Gericht

BVwG

Entscheidungsdatum

05.08.2015

Geschäftszahl

I402 1424456-1

Spruch

I402 1424456-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde der römisch 40 , geb. am römisch 40 , Staatsangehörige Marokkos, gegen den Bescheid des Bundesasylamts vom 01.02.2012, Zl. 11 12.349-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2015 zu Recht erkannt:

A)

römisch eins. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 28, Absatz eins und 2 VwGVG i.V.m. Paragraphen 3, Absatz eins und 8 Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

römisch II. Gemäß Paragraph 75, Absatz 20, AsylG 2005 idgF wird das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt römisch III. des Bescheides zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung insoweit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin wurde am 17.10.2011 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes ohne gültigen Aufenthaltstitel betreten und in die Polizeiinspektion Schwechat-Flughafen verbracht, wo sie einen Asylantrag stellte. Bei ihrer Erstbefragung am folgenden Tag gab sie an, am römisch 40 in Fes, Marokko, geboren zu sein und die marokkanische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Sie sei Angehörige der arabischen Volksgruppe, bekenne sich zum muslimischen Glauben und spreche arabisch und französisch.

Auf die Frage, warum sie ihr Land verlassen habe, gab sie an, zuhause keine Probleme zu haben, jedoch habe ihr Mann ihre Kinder (römisch 40 , 15 Jahre alt, und römisch 40 , 10 Jahre alt) entführt und sie wolle unbedingt zu ihren Kindern nach Deutschland fahren. Für den Fall der Rückkehr nach Marokko gab sie an, keine Befürchtungen zu haben.

2. Am 18.01.2012 fand vor dem Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; im Folgenden: belangte Behörde) eine Einvernahme der Beschwerdeführerin statt.

2.1. Zu ihren persönlichen Verhältnissen sowie zu den Lebensumständen, unter denen sie in ihrem Heimatland gelebt habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Eltern bereits verstorben seien. Sie habe dreizehn Geschwister, von denen vier in den USA, Kanada bzw. Australien leben würden, alle anderen würden im Herkunftsstaat leben. In den drei Monaten ihres bisherigen Aufenthalts in Österreich habe sie versucht, sich nützlich zu machen und sich zu betätigen. Sie biete Massagen und Hennatattoos an. Sie habe auch eine Freundschaft mit einem Österreicher geschlossen, vielleicht werde mehr daraus. Sie wohne weiterhin im Flüchtlingsquartier und lebe von dem, was Österreich ihr zukommen lasse. Bei ihr seien Nierensteine festgestellt worden, ein Operationstermin für nächste Woche stehe bereits fest. In Österreich habe sie keine Verwandten. Sie sei ausgebildete Kosmetikerin und habe in den letzten Jahren vor dem Verlassen Marokkos durchgehend in einem Schönheitssalon gearbeitet. Zwischen 2002 und 2004 habe sie in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Kosmetikerin gearbeitet. Sie habe beispielsweise auf Hochzeiten gekocht, um etwas Geld dazuzuverdienen.

2.2. Auf die Frage nach ihren Fluchtgründen gab sie an, dass sie im Alter von 17 Jahren einen Palästinenser geheiratet habe, der Ehe würden zwei Kinder - römisch 40 sei 17 Jahre und römisch 40 sei 11 Jahre alt - entstammen, deren Obsorge nach der Scheidung ihr zugesprochen worden sei. Der Mann sei geborener Palästinenser, hätte aber, als sie sich kennen gelernt haben, schon seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland gehabt. Mittlerweile habe er schon lange die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach einigen Jahren der Ehe habe sie erfahren, dass ihr Mann während der Ehe mit ihr in Deutschland bereits verheiratet gewesen sei. Deswegen habe sie sich nach neun Jahren Ehe scheiden lassen. Ihre Ehe habe während all dieser Jahre auch "immer nur sporadisch statt[gefunden]"; der Ehemann habe ein Haus in Marokko gemietet und sei einige Male im Jahr auf Besuch gekommen. Nach der Scheidung habe sie eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht und dann den Arbeitsvertrag in den Vereinigten Arabischen Emiraten angenommen. In den Jahren nach der Scheidung habe sie ihrem Ex-Mann erlaubt, die Kinder regelmäßig zu besuchen, das sei ihr wichtig erschienen. Als sie dann in den VAE gewesen sei, habe er sie angerufen und gefragt, ob er die Kinder für einige Zeit nach Deutschland mitnehmen dürfe. Dem habe sie auch zugestimmt. Entgegen der Vereinbarung habe er die Kinder dann nicht mehr zurückgebracht. Im Herbst 2002 hätte er sie zurückbringen sollen und seither habe sie die Kinder nicht mehr gesehen. Sie hätten regelmäßig telefoniert, sie habe aber nicht den Eindruck, dass es ihnen wirklich gut gehe. Das sei der Grund, warum sie Marokko verlassen habe, sie wolle ihre Kinder wiedersehen. Auf die Frage, warum sie erst im Jahr 2008 bzw. 2009 bzw. 2010 (die Angaben der Beschwerdeführerin zum Ausreisedatum würden stark variieren) ausgereist sei, obwohl sie ihre Kinder seit 2002 nicht mehr gesehen habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass Ereignisse in ihrem Leben sie dazu bewegt hätten, sich wieder mehr für ihre Kinder zu interessieren. Danach befragt, warum sie so lange in Griechenland geblieben sei, wo sie doch zu ihren Kindern habe reisen wollen, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie vom Flughafen Athen nach Deutschland habe weiterfliegen wollen, ihr die Ausreise jedoch verweigert worden sei. Wegen der Kindesmitnahme durch den Ex-Mann habe sie zwei Anwälte engagiert und sei auch bei der Deutschen Botschaft gewesen. Man habe jedoch nichts für sie getan und ihr nicht einmal geantwortet. Für den Fall der Rückkehr nach Marokko habe sie Angst vor einem ihrer Brüder, welcher sich in einen Streit zwischen ihr und dessen Ehefrau gemischt habe.

2.3. Zur Fluchtroute gab die Beschwerdeführerin an, sie sei über die Türkei nach Griechenland eingereist und habe sich dort bei den Behörden gemeldet. Sie habe ähnlich wie in Österreich eine Karte bekommen, die sie immer wieder habe verlängern lassen müssen. Sie habe in Griechenland in ihrem Beruf (Kosmetik, Wellness) gearbeitet. Nach zirka eineinhalb Jahren habe sie Griechenland verlassen, sie habe ja zu ihren Kindern reisen wollen. Sie sei also nach Italien weitergereist, wo sie sich zirka sechs Monate aufgehalten habe. Dort habe sie illegal in ihrem Beruf gearbeitet. Weil ihr die Lebensumstände mit der hohen Kriminalität zu viel geworden seien, sei sie nach Österreich weitergereist.

3.1. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2012 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz "bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz 1 in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, (AsylG) idgF" (Spruchpunkt römisch eins.) sowie "bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf [ihren] Herkunftsstaat Marokko" gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit 2 Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch II.) ab. Darüber hinaus sprach die belangte Behörde "gemäß Paragraph 10, Absatz 1 AsylG" die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko aus (Spruchpunkt römisch III.). Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin durch persönliche Übergabe am 06.02.2012 zugestellt. Gleichzeitig stellte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin, gestützt auf Paragraph 66, Absatz eins, AsylG 2005 mit Verfahrensanordnung von Amts wegen den Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite.

3.2. Die belangte Behörde hielt im angefochtenen Bescheid fest, dass die tatsächlichen familiären Verhältnisse der Beschwerdeführerin nicht feststellbar seien, ebensowenig der Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsstaates. Von der (gemeint: Möglichkeit bzw. Fähigkeit der Beschwerdeführerin zur) Deckung der existenziellen Grundbedürfnisse durch eigene Arbeit sei auszugehen. Die Beschwerdeführerin habe keine verwandtschaftlichen Bindungen in Österreich. Mit Ausnahme von Nierensteinen, die zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung schon entfernt sein sollten, seien keine weiteren behandlungsbedürftigen Krankheiten aktenkundig. Der Fluchtgrund, zu den in Deutschland aufhältigen Kindern reisen zu wollen, ergänzt durch die schwierige Arbeitsmarktlage in Marokko und familiäre Probleme mit einem Bruder seien nicht asylrelevant. Eine GFK-relevante Verfolgung sei somit nicht geltend gemacht worden. Es sei der Beschwerdeführerin auch nicht gelungen, aus ihrem (als unglaubwürdig erkannten Fluchtvorbringen) eine Bedrohung im Sinne des Paragraph 8, AsylG glaubhaft zu machen. Im Fall der Rückkehr sei ihr die eigene Existenzsicherung zumutbar. Eine Ausweisung greife nicht in das Recht der Beschwerdeführerin auf Familienleben ein, da sie keine familiären Bindungen in Österreich besitze. Eine nennenswerte soziale Integration sei im Verfahren nicht hervorgekommen, sodass die öffentlichen Interessen an der Ausweisung der Beschwerdeführerin überwiegen würden.

4. Mit undatiertem Schreiben, bei der belangten Behörde am 07.02.2012 per Fax eingelangt, erhob die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Beschwerde an den Asylgerichtshof (nunmehr als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht weiterbehandelt). Das Beschwerdeschreiben enthält auf der ersten Seite ein mittels Textverarbeitung verfasstes "Deckblatt", in dem eine Anfechtungserklärung, ein Begehren, der Name und das Geburtsdatum der Beschwerdeführerin sowie die Geschäftszahl des angefochtenen Bescheides enthalten sind. Auf einer zweiten Seite des Beschwerdeschreibens findet sich ein in arabischer Schrift handschriftlich verfasstes Beiblatt. Der Asylgerichtshof ließ dieses Beiblatt von Amts wegen übersetzen. Darin finden sich folgende Ausführungen (Angabe "unleserlich" im Original der Übersetzung):

"Hiermit erkläre ich, Frau [...], dass ich Marokko ohne Wissen

meiner Familie verlassen habe, wegen ... unleserlich ... Ich habe

nämlich drei Brüder, die darauf warten, dass ich zurückkehre, um

mich zu töten, weil unsere Sitten, Traditionen und unsere Religion

es verbieten, dass eine Frau ihre Familie und Geschwister ...

unleserlich ... und es erlauben, sie zu töten, wenn sie dies tut."

