Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

29.05.2017

Geschäftszahl

W261 2149926-1

Spruch

W261 2149926-1/9E

W261 2149932-1/9E

W261 2149938-1/8E

W261 2149935-1/8E

W261 2149929-1/8E

W261 2149940-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerden vom 17.02.2017 von

1. römisch 40 , geb. römisch 40 , Staatsangehörigkeit Afghanistan

2. römisch 40 , geb. römisch 40 (bzw. römisch 40 ), Staatsangehörigkeit Afghanistan,

3. mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , vertreten durch seine Mutter, römisch 40 , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

4. mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , vertreten durch seine Mutter, römisch 40 , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

5. mj. römisch 40 , geb. römisch 40 , vertreten durch ihre Mutter, römisch 40 , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

6. mj. römisch 40 , geb römisch 40 , vertreten durch seine Mutter, römisch 40 , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

jeweils gegen die Spruchpunkte römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom

1. 09.02.2017, Zl. XXXX

2. 09.02.2017, Zl. XXXX

3. 09.02.2017, Zl. XXXX

4. 09.02.2017, Zl. XXXX

5. 09.02.2017, Zl. XXXX

6. 09.02.2017, Zl. römisch 40 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2017,

zu Recht:

A)

römisch eins. Der Beschwerde der römisch 40 wird stattgegeben und römisch 40 wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

römisch II. Den Beschwerden von römisch 40 , mj. römisch 40 , mj. römisch 40 , mj. römisch 40 und mj. römisch 40 wird stattgegeben und römisch 40 , mj. römisch 40 , mj. römisch 40 , mj. römisch 40 und mj. römisch 40 wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 , mj. römisch 40 , mj. römisch 40 , mj. römisch 40 und mj. römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Gang des Verfahrens

Die afghanische Staatsangehörige römisch 40 (in der Folge Erstbeschwerdeführerin oder BF1) reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann römisch 40 (in der Folge Zweitbeschwerdeführer oder BF2) und ihren gemeinsamen Kindern, mj. römisch 40 (in der Folge Drittbeschwerdeführer der BF3), mj. römisch 40 (in der Folge Viertbeschwerdeführer der BF4), mj. römisch 40 (in der Folge Fünftbeschwerdeführerin der BF5), und mj. römisch 40 (in der Folge Sechstbeschwerdeführer oder BF6) am 01.07.2015 ins Bundesgebiet ein und stellte wie BF2 bis BF6 einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF1 gab im Zuge der Erstbefragung am 03.07.2015 bei der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landesverkehrsabteilung Autobahnpolizei römisch 40 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass sie und ihre Familie aus dem Ort römisch 40 , im Bezirk römisch 40 aus der Provinz römisch 40 in Afghanistan stammen würden. Sie sei in römisch 40 geboren, sei Tadschikin und sunnitische Moslem.

Als Fluchtgrund nannte BF1, dass zwei ihrer Kinder dringend medizinische Versorgung benötigen würden, sie würden ca. alle 20 Tage neues Blut brauchen. Vor ca. 7 Jahren sei ihr Kind namens römisch 40 an der gleichen Krankheit verstorben. Ihr Mann (BF2) habe vor ca. einem Jahr Probleme gehabt, es sei jemand zu ihnen nach Hause gekommen und hätte ihn geschlagen. BF1 stelle für ihre vier Kinder (BF3 bis BF6), welche alle in römisch 40 geboren seien, ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. BF3 bis BF6 hätten keine eigenen Fluchtgründe.

BF2 gab anlässlich der Erstbefragung am 03.07.2015 bei der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landesverkehrsabteilung Autobahnpolizei römisch 40 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er in römisch 40 geboren, Tadschike und sunnitischer Moslem sei. Sein letztausgeübter Beruf sei Taxifahrer gewesen. Er bestätigte im Wesentlichen die Fluchtgründe, die BF1 im Rahmen ihrer Erstbefragung ausgeführt hatte, wobei er ergänzend ausführte, dass er oft von römisch 40 nach römisch 40 wegen der medizinischen Versorgung seiner Kinder gereist sei. Vor ca. einem Jahr seien fünf bewaffnete Männer zu ihm nach Haus gekommen. Sie hätten ihn geschlagen und mit einem Messer verletzt, weil sie gedacht hätten, dass er für die Regierung arbeite.

