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vergleiche auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

[...]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vergleiche auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vergleiche auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vergleiche auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vergleiche auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vergleiche auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vergleiche auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vergleiche auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vergleiche auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vergleiche auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vergleiche auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

[...]

KI vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q1.2017

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

[...]

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

High-profile Angriffe:

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vergleiche auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vergleiche auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

[...]

Taliban

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

Helmand

Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vergleiche auch: Khaama Press 11.4.2017). Auch das afghanische Verteidigungsministerium hat Befreiungsoperationen gestartet, die sogenannten Khalid-Operationen in Helmand aus den beiden Distrikten, Garamser und Nad-e Ali heraus (Khaama Press 11.4.2017). Militärischen Quellen zufolge, wurde im Mai eine riesige Kommandozentrale der Taliban im Distrikt Nad-e Ali zerstört (Sputnik News 10.5.2017).

Kunduz

Seit zwei Jahren ist Kunduz Zentrum intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LWJ 9.5.2017); die Stadt Kunduz fiel zweimal bevor die ANDSF und die Koalitionskräfte sie wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten (SIGAR 30.4.2017; vergleiche auch: LWJ 9.5.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).

Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vergleiche auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein - so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vergleiche auch: BBC 8.5.2017).

In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe, in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer, sowie vier Kommandanten, getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vergleiche auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).

[...]

1.3.1.2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vergleiche auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vergleiche Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vergleiche CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vergleiche auch: CRS 12.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

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1.3.1.3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

[...]

 

1.12.2015 - 15.2.2016

16.2.2016 - 19.5.2016

20.5.2016 - 15.8.2016

16.8.2016 - 17.11.2016

1.12.2015 - 17.11.2016

sicherheitsrelevante Vorfälle

4.014

6.122

5.996

6.261

22.393

Bewaffnete Zusammenstöße

2.248

3.918

3.753

4.069

13.988

Vorfälle mit IED¿s

770

1.065

1.037

1.126

3.998

gezielte Tötungen

154

163

268

183

768

Selbstmordattentate

20

15

17

19

71

(UN GASC 13.12.2016; UN GASC

7.9.2016; UNGASC10.6.2016; UN GASC 7.3.2016; Darstellung durch die Staatendokumentation des BFA )

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vergleiche auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vergleiche auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vergleiche auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Al-Qaida

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vergleiche auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vergleiche auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vergleiche auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums, vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis, verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen, im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potentielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus - eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkter Beseitigungsbemühungen, aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen, zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

Zivile Opfer

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge, sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Int. Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden 5 Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015).

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

[...]

1.3.1.3.1. Baghlan

Baghlan liegt in Nordostafghanistan und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans gesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, grenzt. Baghlan hat folgende administrative Bezirke, inklusive der Provinzhauptstadt Puli Khumri: Kinjan, Dushi, Banu, Dih Salah, Puli Hisar, Jilgah, Khost, Talawa Barfak, Farang, Guzargah-a-Noor, Nahrin, Burkah und Dahana-i-Ghori. Im Nordosten grenzt sie an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan (Pajhwok o.D.h). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 926.969 geschätzt (CSO 2016).

Gewalt gegen Einzelpersonen

31

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

174

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

65

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

71

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

12

Andere Vorfälle

1

Insgesamt

354

Im Zeitraum 1.1. -

31.8.2015 wurden in der Provinz Baghlan 354 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Nordafghanistans; die Taliban sind in einer Anzahl von abgelegenen Bezirken aktiv (Khaama Press 5.9.2016). In den letzten Monaten war die einst relativ friedliche Region - die Provinzen Baghlan, Kunduz und Takhar - von heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungskräften betroffen (Khaama Press 24.1.2017; Khaama Press 15.5.2016; Global Times China 15.1.2017; vergleiche auch: News Ghana 30.1.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Pajhwok 9.1.2017; Khaama Press 8.1.2017; Khaama Press 5.1.2016; Bakhtar News 22.8.2016). Bei diesen Militäroperationen hatten Aufständische Verluste zu verzeichnen (Pajhwok 9.1.2017; Bakhtar News 22.8.2016). In manchen Fällen wurden Talibankommandanten getötet (Tolonews 23.12.2016; Pajhwok 23.12.2016; Khaama Press 5.1.2016; Independent 27.2.2016).

[...]

1.3.1.4. Rechtschutz/Justizwesen

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vergleiche auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vergleiche auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vergleiche auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).

[...]

1.3.1.5. Sicherheitsbehörden

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vergleiche auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

Resolute Support Mission

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

[...]

1.3.1.6. Folter und unmenschliche Behandlung

Laut afghanischer Verfassung ist Folter verboten (Artikel 29,) (AA 9.2016; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004). Fälle von Folter durch Angehörige der Polizei, des NDS und des Militärs sind nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden zumindest offiziell als Problem erkannt (AA 9.2016; vergleiche OHCHR 11.2.2016).

Generell sind Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr, misshandelt zu werden. In jüngerer Vergangenheit wurden im Zusammenhang mit Häftlingen, die im Zuge des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan festgenommen wurden, grobe Missstände aufgedeckt (AA 9.2016).

Im Jänner 2015, startete Präsident Ghani einen Nationalen Aktionsplan zur Eliminierung von Folter; das dafür zuständige Komitee wurde im Mai 2015 gegründet (HRW 27.1.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Im November 2015, war das Justizministerium dabei ein neues Anti-Folter-Gesetz zu erarbeiten. Von diesem wird erwartet, weitläufige Bestimmungen zur Wiedergutmachung für Folteropfer zu enthalten (OHCHR 11.2.2016). Human Rights Watch zufolge, gab es im Jahr 2016 diesbezüglich keine weiteren Entwicklungen (HRW 12.1.2017).

Artikel 30 der afghanischen Verfassung besagt, dass Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt worden sind, ungültig sind (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Da die Abgrenzung zwischen polizeilicher und staatsanwaltlicher Arbeit nicht immer gewahrt ist, werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte zudem nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger. Schließlich liegt ein zentrales Problem in der Tatsache begründet, dass sich afghanische Richter/innen bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als "Beweismittel" erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung, wodurch sich der Druck auf NDS und Polizei erhöht, ein Geständnis zu erzwingen. Da die Kontrollmechanismen weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig sind, erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Allerdings scheint sich die Lage dieser Häftlinge insgesamt verbessert zu haben: rund 35% der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im UNAMA-Bericht von Januar 2013) (AA 9.2016).

Im Juni 2015 gab der NDS wiederholt Anweisungen betreffend des Folterverbots, speziell zum Erhalt von Geständnissen (HRW 27.1.2016; vergleiche auch AI 24.2.2016).

[...]

1.3.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vergleiche auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet - (AI 24.2.2016).

[...]

1.3.1.8. Haftbedingungen

Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten werden von unterschiedlichen Organisationen verwaltet:

Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), ist verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge. Das MoI und das Juvenile Rehabilitation Directorate (JRD) sind verantwortlich für alle Jugendrehabilitationszentren und Zivilhaftanstalten. Die Afghan National Police (ANP) unter dem Innenministerium und dem National Directorate of Security (NDS), ist verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Bezirksebene. Das Verteidigungsministerium betreibt die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan und Pul-e-Charki (USDOS 13.4.2016).

Aus dem Bericht der UNAMA, dem eine fast zweijährige Studie (1. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014) in 221 Anstalten in 28 verschieden Provinzen Afghanistans vorrausgegangen war, geht hervor, dass allgemein die Zahl der interviewten Häftlinge, die misshandelt bzw. gefoltert wurden, um 14% niedriger ist als im Vergleichszeitraum (Oktober 2011 bis Dezember 2013). Von den 790 befragten Häftlingen gaben 278 an misshandelt oder gefoltert worden zu sein, was in etwa 35% entspricht (UNAMA 2.2015; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Ein staatliches Komitee führte Interviews, um die im UNAMA-Bericht 2013 vorgebrachten Folteranschuldigungen zu prüfen. Die Feststellungen des Komitees wurden nicht veröffentlicht. Die Regierung hat die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (USDOS 13.4.2016). In einem Fall wurden zwei Beamte des nationalen Geheimdienstes (NDS) aufgrund von Folter strafrechtlich verfolgt (OHCHR 11.2.2016).

