Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

02.03.2017

Geschäftszahl

W200 2123027-1

Spruch

W200 2123034-1/7E

W200 2123025-1/8E

W200 2123027-1/5E

W200 2123033-1/5E

W200 2127720-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) römisch 40 , 2.)

römisch 40 3.) römisch 40 , 4.) römisch 40 , 5.) römisch 40 , alle StA Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2016, Zlen. 1083408801-151128636 (ad 1.), 1083414504-151128665 (ad 2.), 1083415610-151128695 (ad 3.), 1083417005-151128687 (ad 4) und vom 26.05.2016, 1112788706/160590495 (ad 5.) zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben und 1.) römisch 40 2.) römisch 40 , 3.)

römisch 40 , 4.) römisch 40 , 5.) römisch 40 gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (AsylG 2005) i.d.g.F. der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass und 1.) römisch 40 ,

2.) römisch 40 3.) römisch 40 , 4.) römisch 40 , 5.) römisch 40 kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der afghanische Staatsangehörige römisch 40 in weiterer Folge BF1 genannt, ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, Tadschike, Sunnit, reiste mit seiner Ehefrau römisch 40 , in weiterer Folge BF2 genannt und seinen Töchtern römisch 40 , in weiterer Folge BF3 genannt sowie römisch 40 , in weiterer Folge BF 4 genannt, am 18.08.2015 in das Bundesgebiet ein und stellte wie BF2 bis BF4 einen Antrag auf internationalen Schutz.

BF1 gab im Zuge der Erstbefragung an, dass er drei Jahre vor seiner Einreise nach Österreich Afghanistan verlassen hätte und sich danach während der letzten drei Jahre im Iran illegal aufgehalten hätte.

Als Fluchtgrund nannte er, dass seine Ehefrau als Vierzehnjährige ihren elfjährigen Cousin hätte heiraten sollen, da ihr Onkel dadurch ein großes Grundstück ihrer Eltern erwerben hätte wollen. Der Onkel hätte die Heirat zwischen BF1 und BF2 nicht akzeptiert, weshalb sie sich in einem anderen Dorf versteckt hätten. Sie hätten aber erfahren, dass der Onkel sie suche und deswegen seien sie in den Iran geflohen, wo sie illegal gelebt hätten und auch keine Chance auf Papiere gehabt hätten. Die Kinder hätten nicht die Schule besuchen dürfen und wegen der Zukunft der Kinder hätten sie sich entschlossen, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Die Angaben der BF2 im Rahmen ihrer Erstbefragung waren gleichlautend.

Im Rahmen der Einvernahme beim BFA gab der BF1 am 28.01.2016 an, 1986 in der Provinz Kapisa, Afghanistan geboren zu sein. Dort hätte er sechs Jahr gelebt, dann sei die Familie nach Parwan. Er sei standesamtlich verheiratet, hätte zwei Kinder und hätte im Iran und in Afghanistan Hilfsarbeiten durchgeführt. Er sei Tadschike, Sunnite, besitze keinen Reisepass, besuche Deutschkurse.

Zum Verlassen des Heimatlands führte er aus, dass sie im Jahr 2010 ausgereist seien, weil seine Gattin (BF2) mit dem Onkel Probleme gehabt hätte. Ihre Eltern seien verstorben als sie klein gewesen sei und sie sei bei ihrem Onkel väterlicherseits aufgewachsen. Da dieser Onkel die Liegenschaft und das Eigentum der BF2 haben hätte wollen, hätte diese ihren damals elfjährigen Cousin heiraten sollen. Sie selbst sei damals 14 Jahre alt gewesen. Dies sei der Ausreisegrund.

Nach einem eigenen Ausreisegrund befragt, gab er an, dass es einen Vorfall mit einem Onkel mütterlicherseits gegeben hätte, der vermutlich vom Onkel seiner Frau erschossen worden sei und deswegen sei er ausgereist. Seine Frau sei seine Cousine mütterlicherseits.

Befragt, warum er den Iran verlassen hätte müssen, antwortete er, dort illegal gewesen zu sein und dass die Kinder keine Schule besuchen hätten können.

Aufgefordert, die erheblichen Ungereimtheiten aufzuklären, wie die behauptete Flucht vor dem Onkel, als er noch 13 Jahre alt gewesen sein hätte sollen, und der vermeintliche Nebenbuhler elf Jahre gewesen wäre, seine Frau 14 Jahre gewesen sein hätte sollen, konkret stattgefunden hätte, antwortete er, die Provinz gewechselt zu haben. Er sei nach Parwan gereist und sei dort auch bedroht worden. Deshalb sei er nach Afghanistan gereist.

