Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

04.09.2017

Geschäftszahl

W189 2165911-1

Spruch

W189 2165914-1/5E

W189 2165911-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde 1.) von römisch 40 und 2.) von römisch 40 , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2017, Zlen. 1.) 1024469900-14778761 und 2.) 102447008-14778788, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005, Paragraph 8, Absatz eins,

AsylG 2005, Paragraph 57, AsylG 2005, Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG, Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG, Paragraph 52, Absatz 9, FPG, Paragraph 46, FPG sowie Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Das Vorbringen der Beschwerdeführer ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. sind diese Mutter und minderjähriger Sohn, weshalb die Entscheidung unter einem abzuhandeln war. Die Beschwerdeführer werden in der Folge als BF1 und BF2 und beide zusammen als die BF bezeichnet.

2. Die BF, Staatsangehörige der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Muslime, reisten nach eigenen Angaben am 09.07.2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten noch am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen BF1 am 10.07.2014 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.

Dabei gab BF1 an, traditionell verheiratet zu sein. Sie habe die Grundschule und von 2003 oder 2004 bis 2010 die Universität in römisch 40 (Fernstudium) besucht. Im Herkunftsstaat würden sich ihr Vater, ein Bruder und eine Schwester aufhalten, ihre Mutter sei bereits verstorben. Ihr Bruder lebe in Österreich. Dieser habe den Flüchtlingsstatus.

Den Herkunftsstaat habe sie mit dem Zug verlassen. Sie sei nach Moskau und von dort zu einer Freundin nach Minsk gereist. Von dort sei sie schlepperunterstützt mit einem LKW bis nach Wien gereist.

Ihren Herkunftsstaat habe sie aufgrund ihres Mannes verlassen. Sie wisse nicht, was dieser gemacht habe. Sie habe diesen im Jahr 2010 traditionell geheiratet und sei dieser im Jahr 2011 verschwunden. Vor ca. sechs Monaten seien die Behörden zu ihr gekommen und hätten sie gefragt, wo ihr Mann sei. Dass habe sie nicht gewusst, weshalb sie von den Behörden unter Druck gesetzt worden sei. Sie habe deshalb die Heimat verlassen müssen. Über eine dritte Person habe ihr ein Freund ihres Mannes, der bei der Polizei tätig sei, mitgeteilt, dass sie das Land verlassen solle, da ihr Leben in Gefahr sei.

Sie gab an, den Verdacht zu hegen, dass ihr Sohn (BF2) an Hepatitis leide.

Für den Fall einer Rückkehr befürchte sie, dass ihr Leben und jenes ihres Sohnes in Gefahr seien.

BF1 brachte ihren Inlandspass in Vorlage.

3. BF1 wandte sich ob der Verfahrensdauer an die Volksanwaltschaft.

4. Am 03.07.2017 wurde BF1 vor dem BFA, RD Oberösterreich, niederschriftlich einvernommen, wo sie erklärte, dass es ihr gesundheitlich gut gehe und sie sich nicht in medizinischer Behandlung befinde.

Auch ihrem Sohn (BF2) gehe es gut. Dieser erhalte Ergotherapie, da er an einer Entwicklungsstörung leide. Ihr Sohn nehme keinerlei Medikamente und sie legte medizinische Unterlagen betreffend ihren Sohn vor.

Befragt, meinte sie, ihr Sohn habe in der Heimat keine Behandlung erhalten. Sie erklärte, dass ihr Sohn im Dezember 2013 in römisch 40 zwei Wochen untersucht worden sei. Es sei die Diagnose gestellt worden, dass ihr Sohn eine Viruserkrankung durchgemacht habe. Sie habe allerdings in der Heimat für ihren Sohn nichts erreicht.

Sie könne ein bisschen Deutsch und spreche im Übrigen Russisch und Tschetschenisch. Sie erklärte, ledig zu sein.

Ihr Bruder römisch 40 ., StA. Russische Föderation, Zl. 821339305/2135195, lebe mit seiner Frau und seinen drei Kindern als anerkannter Flüchtling in Österreich. Ihr Bruder sei arbeitslos und beziehe Sozialhilfe. Von ihrem Bruder werde sie nicht unterstützt bzw. versorgt. Dieser lebe sein eigenes Leben und gebe er ihr manchmal das Fahrtgeld, wenn sie diesen besuche.

Ihr Ehemann heiße römisch 40 geb. Sie habe diesen zuletzt in Tschetschenien im Dezember 2011 gesehen. Sie habe diesen am römisch 40 vor einem Imam in römisch 40 geheiratet. Sie habe in der Folge bis zu dessen Verschwinden mit ihrem Mann in der Eigentumswohnung ihres Mannes in römisch 40 gelebt. Sie habe dort bis Juni 2012 zusammen mit ihrem neugeborenen Sohn gelebt.

Sie sei die Vertreterin ihres Sohnes (BF2). Dieser habe keine Fluchtgründe und ersuchte sie um eine Entscheidung im Familienverfahren.

Ihre Eltern würden aus dem Bezirk römisch 40 stammen, wo sie geboren und aufgewachsen sei. Ihr Sohn sei in römisch 40 zur Welt gekommen.

Abgesehen von ihrem Inlandspass seien alle anderen Unterlagen in römisch 40 und im Elternhaus im Dorf ihrer Eltern im Bezirk römisch 40 , wo ihr Vater lebe und wo sie vor der Ausreise gelebt habe.

Sie habe von 1986 bis 1996 die Grundschule besucht. Im Anschluss daran habe sie in den Jahren 2004 bis 2010 die Universität in römisch 40 besucht und das Studium römisch 40 abgeschlossen. Sie habe jedoch nie in ihrem Beruf als Lehrerin gearbeitet. Sie habe während des Studiums für eine näher bezeichnete Bezirksverwaltung, eine Polizeikanzlei sowie auf einem Militärkommissariat gearbeitet. Sie sei gekündigt worden, nachdem es zu einem Personalabbau gekommen sei. Da ihre Mutter krank geworden sei, habe sie dann nicht mehr gearbeitet, sondern sich um ihre Mutter gekümmert. Am römisch 40 habe sie geheiratet.

Nach ihrem letzten Arbeitstag befragt, meinte sie, dass dieser unmittelbar vor der Ausreise gewesen sei. Nach der Kündigung sei sie ausgereist. Sie habe im Militärkommissariat im Bezirk römisch 40 gearbeitet.

Sie wurde ausführlich zu ihrer Familie im Herkunftsstaat befragt. Ihr Vater lebe in römisch 40 , sei Pensionist und lebe nebenbei von der Landwirtschaft sowie Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten. Sie habe drei Brüder und eine Schwester. Ihr Vater habe zwei Brüder und sechs Schwestern. Ihre Mutter habe vier Brüder und zwei Schwestern.

Weiters wurde die Beschwerdeführerin ausführlich zu den Lebensumständen der Verwandten befragt.

Befragt, wann sie zum ersten Mal daran gedacht habe, ihren Herkunftsstaat zu verlassen, meinte sie, dass es im März oder April 2014 gewesen sei, als ihr Sohn geboren worden sei. Sie habe sich auf die Ausreise vorbereitet. Verlassen habe sie den Herkunftsstaat am 04.07.2014. Sie sei legal nach römisch 40 und von dort nach römisch 40 gereist. Sie habe ihren eigenen Reisepass der Russischen Föderation mit sich geführt.

Die letzte Nacht vor der Ausreise sei sie an ihrer Heimatadresse im Elternhaus gewesen. Davor habe sie in der Wohnung ihres Ehemannes gelebt. Sie sei im Juni/Juli 2012 in ihr Elternhaus zurückgekehrt, da sie es nicht geschafft habe, ihr Kind alleine zu betreuen.

Nach Österreich sei sie gereist, da ihr Bruder hier lebe.

Sie sei nie vor Gericht gestanden und sei im Herkunftsstaat unbescholten.

Nach Problemen mit den Behörden in der Heimat befragt, erklärte sie, von den Behörden in ihrem Heimatland nach dem Verbleib ihres Ehemannes gefragt worden zu sein.

Nach ihr werde im Herkunftsstaat nicht gefahndet oder gesucht.

Sie sei unpolitisch und habe im Herkunftsstaat weder aufgrund ihres Religionsbekenntnisses noch aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt. Sie habe auch keine Probleme mit Privatpersonen gehabt.

Dazu aufgefordert, die Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates zu nennen, gab sie an, dass ihr Mann ein Geheimniskrämer gewesen sei und ihr gesagt habe, er wäre Vorarbeiter. Später habe sie erkannt, dass dieser mit Kadyrow zusammenarbeite und dort in einem Büro beschäftigt sei. Nach ihrem Mann werde gesucht, wobei sie nicht wisse, seit wann nach diesem gesucht werde. Es sei seit ca. Jänner 2012 gewesen. Warum ihr Mann gesucht werde, wisse sie nicht. Dies sei ihr von den Leuten, die ihren Mann gesucht hätten, nicht gesagt worden. Ihr Mann habe ihr im Dezember 2011 gesagt, für drei Wochen nach Moskau zu gehen, um dort zu arbeiten. Er sei aber nicht wieder gekommen.

Befragt, welche konkrete Behörde nach ihrem Mann suche, meinte sie, einmal im März 2013 zur Staatsanwaltschaft geladen worden zu sein. Sie sei dort nach dem Verbleib ihres Mannes gefragt worden. Davor seien mehrfach auch Privatpersonen zu ihr nachhause gekommen und hätten auch nach ihrem Mann gefragt.

Die Mutter und die Schwester ihres Mannes würden in römisch 40 leben, dessen Vater sei verstorben und dessen Bruder lebe in Deutschland.

Diese seien ebenso zum Verbleib ihres Mannes befragt worden. Seine Schwester habe gesagt, dass sie nicht wüsste, wo ihr Bruder geblieben sei. Diese habe gesagt, sie wolle in Ruhe gelassen werden, wobei dem auch entsprochen worden sei. Die Schwester ihres Mannes sei dann nicht mehr befragt worden. Ihre Schwägerin habe zumindest nichts mehr gesagt, dass sie weiter befragt worden wäre.

Sie selbst sei zuletzt im März 2013 nach dem Verbleib ihres Mannes befragt worden. Dann sei auch sie nicht mehr befragt worden. Dann habe sie der Leiter der Bezirkspolizei für Innere Angelegenheiten vorgeladen. Dies sei im Mai 2013 gewesen und sei sie lediglich inoffiziell befragt worden. Die Sache habe sich dann beruhigt und habe sie nichts mehr gehört.

Eine Person namens römisch 40 habe ihr dann gesagt, sie solle ausreisen. Dies sei im März/April 2014 gewesen. Sie habe dann ihre Ausreise nach Österreich geplant, da sie hier ihren Bruder habe. Befragt, warum ihr dies gesagt worden sei, meinte sie, dass römisch 40 früher einmal ihr Vorgesetzter gewesen sei.

Andere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates gebe es nicht.

Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte sie, wiederum befragt zu werden, wo ihr Mann verblieben sei. Ihr Mann sei noch nicht aufgetaucht. Sie sei geschieden und erklärte sie, im Islam gelte man als geschieden, wenn man drei Monate nicht zusammenlebe.

Sie erklärte, dass man wahrscheinlich annehme, dass ihr Mann in Syrien sei. In der Heimat nehme man an, dass auch sie in Syrien sei.

Zu ihrem Aufenthalt in Österreich befragt, erklärte sie, dass sie ihren Sohn hier habe und auch ihr Bruder in Österreich lebe. Sie beziehe mit ihrem Sohn eine Asylunterkunft.

Private Interessen in Österreich habe sie keine. Sie sei in keinen Vereinen tätig. Sie besuche Deutschkurse, arbeite nicht und lebe von der Grundversorgung und besuche alle zwei Wochen eine Mütterrunde (Mutter-Kind-Kaffee).

Sie sei in Österreich unbescholten und verfüge in Österreich über keine Vermögenswerte.

Zu ihren Zukunftsvorstellungen für Österreich befragt, meinte sie, hier weiter leben zu wollen. Sie wolle medizinische Betreuung für ihren Sohn.

BF1 wurden aktuelle Länderinformationen zum Herkunftsstaat vorgehalten und dessen Inhalt erörtert. Sie erklärte, auf eine schriftliche Stellungnahme hiezu zu verzichten und kein Interesse an diesen zu haben.

BF1 legte im Zuge der Einvernahme nachfolgende Unterlagen vor:

* Leistungsbescheid der römisch 40 über Allgemeine Förderung vom 29.03.2017 (BF2);

* Prüfungsbestätigung samt Zeugnis Deutsch Niveau A1 des römisch 40 vom 16.02.2017 (BF1);

* Teilnahmebestätigung Deutschkurs vom 06.03.2017 (BF1);

* Kurzarztbrief, Arztbrief, Laborbefund, Neuropathologischer Befund der römisch 40 über Untersuchungen im Mai 2015 (BF2);

* Ambulanzbefunde des römisch 40 vom 13.05.2015, 27.08.2015, 03.11.2015, 12.01.2016, 08.03.2016, 22.06.2016, 20.07.2016, 09.09.2016, 25.01.2017 und 28.04.2017 (BF2);

* Ambulante Krankengeschichtsblätter des römisch 40 vom 05.10.2016 und vom 16.11.2016 (BF2);

* Arztbrief des römisch 40 vom 15.12.2016 (BF2);

* Pathologiebefund der römisch 40 vom 10.06.2015 (BF2) sowie

* Arztbrief des Klinikums römisch 40 vom 24.11.2015 (BF2).

5. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 05.07.2017 wurden unter Spruchteil römisch eins. die Anträge auf internationalen Schutz der BF vom 09.07.2014 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil römisch II. gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen.

Unter Spruchteil römisch III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen. Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Russische Föderation gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei.

In Spruchpunkt römisch IV. wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Volksgruppe und Religionszugehörigkeit der BF wurden ebenso festgestellt wie deren Identität. Das Vorbringen von BF1 – welches auch für BF2 mangels eigener Verfolgungsgründe gelte – sei glaubhaft, jedoch nicht als Verfolgung zu werten.

Auch sonst hätten keine asylrelevanten Verfolgungsgründe iSd. GFK festgestellt werden können.

Schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden nicht festgestellt. BF1 sei gesund und BF2 leide an einer Entwicklungsstörung, die jedoch keine schwere oder lebensbedrohliche Erkrankung darstelle. Entwicklungsstörungen seien auch in der Russischen Föderation behandelbar und dort werde auch die Ergotherapie angeboten.

Eine ihre Existenz bedrohende Notlage im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wurde für die BF nicht festgestellt.

Nach Wiedergabe von Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat wurde beweiswürdigend dargelegt, dass der von BF1 dargelegte Konventionsgrund mit keinem der in der GFK genannten Konventionsgründe in Zusammenhang stehe.

BF1 verfüge über eine fundierte Ausbildung und würden die BF im Herkunftsstaat über familiären Anschluss verfügen.

Aufgrund der Ausführungen von BF1 ergebe sich, dass diese an keinen behandlungsbedürftigen Erkrankungen leide. Aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen betreffend ihren Sohn ergebe sich auch für diesen keine behandlungsbedürftige Erkrankung. Dieser benötige keine Medikamente und bedürfe lediglich der Ergotherapie, die in der Russischen Föderation verfügbar sei.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt römisch eins. ausgeführt, dass im Vorbringen von BF1 nichts zu erkennen gewesen sei, was auf eine Verfolgungsgefahr hindeuten könnte. Auch die Feststellungen zu den Rückkehrfragen würden eindeutig zeigen, dass eine unmenschliche Behandlung aus Gründen der Asylantragstellung in Österreich nicht drohe.

Auch aus allfälligen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt im Herkunftsstaat seien keine Verfolgung oder unmenschliche Behandlung abzuleiten. Dies gelte auch für den minderjährigen BF2, für den BF1 keine eigenen Verfolgungsgründe vorgetragen habe.

Zu Spruchpunkt römisch II. wurde ausgeführt, dass den BF im Herkunftsstaat – auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes von BF2 – keine Gefahr einer Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung drohe.

So seien im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in die Heimat in eine lebensbedrohende Notlage geraten würden. Als soziales Auffangnetz würde die große Familie zur Verfügung stehen. Auch sei es ihr zumutbar, Unterstützung von Seiten humanitärer Organisationen in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass BF1 arbeitsfähig sei und somit ihren Unterhalt zumindest mit Gelegenheitsjobs finanzieren könnte.

Zumal BF1 für sich und BF2 keine Fluchtgründe vorgetragen habe, erkannte das BFA einer Beschwerde gegen seine Entscheidungen die aufschiebende Wirkung ab.

6. Gegen diese Bescheide wurde in einem gemeinsamen Schriftsatz fristgerecht am 20.07.2017 Beschwerde erhoben und diese in vollem Umfang angefochten, wobei der Verein Menschenrechte Österreich zur Vertretung im Verfahren bevollmächtigt wurde (Vollmacht vom 07.07.2017. Außerdem wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß Paragraph 17, BFA-VG gestellt.

