BVwG
03.03.2015
W199 1427595-1
W199 1427595-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.06.2012, Zl. 12 06.680-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.05.2014 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und Herrn römisch 40 gemäß Paragraph 3,
Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch 40 damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 31.05.2012 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend schilderte er bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizeiinspektion Traiskirchen, Erstaufnahmestelle) am selben Tag und bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (Außenstelle Traiskirchen) am 12.06.2012 Probleme, die sein Vater und damit auch er mit einem Mieter des Vaters gehabt habe; der Bruder des Beschwerdeführers sei deshalb getötet worden.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, des Asylgesetzes 2005, Artikel 2, BG Bundesgesetzblatt römisch eins 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt römisch eins), gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 wies es den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt römisch II), gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 wies es den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt römisch III).
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 13.06.2012 ausgefolgt und damit zugestellt.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 27.06.2012, die aus einem kurzen formelhaften Teil in deutscher Sprache und einem handschriftlich in englischer Sprache geschriebenen Teil besteht.
4. Am 09.05.2014 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm und der eine Dolmetscherin für die Sprache Dari beigezogen wurde.
5. Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis, indem es den Beschwerdeführer in der Verhandlung vernahm und die Akten des Verfahrens einsah. Weiters zog es einen Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in Afghanistan bei, welcher der Verhandlung beiwohnte und auf Ersuchen des erkennenden Richters am 03.08.2014 ein schriftliches Gutachten erstattete.
Mit Schreiben vom 03.09.2014 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Beschwerdeverfahrens dieses Gutachten und teilte mit, dass es beabsichtige, in seinem Erkenntnis Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu treffen und sich dabei auf folgende Unterlagen und Berichte zu stützen:
The Constitution of Afghanistan. Year 1382
Home Office, UK Border Agency, Afghanistan. Country of Origin Information (COI) Report. 15 February 2013
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013 (HRC/EG/AFG/13/01)
Corinne Troxler Gulzar, Afghanistan, Update: Die aktuelle Sicherheitslage, Bern, 30. September 2013 (SFH)
Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.3.2014, Stand Feber 2014, Berlin
Alexandra Geiser, Afghanistan: Sicherheit in Kabul. Auskunft Bern, 22. Juli 2014 (SFH)
Home Office, Country Information and Guidance. Afghanistan:
Security. August 2014
Das Bundesverwaltungsgericht stellte es den Parteien des Verfahrens frei, innerhalb von zwei Wochen dazu Stellung zu nehmen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl äußerte sich nicht; der Beschwerdeführer gab am 22.09.2014 eine Stellungnahme ab vergleiche unten).
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Lage in Afghanistan stellt das Bundesverwaltungsgericht fest:
1.1.1. Allgemeine Entwicklung
Nach mehr als 30 Jahren Konflikt und dreizehn Jahre nach dem Ende der Taliban-Herrschaft ist Afghanistan in einem langwierigen Wiederaufbauprozess.
Die Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Zwei-Kammer-Parlament (Unterhaus - Wolesi Jirga [Haus des Volkes] - und Oberhaus - Meshrano Jirga [Haus der Ältesten; es wird bestellt von den Provinz- und Distriktsräten und vom Präsidenten]; Artikel 82 und 84) vor und enthält einen umfangreichen Grundrechtskatalog (Art.
22 - 59), der auch Bürgerpflichten und Verpflichtungen des Staates
zu Förderungsmaßnahmen vorsieht. Artikel 3, enthält einen Islamvorbehalt; danach dürfen Gesetze nicht dem Glauben und den Bestimmungen des Islam zuwiderlaufen. Nach Artikel 130, f. der Verfassung sind dann, wenn keine gesetzliche Norm anwendbar ist, in den Grenzen der Verfassung die Regeln der hanefitischen Rechtsschule bzw. des schiitischen Rechts anzuwenden. Staatsreligion ist der Islam (Artikel 2,); die Anhänger anderer Religionen haben Glaubensfreiheit. (Die Glaubensfreiheit und damit die Freiheit zum Wechsel der Religion kommt somit den Muslimen nicht zu.)
Die 2002 eingerichtete Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission ist in der Verfassung (Artikel 58,) verankert.
Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern. Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen.
Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen bei der Besetzung politischer und administrativer Ämter oft eine untergeordnete, informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien dagegen eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet.