Befragt, wo er seine Cousine – die nunmehrige Ehefrau konkret - kennen und lieben gelernt hätte, antwortetet er, sie zum ersten Mal im Alter von 19 Jahren gesehen zu haben. Zwei Monate später hätten sie geheiratet. In Baghlan herrsche Krieg, deshalb hätte er auch seine Frau nicht kennenlernen wollen. Dort sei sie bei ihrem Onkel aufhältig gewesen und die letzten drei Jahre bei einem Onkel mütterlicherseits. Er selbst sei in Kapisa gewesen. Der Onkel mütterlicherseits sei auch sein Onkel mütterlicherseits.

Befragt, wann seine Frau nun das Haus des bösen Onkels verlassen hätte, antwortete er, zu vermuten, dass dies 1382, also 2003 oder 2004 – glaublich drei Jahre vor der Eheschließung, gewesen sein hätte sollen.

Befragt, ob die Ehe aus Liebe eingegangen worden sei oder ob sie sich gegenseitig versprochen hätten, antwortete er, dass sie ihm leidgetan hätte, er hätte sie aber auch gerne gehabt.

Befragt, warum er damals seinen Onkel besucht hätte, als er seine Frau das erste Mal gesehen hätte, antwortete er, dass nicht er dort gewesen sei, sondern sie bei seiner Tante mütterlicherseits in Kapisa gewesen sei, wo er sie zum ersten Mal gesehen hätte.

Bei den Liegenschaften hätte es sich um Ackerland gehandelt, die nun im Eigentum des Onkels stehen würden.

Er wiederholte, dass seine Kinder im Iran die Schule nicht besuchen hätten können. Er selbst hätte Arbeit gehabt. Er selbst hätte den Iran nicht verlassen.

Nach der Eheschließung hätte er den Onkel nie selber gesehen, hätte aber indirekt Drohungen erhalten. Nach konkreten Bedrohungen befragt, antwortete er, dass – nachdem sein Onkel mütterlicherseits durch einen Autounfall ums Leben gekommen wäre - sie nach Parwan übersiedelt seien. Er glaube, dass der Unfall fingiert gewesen sei. Er sei erschossen worden, es sei kein Autounfall gewesen. Bis jetzt hätte man seinen Mörder nicht gefunden. Als sie in Parwan gewesen seien und niemand gewusst hätte, dass sie dort gelebt hätten, seien eines Tages unbekannte Personen gekommen und hätten bei den Nachbarn nach ihnen gefragt. Deswegen seien sie davon ausgegangen, dass der Onkel diese Leute geschickt hätte, um sie umzubringen. Dann hätten sie ihre Wohnung gewechselt und etwa ein Jahr später hätten sie sich entschlossen, das Land zu verlassen. Das sei 1388 gewesen (2009). Ein Jahr später seien sie ausgereist. Während dieses Zeitraums hätten sie in einem anderen Stadtteil gelebt. Kontakt zu ihren Verwandten hätte er nicht gehabt und alles sei ruhig gewesen.

Befragt, wann seine Eltern das Land verlassen hätten, um in den Iran zu ziehen, antwortete er, dass diese schon seit vielen Jahren legal dort leben würden.

Konkret nach dem Vorfall mit den Nachbarn befragt, antwortete er, dass er und seine Frau gemeinsam zu Fuß von einem Besuch bei seinem Arbeitgeber, einem Automechaniker, gegen 16.00 oder 17.00 Uhr nach Hause gekommen seien und etwa eine halbe Stunde oder Stunde später ein männlicher Nachbar gekommen sei, dessen Namen er nicht mehr nennen könne. Dieser hätte ihm erklärt, dass zwei Personen bei ihnen gewesen sein hätten sollen, die mit Wolldecken bekleidet gewesen wären. Dieses Gespräch mit dem Nachbarn sei bei der Haustür gewesen. Er und seine Frau würden keine Personen mit Wolldecken kennen. Seine Frau sei ihm Haus gewesen und er hätte die Tür geöffnet und vor dem Haus mit dem Nachbarn gesprochen. Er hätte danach seiner Frau in der Küche den Sachverhalt erzählt, hätte sie gefragt, ob sie Gäste erwarte, sie hätte dies verneint und er hätte sofort seine Vermutung ausgesprochen, dass es Gegner gewesen sein könnten. Mit Leuten, die eine Wolldecke tragen, meine er Leute, die aus Baghlan stammen. Diese würden solch eine Kleidung tragen. Sie hätten zum Nachbarn gesagt, dass sie Besucher seien und hätten ihren Namen nicht angegeben. Die Nachbarn hätten gesagt, dass sie nicht da seien und die Leute seien wieder gegangen. 15 Tage bis einen Monat danach hätten sie den Wohnort verlassen. Gekommen sei danach niemand mehr.

Im Fall einer Rückkehr würde er vom bösen Onkel seiner Frau ermordet. Sonst hätte er keine weiteren Befürchtungen.

Die BF2 gab im Rahmen ihrer Einvernahme beim BFA am 28.01.2016 an, in der Provinz Baghlan geboren zu sein. Sie sei Hausfrau und hätte keine Schule besucht und könne nicht lesen und schreiben. Sie sei verheiratet.