5. Mit Schreiben vom 08.02.2012 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Asylgerichtshof vor.

6. Am 18.05.2015 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache statt, an der die Beschwerdeführerin in Begleitung eines bevollmächtigten Vertreters teilnahm.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage - insbesondere - des Antrags, der Niederschrift über die Erstbefragung der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der Niederschrift über die Einvernahme der Beschwerdeführerin durch das Bundesasylamt, des Beschwerdevorbringens und auf Basis der mündlichen Verhandlung werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist am römisch 40 geboren, Staatsangehörige Marokkos, Angehörige der arabischen Volksgruppe, bekennt sich zum muslimischen Glauben und spricht arabisch und französisch.

Die Gründe ihre Ausreise aus Marokko (und ihren weiteren Verbleib in Europa) lassen sich damit zusammenfassen, dass der (ehemalige) Mann der Beschwerdeführerin die zwei gemeinsamen Kinder nach Deutschland entführt habe und dass die Beschwerdeführerin unbedingt zu ihren Kindern nach Deutschland fahren will. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin - wie ursprünglich im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht - für den Fall ihrer Rückkehr nach Marokko Übergriffe auf Leib und Leben oder andere Rechtsgüter von maßgeblicher Intensität durch ihre Brüder zu befürchten hätte, geschweige denn, dass sie gegen Gefahren dieser Art keinen staatlichen Schutz beanspruchen könnte.

Die Beschwerdeführerin ist grundsätzlich gesund und leidet derzeit unter keinen körperlichen Beschwerden. Die Beschwerdeführerin empfindet ihre Lage - insbesondere die Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus - als psychisch belastend und hat sich aus diesem Grund auch an entsprechende Stellen um Hilfe gewandt. Sie befindet sich aber nicht in einem derart schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem in Marokko nicht behandelbaren Zustand der Erkrankung, dass ihre Verpflichtung zur Rückkehr nach Marokko als völlig unzumutbar erschiene.

Die Eltern der Beschwerdeführerin sind bereits verstorben, neun ihrer dreizehn Geschwister leben im Herkunftsstaat. Zu den in der EU aufhältigen Verwandten wird auf das festgestellte Fluchtvorbringen verwiesen. Der Beschwerdeführerin stünde im Fall ihrer Rückkehr nach Marokko Hilfe durch ihre Familie und/oder durch entsprechende Organisationen zur Verfügung.

Die Beschwerdeführerin würde im Fall ihrer Rückkehr nach Marokko nicht Opfer einer Verfolgung maßgeblicher Intensität werden. Ferner bestünde im Fall ihrer Rückkehr nach Marokko weder das reale Risiko, dass sie in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde, noch dass ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen würde.

Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung von maßgeblicher Intensität durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (zB als Frau) oder politischen Gesinnungen (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

Eine reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer Tötung (einschließlich der Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe) durch den Staat oder tödlicher Übergriffe durch Dritte wird nicht festgestellt.

Auch eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat Marokko verbundene reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein, wird nicht festgestellt: Insbesondere wird eine solche reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung weder im Hinblick auf eine drohende Kettenabschiebung festgestellt, noch im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe, noch im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin in Verbindung mit einer Unzulänglichkeit der medizinischen Versorgungslage in Marokko, noch im Hinblick auf die allgemeinen humanitären Bedingungen in Marokko in Verbindung mit der persönlichen Lage der Beschwerdeführerin (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlage), noch im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder aus anderen Gründen.

Eine solche Gefahr wird auch nicht im Hinblick auf eine etwaige ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts festgestellt.

1.2. Zur Situation in Marokko (Wiedergabe aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA, Stand Juli 205; offenkundig nicht relevante Teile werden ausgelassen)

Politische Lage

Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat, unterteilt in 16 Regionen, die ihrerseits in 61 Provinzen ("Wilayas") unterteilt sind (AA 7.2015a). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 und Kundgebungen der marokkanischen "Bewegung 20. Februar" leitete der König 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Die in Marokko überwiegend auf ökonomisch-soziale Verbesserungen, aber nicht auf "Regimewechsel" gerichteten Proteste wurden so aufgefangen (AA 7.2015a). Die am 1.7.2011 in Kraft getretene Verfassung bringt im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land: Erstmals wurde auf staatsrechtlicher Ebene ein Grundrechtskatalog eingeführt und der Primat eingegangener völkerrechtlicher Verpflichtungen vor dem innerstaatlichen Recht stipuliert. Diese Verfassung wurde durch Referendum (97 Prozent Zustimmung) angenommen, sodass Staats- und Regierungsform demokratisch legitimiert sind. Die Verfassung sieht selbst ein Verfahren zu ihrer Änderung vor; allerdings sind der Disposition des Verfassungsgesetzgebers neben dem islamischen Charakter des Staates und der monarchischen Staatsform insbesondere das demokratische Prinzip und der Grundrechts-Acquis entzogen. Die neue Verfassung belässt maßgebliche beim König exekutive Reservat- und Gestaltungsrechte; er steht über den Staatsgewalten und ist staatsrechtlicher Kontrolle entzogen. In Bezug auf die Königsmacht bringt die Verfassung nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung, aber keinen Bruch mit dem bisherigen politischen System an sich. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Neu ist die Einführung einer regionalen Staatsebene mit demokratischen Institutionen und Selbstverwaltung, die allerdings erst im Detail zu konzipieren und umzusetzen ist. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 9.2014).

Das Land ist eine konstitutionelle Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (direkter Nachkomme des Propheten Mohammed) (AA 7.2015a; vergleiche GIZ 6.2015a). Der König hat den Vorsitz im Ministerrat. Er ist befugt, Minister zu entlassen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen (USDOS 25.6.2015). Einige Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen. Folgende Ressorts werden als sogenannte "Souveränitätsministerien" (Ministères de Souveraineté) nach wie vor personell direkt vom König besetzt bzw. stehen unmittelbar unter seiner Kontrolle: Inneres; Äußeres; Verteidigung; Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen (GIZ 6.2015a).

Regierungschef Benkirane von der Partei Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) amtiert seit den letzten Parlamentswahlen am 25.11.2011. Er ist der erste Regierungschef Marokkos, der einer Partei des politischen Islam angehört. Die vier Regierungsparteien sind die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung ("Parti de la Justice et du Développement", PJD), die Nationale Versammlung der Unabhängigen ("Rassemblement National des Indépendants", RNI), die Volksbewegung ("Mouvement Populaire") und die Partei für Fortschritt und Sozialismus, PPS. Erst im Oktober 2013 ist die Partei Rassemblement National des Indépendants (RNI) in die Regierung eingetreten, nachdem die Istiqlal-Partei die Regierung im Juli 2013 verlassen hatte. Die großen Oppositionsparteien sind seitdem die Istiqlal-("Unabhängigkeits-")Partei, die Partei Authentizität und Modernität (PAM), die sozialdemokratische Union Socialiste des Forces Populaires (USFP) und die Union Constitutionelle (Verfassungsunion, UC) (AA 7.2015a).

Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern:

• Unterhaus (Chambre des Représentants, madschliss an-nuwwab)

• Oberhaus (Chambre des conseillers, madschliss al mustascharin)

Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt (jüngste Wahl: 25.11.2011). Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das aktive Wahlrecht gilt ab 18, das passive Wahlrecht ab 23 Jahren. Das Oberhaus besteht gemäß Artikel 63 der Verfassung vom 1.7.2011 aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden. Die Zusammensetzung des Oberhauses folgt einem komplexen Schema: Zwei Fünftel der Mitglieder werden von Wahlversammlungen gewählt, in denen Vertretern von Berufsverbänden, Unternehmerverbänden und Arbeitnehmervertretungen sitzen. Drei Fünftel der Mitglieder werden von Gremien gewählt, in denen Vertretern aus den 16 Regionen (17 Wilayas) sitzen (GIZ 6.2015a).

Das Parlament hat folgende Aufgaben: Verabschiedung von Gesetzen; Ratifizierung von Dekreten des Königs (Dahir) (GZ 6.2015a)

Quellen:

Sicherheitslage

Marokko ist im regionalen Kontext ein vergleichsweise politisch stabiles Land mit guter touristischer und sicherheitspolitischer Infrastruktur (AA 16.7.2015). Das französische Außenministerium rät zu normaler Aufmerksamkeit im Land (das einzige in Nordafrika!), außer in den Grenzregionen zu Algerien und in der Westsahara zu erhöhter Aufmerksamkeit (FD 10.6.2015). Es gibt aber auch in Marokko Gefahrenelemente. So besteht ein Risiko terroristischer Anschläge mit islamistischem Hintergrund, die insbesondere auf ausländische Staatsangehörige abzielen können. Eine mögliche Gefahr von Anschlägen oder sonstigen Aktionen durch die bislang vor allem in Algerien terroristisch aktiven Al Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) auf marokkanischem Gebiet kann nicht ausgeschlossen werden. Es muss auch mit Einzeltätern gerechnet werden (AA 16.7.2015).