Begründend wurde ausgeführt, dass BF1 sowohl in der Erstbefragung als auch im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA ausgeführt habe, Probleme wegen ihrem Ehemann bekommen zu haben. Der Ehemann sei gesucht worden und sei BF1 aus diesem Grund mehrmals von fremden Personen aufgesucht worden und habe diesbezüglich auch eine Vorladung von der Staatsanwaltschaft erhalten, zumal angenommen worden sei, dass sich der Ehemann und Kindesvater in Syrien aufhalten könnte. BF1 habe zunehmend Angst bekommen und sich unter Druck gesetzt gefühlt, weil nach ihrem Ehemann intensiv gesucht worden sei und sie diesbezüglich keine Auskunft geben habe können, da sie keinerlei Informationen gehabt habe. Sie habe vor dem BFA auch ausgeführt, dass ihr Mann ein Geheimniskrämer gewesen sei, der sie zunächst im Glauben gelassen habe, als Vorarbeiter zu arbeiten. Später habe sie vermutet, dass dieser mit Kadyrov zusammenarbeiten würde, was offensichtlich nicht stimmen könne, da die Vermutung im Raum gestanden sei, dass er sich in Syrien aufhalten könnte. Anzumerken sei, dass gegen IS Kämpfer, die aus den Krisengebieten in Syrien kommen würden, jedenfalls strafrechtlich vorgegangen werde. Hier wurde auf die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid über die Legalisierung der Bestrafung von Familien von Terrorverdächtigen verwiesen.

BF1 sei erst drei Jahre nach der Erstbefragung ausführlich einvernommen worden und sie wäre beim Ausbleiben asylrelevanter Antworten gerne bereit gewesen, an der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken. Weitere Nachfragen seien jedoch nicht erfolgt und seien auch keine Ermittlungen geführt worden, obwohl BF1 Recherchen im Herkunftsstaat zugestimmt habe.

Hingewiesen wurde auf die überlange Verfahrensdauer erst nach Beschwerde bei der Volksanwaltschaft. Sie habe im Vertrauen darauf, dass ihr Asylverfahren aufgrund der übermäßig langen Verfahrensdauer in Österreich zu einem positiven Abschluss komme, in den letzten drei Jahren intensive Integrationsschritte gesetzt. Sie sei mit ihrem Sohn sehr gut in der Wohnsitzgemeinde integriert, nehme am öffentlichen Gemeindeleben aktiv teil, organisiere sich den Alltag eigenständig und habe bereits gute A2 Deutschkenntnisse. Sie besuche im Wohnort alle zwei Wochen ein römisch 40 , um sich mit anderen Müttern auszutauschen. Es würden zudem gemeinsame Ausflüge organisiert werden. Anzumerken sei, dass BF1 aufgrund des pflegebedürftigen Sohnes derzeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könne. BF1 sei eine westlich orientierte Frau, identifiziere sich mit den westlichen Werten und Anschauungen und dem westlichen Frauenbild und trage demnach auch kein Kopftuch. Aufgrund der im Laufe der Jahre entwickelten persönlichen, kulturellen und sozialen Integration würde eine Abschiebung von BF1 in die Russische Föderation den Bestimmungen der EMRK widersprechen. Angemerkt wurde, dass die Behörden in Tschetschenien weiterhin verlangen würden, dass Frauen auf öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen würden. Im Übrigen wurde auf die Länderinformationen im angefochtenen Bescheid über die schwierige Lage von alleinstehenden Frauen in Tschetschenien verwiesen.

Für alleinstehende Frauen mit Kindern sei das Leben in Tschetschenien massiv eingeschränkt. Hinzu komme, dass BF2 aufgrund der Erkrankung Muskeldystrophie Typ Duchenne zudem intensive Betreuung, Therapien und medizinische Versorgung benötige. Eine Abschiebung nach Tschetschenien würde jedenfalls eine massive Verletzung von Artikel 3 und Artikel 8, EMRK bedeuten.

Die belangte Behörde habe sich bezüglich der von BF1 gesetzten Integrationsschritte in keinerlei Hinsicht auseinandergesetzt und sei auch aus diesem Grund das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet.

Es wurde die Erkrankung von BF2 – Muskeldystrophie Typ Duchenne – näher beschrieben. Der schwer erkrankte BF2 erhalte in Österreich derzeit die notwendige Therapie und medizinische Behandlung. Es sei bereits ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vorgelegt worden. Festzuhalten sei, dass gezielte Therapien aus medizinischer Sicht zur Erlernung und Erhaltung notwendiger Bewegungsabläufe, sowie als Korrektur der Muskelschwäche dringlich erforderlich seien. Festzuhalten sei, dass die Weiterführung der angesprochenen medizinischen Behandlung bei Abschiebung in den Herkunftsstaat keinesfalls gewährleistet sei.

Über den derzeitigen Gesundheitszustand von BF2 seien im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen getroffen worden. Auf die aktuellen aktenkundigen ärztlichen Befunde sei das BFA nicht eingegangen und habe bei ihm lediglich eine Entwicklungsstörung festgestellt und verneint, dass BF2 an einer schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung leide. Die belangte Behörde habe sich demnach lediglich rudimentär mit dem Gesundheitszustand von BF2 auseinandergesetzt und sich dabei um die Möglichkeit gebracht, beurteilen zu können, ob eine Abschiebung von BF2 im Hinblick auf Artikel 3, EMRK möglich sei. Aufgrund der bekannten gesundheitlichen Probleme wäre die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens angezeigt gewesen. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat auseinandergesetzt.

Im Übrigen habe die belangte Behörde ihre amtswegigen Ermittlungspflichten verletzt.

Auch habe sich die belangte Behörde in den Bescheiden auf allgemein formulierte standardisierte Textbausteine gestützt und wurde als Indiz dafür angeführt, dass an zwei Stellen im Bescheid offenbar Daten enthalten sind, die nicht die BF betreffen würden.

Im Übrigen sei die Verpflichtung zur Bescheidbegründung verletzt worden.

Es wurde beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, da BF1, entgegen der Ansicht der Erstbehörde, sehr wohl Verfolgungsgründe vorgebracht habe und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde. Beantragt wurde auch die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, damit BF1 ihre Fluchtgründe noch einmal vor unabhängigen RichterInnen persönlich schildern und glaubhaft machen könne.

Mit der Beschwerde wurden – soweit nicht bereits in der Einvernahme vor dem BFA in Vorlage gebracht – vorgelegt:

* Deutschkursbesuchsbestätigung (BF1) sowie

* Kurzarztbrief des Kepler Universitätsklinikums vom 13.07.2017 (BF2).

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und dem BFA, die vorgelegten medizinischen Unterlagen betreffend BF2, die Unterlagen zu integrativen Aspekten betreffend BF1, den Inlandspass von BF1, die Beschwerde vom 20.07.2017, durch Einsichtnahme in die die vom BFA vorgehaltenen Länderinformationen zum Herkunftsstaat, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS und IZR betreffend die BF sowie in einen Auszug aus dem IZR betreffend den Bruder von BF1.

1. Feststellungen:

Feststellungen zu den BF:

Die BF sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe und dem moslemischen Glauben zugehörig.

Die Identität der BF steht aufgrund des vorgelegten Personaldokumentes in Zusammenhalt mit dem glaubwürdigen Vorbringen von BF1 fest.

BF1 stellte für sich und ihren minderjährigen Sohn (BF2) nach illegaler Einreise am 09.07.2014 Anträge auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Russischen Föderation respektive in Tschetschenien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität – oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität – in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die BF an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation respektive Tschetschenien iSd. Artikel 3, EMRK unzulässig machen würden.

Die BF halten sich nach illegaler Einreise seit Juli 2014 – und damit drei Jahre und zwei Monate – durchgehend im Bundesgebiet auf.

Die BF leben in Österreich in einem Asylquartier von der Grundversorgung. BF1 weist Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 auf, besucht ein Mutter-Kind-Kaffee und kümmert sich um den minderjährigen BF2. Sie ist kein Mitglied in Vereinen, betätigen sich nicht ehrenamtlich, übt keine legale Beschäftigung aus und geht keiner Aus-, Fort- oder Weiterbildung nach.

BF1 ist unbescholten, BF2 strafunmündig.

Im Bundesgebiet hält sich der Bruder/Onkel der BF mit dessen Frau und Kindern als anerkannter Flüchtling auf. Mit diesem leben sie nicht im gemeinsamen Haushalt, werden nicht finanziell unterstützt und wurde auch sonst kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis vorgetragen.

Im Herkunftsstaat lebt die Großfamilie der BF, und haben sich die BF bis zur Ausreise im Elternhaus aufgehalten.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:

1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 30.1.2017 in das LIB Russische Föderation übernommen.

Das russische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Strafen bei häuslicher Gewalt stark verringert. Das Gesetz reduziert die Strafen bei Ersttätern, wenn die Gewalt nicht zu schweren Verletzungen führt. Bislang waren dafür Strafen von bis zu zwei Jahren Gefängnis vorgesehen, nun sollen nur noch Geldstrafen gelten. Wer in Russland seine Frau, Kinder oder andere Angehörige verprügelt, wurde bislang mit Haft von bis zu zwei Jahren bestraft.

Nun soll sich das ändern: Gewalt wird nicht mehr als Straftat behandelt, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit gewertet. Eine härtere Strafe soll nur dann verhängt werden, wenn die Schläge mehr als einmal im Jahr vorkommen, Blutergüsse sichtbar sind oder Knochen brechen. Für die Opfer wird es daher schwierig, Beweise vorzulegen. Und es dürfte schwerer werden, die Täter zu bestrafen (Welt 27.1.2017, vergleiche Standard 27.1.2017).

Nach Angaben der russischen Regierung aus dem Jahr 2013 geschehen rund 40% der Körperverletzungen innerhalb der eigenen vier Wände. Etwa 36.000 Frauen leiden in Russland jeden Tag unter den Schlägen ihrer Männer, 26.000 Kinder werden täglich von ihren Eltern misshandelt. Knapp alle 40 Minuten kommt eine Frau durch häusliche Gewalt ums Leben, insgesamt sterben deswegen pro Jahr in Russland etwa 12.000 Frauen an den Folgen der Gewalt. Viele Fälle werden nicht bekannt, denn Opfer wollen nicht darüber sprechen (Welt 27.1.2017).

Im Sommer vergangenen Jahres wurde der Vorschlag der Duma vorgelegt. Auch in der dritten Lesung wurde das Gesetz von 380 der 383 anwesenden Abgeordneten angenommen. Nun muss es nur noch vom Föderationsrat genehmigt werden. Bevor das Gesetz in Kraft tritt, muss es routinemäßige von Präsident Wladimir Putin abgesegnet werden. Doch dies ist nur ein formaler Akt. Der Kreml hatte bereits angekündigt, dass er den Entwurf unterstütze (Welt 27.1.2017, vergleiche Standard 27.1.2017).

Quellen:

http://derstandard.at/2000051629659/Russland-Eine-Tracht-Pruegel-pro-Jahr-und-Haushalt-ist-kuenftig, Zugriff 30.1.2017

https://www.welt.de/politik/ausland/article161587829/Seine-Frau-zu-verpruegeln-ist-in-Russland-keine-Straftat-mehr.html, Zugriff 30.1.2017

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 11.1.2017 in das LIB Russische Föderation übernommen.

Russland erweitert zum Jahreswechsel seinen Strafenkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" – in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet – und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben – vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vergleiche auch Standard 10.1.2017).

650.000 Menschen sitzen in Russland hinter Gittern, das ist absolut und prozentuell die zweithöchste Zahl an Strafgefangenen in den entwickelten Industrieländern. Übertroffen wird Russland in dieser Statistik nur von den USA. Doch während die Gesamtzahl in Russland immerhin rückläufig ist – in den letzten zehn Jahren ist sie um ein Viertel gesunken – stieg die Zahl der Rezidivisten auf ein Allzeithoch. Fast jeder zweite Strafgefangene in Russland ist Wiederholungstäter. Die Strafe soll vor allem für Ersttäter und bei geringeren Vergehen – maximale Haftstrafe bis zu fünf Jahre – angewendet werden. Die Verurteilten sind weniger isoliert und geraten auch nicht mehr in die Abhängigkeit krimineller Autoritäten, so das Konzept. Daneben gibt es noch andere Beweggründe für die Einführung: So könne der Staat die Straftäter zur Arbeit dort einsetzen, wo sie gebraucht würden und behält parallel auch noch einen Teil des Lohns zur Tilgung des Schadens ein, den der Verurteilte verursacht habe, erklärte Nwer Gasparjan, Berater der Anwaltskammer in Russland. Genaue Angaben dazu, welche Arbeiten die Verurteilten ausführen müssen, gibt es freilich nicht. In der Diskussion steht, dass sie für Begrünungs- oder Reinigungsarbeiten in den Städten eingesetzt werden. Das Gulag-System zur Ausbeutung von Gefangenen zur schweren körperlichen Arbeit soll jedenfalls nicht wiederbelebt werden (Handelsblatt 2.1.2017; vergleiche auch Standard 10.1.2017).

Quellen:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen.

Russlands Oberster Gerichtshof hat das Urteil aus dem "Kirowles-Prozess" gegen den Oppositionellen Alexej Nawalny aufgehoben. Nawalny war 2013 wegen angeblicher Veruntreuung zum Schaden des Holzbetriebs Kirowles zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ein Mitangeklagter, der Unternehmer Pjotr Ofizerow, erhielt vier Jahre. Beide Urteile wurden kurz darauf in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Nawalny, der den Prozess stets als politisch motiviert bezeichnete, hatte im Februar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit seiner Klage Erfolg. Der EGMR rügte das Urteil als "willkürlich" und "von politischer Natur" und verurteilte Russland zu Kompensationszahlungen. Auf der Grundlage dieses Richterspruchs hat nun das Oberste Gericht in Russland reagiert und "im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen" eine Neuverhandlung angeordnet. Nawalny selbst hatte eine Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens gefordert. Ein Teilziel hat der Oppositionspolitiker trotzdem erreicht. Theoretisch kann er nun wieder bei der Präsidentschaftswahl 2018 antreten. Die zwei anderen Vorstrafen, die er hat – eine in einem ähnlich gelagerten Fall um den Kosmetikkonzern Yves Rocher und eine wegen Verleumdung – gelten als geringfügig und behindern seine Kandidatur nicht. Nawalnys Chancen bei einem Antritt wären jedoch gering. Jüngsten Umfragen zufolge wünschen sich 63 Prozent der Russen, dass Wladimir Putin bis (mindestens) 2024 weitermacht. Der russische Präsident hat zugleich mit seinem neuen Ukas [Präsidentenerlass] Russland weiter von der internationalen Rechtsprechung abgekoppelt. Hat die Duma erst jüngst wieder – auch aufgrund der vielen für Moskau ärgerlichen Vorschriften des EGMR – den Vorrang nationalen Rechts vor internationalem eingeführt, so verabschiedet sich Russland nun auch endgültig vom Projekt des Internationalen Strafgerichtshofs. Moskau lehnt Den Haag ab. Der Kreml übt seit Längerem scharfe Kritik am Gericht in Den Haag. Moskau hatte kurz nach Amtsantritt Putins anno 2000 zwar die Vereinbarung über die Beteiligung am Internationalen Gerichtshof unterzeichnet, das Papier aber nie ratifiziert. Putin hat nun endgültig das Statut des Haager Strafgerichts gekündigt. Moskau erkennt damit dessen Urteile nicht mehr an. Auslöser der Entscheidung dürfte ein gerade erschienener Bericht des Gerichtshofs über die Ereignisse auf der Krim und im Donbass-Gebiet gewesen sein. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda qualifizierte dort den russischen Anschluss der Krim als bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Auch die Krise im Donbass weise Anzeichen eines internationalen bewaffneten Konflikts auf, so Bensouda. (Standard 16.11.2016, vergleiche FAZ 16.11.2016).

Quellen:

http://derstandard.at/2000047679523/Oberstes-Gericht-erleichtert-Nawalny-um-eine-Vorstrafe, Zugriff 17.11.2016

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 21.9.2016 in das LIB RUSS übernommen.

Bei der Parlamentswahl (Duma) am 18.9.2016 konnte die Regierungspartei Einiges Russland eine Dreiviertelmehrheit auf sich vereinen. Knapp über 54 Prozent der Wählerstimmen konnte die Partei Einiges Russland auf sich vereinigen, die absolute Mehrheit schlägt sich jedoch noch stärker bei der Sitzverteilung im Unterhaus der Föderalen Versammlung nieder. Durch ein Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ziehen insgesamt 343 Abgeordnete – mehr als je zuvor – für Einiges Russland in die Staatsduma ein: 140 Abgeordnete über die Parteiliste und zusätzliche 203 über Direktmandate. Von den verbleibenden 107 Sitzen gingen 42 Mandate an die Kommunistische Partei (KPRF), 39 Mandate an die nationalistische Liberal-Demokratische Partei (LDPR) und 23 Mandate an die Partei Gerechtes Russland. Keine andere Partei schaffte es, über die Fünf-Prozent-Einzugshürde zu kommen. Durch Direktmandate ziehen außerdem ein Kandidat der rechtspopulistischen Partei "Rodina" (Heimat), ein Kandidat der Partei "Graschdanskaja Platforma" (Bürgerplattform) und der einzige unabhängige Kandidat, Waldislaw Resnik, in die Staatsduma ein. Letzterer wird aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Regierungspartei Einiges Russland von zahlreichen kritischen Medien de facto zu den Mandaten von Einiges Russland hinzugerechnet (Standard 20.9.2016).