Die gewaltbereite Opposition lässt sich im Wesentlichen in drei große Gruppierungen einteilen: die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-e Islami Gulbuddin. Alle drei sind - in unterschiedlichem Maß - fragmentiert.
1.1.2. Gerichtsbarkeit und Paralleljustiz
Die rechtsprechende Gewalt ist nach der Verfassung (Artikel 116,) unabhängig. Ihr höchstes Organ ist das Oberste Gericht (Stera Makhama; Artikel 116, der Verfassung). Auf Antrag der Regierung oder eines Gerichts kann das Oberste Gericht prüfen, ob Gesetze, Verordnungen und internationale Verträge mit der Verfassung vereinbar sind (Artikel 121, der Verfassung). Das Oberste Gericht setzt sich hauptsächlich aus religiösen Gelehrten zusammen, die nur ein beschränktes Wissen in ziviler Rechtsprechung haben.
Richter sind Bestechungsversuchen und Drohungen lokaler Machthaber, Beamter und auch Familienangehöriger, Stammesältester und Angehöriger regierungsfeindlicher Gruppierungen ausgesetzt. Urteile basieren häufig auf einem Gemisch aus kodifiziertem Recht, Sharia, lokalen Gebräuchen und Stammesgesetzen. Besonders in ländlichen Gebieten ist das Justizwesen sehr schwach, sodass die Zivilbevölkerung in zivilen und auch in Strafsachen auf traditionelle Schlichtungsmechanismen zurückzugreift, die auch nicht gebilligte Bestrafungsarten umfassen, sich nicht immer an das Verfassungsrecht halten und sich häufig zum Nachteil von Frauen und Minderheiten auswirken. Das afghanische Justizsystem beruht noch immer hauptsächlich auf Geständnissen als wesentlichem Beweismittel. Willkürliche Festnahmen und unverhältnismäßig lange Haften sind verbreitet. Die Haftbedingungen liegen unter den internationalen Standards. Die afghanische Regierung war in zahlreichen Fällen nicht willens oder fähig, von Beamten begangene Verbrechen konsequent und wirksam zu verfolgen. Die United Nations Assistance Mission (UNAMA) weist in ihrem Bericht vom Jänner 2013 auf die Anwendung von Folter in einzelnen Haftanstalten des National Directorate of Security (NDS), der Afghanischen Nationalen Polizei (ANP), der Afghanischen Nationalen Armee (ANA) und der Afghan Local Police (ALP) hin.
Die verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Sharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) werden nicht einheitlich angewandt. Auch rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht überall eingehalten. Dadurch, dass machtvolle Akteure Einfluss auf Justiz und Verwaltung nehmen und Bestechungsgelder zahlen, werden Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen verhindert.
Regierungsfeindliche Kräfte etablieren in Gebieten, die sie tatsächlich kontrollieren, eigene parallele "Justiz"-Strukturen. Ihre Rechtsprechung basiert auf einer strikten Auslegung der Sharia. Vorgesehen sind schwere Bestrafungen einschließlich Hinrichtungen, Amputationen und Verstümmelungen. Regierungsfeindliche Kräfte beschränken das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wer sich gegen regierungsfeindliche Kräfte oder zugunsten der Regierung äußert, läuft Gefahr, auf Grund von "Spionage" für die Regierung in Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet zu werden. Die afghanische Regierung leistet keine Wiedergutmachungen für solche Bestrafungen. Die Rechte der Frauen werden von den Taliban-Gerichten routinemäßig missachtet.
1.1.3. Rekrutierung von Soldaten und Kämpfern
Wehrpflicht besteht nicht. Mögliche Zwangsrekrutierungen durch die afghanische Armee (oder Polizei) sind nicht auszuschließen. Da die erfolgreiche Anwerbung als Soldat oder Polizist für den überwiegend arbeitslosen Teil der jungen männlichen Bevölkerung aber eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten ist, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen unwahrscheinlich. Es ist verbreitet, dass Soldaten, die zB fern ihrer Heimat eingesetzt sind und dort unter schwierigsten Bedingungen kämpfen müssen, das Militär vorübergehend verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Diese "Deserteure" werden nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen. Zwangsrekrutierungen durch Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht von Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit.
Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren in Gebieten, die ihrer tatsächlichen Kontrolle unterliegen, Kämpfer zT durch Zwang. Traditionell fand in Zeiten des Krieges die Mobilisierung in Form von "lashkar" statt, einem Brauch, bei dem jeder Haushalt einen Mann im wehrfähigen Alter stellte. Regierungsfeindliche Kräfte wenden in Gebieten, die sie tatsächlich kontrollieren, und in Siedlungen Binnenvertriebener Drohungen und Einschüchterung ein, um Kämpfer zu rekrutieren. Wer sich einer Rekrutierung widersetzt, ist gefährdet, der Spionage für die Regierung angeklagt und getötet oder sonst bestraft zu werden. Es kommt vor, dass Familien, die mit dem Aufstand in Verbindung gebracht werden, regierungsfeindlichen Kräften Knaben als Selbstmordattentäter übergeben, um einen besseren Status bei den betreffenden Kräften zu erhalten. Auch Befehlshaber der ALP haben Mitglieder lokaler Gemeinschaften, einschließlich erwachsener Männer und Kinder, für die ALP zwangsrekrutiert, desgleichen sollen die ANSF (Afghan National Security Forces, di. die ANA und die verschiedenen Polizeieinheiten), va. die ANP, Minderjährige rekrutiert haben. Regierungsfeindliche Kräfte setzen verstärkt Kinder für Selbstmordanschläge ein. Kinder wurden außerdem benutzt, um improvisierte Sprengkörper zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Wache oder Späher für die Aufklärung zu dienen. Kinder sind gefährdet, als Unterstützer regierungsfeindlicher Kräfte illegal inhaftiert und während der Haft gefoltert und misshandelt zu werden.
1.1.4. Ethnische und religiöse Zusammensetzung; Religionsfreiheit
Die vier größten ethnischen Gruppen Afghanistans sind die Paschtunen (etwa 38 %), die Tadschiken (etwa 25 %), die Hazara (etwa 19 %) und die Usbeken (etwa 6 %). Die Verfassung zählt in Artikel 4, weiters die Turkmenen, Balutschen, Pashai, Nuristani, Aymaq, Araber, Kirgisen, Qizilbash, Gujur, Brahwui "und andere" auf und enthält in Artikel 22, ein Diskriminierungs- und Privilegierungsverbot, das für alle Bürger gilt. Die Situation der ethnischen Minderheiten hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft besonders für die traditionell diskriminierten Hazara verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert; unklar ist, ob als Folge der früheren Marginalisierung oder einer gezielten Benachteiligung neueren Datums. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Etwa eine Mio. Afghanen - mehrheitlich Paschtunen - sind Nomaden (Kuchis oder Kutschis); sie leiden unter den ungeklärten Boden- und Wasserverhältnissen, gelten wegen ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter und werden immer wieder diskriminiert. In den Provinzen Wardak und Ghazni führt die jährliche Wanderung der Kuchis, die auf der Suche nach Weideland für ihr Vieh durch Gebiete ziehen, in denen Hazara siedeln, zu wiederkehrender Gewalt zwischen Kuchis und Hazara. Die Gewalt hat zu Toten und Verletzten auf beiden Seiten und zur Vertreibung von Dorfbewohnern unter den Hazara geführt.
Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu; in Gebieten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung Usbekisch, Turkmenisch, Belutschi, Pashai, Nuristani, Pamiri oder Arabisch spricht, sind diese Sprachen eine dritte offizielle Sprache (Artikel 16, der Verfassung; die Bestimmung bedarf eines Ausführungsgesetzes).
Nach offiziellen Schätzungen sind 84 % der afghanischen Bevölkerung sunnitische und 15 % schiitische Muslime. Andere Glaubensgemeinschaften (wie zB Sikhs, Hindus und Christen) machen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus.
Von den Taliban werden auch Menschen bedroht, die gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte (nach ihrer Auslegung) verstoßen, und zwar in Gebieten, die ganz oder teilweise unter ihrer oder der Kontrolle anderer regierungsfeindlicher Kräfte sind, aber auch in anderen Gebieten. Opfer solcher Angriffe sind zB Musiker, Filmemacher, Regisseure, Schauspieler und Sportler, weiters Leute, die an Veranstaltungen oder Zusammenkünften teilnehmen, in deren Rahmen islamische Grundsätze, Normen und Werte (nach der Auslegung der Taliban) verletzt werden, wie zB Musikdarbietungen auf Hochzeiten, Vogelkämpfe und andere Wettkämpfe, bei denen die Zuschauer Wetten abschließen. Von den Taliban werden außerdem Personen bedroht, die sich auf eine Weise kleiden, die nicht den Vorstellungen der Taliban entspricht.
