Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

20.03.2017

Geschäftszahl

W169 2112101-1

Spruch

W169 2112100-1/6E

W169 2112104-1/8E

W169 2112101-1/5E

W169 2112103-1/5E

W169 2112102-1/5E

W169 2144886-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2015, Zl. 1024790105/14779601/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2015, Zl. 1024790007/14779598/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2015, Zl. 1024790301/14780260/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb römisch 40 , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2015, Zl. 1024790704/14780294/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2015, Zl. 1024790508/14780308/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde der römisch 40 , geb. römisch 40 , StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2017, Zl. 1138980310/161729360/BMI-BFA_NOE_RD, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Gang des Verfahrens:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer reisten gemeinsam mit ihren drei gemeinsamen minderjährigen Kindern, den Dritt-bis Fünftbeschwerdeführern, am 09.07.2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 10.07.2014 für sich und ihre Kinder Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.07.2014 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie aus Kabul stamme und ihr Heimatland am 10.06.2014 schlepperunterstützt von Kabul aus auf dem Luftweg verlassen habe. Zum Fluchtgrund führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie Afghanistan wegen der Probleme ihres Mannes und ihrer Kinder verlassen habe. Sie selbst habe keine eigenen Flucht-und Asylgründe. In der Schule ihrer Tochter, der Drittbeschwerdeführerin, sei 2013 versucht worden, eine Schülerin zu entführen; da sich diese jedoch gewehrt habe, sei die Entführung gescheitert. Ihre Tochter habe einen Schock erlitten und sei seit diesem Vorfall nicht mehr in die Schule gegangen. Der Zweitbeschwerdeführer und sie hätten nach diesem Ereignis beschlossen, Afghanistan zu verlassen. Zudem herrsche in Afghanistan Krieg und die Familie habe finanzielle Probleme. Sie selbst sei im Herkunftsstaat weder verfolgt noch bedroht worden. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte sie "eine Entführung". Sie habe in ihrer Heimat keine Probleme mit den Behörden oder der Polizei gehabt.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 13.10.2014 führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie in Kabul geboren worden sei, der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und Sunnitin sei.

In Österreich verfüge sie über kein Eigentum und lebe in der Grundversorgung. Neben ihrer mitgereisten Familie würden sich keine weiteren Familienangehörigen im Bundesgebiet aufhalten. Sie absolviere zweimal die Woche einen Deutschkurs in einer Pension, spreche bereits ein bisschen Deutsch und sei Hausfrau. Die Erstbeschwerdeführerin sei kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Sie habe - abgesehen von ihren Deutschlehrern und der Lehrerin ihrer Tochter - keinen Kontakt zu Österreichern und gehe in ihrer Freizeit mit ihren Kindern spazieren.

Zu ihren Lebensumständen in Afghanistan befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin zu Protokoll, dass sie im Alter von 28 Jahren ihre Ehe traditionell in einem Hotel in Kabul geschlossen habe. Ihre Verlobung sei über die Schwiegersöhne der Familie organsiert worden. Sie habe im Herkunftsstaat bis zur Eheschließung mit ihren Eltern in Kabul gelebt, nach ihrer Hochzeit sei sie in das Eigentumshaus ihres Mannes gezogen, das sich ebenfalls in Kabul befunden habe. Sie hätten dieses jedoch verkauft, um sich die Reise nach Europa zu finanzieren. Zur Frage, wovon ihre Familienangehörigen im Heimatland ihren Lebensunterhalt bestreiten würden, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass ihre ältere Schwester bei den Eltern wohne und als Lehrerin tätig sei. Ihre Eltern würden auch von ihrem Bruder unterstützt werden, da ihr Vater krank sei und nicht mehr arbeite. Ihr Vater habe ein Haus und ihr Ehemann besitze ein Grundstück in Afghanistan. Die Onkeln sowie Großeltern der Erstbeschwerdeführerin seien bereits verstorben. Mit ihrer Mutter sei sie nach wie vor in telefonischem Kontakt, zuletzt habe sie mit ihr vor ca. 10 Tagen telefoniert. Sie sei im Heimatstaat Schneiderlehrling gewesen, habe diese Tätigkeit jedoch zur Zeit der Taliban aufgeben müssen. Finanzielle Probleme hätten sie in Afghanistan nicht gehabt, dies sei bei der Erstbefragung falsch protokolliert worden.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass zwei Leute beabsichtigt hätten, ihre Tochter und deren Freundin auf dem Schulweg zu entführen. Sie habe dem Vorfall zwar nicht persönlich beigewohnt, aber er sei ihr von mehreren Leuten berichtet worden. Die Erstbeschwerdeführerin habe von diesem Ereignis erst erfahren, als sie ihre Tochter von der Schule abgeholt habe. Die beiden vermeintlichen Entführer seien bereits geflüchtet, als die Polizei eingetroffen sei. Polizisten hätten sie befragt, ob sie mit jemandem verfeindet seien oder ob sie jemanden verdächtigen würden, was von ihnen jedoch verneint worden sei. Die Polizei habe nicht helfen können, da es keine Anhaltspunkte für einen potentiellen Täter gegeben habe, daher habe die Erstbeschwerdeführerin ihren Ehegatten verständigt und ihm den Vorfall geschildert. Sie habe ihn gebeten, sofort zu kommen. Am nächsten Tag habe der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin mehrere Personen befragt, was jedoch zu keinem Ergebnis geführt habe. Da die gesamte Familie seitdem in Angst gelebt habe, sei ihre Tochter nicht mehr zur Schule geschickt worden. Sie hätten ein ganzes Jahr abgewartet, ob sich die Situation verbessere, Vergewaltigungen an Frauen und Kinder sowie Entführungen und Tötungen hätten jedoch zugenommen. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin habe sie nach diesem Jahr voller Angst dazu gedrängt, zu handeln und in weiterer Folge hätten sie den Entschluss gefasst, den Herkunftsstaat zu verlassen. Befragt, ob es einen Grund für die Annahme gegeben habe, warum gerade ihre Tochter entführt hätte werden sollen, erwiderte die Erstbeschwerdeführerin, dass in Afghanistan jeder entführt werden könnte, es im konkreten Fall jedoch keine vorangegangenen Bedrohungen gegeben habe. Ihre Tochter habe ihr einen Monat vor dem Vorfall erzählt, dass ein Mann versucht habe, sie in seinem Auto mitzunehmen. Zur Frage, weshalb sie nach der versuchten Entführung noch ein weiteres Jahr in Afghanistan geblieben seien, entgegnete die Erstbeschwerdeführerin, dass sie gehofft hätten, dass sich die Situation grundlegend verbessere. Es habe keine konkret gegen die Erstbeschwerdeführerin gerichteten Verfolgungshandlungen gegeben.

Bei einer Rückkehr in den Heimatstaat befürchte sie, dass es erneut zu einem Vorfall kommen könnte.

Die Frage, ob sie sich in Afghanistan ebenfalls geschminkt gewesen sei und keinen Schleier getragen hätte, verneinte die Erstbeschwerdeführerin und gab zu Protokoll, dass sie dort mit solch einem Auftreten wahrscheinlich getötet werden würde. Es habe keine Möglichkeit gegeben, sich innerhalb Afghanistans in ein sicheres Gebiet zu begeben, um sich den Schwierigkeiten zu entziehen, da die Situation überall gleich sei.

Nach Vorhalt von aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie keine schriftliche Stellungnahme einbringen wolle, da sie die Lage in Afghanistan kenne.

Im Rahmen der Einvernahme legte die Erstbeschwerdeführerin zwei Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen vom 03.10.2014 und vom 09.10.2014 vor.

3. Am 11.11.2014 wurden dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführer diese Unterlagen (Feecard "Central Asia High School Afghanistan", zwei Impfpässe der UNICEF, ein Kontoheft der Pashtany Tejaraty Bank) übermittelt.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2015 wurden die Anträge der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen. Unter Spruchpunkt römisch II. wurde den Beschwerdeführern gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen unter Spruchpunkt römisch III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG bis zum 17.07.2016 erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende an asylrelevante Merkmale im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anknüpfende Verfolgung in Afghanistan glaubhaft hätten machen können. Hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde vom Bundesamt im Bescheid festgehalten, dass im konkreten Fall nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf ein funktionierendes soziales Netz zurückgreifen könnten, da die Familien der Beschwerdeführer keine Unterkunft und finanzielle Unterstützung gewähren könnte.

5. Gegen Spruchpunkt römisch eins der Bescheide wurde von den Beschwerdeführern fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass sie gleichlautend angegeben hätten, dass sie aus Angst vor der Entführung ihrer Tochter Afghanistan verlassen hätten. Entführungen von Mädchen, die zur Schule gehen, würden, wie sich bereits aus den Länderfeststellungen ergebe, in Afghanistan häufig passieren. Der afghanische Staat sei diesbezüglich nicht in der Lage, wirksamen Schutz für Mädchen zu gewährleisten. Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt sei festgestellt worden, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht verschleiert und geschminkt zum Termin erschienen sei, es seien ihr in weiterer Folge jedoch keine weiteren Fragen zu ihrem Leben in Afghanistan im Unterschied zu ihrem Alltag in Österreich gestellt worden. In Österreich organisiere die Erstbeschwerdeführerin ihren Alltag eigenständig. Sie kleide sich westlich und verschleiere sich nicht. Ihre Tochter gehe zur Schule. Dass die Familie bereits nach kurzer Zeit in der Gemeinde sehr gut integriert sei, würden die Schreiben zweier Familien beweisen. Die Erstbehörde habe sich unzureichend mit frauenspezifischen Themen beschäftigt, weshalb ein Verstoß gegen die in Paragraph 18, AsylG determinierte Ermittlungspflicht vorliege. Die Verpflichtung der Behörde, die frauenspezifische Situation von Beschwerdeführerinnen aus Afghanistan einer näheren Begutachtung zu unterziehen, ergebe sich aus einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, in der dieser ausgeführt habe, dass die Prüfung einer asylrelevanten geschlechtsspezifischen Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen auch dann zu erfolgen habe, wenn kein diesbezügliches Vorbringen erstattet worden sei. Wie sich diese Situation für den Fall der Rückkehr für die beiden Beschwerdeführerinnen auswirken würde, habe das Bundesamt nicht untersucht oder beurteilt. Beantragt werde daher die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung.