Als sie ein Jahr alt gewesen sei, sei ihre Mutter gestorben. Als sie 14 Jahre alt gewesen sei, sei auch ihr Vater verstorben. Ihr Onkel hätte sie übernommen und nicht gut behandelt. Er hätte sie für seinen elfjährigen Sohn bestimmt, den sie aber nicht heiraten hätte wollen. Er sei doch viel jünger als sie. Sie sei von ihrem Onkel und dessen Frau geschlagen worden und sei mit heißem Wasser verletzt worden. Sie hätte Verbrennungsnarben. Sie sei ca. dreieinhalb Jahre bei ihrem Onkel gewesen, sei dann zum Onkel mütterlicherseits – einem Arzt – der sie mitgenommen hätte und sie behandelt hätte. Bei diesem hätte sie bleiben können. Obwohl ihr böser Onkel immer wieder gekommen sei, um sie zurückzuholen, hätte sie bei dem guten Onkel bleiben dürfen. Sie sei dann einmal bei anderen Verwandten zu Besuch gewesen, wo sie ihren Cousin, den Ehemann (BF1) kennenlernte. Ihr guter Onkel hätte sie später gefragt, ob sie ihn heiraten möchte. Sie hätten sich dann immer wieder gesehen und etwa ein Jahr oder etwas weniger als ein Jahr danach hätten sie geheiratet. Etwa ein Jahr nach dieser Hochzeit sei der gute Onkel umgebracht worden. Dies hätte sie von dessen Sohn telefonisch erfahren. Er hätte erzählt, dass er auf dem Nachhauseweg ermordet worden sei. Dieser Onkel hätte keine Feinde gehabt, er sei nett gewesen, sei vermögend gewesen. Nach der Ermordung des Onkels seien sie von Kapisa nach Parwan gezogen. Dort hätten sie zwei oder drei Jahre gelebt, und hätten nur mit der Familie des Arbeitgebers ihres Mannes ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt. Eines Tages seien sie nach Hause gekommen und hätten vom Nachbarn erfahren, dass Leute bei ihnen gewesen wären, deshalb seien sie sofort ein paar Gassen weitergezogen. Dann seien sie noch ein Jahr in Parwan geblieben und hätten sich dann entschlossen, die Heimat zu verlassen.

Aufgefordert, diesen Tag detailliert zu schildern, antwortete sie, dass sie den Chef ihres Mannes besucht hätten und sie am frühen Abend nach Hause gekommen seien und eine halbe Stunde oder Stunde später sei der Nachbar, dessen Namen sie nicht mehr wisse, zu ihnen gekommen. Ihr Mann hätte die Tür geöffnet und sie hätte sich um ihr Kind gesorgt. Sie sei im Schlafzimmer mit dem Kind gewesen. Der Nachbar hätte ihrem Mann erzählt, dass zwei Männer mit Bart gekommen seien, die nach ihnen gefragt hätten. Sie hätte große Angst gehabt und hätte viel geweint und dann hätten sie das Haus gewechselt. Dies wäre vielleicht zwei Wochen später gewesen. Die Besucher hätten lange Mäntel getragen. Mehr könne sie nicht angeben. Im Falle einer Rückkehr hätte sie Angst vor ihrem Onkel.

Befragt, was der böse Onkel noch von ihr wolle, antwortete sie, dass er beleidigt sei, dass sie nicht seinen Sohn geheiratet hätte.

Mit Bescheiden vom 25.02.2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF4 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen. Es wurden keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. Paragraph 57 und 55 AsylG erteilt und gem. Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die BF1 bis BF4 eine Rückkehrentscheidung gem. Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz erlassen und gem. Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. Paragraph 46, FPG nach Afghanistan zulässig sei.

Begründend wurde nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle in den jeweiligen Bescheiden festgestellt, dass sie afghanische Staatsangehörige, und Tadschiken seien.

Am 16.04.2016 wurde römisch 40 (BF5) als gemeinsame Tochter von BF1 und BF2 im Bundesgebiet geboren und der von ihr am 25.04.2016 gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen. Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. Paragraph 57 und 55 AsylG erteilt und gem. Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen BF5 eine Rückkehrentscheidung gem. Paragraph 53, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz erlassen und gem. Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. Paragraph 46, FPG nach Afghanistan zulässig sei.

Im Rahmen der am 28.02.2017 durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung wiederholten sowohl BF1 als auch BF2 den Grund ihrer Ausreise.

BF2 führte weiters aus, dass sie als Verkäuferin oder im Kindergarten als Assistentin arbeiten wolle. Sie bemühe sich, dass ihre Töchter eine gute Ausbildung bekommen. Diese sollen selber einen Lebenspartner aussuchen. Sie wolle nicht, dass das Schicksal ihrer Kinder ihrem Schicksal – der drohenden Zwangsverheiratung und der für sie daraus entstandenen Konsequenzen - gleiche. Sie habe schon einiges erlebt.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zu den Beschwerdeführern:

Die Beschwerdeführer tragen die im Spruch angeführten Namen. Sie sind afghanische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens, gehören der tadschikischen Volksgruppe an und waren zuletzt in Afghanistan in Kapisa wohnhaft.

Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen, ledigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist derzeit zu Hause bei ihrer zehnmonatigen Tochter und ist bestrebt als Verkäuferin oder im Kindergarten als Assistentin zu arbeiten. Sie ist eine selbstbestimmte Frau und erzieht ihre Töchter dementsprechend.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind strafgerichtlich unbescholten.

Frauen in Afghanistan:

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat, bleibt die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 6.11.2015). Es steht außer Frage, dass ein gewisser Fortschritt gemacht wurde, gemeinsam mit Verbesserungen in Richtung Gleichheit. Jedoch waren die Verbesserungen diesbezüglich bescheidener, als ursprünglich erhofft (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen waren auch weiterhin gegeben, teils aufgrund des Wiederauflebens der Tailban und teils aufgrund des großen Einflusses religiöser Traditionalisten. Im November 2014 teilte Präsident Ghani den Mitgliedern der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC) mit, dass sie die Performance seiner Regierung hinsichtlich Menschenrechtsreformen beobachten können und er versprach, Frauenrechte zu fördern. Frauen, die danach streben sich ins öffentliche Leben einzubringen, werden oftmals als "sittenwidrig" verurteilt und gezielt eingeschüchtert, belästigt und es wird ihnen Gewalt angedroht. Nichtsdestotrotz hat Rula Ghani, die Frau des Präsidenten, eine sichtbare Rolle während der Kampagne geführt. Drei Frauen wurden für das Kabinett der Einheitsregierung mit 27 Mitgliedern vorgeschlagen. Zwei der drei nominierten Frauen wurden vom CEO Abdullah ausgewählt und eine vom Präsidenten (USCIRF 30.4.2015). Die Ehefrau des Präsidenten ist eine libanesische Christin (NZZ 8.7.2014).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistan verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht wurde durch die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 erreicht (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich auf diesem Wege deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor (AA 6.11.2015): Für Frauen sind per Verfassung 68 der 249 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.6.2015). Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2010 wurden 69 Frauen gewählt, eine mehr als die Quote vorsieht. Etwa 400 Frauen bewarben sich für die Sitze, was in etwa 16% aller Kandidat/innen ausmacht (CRS 12.1.2015). Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus werden vom Präsidenten vergeben (USDOS 25.6.2015); 17 dieser Sitze sind für Frauen vorgesehen. Derzeit haben Frauen insgesamt 28 Sitze inne (CRS 12.1.2015).

Die im September 2015 von Präsident Ghani initiierten Wahlreformen sehen Frauenquoten von 25 Prozent für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit 4 Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 6.11.2015).

Bildung

Afghanistan illustriert, wie ein Land, das aus einem jahrzehntelangen Krieg heraustritt und in einem andauernden Stadium des Konflikts ist, einen Willen besitzt – gemeinsam mit Gebern - Bildung Priorität einzuräumen. Es ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung von Zugang und Teilnahme an Bildung – auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Denn Bildung für Frauen ist ein Recht, das den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt wurde (BFA Staatendokumentation 3.2014). Zum Beispiel hat das afghanische Bildungsministerium gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 13.000 Schulen errichtet (USAID 28.9.2015; vergleiche USAID 7.2014).

In Bezug auf freie und verpflichtende Bildung besagt Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes, das mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend ist. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vergleiche Max Planck Institut 27.1.2004). Weiters ist der Staat verpflichtet, zur gleichmäßigen Verbreitung der Bildung in ganz Afghanistan und zur Sicherung der obligatorischen mittleren Schulbildung effektive Programme zu entwickeln und zu verwirklichen (Max Planck Institut 27.1.2004; vergleiche BFA Staatendokumentation 3.2014).

Im Jahr 2013 betrug die Zahl aller Schüler, die in unterschiedlichen Arten formaler Bildung eingeschrieben waren etwa 8,35 Millionen, davon waren 39% weiblich. Im Jahr 2013 betrug die Zahl der Lehrer/innen 187.000 - davon 32% Frauen. Etwa 72% aller Lehrer sind weiblich, im Primärbereich sind es 17,4%. In vier Provinzen gab es 5% Lehrerinnen und in 80 der 364 Bezirke gab es gar keine Lehrerinnen (Education for Development 7.7.2015). In ländlichen Gegenden ist die Alphabetenrate dreimal niedriger als in urbanen Gebieten (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Berufstätigkeit