Marokko steht im Kampf gegen den Terrorismus im Lager des Westens. Die marokkanischen Dienste gelten als gut unterrichtet und operationell fähig; die laufende Aushebung von Terrorzellen spricht für deren Effizienz. Allerdings konnte z.B. das spektakuläre Attentat auf des Innenstadt-Cafe "Arganá" in Marrakesch (April 2011) mit 17 Toten nicht verhindert werden. AQIM und andere islamisch-fundamentalistische Gruppierungen, Salafisten und IS-Kämpfer werden als Staatsfeinde Nummer eins betrachtet. Besondere Sorge gilt seit Ausbruch der Mali-Krise einer vermuteten Verbindung der Polisario mit fundamentalistischen Elementen aus dem Sahel (AQIM, Ansareddine, Mujao) sowie aus Syrien und dem Irak. Im vergangenen Jahrzehnt waren marokkanische Staatsbürger in terroristische Aktivitäten im Ausland verwickelt und Marokko war von Terroranschlägen im eigenen Land betroffen. Die Behörden scheinen besorgt, dass marokkanische Extremisten mit Erfahrung im Irak, Afghanistan, Syrien, oder Libyen oder nach ihren Aufenthalten in Westeuropa radikalisiert zurückkehren und Terroranschläge in Marokko durchführen bzw. Terrornetzwerke bilden (ÖB 9.2014).

Marokkanische Spezialkräfte haben am 24.3.2015 mehrere geplante Anschläge eines örtlichen Ablegers der Terrormiliz " Islamischer Staat" (IS) verhindert. In diesem Zusammenhang gab es laut Geheimdienst gemeinsame Zugriffe in mehreren Städten. Dabei seien insgesamt 13 Mitglieder der Terrorzelle festgenommen worden. Die Gruppe habe mehrere Entführungen in Marokko geplant. Es kämpfen gemäß Inlandsgeheimdienst mehr als 1.300 Marokkaner für den IS in Syrien und im Irak, darunter auch Frauen und Kinder (SO 24.3.2015). Zähle man Marokkaner aus europäischen Ländern hinzu, komme man auf

1.500 bis 2.000 (SO 19.12.2014).

Quellen:

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/MarokkoSicherheit_node.html, Zugriff 13.7.2015

http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-is-marokko-hebt-terrorzelle-aus-a-1025299.html, Zugriff 16.7.2015

West-Sahara

[...]

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 25.6.2015). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 25.6.2015; vergleiche ÖB 9.2014) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden respektieren Anordnungen der Gerichte fallweise nicht (USDOS 27.2.2104).

Die Staatsführung bezeichnet die Reform des Justizwesens als eine der Hauptbaustellen der Regierungsagenda. Eine Hohe Kommission zur Ausarbeitung einer Justizreform wurde 2012 unter Vorsitz des Justizministers einberufen, die 2013 ein breitangelegtes Konzept für den Neuaufbau des Justizsektors vorgelegt hat, das seitdem in Diskussion steht. Eine methodische Schwäche ist darin zu ersehen, dass die Rechtsberufe in die Reformarbeiten nicht auf gleicher Augenhöhe eingebunden sind, was zu einem mitunter polemisch geführten Diskurs des federführenden Justizministers mit den Standesvertretern von Richterschaft, Rechtspflegern und Gerichtsbeamten und dem Barreau führt. Im Zentrum steht die richterliche Unabhängigkeit: Hauptverhandlungsgegenstand bilden das Verfassungs- Durchführungsgesetz über den Obersten Justizrat, als zentrales Organ richterlicher Selbstverwaltung, und das Richter- und Staatsanwaltsdienstgesetz. Parallel werden Novellierungen von Prozessrecht, Strafvollzugsrecht und Materiegesetzen wie dem Presserecht vorangetrieben (ÖB 9.2014).

Es gilt die Unschuldsvermutung. Gesetzlich ist ein faires Verfahren mit dem Recht auf Berufung für alle Bürger vorgesehen. Dieses Recht wird vor allem bei Fällen mit Westsahara-Bezug nicht immer respektiert. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Verhandlung anwesend zu sein und rechtzeitig einen Anwalt zu konsultieren, obwohl diese Rechte nicht immer gewährleistet sind (USDOS 25.6.2015). Verwaltungsentscheidungen können vor Verwaltungsgerichten appelliert werden, der Instanzenzug führt zum Kassations-Gerichtshof. Die Verfassung sieht eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (Oberster Justizrat, Gleichstellungs-Rat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 9.2014).

Quellen:

Sicherheitsbehörden

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die Nationalpolizei (DGSN) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den "Forces auxiliaires" handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Autobahnen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und ist als Bestandteil der militärischen Struktur dem König als oberstem militärischen Befehlshaber zugeordnet. Die Justizpolizei untersteht ebenfalls in letzter Instanz dem König. Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist abgesehen von Einzelfällen effektiv. Es besteht jedoch kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen, was Straffreiheit bei Vergehen durch die Sicherheitskräfte begünstigt (USDOS 26.5.2015). Es existieren zwei Nachrichtendienste, der Auslandsdienst DGED ("Direction Générale d'Etudes et de Documentation") und der Inlandsdienst DGST ("Direction Générale de la Surveillance du Territoire"). Die Streitkräfte einschließlich der Gendarmerie Royale verfügen über eigene Nachrichtenabteilungen (ÖB 9.2014).

Quellen:

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt. Trotzdem gibt es immer wieder Berichte über Folterungen und Gewaltanwendung gegenüber Gefangenen durch Sicherheitskräfte (USDOS 25.6.2015; vergleiche AI 25.2.2015; vergleiche AA 28.11.2014), vor allem in Fällen mit Bezug zur Staatssicherheit (USDOS 25.6.2015). Gerichte akzeptieren weiterhin angeblich unter Folter erzwungene Geständnisse als Beweismittel (AI 25.2.2015). Nach Einschätzung der marokkanischen Menschenrechtsorganisation OMDH ("Organisation Marocaine des Droits de l'Homme") handelt es sich bei den bekannt gewordenen Fällen von Folter nicht um staatlich angeordnete und somit systematische Folter, sondern um Fehlverhalten einzelner Personen (AA 28.11.2014). Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweise nicht anzunehmen ist, werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert. Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte), UN Sonderbeauftragter für Folter Juan Mendez, Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, die frühere UN-HCHR Navi Pillay. Trotz wiederholter Ankündigungen hat Marokko das Fakultativprotokoll zur Antifolter-Konvention noch nicht ratifiziert. Justizminister Ramid hat jüngst die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen (ÖB 9.2014).

Quellen:

Korruption

Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, doch setzt die Regierung das Gesetz nicht effektiv um. Staatsbedienstete sind häufig in Korruptionsfälle verwickelt und gehen straffrei aus. Korruption stellt bei der Exekutive, inklusive der Polizei, bei der Legislative und in der Justiz ein ernstes Problem dar. Es gibt Berichte von Korruption im Bereich der Regierung und auch von deren Untersuchung aber mangelnder strafrechtlicher Verfolgung (USDOS 25.6.2015). Im Juni 2014 wurde vom Ministerrat ein Gesetzesentwurf zur Einrichtung der Instance nationale de la probité et de la lutte contre la corruption (INPLC) angenommen, welche die Instance centrale de prévention de la corruption als für den Kampf gegen die Korruption zuständige Behörde ablösen soll. An der neuen Behörde wird kritisiert, dass sie nur beratende, untersuchende und sensibilisierende Funktionen ausüben soll. Des Weiteren ist die Anonymität der Beschwerdeführer nicht gewährleistet (EC 25.3.2015). Marokko belegt im Korruptionswahrnehmungsindex 2014 den 80. von insgesamt 174 Plätzen (TI 2015).

Quellen:

http://eeas.europa.eu/enp/pdf/2015/maroc-enp-report-2015_en.pdf, Zugriff 16.7.2015

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Menschenrechtsorganisationen publizieren Berichte über Menschenrechtsfälle. Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensitivität der jeweiligen Angelegenheit. Alles, was den Themenbereich Westsahara betrifft, wird mit besonderem Argwohn betrachtet. Die Regierung trifft sich gelegentlich mit Vertretern der beiden größten Menschenrechtsorganisationen (Organisation Marocaine des Droits Humains/OMDH und Association Marocaine des Droits Humains/AMDH) aber auch mit Vertretern der Dachorganisation im Bereich Haftbedingungen (USDOS 25.6.2015).

Der NGO-Bereich/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechts-Verteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH und die AMDH. Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen (ÖB 9.2014).

Quellen:

Ombudsmann

Menschenrechtsangelegenheiten werden durch den Nationalen Rat für Menschenrechte (CNDH), die interministerielle Abordnung über Menschenrechte (DIDH), und die Institution des Médiateur (Ombudsmann) wahrgenommen (USDOS 25.6.2015).

Der CNDH wurde - nach den Pariser Kriterien - als nationale Grundrechtsinstitution eingerichtet (ÖB 9.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015) und ist in der Verfassung direkt verankert. Er wird von den meisten Menschenrechtsorganisationen und der breiten Öffentlichkeit als glaubwürdige und proaktive Regierungsorganisation zum Schutz der Menschenrechte gesehen und erstellt Berichte über psychiatrische Anstalten, Strafvollzug, Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Situation von Asylsuchenden und Migranten. Seine Aufgabe liegt in der Beobachtung und Aufzeigung menschenrechtsrelevanter Entwicklungen und Sachverhalte, er kann Wahrnehmungen durch Vorort-Inspektionen machen, ohne dass ihm der Zugang verwehrt werden darf. Eigene Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten stehen allerdings nicht offen. 14.000 - ein Drittel - der an den CNDH gerichteten Beschwerden betreffen Justiz, Strafvollzug und behauptete Menschenrechtsverletzungen. Der CNDH legt jährlich einen Bericht vor, der dem König und dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und nimmt auch zu Individualfällen Stellung bis hin zur Intervention. Im Wege von Begutachtungsverfahren und durch Stellungnahmen zu einzelnen Gesetzesvorhaben übt der CNDH kraft seines moralischen Gewichts nicht selten Einfluss auf Gesetzesinhalte aus wo Menschenrechtsinteressen betroffen sind. 13 Außenstellen des CNDH wurden in Provinzstädten eingerichtet, sodass eine stärkere räumliche Nähe zu potentiellen Beschwerdeführern angeboten wird (ÖB 9.2014).