Der Beschwerde beigelegt waren drei Empfehlungsschreiben die Beschwerdeführer betreffend, eines der Volksschule Steinakirchen am Forst, eines der Deutschlehrer der Beschwerdeführer vom 28.07.2015 und ein weiteres des Vereins "Willkommen Mensch" vom 03.08.2015.

6. Am 05.08.2015 übermittelten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme des Vereins "Willkommen Mensch". Darin wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer von Anfang an zu einigen Teammitgliedern und deren Familien freundschaftliche Kontakte geknüpft habe und die Kinder im Kindergarten und in der Schule gut integriert seien, was sich durch regelmäßige Teilnahme am Unterricht, aktive Mitarbeit sowie der Teilnahme an sonstigen Veranstaltungen außerhalb der Schul-bzw. Betreuungszeiten ausdrücke. Aufgaben des täglichen Lebens seien bereits nach kurzer Einführung selbst von der Familie erledigt und eigenständig abgewickelt worden. Die Beschwerdeführer würden am drei Mal in der Woche stattfindenden Deutschkurs teilnehmen und von den Betreuern würden erkennbare Fortschritte gemeldet werden. Es sei von einer tatsächlich gelebten Gleichstellung von Mann und Frau auszugehen.

7. Am 06.05.2016 langten beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Anträge der Beschwerdeführer auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigungen (inklusive Beilagen, u.a. eine Anmeldebestätigung der Niederösterreichische Gebietskrankenkassa vom 21.10.2015, wonach der Zweitbeschwerdeführer seit Oktober 2015 als Sägehilfsarbeiter beschäftigt sei, ein Auszug der Österreichischen Sozialversicherung vom 14.09.2015, wonach die Erstbeschwerdeführerin geringfügig als Hilfskraft angestellt sei, eine Schulbesuchsbestätigung vom 22.04.2016 die Drittbeschwerdeführerin betreffend, eine Bestätigung der Volkshochschule Scheibbs vom 22.04.2016, wonach die Erstbeschwerdeführerin am Deutschkurs A1 teilnehme, ein Empfehlungsschreiben des Vereins "Willkommen Mensch" vom 24.04.2016) ein.

8. Am 04.12.2016 wurde die Sechstbeschwerdeführerin, Tochter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, in Österreich geboren und die Erstbeschwerdeführerin stellte für diese als gesetzliche Vertreterin im Rahmen des Familienverfahrens ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen wurde. Unter Spruchpunkt römisch II. wurde der Sechstbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 8, Absatz eins, der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr unter Spruchpunkt römisch III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG bis zum 17.07.2018 erteilt.

9. Gegen Spruchpunkt römisch eins dieses Bescheides hat die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin fristgerecht Beschwerde erhoben.

10. Am 18.01.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und ihr bevollmächtigter Vertreter teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist bei der Verhandlung nicht erschienen.

Die Erstbeschwerdeführerin führte im Rahmen der Beschwerdeverhandlung aus, dass sie in der Provinz Kabul in römisch 40 geboren sei und dort mit ihren Eltern und Geschwistern im Elternhaus gelebt habe. Sie habe einen Bruder sowie zwei Schwestern und sei bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen. Danach habe sie einen Kurs für Schneiderei besucht, habe diesen aufgrund der Machtergreifung der Taliban jedoch nicht beenden können. Sie habe in Afghanistan durchgehend in Kabul gewohnt, sei jedoch nach ihrer Eheschließung in das Haus ihres Ehemannes gezogen. Ihre Mutter und ihre Schwester würden in Kabul leben, ihr Vater sei nach der Ausreise verstorben.

Zum Fluchtgrund befragt, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass man im Jahr 2013 ihre Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, auf dem Heimweg von der Schule entführen habe wollen. Sie habe ihre Tochter, die in die erste Klasse gegangen sei, jeden Tag von der Schule abgeholt. Einmal habe sie sich verspätet, weshalb die Tochter die Schule mit einer Freundin bereits verlassen habe. Auf dem Heimweg sei versucht worden, sie zu entführen. Die Kinder hätten geschrieen und Passanten seien ihnen zu Hilfe gekommen. Sie selbst habe die Entführung ihrer Tochter nicht gesehen, Passanten und ihre Tochter hätten ihr im Nachhinein darüber berichtet. Die Polizei sei im Zuge des Vorfalls verständigt worden und habe in der Schule mehrere Leute befragt. Von wem die Polizei im Konkreten kontaktiert worden sei, wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht. In weiterer Folge habe die Tochter der Erstbeschwerdeführerin nicht mehr die Schule besucht, da sie nach dem Ereignis sehr verängstigt gewesen sei. Da die gesamte Familie gefürchtet habe, dass so etwas nochmals passieren würde, habe die Mutter der Erstbeschwerdeführerin geraten, das Land zu verlassen. Daraufhin hätten sie zwar den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen, seien nach der versuchten Entführung jedoch noch ungefähr ein Jahr im Herkunftsstaat geblieben. In diesem Zeitraum habe es keine weiteren Vorfälle gegeben, allerdings habe die Polizei nichts über die Täter in Erfahrung bringen können und ihre Tochter sei weiterhin nicht in die Schule gegangen. Zur Frage, weshalb sie Afghanistan verlassen hätten, obwohl es keine weiteren Vorfälle gegeben habe, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie abgewartet hätten, ob sich die Situation bessere. Da sie sich jedoch weiterhin nicht sicher gefühlt hätten und nicht ihr gesamtes Leben in Angst verbringen hätten wollen, seien sie aus Afghanistan ausgereist. Auf Vorhalt, dass sie im Rahmen der Erstbefragung am 10.07.2014 nicht angegeben habe, dass man versucht habe, ihre Tochter zu entführen, sondern dort lediglich angeführt habe, dass man ein anderes Mädchen entführen habe wollen, entgegnete die Erstbeschwerdeführerin, dass dies nicht stimme. Sie habe auch damals zu Protokoll gegeben, dass ihre Tochter und ihre Freundin davon betroffen gewesen seien. Befragt, ob sie selbst irgendwelche Probleme in Afghanistan gehabt habe, erwiderte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie in Afghanistan ein freies Leben führen habe wollen und beabsichtigt habe, selbstständig zu sein sowie Fortschritte zu machen. Diese Lebensweise sei in Afghanistan jedoch nicht möglich gewesen, da die Gesellschaft dies nicht akzeptiere. Wenn die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan in der Öffentlichkeit so auftreten würde, wie in der heutigen Verhandlung, würde sie getötet werden. Es habe im Heimatstaat zwar keine Überfälle auf sie gegeben, sie habe jedoch immer gefürchtet, dass ihr etwas widerfahren könnte. Sie sei im Herkunftsstaat gezwungen worden, sich in der Öffentlichkeit zu verschleiern und habe in den letzten Jahren ein Kopftuch getragen, mit dem sie ihre Stirn und ihren Hals bis zum Kinn verdeckt habe. Als die Taliban an der Macht gewesen seien, sei die Erstbeschwerdeführerin verpflichtet gewesen, eine Burka zu tragen. Die Fragen, ob sie Probleme mit den Behörden in ihrem Heimatland oder aufgrund ihrer Rasse, Religion oder Nationalität gehabt habe, wurden von ihr verneint. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland fürchte sie schwerwiegende Konsequenzen und sogar den Tod, da sie knapp drei Jahre in Europa verbracht und sich diesem Leben bereits angepasst habe. Die Erstbeschwerdeführerin führe in Europa ein freies Leben und halte sich nicht an afghanische Kleidervorschriften, was in Afghanistan jedoch nicht akzeptiert werde.

Zu ihren Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie in Österreich bereits Sprachkurse besucht und die A2 Prüfung abgelegt habe. Sie lerne selbstständig Deutsch, um die B1-Prüfung zu absolvieren. Zudem habe sie bereits viele österreichische Freunde, die sie in der Nachbarschaft, über eine Hilfsorganisation und im schulischen Umfeld ihrer Tochter bzw. im Kindergarten ihrer Söhne kennengelernt habe. Auch ihre Kinder hätten österreichische Freunde. Sie sei kein Mitglied in einem Verein, nehme jedoch an Veranstaltungen von "Willkommen Mensch" teil und helfe bei den Vorbereitungen. Die Erstbeschwerdeführerin gehe alleine einkaufen und zum Arzt und begleite alle ihre Kinder in die Schule und in den Kindergarten. In ihrer Freizeit besuche die Erstbeschwerdeführerin einen Deutschkurs, übe für die theoretische Prüfung in der Fahrschule und helfe ihren Kindern bei der Hausübung. Ansonsten gehe sie mit ihren Kindern gerne spazieren. Sie trage kein Kopftuch und wolle mit ihrer Familie auch in Zukunft ein friedliches Leben führen. Ihre Kinder sollen die Möglichkeit erhalten, die Schule zu beenden und eine Ausbildung zu absolvieren. Auch sie selbst wolle eine Ausbildung als Schneiderin oder Köchin absolvieren und arbeiten.