Im Juni 2015 erließ der NDS eine Anordnung, in der nachdrücklich auf das Verbot von Folter, insbesondere bei Polizeiverhören, hingewiesen wurde; trotzdem kam es zu Folter und anderen Misshandlungen und Isolationshaft, im afghanischen Strafvollzugssystem (AI 24.2.2016)

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind in den meisten Provinzen ein Problem. Beobachtern zufolge, werden Individuen gelegentlich von Polizei und Staatsanwälten, auf Basis von Handlungen, die nach afghanischem Recht nicht strafbar sind, ohne Anklage inhaftiert (USDOS 13.4.2016; vergleiche AI 24.2.2016). Teilweise auch deshalb weil das Justizsystem nicht in der Lage ist, die Festgenommenen in gegebener Zeit weiter zu beamtshandeln (USDOS 13.4.2016). Die UNAMA berichtete von Verhaftungen wegen "moralischer" Vergehen, Vertragsbruch, Familiendisputen usw. zum Zwecke des Erhalts von Geständnissen. Beobachter berichten, dass ausschließlich Frauen für "moralische" Vergehen inhaftiert werden (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AI 24.2.2016).

Das Gesetz gewährt einem/r Angeklagte/n das Recht gegen die Untersuchungshaft Einspruch zu erheben und eine Verhandlung in dieser Angelegenheit zu bekommen. Nichtdestotrotz, ist lange Untersuchungshaft ein Problem. Aufgrund fehlender Ressourcen, einer geringen Anzahl an Verteidigern, unerfahrenen Rechtsanwält/innen und Korruption, profitierten viele Häftlinge nicht von allen Bestimmungen der Strafprozessverordnung. Viele Häftlinge werden, trotz Bestimmungen, über die gesetzliche Frist festgehalten, selbst wenn es keine Anklage gibt (USDOS 13.4.2016).

Es gibt Berichte über harte und manchmal lebensbedrohliche Bedingungen und Misshandlungen in öffentlichen Haftanstalten (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AI 24.2.2016). Berichten zufolge, existieren von Mitgliedern der ANDSF privat geführte Gefängnisse, in denen gefoltert und misshandelt wurde (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.9. Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vergleiche USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vergleiche auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Artikel 3, der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vergleiche auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

[...]

1.3.1.10. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.10.1. Tadschiken

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

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1.3.1.11. Frauen

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Bildung

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

Legales Heiratsalter

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

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1.3.1.11.1. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9.2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9.2016).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016).

Kinderarbeit

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9.2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fälle nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).

Bildungssystem in Afghanistan

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).

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1.3.1.12. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr, die Regierung schränke die Bewegung der Bürger/innen gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 13.4.2016; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004).

In manchen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In manchen Teilen machen Gewalt von Aufständischen, Landminen und Improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Die Taliban verhängen nächtliche Ausgangssperren in jenen Regionen, in denen sie die Kontrolle haben - Großteiles im Südosten (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.1.12.1. Meldewesen

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan (DIS 5.2012; vergleiche auch: DW 9.10.2004).

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1.3.1.13. Grundversorgung und Wirtschaft

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vergleiche auch: AA 11.2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11.2016).

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11.2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11.2016).

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11.2016).

Projekte der afghanischen Regierung:

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

[...]

1.3.1.14. Medizinische Versorgung

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 9.2016).

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52, (Max Planck Institute 27.1.2004)].

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9.2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vergleiche auch: AA 9.2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (The World Bank Group 10.2016).

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 9.2016).

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken (WB 2.11.2016). Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2.11.2016). Bei 34% der Geburten war ausgebildetes Gesundheitspersonal anwesend. Schätzungen der UN Population Division zufolge, verwenden 23% der Frauen in gebärfähigem Alter moderne Methoden der Empfängnisverhütung (USDOS 13.4.2016).

[...]

1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016

1.3.2.1. Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen. Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung angreifen.

1.3.2.2. Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen gemäß 1.e (Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen) und 1.i (Frauen im öffentlichen Leben) von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

[...]

1.3.2.3. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Afghanistan ist Berichten zufolge nach wie vor weit verbreitet. Dazu gehören Ehrenmorde, Entführung, Vergewaltigung, erzwungene Abtreibung und häusliche Gewalt. Da sexuelle Handlungen außerhalb der Ehe von weiten Teilen der afghanischen Gesellschaft als Schande für die Familie betrachtet werden, besteht für Opfer von Vergewaltigungen außerhalb der Ehe die Gefahr, geächtet, zu Abtreibungen gezwungen, inhaftiert oder sogar getötet zu werden. Gesellschaftliche Tabus und die Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen einschließlich durch die eigene Gemeinschaft oder Familie sind häufige Gründe dafür, dass Überlebende sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt nicht anzeigen. Gleichzeitig werden weiterhin Fälle von Selbstverbrennung aufgrund von häuslicher Gewalt gemeldet. Behörden leiten nach wie vor die meisten Anzeigen wegen häuslicher Gewalt zur Entscheidung an traditionelle Institutionen zur Streitbeilegung weiter. Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs ("zina") oder des "von zu Hause Weglaufens". Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Klage zu erheben und haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben.

Der Zugang zur Justiz wird für Frauen, die Gewalttaten anzeigen möchten, zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass der Anteil der Frauen unter den Polizeikräften im Land nur bei etwas unter zwei Prozent liegt. Polizistinnen sind Berichten zufolge selbst der Gefahr sexueller Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz einschließlich Vergewaltigungen durch männliche Kollegen ausgesetzt. Sie sind außerdem durch gewaltsame Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) gefährdet.

Berichten zufolge besteht Straflosigkeit bei Handlungen von sexueller Gewalt auch deswegen weiter fort, weil es sich bei den mutmaßlichen Vergewaltigern in einigen Gebieten um mächtige Befehlshaber oder Mitglieder bewaffneter Truppen oder krimineller Banden handelt oder um Personen, die zu solchen Gruppen oder einflussreichen Personen Kontakt haben und von ihnen vor Inhaftierung und Strafverfolgung geschützt werden.

[...]

Schädliche traditionelle Bräuche

Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:

(i) "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familieeiner Familienschuld verkauft werden;

(ii) baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;

(iii) baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;

(iv) Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.

Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, da diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.

Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch, wie oben festgestellt, langsam und inkonsistent.

[...]

1.3.2.4. Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben

Kinder können mehreren der weiteren in diesen Richtlinien beschriebenen Risikoprofilen entsprechen. Jedoch können Kinder auch der Gefahr kinderspezifischer Formen von Verfolgung ausgesetzt sein, einschließlich Rekrutierung von Minderjährigen, Kinderhandel, Entführung, Zwangskinderarbeit, gefährliche Kinderarbeit, häusliche Gewalt gegen Kinder, Zwangsheirat, Kinderheirat, Kinderprostitution und Kinderpornographie sowie die systematische Verweigerung von Bildung

Systematische Verweigerung des Zugangs zu Bildung

Aus Berichten geht hervor, dass der Zugang zu Bildung für Kinder mit erheblichen Problemen verbunden ist. Es wurden Bedenken in Hinblick auf die Tatsache geäußert, dass die offiziellen Statistiken der Regierung zu Schulbesuchen eine deutlich höhere Zahl an Kindern ausweisen, die zur Schule gehen, als in der Realität gegeben ist und dass die Angaben zur Qualität der Bildung ebenfalls nicht der Realität entsprechen. Weiterhin liegt die Anzahl der Mädchen, die die Schule besuchen, deutlich unter der hinsichtlich der Jungen. Das hohe Maß an Unsicherheit ist ein großes Hindernisbeim Zugang zu Bildung. Die in Berichten dokumentierte Benutzung von Schulen zu militärischen Zwecken durch sowohl regierungsfeindliche als auch regierungsnahe Kräfte stellt ein weiteres Problem dar.

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) führen Berichten zufolge außerdem weiterhin gezielte Angriffe auf Schulen, Lehrer und Schüler aus, insbesondere im Zusammenhang mit Bildung für Mädchen.

Die Angriffe werden mehrheitlich den Taliban zugerechnet, jedoch schließen auch mit ISIS verbundene Gruppen gewaltsam Schulen, bedrohen Lehrer und schüchtern sie ein. Weitere Hindernisse, die die Bildung - insbesondere von Mädchen - erschweren, sind Armut, frühe und erzwungene Heirat, mangelnde familiäre Unterstützung, Mangel an weiblichen Lehrkräften und weite Entfernungen zur nächsten Schule.

[...]