Quellen:

Wehrdienst

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Allgemeine Menschenrechtslage

Der Grundrechtskatalog (Kapitel römisch eins und römisch II) der Verfassung ist substantiell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen; als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Allerdings sind caveats angebracht:

• Die Verfassung selbst stellt den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen "roten Linien" (Monarchie, Islam, territoriale Integrität (i.e. Annexion der Westsahara) quasi als "Baugesetze" des Rechtsgebäudes

• In der Verfassung sind über 20 Verfassungsdurchführungsgesetze und weitere einfache Durchführungsgesetze vorgesehen, die erst zu geringem Teil existieren und bis Ende der laufenden Legislaturperiode (2016) erlassen werden müssen.

• Die Fortgeltung des vorhandenen Rechtsbestandes, der mit der neuen Verfassungslage, v.a. in Bereichen wie Familien-, Medien- und Strafrecht, teilweise nicht mehr konform ist (Juristen sprechen von einer Million zu novellierender Paragraphen) (ÖB 9.2014).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme sind die mangelnde Möglichkeit der Bürger, die konstitutionellen Vorgaben bezüglich der Regierungsform des Landes (Monarchie) zu ändern, Korruption auf allen Ebenen der Regierung und weitverbreitete Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipen durch die Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind die Anwendung von Folter v.a. während der Untersuchungshaft seitens der Sicherheitskräfte und schlechte Haftbedingungen. Die Regierung beschränkt die Meinungs- und Pressefreiheit sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die Religionsfreiheit (USDOS 25.6.2015).

Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen, sofern die Tabuthemen "König", "Islam" und "territoriale Integrität" nicht berührt werden. Die marokkanische Regierung begründet Strafverfolgungsmaßnahmen stets mit Verstößen gegen marokkanische Strafgesetze. Marokkanische NGOs behaupten, dass Strafverfahren oftmals nur als Deckmantel zur Verfolgung politisch Andersdenkender dienen (AA 28.11.2014).

Quellen:

Meinungs- und Pressefreiheit

Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, einige Gesetze schränken die Meinungsfreiheit, vor allem im Bereich der Presse und den sozialen Medien, ein. Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie, staatliche Institutionen, Staatsangestellte wie etwa militärische Führungskräfte und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität und den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 25.6.2015). Die unabhängige marokkanische Presse untersucht und kritisiert weiterhin Regierungsbeamte und Vorhaben der Regierung. Gehen Journalisten dabei zu weit, sind sie Verfolgung und Belästigung ausgesetzt. Die Pressegesetze enthalten Bestimmungen, die bei Verbreitung von Falschinformationen, die die öffentliche Ordnung gefährden, oder bei herabwürdigenden Äußerungen zu Gefängnisstrafen führen können (HRW 29.1.2015).

Verfolgung wegen politischer Überzeugungen erfolgt zwar nicht systematisch flächendeckend, bleibt aber ein reelles Risiko für politisch aktive Personen außerhalb des politischen Establishments und Freigeister. Parameter des "Wohlverhaltens" sind die schon zitierten "roten Linien" (Monarchie, Islam, territoriale Integrität) sowie der Kampf gegen den Terrorismus. Wer sich dagegen kritisch äußert oder dagegen politisch aktiv wird, muss mit Repression rechnen. Durch Fokussierung auf Einzelfälle, deren Publizierung gar nicht behindert wird, entsteht eine generalpräventive Grundstimmung:

die Marokkaner wissen sehr gut abzuschätzen, wann sie mit Äußerungen in tiefes Wasser geraten könnten. Dies hindert aber nicht, dass Jugend, Menschenrechtsaktivisten, Interessensvertreter dennoch laufend ihre Stimme erheben, wobei nicht jede kritische oder freiherzige Äußerung unbedingt Konsequenzen haben muss; insbesondere Medien und Persönlichkeiten mit großer Visibilität wird ein gewisser Freiraum zugestanden. Gegenüber Regierung, Ministern und Parlament etwa kann ganz freimütig Kritik geübt werden. Die "kritische Masse" für das Eingreifen der Obrigkeit scheint erst beim Zusammentreffen mehrerer Faktoren zustande zu kommen: Etwa Infragestellen des Autoritätsgefüges (Königshaus, Sicherheitskräfte) oder Kritik am Günstlingsumfeld des Hofes ("Makhzen") verbunden mit publizitärer Reichweite des Autors (ÖB 9.2014).

Die - auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten - Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten - vor allem im Gebiet der Westsahara selbst - besonders exponiert sind (ÖB 9.2014).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/295508/430540_de.html, Zugriff 17.7.2015

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Die Verfassung gewährleistet Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Diese Rechte sind jedoch gesetzlichen Einschränkungen unterworfen. Sie verwendet administrative Verzögerungen und andere Methoden, um ungewünschte friedliche Versammlungen zu unterbinden und wendet exzessive Gewalt an, um Demonstrationen aufzulösen. Die Regierung verbietet politische Oppositionsgruppen indem sie ihnen den NGO-Status nicht zuerkennt (USDOS 25.6.2016). Die Behörden tolerieren zahlreiche Demonstrationen und Versammlungen, die politische Reform fordern oder dem Protest gegen Regierungsmaßnahmen dienen. Einige Versammlungen werden allerdings gewaltsam aufgelöst und Teilnehmer dabei angegriffen (HRW 29.1.2015).

Die von der islamisch-wertkonservativen PJD (Parti de la Justice et du Développement) dominierte Regierung agiert im Kontext der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Demonstrationen) nach einem law-and-order-Muster; ein diesbezüglicher Paradigmenwechsel aufgrund der neuen Verfassung in Haltung, Zugang und Kontrolle zu obrigkeitsstaatlichem Handeln ist nicht zu erkennen. Ein robustes Durchgreifen der Ordnungskräfte ist v.a. bei Demonstrationen und Kundgebungen zu beobachten, wobei Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften rasch als "Widerstand gegen die Staatsgewalt" interpretiert werden, um dann als Rechtfertigung für Festnahmen, Anzeigen und Verurteilungen herangezogen zu werden. Derartiges Vorgehen wird laufend kolportiert, wobei auf der Manifestantenseite zumeist die Bewegung des 20. Februar, arbeitslose Akademiker ("chômeurs diplomés"), islamistische Sympathisanten aber z.B. auch die Vereinigung der Berufsrichter stehen. Die Behörden legen das Versammlungsgesetz engherzig aus; es kommt laufend zu nichtgenehmigten Kundgebungen mit entsprechendem Eingreifen des Sicherheitsapparats. Neu ist jedoch, dass die Zivilgesellschaft die in der Verfassung zugestanden Rechte zunehmend einfordert und dabei rechtliche Argumente auf ihrer Seite weiß (ÖB 9.2014).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/295508/430540_de.html, Zugriff 17.7.2015

Opposition

Die Bewegung 20. Februar, die Auslöser bzw. Anführer der Protestbewegung im Jahr 2011 war, hat seit der Verfassungsreform und der Parlamentswahl an Bedeutung verloren. Die Organisation Al Adl Wal Ihsane (Gerechtigkeit und Wohlfahrt) stellt die wichtigste islamistische Massenbewegung im Land dar und ist somit der bedeutendste Gegenspieler der regierenden PJD im islamistischen Lager. Trotz Verbots 1990 wird sie von staatlicher Seite geduldet. Die Bewegung "Islah wa Tawhid" ("Reform und Einheit") ist die politische Heimat der Regierungspartei PJD, hat Vorbehalte gegenüber westlichen Demokratie-Modellen und ist gesellschaftspolitisch radikaler als die Partei. Es sind keine Bezüge zum Terrorismus bekannt. Daneben gibt es eine Vielzahl von kleineren gewaltbereiten islamistischen Gruppen, unter denen die "Salafija Jihadia" die prominenteste Stellung einnimmt. Dieser Gruppierung wird von offizieller Seite eine Vielzahl von Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Bestrebungen vorgeworfen, unter anderem Tötungen von marokkanischen Staatsbediensteten sowie die Federführung bei den Terroranschlägen in Casablanca im Jahr 2003 (AA 28.11.2014).

Verfolgung wegen politischer Überzeugungen erfolgt zwar nicht systematisch flächendeckend, bleibt aber ein reelles Risiko für politisch aktive Personen außerhalb des politischen Establishments und Freigeister. Parameter des "Wohlverhaltens" sind die schon zitierten "roten Linien" (Monarchie, Islam, territoriale Integrität) sowie der Kampf gegen den Terrorismus. Wer sich dagegen kritisch äußert oder dagegen politisch aktiv wird, muss mit Repression rechnen (ÖB 9.2014). Soweit die politische Opposition sich gewaltlos verhält und die Tabuthemen "König", "Islam" und "territoriale Integrität" nicht berührt, kann sie sich weitgehend frei betätigen. Festnahmen von gewaltlosen politischen Oppositionellen oder politisch motivierte Verfahren sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt (AA 28.11.2014).

Quellen:

Haftbedingungen

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Todesstrafe

Die Todesstrafe wird in Marokko zwar weiter verhängt (zum Beispiel gegen den Hauptattentäter des Anschlags von Marrakesch im April 2011), aber seit 1993 nicht mehr vollstreckt (AA 7.2015a; vergleiche HRW 29.1.2015). Es gibt eine Koalition von Menschenrechtsorganisationen in Marokko, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt (AA 7.2015a).

Quellen:

http://www.ecoi.net/local_link/295508/430540_de.html, Zugriff 17.7.2015

Religionsfreiheit

Der Islam ist die Staatsreligion in Marokko. Eine der fundamentalen Säulen Marokkos ist auch der - weitgehend akzeptierte - Anspruch des Königs, neben seiner weltlichen Position gleichzeitig Führer der Gläubigen zu sein (AA 28.11.2014; vergleiche USDOS 28.7.2014).