In der neuen Duma werden somit vier Parteien vertreten sein: Einiges Russland mit der Mehrheit der Sitze sowie die systemische Opposition bestehend aus der Kommunistischen Partei, der LDPR und Gerechtes Russland. Unter systemischer Opposition sind die Parteien gemeint, die in der Duma vertreten sind, mehrheitlich mit der Regierungspartei stimmen, ihre Politik eng mit dem Kreml abstimmen und damit keine reale Opposition darstellen. Damit hat Einiges Russland gegenüber 2011 sogar noch einmal zugelegt. Die echte

Opposition ist dagegen chancenlos geblieben: Einerseits wurde ihre Führung und insbesondere der ursprünglich gemeinsame Kandidat Michail Kasjanow im Vorfeld diskreditiert. Anderseits sind die Führer der Opposition so stark zerstritten, dass mehrere Parteien angetreten sind und sich gegenseitig die wenigen Stimmen abgenommen haben. Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas sind nicht annähernd an die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Neben der Diskreditierung von Kandidaten dieser Parteien fehlte ihnen auch der Kontakt zur Bevölkerung. Die Kompromisslosigkeit ihres Führungspersonals sowie das Fehlen neuer, unverbrauchter Persönlichkeiten bestätigen nur die tiefe Krise und Irrelevanz der nicht-systemischen Opposition. Die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent im Landesdurchschnitt und unter 30 Prozent in Moskau und Sankt Petersburg zeigt, wie wenig die Parteien Wähler motivieren konnten, und schwächt die Legitimität der zukünftigen Duma. Das war letztlich von der politischen Führung in Kauf genommen worden, um die Wahl unter Kontrolle zu haben. Eine Mehrheit für Einiges Russland in der Duma ist letztlich zweitrangig, da mit der systemischen Opposition ausschließlich Parteien im Parlament vertreten sind, die alle vom Kreml initiierten Gesetzesprojekte durchbringen können (Zeitonline 19.9.2016).

Quellen:

http://derstandard.at/2000044645415/Was-die-Dreiviertelmehrheit-der-Kremlpartei-fuer-Russland-bedeutet, Zugriff 21.9.2016

2. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 22.3.2016, vergleiche GIZ 3.2016c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Mit 238 von 450 Sitzen verfügt die Partei 'Einiges Russland' über eine absolute Mehrheit in der Staatsduma. Bei der Wahl am 4. Dezember 2011 wurde die Staatsduma erstmals für eine verlängerte Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Alle Abgeordneten wurden ausnahmslos über Parteilisten nach dem Verhältniswahlrecht mit einer Sieben-Prozent-Hürde gewählt. Neben 'Einiges Russland' sind aktuell die Kommunisten mit 92 Sitzen, die formal linksorientierte Partei 'Gerechtes Russland' mit 64 Sitzen und die 'Liberaldemokraten' des Rechtspopulisten Schirinowski mit 56 Sitzen in der Staatsduma vertreten. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Duma-Wahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Ab der nächsten Wahl soll die Hälfte der Abgeordneten mittels relativer Mehrheitswahl in Einpersonen-Wahlkreisen (also in Wahlkreisen, in denen jeweils ein Kandidat/eine Kandidatin gewählt wird) bestimmt werden. Es soll wieder die Fünf-Prozent-Hürde gelten. Die nächste Duma-Wahl soll am 18. September 2016 stattfinden (AA 3.2016a, vergleiche GIZ 4.2016a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden am 13. September 2015 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten (AA 3.2016a).

Angesichts einer zunehmenden internationalen Isolierung des Landes und wachsender wirtschaftlicher Probleme war die russische Regierung 2015 bemüht, die Bevölkerung auf Begriffe wie Einheit und Patriotismus einzuschwören, "traditionelle Werte" zu betonen und Angst vor angeblichen inneren und äußeren Feinden des Landes zu schüren. Meinungsumfragen zufolge traf Präsident Wladimir Putin mit seiner Art, das Land zu führen, unverändert auf breite Zustimmung. Regierungskritiker wurden in den Massenmedien als "unpatriotisch" und "anti-russisch" verunglimpft und gelegentlich auch tätlich angegriffen. Am 27.2.2015 wurde Boris Nemzow, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes, in Sichtweite des Kremls erschossen. Trauernde Menschen, die am Tatort an ihn erinnern wollten, wurden von den Moskauer Behörden und Regierungsanhängern schikaniert. Die Regierung stritt die immer zahlreicheren Beweise für eine militärische Beteiligung Russlands in der Ukraine weiterhin ab. Im Mai 2015 erklärte Präsident Putin per Erlass alle Verluste der russischen Armee bei "Spezialeinsätzen" in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis. Bis November 2015 hatten sich amtlichen Schätzungen zufolge 2700 russische Staatsbürger, die zum Großteil aus dem Nordkaukasus stammten, in Syrien und im Irak der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Unabhängige Experten nannten höhere Zahlen. Am 30.9.2015 begann Russland mit Luftangriffen in Syrien, die nach offiziellen Angaben den IS treffen sollten, sich häufig aber auch gegen andere Gruppen richteten, die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ablehnten. Meldungen über zahlreiche zivile Opfer der Luftangriffe wurden von der russischen Regierung bestritten. Am 24.11.2015 schoss die Türkei ein russisches Kampfflugzeug ab, das in den türkischen Luftraum eingedrungen sein soll. Der Vorfall löste gegenseitige Schuldzuweisungen aus und führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern (AI 24.2.2016).

Quellen:

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 7.4.2016

2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl – 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) – ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vergleiche RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 – nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grozny durchgeführt hatten – forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung (AA 5.1.2016).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, vergleiche Ria Novosti 5.12.2012, ICG 6.9.2013).

Quellen:

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 7.4.2015

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 7.4.2016

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 7.4.2016

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 7.4.2016

3. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).

Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das »Kaukasus-Emirat«, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien – so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).

Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden. Laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) sind davon 1.000 Personen betroffen. Zusätzlich wurden 770 Aufständische und ihre Komplizen inhaftiert und 156 Kämpfer wurden im Nordkaukasus 2015 getötet, einschließlich 20 von 26 Anführern, die dem IS die Treue geschworen hatten. Mehr als 150 Rückkehrer aus Syrien und dem Irak wurden zu Haftstrafen verurteilt. 270 Fälle wurden eröffnet, um vermeintliche Terrorfinanzierung zu untersuchen; 40 Rekrutierer sollen allein in Dagestan verhaftet und verurteilt worden sein. Vermeintliche Rekrutierer wurden verhaftet, da sie Berichten zufolge junge Personen aus angesehenen Familien in Tschetschenien, aber auch aus Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, der Stavropol Region und der Krasnodar Region für den IS gewinnen wollten (ICG 14.3.2016).

Quellen:

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, Sitzung 16-18, Zugriff 1.6.2016

http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=44288&tx_ttnews%5BbackPid%5D=27&cHash=e1581c2f53e999f26a5cc0261f489d38, Zugriff 1.6.2016

https://www.opendemocracy.net/regis-gente/is-this-end-of-caucasus-emirate, Zugriff 1.6.2016

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 1.6.2016

http://www.zeit.de/news/2015-04/20/russland-islamistischer-rebellenfuehrer-kebekow-im-nordkaukasus-getoetet-20222007, Zugriff 1.6.2016

3.1. Nordkaukasus allgemein

Die patriotische Begeisterung, mit der in Russland die Annexion der Krim einherging, rückte die Sicherheitslage im Nordkaukasus in ein trügerisch positives Licht. Dieser Landesteil ragt in der nachsowjetischen Periode aus dem regionalen Gefüge der Russischen Föderation wie kein anderer hervor, bedingt durch die zwei Kriege in Tschetschenien, anhaltende Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einem bewaffneten islamistischen Untergrund in weiteren Teilen der Region sowie mannigfache sozial-ökonomische Probleme. Bis vor kurzem rangierte der Nordkaukasus in der Gewaltbilanz des gesamten post-sowjetischen Raumes an oberster Stelle, fielen den bewaffneten Auseinandersetzungen doch jährlich mehrere Hundert Menschen zum Opfer – Zivilisten, Sicherheitskräfte und Untergrundkämpfer. 2014 wurde der Nordkaukasus in dieser Hinsicht von der Ostukraine überholt. Zugleich stufen auswärtige Analysen die Sicherheitslage im Nordkaukasus aber weiterhin mit ‚permanent low level insurgency‘ ein. Im Unterschied zum Südkaukasus mit seinen drei unabhängigen Staaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) haben externe Akteure und internationale Organisationen kaum Zugang zum Nordkaukasus, dessen Entwicklung als innere Angelegenheit Russlands gilt (SWP 4.2015).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.

Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA 5.1.2016).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch. In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).

Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar, sowie die Extremisten im Nordkaukasus, die ihre Loyalität gegenüber dem IS bekundet haben. Der Generalsekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats Nikolai Patrushev sprach von rund 1.000 russischen Staatsangehörigen, die an der Seite des IS kämpfen würden, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Alexander Bortnikov hingegen sprach von mehreren Tausend Kämpfern). Laut einem rezenten Bericht der regierungskritischen Zeitschrift "Novaya Gazeta" nehmen die russischen Sicherheitsdienste diese Abwanderung nicht nur stillschweigend zur Kenntnis, sondern unterstützen sie teilweise auch aktiv, in der Hoffnung, die Chance auf eine Rückkehr der Extremisten aus den Kampfgebieten in Syrien und dem Irak zu reduzieren. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresbeginn 2015 liefen rund 60 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf Artikel 58, StGB (Teilnahme an einer terroristischen Handlung), Artikel 205 Punkt 3, StGB (Absolvierung einer Terror-Ausbildung) und Artikel 208, StGB (Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme in ihr). Im nordkaukasischen Kreismilitärgericht wurde Ende August 2015 ein 26-jähriger Mann aus Dagestan wegen Absolvierung einer Terror-Ausbildung, Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppierung und illegalen Waffenbesitzes zu 14 Jahren Straflager verurteilt. Der Nordkaukasus ist und bleibt trotz anhaltender politischer wie wirtschaftlicher Stabilisierungsversuche ein potentieller Unruheherd innerhalb der Russischen Föderation. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Extremisten, teils ohne Rücksicht auf Verluste innerhalb der Zivilbevölkerung, trägt zur Bildung neuer Konflikte und Radikalisierung der Bevölkerung bei. Das Risiko einer Destabilisierung steigt darüber hinaus aufgrund der allfälligen Rückkehr von Kämpfern aus Syrien und dem Irak bzw. aufgrund des steigenden Einflusses des IS im Nordkaukasus selbst (ÖB Moskau 10.2015).

Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 525 Opfer). 209 davon wurden getötet (2014: 341), 49 verwundet (2014: 184) (Caucasian Knot 8.2.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

Quellen:

http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35530/, Zugriff 1.6.2016

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 25.5.2016

3.2. Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

2015 gab es in Tschetschenien 30 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 117), davon 14 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 8.2.2016).

Im Dezember 2014 ist Tschetschenien von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014).

Quellen:

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/tote-bei-gefechten-in-grosny-1.18438064, Zugriff 1.6.2016

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 1.6.2016

4. Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (rund 1 %) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus resultierenden Konfrontation mit dem Westen laufen in Russland mehrere politisch motivierte Prozesse gegen ausländische Staatsangehörige (z.B. die ukrainische Pilotin Nadja Savchenko), die in einigen Fällen (z.B. ukrainischer Regisseur Oleg Sentsov oder estnischer Sicherheitsbeamter Eston Kohver) bereits zu Verurteilungen geführt haben und an der Unabhängigkeit der russischen Justiz von der Politik zweifeln lassen. Gleichzeitig ist ein Anstieg der Anklagen wegen Hochverrats gegen russische Staatsangehörige zu beobachten. Diese Prozesse finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und nur wenige Informationen geraten in die Medien (ÖB Moskau 10.2015, vergleiche AA 5.1.2016).

Mehrere aufsehenerregende Prozesse machten 2015 die gravierenden und weit verbreiteten Mängel der russischen Strafjustiz deutlich. Dazu zählten Verstöße gegen den Grundsatz der "Waffengleichheit" und der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen in der Ermittlungsphase. Außerdem wurden unter Folter erpresste "Geständnisse", Aussagen geheimer Zeugen und andere geheime Beweise, die die Verteidigung nicht anfechten konnte, vor Gericht zugelassen und Angeklagten das Recht auf einen Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert. Weniger als 0,5% der Verfahren endeten mit einem Freispruch (AI 24.2.2016).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vergleiche US DOS 13.4.2016).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Im März 2011 wurde aber bei 68 eher geringfügigen Delikten Freiheitsentzug als höchste Strafandrohung durch Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeiten ersetzt. Auch wurde das Strafprozessrecht seit April 2010 dahingehend geändert, dass Angeklagte für Wirtschaftsdelikte bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden sollen. In der Praxis werden die neuen Regeln jedoch bisher nur begrenzt angewendet. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft – bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung – bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen". Auffällig bleibt die geringe Zahl aufgeklärter Straftaten gegen Journalisten oder Kritiker bzw. der sehr schleppende Verlauf von Ermittlungen in solchen Fällen. Auch die Morde an Oppositionspolitiker Boris Nemzow (27.02.2015) und Journalistin Politkowskaja können als Beispiel dafür dienen, dass sich Ausführende gegebenenfalls vor Gericht verantworten müssen, die eigentlichen Drahtzieher der Verbrechen häufig jedoch nicht ermittelt werden. Insgesamt sind die Unabhängigkeit von Ermittlungen und Rechtsprechung sowie die Gewaltenteilung in Russland nicht gewährleistet. Weiterhin mangelhaft ist der Vollzug von Gerichtsurteilen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden in Russland in der Sache häufig nicht vollständig umgesetzt, sondern nur in Bezug auf verhängte Entschädigungszahlungen (AA 5.1.2016).

Quellen:

4.1. Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vergleiche, ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art ‚alternativer Justiz‘. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 5.1.2016).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 5.1.2016).

Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen – sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen – in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1384353253_com-instranetrf.pdf; Zugriff 31.5.2016

http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf, Sitzung 9, Zugriff 30.5.2016

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 25.5.2016

4.2. Änderung Staatsbürgerschaftsgesetz

Mit dem Föderalen Gesetz Nr. 182 vom 12.11.2012 wurde das Gesetz "Über die Staatsbürgerschaft der RF" geändert, wobei die wichtigsten Änderungen in einem neuen Kapitel des Gesetzes "Über die Staatsbürgerschaft der RF" (i.e. Kapitel römisch VIII.1, Artikel 41) enthalten sind. Diese Änderungen bringen vor allem für staatenlose ehemalige Sowjetbürger Erleichterungen bei Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit. Konkret sind Personen, die am 5.9.1991 Staatsbürger der UdSSR waren und sich vor dem 1.11.2002 in der Russischen Föderation niedergelassen haben, die russische Staatsangehörigkeit bislang nicht erworben haben und unter der Voraussetzung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzen oder eine Niederlassungsbewilligung in einem anderen Staat besitzen, beim Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit nunmehr von bestimmten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ausgenommen. Nicht erforderlich sind in diesem Fall 5 Jahre dauerhafte Niederlassung in der RF, der Nachweis einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, der Nachweis eines legalen Einkommens und der Nachweis der Kenntnis der russischen Sprache. Personen, die keine Ausweisdokumente besitzen, wird ein temporäres Ausweisdokument ausgestellt, das für die Dauer der Bearbeitung des Staatsbürgerschaftsantrages gültig ist. Das Gesetz verbessert damit die Situation von staatenlosen Personen, die kein Ausweisdokument und keinen Nachweis einer legalen Niederlassung haben, was in der Vergangenheit zu Problemen beim Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit geführt hatte. Die Bestimmungen von Kapitel römisch VIII.1 des Gesetzes "über die Staatsbürgerschaft der RF" sollen bis 1.1.2017 angewendet werden (ÖB Moskau 29.5.2013).

Quellen:

5. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

Russland wird die bisherigen Truppen des Innenministeriums in eine Nationalgarde umwandeln. Neben den 170.000 Soldaten der Innentruppen sollen auch 40.000 Mann der Sonderpolizeitruppe Omon und andere Spezialkräfte in die Nationalgarde eingegliedert werden. Die Garde solle im Kampf gegen Terror, Drogen und organisiertes Verbrechen eingesetzt werden. Putin stärkte das Innenministerium auch, indem er ihm die bisher eigenständigen Behörden für Drogenbekämpfung und Migration wieder unterstellte. Damit sollten doppelte Zuständigkeiten vermieden werden, sagte ein Vertreter des Sicherheitsapparates der Agentur Interfax. Der Föderale Migrationsdienst ist unter anderem für Passangelegenheiten, Flüchtlinge und Arbeitsmigration zuständig (Standard 6.4.2016). Leiter der künftigen Elitetruppe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität wird sein Ex-Leibwächter Wiktor Solotow sein – der Mann also, der Putin jahrelang am nächsten stand. Interessant ist, dass Solotow zugleich als das Bindeglied im Kreml zu Tschetschenenoberhaupt Ramsan Kadyrow gilt (Standard 7.4.2016).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 5.1.2016).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 31.5.2016

6. Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland gesetzlich verboten. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 10.2015).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 13.4.2016).

Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/russland#nordkaukasus, Zugriff 31.5.2016

https://www.gov.uk/government/publications/russia-country-of-concern--2/russia-country-of-concern#conflict-and-protection-of-civilians, Zugriff 31.5.2016

7. Korruption

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet. Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Hochrangige Beamte wurden 2015 wegen Korruption angeklagt, darunter zwei Gouverneure von Sachalin und Komi. Medien spekulierten, dass dies eine neue Anti-Korruptionskampagne sein könnte, jedoch Korruptionsvorwürfe auch häufig wegen politischen Gründen vorgebracht werden und es nicht unbedingt darum geht, die Korruption vollständig zu beseitigen (USDOS 13.4.2016).

Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 4.2016a). Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern – Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).

Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015)

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

Quellen:

http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen, Zugriff 31.5.2016

Länderinformationsblatt Russische Föderation

8. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Inländische und ausländische NGOs geraten zunehmend unter Druck. Auf Basis des sogenannten NGO-Gesetzes aus 2012 müssen sich russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register der ausländischen Agenten eintragen. Mehrere Organisationen, die eine Eintragung verweigerten, wurden zu teilweise hohen Geldstrafen verurteilt; andere wiederum lösten sich aus Protest gegen das Gesetz ganz auf, bzw. gründeten nach Auflösung eine neue Organisation. Seit Juni 2014 hat das Justizministerium das Recht, NGOs auch gegen ihren Willen in das Register einzutragen. Ein positiver Schritt wurde im März 2015 gesetzt, als im Zuge einer Abänderung des NGO-Gesetzes die Möglichkeit geschaffen wurde, Organisationen aus dem Register zu streichen, wenn sie nachweisen können, keine ausländischen Finanzmittel mehr zu erhalten (ÖB Moskau 10.2015, vergleiche GIZ 4.2016a).

Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, das es erlaubt die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen der Russischen Föderation, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären. Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten der NGO (ÖB Moskau 10.2015, vergleiche AI 24.2.2016). Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn eine Seite als unerwünschte NGO eingestuft wurde. Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen. Menschenrechtler gehen daher davon aus, dass das Gesetz indirekt auch gegen die russische Zivilgesellschaft gerichtet ist. Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung eine Freiheitsstrafe von 2-6 Jahren vor. Als erste ausländische Organisation wurde die National Endowment for Democracy im Juli 2015 für unerwünscht erklärt (ÖB Moskau 10.2015). Im November und Dezember 2015 waren drei weitere Geber-Organisationen betroffen: die Open Society Foundation, die Open Society Institute Assistance Foundation und die US Russia Foundation for Economic Advancement and the Rule of Law. Zum Jahresende 2015 umfasste das beim Justizministerium geführte Verzeichnis "ausländischer Agenten" 111 NGOs. Sie mussten ihre gesamten Publikationen mit diesem stigmatisierenden Begriff kennzeichnen und aufwendige Berichterstattungspflichten erfüllen. Organisationen, die diesen Anforderungen nicht nachkamen, drohten hohe Geldstrafen. Keine einzige Organisation konnte sich vor Gericht erfolgreich gegen die Aufnahme in das Verzeichnis wehren. Sieben Organisationen wurden von der Liste gestrichen, nachdem sie keine Gelder mehr aus dem Ausland annahmen. 14 Organisationen, die auf der Liste standen, beschlossen, ihre Tätigkeit ganz einzustellen. Gegen das in der Liste der "ausländischen Agenten" verzeichnete Menschenrechtszentrum Memorial wurde im September 2015 eine Geldstrafe von 600.000 Rubel (rund 7.000 Euro) unter dem Vorwurf verhängt, es habe seinen Agentenstatus in Veröffentlichungen nicht deutlich gemacht. Die beanstandete Veröffentlichung stammte jedoch von der juristisch eigenständigen Schwesterorganisation "Gedenk- und Bildungszentrum Memorial", das sich nicht auf der Liste ausländischer Agenten befand und deshalb auch den Hinweispflichten nicht unterlag. Das Menschenrechtszentrum ging gerichtlich gegen die Entscheidung vor, verlor den Prozess jedoch. Nach einer routinemäßigen Überprüfung des Menschenrechtszentrums im November befand das Justizministerium, die von Memorial-Mitgliedern geäußerte Kritik an den Gerichtsverfahren zu den Bolotnaya-Protesten und an der russischen Ukrainepolitik untergrabe das verfassungsrechtliche Fundament des Landes und komme einem "Aufruf zum Sturz der amtierenden Regierung und zum politischen Systemwechsel" gleich. Das Ministerium übergab seine "Erkenntnisse" der Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen (AI 24.2.2016).

Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 4.2016a).

Quellen:

9. Ombudsmann

Die Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, setzt sich in ihrem Jahresbericht 2014 für die Rechte Gefangener ein. Sie, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des konsultativen "Rats zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten üben auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen aus und setzen sich für Einzelfälle ein - mit allerdings begrenztem Einfluss. Die Menschenrechtsbeauftragte kritisiert Vorfälle von Folter in den russischen Gefängnissen. (AA 5.1.2016).

Sie kommentiert zahlreiche Menschenrechtsprobleme, wie die "Ausländische Agenten Liste" [NGO-Gesetz], Polizeigewalt, Haftbedingungen, die Behandlung von Kindern und Religionsfreiheit. In den Jahresberichten werden Menschenrechtsthemen angesprochen. Im letzten beispielsweise die Misshandlungen und das Töten von Journalisten, Einschränkungen des Internets, Transparenz bei gerichtlichen Prozessen und die Einhaltung der Menschenrechte in Gefängnissen. Die Leiter von einigen Menschenrechtsorganisationen bezeichneten Pamfilowa als effektiv als offizielle Fürsprecherin für Menschrechte, und sie spreche viele der Sorgen der NGOs an, trotz ihrer eingeschränkten Autorität und der selektiven Herangehensweise an die Themen. Das Büro der Ombudsfrau umfasst mehrere spezialisierte Abteilungen, die für die Untersuchung von Beschwerden zuständig sind. Ihre Effektivität variiert erheblich. Laut Jahresbericht 2014 erhielt das Büro 59.100 Beschwerden von Bürgern, staatlichen Organisationen und NGOs. Das ist ein Anstieg um ca. 44% im Vergleich zum Vorjahr (USDOS 13.4.2016).

Quellen:

10. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Artikel 19, Absatz 2,). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Artikel 15, Absatz 4, der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

Rassendiskriminierung (1969)

Zusatzprotokoll (1991)

Zusatzprotokoll (2004)

Behandlung oder Strafe (1987)

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2014, 14,3% der anhängigen Fälle (10.000 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2014 hat der EGMR 129 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an (gefolgt von 101 Urteilen 2014 gegen die Türkei). Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft: Zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer; in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. In einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat sich dieses am 6. Dezember 2013 jedoch die Entscheidung vorbehalten, wie EGMR-Urteile bei einem Widerspruch zur eigenen Auslegung der Grundrechte umgesetzt werden können. Am 14.7.2015 hat das Verfassungsgericht zudem eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der russischen Verfassung zur EMRK getroffen: Die Umsetzung von Urteilen des EGMR kann danach im Falle eines vermeintlichen Konflikts mit der russischen Verfassung einer weiteren Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterzogen werden. Neu ist dabei, dass künftig auch Präsident und Regierung das Verfassungsgericht mit dem Ziel anrufen können, die Nichtanwendung eines EGMR-Urteils in Russland aufgrund des Vorrangs der russischen Verfassung festzustellen (AA 5.1.2016).

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu (AA 5.1.2016).

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark beschnitten. Staatliche Stellen herrschten über Presse, Rundfunk und Fernsehen und weiteten die Kontrolle über das Internet aus. NGOs waren aufgrund des sogenannten Agentengesetzes nach wie vor Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Ihre Möglichkeiten, finanzielle Mittel aus dem Ausland zu erhalten, wurden durch ein neues Gesetz zum Verbot "unerwünschter" Organisationen drastisch eingeschränkt. Eine steigende Anzahl von Bürgern wurde inhaftiert und angeklagt, weil man ihnen vorwarf, die offizielle Politik kritisiert oder Materialien besessen bzw. in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, die gemäß vage formulierter Sicherheitsgesetze als extremistisch eingestuft wurden oder aus anderen Gründen als rechtswidrig galten. Auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 2014, das wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Versammlungen als Straftat definiert, sahen sich 2015 vier Personen mit Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert. In mehreren aufsehenerregenden Prozessen traten einmal mehr die gravierenden Mängel des Justizwesens zutage. Flüchtlinge mussten zahlreiche Hürden überwinden, um anerkannt zu werden (AI 24.2.2016).

Menschenrechtsverteidiger beklagen Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden vor allem die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, zunehmende Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der stetig schwindende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 3.2016a).

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2016a).

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt (ÖB Moskau 10.2015).

Quellen:

10.1. Tschetschenien

NGOs beklagen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. So geriet zum Beispiel die sog. "joint mobile defence group", die von der NGO "Komitee gegen Folter" koordiniert wird, in letzter Zeit vermehrt in die Zielscheibe von pro-Kadyrov-Anhängern. 2014 wurde das Büro der Gruppe in Grozny niedergebrannt und im Juni 2015 erneut von einer Gruppe maskierter Personen angegriffen. Der Leiter der NGO "Komitee gegen Folter" Igor Kalyapin wurde von Kadyrov der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdiensten und der Kollaboration mit Extremisten beschuldigt. Im Juli 2015 erklärte das Komitee nach Androhung der Eintragung in das Register der ausländischen Agenten durch das Justizministerium seine Auflösung; der Leiter des Komitees Kalyapin kündigte jedoch an, dass man die Arbeit in anderer Form fortsetzen werde (ÖB Moskau 10.2015, vergleiche AI 25.2.2015).

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vergleiche HRW 28.1.2016).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen. Es gab deutlich weniger Informationen über die Menschenrechtslage in dem Gebiet, weil die Behörden mit aller Härte gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten vorgingen. Die Betreffenden wurden ständig schikaniert, bedroht und tätlich angegriffen, zum Teil von Ordnungskräften und regierungstreuen Gruppen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde am 3. Juni 2015 das Gebäude, in dem die Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group ihren Sitz hat, von einer aggressiven Menschenmenge umstellt. Vermummte Männer drangen gewaltsam in die Büroräume ein, zerstörten das Mobiliar und zwangen die Mitarbeiter, das Gebäude zu verlassen. Bis zum Jahresende war noch kein Tatverdächtiger ermittelt worden (AI 24.2.2016, vergleiche HRW 27.1.2016).

Quellen:

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 24.5.2016

http://www.ecoi.net/local_link/318631/457682_de.html, Zugriff 24.5.2016

http://www.tagesspiegel.de/meinung/jahrespressekonferenz-des-kremlchefs-wladimir-putin-legt-russland-an-die-kette/11140502.html, Zugriff 24.5.2016

10.2. Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015).

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

Quellen:

http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30180/, Zugriff 30.5.2016

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,
http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 30.5.2016

http://derstandard.at/2000009372041/Tschetschenien-NGO-Buero-in-Grosny-abgefackelt, Zugriff 30.5.2016

11. Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert, die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Artikel 3, EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Straffvollzug vor, der vom Ministerkomitee des EuR positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Allein im Jahr 2014 stellte der EGMR in fast 30 Urteilen gegen Russland fest, dass die Haftbedingungen noch immer gegen Artikel 3, EMRK verstoßen. Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände (unzureichende Sanitäreinrichtungen, kein ausreichendes Ventilationssystem, Unterbringung mit Häftlingen mit Infektionskrankheiten), akuter Platzmangel (zu viele Häftlinge in zu kleinen Zellen) und Mangel an medizinischer Betreuung. Die russische Regierung versucht u.a. durch regelmäßige Amnestien gegen den Platzmangel in den Gefängnissen und Haftkolonien anzukämpfen. Von der letzten Amnestie anlässlich des Tags des Sieges am 9. Mai 2015 profitierten bislang rund 127.000 Menschen. Im August 2015 waren laut offiziellen Daten 649.500 Personen in Haft (über 22.000 weniger als zu Beginn des Jahres). Damit nimmt Russland weltweit Platz 3 der größten Häftlingspopulationen ein (nach den USA und China). Dies entspricht einer Rate von 450 pro 100.000 Einwohner (Platz 11 weltweit) (ÖB Moskau 10.2015).

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Die Lage in russischen Gefängnissen wurde auch in mehreren Fällen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als "unmenschlich und entwürdigend" verurteilt (Verletzung von Artikel 3, EMRK). Die Regierung ist allerdings bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien (in Russland Oberbegriff für Haftanstalten, in denen eine gerichtlich verhängte Freiheitsstrafe verbüßt wird) und die Bedingungen des Strafvollzugs bleiben sehr schwierig. Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Besonders schlecht ist die Lage in den Untersuchungshaftanstalten. Im Vergleich zu den Strafkolonien berichten Insassen von deutlich schlechteren Haftbedingungen (z.B. Überbelegungen) und viel geringerem Schutz gegenüber ungerechten Behandlungen. Die Untersuchungshaft wird in Einzelfällen über Jahre verlängert. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Untersuchungshäftlinge jedoch rückläufig. Die unter Präsident Medwedew erfolgte Liberalisierung des Strafrechts für Wirtschaftsvergehen (u.a. teilweise Abschaffung der Untersuchungshaft) wird in vielen Fällen von Gerichten und Strafvollzugsbehörden nicht umgesetzt und dient manchmal korrupten Ermittlern als Mittel zur Erpressung von Geldzahlungen durch Unternehmer. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling effektiver vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge seien dort oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Nadeschda Tolokonnikowa von der Aktionsgruppe Pussy Riot beschrieb in einem offenen Brief zudem ein System der Zwangsarbeit, in dem auf die Häftlinge u.a. durch Mitgefangene psychischer und physischer Druck zur "Disziplinierung" ausgeübt werde (AA 5.1.2016).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

https://www.gov.uk/government/publications/russia-country-of-concern--2/russia-country-of-concern#conflict-and-protection-of-civilians, Zugriff 30.5.2016

12. Todesstrafe

Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist noch nicht ratifiziert. Das russische Verfassungsgericht hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe am 19.11.2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist (ÖB Moskau 10.2015, vergleiche GIZ 4.2016a).

Quellen:

13. Religionsfreiheit

Die Russische Föderation ist ein multinationaler und multikonfessioneller Staat. Artikel 28, der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Artikel 14, der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest (AA 5.1.2016, vergleiche GIZ 3.2016c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 3.2016c, vergleiche SWP 4.2013).

Nicht als traditionelle Religionen anerkannte Glaubensrichtungen, wie insbesondere die Zeugen Jehovas oder islamische Strömungen im Nordkaukasus und im Wolgagebiet, denen der Vorwurf gemacht wird, in Bezug zu Terrorgruppen zu stehen, stoßen auf Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden. Gegen solche Religionsgemeinschaften erheben die Behörden häufig nicht plausibel belegte Extremismus-Vorwürfe und leiten auf dieser Grundlage auch Strafverfahren wegen der Ausübung der Religion ein (AA 5.1.2016).

Die Verfassung sieht die Religionsfreiheit vor, jedoch können Beamte laut Gesetz Aktivitäten von religiösen Gruppierungen wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung oder Teilnahme an extremistischen Aktivitäten, verbieten. Es gibt Einschränkungen für religiöse Minderheitsgruppen und es wurden auch Mitglieder solcher Gruppierungen verhaftet. Die Polizei führte Razzien in privaten Wohnungen und Andachtsstätten durch und konfiszierte religiöse Publikationen und Eigentum. Das Anti-Extremismus-Gesetz wurde angewendet, um die Registrierung von religiösen Minderheitsgruppen abzuerkennen, um die Registrierung bestimmter Gruppen zu verhindern und den Kauf von Land, den Bau von Andachtsstätten oder den Erhalt von Restitutionen einzuschränken (USDOS 14.10.2015).

Quellen:

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf, Zugriff 1.6.2016

13.1. Tschetschenien

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2015, vergleiche SWP 4.2013). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow – relativ erfolglos – anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re-)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

Quellen:

http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=42525&tx_ttnews%5BbackPid%5D=756&no_cache=1, Zugriff 1.6.2016

Tschetschenien: Situation von Personen, die Anhänger eines strengen sunnitischen Islams (keine Sufis) sind [a-8725?1], http://www.ecoi.net/local_link/280443/397328_en.html, Zugriff 1.6.2016

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf, Zugriff 1.6.2016

14. Ethnische Minderheiten

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt (GIZ 3.2016c).

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Wiederkehrende Medienberichte zu Übergriffen zeigen, dass Ressentiments in Gewalt umschlagen können. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für das Jahr 2014 einen Rückgang der offiziell bekannt gewordenen Gewaltverbrechen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Waren 2013 noch 235 Verbrechen unter Anwendung von Gewalt gegen Minderheiten gemeldet worden, wurden 2014 164 solche Taten verzeichnet. Über 20% der Anzeigen auf dem Moskauer Wohnungsmarkt richten sich explizit nur an "Russen" oder "Slawen" (AA 5.1.2016).

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

15. Frauen

Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Laut einer rezenten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VZiOM glaubt eine Mehrheit der Bevölkerung, dass Männer und Frauen in der Gesellschaft gleich gestellt sind, insbesondere im Bildungsbereich (90%), in der Arbeit (76%), beim Gehalt (75%) und bei der Möglichkeit, am öffentlichen und politischen Leben teilzunehmen (74%). Einem rezenten Bericht der Weltbank zufolge steht Russland jedoch an vorderer Stelle, was die Verhinderung des Zugangs von Frauen zu gewissen Berufsgruppen betrifft; 456 Berufe dürfen von Frauen nicht ausgeübt werden. Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt häusliche Gewalt dar. Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut Dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes. Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner, fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen. Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die Nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. So betonte der Ombudsmann für Kinderrechte Pawel Astakhov im Mai 2015, dass ein Großteil der Gewalt im öffentlichen Raum stattfindet und dass die Familie der sicherste Ort in der Gesellschaft sei. Er verwehrte sich gegen "die konstante Benützung des Begriffs ‚häusliche Gewalt‘, die lediglich dafür sorgen würde, dass Familien und Eltern eingeschüchtert werden". Positiv zu vermerken ist, dass bis Jahresende ein vom Arbeits- und Sozialministerium ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt in die Staatsduma eingebracht werden soll, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt (ÖB Moskau 10.2015).