1.1.5. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt unvorhersehbar, die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts. Das "Center for Strategic and International Studies" stellte fest, dass sich "in weiten Teilen Afghanistans kaum Entwicklungen abzeichnen, die darauf hindeuten, dass lokale Sicherheit bis 2014 oder weit über dieses Datum hinaus auch nur annähernd erreicht werden könnte - abgesehen von einigen ‚Friedens'-Regelungen, die den Aufständischen die tatsächliche Kontrolle über hochgefährliche Gebiete geben." Im Juni 2013 sagte Ján Kubiš, UN-Sondergesandter für Afghanistan, dass sich die Sicherheitslage für Zivilisten seit Anfang 2013 verschlechtert habe.
Am 18. Juni 2013 verkündete Präsident Karzai den Beginn der fünften und letzten Etappe der Übergabe der Verantwortung für die Sicherheitslage an die ANSF, diese Phase umfasst die restlichen 95 unruhigeren Bezirke im Süden und Osten Afghanistans. Die Herausforderungen sind jedoch groß, da sich einerseits darunter schwer zugängliche und umkämpfte Gebiete entlang der Grenze zu Pakistan befinden und andererseits die Unterstützung der ISAF (International Security Assistance Force) mit der Verringerung der Präsenz in Afghanistan stetig sinkt. Gemäß dem Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) gelingt es den ANSF nicht, die Lücken zu füllen, die sich aus dem Abzug der internationalen Truppen ergeben. Dies zeigt sich insbesondere in den nordwestlichen Provinzen Faryab und Badghis, im Nordosten und in der südlichen Provinz Paktika. In einigen Gebieten, die in Phase 3 übergeben worden sind, nehmen die Aktivitäten regierungsfeindlicher Gruppierungen zu, während jene der ANSF zeitgleich zurückgegangen sind. Während die internationalen Truppen weiter abgezogen werden, richten die regierungsfeindlichen Gruppierungen ihre Angriffe kontinuierlich weniger auf internationale und mehr auf afghanische Ziele, dh. auf die ANSF und auf afghanische Regierungsangehörige. Beobachter erwarten, dass sich nach dem Abzug der ausländischen Streitkräfte der Konflikt zwischen regierungstreuen und -feindlichen Kräften intensivieren wird.
Die ausländischen Sicherheitskräfte legen ihren Schwerpunkt weiterhin auf die Übergabe der Sicherheitsverantwortung, den raschen Truppenabzug und die Organisation der Rückführung des Kriegsmaterials. Nach dem Ende des ISAF-Mandats 2014 werden die USA und ihre Alliierten unter bilateral mit Afghanistan ausgehandelten strategischen Abkommen operieren. Dass bei Luftangriffen der NATO häufig Zivilisten, insbesondere auch Frauen und Kinder, ums Leben kommen, führt immer wieder zu Spannungen mit der afghanischen Regierung.
Die ANSF kämpfen inzwischen praktisch im ganzen Land an vorderster Front und tragen daher auch das größte Risiko und die höchsten Verluste. Nach Einschätzung von Experten ist der Weg zur Professionalisierung noch lang und es ist klar, dass sie auch 2014 auf internationale Unterstützung, Beratung und Ausbildung angewiesen sein werden. Ein schwerwiegendes Problem ist die hohe Ausfallquote:
Rund 35 % der Angehörigen der Sicherheitskräfte schreiben sich jedes Jahr nicht mehr in den Dienst ein. Dazu kommen lange Abwesenheitszeiten. Die ANA ist inzwischen besser bewaffnet. Dass internationale Truppen nach ihrem Abzug wieder in umkämpfte Regionen zurückkehren mussten, deutet darauf hin, dass die ANSF noch nicht in der Lage sind, die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen. Seit 2011 kommt es auch zu sogenannten Insider-Angriffen.