Artikel 3, der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 28.11.2014; vergleiche USDOS 28.7.2014) Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch andere Religionen wie Christentum und Judentum. Für weitere Religionsgemeinschaften wie z. B. die Baha'i besteht dieser Schutz nicht. Gleichwohl ist dem Auswärtigen Amt keine Bestrafung eines Angehörigen nicht geschützter Religionsgemeinschaften bekannt. Mit Strafe bewehrt sind allerdings - zumindest in der Praxis für Marokkaner - die Aufgabe des islamischen Glaubens und Atheismus. Religionsregeln wie das Verbot des Alkoholkonsums und die Fastenregeln des Ramadans werden nur auf Marokkaner angewandt. Da der Islam Staatsreligion und der Atheismus unter Strafe gestellt ist, besteht ein großer Druck, den Islam zumindest zum Schein zu praktizieren. Da Laizismus und Säkularismus gesellschaftlich negativ besetzt sind und der Abfall vom Islam als Todsünde gilt, hat ein solches Verhalten die soziale Ausgrenzung der Betroffenen zur Folge. In diesem Bereich besteht kein staatlicher Schutz (AA 28.11.2014). Proselytismus ist nur zum Islam hin erlaubt und steht ansonsten unter Strafe (USDOS 28.7.2014).

Es gibt Berichte von gesellschaftlichen Diskriminierungen basierend auf Religionszugehörigkeit, Glauben oder Religionsausübung, vor allem gegenüber Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen. Christen berichten über sozialen Druck seitens nicht-christlicher Familienangehöriger und Freunde. Juden leben unbehelligt im Land (USDOS 28.7.2014).

Quellen:

Religiöse Gruppen

Mehr als 99 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Moslems. Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha'is) machen weniger als 1 Prozent der Bevölkerung aus. Es gibt im Land etwa 5.000 katholische und protestantische Christen und 3.000-4.000 Juden (USDOS 28.7.2014).

Quellen:

Ethnische Minderheiten

Diskriminierende Gesetzgebung gegenüber Minderheiten ist nicht ersichtlich (AA 28.11.2014). Wer sich den Berbern, die eine recht heterogene, auf drei Hauptstämme aufgegliederte Bevölkerungsgruppe darstellen, zugehörig fühlt, hängt vom familiären, geographischen und soziokulturellen Hintergrund ab. Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Ob Berber in Marokko eine ethnische Minderheit darstellen, ist umstritten. Immerhin reklamieren 40 Prozent (ÖB 9.2014) oder gar über 50 Prozent der Bevölkerung eine berberische Abstammung. Im Hinblick auf Sprache und Kultur der Berber ist Marokko mittlerweile zu einer aktiven Förderung übergegangen (AA 28.11.2014). Die Sprache der Berber, Amazight, wurde durch die Verfassungsreform 2011 in den Rang einer (weiteren) offiziellen Amtsspracheerhoben. Die gesetzliche Umsetzung steht noch aus (AA 28.11.2014). Der berberische Sprachunterricht im Schulsystem ist nur wenig dicht und führt über die 6. Schulstufe nicht hinaus (d.h. keine höhere Bildung in berberischer Sprache möglich) (ÖB 9.2014).

Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft mag eine Diskriminierung auf Grund der berberischen Herkunft im Einzelfall vorkommen, ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster ist nicht erkennbar (ÖB 9.2014).

Quellen:

Frauen/Kinder

Die Lage der Frauen in Marokko ist gekennzeichnet durch teils erhebliche Diskrepanzen zwischen ihrem rechtlichen Status und der Lebenswirklichkeit. Insbesondere im ländlichen Raum leben gesellschaftliche Zwänge aufgrund traditionell-islamischer Bräuche fort. Zwar garantiert die neue Verfassung in Artikel 19,, dass "Männer und Frauen gleichberechtigt die Rechte und Freiheiten ziviler, politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Natur" genießen, schränkt diese Rechte durch Bezugnahme auf den Islam als Staatsreligion aber wieder ein (AA 28.11.2014).

Obwohl die Änderung des Familienrechts zugunsten der Frauen vom 6.2.2004 ("Moudawana") mit den Grundsätzen "Abschaffung der Gehorsamspflicht der Ehefrau" (AA 28.11.2014; vergleiche GIZ 6.2015b), "Anhebung des grundsätzlichen Ehefähigkeitsalters" der Frau auf 18 Jahre (AA 28.11.2014), "Abschaffung der Hinzuziehung eines Vormunds zur Eheschließung für volljährige Frauen" (AA 28.11.2014; vergleiche GIZ 6.2015b), Einführung der gerichtlichen Ehescheidung und weitgehende Gleichstellung von Männern und Frauen im Scheidungsrecht (Abschaffung der einseitigen Verstoßung durch den Ehemann) (GIZ 6.2015b), "Polygamie nur noch in genehmigten Ausnahmefällen" und mit der Einrichtung von Familiengerichten eine für die arabisch/islamische Welt richtungsweisende Verbesserung der Rolle der Frau geschaffen hat, gibt es nach wie vor Defizite in der Verwirklichung der Gleichberechtigung, wie z.B. die ungleiche Behandlung im Erbrecht (AA 28.11.2014). Von einer wirklichen rechtlichen und sozialen Gleichstellung sind Frauen und Männer in Marokko noch weit entfernt. In der marokkanischen Gesellschaft dominieren weiterhin patriarchale Einstellungen und diskriminierende Verhaltensweisen. Viele der ehrgeizigen Gesetzesreformen werden bislang nur partiell umgesetzt. So wird das Mindestheiratsalter oftmals durch Ausnahmegenehmigungen umgangen (GIZ 6.2015b).

Auch in internationalen Abkommen hat sich Marokko zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen verpflichtet, die Einschränkungen durch den Vorrang des Islams gelten aber auch hier (AA 28.11.2014). Seit Mitte der 1980er Jahre sind in Marokko immer mehr NGOs entstanden, die sich gleichzeitig für Demokratie und für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern einsetzen. Die politisch einflussreichsten dieser NGOs sind die Association Démocratique des Femmes Marocaines (ADFM), die Fédération de la Ligue Démocratique pour la Défense des Droits des Femmes (FLDDF), die AMDF (Association Marocaine des Droits des Femmes) und die UAF (Union de L'Action Féminine) (GIZ 6.2015b; vergleiche USDOS 25.6.2015).

Vergewaltigung steht unter Strafe. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre, wenn das Opfer minderjährig ist zehn bis zwanzig Jahre. Die Regierung setzt das Gesetz üblicherweise nicht um. Innereheliche Vergewaltigung steht nicht unter Strafe. Häusliche Gewalt steht ebenso wenig explizit unter Strafe, jedoch sind allgemeine Bestimmungen des Strafrechts für diese Fälle anwendbar (USDOS 25.6.2015). Aufsehen und auch internationale Empörung erregte das Schicksal eines 16-jährigen Mädchens, das vergewaltigt wurde und sich im März 2012 das Leben nahm. Hintergrund war eine Besonderheit des marokkanischen Strafgesetzbuches, das in Artikel 475, Abs. römisch II bei Vergewaltigung von minderjährigen Frauen eine strafrechtliche Verfolgung dann erspart, wenn es nach der Tat zur Eheschließung mit dem Opfer kommt. Dieses Vorgehen soll die Ehre der Frau und der Familie erhalten bzw. wiederherstellen. Diese Vorschrift wurde im Frühjahr 2014 ersatzlos gestrichen (AA 28.11.2014).

Auch im Berufsleben bleibt die Lage der Frauen schwierig, insbesondere auf dem Land, wo patriarchalische Strukturen dominant sind. In höheren Ämtern nimmt der weibliche Anteil im Vergleich mit den männlichen Amtsinhabern rasch ab, auch wenn Frauen vereinzelt besonders exponierte Führungspositionen einnehmen (z.B. Präsidentin des Unternehmerverbandes, Informationsdirektorin bei staatlichem TV-Sender 2M) (AA 28.11.2014).

Quellen:

Kinder

Im täglichen Leben bleibt die soziale Lage vieler Kinder problematisch. Trotz gestiegener Einschulungszahlen brechen weiterhin viele Jugendliche die Schule ab. Die Analphabetismus-Quote liegt bei über 30 Prozent (in abgelegenen Gebieten bei 40%) und sinkt nur langsam (AA 28.11.2014).

Auf dem Land stellt Kinderarbeit ein großes Problem dar. Human Rights Watch legte Ende 2012 einen Bericht über die "Petites Bonnes" in Marokko vor, wonach zwischen 66.000 und 88.000 Mädchen unter 15 Jahren in Privathaushalten unter teilweise unwürdigen Bedingungen als Hausangestellte arbeiten. 7-Tage-Woche, unterdurchschnittliche bis ausbleibende Bezahlung sowie Gewalt und Missbrauch sind keine Einzelfälle, staatliche Schutzmechanismen fehlen. Die VN haben die Angaben des Berichts im Jahr 2013 bestätigt (AA 28.11.2014).

Weiterhin kommt es zur Verheiratung von Minderjährigen. Seit der Reform des Familienrechts im Jahr 2004 dürfen Eheschließungen 15- bis 18-Jähriger nur vom Gericht und nur in besonders begründeten Fällen zugelassen werden (AA 28.11.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015). Die Justiz bewilligte jedoch den Großteil der Heiraten unter dem gesetzlichen Heiratsalter (USDOS 25.6.2015). Nach staatlichen Quellen liegt die Zahl der Eheschließungen minderjähriger Mädchen bei ca. 41.000 Fällen (10,6% aller Eheschließungen) (AA 28.11.2014).

Kinderprostitution bleibt ein Problem. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Kinder aus ländlichen Gegenden, die zum Geldverdienen in Städte wie Casablanca, Tanger, Marrakech, Agadir, Meknès und Fès geschickt werden. Das Strafgesetz sieht eine Strafe für die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen vor; strafverschärfende Maßnahmen gelten bei Opfern unter 15 Jahren (AA 28.11.2015). Das Strafmaß dafür beträgt zwei Jahre bis lebenslange Haft in Kombination mit einer hohen Geldstrafe. Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung stellt ebenfalls ein Problem dar. Das Jugend- und Sportministerium verwaltete 20 Kinderschutzzentren, davon fünf speziell für Mädchen (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

Homosexuelle

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Bewegungsfreiheit

Gesetzlich ist innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit gewährleistet. Die Behörden respektieren dieses Recht üblicherweise, obwohl die Regierung Reisebewegungen in als militärisch heikel angesehenen Regionen, wie den entmilitarisierten Gebieten der Westsahara, einschränkt (USDOS 25.6.2015). Sahraouis genießen innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Sie können Pässe erhalten und das Land verlassen (AA 28.11.2014; vergleiche USDOS 25.6.2015) (mit Ausnahme von Polisario-Angehörigen und Personen, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einsetzen) (AA 28.11.2014). Auch Kontakte zu westlichen politischen Beobachtern und Botschaftsvertretern sind ihnen möglich (AA 28.11.2014).