Die Erstbeschwerdeführerin und ihr bevollmächtigter Vertreter verzichteten auf die Möglichkeit, zu den Länderfeststellungen zu Afghanistan eine Stellungnahme abzugeben.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden diverse Integrationsunterlagen vorgelegt, darunter ein ÖSD Zertifikat vom 14.06.2016, wonach die Erstbeschwerdeführerin die A2-Prüfung gut bestanden, sowie den bereits im Verfahren vorgelegten Auszug der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, wonach der Zweitbeschwerdeführer bei der Firma MOSER Holzindustrie GMBH als Paketierer beschäftigt sei.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, sunnitischen Glaubens und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Ehegattin des Zweitbeschwerdeführers, beide sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in Kabul geboren, besuchte dort neun Jahre die Grundschule und war im Herkunftsstaat Hausfrau. Sie hat einen Kurs für Schneiderei besucht, konnte diesen jedoch nach Machtergreifung der Taliban nicht abschließen. Die Erstbeschwerdeführerin lebte mit ihren Eltern und Geschwistern im Elternhaus in Kabul und wohnte nach ihrer Eheschließung im Jahr 2006 zusammen mit ihrer Schwiegermutter im Haus ihres Ehemannes in Kabul. Der Zweitbeschwerdeführer, welcher ebenfalls aus Kabul stammt, arbeitete im Herkunftsstaat als Schweißer und konnte damit den Lebensunterhalt der Familie sichern.

Die Mutter und die Schwester der Erstbeschwerdeführerin leben nach wie vor in Kabul, ihr Vater ist nach Ausreise der Erstbeschwerdeführerin verstorben.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer verließen Afghanistan, da sie nach einer versuchten Entführung ihrer Tochter und einer Freundin weitere Vorfälle und Übergriffe befürchteten.

Die Erstbeschwerdeführerin ist eine junge selbstständige Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die Erstbeschwerdeführerin beabsichtigt, in Österreich eine Ausbildung zu machen bzw. einer Arbeit nachzugehen, um berufliche Selbstständigkeit zu erlangen. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich Deutschkurse besucht und bereits die A2-Prüfung abgelegt. Sie lernt selbstständig Deutsch, um die B1-Prüfung zu absolvieren. Sie übt für die theoretische Prüfung in der Fahrschule und ist geringfügig als Hilfskraft beschäftigt. Sie geht alleine einkaufen und zum Arzt, bringt ihre Kinder in die Schule sowie in den Kindergarten und hilft ihnen in der Freizeit mit den Hausübungen. Zudem ist die Erstbeschwerdeführerin bereits in das gesellschaftliche Leben in Österreich integriert, hat österreichische Freunde, die sie in der Nachbarschaft oder über ihre Kinder kennengelernt hat und nimmt an Veranstaltungen eines Vereins teil, die sie auch vorbereitet. Der Zweitbeschwerdeführer ist seit 21.10.2015 in Österreich als Sägehilfsarbeiter tätig. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer gehen in Österreich zur Schule und haben bereits einen großen Freundeskreis. Der Fünftbeschwerdeführer geht in den Kindergarten.

Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten und nehmen keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Sicherheitslage

Im Zeitraum 1.8.-31.10.2015 verzeichnete die UNO landesweit 6.601 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Vorfälle beziehen sich auf Arbeit, Mobilität und Sicherheit von zivilen Akteuren in Afghanistan. Dies bedeutet eine Steigerung von 19% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2014. 62% dieser Vorfälle fanden in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen statt. Im Berichtszeitraum gelang es den Taliban neben Kunduz City weitere 16 Distriktzentren einzunehmen. Deren Großteil befindet sich im Norden (Badakhshan, Baghlan, Faryab, Kunduz, Sar-e Pul und Takhar), im Westen (Faryab) und im Süden (Helmand und Kandahar) des Landes. Den afghanischen Sicherheitskräften war es jedoch möglich bis Ende Oktober 13 Distriktzentren wieder zurückzuerobern (UN GASC 10.12.2015).

Im Zeitraum 1.6.-31.7.2015 registrierte die UNO landesweit 6.096 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4,6% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die geographische Reichweite des Konfliktes fokussierte sich hauptsächlich auf die nord-östlichen Regionen rund um Kunduz, Badakhshan und Badghis, im Nordwesten auf die Provinz Faryab und im Südosten auf Nangarhar und im Süden auf Helmand. Der Großteil der Vorfälle wurde in den südlichen und östlichen Teilen des Landes registriert. In Kandahar, Nangarhar, Ghazni,

Helmand und Kunar wurden 44.5% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle des Berichtszeitraumes registriert (UN GASC 1.9.2015).

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 1.1. – 15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.6.2015).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast allen Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung, kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.9.2015)

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen – sogenannter lokaler Verteidigungskräfte – um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US- amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014, sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan, hat den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische – hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis - die nach Afghanistanströmten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 5.1.2016).

Rebellengruppen

Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entsteht der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren können. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen, selbst dann, wenn es afghanischen Sicherheitskräften möglich ist, die Zentren zurückerobern, und überschattet die zahlreichen Erfolge der afghanischen Sicherheitskräfte (USDOD 12.2015).

Militärische Operationen im pakistanischen Nordwaziristan haben hunderte gut ausgebildete ausländische Kämpfer nach Afghanistan abgedrängt, wo sie nun die Taliban und den islamischen Staat unterstützen (WP 27.12.2015; vergleiche Pakistan Today 22.12.2015; UN GASC 10.12.2015; Tolonews 21.12.2015).

Doch die Taliban haben auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Nach der Nachricht vom Tod Mullah Omars hat sich die Bewegung zersplittert und Auseinandersetzungen zwischen Talibanführern begünstigen Fortschritte des IS, vor allem im östlichen Afghanistan (DS 6.1.2016).

Taliban und Frühlingsoffensive

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai – Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten, Angriffe von Aufständischen, in Gruppenstärke oder stärker, auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte "harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb der "Fighting Season" verlegen kampfwillige Aufständische ihre Aktivtäten in die Städte, da hier die ungünstige Witterung kein Faktor ist (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Die Taliban haben signifikante Verluste zu verzeichnen – abgesehen von der temporären Einnahme der Stadt Kunduz, war es ihnen nicht möglich ihre Hauptstrategie und ihre Operationsziele für die Fighting Season 2015 zu erreichen. Auch in Kunduz war es ihnen nicht möglich, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Während der gesamten Fighting Season bewiesen die Taliban Erfahrung in der Durchführung von Angriffen und Bedrohungen von ländlichen Distrikten und zwangen so die afghanischen Sicherheitskräfte in eine reaktive Position (USDOD 12.2015).

Al-Qaida

Die amerikanischen Behörden gehen von einer Zahl von weniger als 100 Kämpfern der al- Qaida in Afghanistan aus. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al- Qaida angegliedert und in Kunduz aktiv sind (CRS 22.12.2015).

Haqqani-Netzwerk

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Sie ist mit al-Qaida und afghanischen Taliban verbündet, sowie mit anderen terroristischen Organisationen in der Region (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani- Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

Obwohl angenommen wird, dass das Netzwerk der al-Qaida näher steht als den Taliban (CRS 9.10.2014), wurde nach der Meldung vom Tod Mullah Omars, Siraj Haqqani zum stellvertretenden Talibanführer befördert. Dies signalisiert, dass das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin eine wichtige Komponente des Taliban-geführten Aufstandes ist (USDOD 12.2015).

Der Aufstand des Haqqani-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden (DW 17.10.2014).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Die radikal-islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt (CRS 22.12.2015). Er war ein ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 9.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 2.9.2014). Die Gruppe selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete. (CRS 9.10.2014).

IS/ISIS/ISIL/Daesh – Islamischer Staat

Der Islamische Staat hat seinen Einfluss in Afghanistan seit Mitte des Jahres 2014 erhöht. Es wird berichtet, dass der Führer des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi, Berichten zufolge, unter dem Talibanregime in Kabul gelebt und mit al-Qaida kooperiert hat. Die Präsenz der Gruppe in Afghanistan hat sich Anfang des Jahres 2013 aus mehreren kleinen afghanischen Taliban- und anderen Aufständischenfraktionen herausentwickelt (CRS 22.12.2015). Die Präsenz des islamischen Staates hat sich ausgeweitet, als immer mehr Talibanfraktionen dem IS Treue schworen. So kam es zur Einnahme kleiner Gebiete, hauptsächlich im östlichen Afghanistan, durch den IS (CRS 22.12.2015; vergleiche Tolonews 12.7.2015). Ende 2015 gab es Berichte, über finanzielle Hilfe des IS für seinen afghanischen Zweig (CRS 22.12.2015). Ehemalige Kämpfer von al-Qaida, Taliban und Haqqani-Netzwerk steigen in den Rängen des IS auf (Pajhwok 26.5.2015).

Der afghanische Geheimdienst NDS hat eine Spezialeinheit damit beauftragt Razzien gegen den IS durchzuführen (Pajhwok 1.7.2015). Das afghanische Innenministerium konzentriert sich auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der nationalen und lokalen Polizei, damit nicht die Notwendigkeit zur Selbstjustiz für Anrainer/innen entsteht (Pajhwok 26.5.2015).