Obwohl Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft wesentliche Fortschritte gemacht haben, sind sie noch immer Strömungen des islamischen Konservativismus und einer Missbilligung durch das Herausfordern traditioneller Geschlechterrollen ausgesetzt (BFA Staatendokumentation 3.2014). In Afghanistan ist die Mobilität von Frauen ohne männliche Erlaubnis oder Begleitung durch soziale Traditionen eingeschränkt. Unbegleitete Frauen sind gemeinhin nicht gesellschaftlich akzeptiert (USDOS 25.6.2015; vergleiche AA 16.11.2015; BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Speziell in den ländlichen Gebieten ist die Mobilität außerhalb des Hauses aus kulturellen Gründen limitiert. Daher sind Frauen hauptsächlich in häusliche Aktivitäten involviert. Frauen, die im Haushalt oder der Landwirtschaft arbeiten, beteiligen sich unbezahlt am wirtschaftlichen Wohl des Haushalts. Die Betreuung von Nutztieren ist in Afghanistan traditionell Frauensache. Es existieren regionale Unterschiede vor allem zwischen Stadt und Land, wo ein Großteil der Bevölkerung bezahlt und unbezahlt im Haushalt arbeitet (BFA Staatendokumentation 3.2014). Gleichzeitig ist es für viele Frauen immer noch sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 6.11.2015).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der weibliche Raum für Führung bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichheit werden auch weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als bloß symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Etwa 24.1% der Regierungsmitarbeiter/innen waren im Jahr 2013 Frauen, im Vergleichszeitraum 2012 waren es 21,1%. Arbeitende Frauen waren, Berichten zufolge, Schwierigkeiten ausgesetzt: sexuelle Belästigung, fehlende Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten davon, bedroht und misshandelt zu werden (USDOS 25.6.2015).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u. a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden (AA 6.11.2015).

Die Rekrutierungsprogramme führten bereits zu einer zwar langsamen, aber stetigen Steigerung der Zahl der Mitarbeiterinnen in der ANP. Im Jahr 2005 waren von 53.400 ANP-Angehörigen noch 180 Frauen (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Insgesamt gab es mit Stand Juli 2014 2.074 Polizistinnen (USDOS 25.6.2015).

Obwohl die Chance im Kampf eingesetzt zu werden gering ist, werden die Frauen ausgebildet, um verschiedene Tätigkeiten in der Armee zu übernehmen. Speziell, wenn es um invasive Sicherheitsdurchsuchungen in privaten Häusern geht, sind viele Afghanen entspannter, wenn die Dursuchung von einer Frau durchgeführt wird, besonders wenn es um die Leibesvisitation einer Frau in einer Burqa geht (BFA Staatendokumentation 26.3.2014).

Strafverfolgung und Unterstützung

Obwohl weibliche Partizipation am öffentlichen Leben in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 drastisch gestiegen ist, sind die Fortschritte in manchen Bereichen, wie zum Beispiel dem Gesetz, langsam (IWPR 3.12.2015).

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 6.11.2015). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 6.11.2015; vergleiche USDOS 25.6.2015 und The Guardian 11.5.2015). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 6.11.2015)

Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterinnen nur etwa 15 % der Richterschaft. Im Juli 2015 scheiterte der Versuch des Präsidenten, eine Richterin am Obersten Gerichtshof einzusetzen, an der Bestätigung der Kandidatin durch das Parlament (AA 6.11.2015).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt (AA 16.11.2015; vergleiche The Guardian 11.5.2015). Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z.B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 6.11.2015).

Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 16.11.2015; vergleiche USDOS 25.6.2015):

Die erste EVAW-Einheit (Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte auch weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten, die, mit Stand August 2014, mittlerweile in 18 Provinzen existieren. In anderen Provinzen wurden durch die Generalstaatsanwaltschaft den Staatsanwälten Fälle zur Behandlung weitergeleitet. Landesweit sind 283 Ermittler der sogenannten "Female Response Unit" in 33 der 34 Provinzen aktiv (USDOS 25.6.2015). Diese sind zum Großteil mit Polizistinnen besetzt, die Gewalt und Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Familien behandeln. Polizistinnen sind darauf trainiert Opfern häuslicher Gewalt zu helfen, jedoch werden sie durch Vorschriften behindert, die verlangen, dass man warten muss, bis sich das Opfer von selbst meldet. Frauen in der afghanischen Polizei und in zivilen Positionen im Innenministerium bieten Vermittlung und Ressourcen zur zukünftigen Vermeidung von häuslicher Gewalt an (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 2.7.2014).

Das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW – law) und Kontroversen

Die Streitigkeiten in Bezug auf das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (Elimination of Violence Against Women - EVAW) unterstreichen, was für ein Drahtseilakt die Verbesserung der rechtlichen Situation von Frauen in Afghanistan ist. Verabschiedet im Jahr 2009, ist es das erste Gesetz, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert (BFA Staatendokumentation 2.7.2014).

Das EVAW-Gesetz führt zum ersten Mal "Vergewaltigung" als kriminelles Vergehen im afghanischen Gesetz ein (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Es kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung oder Verprügelung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten es als unislamisch (USDOS 26.5.2015).

Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und demzufolge seine tatsächliche Anwendung ist jedoch begrenzt. Genauso wie seine allgemeine Bekanntheit, obwohl sich die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission – AIHRC), einzelne Gesetzesvollzugsorgane und die Zivilgesellschaft bemühen, diese zu steigern. Teile der Öffentlichkeit und religiöser Kreise erachten das Gesetz nämlich als unislamisch. Somit ist seine erfolgreiche und korrekte Umsetzung auch weiterhin mangelhaft (USDOS 25.6.2015). Laut Angaben von Human Rights Watch, war die Umsetzung des Gesetzes durch die ehemalige afghanische Regierung mangelhaft (HRW 23.3.2015). Eine Erklärung von Frauenrechtsaktivistinnen hierfür ist das Fehlen sozialer Legitimität. EVAW wurde nie vom afghanischen Parlament abgesegnet, sondern durch ein Präsidialdekret bewilligt. Laut Artikel 79 der Verfassung von 2004 ist das statthaft (ein Präsidialdekret ist rechtmäßig, außer es wird vom Parlament ausdrücklich abgelehnt). Auch viele andere Gesetze wurden bereits auf diesem Wege erlassen und sind weiterhin in Kraft (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern steht weiterhin aus (AA 16.11.2015). Ferner wird die Abwesenheit von Polizistinnen in der afghanischen Nationalpolizei als Erschwernis gesehen, um das EVAW-Gesetz zu forcieren (HRW 23.3.2015). Wenn rechtliche Behörden sich des EVAW-Gesetzes und dessen Umsetzung jedoch bewusst waren, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten (USDOS 25.6.2015).

Im Juni 2015 repräsentierte die afghanische Regierung einen Nationalen Aktionsplan für die Jahre 2015 – 2022, der die Implementierung der UN Resolution 1325 betrifft (HRW 12.1.2016; vergleiche MfA 30.6.2015). Der Nationale Aktionsplan ist ein Mechanismus, der von vielen Ländern genutzt wird, um die Einhaltung im Sinne der Resolution 1325 zu fördern (HRW 12.1.2016). Übergeordnete Ziele der Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrats, sind die aktive Einbindung von Frauen in allen Phasen der Konfliktprävention und Konfliktbewältigung sowie der Schutz von Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt und Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten (AA 18.9.2015; vergleiche UNSC 2000).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt (AA 6.11.2015). Die AIHRC berichtet, dass mit Stand 1. August 2014, 1.250 Fälle von Gewalt an Frauen gemeldet wurden (USDOS 25.6.2015). Weitestgehend besteht Einigkeit darüber, dass die gestiegenen Zahlen im Wesentlichen darauf zurückzuführen sind, dass solche Straftaten vermehrt angezeigt werden. Die Erkenntnisse sind gleichzeitig bezeichnend für die immer noch mangelhafte Befassung der staatlichen Strafverfolgungsbehörden:

nur 11,5% der Fälle wurden durch die formelle Justiz entschieden. 41% der Fälle wurden durch Mediation gelöst. Darunter fallen jedoch auch die Fälle (48%), in denen die Vorkommnisse von der Geschädigten nicht weiterverfolgt wurden (AA 6.11.2015).

Die AIHRC zeigte sich besorgt über die traditionelle und kulturelle Gewalt, wie Kinder- und Zwangsheirat, die Praxis des Frauenaustausches zur Konfliktschlichtung (baad), Zwangsisolation und Ehrenmorde, die auch weiterhin im Aufstieg begriffen zu sein scheinen. Es ist schwierig exakte Statistiken zu der Verbreitung von Gewalt an Frauen zu erhalten (USDOS 25.6.2015).

Ehrenmorde

Ehrenmorde werden an Frauen von einem - typischerweise männlichen - Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, bei "davonlaufen" vor Zwangsverheiratung oder Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden. (USDOS 25.6.2015).

Die AIHRC gab im November 2013 bekannt, in den vorangegangen zwei Jahren 240 Ehrenmorde registriert zu haben (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Die AIHRC gab in ihrem Bericht aus dem Jahre 2013 auch an, dass die Anzahl an Ehrenmorden und sexuellen Übergriffen sich in fast allen Teilen des Landes erhöht hat. Laut diesem Bericht werden 91% der Fälle, die an die AIHRC herangetragen werden, innerhalb eines Jahres an das Justizsystem weitergeleitet. Von diesen Fällen erachtete die AIHRC, dass die legalen Vorgehensweisen in 65% der Fälle "erfolgreich" waren (USDOS 25.6.2015).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung ihres Vaters oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist jedoch unzulässig (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Nichtsdestotrotz ist Kinderheirat in Afghanistan weiterhin üblich (BFA Staatendokumentation 2.7.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015).