Quellen:

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Marokko ist sowohl Herkunftsland von Migration in Richtung Europa als auch Transitland für irreguläre Migration und Schlepperei aus der Sub-Sahara. Marokko kooperiert mit der EU (FRONTEX) und insbesondere mit Spanien. Die Haltung der marokkanischen Behörden ist ambivalent: Einerseits scheinen die lokalen marokkanischen Behörden die vorbereitenden Aktivitäten der Schlepper kaum zu behindern, andererseits besteht eine effiziente und rigorose Bekämpfung von illegalem Grenzübertritt in Zusammenarbeit mit den spanischen Sicherheitskräften (ÖB 9.2014).

Die Zahl der illegal in Marokko Aufhältigen, überwiegend Afrikaner aus dem Sahel und der Sub-Sahara, wird auf ca. 30.000-40.000 geschätzt, darunter 1.200 (UNHCR) bis 2.000 (marokkanische Angaben) Syrer. Eine erhöhte Sensibilität der marokkanischen Behörden für das Thema hat Platz gegriffen, da Marokko nun auch zum Zielland für illegale Migration aus der Sub-Sahara wird. Parallel dazu treten in der Gesellschaft spürbare Ressentiments gegenüber Schwarzafrikanern ohne Aufenthaltsrecht auf, verbunden mit der Gefahr von deren wirtschaftlicher Ausbeutung. Hinsichtlich des administrativen und humanitären Umgangs mit dieser Personengruppe setzte Ende 2013 ein Umdenken in der marokkanische Asyl- und Migrationspolitik ein, nachdem ein Bericht des CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) auf menschenunwürdige Zustände hingewiesen hatte. Die neue Politik verfolgt verschiedene Stoßrichtungen:

• Legalisierung von UNHCR-Flüchtlingen und neues Asylgesetz

• Legalisierung von illegalen Migranten mit Integrationsvorsprung

• Verschärfung der Gesetzgebung im Bereich Menschenhandel und Schlepperei

• Integrationsmaßnahmen (ÖB 9.2014)

Zwei Drittel der rd. 800 vom UNHCR anerkannten Flüchtlinge in Marokko wurden seitdem mit marokkanischen Papieren ausgestattet, wenn auch deren aufenthaltsrechtlicher Status als "provisorisch" bezeichnet wird. Seitens der illegal aufhältigen Migranten haben rd.

17.500 Anträge auf Regularisierung abgegeben, von denen 5.700 (ca. 30 Prozent) positiv beschieden wurden (Stand Sept 2014), auch dies gilt als außerordentliche und "provisorische" Maßnahme bis zur Erlassung einschlägiger neuer gesetzlicher Vorschriften. Integrationspolitische Maßnahmen stecken noch im Stadium der Ankündigung; echte Hilfe kommt derzeit nur von IO- und NGO-Seite. Als Teil der "neuen Migrationspolitik" hat Marokko Gesetzesvorlagen jeweils für Asyl und Menschenhandel ausgearbeitet (ÖB 9.2014).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet, Brot und Zucker wie auch Treibstoffe werden subventioniert. Staatliche soziale Unterstützung ist kaum vorhanden, vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Das Sozialversicherungssystem ist unzureichend (AA 28.11.2014). Eine entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger hat nach wie vor die Großfamilie (AA 28.11.2014; vergleiche ÖB 9.2014).

König Mohammed römisch VI. und die Regierung streben eine durchgreifende Modernisierung des Landes an. Marokko soll zu einem Schwellenland mit diversifizierter Industrie und wettbewerbsfähigem Dienstleistungssektor werden, das seine Chancen neben dem Hauptpartner EU verstärkt im Maghreb und im französischsprachigen Afrika sucht. Marokko ist wirtschaftlich stabil, der langjährige Aufschwung hält an. Regierung und Zentralbank gehen 2014 von einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von rund 3 Prozent aus (AA 7.2015b). Formal ist Marokko eine freie Marktwirtschaft. Bedingt durch die starke Stellung der Königsfamilie und alteingesessener Eliten ist der Wettbewerb jedoch verzerrt. Seit dem Machtantritt von König Mohammed römisch VI. hat die Vormachtstellung der Königsfamilie in Schlüsselsektoren wie Landwirtschaft, Bergbau, Einzelhandel, Transport, Telekommunikation und erneuerbaren Energien weiter zugenommen. Gleichzeitig sind immer mehr Marokkaner auf Überweisungen aus dem Ausland angewiesen, um zu überleben (GIZ 6.2015c).

Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Leuten, Armut und Analphabetismus (besonders in ländlichen Gegenden) bleiben hoch (CRS 18.10.2013; vergleiche ÖB 9.2014). Gemäß der Weltbank leben 8 Millionen Marokkaner oder einer von vier in "absoluter Armut oder sind von dieser bedroht". Soziökonomische Probleme führen zu Emigration und sozialen Unruhen und können zur Radikalisierung beitragen. Der Staat versucht durch Sozialprogramme, Initiativen zur Vergabe von zusätzlichen Stellen im öffentlichen Dienst und Gehaltserhöhungen sowie Subventionen für Güter des täglichen Bedarfs gegenzusteuern (CRS 18.10.2013). Laut Informationen der Weltbank steht Marokko in der MENA-Region bei der Höhe der Auslandsüberweisungen von Migranten (Remittances) an dritter Stelle. Zur Sicherung des sozialen und politischen Friedens werden einige Grundnahrungsmittel und Grundgüter des täglichen Bedarfs über die Caisse de Compensation subventioniert. Das jährliche Budget allein dieser Institution liegt bei rund 5 Milliarden Euro, d.h. knapp ein Viertel des Staatshaushaltes. Die Staatsverschuldung hat in den vergangenen Jahren zugenommen (GIZ 6.2015c).

Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mit Hilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen. Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbau. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/ arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.500 Dirham (ca. 225 €). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als durchaus bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.711 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur SV angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) bei 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara weniger (ÖB 9.2014).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert. Medizinische Dienste sind kostenpflichtig, die Kosten werden bei Mittellosigkeit aber erlassen (AA 28.11.2014). Das marokkanische Gesundheitssystem ist in den Städten im Allgemeinen gut entwickelt, während die ländlichen Gebiete schlechter ausgestattet sind. In den Städten gibt es auch privat geführte Krankenhäuser, die qualitativ hochwertige Leistungen anbieten. Die medizinischen Einrichtungen außerhalb der Städte sind eher einfach und altmodisch, die medizinische Versorgung ist jedoch grundsätzlich gut. Seit kurzem modernisieren marokkanische Krankenhäuser sich durch den Kauf spezieller Ausrüstung, um höherwertigere Behandlungen anbieten zu können (IOM 6.2014). In größeren Städten ist die medizinische Versorgung bei Notfällen (Unfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.) möglich. Dagegen ist die Notfallversorgung auf dem Land, insbesondere in den abgelegenen Bergregionen, unzureichend (AA 28.11.2014).

Als Zentren der primären Gesundheitsversorgung betreuen Krankenhäuser die Patienten und bieten eine kostenlose Erstversorgung von leichten Notfällen. In den Zentren der primären Gesundheitsversorgung ist der Zugang kostenlos. Zuständig ist das jeweils nächstgelegene Zentrum am Wohnort. Alle Distrikte Marokkos verfügen über diese Gesundheitszentren, auch die weniger entwickelten Bezirke auf dem Land. Um behandelt werden zu können, sollte der Personalausweis mitgebracht werden (IOM 6.2014).

Private Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen bieten medizinische Leistungen in ähnlicher Qualität wie in Europa an, wenn auch nicht in allen fachmedizinischen Bereichen gleich und örtlich auf die Städte beschränkt (Casablanca, Rabat, Tanger und andere größere Städte). Diese Dienstleistungen sind freilich mit entsprechenden Honoraren verbunden. Ein Konsultation beim Wahlarzt (Allgemeinmedizin) kostet ab 150 Dirham (13 €), beim Facharzt ab 200 Dirham (17 €) bis 500 Dirham (45 €) und mehr bei Spezialisten (zum Vergleich der Mindestlohn: 2.500 Dirham/225 €) (ÖB 9.2014). Der Regionalarzt des Auswärtigen Amtes hat bei seinem Besuch im Oktober 2012 festgehalten, dass die medizinische Versorgung in Rabat, soweit sie durch private Institutionen/Krankenhäuser erfolgt, "größtenteils mitteleuropäischen Standard" hat. Selbst modern gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren allerdings nicht, dass im Krankheitsfalle Versorgung und Management des Patienten angemessen funktionieren. Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet (AA 28.11.2014).

Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist allerdings fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 28.11.2015).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio Personen im RAMED erfasst (knapp 3 Prozent der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten gestioniert. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis ("Carte RAMED"), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationäre Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 9.2014).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.200 Einwohner); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen in der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED - System fällt noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 9.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Den Behörden ist bekannt, dass Asylanträge auch dazu dienen, eine längerfristige Aufenthaltsmöglichkeit im Ausland zu erlangen. Aus den letzten Jahren sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einem Gerichtsurteil wegen der Stellung eines Asylantrags oder wegen des in einem Asylantrag enthaltenen Vorbringens gekommen wäre (AA 28.11.2014).