Drogenanbau

Es ist im Jahr 2015 zu einer Reduzierung der Opiumproduktion um

3.300 Tonnen (48%) gekommen (UN News Centre 14.10.2015).

Zivile Opfer

Zwischen 1.1. und 30.6.2015 registrierte UNAMA 4.921 zivile Opfer (1.592 Tote und 3.329 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 6% bei getöteten bzw. von 4% bei verletzten Zivilisten (UNAMA 8.2015).

Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014. Es gab 559 weibliche Zivilopfer, davon wurden 164 Frauen getötet und 395 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 13% gegenüber 2014 (UNAMA 8.2015).

Laut UNAMA waren 70% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 16% regierungsfreundlichen Kräften (15% den ANSF und regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen, sowie 1% den internationalen militärischen Kräften). UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer Unfällen mit Blindgängern zu (8.2015).

3.436 zivile Opfer (1.213 Tote und 2.223 Verletzte) gehen auf Operationen regierungsfeindlicher Elemente zurück. Das bedeutet einen Rückgang von 3% gegenüber 2014. UNAMA verzeichnete einen Anstieg von 78% bei zivilen Opfer aufgrund von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten, sowie einen Anstieg von individuellen Tötungen. UNAMA registrierte ebenso 46% Rückgang an zivilen Opfern in Bodenkämpfen und 21% Rückgang ziviler Opfer aufgrund von IEDs (improvised explosive devices) (UNAMA 8.2015).

Regierungsfreundliche Kräfte – speziell ANSF – waren auch weiterhin Grund für einen Anstieg bei zivilen Opfern im Jahr 2015. UNAMA registrierte hierzu 796 zivile Opfer (234 wurden getötet und 562 verletzt). Dies deutet einen Anstieg von 60% im Vergleich zum Jahr 2014. Der Großteil dieser zivilen Opfer geht auf Bodenkämpfe regierungsfreundlicher Gruppen, bei denen hauptsächlich Explosivwaffen, wie Mörser, Raketen oder Granaten verwendet wurden. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 waren regierungsfreundliche Gruppen für mehr zivile Opfer verantwortlich, als regierungsfeindliche Elemente. Im Jahr 2015 haben die ANSF ihre Anzahl von Operationen, die am Boden durchgeführt wurden, signifikant erhöht, um den Regierungsbildungsprozess zu unterstützen und Angriffen regierungsfeindlicher Elemente entgegenzuwirken (UNAMA 8.2015).

Die UNAMA verzeichnete 37% Anstieg bei Entführungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Elemente, und mehr Morde und Körperverletzungen an den Entführungsopfern. Von 76 Entführten Zivilisten wurden im Berichtszeitraum (1.1. – 30.6.2015) 62 getötet und 14 verletzt. UNAMA dokumentierte die Entführung von Zivilist/innen durch regierungsfeindliche Elemente für finanzielle Zwecke, zur Einschüchterung der Bevölkerung und um Zugeständnisse von anderen Parteien im Konflikt zu erhalten, z.B. Geiselaustausch (UNAMA 8.2015).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

In einem Bericht der norwegischen COI-Einheit Landinfo wurde im September 2015 berichtet, dass zuverlässige Dokumentation von konfliktbezogener Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen, existiert. Andererseits, konnte nur eingeschränkte Dokumentation zu konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokale Angestellte ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen afghanischer Angestellter der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürgern verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis zu ISAF zurückzuführen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014). Des Weitern bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Job für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Quellen:

http://dailysignal.com/2016/01/06/it-would-be-a-mistake-to-not-hold-steadyin-afghanistan/, Zugriff 13.1.2016

http://www.khaama.com/top-haqqani-network-leaders-arrested-by-afghanintelligence-8821, Zugriff 27.10.2014

Sicherheitslage, per E-Mail.

NDS,
http://www.pajhwok.com/en/2015/07/01/special-unit-established-wipe-out-daesh-nds, Zugriff 12.1.2016

http://www.pajhwok.com/en/2015/05/26/moi-confirms-daesh-presence-parts-country, Zugriff 12.1.2016

http://www.longwarjournal.org/archives/2015/09/taliban-overruns-outpost-in-easternafghanistan.php, Zugriff 30.11.2015

http://www.tolonews.com/en/afghanistan/22921-unama-chief-reports-of-increasedsecurity-incidents, Zugriff 12.1.2016

Afghanistan and its implications for international peace and security,
http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2015/942, Zugriff 4.1.2016

http://unama.unmissions.org/Portals/UNAMA/SG%20Reports/SG_Report_September_20
              15.         pdf, Zugriff 17.11.2015

Midyear report 2015 protection of civilians in armed conflict, http://unama.unmissions.org/Portals/UNAMA/human%20rights/2015/PoC%20Report%20 2015/UNAMA%20Protection%20of%20Civilians%20in%20Armed%20Conflict%20Midyea r%20Report%202015_FINAL_%205%20August.pdf, Zugriff 18.11.2015

http://www.defense.gov/Portals/1/Documents/pubs/1225_Report_Dec_2015_-_Final_20151210.pdf, Zugriff 8.1.2016

Sicherheitslage in Kabul

Wann immer man von der Sicherheitslage spricht, meint man die größeren Städte sowie das Gebiet in einem Radius von max. 3 km um diese Städte (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Im Zeitraum 1.1. – 31.8.2015 wurden in der Provinz Kabul insgesamt 352 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Provinzhauptstadt der Provinz Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan)Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.372.977 geschätzt (UN OCHA 26.8.2015).

Im Gegensatz zu den ländlichen Teilen Afghanistans, in denen das Gewaltniveau meist von jahreszeitenbedingter Witterung abhängt (erhöhte Angriffszahlen in den Sommermonaten), hängt die Sicherheitslage in Kabul stark von den politischen Entwicklungen innerhalb Afghanistans und internationalen Beziehungen ab (EI o.D.).

Die Sicherheitsumgebung in Kabul ist momentan extrem herausfordernd, Koordinierte Angriffe auf Regierungsgebäude und auf ausländische Organisationen, ist auf einem Niveau, wie zuletzt im November 2014 beobachtet wurde. Die allgemeine Gewalt, Selbstmordattentate, Autobomben und magnetisch angebrachte IEDs (improvised explosive devices) befinden sich im Großen und Ganzen auf dem Niveau von 2014. Dieses Gewaltniveau wird scheinbar von einer größeren Strategie extremistischer Gruppen vorangetrieben (EI o.D.). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Innerhalb Kabuls gibt es verschiedene Viertel mit unterschiedlichen Sicherheitslagen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Von Jänner bis November 2015, wurden 28 hochrangige Angriffe in Kabul durchgeführt. Dies bedeutet eine Steigerung von 27% gegenüber dem Vergleichseitraum 2014. Diese Angriffe erreichen ein Hauptziel der Taliban, nämlich mediale Aufmerksamkeit, und gleichzeitig die Verbreitung eines Gefühls der Unsicherheit (USDOD 12.2015).

Traditionell erfüllen Angriffe auf die Stadt Kabul zwei Zwecke:

Erstens, physisch die Macht der afghanischen Regierung zu schwächen. Dies geschieht üblicherweise durch die Ermordung von Beamten und Zerstörung von Versorgungswegen. Zweitens, Propagandasiege durch Angriffe in Kabul. Aus demselben Grund werden internationale Organisationen (die einen ähnlichen Propagandawert für Aufständischenorganisationen haben) regelmäßig angegriffen. Oftmals dann, wenn es zu schwer war wichtige Regierungs- oder NATO-Gebäude erfolgreich zu infiltrieren. Während die Sicherheitskräfte sich fortwährend verbessern und ihre Fähigkeiten, solchen Angriffen entgegenzuwirken, entwickeln, ist es eher unwahrscheinlich, dass eine unterschwellige Bedrohung, insbesondere innerhalb der zentralen Kabuler Distrikte, in naher Zukunft gänzlich ausgeschlossen werden kann (EI o.D.).

Ministerien sind bevorzugte Ziele von Raketenbeschuß, Sprengsätzen oder Selbstmordanschlägen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014; vergleiche UNAMA 8.2015). Hier steht die mediale Wirkung im Vordergrund. Die Anstrengungen der Sicherheitskräfte zeigen allerdings langsam Wirkung (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Nach einer erhöhten Anzahl von Angriffen und Störungen im Sommer – vorläufige Daten zeigen im Jahr 2015 eine nennenswerte Steigerung zum Vergleichszeitraum 2014 in Bezug auf Selbstmordattentate und allgemeine Aufständischenaktivitäten in der Stadt Kabul. Allgemein wurde erwartet, dass die Gewalt mit Beginn des Winters 2015 abnehmen würde. Winterliche Gegebenheiten schränken allgemein die Bewegung extremistischer Gruppen am Boden ein, wodurch weniger Kämpfer und weniger Kampfmittel nach Kabul Stadt kommen. Ungeachtet dessen existiert weiterhin ein Potential für unerwartete Talibanangriffe. Auch das IS-Phänomen könnte das Risikoprofil innerhalb der Hauptstadt 2016 erweitern, jedoch müssen diese Gruppen ihre Effektivität innerhalb der Hauptstadt erst nachweisen. IS-Zweige treten derzeit mehr in interne Fehden mit den Taliban und anderen extremistischen Fraktionen, in Gebieten wie dem ländlichen Nangarhar, Farah und Zabul in Erscheinung, anstatt durch gezielte Angriffe auf internationale Organisationen (EI o.D.).