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 3.2016c). Frauen sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Sie halten weniger als 14% der Sitze in der Duma und ca. 17% der Sitze im Föderationsrat. Nur zwei von 31 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 27.1.2016). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 3.2016c).

Ein Gesetzentwurf des Menschenrechtsrats, der Opfer häuslicher Gewalt schützen soll, stieß auf heftigen Widerstand in "konservativen" Kreisen, die darin einen Versuch der Einmischung des Staates in familiäre Angelegenheiten sehen. Es gibt in Russland lediglich 21 Krisenzentren für Frauen. Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Haupt-Opfergruppen. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel. Sexuelle Ausbeutung bzw. Prostitution betrifft vor allem Frauen aus dem Nordkaukasus, die in anderen Landesteilen als Zwangsprostituierte arbeiten. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Nur in seltenen Fällen wird berichtet, dass Strafverfolgungsbehörden gegen Menschenhandel vorgehen. Die Reaktion des russischen Staates wird im "World Slavery Report" der "Walk Free Foundation" als "sehr schwach" beschrieben. Insbesondere fehle es an einem wirksamen Schutz der Opfer. Die Strukturen des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft werden durch Korruption und Verbindungen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden mit der organisierten Kriminalität begünstigt (AA 5.1.2016).

Häusliche Gewalt bleibt für Frauen weiterhin ein Problem und die Polizei ist oft zögerlich beim Einschreiten, da dies als familiäre Angelegenheit gesehen wird (FH 27.1.2016).

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 13.4.2016).

Quellen:

15.1. Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien

Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen und "Sittenwächtern" haben im Vergleich zu den Vorjahren jedoch abgenommen. Aus NGO-Kreisen war zu erfahren, dass sich die Situation von alleinstehenden Frauen bzw. Frauen mit Kindern bei ihrer Rückkehr nach Tschetschenien nach und nach verbessert. Die zugrunde liegende Problematik existiert jedoch nach wie vor. Im Frühjahr 2015 hatte ein Fall in Tschetschenien für Aufregung gesorgt, bei dem ein 17jähriges Mädchen vermutlich gegen ihren Willen und dem ihrer Familie mit einem weitaus älteren lokalen Polizeichef verheiratet wurde. Einerseits ist das Mindestalter für Hochzeiten in Russland 18 Jahre (abgesehen von wenigen Ausnahmen), andererseits war der betroffene Polizeichef zu dem Zeitpunkt bereits verheiratet. Die Heirat wurde von dem Republikoberhaupt Ramzan Kadyrov ausdrücklich unterstützt (ÖB Moskau 10.2015, vergleiche HRW 27.1.2016). Eine prominente investigative Journalistin erhielt Todesdrohungen nachdem sie über diese Story geschrieben hat. Behörden versagten bei einer effektiven Untersuchung wegen ihrer Beschwerde (HRW 27.1.2016).

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischem Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, Sitzung 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst – obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont – sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, Sitzung 9f). Tschetschenische Behörden verlangen weiterhin, dass Frauen auf öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen (HRW 27.1.2016).

Vergewaltigung:

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, Sitzung 21).

Muslimische Hochzeit:

Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art – durch einen Imam – die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014b, Sitzung 25). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014b, Sitzung 24). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014b, Sitzung 25).

Quellen:

http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf, Zugriff 25.5.2016

15.2. Mutterschaftskapital und Kindergeld

2007 stellte die russische Führung einen Maßnahmenkatalog vor, der mit Zuschüssen und Betreuungsplätzen zum einen den Frauen die Mutterschaft ans Herz legt und zum anderen durch bessere medizinische Infrastruktur die Lebensdauer der Russen verlängern soll. Für Mütter ist seither ab dem zweiten Kind das sogenannte Mutterschaftskapital vorgesehen. Umgerechnet rund 7500 € erhalten die Frauen, Mittel die zweckgebunden vom vierten bis zum 25. Geburtstag des Kindes eingesetzt werden müssen. Mit den nicht bar auslösbaren Zertifikaten können Familien in die Ausbildung des Nachwuchses investieren, die eigene Wohnsituation verbessern oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Mit den Zertifikaten kann auch die Altersvorsorge der Mutter aufgestockt werden. Darüber hinaus bezahlt der Staat Geburtsprämien, bezuschusst Kindergartenplätze und hat das Elterngeld erhöht. Flankierend hat Moskau den Mutterschutz im Arbeitsmarkt ausgebaut (Wirtschaftsblatt 8.9.2014, vergleiche IOM 6.2014; MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014). Das Mutterschaftskapital war zunächst bis Ende 2016 geplant, aufgrund des Erfolgs wird jetzt darüber diskutiert, die zeitliche Beschränkung ganz aufzuheben. Auch soll das Geld für die Geburt des dritten und weiterer Kinder ausgezahlt, sowie alleinerziehende Väter in gleichem Maße gefördert werden, wie Mütter. Wladimir Putin erklärte zum bisher bestehenden Gesetz, das Programm "Mutterschaftskapital" hätte seine Effektivität bewiesen. Allerdings müsse es nach 2016 runderneuert werden, um zielgerechter wirken zu können (MDZ 17.8.2013, vergleiche Pension Fund o.D.).

Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).

Mutterschaft:

Quellen:

16. Bewegungsfreiheit

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 5.1.2016, vergleiche US DOS 13.4.2016, FH 27.1.2016).

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen (US DOS 13.4.2016).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 5.1.2016).

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 5.1.2016).

Quellen:

16.1. Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????????). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12.2011, vergleiche AA 5.1.2016).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf, Zugriff 25.5.2016

16.2. Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insb. wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 10.2015).

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft, dass Personen kaukasischer oder zentralasiatischer Herkunft von den Behörden häufig benachteiligt werden. Zu den in jüngerer Zeit bekannt gewordenen Schikanen gehören:

Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 5.1.2016).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Wolgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner (DIS 8.2012).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

Quellen:

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf, Zugriff 25.5.2016

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,
http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 25.5.2016

17. Grundversorgung/Wirtschaft

Im August 2015 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland 75,9 Millionen, somit ungefähr 53 % der Gesamtbevölkerung. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3%. Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 51 in 2016. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund zehn Prozent des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2016 den 153. Platz unter 178 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca 15%. 2015 gerät die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3,7% 2015 prognostiziert die russische Zentralbank für 2016 einen weiteren BIP-Rückgang um 1,0%. (GIZ 4.2016b).

Quellen:

17.1. Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2016a).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt (ÖB Moskau 10.2015).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus – allen voran Tschetschenien – haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung. Um dem zu begegnen und den islamistischen Militanten den ideologischen Nährboden zu entziehen, hat die russische Regierung Initiativen in Medien gestartet und in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden Programme zur De-Radikalisierung und zum interkulturellen Dialog entwickelt. Der langfristige Erfolg solcher Maßnahmen bleibt dabei abzuwarten, in jedem Fall aber wird seitens Moskau versucht dem Nordkaukasus eine Perspektive zu schaffen (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

17.2. Tschetschenien

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Offiziell vermeldete Tschetschenien 2014 ein Wachstum von 7.8%, eine Steigerung von über 23% der Industrieproduktion sowie eine Erhöhung der Landwirtschaftsproduktion von 2.2%. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik in der 1. Hälfte 2015 rund 15.2%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien liegt bei 21.703 Rubel (landesweit: 31.200 Rubel), die durchschnittliche Rentenhöhe bei 10.460 Rubel (landesweit: 10.919 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 7.471 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 8.900 Rubel), für Rentner mit 5.799 Rubel (landesweit: 6.800 Rubel) und für Kinder mit 5.949 Rubel (landesweit: 7.800 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015).

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 verbessert – ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. Gleichwohl bleiben Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der Vereinten Nationen entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend. Wohnraum bleibt ein Problem. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (es wird davon ausgegangen, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen) (AA 5.1.2016).

Quellen:

18. Sozialbeihilfen

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 3.2016c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt wird:

Renten

Familienhilfe:

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

Behinderung

Wohnungswesen

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

Arbeitslosenhilfe

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

Quellen:

18.1. Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Quellen:

19. Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 3.2016c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3.2016a, vergleiche GIZ 3.2016c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 25.5.2016b).

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2015).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 3.2016c).

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Quellen:

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 25.5.2016

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 25.5.2016

Länderinformationsblatt Russische Föderation

19.1. Tschetschenien

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016).

Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vergleiche hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3.2016a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es – wie für alle Bürger der Russischen Föderation – auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) vergleiche dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).

Quellen:

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.5.2016

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

19.1.1. Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH” (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH” (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital ‘Samashki’, "Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’" (BDA CFS 31.3.2015).

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

Quellen:

- BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

19.2. Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, akutes Stresssyndrom, Panische Störungen, Schizophrenie etc.)

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vergleiche BMA 7979).

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sindt follow-up und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

Quellen:

19.3. Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels antiretroviraler Medikamente behandelbar, beispielsweise im Moscow HIV Center (BMA 7828) oder auch im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment in St. Petersburg (BMA 5411). Dies gilt auch für Tschetschenien, z.B. im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 7828), als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 7927). Z.B. im European Medical Center in Moskau (BMA 7828) oder im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

(Multiresistente) Tuberkulose ist beispielsweise im European Medical Center in Moskau behandelbar (BMA 6591). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).

Quellen:

19.4. Behandlungsmöglichkeiten Drogensucht

Es gibt in der Russischen Föderation ein Drogenersatzprogramm, das zwar nicht mit Methadon erfolgt, sondern durch Alternativen, wie z. B. Buprenorphin, Naloxon, Naltrexon Hydrochlorid, und weitere (BMA 7750).

Quellen:

- International SOS via MedCOI (29.2.2016): BMA 7750

19.5. Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen

Nierenerkrankungen und (Hämo)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation, als auch in Tschetschenien verfügbar (BMA 7878, BDA 31.3.2015). Es werden in Russland auch Transplantationen gemacht, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberzirrhosen und –transplantationen sind z.B. in Moskau im European Medical Center behandelbar (BMA 7788). In Tschetschenien kann keine Lebertransplantation durchgeführt werden (BMA 7789). Krankenhäuser und Spitäler haben bestimmte Quoten bez. Behandlungen für Personen (z.B. Lebertransplantation) von anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (DIS 10.2011).

Quellen:

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf, Sitzung 22-24, Zugriff 18.4.2016

19.6. Medikamente

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u. a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

Quellen:

20. Behandlung nach Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 10.2015).

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 5.1.2016).

Zahlreiche russische Staatsbürger, die sich im Ausland aufhalten, stehen in Opposition zur russischen Führung. Im Jahr 2013 hat etwa der ehemalige Schachweltmeister und Regimekritiker Garri Kasparow Russland vorerst verlassen. Der Ende 2013 nach zehnjähriger Haft amnestierte ehemalige Jukos-Eigner Michail Chodorkowskij lebt ebenfalls außerhalb Russlands. Auslieferungsersuchen der russischen Regierung in Bezug auf asylberechtigte Tschetschenen, wie z.B. den "Exilaußenminister" Achmed Sakajew, sind von der britischen Justiz abgelehnt worden. Apti Bisultanow, der ehemalige "Sozialminister" der tschetschenischen Separatistenregierung, sowie der ehemalige "Präsidentenberater" der Separatistenregierung Said-Hassan Abumuslimow leben in Deutschland. Russische Behörden werfen ihnen vor, Terrorismus zu propagieren oder zu verharmlosen. Es ist jedoch nach Kenntnis des Auswärtigen Amts zu keiner Anklageerhebung gegen diese Personen gekommen (AA 5.1.2016).

Quellen:

2. Beweiswürdigung:

Auch die zuständige Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes kommt in Übereinstimmung mit dem BFA zur Überzeugung, dass für die BF keine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat besteht und die im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen sowie die darauf basierenden beweiswürdigenden Überlegungen schlüssig und nachvollziehbar sind und zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben werden.

Soweit im Bescheid in den Feststellungen ausgeführt wird, dass BF2 in Österreich geboren worden sei und tatsachenwidrig eine Schwester von BF2 bzw. Tochter von BF1 angeführt wird, handelt es sich hiebei um ein offenkundiges Versehen, das nicht geeignet ist den Inhalt des ausführlichen Bescheides betreffend BF2 in Zweifel zu ziehen. Soweit in der Beschwerde in diesem Zusammenhang weiter moniert wird, dass allgemein formulierte standardisierte Textbausteine verwendet worden seien, war dem entgegenzuhalten, dass der minderjähriger Sohn kein eigenes Vorbringen vorgetragen hat und BF1 für diesen einen Antrag im Familienverfahren gestellt hat. Soweit der Bescheid hier dem Bescheid anderer minderjähriger Asylwerber ohne eigene Fluchtgründe ähnelt, hat das einzig damit zu tun, dass es sich um eine vergleichbare Sach- und Rechtslage handelt. Wie noch auszuführen sein wird, hat sich das BFA sehr wohl mit der individuellen Situation von BF2 – insbesondere auch mit seinem Gesundheitszustand – im angefochtenen Bescheid auseinandergesetzt.

Der Beschwerde kann auch nicht gefolgt werden, wenn darin moniert wird, dass der Bescheid nicht in Einklang mit den rechtlichen Erfordernissen begründet worden sei. Das BFA ist dem Vorbringen von BF1 gefolgt, hat sich dieses jedoch so gestaltet, dass es nicht asylrelevant ist bzw. die BF1 keine Verfolgung im Herkunftsstaat aus einem in der GFK genannten Grund geltend gemacht hat.

Auch die erkennende Richterin kann nicht erkennen, dass BF1 einen Sachverhalt vorgetragen hat, wonach ihr Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat gedroht hat bzw. in Zukunft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Soweit in der Beschwerde gleichsam moniert wird, die belangte Behörde habe in Hinblick auf das Ausbleiben asylrelevanter Antworten, nicht entsprechend auf solche hingewirkt, zielt dieser Vorwurf vollkommen ins Leere und kann nicht nachvollzogen werden. BF1 wurde in einer ausführlichen Einvernahme zu ihren Ausreisegründen befragt. Ihr wurden auch konkrete Fragen dazu gestellt, ob sie aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgereist ist. Wenn BF1 in der Folge wahrheitsgemäß ihre Gründe für die Ausreise genannt hat und diese eben keine Asylrelevanz aufweisen, liegt dies einzig daran, dass BF1 ihren Herkunftsstaat aus asylfremden Gründen verlassen hat, nicht jedoch an der belangten Behörde.

Für die erkennende Richterin drängt sich nach Durchsicht der Beschwerde vielmehr der Verdacht auf, dass mit Unterstützung der bevollmächtigten Rechtsvertretung das Vorbringen von BF1 asylrelevant darzustellen versucht wird.

Abgesehen von Spekulationen und nicht haltbaren Schlüssen aus den Länderinformationen finden sich in der Beschwerde keine substantiierten Ausführungen.

Die Ausführungen zu den Ausreisegründen in der Beschwerde stärken nach der Überzeugung der erkennenden Richterin im Übrigen die Beurteilung des Vorbringens der belangten Behörde als nicht asylrelevant.

BF1 hat wohl gleichbleibend erklärt, dass sie ihren Mann im Jahr 2010 traditionell geheiratet hat und ihr Mann im Jahr 2011 verschwunden ist, eine persönliche Verfolgung in diesem Zusammenhang konnte sie jedoch nicht glaubhaft machen.

Dagegen spricht bereits ihr Ausreisezeitpunkt im Juli 2014. Auch die gewählte Form der legalen Ausreise aus dem Herkunftsstaat mit Reisedokument spricht dagegen, dass gegen BF1 in irgendeiner Weise ermittelt wurde bzw. eine – wie in der Beschwerde behauptete Verdachtslage – gegen BF1 bestanden hat.

In der Einvernahme am 03.07.2017 hat BF1 erklärt, ihr Mann sei Geheimniskrämer und habe ihr gesagt, er sei Vorarbeiter. Später habe sie erkannt, dass ihr Mann mit Kadyrov zusammenarbeite und dort in einem Büro beschäftigt sei. (AS 81) In der Erstbefragung blieb sie noch weniger konkret und meinte, sie wisse nicht, was ihr Mann gemacht habe (AS 5). Zuletzt meinte sie in der Einvernahme, dass man wahrscheinlich annehme, dass ihr Mann in Syrien sei und man annehme, dass auch sie in Syrien sei.

In der wenige Wochen später am 20.07.2017 eingebrachten Beschwerde will sie nun lediglich vermutet haben, dass ihr Mann mit Kadyrov zusammenarbeite, dies jedoch nicht stimmen könne, da die Vermutung bestanden habe, dass dieser sich in Syrien aufhalten könnte. Weiters wird in der Beschwerde auf Passagen der Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid zur Verfolgung von IS-Kämpfern, die aus dem Krisengebiet in Syrien kommen und gegen die jedenfalls strafgerichtlich vorgegangen wird, verweisen. Auch die Familienangehörigen von Terrorverdächtigen werden laut Länderinformationen verfolgt.