1.3.2.5. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen

Die Bevölkerung Afghanistans besteht aus mehreren unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die traditionell ein hohes Maß an Autonomie gegenüber der Zentralregierung besitzen. Infolge verschiedener historischer Bevölkerungsbewegungen in der Vergangenheit - freiwilliger und erzwungener Art - wohnen einige Angehörige ethnischer Gruppen mittlerweile außerhalb der Gebiete, in denen sie traditionell der Mehrheit angehörten. Daher können Personen, die einer der größten ethnischen Gruppe des Landes angehören, tatsächlich an ihrem Wohnort zu einer ethnischen Minderheit gehören und dementsprechend aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Diskriminierung oder Misshandlungen an ihrem Wohnort konfrontiert sein. Hingegen besteht möglicherweise für ein Mitglied einer ethnischen Gruppe oder eines Clans, der bzw. die auf nationaler Ebene eine Minderheit darstellt, kein Risiko aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Gebieten diskriminiert zu werden, in denen diese ethnische Gruppe bzw. dieser Clan lokal die Mehrheit bildet.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen ethnischen Gruppen nicht notwendigerweise homogene Gemeinschaften bilden. Unter Paschtunen können beispielsweise starke Rivalitäten zwischen verschiedenen Untergruppen Spannungen und Konflikte verursachen. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass ethnische Zugehörigkeit und Religion oftmals untrennbar miteinander verbunden sind, insbesondere in Bezug auf die ethnische Gruppe der Hazara, die vorwiegend schiitisch ist. Daher ist es nicht immer möglich, zu unterscheiden, ob Religion oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe als primärer Grund für Vorfälle oder Spannungen anzusehen ist. Da die politische Zugehörigkeit wiederum oftmals von der ethnischen Zugehörigkeit abhängt, können (vermeintliche) politische Überzeugungen und ethnische Zugehörigkeit untrennbar miteinander verbundene Elemente in Konflikten und Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen sein. Es bestehen weiterhin starke Trennlinien zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen in Afghanistan. Im "Peoples under Threat"-Index von Minority Rights Group International ist Afghanistan als viertgefährlichstes Land der Welt für ethnische Minderheiten aufgeführt, insbesondere aufgrund der gezielten Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und Religion.

Der Index weist insbesondere Hazara, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Belutschen als gefährdete ethnische Minderheiten in Afghanistan aus. Die Verfassung garantiert die "Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme". Dennoch klagen Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen über Diskriminierung von staatlicher Seite auch in Form von ungleicher Behandlung bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen.

[...]

1.3.2.6. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen. In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

[...]

1.3.2.7. In Blutfehde verwickelte Personen

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durchandere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat.

2. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der unter römisch eins. dargestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

2.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

2.1.1. Zu den Feststellungen 1.1.1.

Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten kann die Identität von BF1, BF3 und BF4 nicht festgestellt werden und gelten die in der gegenständlichen Rechtssache getroffenen Feststellungen zu den Identitäten (Name und Geburtsdatum) daher ausschließlich für die Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum von BF1, BF3 und BF4 ergeben sich aus den konstant gleichlautenden Aussagen von BF1 und BF2 vor der Polizeiinspektion römisch 40 , dem BFA, in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und der Beschwerde.

Die Identität von BF2 ist durch einen afghanischen Führerschein mit Ausstelldatum vom 18.05.2003 für das gegenständliche Verfahren gesichert, dessen Echtheit die afghanische Botschaft nach Nachforschungen im Herkunftsland mit Schreiben vom 03.10.2016 bestätigte. Die vorgelegte Geburtsurkunde vermag die Identität von BF2 nicht hinreichend zu belegen, da es notorisch ist, dass solche Urkunden in Afghanistan leicht als Fälschungen zu erhalten sind.

Die Feststellungen zur Nationalität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache (bzw. Zweitsprache von BF2) sowie dem familiären Verhältnis der Beschwerdeführer stützen sich auf die plausiblen Angaben von BF1 und der BF2 im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde bzw. vor dem BVwG. Bereits das BFA legte seiner Entscheidung diese Feststellungen zu Grunde, und es haben sich an diesen auch im Verfahren vor dem BVwG keine Zweifel ergeben. Ebenso verhält es sich mit den Feststellungen, wonach sich die Beschwerdeführer bis zu ihrer Flucht in der Provinz Baghlan aufgehalten haben.

Dass BF3 und BF4 in Afghanistan geboren wurden, ergibt sich unstrittig aus dem glaubhaften Vorbringen zum Aufenthalt der Familie in Afghanistan bis zu ihrer Ausreise. Dass BF1 und BF2 von ihrem ältesten Sohn getrennt wurden, dieser bei den Familienangehörigen von BF1 und BF2 lebt und einmal im Monat mit den Angehörigen Kontakt aufgenommen wird, gaben beide übereinstimmend im Laufe des Verfahrens vor dem BVwG an. Ein in der Verhandlung vorgelegtes Foto zeigt den gemeinsamen Sohn in Afghanistan.

Im Laufe des Verfahrens gaben sowohl BF1 als auch BF2 glaubhaft an, dass diese weder etwas über den Verbleib des Vaters noch des Bruders von BF2 wissen, sodass dementsprechend festgestellt wurde, dass deren aktuelle Aufenthaltsorte unbekannt sind (s. dazu weiter unter Punkt römisch II.2.2.1.).

Im Kontext mit den Familienangehörigen in Afghanistan war es im Übrigen für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar, weshalb BF2 in seinen Einvernahmen durchgehend von seinen "Schwiegereltern" sprach, obwohl BF1 bei der Erstbefragung und vor dem BFA angab, dass ihr Vater schon vor etwa 15 Jahren verstorben sei. Da es sich dabei um die Familie von BF1 handelt, folgt das BVwG hinsichtlich dieser Feststellungen ihren Angaben.

Die Feststellung zur finanziellen Situation der Beschwerdeführer basiert auf den übereinstimmenden Angaben von BF1 und BF2 vor der Polizeiinspektion römisch 40 , bei der sie die finanzielle Situation in Afghanistan und die finanzielle Situation der Familie jeweils als "mittel" beschrieben.

2.1.2. Zu den Feststellungen 1.1.2.

Eine Abstammung aus römisch 40 gab BF1 selbst mehrfach glaubhaft an. Ein Umzug nach ihrer Heirat nach römisch 40 ergibt sich aus der Stellungnahme vom 24.05.2017. Gleichbleibend brachte BF1 auch vor, in Afghanistan Hausfrau gewesen zu sein. Dass BF1 neun Jahre lang eine Schule besuchte, führte diese glaubwürdig im Zuge der Befragung vor dem BFA und der Beschwerdeverhandlung aus.

2.1.3. Zu den Feststellungen 1.1.3.

Die Feststellungen zum Geburtsort und zur Erwerbstätigkeit des BF1 beruhen auf seinen plausiblen Angaben im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG sowie einem in das Verfahren eingebrachten Zertifikat und einem eingebrachten Ausweis einer Transportfirma. Dass BF1 in Afghanistan eine fünfjährige Schulausbildung genossen hat, hat dieser übereinstimmend bei seiner Ersteinvernahme, vor dem BFA als auch im Rahmen der Beschwerdeverhandlung angegeben.

2.1.4. Zu den Feststellungen 1.1.4.

Die Feststellungen zum Fluchtweg der Beschwerdeführer von Afghanistan nach Österreich beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Erstbefragung und dem Verfahren vor dem BFA von BF1 und BF2. Die Kosten und die Finanzierung der Reise gaben BF1 und BF2 übereinstimmend vor dem BFA an.

2.1.5. Zu den Feststellungen 1.1.5.

Die getroffenen Feststellungen zur Tätigkeit von BF1 beruhen auf ihrem glaubhaften Vorbringen im Verfahren. Der Besuch von Deutschkursen und einem Alphabetisierungskurs wurde durch die Vorlage von Teilnahmebestätigungen nachgewiesen. Ein Zertifikat über die Absolvierung einer Sprachprüfung wurde ebenfalls vorgelegt. Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen ergeben sich durch die von der Richterin in der mündlichen Verhandlung gestellten, nicht übersetzten Fragen (VP Sitzung 8). Weshalb BF1 in der Beschwerdeverhandlung angab, nur einen Deutschkurs trotz Vorlage von mehreren Teilnahmebestätigungen besucht zu haben, war für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar.

Die Feststellungen zum Besuch einer Bildungs- und Berufungsberatung sowie eines Orientierungskurses ergeben sich aus den von BF1 vorgelegten Unterlagen. BF1 gab zudem glaubhaft in der Verhandlung an, an ihrem früheren Wohnort Freundschaften geschlossen zu haben und Freizeitbeschäftigungen (Aerobic, Stricken) nachgegangen zu sein.