Eine Rückkehrhilfe für aus dem Ausland nach Marokko Heimkehrende durch staatliche Institutionen ist nicht bekannt. Auf institutioneller Basis wird Rückkehrhilfe von der IOM organisiert, sofern der abschiebende Staat mit der IOM eine diesbezügliche Vereinbarung (mit Kostenkomponente) eingeht; Österreich hat keine solche Abmachung getroffen. Rückkehrer ohne eigene finanzielle Mittel dürften primär den Beistand ihrer Familie ansprechen; gelegentlich bieten auch NGOs Unterstützung (ÖB 9.2014).

Quellen:

Rückkehrsituation von Kindern und Jugendlichen

Es gibt eine Art Unterstützungsverfahren namens "Kafala" für verwahrloste (obdachlose) Kinder in Marokko. Die Betreuung von Minderjährigen wird durch das Gesetz Nr. 15-01 geregelt, in dem es um den Schutz, die Erziehung und Pflege eines Kindes geht (vergleichbar mit einer Vater-Kind-Beziehung). Das Problem von unbegleiteten Migrantenkindern wird in einem interministeriellen Rahmen behandelt, da sowohl das "Ministeriums für im Ausland Residente Marokkaner und Migrationsangelegenheiten", das "Innenministerium" und das "Justizministerium" (neben dem Ministerium für Solidarität, Frauen, Familie und soziale Entwicklung) zuständig sind. Eine Aufnahme in einer Pflegefamilie erfolgt ausschließlich durch Gerichtsbeschluss (Kafala). Die genaue Anzahl an Straßenkindern ist nicht bekannt, da bei der letzten Volkszählung diese Kategorie nicht berücksichtigt wurde, da es für den Begriff "Straßenkinder" noch keine einstimmige Definition gibt, kann ihre genaue Anzahl nur schwer bestimmt werden (VB 17.6.2015).

Die Regierung betreibt 20 Kinderschutzzentren, davon fünf speziell für Mädchen. Diese Zentren waren ursprünglich als Alternative zum Gefängnis geplant, werden aber nun immer häufiger zur Unterbringung von straffälligen oder obdachlosen Kindern, Opfern von häuslicher Gewalt, Drogenabhängigen und von in Not geratenen Kindern verwendet (USDOS 25.6.2015). Neben staatlichen Waisenhäusern existieren einige private Organisationen, die sich obdachloser Minderjähriger annehmen. Zurückkehrende Minderjährige können grundsätzlich von diesen Organisationen provisorisch untergebracht und anschließend in marokkanische Pflegefamilien vermittelt werden (AA 28.11.2014).

Nach Aussagen von Mitarbeitern des Familienministeriums sind die staatlichen Möglichkeiten, um alleinstehenden Kindern Unterstützungen zukommen zu lassen, äußerst eingeschränkt, da es noch keine direkt zuständige Behörde gibt. Die Zuständigkeit betrifft derzeit insgesamt 4 Ministerien. In der Praxis kümmern sich Wohlfahrtsverbände und NGOs in Zusammenarbeit mit regionalen Behörden (Gemeinden) um derartige Fälle. Viele Kinder leben auf der Straße und haben keine Möglichkeit staatliche Unterstützung zu erhalten. Wie viele Kinder auf der Straße leben ist den Behörden nicht bekannt - auch keine ungefähre Zahl. In Casablanca soll ein neues Projekt gestartet worden sein, um Straßenkindern künftig in einem Anlaufzentrum bessere Betreuung zukommen zu lassen. Dieses Projekt befindet sich laut Aussagen der Mitarbeiter des Familienministeriums derzeit noch in der Pilotphase. Zusätzlich wurden Informationen bei der NGO "Association Marocaine des Droits Humains" (AMDH), einer marokkanischen Menschenrechtsorganisation zu diesem Thema eingeholt: Die Mitarbeiter des AMDH zeichneten ein sehr düsteres Bild über die Situation von Kindern und Jugendlichen ohne Eltern in Marokko. Niemand würde sich von staatlicher Seite für diese Kinder verantwortlich fühlen und Unterstützungen in jeglicher Form gäbe es nicht bzw. nur vereinzelt und dann auch nicht regelmäßig. Viele Kinder sind gezwungen durch Arbeit jeglicher Art ihren Unterhalt selbst zu verdienen. Sehr häufig geraten diese Kinder in die Fänge krimineller Organisationen (VB 26.5.2015).

Quellen:

1.3. weitere Information (auszugsweise Wiedergabe eines "Asylländerberichts Marokko" der ÖB Rabat)Die nachstehend angeführten Zentren für Frauen in Not stellen eine Kompilation dar, ohne dass ein unmittelbarer Kontakt der Botschaft mit diesen Bestand oder deren Qualität bewertet werden könnte. Es zeigt aber, dass ein relativ breites Angebot mit guter geografischer Fächerung besteht. Unter den in Österreich asylsuchenden Marokkanern nehmen Frauen einen verschwindenden Anteil ein (2013: 13 von 516)

(IPDF)

agressées (Casablanca).

(AMVEF)

http://ainghazal2000.blogspot.com/

http://www.adfm.ma/index.php?lang=fr

Häusliche Gewalt: Das marokkanische Strafrecht stellt unter Strafe, eine verheiratete Frau zu entführen, die Suche nach ihr zu behindern oder sie zu verstecken. NGOs, die Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, unterstützen, stehen somit rein rechtlich permanent in Gefahr strafrechtlicher Verfolgung, von tatsächlichen diesbez. Strafverfolgungshandlungen liegen aber keine Berichte vor. Frauen- und Sozialministerin Bassima HAKKAOUI nannte auf einem internationalen Kongress in Casablanca die Zahl von 6 Millionen Frauen (32 Mio. Gesamtbevölkerung), welche jährlich Opfer von Gewalt in Marokko werden, die Hälfte der Fälle innerhalb einer Ehe.

Zwangsehe: Das gesetzliche Heiratsalter ist 18 Jahre für beide Geschlechter; im Einzelfall kann durch richterlichen Beschluss davon abgesehen werden (2009: 33.000 Fälle; 2010: 43.000 Fälle; 2011:

34.000 Fälle). Diese Dispensmöglichkeit findet v.a. im ländlichen Raum Anwendung. Frauenorganisationen kritisieren, dass dadurch eine sexuelle Ausbeutung im Schutze des Gesetzes ermöglicht wird, v.a. bei großem Altersunterschied der Brautleute, und verlangen eine absolute Altersuntergrenze für die Ehefähigkeit. Trotz obligatorischer Zivilehe soll im ländlichen Raum auch die Eheschließung nach moslemischer Tradition durch Familienübereinkunft weiterhin gängig sein, die im unmittelbaren Umfeld soziale Achtung wie eine Zivilehe genießt.

2012 erregte der Selbstmord einer 16-jährigen Marokkanerin (Amina Filali) Aufsehen, die nach einer Vergewaltigung auf Wunsch der Eltern - und mit richterlicher Dispens wegen Minderjährigkeit - ihren Vergewaltiger hätte heiraten sollen. Hintergrund für diese Tragik, von der nicht wenige Frauen in Marokko betroffen sein dürften (seit dem Fall Filali sind weitere Selbstmordversuche in ähnlicher Sachlage bekannt geworden), war die frühere Fassung von

Artikel 475 (2) des marokk. Strafgesetzbuchs, der besagte: Wenn es ohne Gewalteinwirkung zur Kompromittierung einer Frau gekommen ist ("Romeo-und-Julia" Situation), dann bleibt der männliche Täter straffrei, sofern die beiden anschließend die Ehe eingehen. Diese Bestimmung wurde in der Praxis allerdings missbräuchlich auch bei Vergewaltigung herangezogen. Der Fall Amina Filali bewirkte eine lebhafte öffentliche Diskussion über Ehefähigkeitsalter und die Funktion des Artikel 475(2) Code Pénal, sowie in weiterer Folge über häusliche Gewalt und das Abtreibungsverbot und mündete in der Abschaffung von Artikel 475(2) Code Pénal zu Jahresbeginn 2014.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und den behaupteten Fluchtgründen

Die Feststellungen zur Person fußen auf den - insofern unbedenklichen - Angaben der Beschwerdeführerin. Dass die Beschwerdeführerin bei Rückkehr nach Marokko nicht Gefahr läuft, in eine existenzgefährdende Notlage zu gelangen, ergibt sich aus dem in Marokko bestehenden Unterstützungsangebot und den Aussagen der Beschwerdeführerin zu ihrer Kosmetikausbildung und der langjährigen Tätigkeit in diesem Beruf, welchen sie derzeit auch in Österreich ausübt.

Die Feststellungen zu den Gründen der Ausreise der Beschwerdeführerin aus Marokko und den Gründen ihres weiteren Verbleibs in Europa ergeben sich aus der Ersteinvernahme, aus der Einvernahme durch das Bundesasylamt und aus dem Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat sich insbesondere ergeben, dass das (erstmals) im Beschwerdeschriftsatz enthaltene Vorbringen, wonach die Brüder der Beschwerdeführerin darauf warten würden, sie nach ihrer Rückkehr zu töten, als unzutreffend oder jedenfalls als starke Überzeichnung zu werten war. Derartiges hat die Beschwerdeführerin anlässlich ihrer mündlichen Einvernahmen (zunächst durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und später durch die belangte Behörde) nie behauptet, obwohl eine solche Gefährdungslage durchaus erwähnenswert gewesen wäre. Auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hat die Beschwerdeführerin das diesbezügliche Vorbringen zunächst gar nicht zur Sprache gebracht und es dann auf konkrete Nachfrage hin erheblich relativiert. So sprach sie die im Schriftsatz behaupteten Umstände in der mündlichen Verhandlung zunächst gar nicht an, sondern gab auf die Frage des Richters, wie sie ihr handschriftlich verfasstes Beschwerdevorbringen gemeint habe, Folgendes an: "Ich bat damals um Hilfe, dass ich hier bleiben kann. Ich lebe seit drei Jahren in Österreich und habe mit niemandem ein Problem. Weder mit der Polizei noch mit sonst jemandem in Österreich. Ich hatte nur ein Problem hier, als ich im Heim war. Ein Ägypter hat mich am Hals gepackt. Ich habe bei der Polizei Anzeige erstattet und sie haben ein Foto gemacht. Er wollte mich töten." Erst nachdem der Richter der Beschwerdeführerin in Erinnerung rief, dass sie in der Beschwerde behauptet hatte, dass ihre Brüder in Marokko auf sie warten und sie im Fall der Rückkehr töten würden, gab die Beschwerdeführerin dazu die nachfolgende Erklärung ab, mit der sie das schriftliche Vorbringen inhaltlich erheblich relativierte (es folgt eine Wiedergabe der entsprechenden Passage der Verhandlungsniederschrift; RI = Richter; BF = Beschwerdeführerin):