Mit Verfahrensanordnungen vom 03.07.2015 teilte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost den BF gem. Paragraph 29, Absatz 3, AsylG 2005 bzw. Paragraph 15 a, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 63, Absatz 2, AVG mit, dass beabsichtigt sei, deren Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da eine Zuständigkeit des Dublinstaates Ungarn angenommen werde.

Am 25.08.2015 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost eine Einvernahmen im Rahmen des Parteiengehörs wegen der beabsichtigten Außerlandesbringung der BF durch. Dabei gab BF1 an, dass sie in Ungarn lediglich für einen Tag und eine Nacht aufhältig gewesen seien und einen Asylantrag hätten stellen müssen. Sie seien in Ungarn schlecht behandelt worden. Sie würden auf keinen Fall nach Ungarn zurückkehren, da zwei Kinder krank seien, und deren medizinische Versorgung in Ungarn nicht sichergestellt sei.

In weiterer Folge veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost eine medizinische Untersuchung der BF am 01.09.2015 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Die medizinische Sachverständige stellte in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 04.09.2015 fest, dass BF 1 an einer Anpassungsstörung mit Somatisierungsneigung leide, bei BF2 liege keine psychische Störung vor. In ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 07.09.2015 führte die medizinische Sachverständige aus, dass auch bei BF3 bis BF6 keine krankheitswertige psychische Störung vorliegen würden. BF4 und BF6 würden jedoch an Thalassämie Major, einer schwer verlaufenden chronischen Krankheit, leiden. Menschen mit dieser Krankheit müssten ihr Leben lang ca. alle drei Wochen eine Bluttransfusion erhalten und Medikamente einnehmen. Eine laufende Therapie der Krankheit sei unbedingt erforderlich. BF4 habe einen zu großen Kopf aufgrund der extramedullären Blutbildung im Schädelknochen. Dies sei irreversibel aber eine weitere Vergrößerung und Missbildung könne durch konsequente Bluttransfusionen hintangehalten werden.

Am 21.11.2015 fand die Ersteinvernahme von BF1 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, jedoch ohne Rechtsberater beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (in der Folge belangte Behörde) statt. Im Zuge dieser Einvernahme gab BF1 bekannt, dass sie ihre Kinder (BF3 bis BF6) in diesem Verfahren vertrete. BF1 war bei ihrer Einvernahme traditionell gekleidet und trug ein Kopftuch. Sie habe vor 16 Jahren in Afghanistan BF2 geheiratet, habe 10 Jahre lang die Schule besucht und habe zuletzt für ca. ein Jahr in römisch 40 gelebt. Davor seien sie und ihre Familie in römisch 40 wohnhaft gewesen. Aufgrund des Umstandes, dass sie laufend mit den kranken Kindern nach römisch 40 zur Bluttransfusion hätten fahren müssen, seien sie eines Nachts in deren Haus überfallen worden. Die Männer hätten ihnen vorgeworfen, dass sie Spione seien. Sie selbst sei auch auf den Rücken geschlagen und dann ohnmächtig geworden. Unmittelbar nach diesem Vorfall sei die Familie nach römisch 40 gezogen. Dort habe ihrem Sohn jemand nachgerufen und hätte gesagt, dass er warten solle, man wisse wo die Familie wohne. BF4 sei in der Schule wegen seines großen Kopfes und des großen Bauchumfanges immer wieder gehänselt worden. Sie habe in Österreich bereits Freunde gefunden.

BF2 gab anlässlich seiner Einvernahme bekannt, dass seine Mutter Tadschikin und sein Vater Paschtune sei. Er habe acht Jahre lang die Schule besucht. Es sei der Familie in Afghanistan wirtschaftlich sehr gut gegangen, sie hätten Grundstücke gehabt, er habe gearbeitet und gut verdient. Zu den Fluchtgründen bestätigte er im Wesentlichen das Vorbringen von BF1. Er sei nach diesem Vorfall in römisch 40 in römisch 40 persönlich nicht bedroht worden, er sei jedoch verängstigt gewesen. Nachdem sein Sohn in römisch 40 von einer Person verfolgt worden sei, und es sehr schwer für seine Söhne gewesen sei, Bluttransfusionen zu bekommen, hätten seine Familie und er den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen.