Die Desertionsrate der ANP ist noch höher als jene der ANA. Viele Polizeiangehörige werden nur sechs bis acht Wochen lang ausgebildet und sind wesentlich schlechter ausgerüstet als die Armeeangehörigen. Sie verlieren im Einsatz fast doppelt so oft das Leben wie Angehörige der ANA. Zahlreiche Angehörige der ANP sind in lokale Partei- sowie ethnische Streitigkeiten verwickelt, da sie, im Gegensatz zur ANA, meist in ihren Heimatgemeinden eingesetzt werden. Die ANP gilt als korrupt und verfügt bei der afghanischen Bevölkerung kaum über Vertrauen.
Der Konflikt betrifft mittlerweile die meisten Landesteile, insbesondere auch den Norden. UNAMA beobachtet außerdem, dass regierungsfeindliche Kräfte ihre Bemühungen anscheinend darauf konzentrieren, Gebiete zu halten, in denen die Regierung kaum präsent ist, das wirkt sich erheblich auf den Schutz der Menschenrechte in den betroffenen Gemeinden aus. Die Verbreitung lokaler regierungstreuer und regierungsfeindlicher Milizen und bewaffneter Gruppen, insbesondere im Norden, Nordosten und in den zentralen Hochlandregionen, beeinträchtigt ebenfalls die Sicherheitslage für Zivilisten. Insbesondere in den nördlichen und nordöstlichen Regionen ist die Abgrenzung zwischen Gruppen, die mit der Regierung verbunden sind, und anderen bewaffneten Gruppen unklar, dadurch verbreiten sich missbräuchliche Praktiken unkontrolliert. Zunehmend geraten Zivilisten in die Schusslinie zwischen regierungstreuen bewaffneten Gruppen und regierungsfeindlichen Kräften. Neben den unmittelbaren Auswirkungen der Gewalt sind weitere Faktoren zu beachten:
1. die Kontrolle über die Zivilbevölkerung durch regierungsfeindliche Kräfte, ua. werden parallele Justizstrukturen etabliert, illegale Strafen verhängt, Zivilisten eingeschüchtert und bedroht und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt und Menschen erpresst und illegal besteuert;
2. Zwangsrekrutierungen;
3. die Auswirkungen auf die humanitäre Situation (Ernährungsunsicherheit, Armut und Zerstörung von Lebensgrundlagen);
4. zunehmende organisierte Kriminalität und die Möglichkeit von Warlords und korrupten Beamten, in Gebieten, welche die Regierung kontrolliert, straflos tätig zu sein;
5. die systematische Beschränkung des Zugangs zu Bildung und zu grundlegender Gesundheitsversorgung auf Grund der Unsicherheit;
6. die systematische Beschränkung der Teilhabe am öffentlichen Leben, insbesondere für Frauen.
In den an den Landesgrenzen liegenden Provinzen im Süden, Osten und Westen ist die Gewalt im Frühjahr 2013 eskaliert, besonders im Grenzgebiet zu Pakistan. Generell versuchen die regierungsfeindlichen Gruppierungen, in ländlichen Gebieten besser Fuß zu fassen, während die afghanischen Sicherheitskräfte um die Kontrolle der Bevölkerung in den urbanen Zentren kämpfen. Im Süden waren auch 2012 die meisten zivilen Opfer zu beklagen. Der Schwerpunkt der regierungsfeindlichen Gruppierungen richtete sich jedoch zunehmend auf den Osten, wo die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Folge rasant angestiegen sind, besonders in Nangarhar. Die meist umkämpften Provinzen waren 2012/13 Kandahar, Nangarhar, Helmand, Khost, Kunar und Ghazni. Im Norden sind regierungsfeindliche Gruppierungen, lokale Machthaber und Kräfte der organisierten Kriminalität eng verstrickt. Die regierungsfeindlichen Gruppierungen sind im Begriff, neben dem Süden und Osten des Landes eine dritte Front vom Norden Richtung Süden zu schaffen (Faryab-Badghis-Ghor-Farah-Helmand). In der bisher als ruhig geltenden Provinz Badakhshan gewannen sie nach dem Abzug der ISAF ebenfalls an Einfluss. Anfang März 2013 mussten ISAF-Soldaten zur Unterstützung der ANSF nach Badakhshan zurückgeschickt werden. Ende September 2013 brachten die Taliban den Distrikt Keran-wa Monjan der Provinz Badakhshan unter ihre Kontrolle. Der Verwaltungs- und der Polizeichef mussten fliehen. In den westlichen Grenzprovinzen gelang es regierungsfeindlichen Gruppierungen, die Lücke zu füllen, die durch den Abzug der internationalen Truppen entstand. In Kabuls Hochsicherheitszonen konnten die Taliban auch 2013 komplexe Anschläge durchführen.