Sowohl BF1 und BF2 gaben in der mündlichen Verhandlung bekannt, dass sie erst vor kurzem nach römisch 40 umgezogen sind.

2.1.6. Zu den Feststellungen 1.1.6.

Die Feststellungen zur fehlenden Beschäftigung und hinsichtlich der Nutzung der Grundversorgung beruhen auf den Aussagen von BF2 und dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Bestätigungen über die Absolvierung mehrerer Sprachkurse, zweier Alphabetisierungskurse, einer Erstberatung sowie eines Orientierungskurses wurden im Verfahren vorgelegt und entsprechende Deutschkenntnisse durch die erkennende Richterin festgestellt und im Verhandlungsprotokoll festgehalten (VP Sitzung 15). Das Nichtbestehen der A1-Prüfung bezeugt ein vorgebrachtes Dokument. Die Feststellung hinsichtlich der Freizeitaktivität stützt sich auf die widerspruchsfreie und glaubwürdige Angabe von BF2 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Der Besuch eines Werte- und Orientierungskurses durch BF1 und BF2 ergibt sich aus den in das Verfahren eingebrachten Teilnahmebestätigungen.

2.1.7. Zu den Feststellungen 1.1.7.

Dass BF3 zurzeit die Schule in Österreich besucht, ergibt sich aus der unbedenklichen vorgelegten Feststellung zum Semesterschluss. Ein Kindergartenbesuch von BF4 in römisch 40 basiert auf den glaubwürdigen Aussagen von BF1.

2.1.8. Zu den Feststellungen 1.1.8.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sind, ergibt sich aus den glaubhaften Aussagen von BF1 und BF2 und den eingeholten Strafregisterauszügen. Dass gegen BF2 ein Strafverfahren geführt wurde, gab dieser selbst an und deckt sich mit dem im Akt enthaltenen Strafantrag der Staatsanwaltschaft römisch 40 .

2.1.9. Zu den Feststellungen 1.1.9.

Die Feststellungen zu den fehlenden Verwandten im Bundesgebiet und zum Gesundheitszustand von BF2 basieren auf dessen glaubhaften Angaben in der Verhandlung vor dem BFA und dem BVwG; hinsichtlich BF3 und BF4 wurden keine gesundheitlichen Probleme geltend gemacht und sind solche auch nicht im Verfahren hervorgekommen. Dass BF1 an Kopfschmerzen und Depressionen leidet, schilderte diese übereinstimmend vor dem BFA und dem BVwG.

2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

2.2.1. Zu den Feststellungen 1.2.1, 1.2.2. und 1.2.3.

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen wurden aufgrund der von BF1 und BF2 in der Erstbefragung, vor dem BFA sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gemachten Aussagen und deren Würdigung durch das Bundesverwaltungsgericht getroffen:

BF1 und BF2 brachten im Wesentlichen als Ausreisegrund einen Streit mit Privatpersonen eines angrenzenden Nachbargrundstückes in ihrem Heimatdorf vor. Sie seien aber auch einer Verfolgung durch den Staat aufgrund eines angeblichen Fundes von Waffen, Bomben und Motorrädern der Taliban (VP Sitzung 17) auf einem von ihnen abgetretenen Grundstück ausgesetzt. Darüber hinaus sei die Familie ein Ziel der Taliban, weil ihnen von diesen vorgewerfen werde, dass sie der Polizei verraten hätten, dass sich Gegenstände der regierungsfeindlichen Gruppierung auf dem abgetretenen Grundstück befunden haben sollen. Außerdem hätten sich die Beschwerdeführer geweigert, auf die Forderungen der Taliban in einem Drohbrief zu reagieren und somit eine oppositionelle Einstellung gegenüber diesen zum Ausdruck gebracht.

a) Verfolgung durch die Familie von römisch 40 und den Staat

Das Bundesverwaltungsgericht geht nach Würdigung des Vorbringens von BF1 und BF2 davon aus, dass es zu Streitigkeiten zwischen dem Sohn eines Verwandten väterlicherseits von BF2 ( römisch 40 ) und dem Bruder von BF2 ( römisch 40 ) aufgrund der Wassernutzung kam, römisch 40 später verstarb und dessen Familie als Wiedergutmachung einen Teil des Grundstückes der Familie von BF2 erhielt, da BF1 und BF2 dies im Verfahren übereinstimmend und glaubhaft vorgebracht haben und eine Vereinbarung über die Abtretung aus einem von BF2 in das Verfahren eingebrachten Dokument hervorgeht (AS 153-155; Übersetzung AS 245-247).

In welchem Verwandtschaftsverhältnis römisch 40 zu BF2 stand, konnte jedoch nicht eruiert werden, da BF2 in der Erstbefragung angab, dass der Cousin seines Vaters getötet worden sei (AS 11); vor dem BFA gab er zu Protokoll, dass es der Neffe des Cousins seines Vaters gewesen sei (AS 117). In der Beschwerde wurde schließlich darauf hingewiesen, dass in der Erstbefragung von BF2 ein Protokollierungsfehler unterlaufen sei. BF1 schilderte hingegen durchgehend, dass es sich bei römisch 40 um einen Cousin des Vaters von BF2 gehandelt habe (AS 11, AS 41).

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist es jedoch nicht glaubhaft, dass der bereits beigelegte Streit erneut ausgebrochen ist, nachdem auf dem abgetretenen Grundstück Taliban-Gegenstände gefunden wurden, sodass die Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat weder einer Verfolgung durch die Familie von römisch 40 ausgesetzt waren noch es derzeit sind:

Festgehalten wird zunächst, dass es sich - anders als es das Thema der in der Beschwerde vorgebrachten Unterlagen ist - nicht um eine Grundstücksstreitigkeit zwischen den Parteien gehandelt hat, weil sich die beiden Familien gerade nicht darüber stritten, wem ein gewisses Stück Land gehört. Es gab eine Streitigkeit resultierend aufgrund der Wassernutzung, die zu einer Schlägerei zwischen dem Bruder von BF2 und römisch 40 führte. römisch 40 verstarb einige Monate später, wofür die Familie von römisch 40 den Bruder von BF2, römisch 40 , verantwortlich machte. Dabei wurde, so das Vorbringen von BF1 und BF2, eine Drohung durch die Familie von römisch 40 auch an sie ausgesprochen.

Wie dem Ländermaterial zu entnehmen ist (s. Feststellungen), ist Blutfehde in erster Linie eine paschtunische Tradition, die aber auch bei anderen Ethnien Anwendung findet. Zur Konfliktlösung können sich die Streitparteien einer sogenannten "Jirga", einer Ratsversammlung bestehend aus den Dorfältesten, bedienen. Kommt es zu einer Einigung der Parteien auf eine Kompensationszahlung, ist die Blutfehde nach afghanischen Gepflogenheiten damit beendet. Wie die Beschwerdeführer selbst angegeben haben (BF2, AS 119) wurden zwei Monate nach der Drohung durch die Familie von römisch 40 die Dorfältesten zusammengerufen und erfolgte eine Wiedergutmachung. Gerade aus diesem Grund erscheint es nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführer nach der Abtretung eines Grundstückes und der Beilegung des Konflikts von der Familie von römisch 40 nunmehr verfolgt werden sollten.

Es war auch nicht ersichtlich, weshalb die Streitereien erneut aufgekeimt sein sollen, wenn der angebliche Waffenfund mit der Beschuldigung der Familie von BF2 von der Familie von römisch 40 auf diese abgewälzt wurde und somit keine offene Rechnung mehr bestanden hat (s. VP Sitzung 16: "BF: .[...] Sie haben behauptet, dass das Grundstück nicht ihnen gehört. Deshalb hat die Polizei meinen Vater abgeholt."). Darüber hinaus, hätte es tatsächlich einen neuerlichen Streit gegeben, wären wohl die Dorfältesten, die schon bei dem ersten Streit zu Rate herangezogen wurden, erneut aufgesucht worden. Dass eine Kontaktaufnahme zu den Dorfältesten innerhalb einer Woche nicht möglich war, war nicht plausibel (VP Sitzung 16-17), insbesondere, da dies ja offensichtlich nicht einmal versucht wurde (VP Sitzung 16f). Es erscheint aber nicht nachvollziehbar, dass man eher alles zurücklässt und ausreist, als dass man zuerst zumindest einen Versuch der Streitschlichtung über jene Stelle, nämlich die Dorfältesten, der bereits einmal zum Erfolg geführt hat, unternimmt.