Als letzten Ausweg, in Reaktion auf gegen Frauen gerichtete Gewalt und traditionelle Praktiken, laufen Frauen entweder von zu Hause weg (BFA Staatendokumentation 2.7.2014), oder verbrennen sich in drastischen Fällen sogar selbst (USDOS 25.6.2015; vergleiche BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Darüber hinaus geschieht es immer wieder, dass Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen wie z.B. "zina" (außerehelicher Geschlechtsverkehr) im Fall einer Vergewaltigung verhaftet oder wegen "Von-zu-Hause-Weglaufens" (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der "zina" gewertet) inhaftiert werden (AA6.11.2015).

Frauenhäuser

Frauen auf der Suche nach Hilfe in Fällen von häuslicher Gewalt, müssen dies oft außerhalb ihres Heimes und ihrer Gemeinschaft tun (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser (USDOS 25.6.2015). Frauen, denen es nicht möglich war mit ihren Familien wieder vereint zu werden oder wiederheiratet zu werden, waren dazu gezwungen für unbestimmte Zeit im Frauenhaus zu bleiben, da "unbegleitete" Frauen allgemein in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden (USDOS 25.6.2015; vergleiche AA 6.11.2015). Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband (6.11.2015).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösungsfindung für Frauen war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, dass das "Weglaufen von zu Hause" eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten sei. Des Weiteren wurden Frauen, die vergewaltigt wurden, von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 25.6.2015).

Es gibt Berichte, dass das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangiern, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 25.6.2015).

Medizinische Versorgung – Gynäkologie

Das Recht auf Familienplanung wird noch von recht wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, so nutzen jedoch nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 6.11.2015).

Quellen:

https://www.google.at/?gws_rd=cr&ei=gi83Vtq2A4itygP66Ke4Ag#q=enrolment+education+afghan+fact+sheet+2015, Zugriff 2.11.2015

Afghanistan: Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 15.1.2016

https://www.hrw.org/news/2015/03/23/us-rights-should-top-afghanistan-summit-agenda, Zugriff 5.11.2015

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 11.9.2014

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/technokrat-populist-choleriker-1.18339044, Zugriff 16.1.2016

http://www.unesco.org/new/en/kabul/education/enhancement-of-literacy-in-afghanistan-ela-program/, Zugriff 3.11.2015

Afghanistan,http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2014&dlid=236632, Zugriff 13.10.2015

2. Beweiswürdigung:

Die BF2 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchwegs einen persönlichen glaubwürdigen Eindruck zur Art und Weise der von ihr beabsichtigten Lebensgestaltung gemacht hat. Auch das optische Erscheinungsbild der Zweitbeschwerdeführerin entspricht völlig diesem Bild. Die persönliche Haltung der BF2 hinsichtlich der Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht überwiegend im Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen mehrheitlich unterworfen sind. Darüber hinaus ist sie bestrebt, ihre Töchter zu selbstbestimmten Frauen zu erziehen. Die von der BF2 vertretene und nach außen hin auch erkennbare persönliche Wertehaltung steht zu der von ihrer gesellschaftlichen und familiären Umgebung getragenen konservativ-restriktiven Wertehaltung hinsichtlich der Rolle und Stellung von Frauen im eindeutigen Widerspruch, es kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass ihr im Fall der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung drohen würde.

Die getroffene Feststellung betreffend die überwiegende Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin an dem allgemein als "westlich" zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild ergibt sich aus dem durchwegs selbstbewussten Auftreten der BF2 und ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die persönliche und nach außen offen dargelegte Wertehaltung der Zweitbeschwerdeführerin an ein würdiges Leben als Frau, die sie auch für ihre Töchter zum Ausdruck brachte, ihre Absicht, berufstätig und selbständig zu sein und die von der BF2 dargelegte Auffassung steht zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen im völligen Gegensatz.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Zweitbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde und die staatlichen Einrichtungen Afghanistans nicht in der Lage sein würden, der BF2 vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.

Die Länderfeststellungen gründen sich auf die darin genannten unterschiedlichen Quellen und werden als ausgewogen erachtet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Zu A)

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich jedoch, dass die Zweitbeschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt wird, weil sie eine westlich orientierte Frau ist.

Sie hat glaubhaft dargelegt, dass sie auf Grund ihrer inneren und nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung und wegen ihres Widerstandes gegen die in Afghanistan vorherrschenden Diskriminierungen und Einschränkungen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein würde. Das von der persönlichen Wertehaltung der BF2 überwiegend getragene und als westlich zu bezeichnende Frauen- und Gesellschaftsbild steht im völligen Gegensatz zu der in weiten Teilen Afghanistans immer noch vorherrschenden und durch teils bizarre gesellschaftliche und politisch-religiöse Zwänge gekennzeichneten Lebensweise.

Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan wäre die Zweitbeschwerdeführerin unter den dargelegten Umständen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Den getroffenen Feststellungen zufolge besteht das Risiko einer frauenspezifischen Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Daraus resultierend wäre die BF2 im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt wäre, und zwar vor allem dadurch, dass sie in einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein könnte. So bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen; widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt.