Die belangte Behörde wies jeweils mit Bescheiden vom 09.02.2017 die Anträge der BF1 bis BF 6 auf internationalen Schutz ab. Die belangte Behörde erkannte BF4 und BF6 mit den genannten Bescheiden nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG und BF1, BF2, BF3 und BF5 nach Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG erteilte die belangte Behörde den BF mit den genannten Bescheiden eine befristete Aufenthaltsgenehmigung bis zum 09.02.2018.

In der Begründung der angefochtenen Bescheide verwies die belangte Behörde im Wesentlichen auf der Ergebnis der Beweisaufnahme. Bei BF4 und BF6 liege aufgrund deren Gesundheitszustandes ein Abschiebehindernis vor, weswegen diesen subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Es bestünden daher stichhaltige Gründe für die Annahme, dass im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung von BF1, BF2, BF3 und BF5 diese einer realen Gefahr einer Verletzung nach Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt seien. Die belangte Behörde sah es als nicht glaubhaft an, dass die BF aufgrund des behaupteten Angriffes von Männern Afghanistan hätten verlassen müssen, zumal sie nach diesem Angriff noch in etwa ein Jahr in Afghanistan gelebt hätten. Zur Lage im Herkunftsstaat verwies die belangte Behörde auf den Länderinformationsbericht Afghanistan der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2016 in der Fassung vom 19.12.2016.

Mit Verfahrensanordnungen vom 09.02.2017 (für BF1 bis BF 6) teilte die belangte Behörde den BF gemäß Paragraph 52, Absatz eins, BFA-VG mit, dass diesen für das Beschwerdeverfahren (Antrag auf internationalen Schutz) vor dem Bundesverwaltungsgericht die juristische Person Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt werde.

Gegen die genannten Bescheide erhoben BF1 bis BF6 am 17.02.2017, fristgerecht Beschwerden durch ihren bevollmächtigten Rechtsvertreter, Verein Menschenrechte Österreich, an das Bundesverwaltungsgericht. In deren Beschwerden führten die BF als Beschwerdegründe im Wesentlichen aus, dass die BF in Afghanistan von den Taliban als Spione für die Regierung verfolgt werden würden. Im Falle der Rückkehr müssten sie damit rechnen von den Taliban ermordet zu werden. Dem afghanischen Staat fehle die Schutzfähigkeit. Zudem sei die Familie auch in römisch 40 nicht sicher gewesen, BF4 sei am Schulweg verfolgt worden.

Mit Eingabe vom 17.05.2017 legte die Caritas eine Vertretungsvollmacht der BF für das Asylverfahren vor. Diese Vollmacht beinhalte jedoch keine Zustellvollmacht. Gleichzeitig teilte die Rechtsvertreterin dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass BF1 regelmäßig in Stresssituationen unter Anfällen leide, bei denen sie bewusstlos werde und für einige Zeit nicht ansprechbar sei. Die Caritas legte diesem Schreiben entsprechende ärztliche Befunde bei.

Mit Eingabe vom 17.05.2017 teilte der Verein Menschenrechte Österreich mit, dass die BF am 17.05.2017 das Vollmachtsverhältnis beendet hätten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.05.2017 eine gemeinsame mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und der Rechtsvertreterin der BF durch, bei welcher BF1, BF2 und BF6 persönlich anwesend waren. Die zuständige Richterin teilte den BF anlässlich der mündlichen Verhandlung mit, dass die anhängigen Beschwerdeverfahren der Familie gemäß Paragraph 39, Absatz 2, AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden würden.

Die BF legten bei dieser Verhandlung ein Konvolut an verschiedenen Unterlagen vor, einerseits Unterlagen, die deren Integrationsbemühungen aufzeigen sollen und andererseits medizinische Befunde. BF1 und BF2 wiederholten anlässlich der mündlichen Verhandlung getrennt voneinander befragt im Wesentlichen das, was sie bereits im Verfahren vor der belangten Behörde ausgesagt hatten.