Eine Verfolgung durch die Familie von römisch 40 war weiters deshalb nicht glaubhaft, weil sich Ungereimtheiten in Bezug auf die Personen der Drohenden im Laufe des Verfahrens ergeben haben: Während BF1 und BF2 in der Erstbefragung eine Furcht vor dem Onkel des Vaters angaben (jeweils AS 11), erklärten diese in den späteren Einvernahmen, dass sie Angst vor den Brüdern des verstorbenen römisch 40 hätten (BF1 AS 43; BF2 AS 117 ff).

Auch aus dem Betrachtungswinkel, dass 18 Monate Ruhe zwischen den Parteien ohne Vorkommnisse herrschte (VP Sitzung 16), war ein plötzlicher Bruch der Vereinbarung nicht nachvollziehbar. Die dieser Vereinbarung zugrunde liegende einmalige "Drohung", dass die Familie von römisch 40 die Beschwerdeführer "nicht in Ruhe lassen werden und sie tun werden, was sie können" (AS 119; auch BF1 in AS 43) war aufgrund ihrer Formulierung eine sehr allgemeine Warnung und versetzte die Beschwerdeführer (daher) auch nicht dermaßen in Angst, dass sie sofort ausreisten, sondern zwei Monate lang weiter dort lebten und die Dorfältesten die Situation klären ließen. Es war daher nicht glaubhaft, dass ein potentieller Fund von Taliban-Gegenständen auf dem Grundstück, der von der Wertigkeit weitaus weniger schlimm als der Tod des eigenen Sohnes/Bruders anmutet, die nachfolgenden Gefahrenszenarien ausgelöst haben soll, wie es das Ableben von römisch 40 nicht tat (die Beschwerdeführer schilderten keine weitere Drohung in den zwei Monaten bis zur Abtretungseinigung). Vielmehr entstand der Eindruck, dass die Durchsuchung des Grundstückes durch die Polizei nur konstruiert wurde. Dieser Eindruck wurde durch die widersprüchlichen Aussagen von BF2 hinsichtlich des Fundortes der Waffen, Bomben und Motorräder verstärkt: BF2 gab vor dem BFA an, dass ein Teil des Grundstückes seiner Familie in der Größe von 2.000 m² als Wiedergutmachung an die gegnerische Familie ausgezahlt und ein Zaun darum errichtet worden sei. Dieses Grundstück hätte die Polizei ein paar Monate später dann durchsucht (AS 119). In der Beschwerdeverhandlung führte BF2 an, dass man in einem Haus die Gegenstände der Taliban entdeckt hätte (VP Sitzung 18).

Eine Verfolgung von Privaten wäre weiters nur dann asylrelevant, wenn der Staat den Schutz verweigert (wobei das Bundesverwaltungsgericht, wie dargelegt, nicht von dem Vorliegen einer solchen Verfolgung ausgeht). Die Brüder des verstorbenen römisch 40 sind zwar bei der "Arbaki"-Polizei, diese ist aber nur für die Sicherheit in der Region, in der sie leben, verantwortlich (VP Sitzung 17, auf die Frage der Richterin, dass der Einfluss der Cousins nicht besonders weitreichend "nach oben" gewesen sein könne). Warum der Vater von BF2 nach nochmaligem Aufsuchen der Polizei verschollen ist, konnte nicht geklärt werden und kann seine Ursache auch aus anderen Gründen als einem Zusammenhang mit dem Vorstelligwerden bei der Polizei haben. Im Gegenteil wurde dieser das erste Mal noch am selben Tag von der Polizei wieder nach Hause gelassen.

Insgesamt ist damit auch keine Verfolgung durch den Staat und seine Akteure anzunehmen, da das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der aufgezeigten Gründe davon ausgeht, dass es zu keinem Fund von Taliban-Gegenständen kam. Aber selbst bei Wahrunterstellung, dh der Annahme, dass Gerätschaft der Taliban gefunden wurde, ist nicht überzeugend, dass den Beschwerdeführern eine Gefahr ausgehend vom Staat droht:

Die Familie von BF2 könnte sich leicht von den Vorwürfen, dass das Grundstück noch ihr gehöre, entlasten, indem die bei der Abtretung anwesenden Dorfältesten und Zeugen die Übertragung des Landstückes an die Nachbarsfamilie bezeugen. Außerdem gab BF2 in der Verhandlung an, dass "im Dorf alle wussten, dass dieses Haus vorher wem gehörte und nachher jemand anderem gehörte" (VP Sitzung 17). Dass sich jenes Grundstück nicht mehr im Besitz von BF2 befindet, sollte zudem klar erkennbar sein, da die Nachbarsfamilie einen Zaun um das Grundstück gebaut hat (dies gab auch BF1 an, AS 43).

Hinsichtlich des Verschwindens des Vaters von BF2 ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass es nicht nachvollziehbar war, wieso dieser das Missverständnis bei der Behörde erst aufzuklären versucht haben soll, nachdem seine Ausreise aus Afghanistan missglückt ist und nicht schon zuvor, sodass die ganze Familie erst gar nicht ihr Leben in Afghanistan aufgeben hätte müssen.

Eine Verfolgung durch die Verwandtschaft, aber auch den Staat ist auch aufgrund folgender Erwägungen nicht anzunehmen: Die Familienangehörigen der Beschwerdeführer leben seit Jahren unbehelligt in derselben Provinz (wenn auch "versteckt", VP Sitzung 20). Die Befürchtung, bei einer Rückkehr gefunden zu werden, erachtet das Bundesverwaltungsgericht allerdings im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Afghanistan über kein offizielles Meldewesen verfügt (s. Länderfeststellungen), als nicht glaubhaft. Es auch nicht nachvollziehbar, wie die Familie von römisch 40 bei einer Rückkehr von den Beschwerdeführern erfahren sollte, dass sich diese wieder im Land befinden.

b) Verfolgung durch die Taliban

BF2 gab an, dass einen Tag nach dem angeblichen Fund der Gegenstände der Taliban auf dem Grundstück ein Brief der regierungsfeindlichen Gruppierung eingetroffen sei. Die zwei Brüder von römisch 40 hätten den Drohbrief der Taliban gebracht (VP Sitzung 17), und darin sei BF2 aufgefordert worden, Geld und Weizen zu zahlen und mit den Taliban zusammenzuarbeiten. BF1 schilderte vor dem BFA, dass sie den Brief vor dem Haus gefunden habe und dieser "von der anderen Familie" sein könne. Darin sei Geld und Korn gefordert worden (AS 43). BF1 erwähnte aber nicht, dass sich ihr Mann den Taliban anschließen hätte sollen.

Hinsichtlich des Drohbriefs hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass es amtsbekannt ist, dass gefälschte Drohbriefe leicht gegen Zahlung eines Schmiergeldes in Afghanistan erhältlich sind und kann die Vorlage des Drohbriefs das Vorbringen der Beschwerdeführer daher nicht erhärten.

Weiters gab BF2 zu Protokoll, dass jener Anruf, in dem ihm ein Ultimatum gestellt worden sei, der fluchtauslösende Moment gewesen sei (AS 127), BF1 brachte jedoch keinen weiteren Anruf (AS 45) oder ein Ultimatum vor, sondern schilderte den Vorfall in ihrem Haus.

Hinsichlich des Überfalls im Haus von BF2 sind ebenfalls Diskrepanzen zwischen den Aussagen von BF1 und BF2 insbesondere zum Tatzeitpunkt aufgetreten: BF2 brachte vor, dass in derselben Nacht nach dem Vorfall mit dem LKW 13 Personen der Taliban, vier davon hätten Paschtu gesprochen, zum Haus der Familie gekommen seien und den Bruder mitgenommen hätten (AS 127). BF1 führte hingegen zum Vorfall aus, dass 14 Personen, die Paschtu sprachen, am nächsten Tag am Abend nach dem Vorfall mit dem LKW gekommen seien und den Bruder des Mannes mitgenommen hätten (AS 45).