Zwischen 2007 und 2011 stieg die Anzahl ziviler Opfer jährlich. Dieser Aufwärtstrend hielt 2013 an. Improvisierte Sprengkörper, denen Zivilisten zum Opfer fielen, waren in den meisten Fällen dem Anschein nach nicht gegen bestimmte militärische Ziele gerichtet oder sie wurden so eingesetzt, dass ihre Auswirkungen nicht auf legitime militärische Ziele beschränkt werden konnten. Regierungsfeindliche Kräfte bringen weiterhin Sprengkörper an Straßen an, die in der Regel von Zivilisten benutzt werden, sowie in anderen öffentlichen, häufig von Zivilisten genutzten Bereichen wie Märkten und Basaren, Behörden, Bereichen in und um Schulen, Geschäften oder Busbahnhöfen, weiters bei Attentaten auf Zivilisten, dabei werden häufig zahlreiche Unbeteiligte getötet. Außerdem setzen sie Selbstmordattentate ein, um öffentliche Orte wie belebte Märkte und Moscheen sowie gesellschaftliche Zusammenkünfte wie Hochzeiten, Versammlungen von Stammesältesten und zivile Büros der Behörden anzugreifen. Auch Selbstmordattentate, die internationalen oder afghanischen Streitkräften gelten, führen häufig zu hohen Zahlen an zivilen Opfern. Regierungsfeindliche Kräfte haben Zivilisten gezwungen, Kämpfer bei sich aufzunehmen oder ihnen ihr Eigentum für ihre Operationen zur Verfügung zu stellen. Dadurch, dass Zivilisten in regierungsfeindliche Aktivitäten einbezogen werden, steigt die Zahl der zivilen Opfer. Die Zivilbevölkerung lebt unter ständiger Lebensgefahr und ist dem fortwährenden Risiko von Verstümmelung, ernsthaften Verletzungen und Zerstörung von Eigentum ausgesetzt.
In einem Bericht vom Mai 2014 stellte die International Crisis Group (ICG) einen allgemeinen Trend zur Eskalation der Gewalt und zum Anstieg von Angriffen aufständischer Gruppen fest. Mit dem Abzug internationaler Truppen ist der Einfluss Kabuls in abgelegenen Distrikten geschwunden. Das Selbstvertrauen aufständischer Gruppen ist gestärkt. Dies mindert die Chancen für sinnvolle Friedensgespräche auf nationaler Ebene. Es gibt Bedenken, dass sich die Balance zugunsten der Aufständischen verschieben könnte.
UNAMA dokumentierte für 2014 einen deutlichen Anstieg der zivilen Opfer der Auseinandersetzungen gegenüber 2013.
Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network beschreibt das Jahr 2013 als das gewaltreichste seit 2001. Die Taliban haben zunehmend versucht, Distriktzentren, vor allem in peripheren Gebieten, zu erobern und die Wehrfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte zu testen.
Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung gehen weiterhin von vier Quellen aus:
von regierungsfeindlich eingestellten, bewaffneten Gruppierungen wie Taliban, Hezb-e Islami Gulbuddin Hekmatyars, Haqqani-Netzwerk ua.;
von regionalen Warlords und Kommandierenden der Milizen;
von kriminellen Gruppierungen;
von Reaktionen der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere Bombardierungen.
Regierungsfeindliche Kräfte beschränken in Gebieten, die sich unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, regelmäßig das Recht auf Bewegungsfreiheit durch mobile oder dauerhafte Kontrollpunkte. Dies beeinträchtigt die Lebensgrundlage und Arbeitsmöglichkeiten der Zivilbevölkerung, da die betroffenen Straßen oft die einzige Verbindung zu den Zentren der Distrikte sind. Besonders betroffen sind Bauern, die nicht dorthin reisen können, um ihre Produkte zu verkaufen. Regierungsfeindliche Kräfte erheben zudem illegale Steuern in nahezu allen Gebieten, die teilweise oder vollständig unter ihrer Kontrolle sind.