Diese Änderung ihres Aussageverhaltens in der Beschwerde erscheint äußerst konstruiert, hat sie anscheinend erkannt, dass bei einer behaupteten Zusammenarbeit ihres Mannes mit Kadyrov eine Verfolgung durch die staatlichen Behörden nicht begründbar ist.

Das Vorbringen von BF1 über den Verbleib ihres Mannes bleibt vollkommen konstruiert und ist im Übrigen vollkommen spekulativ.

Vor dem BFA hat BF1 im Übrigen umfassend ihre Familienverhältnisse im Herkunftsstaat dargelegt und insbesondere von keiner Verfolgung ihrer Angehörigen oder den Angehörigen ihres Mannes im Herkunftsstaat geschildert.

Zur Schwester ihres Mannes erklärte sie, dass diese ebenso zum Verbleib ihres Mannes befragt worden sei. Nachdem die Schwester ihres Mannes verneint habe, über dessen Verbleib etwas zu wissen, sei diese in Ruhe gelassen worden. (AS 81)

Auch BF1 hat erklärt, zuletzt im März 2013 offiziell zum Verbleib ihres Mannes befragt geworden zu sein. Inoffiziell sei sie zuletzt im Mai 2013 befragt worden. (AS 81).

Es finden sich demnach keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verschwinden ihres Mannes eine Verfolgungsgefahr für sie selbst, ihre Angehörigen und die Angehörigen ihres Mannes nach sich gezogen hat.

Zur im März/April 2014 erhaltenen Warnung, sie solle den Herkunftsstaat verlassen, war auszuführen, dass abgesehen vom Fehlen jeglichen zeitlichen Konnexes dieses Vorbringen auch vollkommen widersprüchlich vorgetragen wurde.

Meinte sie in der Erstbefragung noch, über eine dritte Person habe ihr ein Freund ihres Mannes, der bei der Polizei tätig sei, mitgeteilt, dass sie das Land verlassen solle, da ihr Leben in Gefahr sei. (AS 6), gab sie vor dem BFA am 03.07.2017 im völligen Widerspruch dazu an, dass eine Person namens römisch 40 ihr gesagt habe, sie solle ausreisen. Dieser habe ihr diesen Vorschlag gemacht, da dieser es gut mit ihr gemeint habe, da dieser früher einmal ihr Vorgesetzter gewesen sei (AS 81).

Was ihre weitere Behauptung in der Beschwerde betrifft, als westlich orientierte alleinstehende Frau in Tschetschenien Verfolgung ausgesetzt zu sein, kann dem nicht gefolgt werden, zumal BF1 im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat sich in derselben Situation wie vor der Ausreise wiederfinden würde.

So hat sie bereits vor ihrer Ausreise seit der Geburt ihres Sohnes im Jahr 2012 mit diesem als alleinerziehende Mutter gelebt. Auch lebt im Herkunftsstaat unverändert ihr Vater, bei dem sie sich vor der Ausreise aufgehalten hat. Die im Jahr 1979 geborene BF1 hat im Übrigen erst im Jahr 2010 eine standesamtliche Ehe geschlossen und erst im Jahr 2012 ihren ersten Sohn zur Welt gebracht. Sie hat außerdem in Tschetschenien studiert und gearbeitet. Trotz ihres für tschetschenische Frauen nicht typischen Lebensverlaufs hat sie dort bis zur Ausreise ohne Probleme – trotz des Umstandes eine alleinerziehende Mutter mit Kind/eine alleinstehende Frau zu sein – leben können, wovon aufgrund ihres dargelegten familiären Umfeldes auch für den Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien auszugehen ist. Vor dem BFA hat sie auch eine Tante väterlicherseits angeführt, die unverheiratet, kinderlos und Lehrerin für die russische Sprache und Literatur in einem Gymnasium in Grosny ist. Diese erhält gleichzeitig eine Pension (AS 79). Soweit sie aus den Länderinformationen den Umstand herausgreift, dass die Behörden in Tschetschenien weiterhin verlangen würden, dass Frauen auf öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen, kann daraus alleine keine asylrelevante Verfolgung begründet werden. Im Lichte des dargelegten großen familiären Umfeldes in Tschetschenien (AS 78 und 79) kann trotz der in den Länderinformationen dargelegten gesellschaftlichen Veränderungen in der tschetschenischen Gesellschaft, die auch Auswirkungen auf Frauen haben, nicht davon ausgegangen werden, dass es alleine deshalb BF1 nunmehr nicht mehr möglich sein sollte, ohne asylrelevante Verfolgungsgefahren dort zu leben.

Insgesamt betrachtet finden sich auch in der Beschwerde – wie schon im Vorbringen vor dem BFA – keine substantiierten Ausführungen bzw. Anhaltspunkte, wonach BF1 von einer Verfolgung oder Gefährdung im Herkunftsstaat betroffen wäre.

Auch der Umstand, dass BF1 im Dezember 2013 ihren Sohn in römisch 40 untersuchen hat lassen, wo sie erfahren habe, dass ihr Sohn eine Viruserkrankung durchgemacht habe, sonst im Herkunftsstaat nichts für ihren Sohn erreicht habe, spricht dafür, dass BF1 den Herkunftsstaat nicht aus Furcht vor Verfolgung sondern deshalb verlassen hat, um ihren Sohn weiter untersuchen zu lassen.

Im Übrigen spricht auch hier die problemlose Reisetätigkeit zwischen Tschetschenien und römisch 40 gegen ein behördliches Interesse an BF1.

Für BF2 wurde lediglich ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt, ohne für diesen eigene Gründe vorzutragen.

Bei Zusammenschau all dieser Umstände haben sich im Fall der BF demnach keinerlei Anhaltspunkte für eine Verfolgung oder Gefährdung in der Russischen Föderation ergeben.

Die ausführlichen aktuellen Länderfeststellungen zur Russischen Föderation beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche dar. Es besteht demnach kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. In der Beschwerde wurde diesen auch nicht entgegengetreten, sondern wurde beruhend auf diesen eine Verfolgungssituation von BF1 für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat konstruiert, die sich jedoch – wie umfassend dargelegt – als nicht haltbar erwiesen hat.

Aus den der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten kann das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der Einwohner Tschetscheniens nicht gefolgert werden.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Menschenrechtslage im Nordkaukasus und in Tschetschenien im Speziellen problematisch ist und dass weiterhin Bedrohungsszenarien bestehen und (auch schwere) Menschenrechtsverletzungen geschehen können. Diese Szenarien können die Gewährung von Asyl rechtfertigen und dies entspricht der ständigen Praxis der entscheidenden Richter des Bundesverwaltungsgerichtes. Im Ergebnis ist die aktuelle Situation in Tschetschenien daher dergestalt, dass weder von vorneherein Asylgewährung generell zu erfolgen hat, noch dass eine solche nunmehr regelmäßig auszuschließen sein wird. Die allgemeine Lage in Tschetschenien erlaubt die Erlassung von negativen Entscheidungen zur Abschiebung in Fällen, in denen eine solche individuelle Verfolgung nicht besteht.

Anhaltspunkt für eine solche individuelle Verfolgungsgefahr ist laut den vorliegenden Länderinformationen insbesondere ein konkret dargelegter Zusammenhang mit der Widerstandsbewegung. Im Blickfeld der Behörden stehen insbesondere Rebellen und deren Angehörige bzw. Gegner des bestehenden politischen Systems, wobei hiebei wiederum auf eine gewisse Ausprägung der Involvierung abzustellen ist. In diese Gruppe fallen auch Personen, die sich in Syrien dem IS als Kämpfer anschließen.

Im vorliegenden Verfahren konnte das Vorliegen solcher individuellen Fluchtgründe, wie soeben in den beweiswürdigenden Überlegungen umfassend aufgezeigt, nicht glaubhaft gemacht werden. Vielmehr hat sich das Vorbringen von BF1 als nicht asylrelevant erwiesen und konnte sie für sich und BF2 auch bei Zugrundelegung der allgemeinen Länderinformationen nicht glaubhaft darlegen, in Tschetschenien einer an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, oder eine solche für die Zukunft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten zu haben.

Die allgemeine Situation in Tschetschenien ist so, dass der unpolitischen BF1 eine gefahrlose Rückkehr mit ihrem minderjährigen Sohn (BF2) zumutbar sein wird. Wäre eine Situation einer systematischen Verfolgung weiter Bevölkerungsschichten derzeit gegeben, wäre jedenfalls anzunehmen, das vor Ort tätige Organisationen, wie jene der Vereinten Nationen, diesbezügliche Informationen an die Öffentlichkeit gegeben hätten. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen ebenso wenig folgern und fehlt es in diesem Zusammenhang an besonderen gefahrenerhöhenden Eigenschaften der BF.

Letztendlich lässt sich aus den allgemeinen Berichten zur Russischen Föderation respektive Tschetschenien – auch was die Situation von alleinerziehenden Frauen betrifft – für die BF keine sonstige Gefährdungslage im Fall der Rückkehr feststellen.

Es herrscht im Herkunftsstaat auch keinesfalls eine Situation, in der jeder Rückkehrer einer existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Vielmehr konnte BF1 mit ihrem Sohn vor der Ausreise im Kreise ihrer Familie leben und steht ihr eine Wohnmöglichkeit im Elternhaus unverändert offen.

BF1 ist im Übrigen gesund und auch im Fall von BF2 hat sich im Lichte der vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht ergeben, dass dieser an einer schwerwiegenden bzw. lebensbedrohlichen akut behandlungsbedürftigen Erkrankung leidet, aufgrund derer er im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose bzw. lebensbedrohliche Situation geraten könnte.

Die Behauptung in der Beschwerde, wonach BF2 an einer Muskeldystrophie, Typ Duchenne leidet, deckt sich nicht mit den vorgelegten medizinischen Unterlagen.

So geht aus dem aktuellen Kurzarztbrief des römisch 40 vom 13.07.2017 lediglich hervor, dass BF2 eine Ergotherapie und eine Logotherapie benötigt sowie handelsübliches Medikament gegen Eisenmangel zu empfehlen sind.

BF1 erklärte in der Einvernahme vor dem BFA am 03.07.2017, dass es ihrem Sohn gesundheitlich gut gehe. Dieser erhalte eine Ergotherapie, da er an einer Entwicklungsstörung leide. Ihr Sohn nehme keinerlei Medikamente. (AS 76)

Als Diagnose wird im zuletzt vorgelegten medizinischen Befund ein motorischer und sprachlicher Entwicklungsrückstand festgehalten.

Weiters ist bloß der Verdacht auf Muskeldystrophie im Arztbrief angeführt, wobei auf einen medizinischen Befund aus dem Jahr 2015 verwiesen wird. Im Arztbrief vom 20.05.2015 der römisch 40 wurde jedoch recht deutlich festgehalten, dass die histologische Untersuchung keinen Hinweis auf eine Muskeldystrophie oder primäre Muskelerkrankung ergeben hat. Bei einzelnen spärlichen Entzündungsfiltraten perivasal handelt es sich am ehesten um reaktive Veränderung der quergestreiften Muskulatur. Auch die biochemische Untersuchung des Muskels war unauffällig. Derzeit kann die Muskeldystrophie nicht klassifiziert werden.

Das BFA ist demnach vollkommen zu Recht davon ausgegangen, dass BF2 an einer Entwicklungsstörung leidet und dahingehend lediglich eine Ergotherapie erhält, wobei es sich dabei ebenso wie bei einer Behandlung von Eisenmangel um keine exklusiv im Bundesgebiet erhältlichen Behandlungsformen handelt.

Wie vom BFA zutreffend dargelegt, ergibt sich aus den Länderinformationen zur medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation und Tschetschenien, dass dort die notwendigen medizinischen Einrichtungen vorhanden sind, um BF2 adäquat zu behandeln.

In diesem Zusammenhang war auch auf ein Urteil des EGMR, Paposhvili, 17.04.2014, 41.738/10, zu verweisen, in dem der EGMR fallbezogen ausführte, dass auch eine drohende Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder sogar eine signifikante Verringerung der Lebenserwartung nicht gegen Artikel 3, EMRK verstoßen, wenn eine adäquate Behandlung im Herkunftsstaat zur Verfügung steht, selbst wenn aufgrund knapper Ressourcen jedoch nicht alle Personen, die einen Bedarf haben, in deren Genuss kommen.

Ein Gutachten zum Gesundheitszustand von BF2 war demnach nicht einzuholen, da der Akteninhalt und die darin enthaltenen medizinischen Unterlagen ausreichend konkret waren, um den Gesundheitszustand abschließend, jedenfalls in der dargestellten, relevanten Form einzuschätzen. Eine fehlende Behandlungsmöglichkeit in der Russischen Föderation liegt einfach nicht vor. Im Übrigen schilderte BF1, noch Ende des Jahres 2013 nach römisch 40 gereist zu sein, wo ihr Sohn zwei Wochen lang untersucht worden ist (AS 76).

Unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes der BF steht eine Abschiebung Artikel 3, EMRK nicht entgegen und waren andere Gründe, die gegen deren Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen, nicht feststellbar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit, Entscheidung durch Einzelrichter:

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Paragraph 6, des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Anzuwendendes Verfahrensrecht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, Bundesgesetzblatt 51 aus 1991, (AVG) mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961, (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950, (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984, (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Paragraph eins, BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 87 aus 2012, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 144 aus 2013, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gemäß Paragraphen 16, Absatz 6,, 18 Absatz 7, BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die Paragraphen 13, Absatz 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß Paragraph 28, Absatz eins, VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A)

Asyl:

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK in der Fassung des Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 78 aus 1974,) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche z.B. VwGH v. 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vergleiche auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche dazu VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH v. 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH v. 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH v. 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; VwGH v. 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe vergleiche VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; VwGH v. 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl vergleiche zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

Eine Verfolgung, dh. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH vom 27.01.2000, 99/20/0519, VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH vom 04.05.2000, 99/20/0177, VwGH vom 08.06.2000, 99/20/0203, VwGH vom 21.09.2000, 2000/20/0291, VwGH vom 07.09.2000, 2000/01/0153, u.a.).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Aus den Gesamtangaben von BF1 – BF2 bezieht sich auf diese Ausführungen – ist nicht ableitbar, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft im Herkunftsstaat konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätten. Ein derartiger Sachverhalt sei aus dem Vorbringen von BF1 nicht abzuleiten gewesen.

Den BF ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannt sind, darzulegen. Für die BF war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannt sind, fassbar.

Daher war den BF der Status von Asylberechtigten nicht zuzuerkennen.

Subsidiärer Schutz:

Wird einem Fremden der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt, hat die Behörde von Amts wegen zu prüfen, ob dem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist.

Paragraph 8, Absatz 3, in Verbindung mit Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Teil des Herkunftsstaates des Antragstellers, in dem für den Antragsteller keine begründete Furcht vor Verfolgung und keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht. Gemäß Paragraph eins, Absatz eins, Ziffer 17, AsylG ist unter dem Herkunftsstaat der Staat zu verstehen, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Wird der Antrag auf internationalen Schutz eines Fremden in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ordnet Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 an, dass dem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, wenn eine mögliche Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat für ihn eine reale Gefahr einer Verletzung in seinem Recht auf Leben (Artikel 2, EMRK in Verbindung mit den Protokollen Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe) oder eine Verletzung in seinem Recht auf Schutz vor Folter oder unmenschlicher Behandlung oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Artikel 3, EMRK) oder für den Fremden als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes mit sich bringen würde.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen vergleiche etwa VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Nach der Judikatur des EGMR obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Artikel 3, EMRK im Falle einer Abschiebung behauptet, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben vergleiche EGMR vom 05.07.2005 in Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hat die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates vergleiche EGMR vom 26.07.2005 N. gg. Finnland).

Das Vorliegen eines tatsächlichen Risikos ist von der Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen vergleiche EGMR vom 15.11.1996 in Chahal gg. Vereinigtes Königsreich).

Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat vergleiche VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Artikel 3, EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind vergleiche EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Ob die Verwirklichung der im Zielstaat drohenden Gefahren eine Verletzung des Artikel 3, EMRK durch den Zielstaat bedeuten würde, ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht entscheidend.

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des Asylwerbers in sein Heimatland Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist vergleiche VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/18/1291). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikel 3, EMRK zu gelangen.

Den Fremden trifft somit eine Mitwirkungspflicht, von sich aus das für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer derartigen Gefahr ist es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert und, dass diese Gründe objektivierbar sind.

Weder aus den Angaben von BF1 zu den Gründen, die für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat maßgeblich gewesen sein sollen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Artikel 3, EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.8.2001, Zl. 2000/01/0443).

Ausgehend von den dargestellten allgemeinen Länderberichten zum Herkunftsstaat besteht kein Grund davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsangehörige der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Artikel 3, EMRK ausgesetzt wäre.

Eine völlige Perspektivenlosigkeit für die BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat kann somit schlichtweg nicht erkannt werden.

BF1 hat bis zur Ausreise mit BF2 im Herkunftsstaat in ihrem Elternhaus bei ihrem Vater gelebt. Zuvor haben sie gemeinsam in römisch 40 gelebt. Inwieweit ihr dies bei einer Rückkehr nicht mehr möglich sein soll, ist für die erkennende Richterin nicht erkennbar.

Im Herkunftsstaat hält sich im Übrigen unverändert der Familienclan auf, wobei dieser laut den ausführlichen Schilderungen von BF1 zum Großteil finanziell abgesichert im Herkunftsstaat lebt. Den BF steht jedenfalls unverändert eine Wohnmöglichkeit im Elternhaus – wie vor der Ausreise – offen.