Die Stadt Kabul zieht auch weiterhin eine signifikante Zahl an Binnenvertriebenen an. Mindestens 3.000 Familien benötigen Hilfe (UN GASC 10.12.2015).

Quellen:

http://edinburghint.com/insidetrack/kabul-security-analysis-2015-2016-forecast/#, Zugriff 8.1.2016

Sicherheitslage, per Mail.

http://www.washingtonpost.com/blogs/monkey-cage/wp/2014/10/20/a-fighting-season-to-remember-in-afghanistan/, Zugriff 23.10.2014

Midyear report 2015 protection of civilians in armed conflict, http://unama.unmissions.org/Portals/UNAMA/human%20rights/2015/PoC%20Report%202015/UNAMA%20Protection%20of%20Civilians%20in%20Armed%20Conflict%20Midyear%20Report%202015_FINAL_%205%20August.pdf, Zugriff 18.11.2015

http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2015/942, Zugriff 4.1.2016

http://unama.unmissions.org/Portals/UNAMA/SG%20Reports/SG_Report_September_2015.pdf , Zugriff 17.11.2015

http://www.defense.gov/Portals/1/Documents/pubs/1225_Report_Dec_2015_-_Final_20151210.pdf, Zugriff 8.1.2016

https://www.humanitarianresponse.info/en/system/files/documents/files/afg_mm_population_aug2015_a3.pdf, Zugriff 17.11.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

Afghanistan ist eine Gesellschaft mit einer Vielzahl rechtlicher Traditionen, die historisch gesehen aus drei Komponenten bestehen:

dem staatlichen Gesetzbuch, dem islamisch- religiösen Gesetz (Scharia) und dem lokalen Gewohnheitsrecht. Die lokalen Gepflogenheiten beinhalten kulturelle und ethische Standards zur Beseitigung eines Disputs durch Mediation und Schlichtung in den Gemeinschaften (BU 23.9.2010).

Wegen des allgemeinen Islamvorbehalts darf laut Verfassung kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so dass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 6.11.2015).

Das Gesetz beinhaltet eine unabhängige Justiz, aber in der der Praxis ist die Justiz oft unterfinanziert, unterbesetzt, nicht adäquat ausgebildet, uneffektiv, Drohungen ausgesetzt, befangen, politisch beeinflusst und durchdringender Korruption ausgesetzt (USDOS 25.6.2015). Die meisten Gerichte sprechen uneinheitlich Recht, basierend auf dem kodifiziertem Gesetz, der Scharia (islamisches Gesetz) und lokalen Gepflogenheiten. Traditionelle Justizmechanismen bleiben auch weiterhin die Hauptgrundlage für viele Menschen, besonders in den ländlichen Gebieten (USDOS 25.6.2015 vergleiche FH 28.1.2015). Die Einhaltung des kodifizierten Rechts variiert, wobei die Gerichte gesetzliche Vorschriften zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 25.6.2015). Laut Freedom House Report 2015 besteht der Oberste Gerichtshof in erster Linie aus Religionsgelehrten, die nur eine beschränkte Kenntnis der zivilen Rechtsprechung haben (USDOS 25.6.2015 vergleiche FH 28.1.2015).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an Kapazität um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu handhaben. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Verglichen mit 2012 gab es eine Steigerung in der Zahl der Richter, welche ein Rechtsstudium absolviert hatten (USDOS 25.6.2015). Es gibt etwa 1300 Richter im Land (SZ 29.9.2014). Präsident Ghani verfügte eine Reihe von Justizreformen, sodass im Oktober 2014 etwa 200 Richter und 600 Gerichtsangestellt aufgrund von Korruptionsvorwürfen entlassen wurden (FH 28.1.2015).

Das formale Justizsystem ist relativ stark verankert in den städtischen Zentren, wo die Zentralregierung am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten, wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben, schwächer ausgeprägt ist (USDOS 25.6.2015). Insbesondere in den ländlichen Gebieten wird von einem Großteil der Bevölkerung auf traditionelle Justizmechanismen oder Selbstjustiz zurückgegriffen (FH 28.1.2015).

Der Zugang zu Gesetzblättern und Regelwerken steigt an, die geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter und Staatsanwälte aber weiterhin eine Behinderung dar. In den großen Städten entscheiden die Gerichte nach dem Gesetz. In den ländlichen Gegenden hingegen ist der primäre Weg zur Beilegung krimineller oder ziviler Streitigkeiten, jener über lokale Älteste und Shuras (Ratsversammlungen), wobei allerdings auch rechtlich nicht sanktionierte Strafen ausgesprochen werden (USDOS 25.6.2.2015). Schätzungen lassen vermuten, dass 80% aller Streitigkeiten durch Shuras entschieden werden. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 3.2014).

Quellen:

http://www.sueddeutsche.de/politik/ende-der-aera-karsai-in-afghanistan-der-zieher-gehtdie-strippen-bleiben-1.2150136-2, Zugriff 13.10.2015

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Sie müssen landesweit weiterhin gegen große Widerstände in der konservativen Bevölkerung verteidigt werden. Insbesondere geschlechtsspezifische Gewalt ist weitverbreitet; die Rechte von Frauen und Mädchen werden trotz fortschrittlicher Gesetzgebung nur unzureichend respektiert und umgesetzt (AA 6.11.2015).

Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Ferner, hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 6.11.2015).

Als ein positives Signal wurde von Frauen- und Menschenrechtsgruppen gewertet, dass der ehemalige Präsident Karzai sich weigerte ein vom afghanischen Parlament erlassenes Gesetz zu unterzeichnen, welches Familienangehörigen eines Beschuldigten verbieten würde in strafrechtlichen Fällen auszusagen. Da ein Großteil gemeldeter Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt innerhalb der Familie geschehen, würde dies eine erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung erschweren und weiters, Opfern von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt, sowie jenen die Zwangsverheiratung und Kinderheirat ausgesetzt sind, Gerechtigkeit verwehren (AI 25.2.2015).

Quellen:

Religionsfreiheit

80% der Bevölkerung sind Anhänger des sunnitischen und 19% Anhänger des schiitischen Islams; 1% entfällt auf andere Religionen (The CIA World Factbook 20.10.2015). Es lebt offiziell noch ein Jude in Afghanistan, der sich um die verwaiste Synagoge kümmert (AA 16.11.2015).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Artikel 3, der Verfassung) zu verstehen (AA 16.11.2015; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 16.11..2015).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch es wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern. Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 28.4.2015).

Angaben eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul berichtete, dass entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, Hazara keiner gezoelten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt sind (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Die Bedingungen für Religionsfreiheit sind für andersdenkende sunnitische Muslime, aber auch schiitische Muslime, Sikhs, Christen und Bahais weiterhin schlecht. Die afghanische Verfassung verabsäumt es explizit die individuellen Rechte in Bezug auf Religionsfreiheit zu schützen und einfachgesetzliche Bestimmungen werden in einer Weise angewendet, die internationale Menschenrechtsstandards verletzt. Staatliche und nicht-staatliche Akteure führen Aktionen gegen Personen aus, die ihrer Ansicht nach "unislamische" Aktivitäten setzen (USCIRF 30.4.2015).

Die sunnitische hanafitische Rechtsprechung gilt für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 6.11.2015; vergleiche AA 2.3.2015). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (AA 31.3.2014; vergleiche USDOS 14.10.2015; vergleiche USDOS 26.5.2015).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, waren sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen war nicht systematisch (USDOS 14.10.2015). Im Mai 2014 zum Beispiel trat Sham Lal Bathija als erster Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada an (RFERL 15.5.2014). Im März übergab er formell diese Position an seinen Nachfolger Dawood Qayomi (Afghan Embassy 18.3.2015). Sham Lal Bathija war bereits in der Vergangenheit als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Quellen:

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 22.10.2015

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 11.9.2014

http://www.newindianexpress.com/thesundaystandard/article350359.ece?service=print, Zuriff 5.11.2015

http://www.uscirf.gov/sites/default/files/USCIRF%20Annual%20Report%202015%20%28 2%29.pdf, Zugriff 22.10.2015

Ethnische Minderheiten

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16,) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 16.11.2015; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004).

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2015 mehr als 32.5 Millionen Menschen (CIA 20.10.2015). Davon sind 42%-45% Pashtunen, 25% Tadschiken, rund 10% Hazara, 10% Usbeken. Es existieren noch mehrere andere religiöse und ethnische Minderheiten (CRS 12.1.2015). wie z.B. Aimaken 4%, Turkmenen 3%, Balutschen 2% und andere kleinere ethnische Gruppen (CIA 24.6.2014).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 16.11.2015). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 25.6.2015).

Ethnische Pashtunen sind die größte Ethnie in Afghanistan. Sie sprechen Paschtu/Pashto, aber die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben mehr Sitze in beiden Häusern des Parlaments, aber nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Es gibt keinen Beweis, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Es gibt keine Gesetze, welche die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben verhindern. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, dass sie keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 25.6.2015). Unter den vielen Volksgruppen bilden die Paschtunen zwar die Mehrheit im Staat, dominieren aber nur im Süden, im Norden hingegen eher die persisch-sprachigen Tadschiken (DW 26.4.2014; vergleiche GIZ 10.2015). Die Pashtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.7.2015).