BF1 gab befragt zu ihrer Lebenssituation in Österreich an, dass sie sich hier glücklich sei. Sie kümmere sich um ihre Kinder, habe in Niederösterreich einen Deutschkurs besucht und habe zahlreiche Kontakte, auch mit Österreichern gehabt. So habe sie an Kochpartys teilgenommen, bei denen das Essen dann am Markt verkauft worden sei. Sie hätten auch gerne Gäste zu sich eingeladen. Die Familie würde nun seit kurzem in Wien leben, und es seien aktuell viel Papierarbeit und Behördenwege zu erledigen. Sie hätten sich in Wien bereits für einen Deutschkurs angemeldet, der im Juli beginnen würde. Schon in Afghanistan wäre sie gerne Ärztin oder Lehrerin geworden, was jedoch unter dem Talibanregime nicht möglich gewesen sei. Es wäre ihr Wunsch, einen dieser Berufe hier zu erlernen. Zurzeit habe sie keine Arbeit, sie wolle jedoch in Österreich ihren Traum erfüllen, und selbst berufstätig sein und ein freies Leben haben. Sie habe viele Fähigkeiten, so dass sie mehrere Berufe ausüben könne. Sie koche sehr gut, könne schneidern, so dass sie auch in diesen Bereichen tätig sein könne, sollte es ihr nicht gelingen, ihre Berufsträume zu erfüllen. Sie würde gerne ein Auto haben, und selbst fahren. Sie habe es satt zu Hause zu sitzen, sie wolle nach draußen gehen und ihre Freunde besuchen. Das Leben in Afghanistan sei sehr hart für sie als Frau gewesen. Als sie geheiratet habe, habe sich ihr Leben in ein Gefängnis verwandelt. Es sei ihr nicht möglich gewesen, ohne männliche Begleitung raus zu gehen. Von den Taliban sei es ihr nicht erlaubt gewesen, einen Beruf auszuüben. Sie habe eine Burka tragen müssen. Sie wünsche sich auch für ihre Kinder ein selbstbestimmtes und freies Leben, dass sie zur Schule gehen, lernen und eine Ausbildung machen können. Speziell für ihre Tochter (BF5) wünsche sie sich auf keinen Fall, dass sie auch so ein elendes Leben führen müsse und das Leid erfahre, wie sie (BF1) es in ihrem Leben in Afghanistan habe erfahren müssen. Ihre eigene Ehe sei von den Eltern arrangiert worden. Ihre Kinder würden sich deren zukünftige Ehepartner selbst aussuchen können. BF1 trug anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung westliche Kleidung und ihr Haar offen und ohne Kopfbedeckung.

BF2 gab an, dass er am 01.01.1976 und nicht wie im gegenständlichen Asylverfahren angeführt am 01.01.1986 geboren sei. Dies sei aus dem der belangten Behörde übermittelten Führerschein zu entnehmen. Er stamme aus römisch 40 , im Distrikt römisch 40 , der seit ca. 10 Jahren nicht mehr zur Provinz römisch 40 , sondern zur Stadtprovinz römisch 40 gehöre. Dort habe er auch mit seiner Familie gelebt, bevor sie nach dem Überfall durch die Männer in die Stadt römisch 40 gezogen seien. Die ganze Familie sei glücklich und genieße das freie Leben in Österreich. Er unterstütze die Entwicklung seiner Frau. Sie sei es, die die Einkäufe erledige und das Geld verwalte. Obwohl deren Ehe arrangiert worden sei, seien er und BF1 glücklich.

Die Rechtsvertreterin brachte anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung unter anderem vor, dass BF 1 zur Gruppe der westlich orientierten Frauen zähle. Für die gesamte Familie bestehe ein Verfolgungsrisiko durch regierungsfeindliche Kräfte. BF 4 leide neben der Thalassämie auch an der Makrozephalie, die durch überdurchschnittliche Vergrößerung des Schädels deutlich erkennbar sei. Er leide daher an einer nach außen hin stark sichtbaren Beeinträchtigung. Er gehöre damit der sozialen Gruppe der behinderten Personen an und habe in Afghanistan asylrelevante Verfolgung zu erwarten.

Im Zuge der Verhandlung erörterte die Richterin mit den BF und deren Rechtsvertreterin die aktuellen Länderberichte für Afghanistan.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.05.2017 je eine Strafregisterauskunft für BF1, und BF2 durch. Deren Ergebnis war, dass weder für BF1 noch für BF2 im Strafregister der Republik Österreich eine Verurteilung aufscheint.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur den Beschwerdeführern und deren Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, sunnitischen Glaubens und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an.

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer heirateten vor ca. 17 Jahren in ihrem Heimatstaat Afghanistan, und sind die leiblichen Eltern der minderjährigen Dritt-, Viert-, Fünft- und Sechsbeschwerdeführer.