Daraufhin habe BF2 einen Anruf, den BF1 niemals erwähnte, von den Taliban erhalten, dass er sich stellen solle oder ansonsten sein Bruder getötet werde. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wieso BF2 das Ziel der Taliban gewesen sein soll: Sein Bruder war es, der gemäß den Vorwürfen den Tod von römisch 40 zu verantworten hatte, und seinen Eltern sei laut BF1 vorgeworfen worden, dass sie die Behörden über den Fund der Waffen informiert hätten (AS 43). Es ist weiters nicht nachvollziehbar, was die Folge des Erscheines von BF2 bei den Taliban gewesen sein sollte. Wenn dies die Freilassung vom Bruder von BF2 gewesen wäre, wäre es völlig unplausibel, wieso nun der Austausch eines bei den Streitereien völlig Unbeteiligten, nämlich des BF2, gegen den "Mörder" von römisch 40 erpresst werden sollte.

Insgesamt blieben die Schilderungen von BF1 und BF2 hinsichtlich der Drohungbriefe und -anrufe sowie des Vorfalls am Wohnsitz damit in wesentlichen Elementen widersprüchlich bzw. unplausibel und geht das Bundesverwaltungsgericht daher und vor dem Hintergrund der unter a) dargelegten Unglaubhaftigkeit des Aufflammens neuerlicher Streitigkeiten, die übrhaupt erst zu Konflikten der Beschwerdeführer mit den Taliban geführt haben könnten, davon aus, dass dieser Sachverhalt konstruiert wurde, um eine Gefahrensituation für die Beschwerdeführer zu schaffen.

Hinsichtlich des geschilderten Vorfalls mit dem LKW erachtet es das Bundesverwaltungsgericht als durchaus glaubhaft, dass sich ein Zwischenfall bei einer LKW-Fahrt von BF2 in Richtung Kabul ereignet hat, die mit der Verbrennung seines Fuhrwerkes endete, geht aber davon aus, dass es sich dabei um einen Vorfall aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage handelte und nicht um eine persönlich gegen BF2 gerichtete Handlung. Wie oben dargelegt, schenkt das Bundesverwaltungsgericht dem Vorbringen hinsichtlich neuerlicher Streitigkeiten zwischen den Familien oder Drohbriefen bzw. -anrufen der Taliban keinen Glauben. Viel eher ist anzunehmen, dass es die vier als Polizisten verkleideten Männer (BF2) bzw. die "unbekannten" Männer (BF1) auf die von BF2 transportierte Ware abgesehen hatten oder BF2 unverschuldet in ein Gefecht zwischen der Polizei und einer Gruppierung geriet. Der Abbrand des LKW, mit dem BF2 seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie finanzierte, mag durchaus eine Rolle gespielt haben, dass die Beschwerdeführer Afghanistan verlassen haben. Ein Zusammenhang zwischen dem LKW-Vorfall und den vorgebrachten Bedrohungen durch die Familie von römisch 40 , den Staat und die Taliban konnte vom Bundesverwaltungsgericht allerdings nicht ersehen und von BF2 auch nicht plausibel begründet werden. Auf die Frage, woher die Leute die Fahrroute von BF2 gekannt haben sollen, gab er lediglich an, dass die beiden Brüder von römisch 40 alles organisiert hätten (AS 125).

BF2 schilderte in diesem Zusammenhang aufgrund seiner jahrenlangen Erfahrung als LKW-Fahrer glaubhaft, dass es in der besagten Gegend sehr gefährlich sei und er erkannt habe, dass die vier Polizisten, die ihn aufhalten wollten, keine echten gewesen seien, da dort normalerweise Straßenkontrollen von Mannschaften von 60 bis 70 Personen durchgeführt würden. Ein anschließendes Gefecht zwischen der Polizei und den unbekannten Personen ist ebenfalls durchaus plausibel (Polizei und regierungsfeindliche Kräfte liefern sich Kämpfe in der Provinz Baghlan, s. Länderfeststellungen).

Dass der Beifahrer von BF2 ein Foto vom LKW zum Beweis, was mit der Ware geschehen ist, machte und die Schwester von BF1 dieses Foto (abfotografierte und) nachschickte, war stringent. Weniger nachvollziehbar war jedoch, dass BF1 von beiden Fotos keine Kenntnis hatte, obwohl ihre Familie diese BF2 zukommen ließ.

Dass BF2 aufgrund seiner Tätigkeit für die Amerikaner und die NATO gezielt angegriffen wurde oder ihm eine Gefahr bei einer Rückkehr - wie in der Stellungnahme vom 29.05.2017 von der Verfasserin angeschnitten - aufgrund seines Berufes droht, behauptete BF2 hingegen in keiner seiner Befragungen, und es wurde von diesem auch kein Vorfall diesbezüglich geschildert, obwohl BF2 schon seit 15 Jahren als LKW-Fahrer arbeitete. Nur im Drohbrief der Taliban, von dessen Echtheit, wie dargelegt, das Bundesverwaltungsgericht nicht ausgeht, wird BF2 zur Niederlegung seiner Tätigkeit aufgefordert (AS 145; Übersetzung AS 243-245). Laut BF2 hängt der LKW-Vorfall aber ohnehin nur "mit der Geschichte zusammen wegen des Grundstücks" (AS 125). Weiters wäre auch nicht nachvollziehbar, dass BF2 als einfacher Fahrer, demnach in keiner exponierten Stellung bei den genannten Organisationen, ins Visier der Taliban geraten sollte bzw. diese Gefahr nach Niederlegung dieser Tätigkeit weiter bestehen sollte.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine Verfolgung durch die Taliban in der Erstbefragung weder von BF1 noch von BF2 erwähnt wurde. Wie oben dargestellt, war nicht ersichtlich, wieso BF2 in das Visier der Taliban geraten sein sollte, zumal die Eltern als Spione verdächtigt worden sein sollen. Außerdem ist nicht anzunehmen, dass ein Fund von Gegenständen durch die Polizei ein ernsthafter Rückschlag für die dort ansässigen Taliban gewesen sein soll, da diese laut BF2 noch viele weitere Waffenlager in der Gegend haben (VP Sitzung 20). Auch hier ist anzumerken, dass die Familie der Beschwerdeführer weiterhin ohne Probleme in der Herkunftsprovinz der Beschwerdeführer Baghlan lebt.

c) Schlussfolgerung

Die Glaubwürdigkeit einer bestehenden Gefahr für die Beschwerdeführer und einer dadurch bedingten unmittelbaren Ausreise wurde weiter auch dadurch erschüttert, dass BF1 und BF2 unterschiedliche Angaben zum Ausreisezeitpunkt machten:

So gab BF2 vor dem BFA und dem BVwG an, dass sich all diese Vorfälle innerhalb von etwa sechs Tagen abgespielt hätten, anknüpfend an die Durchsuchung des Grundstückes durch die Polizei. Die Bedrohung habe "im 8ten oder 9ten Monat des Jahres 1392" (AS 119) stattgefunden, das ist demnach zwischen dem 23.10. und 21.12.2013. Zwei Monate später sei die Abtretung des Grundstücks erfolgt (demnach Dezember 2013 oder bis Februar 2014), 18 Monate danach die Durchsuchung durch die Polizei, demnach Juni oder bis August 2015.

In Zusammenschau mit den Aussagen von BF1 und BF2 bei der Erstbefragung, dass ihre Reise in etwa 35 Tage gedauert habe (nachvollziehbar samt den angegebenen Zwischenstopps), hätte dies eine Ankunft in Österreich im Juli 2015, spätestens Anfang Oktober 2015 bedeutet. Die Beschwerdeführer stellten aber erst im November 2015 (24.11.2015) ihren Antrag auf Asyl in Österreich. Rechnet man die 35 Tage vom Tag der Antragstellung zurück, müssten die Beschwerdeführer im Oktober 2015 ausgereist sein - was nicht mit ihrer Angabe übereinstimmt.

Vor dem BFA führte BF2 aus, dass er vor 21 oder 22 Monaten Afghanistan verlassen habe (AS 107), was eine Ausreise im Juni/Juli 2015 bzw. eine Ankunft im Juli/August/Anfang September 2015 bedeutet hätte.

Vor dem BVwG schilderten BF1 und BF2, dass sie vor zwei Jahren und vier Monaten ausgereist seien (VP Sitzung 7), was rechnerisch eine Ausreise im August 2015 bzw. eine Ankunft im September/Anfang Oktober 2015 ergeben würde.