Quellen:

http://www.brookings.edu/~/media/Programs/foreign-policy/afghanistan-index/index20150731.pdf?la=en, Zugriff 27.10.9.2015

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html Zugriff 11.9.2014

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 22.10.2015

Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf, Zugriff 27.10.2015

http://liportal.giz.de/afghanistan/gesellschaft/, Zugriff 27.10.2015

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 27.10.2015

Tadschiken

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie macht etwa 25% der Bevölkerung in Afghanistan aus (CRS 12.1.2015).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition ist Dr. Abdullah Abdullah (CRS 12.1.2015., dessen Mutter eine Tadschikin ist und sein Vater Pashtune. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er auch ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Er ist mittlerweile der "Chief Executive Officer" in Afghanistan und sollte den Posten des Premierministers im Jahr 2016 annehmen (CRS 12.1.2015). Der im März 2014 verstorbene Vizepräsident Muhammad Fahim, war Tadschike, wie auch sein Nachfolger, der ehemalige Sprecher des Unterhauses Yunus Qanooni. Der Verteidigungsminister Bismillah Khan Mohammedi ist ebenfalls ein Tadschike. Die Tadschiken sind der Kern der "Nordallianz (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.7.2015).

Quellen:

http://www.brookings.edu/~/media/Programs/foreign-policy/afghanistan-index/index20150731.pdf?la=en, Zugriff 27.10.2015

Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf, Zugriff 27.10.2015

Frauen

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat, bleibt die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 6.11.2015). Es steht außer Frage, dass ein gewisser Fortschritt gemacht wurde, gemeinsam mit Verbesserungen in Richtung Gleichheit. Jedoch waren die Verbesserungen diesbezüglich bescheidener, als ursprünglich erhofft (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen waren auch weiterhin gegeben, teils aufgrund des Wiederauflebens der Tailban und teils aufgrund des großen Einflusses religiöser Traditionalisten. Im November 2014 teilte Präsident Ghani den Mitgliedern der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC) mit, dass sie die Performance seiner Regierung hinsichtlich Menschenrechtsreformen beobachten können und er versprach, Frauenrechte zu fördern. Frauen, die danach streben sich ins öffentliche Leben einzubringen, werden oftmals als"sittenwidrig" verurteilt und gezielt eingeschüchtert, belästigt und es wird ihnen Gewalt angedroht. Nichtsdestotrotz hat Rula Ghani, die Frau des Präsidenten, eine sichtbare Rolle während der Kampagne geführt. Drei Frauen wurden für das Kabinett der Einheitsregierung mit 27 Mitgliedern vorgeschlagen. Zwei der drei nominierten Frauen wurden vom CEO Abdullah ausgewählt und eine vom Präsidenten (USCIRF 30.4.2015). Die Ehefrau des Präsidenten ist eine libanesische Christin (NZZ 8.7.2014).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistan verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht wurde durch die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 erreicht (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich auf diesem Wege deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor (AA 6.11.2015): Für Frauen sind per Verfassung 68 der 249 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.6.2015). Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2010 wurden 69 Frauen gewählt, eine mehr als die Quote vorsieht. Etwa 400 Frauen bewarben sich für die Sitze, was in etwa 16% aller Kandidat/innen ausmacht (CRS 12.1.2015). Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus werden vom Präsidenten vergeben (USDOS 25.6.2015); 17 dieser Sitze sind für Frauen vorgesehen. Derzeit haben Frauen insgesamt 28 Sitze inne (CRS 12.1.2015).

Die im September 2015 von Präsident Ghani initiierten Wahlreformen sehen Frauenquoten von 25 Prozent für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit 4 Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 6.11.2015).

Bildung

Afghanistan illustriert, wie ein Land, das aus einem jahrzehntelangen Krieg heraustritt und in einem andauernden Stadium des Konflikts ist, einen Willen besitzt – gemeinsam mit Gebern - Bildung Priorität einzuräumen. Es ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung von Zugang und Teilnahme an Bildung – auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Denn Bildung für Frauen ist ein Recht, das den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt wurde (BFA Staatendokumentation 3.2014). Zum Beispiel hat das afghanische Bildungsministerium gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 13.000 Schulen errichtet (USAID 28.9.2015; vergleiche USAID 7.2014).

In Bezug auf freie und verpflichtende Bildung besagt Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes, das mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend ist. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004). Weiters ist der Staat verpflichtet, zur gleichmäßigen Verbreitung der Bildung in ganz Afghanistan und zur Sicherung der obligatorischen mittleren Schulbildung effektive Programme zu entwickeln und zu verwirklichen (Max Planck Institut 27.1.2004; vergleiche BFA Staatendokumentation 3.2014).

Im Jahr 2013 betrug die Zahl aller Schüler, die in unterschiedlichen Arten formaler Bildung eingeschrieben waren etwa 8,35 Millionen, davon waren 39% weiblich. Im Jahr 2013 betrug die Zahl der Lehrer/innen 187.000 - davon 32% Frauen. Etwa 72% aller Lehrer sind weiblich, im Primärbereich sind es 17,4%. In vier Provinzen gab es 5% Lehrerinnen und in 80 der 364 Bezirke gab es gar keine Lehrerinnen (Education for Development 7.7.2015). In ländlichen Gegenden ist die Alphabetenrate dreimal niedriger als in urbanen Gebieten (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Berufstätigkeit

Obwohl Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft wesentliche Fortschritte gemacht haben, sind sie noch immer Strömungen des islamischen Konservativismus und einer Missbilligung durch das Herausfordern traditioneller Geschlechterrollen ausgesetzt (BFA Staatendokumentation 3.2014). In Afghanistan ist die Mobilität von Frauen ohne männliche Erlaubnis oder Begleitung durch soziale Traditionen eingeschränkt. Unbegleitete Frauen sind gemeinhin nicht gesellschaftlich akzeptiert (USDOS 25.6.2015; vergleiche AA 16.11.2015; BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Speziell in den ländlichen Gebieten ist die Mobilität außerhalb des Hauses aus kulturellen Gründen limitiert. Daher sind Frauen hauptsächlich in häusliche Aktivitäten involviert. Frauen, die im Haushalt oder der Landwirtschaft arbeiten, beteiligen sich unbezahlt am wirtschaftlichen Wohl des Haushalts. Die Betreuung von Nutztieren ist in Afghanistan traditionell Frauensache. Es existieren regionale Unterschiede vor allem zwischen Stadt und Land, wo ein Großteil der Bevölkerung bezahlt und unbezahlt im Haushalt arbeitet (BFA Staatendokumentation 3.2014). Gleichzeitig ist es für viele Frauen immer noch sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 6.11.2015).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der weibliche Raum für Führung bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichheit werden auch weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als bloß symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Etwa 24.1% der Regierungsmitarbeiter/innen waren im Jahr 2013 Frauen, im Vergleichszeitraum 2012 waren es 21,1%. Arbeitende Frauen waren, Berichten zufolge, Schwierigkeiten ausgesetzt: sexuelle Belästigung, fehlende Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten davon, bedroht und misshandelt zu werden (USDOS 25.6.2015).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u. a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti- Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden (AA 6.11.2015).

Die Rekrutierungsprogramme führten bereits zu einer zwar langsamen, aber stetigen Steigerung der Zahl der Mitarbeiterinnen in der ANP. Im Jahr 2005 waren von 53.400 ANP- Angehörigen noch 180 Frauen (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Insgesamt gab es mit Stand Juli 2014 2.074 Polizistinnen (USDOS 25.6.2015).

Obwohl die Chance im Kampf eingesetzt zu werden gering ist, werden die Frauen ausgebildet, um verschiedene Tätigkeiten in der Armee zu übernehmen. Speziell, wenn es um invasive Sicherheitsdurchsuchungen in privaten Häusern geht, sind viele Afghanen entspannter, wenn die Dursuchung von einer Frau durchgeführt wird, besonders wenn es um die Leibesvisitation einer Frau in einer Burqa geht (BFA Staatendokumentation 26.3.2014).

Strafverfolgung und Unterstützung

Obwohl weibliche Partizipation am öffentlichen Leben in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 drastisch gestiegen ist, sind die Fortschritte in manchen Bereichen, wie zum Beispiel dem Gesetz, langsam (IWPR 3.12.2015).

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 6.11.2015). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen

bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 6.11.2015; vergleiche USDOS 25.6.2015 und The Guardian 11.5.2015). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 6.11.2015)

Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterinnen nur etwa 15 % der Richterschaft. Im Juli 2015 scheiterte der Versuch des Präsidenten, eine Richterin am Obersten Gerichtshof einzusetzen, an der Bestätigung der Kandidatin durch das Parlament (AA 6.11.2015).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt (AA 16.11.2015; vergleiche The Guardian 11.5.2015). Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z.B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 6.11.2015).

Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 16.11.2015; vergleiche USDOS 25.6.2015):

Die erste EVAW-Einheit (Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte auch weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten, die, mit Stand August 2014, mittlerweile in 18 Provinzen existieren. In anderen Provinzen wurden durch die Generalstaatsanwaltschaft den Staatsanwälten Fälle zur Behandlung weitergeleitet. Landesweit sind 283 Ermittler der sogenannten "Female Response Unit" in 33 der 34 Provinzen aktiv (USDOS 25.6.2015). Diese sind zum Großteil mit Polizistinnen besetzt, die Gewalt und Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Familien behandeln. Polizistinnen sind darauf trainiert Opfern häuslicher Gewalt zu helfen, jedoch werden sie durch Vorschriften behindert, die verlangen, dass man warten muss, bis sich das Opfer von selbst meldet. Frauen in der afghanischen Polizei und in zivilen Positionen im Innenministerium bieten Vermittlung und Ressourcen zur zukünftigen Vermeidung von häuslicher Gewalt an (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 2.7.2014).