"RI: Sie haben damals geschrieben, dass Ihre Brüder in Marokko auf Sie warten und Sie töten würden, wenn Sie zurückkommen. Wie haben Sie das gemeint? BF: Ich habe damals meinen Bruder am Telefon beschimpft. Sie sagten zu mir, falls ich zurückkomme, werden Sie mich töten. RI: Haben Sie das ernst genommen? BF: Ich weiß es nicht, vielleicht wollten sie mir Angst machen. Aber ich hatte damals Angst. Momentan versuchen sie, den Kontakt aufzunehmen und mit mir zu reden. Sie wissen jetzt, dass sie etwas Falsches gemacht haben, aber ich will keinen Kontakt mit ihnen. RI: Was würde passieren, wenn Sie nach Marokko zurückgehen würden? Wie würden Sie das Verhältnis zu ihren Brüdern gestalten? BF: Ich würde keinen Kontakt mit ihnen haben."

Das Bundesverwaltungsgericht schließt aus diesen Aussagen der Beschwerdeführerin, dass von ihr eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben durch ihre Brüder tatsächlich nicht erwartet wird und auch nicht zu erwarten ist. Im Übrigen lassen auch die herangezogenen Länderberichte die Annahme zu, dass die Beschwerdeführerin in Marokko unter Meidung ihrer Brüder leben kann, und dass notwendigenfalls institutioneller Schutz vor (drohenden) Übergriffen existiert.

Gestützt wird diese Annahme auch dadurch, dass die Beschwerdeführerin ihre Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr nach Marokko zentral und in erster Linie darin begründet sieht, dass ihre wirtschaftliche Situation dort schwierig wäre, während eine körperliche Bedrohung in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wurde. Auf Veranlassung ihres bevollmächtigten Vertreters, eines Mitarbeiters eines bei der Universität Klagenfurt angesiedelten Beratungs- und Betreuungsprojekts für Flüchtlinge, wurde die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung dazu befragt, dass sie bei dieser Betreuungseinrichtung auch Betreuungsgespräche geführt hat, bei denen es um die psychische Belastung der Beschwerdeführerin gegangen ist. Die Beschwerdeführerin hat diese Gespräche (ebenso wie den Umstand, dass sie von ihrer Hausärztin "wegen dem Stress" an einen Psychiater überwiesen wurde) in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Zu den Ursachen und der zugrunde liegenden Problematik hat sich die Beschwerdeführerin auf Nachfrage wie folgt geäußert: "Ich denke viel zu viel darüber nach, dass ich nach Marokko abgeschoben werde. Ich habe Angst vor vielen Sachen. Das Hauptproblem ist, dass ich um meine Lebensgrundlage fürchte und um meine finanzielle Situation. Ich möchte nicht nach Marokko zurückkehren, weil meine wirtschaftliche Situation dort schwierig wäre. Das belastet mich sehr. Mein Bein zittert immer".

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich gesund ist, ergibt sich daraus, dass sie körperliche Beschwerden verneint hat (Zitat aus der Verhandlungsniederschrift: "BF: Krankheiten habe ich nicht, aber sonst. Ich fühle mich nicht wohl. Ich stehe unter Stress Regierungsvorlage [=Rechtsvertreter] berichtet von Schlafstörungen und sie hat in letzter Zeit Baldriantropfen verschrieben bekommen"), gesundheitliche Beschwerden jedoch im Hinblick auf den von ihr empfundenen Stress geäußert hat.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht aus der oben dargelegten Beweislage zu diesem Thema ("Stress") den Schluss, dass die Perspektive einer Rückkehr nach Marokko für die Beschwerdeführerin - wie für viele andere in der gleichen Lage befindlichen Personen - im Hinblick darauf belastend ist. Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführerin die Rückkehr aus medizinischen (einschließlich psychiatrischen) Gründen unzumutbar wäre, ergeben sich aus dieser Beweislage jedoch nicht.

2.2. Zu den Feststellungen zur Situation in Marokko

Die Feststellungen zur Situation in Marokko beruhen auf dem Länderbericht der Staatendokumentation der belangten Behörde (Stand Juli 2015). Die darüber hinaus getroffenen besonderen Feststellungen (Pkt. 1.3.) stützen sich auf einen Bericht der Österreichischen Botschaft Moskau. Der Beschwerdeführerin wurde Parteiengehör eingeräumt, sie hat jedoch von einer weiteren Äußerung Abstand genommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Artikel 151, Absatz 51, B-VG wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes. Gemäß Paragraph 75, Absatz 19, AsylG 2005 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Absatz 20, zu Ende zu führen. Das vorliegende Verfahren war zum genannten Zeitpunkt beim Asylgerichtshof anhängig.

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Derartige Regelungen kommen für das vorliegende Verfahren nicht zur Anwendung, weshalb es der Einzelrichterzuständigkeit unterliegt.

Gemäß Paragraph 63, Absatz 5, AVG in Verbindung mit Paragraph 23, AsylGHG war die Beschwerde binnen zwei Wochen beim Bundesasylamt einzubringen. Der angefochtene Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 21.03.2013 postalisch zugestellt. Die am 22.03.2013 beim Bundesasylamt eingelangte Beschwerde ist daher rechtzeitig. Sie ist auch sonst zulässig.

Zu A)

3.2. Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides

3.2.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Zentraler Aspekt des aus Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes des AsylG 2005 ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die "Glaubhaftmachung" im Sinne des Paragraph eins, Absatz eins, AsylG 1991 (entspricht dem geltenden Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 bzw. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention) die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, 95/20/0380).

3.2.2. Im Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren hat sich insgesamt ergeben, dass die Beschwerdeführerin eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung und eine entsprechende Verfolgungsgefahr (im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention) nicht glaubhaft gemacht hat, auch sonst sind solche Umstände im gesamten Asylverfahren nicht hervorgekommen.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides

3.3.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Dieser Prüfungsmaßstab erfährt im Anwendungsbereich des österreichischen AsylG 2005 auch durch Artikel 15, der Richtlinie 2004/83/EG und dessen Interpretation durch das Urteil des EuGH [Große Kammer] vom 18.12.2014, Rs. C-542/13, M'Bodj, keine Einschränkung vergleiche näher die dazu ergangene Rechtsprechung unter Hinweis auf Gesetzeswortlaut und -systematik sowie das Prinzip des Ausschlusses einer den Einzelnen entgegen dem innerstaatlichen Gesetzeswortlaut belastenden unmittelbaren Richtlinienwirkung BVwG 06.05.2015, I402 1434299-1; 15.05.2015 I402 1420248-1; 01.06.2015, I402 1401141-1; 09.06.2015, I402 1418705-1).

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

3.3.2. Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat die Beschwerdeführerin keine sie konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. keine sonstigen für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe glaubhaft vorgebracht. Es kann angesichts der Feststellungen auch sonst nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sie in Marokko eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige relevante (allgemeine oder individuelle) Bedrohung oder Gefährdung erwarten würde.

3.3.3. Auch dafür, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre vergleiche diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059, zur dargestellten "Schwelle" des Artikel 3, EMRK), gibt es, wie festgestellt, im Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt Vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Länderberichte kann im Zusammenhalt mit dem genannten Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht davon ausgegangen werden, dass die 43-jährige Beschwerdeführerin, die gelernte Kosmetikerin und arbeitsfähig ist, in Marokko in ihrer Existenz bedroht wäre. Die Beschwerdeführerin war auch vor ihrer Ausreise aus Marokko in der Lage, über längere Zeit ihre Lebensgrundlage zu sichern. Dazu war sie auch im Ausland (Vereinigte Arabische Emirate, Österreich)in der Lage. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb ihr dies nicht auch künftig in Marokko möglich sein sollte. Die Beschwerdeführerin kann auch, abgesehen von ihrer grundsätzlichen Selbsterhaltungsfähigkeit, auf Unterstützung - zB durch entsprechende Institutionen - zurückgreifen, welche sie vor einer Obdachlosigkeit und existentiellen Notlage bewahren würde.

3.3.4. Das Vorliegen dermaßen akuter und schwerwiegender Erkrankungen, welche in Marokko nicht behandelbar wären und im Falle einer Rückkehr zu einer Überschreitung der Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK führen könnten, wurde weder behauptet, noch bot sich dafür im Beschwerdefall ein ausreichender Anhaltspunkt.

3.3.5. Es sind weiters keine Hinweise darauf bekannt, dass in Marokko aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd. Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

3.3.6. Im Hinblick auf die gegebenen Umstände kann daher ein "reales Risiko" einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden.

3.3.7. Daher ist die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 abzuweisen.

Im

3.4. Zu Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides

3.4.1. Paragraph 75, Absatz 20, AsylG 2005 lautet in der geltenden Fassung (auszugsweise)

"(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Absatz 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

[2. - 6. ...]

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Ziffer 5 und 6 darf kein Fall der Paragraphen 8, Absatz 3 a, oder 9 Absatz 2, vorliegen."

3.4.2. Ausreichende Beweisergebnisse zur Frage einer bereits erfolgten verfestigten Integration der Beschwerdeführerin liegen dem Bundesverwaltungsgericht nicht vor.

3.4.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach der neuen Rechtslage neu zu prüfen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der (in Punkt römisch II.3.2.4.-II.3.2.6. zitierten) bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2015:I402.1424456.1.00