Der Viert- und der Sechstbeschwerdeführer leiden an Thalassämie Major, einer schwer verlaufenden chronischen Krankheit, die einer ständigen Therapie bedarf. Beide müssen lebenslang ca. alle drei Wochen Bluttransfusionen erhalten und laufend Medikamente einnehmen. Der Viertbeschwerdeführer leidet auch an einer irreversiblen Vergrößerung seines Kopfes.

Die Beschwerdeführer lebten jahrelang gemeinsam in ihrem eigenen Haus im Dorf römisch 40 , im Distrikt römisch 40 in der Stadtprovinz römisch 40 .

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer fuhren in Afghanistan regelmäßig von deren Heimatdorf römisch 40 ins Krankenhaus in die Stadt römisch 40 , um die notwendigen Bluttransfusionen für deren Kinder (Viert- und Sechstbeschwerdeführer) zu erhalten.

Eines Nachts im Jahr 2014, etwas mehr als ein Jahr vor deren Ausreise aus deren Heimatstaat, überfielen fünf bis sechs Männer die BF in deren Haus in römisch 40 . Sie schlugen die Erst- und den Zeitbeschwerdeführer und bezichtigten diese, als Spione für die Regierung tätig zu sein, weil sie ständig zwischen der Stadt römisch 40 und deren Dorf hin- und herfahren würden. Nach diesem Überfall übersiedelte die Familie in die Stadt römisch 40 . Mit Ausnahme eines Vorfalles in der Stadt römisch 40 , bei welchem der Viertbeschwerdeführer auf der Straße von einem ihm unbekannten Mann angesprochen wurde, fanden bis zu deren Ausreise aus Afghanistan keine weiteren Bedrohungen der Beschwerdeführer durch Fremde statt.

Die Beschwerdeführer reisten irregulär ins Bundesgebiet ein und stellten am 01.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

Die Erstbeschwerdeführerin ist eine Frau, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht (mehr) vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie trägt ihr Haar offen und unbedeckt und ist westlich gekleidet. Die Beschwerdeführerin beabsichtigt, in Österreich ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen, wobei sie auch außerhalb ihres Heimes berufstätig sein will. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die Erst- bis Sechstbeschwerdeführer/innen von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen sind oder nach denen ein Ausschluss der Erst- bis Sechstbeschwerdeführer/innen zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Frauen in Afghanistan:

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich auf diesem Wege deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor (AA 6.11.2015): Für Frauen sind per Verfassung 68 der 249 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.6.2015). Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2010 wurden 69 Frauen gewählt, eine mehr als die Quote vorsieht. Etwa 400 Frauen bewarben sich für die Sitze, was in etwa 16% aller Kandidat/innen ausmacht (CRS 12.1.2015). Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus werden vom Präsidenten vergeben (USDOS 25.6.2015); 17 dieser Sitze sind für Frauen vorgesehen. Derzeit haben Frauen insgesamt 28 Sitze inne (CRS 12.1.2015).

Die im September 2015 von Präsident Ghani initiierten Wahlreformen sehen Frauenquoten von 25 Prozent für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit 4 Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 6.11.2015).

Bildung:

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung – auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vergleiche auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 – 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vergleiche auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vergleiche auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vergleiche auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vergleiche auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women‘s Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vergleiche auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vergleiche auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen – womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vergleiche auch: Sputnik News 14.6.2016).

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vergleiche USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vergleiche auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen – inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW–Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurden Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission – AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 – März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vergleiche auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt – in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vergleiche auch: AA 9.2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

Medizinische Versorgung – Gynäkologie

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016)

Quelle: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, SS 143 bis 154, Stand 02.03.2017

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zu ihrer ethnischen Zugehörigkeit und zu ihrer Religionszugehörigkeit ergeben sich aus den glaubhaften Vorbringen der BF1 und des BF2 im Rahmen der Einvernahme bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung am 18.052017.

Die von der BF1 und vom BF2 behauptete Identität beruhen auf den Aussagen der BF im Rahmen deren Einvernahmen bzw. hinsichtlich des Geburtsdatums von BF2 auf dessen Führerschein, den er im Original der belangten Behörde vorgelegt hat. Das entsprechende Vorbringen des BF2 in der mündlichen Verhandlung, wonach das bisher im Verfahren herangezogene Geburtsdatum nicht mit dem tatsächlichen übereinstimme, ist insbesondere vor dem Hintergrund der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF2 im gesamten Verfahren glaubhaft. Soweit den BF im Asylverfahren ein Namen und ein Geburtsdatum zugeordnet werden, dienen diese Angaben lediglich der Individualisierung der BF als Verfahrensparteien, nicht jedoch der Identitätsfeststellung.