Das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW – law) und Kontroversen

Die Streitigkeiten in Bezug auf das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (Elimination of Violence Against Women - EVAW) unterstreichen, was für ein Drahtseilakt die Verbesserung der rechtlichen Situation von Frauen in Afghanistan ist. Verabschiedet im Jahr 2009, ist es das erste Gesetz, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert (BFA Staatendokumentation 2.7.2014).

Das EVAW-Gesetz führt zum ersten Mal "Vergewaltigung" als kriminelles Vergehen im afghanischen Gesetz ein (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Es kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung oder Verprügelung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten es als unislamisch (USDOS 26.5.2015).

Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und demzufolge seine tatsächliche Anwendung ist jedoch begrenzt. Genauso wie seine allgemeine Bekanntheit, obwohl sich die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission – AIHRC), einzelne Gesetzesvollzugsorgane und die Zivilgesellschaft bemühen, diese zu steigern. Teile der Öffentlichkeit und religiöser Kreise erachten das Gesetz nämlich als unislamisch. Somit ist seine erfolgreiche und korrekte Umsetzung auch weiterhin mangelhaft (USDOS 25.6.2015). Laut Angaben von Human Rights Watch, war die Umsetzung des Gesetzes durch die ehemalige afghanische Regierung mangelhaft (HRW 23.3.2015). Eine Erklärung von Frauenrechtsaktivistinnen hierfür ist das Fehlen sozialer Legitimität. EVAW wurde nie vom afghanischen Parlament abgesegnet, sondern durch ein Präsidialdekret bewilligt. Laut Artikel 79 der Verfassung von 2004 ist das statthaft (ein Präsidialdekret ist rechtmäßig, außer es wird vom Parlament ausdrücklich abgelehnt). Auch viele andere Gesetze wurden bereits auf diesem Wege erlassen und sind weiterhin in Kraft (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern steht weiterhin aus (AA 16.11.2015). Ferner wird die Abwesenheit von Polizistinnen in der afghanischen Nationalpolizei als Erschwernis gesehen, um das EVAW-Gesetz zu forcieren (HRW 23.3.2015). Wenn rechtliche Behörden sich des EVAW-Gesetzes und dessen Umsetzung jedoch bewusst waren, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten (USDOS 25.6.2015).

Im Juni 2015 repräsentierte die afghanische Regierung einen Nationalen Aktionsplan für die Jahre 2015 – 2022, der die Implementierung der UN Resolution 1325 betrifft (HRW 12.1.2016; vergleiche MfA 30.6.2015). Der Nationale Aktionsplan ist ein Mechanismus, der von vielen Ländern genutzt wird, um die Einhaltung im Sinne der Resolution 1325 zu fördern (HRW 12.1.2016). Übergeordnete Ziele der Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN- Sicherheitsrats, sind die aktive Einbindung von Frauen in allen Phasen der Konfliktprävention und Konfliktbewältigung sowie der Schutz von Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt und Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten (AA 18.9.2015; vergleiche UNSC 2000).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt (AA 6.11.2015). Die AIHRC berichtet, dass mit Stand 1. August 2014, 1.250 Fälle von Gewalt an Frauen gemeldet wurden (USDOS 25.6.2015). Weitestgehend besteht Einigkeit darüber, dass die gestiegenen Zahlen im Wesentlichen darauf zurückzuführen sind, dass solche Straftaten vermehrt angezeigt werden. Die Erkenntnisse sind gleichzeitig bezeichnend für die immer noch mangelhafte Befassung der staatlichen

Strafverfolgungsbehörden: nur 11,5% der Fälle wurden durch die formelle Justiz entschieden. 41% der Fälle wurden durch Mediation gelöst. Darunter fallen jedoch auch die Fälle (48%), in denen die Vorkommnisse von der Geschädigten nicht weiterverfolgt wurden (AA 6.11.2015).

Die AIHRC zeigte sich besorgt über die traditionelle und kulturelle Gewalt, wie Kinder- und Zwangsheirat, die Praxis des Frauenaustausches zur Konfliktschlichtung (baad), Zwangsisolation und Ehrenmorde, die auch weiterhin im Aufstieg begriffen zu sein scheinen. Es ist schwierig exakte Statistiken zu der Verbreitung von Gewalt an Frauen zu erhalten (USDOS 25.6.2015).

Ehrenmorde

Ehrenmorde werden an Frauen von einem - typischerweise männlichen - Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, bei "davonlaufen" vor Zwangsverheiratung oder Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden. (USDOS 25.6.2015).

Die AIHRC gab im November 2013 bekannt, in den vorangegangen zwei Jahren 240 Ehrenmorde registriert zu haben (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Die AIHRC gab in ihrem Bericht aus dem Jahre 2013 auch an, dass die Anzahl an Ehrenmorden und sexuellen Übergriffen sich in fast allen Teilen des Landes erhöht hat. Laut diesem Bericht werden 91% der Fälle, die an die AIHRC herangetragen werden, innerhalb eines Jahres an das Justizsystem weitergeleitet. Von diesen Fällen erachtete die AIHRC, dass die legalen Vorgehensweisen in 65% der Fälle "erfolgreich" waren (USDOS 25.6.2015).

Legales Heiratsalter

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung ihres Vaters oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist jedoch unzulässig (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Nichtsdestotrotz ist Kinderheirat in Afghanistan weiterhin üblich (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015).

Als letzten Ausweg, in Reaktion auf gegen Frauen gerichtete Gewalt und traditionelle Praktiken, laufen Frauen entweder von zu Hause weg (BFA Staatendokumentation 2.7.2014), oder verbrennen sich in drastischen Fällen sogar selbst (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Darüber hinaus geschieht es immer wieder, dass Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen wie z.B. "zina" (außerehelicher Geschlechtsverkehr) im Fall einer Vergewaltigung verhaftet oder wegen "Von-zu-Hause-Weglaufens" (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der "zina" gewertet) inhaftiert werden (AA6.11.2015).

Frauenhäuser

Frauen auf der Suche nach Hilfe in Fällen von häuslicher Gewalt, müssen dies oft außerhalb ihres Heimes und ihrer Gemeinschaft tun (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser (USDOS 25.6.2015). Frauen, denen es nicht möglich war mit ihren Familien wieder vereint zu werden oder wiederheiratet zu werden, waren dazu gezwungen für unbestimmte Zeit im Frauenhaus zu bleiben, da "unbegleitete" Frauen allgemein in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden (USDOS 25.6.2015; vergleiche AA 6.11.2015). Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband (6.11.2015).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösungsfindung für Frauen war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, dass das "Weglaufen von zu Hause" eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten sei. Des Weiteren wurden Frauen, die vergewaltigt wurden, von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 25.6.2015).

Es gibt Berichte, dass das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangiern, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 25.6.2015).

Medizinische Versorgung – Gynäkologie

Das Recht auf Familienplanung wird noch von recht wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, so nutzen jedoch nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 6.11.2015).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 6.11.2015) und ist kulturell nicht akzeptiert (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

https://www.google.at/?gws_rd=cr&ei=gi83Vtq2A4itygP66Ke4Ag#q=enrolment+educatio n+afghan+fact+sheet+2015, Zugriff 2.11.2015

http://www.osloeducationsummit.no/pop.cfm?FuseAction=Doc&pAction=View&pDocume

ntId=63328, Zugriff 3.11.2015

https://www.hrw.org/news/2015/03/23/us-rights-should-top-afghanistan-summitagenda, Zugriff 5.11.2015

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 11.9.2014

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/technokrat-populist-choleriker- 1.18339044, Zugriff 16.1.2016

http://www.unesco.org/new/en/kabul/education/enhancement-of-literacyin-afghanistan-ela-program/, Zugriff 3.11.2015

Afghanistan,
http://www.uscirf.gov/sites/default/files/USCIRF%20Annual%20Report%202015%20%28 2%29.pdf, Zugriff 22.10.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on

Human Rights Practices 2014 –

Afghanistan,http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2014&

dlid=236632, Zugriff 13.10.2015

Kinder

Auch wenn die Menschenrechtssituation von Kindern insgesamt Anlass zur Sorge gibt, hat sich ihre Situation teilweise in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. 8 Millionen Schulkindern rund 3 Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufen ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Uruzgan, Zabul, Paktika und Helmand) (AA 16.11.2015).

Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, um das Gewaltpotenzial von Lehrern zu beobachten oder einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet Hilfestellung zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 16.11.2015).

Vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen und verharmlost (AA 16.11.2015; vergleiche USDOS 25.6.2015). Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Die Befragung zeigt den weitverbreiteten Missbrauch von Jungen zwischen 10 und 18 Jahren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft von armen Familien verkauft, sexuell missbraucht, weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. Das Thema wurde jüngst auch von internationalen Medien aufgenommen, als es zu Vorwürfen gegen die US-Armee kam, den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in den ANDSF bewusst geduldet zu haben (AA 16.11.2015).

Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha B?z?, reichte beim Justizministerium einen Gesetztesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Errichtung einer Körperschaft - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - zur Untersuchung, Überwachung und Einrichtung eines Überwachungsmechanimus an, um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015)

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Alter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt aber 14-Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Auch dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden oder sie zu Invaliden machen könnte. Es gibt keine Liste, die gefährliche Jobs definiert (USDOS 25.6.2015).