Diese Situation ist auch durch die Aufnahme einer Bestimmung in der neuen Verfassung von Afghanistan über die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz nicht beseitigt, da die praktische Handhabung dieser Vorschrift noch nicht abzusehen ist und überdies im Verfassungsdokument an anderer Stelle vorgesehen ist, dass kein Gesetz gegen den Glauben und die Vorschriften des Islam verstoßen dürfe, was als Rechtfertigung traditionell gesellschaftlicher Vorstellungen über die Rolle der Frau herangezogen werden könnte.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendiger Weise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, Zl. 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (zB von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt – wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung – ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (zB VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, insbesondere auch in der Hauptstadt Kabul, einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Es ist zu prüfen, ob es der Zweitbeschwerdeführerin möglich wäre, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen, bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos – trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat – wahrscheinlich ist:

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen, der afghanische Staat kommt somit seinen Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe meist nicht nach. Ausgehend davon kann die Zweitbeschwerdeführerin nicht mit hinreichender Sicherheit damit rechnen, dass sie angesichts des sie als Frau betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Angesichts der dargestellten Umstände ist im Fall der Beschwerdeführerin daher davon auszugehen, dass sie in Afghanistan den Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus der befürchteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat.

Bei der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen Rasse, Religion und Nationalität überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (VwGH 20.10.1999, Zl. 99/01/0197).

Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen stellen beispielsweise eine "besondere soziale Gruppe" iSd. GFK dar vergleiche etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Band römisch II [1986] 456). So bestimmen die Absätze 77 bis 79 des UNCHR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom September 1979 (Neuauflage: UNCHR Österreich, Dezember 2003): "[Abs. 77.] In einer ‚bestimmten sozialen Gruppe’ befinden sich normalerweise Personen mit ähnlichem Hintergrund, Gewohnheiten oder sozialer Stellung. Macht jemand Furcht vor Verfolgung aus diesem Grunde geltend, so könnte er häufig ebenso gut Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion oder Nationalität anführen. [Abs. 78.] Die Zugehörigkeit zu einer solchen sozialen Gruppe kann Anlass zur Verfolgung sein, wenn kein Vertrauen in die Loyalität der Gruppe der Regierung gegenüber besteht, oder auch wenn die politische Ausrichtung, das Vorleben oder die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der Gruppe oder auch schon allein die Existenz der Gruppe an sich als Hindernis für die Politik der Regierung angesehen werden. [Abs. 79] Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wird an sich allein noch nicht ausreichen, um die Forderung nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Es kann jedoch besondere Umstände geben, unter denen die bloße Zugehörigkeit ein ausreichender Grund für die Furcht vor Verfolgung sein kann."

Gemäß Artikel 10, Absatz eins, Litera d, Status-Richtlinie gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

* die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

* die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die der Zweitbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Afghanistan drohende Situation als Frau und auf Grund der von ihrer inneren Wertehaltung getragenen und nach außen hin erkennbaren überwiegenden Orientierung am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild, ihrem bisherigen Verhalten sowie ihrer individuellen Lebensumstände in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität ist.

Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin liegt somit das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, vor vergleiche dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 20.06.2002, Zl. 99/20/0172).

Eine inländische Fluchtalternative würde der Zweitbeschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umstände und des gänzlichen Fehlens eines unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerks in Afghanistan sowie auch im Hinblick auf die allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Verfügung stehen.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht noch ein in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde stattzugeben und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an den Erstbeschwerdeführer und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführerinnen:

Gemäß Paragraph 34, Absatz 2, AsylG 2005 i.d.g.F. ist aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens i.S.d. Artikel 8, EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005 i.d.g.F. ist unter anderem Familienangehöriger, wer

* Ehegatte ist, sofern die Ehe bereits im Herkunftsstaat bestanden hat,

* zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges, lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Der unbescholtene Erstbeschwerdeführer, der die Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin bereits in Afghanistan geschlossen hat und der Vater der minderjährigen, ledigen Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen ist, ist Familienangehöriger der Zweitbeschwerdeführerin i.S.d. Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 22, AsylG 2005; genauso sind die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen als ledige, minderjährige Kinder Familienangehörige der Zweitbeschwerdeführerin. Weiters hat sich nicht ergeben, dass das zwischen den Beschwerdeführern bestehende Familienleben in einem anderen Staat fortgesetzt werden könnte.

Da der Zweitbeschwerdeführerin - wie oben dargelegt - der Status der Asylberechtigten zu gewähren war, war dieser Status gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 i.d.g.F. auch dem Erstbeschwerdeführer und den Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen, bei denen keine der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegen, zuzuerkennen.

Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war festzustellen, dass den Beschwerdeführern von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes römisch eins des angefochtenen Bescheides ergeht in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, in der jeweiligen Fassung.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2017:W200.2123027.1.00