Die Feststellung zur Ehe der BF1 und des BF2 und deren Elternschaft zu den minderjährigen BF3, BF4, BF5 und BF6 ergeben sich aus den vorgelegten Akten und aus den glaubhaften und Aussagen von BF1 und BF2 anlässlich der mündlichen Verhandlung am 18.05.2017.

Die Feststellungen zu den Krankheiten von BF4 und BF6 ergeben sich auf die von der belangten Behörde eingeholte in sich schlüssige und nachvollziehbare medizinische gutachterliche Stellungnahme vom 07.09.2015 und auf die von den BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.05.2017 vorgelegten medizinischen Befunde.

Die Feststellungen zur jeweiligen Antragstellung auf internationalen Schutz ergeben sich aus den dem Bundesverwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenunterlagen.

Die weitestgehend übereinstimmenden Schilderungen des nächtlichen Überfalles durch fünf oder sechs Männer im Haus der BF im Dorf römisch 40 sind für das Bundesverwaltungsgericht über große Strecken glaubhaft und nachvollziehbar. Die offensichtliche Betroffenheit von BF1 bei der Schilderung des Überfalls anlässlich der mündlichen Verhandlung am 18.05.2017 hat das erkennende Gericht davon überzeugt, dass der Überfall stattgefunden haben muss. Es ist im Rahmen des Verfahrens jedoch nicht zweifelsfrei hervorgekommen, dass dieser Überfall der tatsächliche Grund für die Flucht der BF gewesen ist. Dagegen spricht insbesondere, wie schon die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid richtig angeführt hat, dass die BF danach noch ca. ein Jahr in römisch 40 gelebt haben, wo diese nach deren eigenen Angaben nicht mehr persönlich bedroht wurden. Der Umstand, dass BF4 in römisch 40 einmal von einem Mann auf der Straße angesprochen wurde, weswegen das Kind verschreckt nach Hause gelaufen sei, ist für das Bundesverwaltungsgericht zwar glaubhaft, es ist den BF jedoch nicht gelungen darzutun, dass dies in einem Zusammenhang mit dem Überfall in deren Haus gestanden haben könnte.

Das Bundesverwaltungsgericht geht, wie auch schon die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die BF primär aufgrund der zweifelsfrei feststehenden Krankheit von BF4 und BF6 und der schlechten medizinischen Versorgung der Kinder mit ausreichenden Bluttransfusionen in Afghanistan ihr Heimatland verlassen haben. Die ständigen Sicherheitsrisiken in Afghanistan mögen ihren Beitrag zum Ausreiseentschluss geleistet haben, standen nach dem persönlichen Eindruck des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht im Vordergrund für deren Verlassen ihres Heimatstaates.

Die getroffene Feststellung betreffend die überwiegende Orientierung der BF1 an dem allgemein als "westlich" zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild ergibt sich primär aus dem Auftreten der BF1 und ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung am 18.05.2017 vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die persönliche und nach außen offen dargelegte Wertehaltung der BF1 an ein würdiges Leben als Frau, ihre Absicht, berufstätig und selbständig zu sein steht zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen im völligen Gegensatz. BF1 hat anlässlich der Verhandlung am 18.052017 sehr anschaulich, emotional und glaubhaft geschildert, wie sehr sie unter der Unterdrückung als Frau in Afghanistan, die sie erfahren musste, gelitten hat.