Vor den dargestellten Widersprüchen und Unplausibilitäten in ihren Erzählungen, aber auch in den Zeitangaben, geht das Bundesverwaltungsgericht insgesamt davon aus, dass die Beschwerdeführer eine persönliche Verfolgung ihrer Personen konstruieren wollten, diese aber nicht der Wahrheit entspricht. Es ist möglich, dass es Spannungen zwischen den benachbarten Familien gegeben und ein Vorfall mit dem LKW stattgefunden hat, aber es ist den Beschwerdeführern aus den dargelegten Gründen nicht gelungen, eine konkrete, ihnen in Afghanistan drohende, aktuelle Verfolgungsgefahr durch die Familie von römisch 40 , den Staat oder die Taliban glaubhaft zu machen.

Die Feststellungen unter 1.2.3. ergeben sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem BFA und dem BVwG.

2.2.2. Zu den Feststellungen 1.2.4.

In der Stellungnahme vom 24.05.2017 machte BF1 erstmals geltend, eine "westliche Orientierung" angenommen zu haben und dass Frauen in Afghanistan Diskriminierungen und Unterdrückungen hinnehmen müssten.

Bei der Prüfung der Berechtigung eines Asylantrages einer weiblichen Person ist zu untersuchen, ob ihr gepflegter Lebensstil die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan in einem Ausmaß verletzt, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibeihaltung des Lebensstils) Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl liegen vor, wenn dieser Lebensstil ein wesentlicher Teil der Identität geworden ist, sodass es für die Antragsstellerin eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, E 573/2015). Laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gibt es keine (Mindest-)Dauer, während derer eine Asylwerberin einen "westlich orientierten" Lebensstil gelebt haben muss, um davon ausgehen zu können, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Diese Beurteilung erfordert stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

BF1 vermochte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht weder überzeugend darzulegen, dass sie einen "westlichen" Lebensstil führe, noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung habe und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte:

Diese hat zwar in ihrem etwa zweijährigen Aufenthalt in Österreich Deutschsprachkurse mit einem Zeugnis (A1-Niveau) absolviert, arbeitet auch privat an ihren Sprachkenntnissen (VP Sitzung 10) und konnte die auf Deutsch in der Verhandlung gestellten, nicht übersetzten Fragen der Richterin verstehen und gebrochen auf Deutsch beantworten (VP Sitzung 8). Das deutsche Sprachvermögen von BF1 lässt aber keine andere Beurteilung zu, als dass diese nur über sehr beschränkte Deutschkenntnisse verfügt. Ihre Deutschkenntnisse sind trotz des schon längeren Aufenthalts in Österreich so gering, dass daraus keine nachhaltige Bestrebung für eine selbstbestimme Lebensführung ersehen werden kann.

Auch der Besuch eines eintägigen Werte- und Orientierungskurses stellt keine besondere Aktivität dar, aus der geschlossen werden kann, dass es der unbedingte Wille von BF2 ist, eine "westliche Lebensweise" anzunehmen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Mindestaktivität, die von Personen mit einem Status von BF1 absolviert wird und entspricht den Bemühungen der Republik Österreich um Integration jener Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt worden ist.

BF1 nimmt die Möglichkeiten zu sportlichen oder kulturellen Aktivitäten oder die Mitgliedschaft in einem Verein nicht in Anspruch (VP Sitzung 8). Vielmehr brachte diese an mehreren Stellen zum Ausdruck, dass sich ihr Leben hauptsächlich um die Kindererziehung und den Haushalt dreht (dies sei ihre "Freizeitbeschäftigung"; VP Sitzung 10).

Der Tagesablauf von BF1 weist nicht auf ein Verhalten hin, das in Afghanistan verpönt ist oder die Gefahr einer Verfolgung aufgrund unterstellter politischer bzw. religiöser Gesinnung birgt. Ihr in Österreich gepflegter Lebensstil stellt keinen nachhaltigen Bruch mit den in Afghanistan verbreiteten gesellschaftlichen Werten dar.

BF1 gab diesbezüglich an: "Nach dem Frühstück bringe ich meine Tochter in den Kindergarten, mein Mann bringt meinen Sohn in die Schule. Wenn ich zurückkomme, bereite ich das Mittagessen für meine Kinder zu. Am Nachmittag, wenn ich Zeit habe, lerne ich. Wenn ich einkaufen muss, dann gehe ich einkaufen. Um 16.00 Uhr hole ich meine Tochter vom Kindergarten ab. Ich bin mit meinen Kindern beschäftigt. Wenn es draußen nicht kalt ist, gehe ich mit meinen Kindern in den Park." (VP Sitzung 9-10). Das Abholen der Kinder von der Schule, die Zubereitung der Speisen oder das Führen des Haushalts entspricht insgesamt einem traditionellen Frauenbild.

Zwar verschließt sich BF1 nicht dem Kontakt mit Österreichern, sodass sie drei Freundschaften in ihrem ehemaligen Heimatort schloss, jedoch nur mit Frauen (VP Sitzung 9). Außerdem zeigte sich, dass BF1 nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt und sich in Österreich im kleinstmöglichen Umgebungskreis aufhält, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen bzw. sozialen Normen eingeschränkt ist. Die Aktivitäten von BF1 finden in der geschützten Sphäre ihres Wohnortes statt. Dass sie in dieser Umgebung ihre Wohnung verlässt, um in der geschützten Sphäre ihrer Wohnumgebung ihre Kinder von der Schule abzuholen, einkaufen oder in den Park zu gehen, ist als nach außen tretende Verhaltensweise keine ausreichende Grundlage für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil der Identität von BF1 geworden ist.

BF1 verwaltet zwar das Geld der Familie, entscheidet aber zusammen mit ihrem Mann (VP Sitzung 11). Sie führt darüber hinaus den Haushalt alleine; Hilfe erhält sie nur, wenn sie zu viel zu tun hat (VP Sitzung 11). In ihrer Freizeit strickt BF1 gerne. Auch dies sind keine Verhaltensweisen, die einen nachhaltigen Bruch mit den im Herkunftsstaat von BF1 verbreiteten gesellschaftlichen Werten darstellen würden.

BF1 äußerte in der Beschwerdeverhandlung den vagen Berufswunsch, in Zukunft als Köchin, Frisörin oder Verkäuferin arbeiten zu wollen (VP Sitzung 10). Zwar sind die Angaben von BF1, einen Berufswunsch zu haben, nachvollziehbar, ein besonderes eigenes Engagement und eine klare Vorstellung sowie eine konkrete Planung ihres Berufszieles waren in der mündlichen Beschwerdeführung jedoch nicht erkennbar, mag sie sich auch bei Freundinnen dazu erkundigt ("Ich habe mich diesezüglich bei meinen Freundinnen erkundigt. Sie haben gemeint, ich soll zunächst die Sprache lernen und dann eine Ausbildung zwischen 1 und 1 1/2 Jahren machen."; VP Sitzung 10) oder an einer zweistündigen Bildungs- und Berufsberatung der römisch 40 und einem Alphabetisierungskurs teilgenommen haben. Der grundsätzliche Wunsch nach einem Beruf kann jedoch keineswegs als ausschlaggebend für die Annahme einer Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" gewertet werden. Positiv hervorzuheben ist aber, dass BF1 sich - wenn auch erfolglos - bei der "Tafel" des Roten Kreuzes in römisch 40 gemeldet hat (VP Sitzung 9).

Genauso wenig kann aus den sehr allgemeinen Aussagen vor dem BVwG, dass sie in Österreich ein freies Leben habe, sich um die Schule und Ausbildung ihrer Kinder kümmern, alleine das Haus verlassen und einkaufen gehen sowie alleine lernen gehen könne (VP Sitzung 10-11), weder abgeleitet werden, dass BF1 eine selbstbestimmte "westliche" Lebensweise anstrebt, noch kann dadurch eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" angenommen werden. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe Frauen zu gewähren wäre vergleiche VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

Die Anstrengungen der BF1 stellen somit insgesamt keine besonderen Aktivitäten dar, aus denen geschlossen werden kann, dass es deren unbedingter Wille ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Auch wenn BF1 zur Verhandlung vor dem BVwG ohne Kopftuch und leicht geschminkt erschien, lässt sich alleine daraus noch nicht auf eine "westliche Lebensweise" schließen; auch zeigen die von BF1 vorgelegten Fotos vor dem BFA, dass sie zu verschiedenen Gelegenheiten sehr wohl ein Kopftuch trägt. Auch wenn das Nicht-Tragen eines Kopftuchs einen Aspekt einer "westlichen Lebensweise" darstellt, so stellen die oben gewürdigten Aspekte, die die tatsächlich von der Beschwerdeführerin gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung dar.

Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei BF1 um eine in ihrer Grundeinstellung "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde.