Den BF wird es demnach offensichtlich – wie in der Vergangenheit – zumutbar sein, in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien den lebensnotwendigen Unterhalt zu erwirtschaften.

Hier war auch auf die Arbeitswilligkeit und -fähigkeit, die Bildung und die Berufserfahrung von BF1 zu verweisen, die ihre Ausbildung und Arbeitsverhältnisse in der Vergangenheit vor dem BFA darlegte (AS 78). Abgesehen von in den Länderfeststellungen dargelegten Unterstützungsleistungen durch den Staat und die Unterstützung durch ihre Familie ist davon auszugehen, dass sie dort den Lebensunterhalt für sich und BF2 auch durch eigene und notfalls auch wenig attraktive Arbeit bestreiten können wird. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keine besonderen Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer Schatten- oder Nischenwirtschaft stattfinden.

Für die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes haben sich unter diesen Aspekten keine Hinweise ergeben, wonach die Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Situation geraten würden.

Es ist schließlich geradezu notorisch, dass in Tschetschenien die Angehörigen eines Tejps zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet sind. Die Mitglieder eines Tejps funktionieren wie ein Staat im Staat und zeichnen sich durch solidarisches Verhalten und einem Unterstützungsnetzwerk aus. Der Tejp funktioniert wie eine Familie, in der alle Mitglieder die notwendige Unterstützung erhalten.

Auch heute noch kennen so gut wie alle Tschetschenen ihre Wurzeln und den Ort an dem ihr Tejp ursprünglich entstanden ist. Besonderer Respekt und Unterstützung wird den alten Tejp-Mitgliedern gezollt. Im Übrigen versuchen die Kinder, für ihre Eltern die besten Lebensbedingungen zu schaffen. Insbesondere treffen Kinder Vorsorge, wenn ihre Eltern älter werden. In den Länderinformationen wird auch dargelegt, dass es in den letzten Jahren zu einer starken Rückbesinnung auf tschetschenische Traditionen gekommen ist. (Aufsatz von Martin Malek "Understandig chechen culture" vom 20.02.2009) Diese Ausführungen runden das Bild ab, wonach die Beschwerdeführer im Herkunftsstaat über ein soziales Netzwerk verfügen und in keine ausweglose Situation geraten würden (siehe auch BVwG vom 12.03.2014, W189 1410743-2/14E).

Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr in die Russische Föderation sein wird, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Weiters gilt es zu bedenken, dass BF1 im Herkunftsstaat aufgewachsen ist und die Sprache – im Vergleich zur deutschen Sprache – auf muttersprachlichem Niveau beherrscht. BF2 wird aufgrund seines Alters von seiner Mutter versorgt.

Unter Verweis auf die zitierten Länderinformationen kann für die Russische Föderation und Tschetschenien zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlichtweg nicht festgestellt werden, dass dort eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat iSd. Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig erscheinen ließe.

Die BF leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen, BF1 ist im Übrigen gesund.

Wie beweiswürdigend dargelegt, war auch kein Rückkehrhindernis im Lichte des Gesundheitszustandes von BF2 festzustellen. Zu seinem Gesundheitszustand wurde bereits dargelegt, dass dieser an einer Entwicklungsstörung leidet, er in Österreich eine Ergotherapie erhält und im aktuellen medizinischen Befund auch eine Logotherapie als Therapiemöglichkeit sowie ein Medikament zur Behandlung von Eisenmangel angeführt worden sind. Eine derartige Behandlung ist im Herkunftsstaat möglich, was sich aus den zitierten Länderinformationen über das Gesundheitssystem in der Russischen Föderation und die dort verfügbaren Gesundheitseinrichtungen zweifelsfrei ergibt.

Der Verfassungsgerichtshof stellte in seinem Erkenntnis vom 06.03.2008, B 2400/07-9, die zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Artikel 3, EMRK ergangene Rechtsprechung des EGMR – in diesen Fällen ging es jeweils um die Frage der Abschiebung in den Herkunftsstaat – wörtlich wie folgt dar:

"1. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem EGMR (s. etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Artikel 3, EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995 und 14.998/1997).

2. Der EGMR hatte sich mehrmals mit der Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Artikel 3, EMRK befasst:

2.1 Im Fall D. v. the United Kingdom (EGMR 2.5.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997, 93) ging es um die Abschiebung eines an Aids im Endstadium erkrankten Staatsangehörigen von St. Kitts/Karibik, der bei der Einreise in das Vereinigte Königreich wegen Mitführens einer größeren Menge Kokain festgenommen und zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Der EGMR entschied in diesem Fall, dass zwar die Abschiebung Kranker nicht schlechthin unzulässig sei. Es seien die Besonderheiten jedes Einzelfalls zu berücksichtigen. Im konkreten Fall befand sich der Beschwerdeführer im fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren Krankheit, sodass eine Abschiebung nach St. Kitts den Beschwerdeführer einem realen Risiko aussetzen würde, unter äußerst schlimmen Umständen zu sterben. Der EGMR erkannte schließlich, dass unter diesen außergewöhnlichen Umständen eine Abschiebung als unmenschliche Behandlung iSd Artikel 3, EMRK zu werten sei:

'In view of these exceptional circumstances and bearing in mind the critical stage now reached in the applicant's fatal illness, the implementation of the decision to remove him to St Kitts would amount to inhuman treatment by the respondent State in violation of

Article 3 ... Although it cannot be said that the conditions which

would confront him in the receiving country are themselves a breach of the standards of Article 3 (art. 3), his removal would expose him to a real risk of dying under most distressing circumstances and would thus amount to inhuman treatment'.

Der EGMR sah somit die unmenschliche Behandlung in diesem Fall nicht bloß in der Krankheit des Beschwerdeführers, sondern in den besonderen Umständen, mit denen der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung konfrontiert wäre, nämlich im Risiko eines Todes unter qualvollen Umständen.

2.2 Im Fall Bensaid (EGMR 6.2.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001, 26), einer an Schizophrenie erkrankten Person, sah der EGMR in der Abschiebung nach Algerien keine Verletzung in Artikel 3, EMRK. Er bestätigte zwar die Ernsthaftigkeit des Krankheitszustandes, erklärte jedoch, dass die Möglichkeit einer Behandlung in Algerien grundsätzlich gegeben sei. Die Tatsache, dass die Umstände der Behandlung in Algerien weniger günstig seien, als im Vereinigten Königreich, sei im Hinblick auf Artikel 3, EMRK nicht entscheidend. Weiters sah der EGMR diesen Fall nicht mit dem unter Pkt. 2.1 dargestellten Fall D. v. the United Kingdom vergleichbar. Der EGMR stellte auf die "hohe Schwelle" des Artikel 3, EMRK ab, wenn die Zufügung von Leid nicht in die direkte Verantwortung eines Vertragsstaates falle:

'... the applicant faces the risk of relapse even if he stays in the United Kingdom as his illness is long term and requires constant management. Removal will arguably increase the risk, as will the differences in available personal support and accessibility of treatment... Nonetheless, medical treatment is available to the applicant in Algeria. The fact that the applicant's circumstances in Algeria would be less favourable than those enjoyed by him in the United Kingdom is not decisive from the point of view of Article 3 of the Convention... The Court accepts the seriousness of the applicant's medical condition. Having regard, however, to the high threshold set by Article 3, particularly where the case does not concern the direct responsibility of the Contracting State for the infliction of harm, the Court does not find that there is a sufficiently real risk that the applicant's removal in these circumstances would be contrary to the standards of Article 3. The case does not disclose the exceptional circumstances of D. v. the United Kingdom (cited above), where the applicant was in the final stages of a terminal illness, Aids, and had no prospect of medical care or family support on expulsion to St Kitts.'

2.3 Ebenso wenig erkannte der EGMR im Fall Ndangoya (EGMR 22.6.2004, Appl. 17.868/03) eine Verletzung in Artikel 3, EMRK durch die Abschiebung einer mit HIV infizierten, noch nicht an Aids erkrankten Person. Der EGMR stellte fest, dass AIDS ohne Behandlung in etwa ein bis zwei Jahren ausbrechen dürfte, dass aber eine medizinische Behandlung im Herkunftsland (Tanzania) möglich sei. Dann fährt der EGMR fort:

'It is true that the treatment might be difficult to come by in the countryside where the applicant would prefer to live upon return, but the Court notes that the applicant is in principle at liberty to settle at a place where medical treatment is available.'

2.4 Dem Fall Salkic and others (EGMR 29.6.2004, Appl. 7702/04) lag ein Sachverhalt zu Grunde, nach dem den Eltern nach ihrer Einreise in Schweden im Jahr 2002 ein posttraumatisches Belastungssyndrom diagnostiziert wurde und ein Gutachten dem 14 Jahre alten Sohn und der 8 Jahre alten Tochter ein sehr schweres Trauma attestierte. Der EGMR sah in der Abschiebung der Familie unter Verweis auf den o.a. Fall D. v. the United Kingdom keine Verletzung in Artikel 3, EMRK. Der EGMR merkte dazu an:

'In conclusion, the Court accepts the seriousness of the applicants mental health status, in particular that of the two children. However, having regard to the high threshold set by Article 3, particularly where the case does not concern the direct responsibility of the Contracting State for the infliction of harm, the Court does not find that the applicant's expulsion to Bosnia and Herzegovina was contrary to the standards of Article 3 of the Convention. In the Court's view, the present case does not disclose the exceptional circumstances established by its case-law (see, among other, D. v. the United Kingdom, cited above, §54).'

2.5 Auch im Fall Ovdienko (EGMR 31.5.2005, Appl. 1383/04) lag nach der Entscheidung des EGMR keine Verletzung von Artikel 3, EMRK durch die Zurückschiebung einer an einem posttraumatischen Stresssyndrom und an Depressionen leidenden Person vor. Diese hatte sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden und wurde teilweise in einer geschlossenen psychiatrischen Krankenanstalt behandelt. Der EGMR begründete seine Entscheidung neuerlich damit, dass der Beschwerdeführer nicht an einer unheilbaren Krankheit im Endstadium leide und verwies auf seine Entscheidung im Fall D. v. the United Kingdom:

'The case does not disclose the exceptional circumstances of D. v. the United Kingdom (cited above, §49), where the applicant was in the final stages of a terminal illness, AIDS, and had no prospect of medical care or family support on expulsion to St Kitts.'

2.6 Auch im Fall Hukic (EGMR 29.9.2005, Appl. 17.416/05) sah der EGMR die Abschiebung einer am Down-Syndrom leidenden Person nicht als Verletzung von Artikel 3, EMRK. Er führte aus, dass es in Bosnien-Herzegowina Behandlungsmöglichkeiten gebe. Selbst wenn diese nicht denselben Standard wie in Schweden aufwiesen, nicht so leicht zu erhalten und kostenintensiver seien, würde eine Abschiebung nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung von Artikel 3, EMRK führen:

'Here the Court would highlight that, according to established

case-law aliens who are subject to deportation cannot in principle

claim any entitlement to remain in the territory of a Contracting

State in order to continue to benefit from medical, social or other

forms of assistance provided by the deporting State. However, in

exceptional circumstances the implementation of a decision to remove

an alien may, owing to compelling humanitarian considerations,

result in a violation of Article 3 ... In this respect, the Court

observes that there is care and treatment available in the

applicant's home country, although not of the same standard as in

Sweden and not as readily available ... The Court is aware that the

care and treatment, if specialized, most probably would come at considerable cost for the individual. However, the fact that the fourth applicant's circumstances in Bosnia and Herzegovina would be less favourable than those enjoyed by him in Sweden cannot be regarded as decisive from the point of view of Article 3.'

2.7 Im Fall Ayegh (EGMR 7.11.2006, Appl. 4701/05) drohte einem Beschwerdeführer, dem in zwei Gutachten eine schwere Traumatisierung, Depressionen, Angstzustände und die Gefahr, Selbstmord zu begehen, attestiert wurden, die Abschiebung in den Iran. Der EGMR begründete seine Entscheidung, die Beschwerde für unzulässig zu erklären, damit, dass schlechtere Behandlungsmöglichkeiten im Iran kein Abschiebehindernis seien und dass auch die Selbstmorddrohung für den Fall der Ausweisung den Staat nicht daran hindere, die Abschiebung zu vollziehen, vorausgesetzt, dass konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des angedrohten Selbstmordes vom Staat ergriffen werden:

'In any event, the fact that the applicant's circumstances in Iran would be less favourable than those enjoyed by her in Sweden cannot be regarded as decisive from the point of view of Article 3 (see, Bensaid v. United Kingdom, no. 44599/98, §38, ECHR 2001-I; Salkic and others v. Sweden, (dec.), no. 7702/04, 29 June 2004)... the Court reiterates that the fact that a person, whose deportation has been ordered, threatens to commit suicide does not require the Contracting State to refrain from enforcing the deportation, provided that concrete measures are taken to prevent the threat from being realised.'

2.8 Die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Russland im Fall Goncharova & Alekseytsev (EGMR 3.5.2007, Appl. 31.246/06) erkannte der EGMR nicht als Verletzung in Artikel 3, EMRK, obwohl der Zweitbeschwerdeführer schwer psychisch krank war, bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich und gedroht hatte, sich im Falle der Abschiebung umzubringen. Der EGMR begründete seine Entscheidung erneut – unter Zitierung der Entscheidung D. v. United Kingdom – damit, dass nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände Artikel 3, EMRK verletzt sein könnte. Der Zweitbeschwerdeführer sei jedoch nicht in einer geschlossenen Anstalt gewesen und habe auch nicht ständigen Kontakt mit einem Psychiater gehabt. Auch die Drohung, im Falle der Abschiebung Selbstmord zu begehen, hindere den Vertragsstaat nicht daran, die Abschiebung zu veranlassen. Hiezu führt der EGMR aus:

'... aliens who are subject to deportation cannot in principle claim any entitlement to remain in the territory of a Contracting State in order to continue to benefit from medical, social or other forms of assistance provided by the deporting State. However, in exceptional circumstances the implementation of a decision to remove an alien may, owing to compelling humanitarian considerations, result in a

violation of Article 3 ... it observes that he has never been

committed to close psychiatric care or undergone specific treatment... not been in regular contact with a psychiatrist... In any event, the fact that the second applicant's circumstances in Russia will be less favourable than those enjoyed by him while in Sweden cannot be regarded as decisive from the point of view of

Article 3 ... Furthermore, concerning the risk that the second

applicant would try to commit suicide if the deportation order were enforced, the Court reiterates that the fact that a person, whose deportation has been ordered, threatens to commit suicide does not require the Contracting State to refrain from enforcing the deportation, provided that concrete measures are taken to prevent the threat from being realised... In the present case, the Court observes that the second applicant has tried to commit suicide twice

... and that a doctor ... considered that there was a clear risk of

suicide... The Court further takes note of the respondent Government-s submission that a deportation would be carried out in such a way as to minimise the suffering of the second applicant, having regard to his medical condition.'

Zusammenfassend ergibt sich aus den erwähnten Entscheidungen, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt vergleiche Pkt. 2.3 Fall Ndangoya). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Artikel 3, EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom)."

Der Verfassungsgerichtshof erkannte mit Verweis auf die ständige Judikatur des EGMR in seinem Erkenntnis vom 06.03.2008, Zl. B 2400/07-9, daher zusammenfassend "dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt vergleiche Pkt. 2.3 Fall Ndangoya). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Artikel 3, EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben" (VfGH vom 06.03.2008, B 2400/07-9).

Derartige Umstände sind aber im konkreten Fall nicht gegeben und war noch einmal darauf hinzuweisen, dass es BF1 möglich gewesen ist, den Gesundheitszustand des BF2 in römisch 40 abzuklären.

Die erkennende Richterin kommt daher zum Schluss, dass der gegenständliche Fall nicht mit dem mehrfach dargestellten Fall D. v. the United Kingdom – in welchem die unmenschliche Behandlung nicht bloß darin zu sehen war, dass sich der Beschwerdeführer in den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit befand, sondern in den besonderen Umständen, mit denen der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung konfrontiert gewesen wäre, nämlich im Risiko eines Todes unter qualvollen Umständen ohne jegliche Aussicht auf medizinische oder familiäre Begleitung – vergleichbar ist und somit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass BF2 im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation von derart außergewöhnlichen Umständen betroffen sein würde, die die hohe Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK übersteigen.

Unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes von BF2 steht eine Abschiebung Artikel 3, EMRK demnach nicht entgegen und waren andere Gründe, die gegen die Rückkehr der BF sprechen, nicht feststellbar.

Den BF ist es daher nicht gelungen, darzulegen, dass sie im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation in eine "unmenschliche Lage" versetzt würden. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung nicht gegen Artikel 2,, Artikel 3, EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Artikel 15, Litera c, StatusRL.

Somit war den BF auch nicht der Status von subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen.

Auch aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens der BF gemäß Paragraph 34, Absatz 4, in Verbindung mit Paragraph 2, Ziffer 22, AsylG 2005 war kein anderes Ergebnis begründbar, da keinem der BF Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist.

Rückkehrentscheidung:

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Die BF befinden sich seit ihrer illegalen Einreise im Juli 2014 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Keiner der BF ist Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen oder Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in den Beschwerden auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgten die Abweisungen der Anträge auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status von subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß Paragraph 8, Absatz 3 a, AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß Paragraph 52, Absatz 2, FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die Beschwerdeführer sind keine begünstigten Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 8, EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Artikel 8, EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entfernte verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Artikel 8, EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt vergleiche Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Artikel 8, Absatz eins, EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen vergleiche VwGH 21.4.2011, 2011/01/0093).