Die BF1 vermochte daher in der Beschwerdeverhandlung zu überzeugen, dass sie in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese vielmehr ablehnt, und sich während ihres bisherigen Aufenthaltes in Österreich an die Lebensführung ohne religiös-motivierte Einschränkungen angepasst hat und sich auch weiterhin anpassen will. Die Beschwerdeführerin hat – auch ihrem äußeren Erscheinungsbild nach – die zugrundeliegenden Werte mittlerweile verinnerlicht und lebt auch danach. Sie ist eine Frau, die in Österreich alleine außer Haus geht, sich ohne Orientierung an die traditionellen Kleidungsvorschriften ihres Herkunftsstaates kleidet, an Kochpartys teilnimmt, Kontakte zu österreichischen und afghanischen Freunden und Freundinnen pflegt und beabsichtigt, in Österreich eine berufliche Selbstständigkeit zu erlangen. Diesen Wunsch hat sie auch für ihre Kinder. Sie plant den Führerschein zu machen und mit dem Auto zu fahren. Wie sie in der Verhandlung glaubhaft und sehr emotional ausführt, fühlt sie sich hier in Österreich erstmals als Frau frei. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich – auch in der Freizeitgestaltung – nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich führen. Aus all dem ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin als eine Frau anzusehen ist, die in einer Weise lebt, die nicht mit den traditionellen, konservativen Ansichten betreffen die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft übereinstimmt. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Ablehnung der konservativ-islamischen Wertvorstellungen der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihres Aufenthaltes im Ausland und ihre Anpassung an das hier bestehende Gesellschaftssystem zumindest unterstellt würde.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit von BF1 und BF2 ergibt sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Abfragen aus dem Strafregister der Republik Österreich vom 23.05.2017.

Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

Die Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen aus der Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2017 und wurden in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.05.2017 erörtert. Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation von Frauen in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerden

Gemäß Paragraph 39, Absatz 2, AVG hat das Bundesverwaltungsgericht die gegenständlichen Verfahren aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die BF1 in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt wird, dies primär weil sie eine westlich orientierte Frau ist.

Sie hat glaubhaft dargelegt, dass sie auf Grund ihrer inneren und nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung und wegen ihres Widerstandes gegen die in Afghanistan vorherrschenden Diskriminierungen und Einschränkungen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein würde. Das von der persönlichen Wertehaltung der BF1 überwiegend getragene und als westlich zu bezeichnende Frauen- und Gesellschaftsbild steht im völligen Gegensatz zu der in weiten Teilen Afghanistans immer noch vorherrschenden und durch teils bizarre gesellschaftliche und politisch-religiöse Zwänge gekennzeichneten Lebensweise.

Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan wäre die BF1 unter den dargelegten Umständen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Den getroffenen Feststellungen zufolge besteht das Risiko einer frauenspezifischen Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Daraus resultierend wäre die BF1 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt wäre, und zwar vor allem dadurch, dass sie in einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein könnte. So bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen; widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt.

Diese Situation ist auch durch die Aufnahme einer Bestimmung in der neuen Verfassung von Afghanistan über die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz nicht beseitigt, da die praktische Handhabung dieser Vorschrift noch nicht abzusehen ist und überdies im Verfassungsdokument an anderer Stelle vorgesehen ist, dass kein Gesetz gegen den Glauben und die Vorschriften des Islam verstoßen dürfe, was als Rechtfertigung traditionell gesellschaftlicher Vorstellungen über die Rolle der Frau herangezogen werden könnte.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendiger Weise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, Zl. 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (zB von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt – wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung – ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (zB VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, insbesondere auch in der Hauptstadt römisch 40 , einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Es ist zu prüfen, ob es der BF1 möglich wäre, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen, bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos – trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat – wahrscheinlich ist:

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen, der afghanische Staat kommt somit seinen Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe meist nicht nach. Ausgehend davon kann die BF1 nicht mit hinreichender Sicherheit damit rechnen, dass sie angesichts des sie als Frau betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Angesichts der dargestellten Umstände ist im Fall der BF1 daher davon auszugehen, dass sie in Afghanistan den Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.

Bei der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, Zl. 99/01/0197).

Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen stellen beispielsweise eine "besondere soziale Gruppe" iSd. GFK dar vergleiche etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Band römisch II [1986] 456). So bestimmen die Absätze 77 bis 79 des UNCHR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom September 1979 (Neuauflage: UNCHR Österreich, Dezember 2003): "[Abs. 77.] In einer ‚bestimmten sozialen Gruppe’ befinden sich normalerweise Personen mit ähnlichem Hintergrund, Gewohnheiten oder sozialer Stellung. Macht jemand Furcht vor Verfolgung aus diesem Grunde geltend, so könnte er häufig ebenso gut Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion oder Nationalität anführen. [Abs. 78.] Die Zugehörigkeit zu einer solchen sozialen Gruppe kann Anlass zur Verfolgung sein, wenn kein Vertrauen in die Loyalität der Gruppe der Regierung gegenüber besteht, oder auch wenn die politische Ausrichtung, das Vorleben oder die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der Gruppe oder auch schon allein die Existenz der Gruppe an sich als Hindernis für die Politik der Regierung angesehen werden. [Abs. 79] Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird an sich allein noch nicht ausreichen, um die Forderung nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Es kann jedoch besondere Umstände geben, unter denen die bloße Zugehörigkeit ein ausreichender Grund für die Furcht vor Verfolgung sein kann."