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass BF1 geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlichen Traditionen in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt war bzw. wäre, ohne dieses Vorbringen jedoch zu konkretisieren. BF1 äußerte sich selbst dazu auch nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, sodass diesem Vorbringen mangels konkreten Anhaltspunkten keine Relevanz zukommt. Zur allgemeinen Situation als Frau in Afghanistan s. weiter unter römisch II.3.2.3.2.

2.2.3. Zu den Feststellungen 1.2.5. und 1.2.6.

Bei BF4 ist aufgrund ihres sehr jungen Alters (5 Jahre) keine selbstbestimmte Lebensführung anzunehmen. Diese wächst in ihrer afghanischen Familie auf und befindet sich in einem anpassungsfähigen Alter.

In der Beschwerde wurde einmalig ausgeführt, dass BF4 geschlechtsspezifischen Gefährdungen aufgrund ihrer Eigenschaft als Mädchen in Afghanistan ausgesetzt sei. Nachdem ihre Eltern eine solche Gefährdung weder in der Erstbefragung, noch vor dem BFA (trotz dreimaligem Nachfragen, AS 47) oder dem BVwG (VP Sitzung 22) angaben und jedes Mal verneinten, dass ihre Kinder eigene Fluchtgründe hätten, konnten daher keine entsprechenden Feststellungen getroffen werden. Abgesehen davon lässt sich auch aus dem allgemeinen Vorbringen unter Rücksichtnahme auf die Eigenschaft als Mädchen von BF4 vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen keine individuelle konkrete Bedrohung oder Verfolgung ableiten. Das Vorbringen in der Beschwerde, dass BF4 der Zugang zu Bildung, Bewegungsfreiheit und anderen grundlegenden Rechten sowie das Ergreifen eines Berufs verwehrt wäre, blieb ohne weitere Anhaltspunkte, weswegen dies im vorliegenden Fall gegeben sein sollte. Weiters wurde dies von den Eltern, wie ausgeführt, in ihren persönlichen Befragungen nicht angeführt, und lässt sich aufgrund der Länderfeststellungen nicht schließen, dass jedem Mädchen allein aufgrund dieser Eigenschaft, ohne Vorliegen weiterer spezifischer Anhaltspunkte, Asyl gewährt werden müsse.

Die Minderjährigkeit von BF3 und BF4 betreffende Fluchtgründe bzw. Risiken, die diese aufgrund individueller Eigenschaften im Falle einer Rückkehr in exzeptioneller Weise besonders zu befürchten hätten, wurden ebenfalls nicht behauptet und ergaben sich diesbezüglich auch keine Anhaltspunkte.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Zu den Feststellungen 1.3.

Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat stützen sich auf die in der Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingeführte Länderdokumentation und die UNHCR-Richtlinien. In das herangezogene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation vor der mündlichen Verhandlung eingefügt am 25.09.2017) wurden zwar nach der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2017 noch zwei weitere Kurzinformationen (vom 21.12.2017 und 30.01.2018) eingefügt; doch ergeben sich daraus keine für das gegenständliche Verfahren bedeutsame Änderungen, insbesondere nicht, da den Beschwerdeführern mit den angefochtenen Bescheiden bereits subsidiärer Schutz gewährt wurde, sodass die in der mündlichen Verhandlung am 12.12.2017 besprochene Version des Länderinformationsblatts nach wie vor aktuell ist und der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann. Da die Berichte im Länderinformationsblatt auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der schlüssigen Situationsdarstellungen im Herkunftsstaat zu zweifeln. Dasselbe gilt angesichts der Seriosität der UNHCR-Richtlinien.

Die in der Beschwerde vom 25.09.2017 vorgebrachten Anfragebeantwortungen zu Grundstückstreitigkeiten blieben unberücksichtigt, da es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Grundstücksstreitigkeit, sondern um eine Streitigkeit über die Wasserversorgung zwischen den Familien gehandelt hat. Da die Beschwerdeführer, wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, nicht von den Taliban in ihrem Herkunftsstaat verfolgt werden, wurden auch die Möglichkeiten der regierungsfeindlichen Gruppierung, Personen individuell zu verfolgen, nicht berücksichtigt.

Soweit sich Quellen aus der Stellungnahme vom 29.05.2017 auf die allgemeine Situation in Afghanistan beziehen, ergibt sich daraus kein anderes Bild als aus dem Länderinformationsblatt. Hinsichtlich der Anmerkungen von UNHCR-Bericht zur beschriebenen Lage in Afghanistan sind seit Dezember 2016 teilweise Besserungen eingetreten, wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Anzuwendendes Recht und Zuständigkeit

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Paragraph 6, BVwGG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 82 aus 2015,, geregelt (Paragraph eins, leg. cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß Paragraph 34, Absatz 4, AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß Paragraph 16, Absatz 3, BFA-VG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Im gegenständlichen Fall liegt daher ein Familienverfahren gemäß Paragraph 34, AsylG vor.

3.2. Zu A)

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht; vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.3. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK, nicht gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Beschwerdeführer keine persönliche Verfolgungshandlung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft gemacht haben.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, haben die Beschwerdeführer kein konkretes asylrelevantes Fluchtvorbringen erstattet:

3.2.3.1. Zum Vorbringen betreffend die Verfolgungsgefahr durch die Familie von römisch 40 , die Taliban und den Staat ist festzuhalten, dass keine konkrete individuelle Verfolgung der Beschwerdeführer glaubhaft gemacht wurde vergleiche römisch II.2.2.1.).

3.2.3.2. Eine Diskriminierung von BF1 in Bezug auf die Eigenschaft als Frau in Afghanistan konnte nicht aufgezeigt werden vergleiche römisch II.2.2.2.). Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Die Eigenschaft des Frau-Seins führt in der Judikatur alleine an sich nicht zu Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet.

Der Verfassungsgerichtshof führte in diesem Zusammenhang in dem Erkenntnis vom 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9, aus:

"Die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten hängt davon ab, mit welchen Konsequenzen die Asylwerberin aufgrund ihrer Haltung im Herkunftsstaat zu rechnen hat und ob diese als Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sind. Nach einer Stellungnahme des UNHCR von Juli 2003 sollten afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei der Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN). Daraus leitet der VwGH ab, dass einer afghanischen Frau Asyl zu gewähren ist, wenn der von ihr vorgebrachte "westliche Lebensstil" in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionelle Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung droht. Es komme aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob sich eine Asylwerberin den gesellschaftlichen Normen ihres Heimatstaates anzupassen hat oder nicht (VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994; 16.1.2008, 2006/19/0182)."

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass BF1 seit ihrer Einreise im November 2015 keine "westliche" Lebensweise angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der BF1 ist vielmehr gerade zu entnehmen, dass diese keinen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt bzw. bereits pflegt. Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich (z.B. Besuch eines Aerobic-Kurses) die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt zudem dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

BF1 verletzt mit ihrer Lebensweise die herrschenden politischen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

Darüber hinaus vermochte BF1 nicht konkret darzulegen, weshalb sie bei einer Rückkehr geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlichen Traditionen ausgesetzt wäre.

3.2.3.3. Auch bei BF4 war eine selbstbestimmte Lebensweise nicht anzunehmen. Aufgrund ihres jungen Alters und mangels eine entsprechenden Vorbringens ist keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung abzusehen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder einer "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden könnte.

Auch für eine individuelle und konkrete gegen BF4 gerichtete Bedrohung oder Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Mädchen haben sich keine Anhaltspunkte ergeben vergleiche römisch II.2.2.3.).

3.2.3.4. Eine Bedrohung oder Verfolgung von BF3 und BF4 aufgrund ihrer Minderjährigkeit ist nicht zu Tage getreten vergleiche römisch II.2.2.3.).

3.2.3.5. Betreffend die gesundheitlichen Einschränkungen von BF1 (s. römisch eins.1.1.9) stehen auch in Afghanistan Krankenhäuser und Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung (s. Länderfeststellungen) und haben die Beschwerdeführer überdies bereits subsidiären Schutz erhalten.

3.2.4. Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass die Beschwerdeführer in ihrer Heimat in asylrelevanter Weise bedroht oder verfolgt wären, waren die jeweiligen Beschwerden gegen die Spruchpunkte römisch eins. der angefochtenen Bescheide gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu B)

3.3.1. Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, sondern stellt die Entscheidungsfindung ausschließlich das Resultat einer eingehenden Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben der Beschwerdeführer dar.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2018:W249.2163384.1.00