Das BFA hat in den oa. Bescheiden zutreffend dargelegt, dass die Rückkehrentscheidung im konkreten Fall keinen Eingriff in das in Artikel 8, EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der BF darstellt, und zwar aus folgenden Gründen:

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über keine relevanten familiären Beziehungen zu einer zum dauernden Aufenthalt berechtigten Person. Sie führen zwar als Mutter und minderjähriges Kind ein schützenswertes Familienleben, doch sind sie beide Asylwerber und ihre Asylverfahren sind allesamt negativ entschieden worden.

Die Beschwerdeführer, die unzweifelhaft ein Familienleben miteinander führen, sind daher allesamt im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, weswegen im Falle einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat diesbezüglich kein Eingriff in das Familienleben vorliegt.

Der Bruder von BF1/Onkel von BF2 lebt als anerkannter Flüchtling mit seiner Familie in Österreich. Hier wird jedoch kein Familienleben fortgeführt, da die BF mit dem Bruder/Onkel zuletzt im Herkunftsstaat nicht zusammengelebt haben, weshalb die Fortführung eines Familienlebens iSd. Artikel 8, EMRK ausscheidet. In der Einvernahme am 03.07.2017 erklärte BF1 zu ihrem Bruder und dessen Familie, dass diese in römisch 40 leben. Ihr Bruder sei arbeitslos und beziehe Sozialhilfe. Sie haben sich gegenseitig in der Vergangenheit nicht mit Geld oder Sachleistungen geholfen. Jeder lebe sein Leben und gebe er ihr manchmal die Fahrkosten, wenn die BF ihn besuchen würden. (AS 77) Es besteht kein gemeinsamer Wohnsitz und wurde eine finanzielle Unterstützung verneint. Auch ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis wurde nicht dargelegt und beschränke sich der Kontakt auf gelegentliche Besuche. Zwischen den Beschwerdeführern und den aufgezählten im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten besteht demnach eine Beziehung, wie sie unter derartigen Verwandten üblich ist.

Es finden sich demnach keine Anhaltspunkte für die von der Judikatur geforderte besondere Intensität bzw. Verbundenheit, um ein Familienleben iSd. Artikel 8, EMRK zu bejahen. Es ist demnach evident, dass ein Eingriff in diese verwandtschaftliche Beziehung keine Verletzung des Rechtes auf Familienleben iSd. Artikel 8, EMRK bedeutet. ISd. Artikel 8, EMRK schützenswerte familiäre Bande bestehen mit den im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten nicht.

Ist im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben iSd. Artikel 8, EMRK zu verneinen, bleibt noch zu prüfen, ob mit der Rückkehrentscheidung in das Privatleben der BF eingriffen wird und ob ein derartiger Eingriff gerechtfertigt ist.

Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens der Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Artikel 8, EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Artikel 8, Absatz 2, EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd. Artikel 8, EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen vergleiche Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt vergleiche dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Artikel 8, EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Allerdings ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist vergleiche VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0126, mit weiterem Nachweis).

Gemäß der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Integration von Asylwerbern stärker zu berücksichtigen, wenn – anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte – diese während eines einzigen Asylverfahrens erfolgt ist und von den Asylwerbern nicht schuldhaft verzögert wurde vergleiche VfGH 7.10.2010, B 950/10 u. a., wonach es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung – ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass den nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre – 7 Jahre verstreichen). Diese Judikatur wurde durch die Einführung der lit. römisch eins in Paragraph 10, Absatz 2, Ziffer 2, AsylG 2005 im Rahmen der Novelle Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 38 aus 2011, umgesetzt und findet sich nunmehr in Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer 9, BFA-VG.

Auch wenn demnach drei Jahre vergangen sind, bis das BFA die angefochtenen Entscheidungen erlassen hat, ist im Lichte der zitierten Judikatur bei einer Entscheidungsdauer von nunmehr drei Jahren und zwei Monaten von keiner kurzen aber auch nicht von einer übermäßig langen Verfahrensdauer auszugehen, wobei festzuhalten ist, dass die BF in der Zeit ihres Aufenthaltes keine fortgeschrittene Integration erlangt haben.

Neben der Aufenthaltsdauer sind bei der Interessenabwägung gemäß Artikel 8, EMRK insbesondere das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen vergleiche VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, 282ff).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Im Fall Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung einer ugandischen Asylwerberin aus dem Blickwinkel des Artikel 8, EMRK als zulässig, obwohl die Beschwerdeführerin, die erfolglos Asyl begehrt hatte, in der Zwischenzeit bereits fast 10 Jahre in Großbritannien aufhältig gewesen war: Ihrem Hinweis auf ihr zwischenzeitlich begründetes Privatleben, nämlich dass sie sich mittlerweile an einer Kirchengemeinschaft beteiligt habe, berufstätig geworden und eine Beziehung zu einem Mann entstanden sei, hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine niedergelassene Einwanderin und ihr vom belangten Staat nie ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge und Menschenrechtsbeschwerden sei immer prekär gewesen, weshalb ihre Abschiebung nach Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig werde (EGMR 8.4.2008, 21.878/06, NL 2008, 86, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich).

Im Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen, der die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers betraf, erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Artikel 8, EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen (EGMR 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen). In derartigen Fällen könne die Ausweisung eines Fremden nach Ansicht des Gerichtshofes (wie er im Fall da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande hervorhob) nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Artikel 8, EMRK darstellen (EGMR 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande mwN).

Unter Berufung auf diese Judikatur hatte der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg. 18.224/2007 keine Bedenken gegen die Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen trotz seines 11-jährigen Aufenthaltes, da sich der Aufenthalt (zunächst) auf ein für Studienzwecke beschränktes Aufenthaltsrecht gegründet hatte und vom Beschwerdeführer nach zwei Scheinehen schließlich durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Asylanträge verlängert wurde.

Keine Verletzung von Artikel 8, EMRK erblickte auch der Verwaltungsgerichtshof in der Ausweisung eines ukrainischen (ehemaligen) Asylwerbers, der im Laufe seines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes durch den Erwerb der deutschen Sprache, eines großen Freundeskreises sowie der Ausübung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen (sowie mit seiner Unbescholtenheit) seine Integration unter Beweis gestellt hatte, da – wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausführte – die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der "auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag" gegründet gewesen sei (VwGH 8.7.2009, 2008/21/0533; vergleiche auch VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654). Auch die Ausweisung eines unbescholtenen nigerianischen (ehemaligen) Asylwerbers, der beinahe während seines gesamten und mehr als 9-jährigen Aufenthaltes in Österreich einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war, über sehr gute Deutschkenntnisse verfügte und nie öffentliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen hatte, beanstandete der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Artikel 8, EMRK nicht, wobei er auch dem Argument des Beschwerdeführers, dass über seine Berufung in seinem Asylverfahren ohne sein Verschulden erst nach 7 Jahren entschieden worden war, keine entscheidende Bedeutung zugestand: Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages – auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte – im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Keine außergewöhnlichen Umstände iSd Artikel 8, EMRK, die es unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Ausweisung eines (ehemaligen) chinesischen Asylwerbers, der in den letzten sieben Jahren seines rund achteinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen war und über eine österreichische Lebensgefährtin verfügte (VwGH 29.6.2010, 2010/18/0209; vergleiche ähnlich auch VwGH 13.4.2010, 2010/18/0087). Zum selben Ergebnis gelangte der Verwaltungsgerichtshof bei der Ausweisung eines georgischen (ehemaligen) Asylwerbers, der sich schon fast 8 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte, über gute Deutsch-Kenntnisse verfügte und selbständig erwerbstätig war: Der Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass eine Reintegration des Beschwerdeführers (nicht zuletzt auch aufgrund seines Schulbesuchs in seiner Heimat) trotz behaupteter Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche in Georgien weder unmöglich noch unzumutbar erscheine (VwGH 6.7.2010, 2010/22/0081).

Unter Berücksichtigung der im Verfahren und mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen ergibt sich Folgendes:

BF1 hat in der Zeit ihres Aufenthaltes keine fortgeschrittene Integration dargelegt.

Sie weist keine Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 auf. Sie hat lediglich Deutschkurse besucht und eine Prüfungsbestätigung auf dem Niveau A1 vorgelegt.

Beide BF leben von der Grundversorgung, BF1 geht keiner legalen Beschäftigung nach, ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer karitativen Einrichtung bildet sich nicht aus, weiter oder fort. Sie nimmt lediglich an einem römisch 40 teil.

In der Beschwerde wurde ausgeführt, sie könne keiner legalen Beschäftigung aufgrund der schweren Erkrankung ihres Sohnes nachgehen, wobei bereits dargelegt wurde, dass BF2 lediglich an einer Entwicklungsstörung leidet.

Im Fall von BF1 liegen demnach keinerlei hervorzuhebende integrative Aspekte vor. Insbesondere ist eine wirtschaftliche Integration nicht absehbar.

BF2 lebt mit BF1 in einer Asylwerberunterkunft. Für diesen wurden keinerlei integrativen Aspekte vorgetragen, sondern hält sich dieser primär bei BF1 auf. BF2 hält sich nunmehr seit gut drei Jahren nicht mehr im Herkunftsstaat auf, doch besteht unvermindert Kontakt zu den Angehörigen im Herkunftsstaat und kann im Falle des fünf Jahre alten BF2, der noch nicht einmal schulpflichtig ist und im Übrigen in der Entwicklung verzögert ist, nicht davon ausgegangen werden, dass ihm eine Resozialisierung im Herkunftsstaat trotz damit verbundener Anstrengungen nicht möglich und zumutbar wäre. Hier war im Übrigen festzuhalten, dass BF1 nach wie vor nur Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 aufweist, im Vergleich dazu jedoch fließend Russisch und Tschetschenisch spricht. In Österreich hält sich lediglich ein Bruder/Onkel auf, der offensichtlich keine Stütze für die BF ist, umgekehrt lebt im Herkunftsstaat der gesamte Familienclan, weshalb auch im Lichte der Entwicklungsstörung von einer einfacheren Situation für die BF im Herkunftsstaat – wo sie ein familiärer Netz vorfinden – als im Bundesgebiet auszugehen ist.

Es ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des noch sehr jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters von BF2 davon ausgegangen werden kann, dass für diese der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat – nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre vergleiche etwa EGMR 26.01.1999, 43.279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich: In dieser Zulässigkeitsentscheidung attestierte der Europäische Gerichtshof Kindern im Alter von 7 Jahren und 11 Jahren eine Anpassungsfähigkeit, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erschienen ließ; vergleiche auch VwGH 25.03.2010, Zl. 2009/21/0216; 31.03.2008, Zl. 2008/21/0081; 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216). Aufgrund der altersgemäßen Anpassungs- und Lernfähigkeit ist davon auszugehen, dass BF2, der noch nicht einmal schulpflichtig ist, auf lange Sicht gesehen nicht mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre. Zudem bedarf er wegen seines Alters weiterhin der Unterstützung seiner Mutter, welche wiederum ebenfalls von einer Rückkehr in die Russische Föderation betroffen ist, da die in deren Verfahren durchgeführte Interessenabwägung nach Artikel 8, Absatz 2, EMRK zugunsten einer Aufenthaltsbeendigung ausgegangen ist, woraus wiederum eine beträchtliche Relativierung der privaten Interessen des Minderjährigen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet resultiert.

Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen hingegen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 Paragraph 1666, Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).

Es wurde bereits eingangs ausgeführt, dass eine Rückkehr von BF2 nur gemeinsam mit der Mutter – BF1 – möglich ist, da sie ein Familienleben iSd. Artikel 8, EMRK begründen. Gesonderte Überlegungen im Falle einer alleinigen Rückkehr von BF2 müssen demnach nicht angestellt werden.

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiären Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen vergleiche VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

Die Unbescholtenheit von BF1 fällt bei der vorzunehmenden Abwägung nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ins Gewicht. Laut Judikatur bewirkt die strafrechtliche Unbescholtenheit weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen. (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht vergleiche Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).

Im Übrigen sind die BF illegal eingereist und haben unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Den privaten Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Absatz 2, EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH v. 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u. v.a.).

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes des österreichischen Arbeitsmarktes die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet vergleiche dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf vergleiche dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.9.2007, B 1150/07), wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der BF am Verbleib in Österreich.

Zusammengefasst ist deshalb davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, jedenfalls in den Hintergrund treten.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Dies würde darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde vergleiche hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Verhängung seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hiebei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

Im Ergebnis verfügen die BF über keine relevanten familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Die Beschwerdeführer konnten auch keine hinreichenden eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Der persönliche, familiäre und berufliche Lebensmittelpunkt der BF lag bislang in der Russischen Föderation. Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende außergewöhnliche Integration in Österreich liegen nicht vor.

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist der belangten Behörde letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe dass der angefochtene Bescheid einen Eingriff in das durch Artikel 8, EMRK geschützte Privat- und Familienleben darstellt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).

Nach Paragraph 50, Absatz 3, FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Umstände, welche das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung begründen würden, kamen nicht hervor. Ebenso ergibt sich aus den umfassenden beweiswürdigenden Überlegungen sowie den rechtlichen Ausführungen zur Nichtgewährung von subsidiären Schutz, dass keine Umstände vorliegen, welche gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen.

Unter Berücksichtigung sämtlicher individuellen Umstände der BF steht eine Abschiebung Artikel 3, EMRK demnach nicht entgegen und konnten die Beschwerdeführer – wie umfassend dargelegt – keine Gründe darlegen, die gegen ihre Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen würden.

Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch IV. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht laut Paragraph 55, Absatz eins a, FPG nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 68, AVG sowie wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens gemäß Paragraph 18, BFA-VG, wie im vorliegenden Fall, durchführbar wird.

Gemäß Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG kann das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat.

Da BF1 keine Verfolgungsgründe vorbrachte bzw. ein Verfolgungsgrund im Zusammenhang mit Konventionsgründen nicht dargelegt hat, war die von der belangten Behörde ausgesprochene Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zu bestätigen, zumal auch das BFA zu Recht davon ausgegangen ist, dass für die BF bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben ist. Er bedarf daher nicht des Schutzes Österreichs. Zutreffend ging das BFA im Fall der BF davon aus, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten ist. Da dem Antrag der BF auf internationalen Schutz keine Aussicht auf Erfolg beschieden ist und ihnen auch keine sonstige reale und menschenrechtsrelevante Gefahr im Herkunftsstaat droht, ist die Einschätzung, dass es den BF zumutbar ist, den Ausgang ihres Asylverfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten, nicht zu beanstanden. Das Interesse der BF auf einen Verbleib in Österreich während des gesamten Asylverfahrens tritt daher hinter das Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung.

Da BF1 entsprechend Paragraph 18, Absatz eins, Ziffer 4, BFA-VG keine Verfolgungsgründe vorgebracht hat, war die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde zu Recht abzuerkennen und demzufolge keine Frist für die freiwillige Ausreise zu setzen.

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt Paragraph 24, VwGVG.

Gemäß Paragraph 24, Absatz eins, des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Absatz 4, leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Artikel 6, Absatz eins, der EMRK noch Artikel 47, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, Sitzung 389, (2010/C 83/02) entgegenstehen.

Gemäß Artikel 47, Absatz eins, GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Absatz 2, leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Nach Artikel 52, Absatz eins, GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Paragraph 41, Absatz 7, AsylG, noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Artikel 47, Absatz 2, GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem BVwG somit, dass aus dem Akteninhalt der belangten Behörde die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist.Der VwGH hat zur Frage der Verhandlungspflicht mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 ausgesprochen, dass sich die bisher zu Paragraph 67 d, AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weitgehend übertragen lässt. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren ist primär Paragraph 21, Absatz eins und subsidiär Paragraph 24, Absatz 4, VwGVG als maßgeblich heranzuziehen. Für die Auslegung der Wendung in Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG 2014, "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt erscheint", sind nunmehr folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt habe und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalte behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in Paragraph 20, BFA-VG 2014 festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des BVwG keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung von BF1 nachgekommen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt, wobei die Angaben der BF1 für glaubhaft befunden wurden, und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet. Vielmehr finden sich dort lediglich Spekulationen bzw. Verweise auf die im Verfahren vorgehaltenen Länderinformationen zum Herkunftsstaat, die eine Verfolgung von BF1 im Herkunftsstaat stützen würden.

Mit der Beschwerde wurde daher auf der Sachverhaltsebene nichts Entscheidungsrelevantes mehr vorgebracht, zumal sich die Beschwerde darauf beschränkte, die Ermittlungstätigkeit des BFA unsubstantiiert zu kritisieren und das Vorbringen von BF1 zu wiederholen.

In der Beschwerde wurden auch lediglich eine weitere Deutschkursbesuchsbestätigung sowie ein aktueller medizinischer Befund betreffend BF2 vorgelegt. Damit hat BF1 lediglich dargetan, weiterhin Deutsch zu lernen. Im aktuellen medizinischen Befund finden sich keine Ausführungen, die sich nicht schon in den zahlreichen bisherigen medizinischen Befunden finden.

Dem BVwG liegt sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der BF1 mündlich zu erörtern gewesen wäre.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG eine mündliche Verhandlung somit unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu

A) wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2017:W189.2165911.1.00