Gemäß Artikel 10, Absatz eins, Litera d, Status-Richtlinie gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

o die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

o die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die der BF1 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan drohende Situation als Frau und auf Grund der von ihrer inneren Wertehaltung getragenen und nach außen hin erkennbaren überwiegenden Orientierung am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild, ihrem bisherigen Verhalten sowie ihrer individuellen Lebensumstände in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität ist.

Im Fall der BF1 liegt somit jedenfalls das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, vor vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 20.06.2002, Zl. 99/20/0172, u.a.).

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für BF1 nicht, zumal im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen ist, in der die am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen einem erhöhten Sicherheitsrisiko und den daraus resultierenden Einschränkungen ausgesetzt sind.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht noch ein in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde von BF1 stattzugeben und BF1 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an BF2 bis BF6:

Wie bereits ausgeführt, ist unter Verfolgung ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als "Verfolgung" im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörden bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer nachprüfenden Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen. (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350)

Zu dem von den BF geltend gemachten Asylgrund des behaupteten Verfolgungsrisikos durch regierungsfeindliche Kräfte ist auszuführen, dass auch bei Wahrheitsunterstellung des Vorbringens der BF, was den Überfall in deren Haus betrifft, zu berücksichtigen ist, dass es sich dabei nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat. Die BF haben nach diesem Vorfall ca. ein Jahr lang ohne weitere Bedrohungen in Afghanistan gelebt. Dieser einmalige Eingriff in die schützenswerte Privatsphäre der BF hat damit nicht die erhebliche Intensität erreicht, wie dies im Artikel 9 Absatz eins, der Statusrichtlinie gefordert wird.

So sieht Artikel 9 Absatz eins, Litera a,) der Statusrichtlinie vor, dass um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, eine Handlung aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein muss, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist.

Ebenso lassen sich aus den Angaben der BF keine Hinweise darauf entnehmen, dass der Heimatstaat der BF aus einem der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK genannten Gründe nicht bereit gewesen wäre, den BF drohenden, jedoch keinem Konventionsgrund entsprechenden Verfolgung durch eine kriminelle Gruppierung, Schutz zu gewähren.

Zum behaupteten Asylgrund der nach außen sichtbaren Behinderung des BF4, wonach dieser zur sozialen Gruppe der behinderten Personen zähle, die in Afghanistan einer asylrelevante Verfolgung ausgesetzt seien ist festzuhalten, dass im gesamten Verfahren dazu keine konkreten Ermittlungsergebnisse vorliegen, die auf eine Verfolgung von BF4 hindeuten würden. Es mag sein, dass BF4, wie die BF in ihren Einvernahmen vor der belangten Behörde angaben, wegen seiner sichtbaren Behinderung in Afghanistan gehänselt und damit diskriminiert wurde, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des oben zitierten Artikel 9, der Statusrichtlinie kann darin vom Bundesverwaltungsgericht nicht erkannt werden.

Gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 ist jedoch aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens i.S.d. Artikel 8, EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 ist unter anderem Familienangehöriger, wer

o Ehegatte ist, sofern die Ehe bereits im Herkunftsstaat bestanden hat,

o zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges, lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Der unbescholtene BF2, der die Ehe mit der Erstbeschwerdeführerin bereits in Afghanistan geschlossen hat und Vater der minderjährigen, ledigen BF3 bis BF6 ist, ist Familienangehöriger der BF1 i.S.d. Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005; genauso sind BF3 bis BF6 als ledige, minderjährige Kinder Familienangehörige der BF1. Weiters hat sich nicht ergeben, dass das zwischen den Beschwerdeführern bestehende Familienleben in einem anderen Staat fortgesetzt werden könnte.

Da der BF1 - wie oben dargelegt - der Status der Asylberechtigten zu gewähren war, war dieser Status gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 auch dem BF2 und deren gemeinsamen minderjährigen, ledigen Kindern, BF3 bis BF6, bei denen keine der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegen, zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war festzustellen, dass den Beschwerdeführern von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes römisch eins des angefochtenen Bescheides ergeht in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, in der jeweiligen Fassung.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2017:W261.2149926.1.00