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC 51,8% der Kinder auf die eine oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Mio. Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 16.11.2015). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 26.5.2015).

Die Regierung untersuchte mit internationaler Hilfe offiziell alle Rekruten der bewaffneten Kräfte und Polizei und lehnte AnwärterInnen unter 18 Jahren ab. Es gab Berichte über die Rekrutierung von Kindern und deren Einsatz für militärische Zwecke durch die ANSF und regierungsfreundliche Milizen. Im Rahmen eines Aktionsplan der Regierung, setzte die ANP Schritte: 150 neue Mitarbeiter/innen wurden in Bezug auf Altersfestellungsprozesse ausgebildet, den Start einer Sensibilisierungskampagne in Bezug auf minderjährigen Rekrutierung, die Untersuchung von angeblichen minderjährigen Rekrutierungen und die Errichtung einer Zentrums in manchen Provinzzentren, um Rekrutierungsversuche von Minderjährigen zu dokumentieren. Alle Rekruten müssen sich einer Identitätsfeststellung unterziehen, welche beinhaltet, dass mindestens zwei Gemeinschaftsführer für die Volljährigkeit des Rekruten und dessen Eintrittsberechtigung in die ANSF, bürgen (USDOS 25.6.2015). EASO berichtet, dass die Taliban die Rekrutierungen Minderjähriger bestreiten, jedoch wird davon ausgegangen, dass die Taliban Minderjährigkeit anders definieren (EASO 12.2012).

Das Jugendgesetz besagt, dass Kinder nicht unter denselben Voraussetzungen festgehalten werden dürfen wie Erwachsene. Das Gesetz besagt auch, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzestmögliche Zeit vorgenommen werden soll. In einem Bericht aus dem Jahre 2011 wurde festgehalten, dass verhafteten Kindern Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw. verwehrt wurden. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen erlauben bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen spezielle Gerichte nicht existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte (USDOS 27.2.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015).

Laut den Vereinten Nationen wurden in 303 dokumentierten Anschlägen mindestens 159 Kinder getötet und 505 verletzt. Dies deutet einen Rückgang von 10% im Vergleich zum vorherigen Berichtszeitraum an. Zwar ist ein signifikanter Rückgang der Angriffszahl auf Schulen und Bildungspersonal von 41 auf 22 zu verzeichnen gewesen, jedoch führte die Talibanoffensive auf Kunduz zur Schließung von 497 Schulen und verhinderte so den Zugang von 330.000 Kindern (UN GASC 10.12.2015).

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 16.11.2015).

Quellen:

http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2015/942, Zugriff 4.1.2016

Risikogruppen:

In seinen "Richtlinien des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016” geht UNHCR (HRC/EG/AFG/16/02) von folgenden "möglicherweise gefährdeten Personenkreisen in Afghanistan" aus:

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zum Ausreisegrund sowie zur familiären Situation in Afghanistan ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.01.2017.

Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als junge moderne Frau, die die traditionell begründeten gesellschaftlichen Einstellungen und die sich daraus für den Alltag ergebenden Zwänge gegenüber Frauen im Herkunftsstaat ablehnt, ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.01.2017 und dem persönlichen Eindruck, der von der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte. Die Erstbeschwerdeführerin vermochte in der Beschwerdeverhandlung zu überzeugen, dass sie in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese vielmehr ablehnt und sich aufgrund ihres Aufenthaltes in Österreich an eine Lebensführung ohne religiös motivierte Einschränkungen angepasst hat und sich auch weiter anpassen will. Die Erstbeschwerdeführerin hat die zugrundeliegenden Werte verinnerlicht und lebt auch danach. Sie ist eine junge Frau, die in Österreich alleine außer Haus geht, sich ohne Orientierung an die traditionellen Kleidungsvorschriften ihres Herkunftsstaates kleidet, eine berufliche Ausbildung machen möchte, Freizeitaktivitäten pflegt und am gesellschaftlichen Leben in Österreich teilnimmt. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich führen. Aus all dem ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin als junge selbstständige Frau anzusehen ist, die in einer Weise lebt, die nicht mit den traditionell-konservativen Ansichten betreffend die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft übereinstimmt. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Ablehnung der konservativ-islamischen Wertvorstellungen der Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund ihres Aufenthaltes im Ausland und ihrer Anpassung an das hier bestehende Gesellschaftssystem zumindest unterstellt würde.

Dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer in Österreich Deutschkurse besucht haben bzw. besuchen, erwerbstätig und sozial integriert sind, ergibt sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie aus den diesbezüglich im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung, dass die Dritt- und Viertbeschwerdeführer in Österreich die Schule besuchen, einen großen Freundeskreis haben und der Fünftbeschwerdeführer in den Kindergarten geht, ergeben sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.01.2017 sowie den diesbezüglich im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Dass die Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten sind und keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nehmen, ergibt sich aus der Einsichtnahme ins österreichische Strafregister und ins Grundversorgungssystem.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen und wurden in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.01.2017 mit der Erstbeschwerdeführerin und dem bevollmächtigten Vertreter erörtert. Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Zudem basieren die vom Bundesamt diesbezüglich getroffenen Feststellungen ebenfalls auf diesen Quellen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden des Bundesamtes.

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. römisch eins 2013/33 i.d.F. BGBl. römisch eins 2013/122, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK (i.d.F. des Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 78 aus 1974,) – deren Bestimmungen gemäß Paragraph 74, AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde vergleiche VwGH 19.12.2007, 2006/-20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ur-sache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, Ziffer eins und Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK vorliegen kann vergleiche zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen wer-den, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht – unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) –, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat vergleiche VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

3.3. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Erstbeschwerdeführerin vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention wohlbegründet ist.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre die Erstbeschwerdeführerin zunächst mit einer für sie prekären Sicherheitslage konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie in fast allen Teilen Afghanistans ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Den Feststellungen zufolge ist dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische Gefährdung, bei nonkonformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Am Beispiel der die Frauen betreffenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wird anschaulich, dass afghanische Frauen de facto einer Verletzung in grundlegenden Rechten ausgesetzt sind. Es bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen. Widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Für die Erstbeschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist.

Die Erstbeschwerdeführerin unterliegt allerdings einer erhöhten Gefährdung, in Afghanistan dieser Situation ausgesetzt zu sein, weil sie als Frau nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern sich eine Lebensführung angeeignet hat, gegensätzlich zu dem in der afghanischen Gesellschaft weiterhin vorherrschenden traditionell-konservativen Rollenbild der Frau. Der (in den Feststellungen oben unter Punkt 1.2. zitierten) Einschätzung des UNHCR, der Indizwirkung zukommt vergleiche VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182), zufolge sind Frauen besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird. Afghanische Frauen, die einen weniger konservativen Lebensstil angenommen haben, beispielsweise solche, die aus dem Exil im Iran oder in Europa zurückgekehrt sind, werden nach wie vor als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen. Die Erstbeschwerdeführerin würde dadurch gegenwärtig in Afghanistan als Frau wahrgenommen werden, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt vergleiche dazu EGMR, Case N. gegen Schweden, 20.07.2010 Application Nr. 23505/09, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR). Damit droht der Erstbeschwerdeführerin Verfolgung aufgrund einer ihr unterstellten politischen Gesinnung vergleiche dazu auch VwGH, 06.07.2011, 2008/19/0994, wonach "Asyl zu gewähren ist, wenn der von [der Beschwerdeführerin] vorgebrachte, westliche Lebensstil in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionellen Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung [ ] droht").

Zudem steht das dargestellte Verfolgungsrisiko auch im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin zu einer bestimmten sozialen Gruppe vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; 20.06.2002, 99/20/0172), zumal die persönliche und auch nach außen dargelegte westliche Lebenseinstellung der Erstbeschwerdeführerin im Gegensatz zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen steht. Zwar stellen diese Umstände keine Eingriffe von "offizieller" Seite dar, das heißt, sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet, andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Gegenwärtig besteht in Afghanistan kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil, liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Erstbeschwerdeführerin ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als Frau westlicher Orientierung betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Die sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedrohende Situation ist in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung außerhalb Afghanistans befinden und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und Paragraph 6, AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.

Der Erstbeschwerdeführerin war daher gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Erstbeschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.4. Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an die Zweitbis Sechstbeschwerdeführer.

Stellt ein Familienangehöriger (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22,) von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Paragraph 8,) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz,

so gilt dieser gemäß Paragraph 34, Absatz eins, AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist (Paragraph 2, Absatz 3,);

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (Paragraph 7,).

Gemäß Absatz 4, leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß Paragraph 12 a, Absatz 4, zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Familienangehörige sind gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin, der Viert- und Fünftbeschwerdeführer und die Sechstbeschwerdeführerin sind Familienangehörige der Erstbeschwerdeführerin im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005. Da der Erstbeschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, ist auch dem Zweitbeschwerdeführer, der Drittbeschwerdeführerin, dem Viert- und Fünftbeschwerdeführer und der Sechstbeschwerdeführerin daher nach Paragraph 34, Absatz 2, in Verbindung mit Absatz 4, AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang zuzuerkennen, zumal diese nicht straffällig geworden sind. Hinweise darauf, dass dem Zweitbeschwerdeführer, der Drittbeschwerdeführerin sowie dem Viert- und Fünftbeschwerdeführer und der Sechstbeschwerdeführerin die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit der Erstbeschwerdeführerin in einem anderen Staat möglich wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde in den obigen rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2017:W169.2112101.1.00