Neben Anschlägen auf militärische und zivile internationale Akteure verüben die Aufständischen vermehrt Anschläge gegen die ANSF. Sie stehen im Zuge der Übernahme der Sicherheitsverantwortung in ganz Afghanistan in der ersten Reihe und sind, auch auf Grund ihrer im Vergleich zu ISAF/NATO-Kräften weniger hochwertigen Ausrüstung und Ausbildung, primäres Ziel der Aufständischen. Auf Grund ihrer besonderen Machtstellung werden auch auf Provinz- und Distriktsgouverneure immer wieder Anschläge verübt, ebenso auf Mitarbeiter des afghanischen öffentlichen Dienstes wie Angehörige von Ministerien oder nachgeordneten Behörden.
Regierungsbeamte und ihre Familienangehörigen sind Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Kräfte, ebenso Angehörige der ANP und der ALP und Zivilisten, die mit den ANSF oder mit den internationalen Streitkräften zusammenarbeiten oder denen dies unterstellt wird oder die für die Regierung oder für die internationale Gemeinschaft arbeiten oder denen dies unterstellt wird. Diese Leute werden gewarnt und aufgefordert, ihre Tätigkeit aufzugeben, oft in der Form von "shab nameha" ("nächtlichen Drohbriefen"). Zivilisten, denen "Spionage" für die Regierung zur Last gelegt wird, werden im Rahmen von Schnellverfahren in illegalen Justizverfahren durch die regierungsfeindlichen Kräfte verurteilt und hingerichtet. Weitere Ziele sind Stammesälteste und religiöse Führer (die zB Begräbnisrituale für Mitglieder der ANSF und für von den Taliban getötete Personen durchführen).
Besonders gefährdete Personengruppen sind Mitarbeiter nationaler und internationaler Organisationen (zB Leute, die sich für Menschen- und Frauenrechte einsetzen, und aus der Entwicklungs- und humanitären Hilfe, aber auch Minenräumer, Lastwagenfahrer und Straßenbauarbeiter), vermehrt auch die Familienangehörigen dieser Zielgruppen (darunter auch Kinder), Beschäftigte der ausländischen Sicherheitskräfte (besonders etwa Dolmetscher oder Fahrer, die für die internationalen Truppen arbeiten), Journalisten (besonders wenn sie über Straffreiheit, Kriegsverbrechen, Korruption, Drogenhandel oder andere Machenschaften berichtet haben; zu den Tätern zählen nicht nur Angehörige regierungsfeindlicher Gruppierungen, sondern auch lokale Machthaber, Politiker, Sicherheitsbeamte, Regierungsvertreter und Geistliche), im Gesundheitswesen tätige Personen, Regierungsbeamte (Richter und Strafverteidiger, Parlamentsmitglieder, Provinz- und Distriktsgouverneure sowie Ratsmitglieder), Lehrkräfte und Schüler, Angehörige der Sicherheitskräfte (auch außerhalb ihres Dienstes) und ihre Familienangehörigen, Geistliche und Stammesführer oder -älteste, welche die afghanische Regierung oder die internationale Staatengemeinschaft unterstützen, Teilnehmer des Afghanischen Friedens- und Wiedereingliederungsprogramms, Angehörige nichtmuslimischer Religionen, Homosexuelle, Menschen, die den Werten regierungsfeindlicher Gruppierungen widersprechen (Sportler, Filmemacher, Künstler und Musiker), Wohlhabende und Opfer der Blutrache.
Die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus, meist Anführern von Milizen, die keine staatlichen Befugnisse, aber faktische Macht haben und sie häufig missbrauchen. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Leute kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren oder ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des schwachen Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben diese Menschenrechtsverletzungen daher häufig ohne Sanktionen.
Nach wie vor sind in Afghanistan zahlreiche illegale bewaffnete Bewegungen sowie Milizen oder milizähnliche Verbände aktiv. Besonders im Norden und Nordosten Afghanistans werden zunehmend Menschenrechtsverletzungen durch Milizen registriert. Die Warlords und Milizen gehen dabei in der Regel straffrei aus.
Es kommt landesweit immer wieder zu Entführungen, die politisch oder finanziell motiviert sind. In vielen Fällen enden sie glimpflich, wenn sich die Familie des Opfers mit den Entführern auf die Summe des Lösegeldes einigen kann. Reiche Geschäftsleute lassen sich auf Grund dieser allgemeinen Gefährdung häufig von privaten Sicherheitskräften begleiten.
Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von ineffektiver Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staats untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Wer die Menschenrechte verletzt, wird selten dafür zur Rechenschaft gezogen. Einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der ANP und der ALP, begehen in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Korruption betrifft viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene.
Gemäß althergebrachten Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Akte der Vergeltung die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen. Sie können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Vergehen (Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen; Entführungen oder Vergewaltigung verheirateter Frauen; ungelöste Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum). Die Rache muss sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber Ziel der Rache auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter werden, der aus der väterlichen Linie stammt. Im Allgemeinen werden Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann die Blutfehde ruhen, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Dass der Täter durch das formale Rechtssystem bestraft worden ist, schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus.
Die Anbaufläche für Opium in Afghanistan ist 2012 im dritten Jahr in Folge gewachsen. 2013 wurde auch in Balkh, Faryab und Takhar Opium angebaut, dadurch stieg die Zahl der opiumanbauenden Provinzen von 17 auf 20. Nur noch 14 Provinzen gelten als opiumfrei. In das lukrative Geschäft sind nicht nur regierungsfeindliche Gruppierungen verstrickt, sondern auch zahlreiche Regierungsbeamte und Warlords.
Die Taliban verfügen über ein landesweit verzweigtes Netz an Informanten und haben damit auch in Kabul die Möglichkeiten, Druck auszuüben, einzuschüchtern, zu entführen oder zu töten. In Kabul überlappen sich kriminelle Strukturen und Netzwerke von Aufständischen. Beobachter gehen davon aus, dass vor allem das Haqqani-Netzwerk für Anschläge in Kabul verantwortlich ist. Mit Hilfe geheimer Absprachen zwischen Aufständischen und korrupten Regierungsmitarbeitern sind im Laufe der Jahre die kriminellen Netzwerke in Kabul und Umgebung immer stärker geworden und die Sicherheitssituation hat sich im Zentrum des Landes kontinuierlich verschlechtert.
Die Taliban zielen nicht auf die physische Kontrolle über Kabul, sondern fokussieren auf den psychologischen Einfluss. Die Aufständischen versuchen einen Keil zwischen die Bevölkerung und die Regierung und die internationalen Truppen andererseits zu treiben. Die Zivilbevölkerung gerät dabei zwischen die Fronten. Die Aufständischen nutzen unterschiedliche Mittel zur Einschüchterung und Gewalt: Nachtbriefe, illegale Kontrollpunkte, Eintreibung von Steuern, Entführungen, gezielte Tötungen, Taliban-Gerichte und Todesstrafen, Stilllegung von Mobilfunknetzen, Befehlsstrukturen, Geheimdienste und "Abschusslisten".
In Kooperation mit korrupten Beamten und kriminellen Netzwerken und durch Einschüchterungen haben Aufständische in und um Kabul Schattenregierungen aufgebaut. In verschiedenen Allianzen zwischen dem Haqqani-Netzwerk, der Hezb-e Islami und anderen Gruppen können sich Aufständische in Kabul bewegen und Anschläge organisieren. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der afghanischen Regierung und den internationalen Truppen fördert die Unterstützung der Taliban und ist grundlegend für die Präsenz der Aufständischen in der Hauptstadt.
In Kabul bevorzugen die Taliban sporadische, öffentlichkeitswirksame Angriffe, sogenannte High-Profile Attacks, durch die ein Gefühl von Unsicherheit hervorgerufen werden soll. Dies zielt darauf ab, Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu verbreiten und die Aufmerksamkeit internationaler Medien und möglicher Geldgeber zu erregen.
Für sogenannte Primärziele und Personen mit einem "hohen Profil" wie Dolmetscher, Auftragnehmer und Lieferanten des Militärs bzw. für hochrangige Regierungsbeamte besteht ein hohes Risiko. Die Taliban richten in Kabul und weiteren Städten ihre Anstrengungen eher darauf aus, für sie wichtigere Profilgruppen anzugreifen, wie aktive Regierungsbeamte und höher gestellte Persönlichkeiten. Grundsätzlich werden viel mehr Afghanen entführt, die kein sogenanntes "hohes Profil" haben, als prominente Afghanen oder gar Ausländer.
Anschläge mit Bomben oder durch Selbstmordattentäter sind im ganzen Land häufig. Die Anschläge fordern zahlreiche Todesopfer und Verletzte, auch unter der Zivilbevölkerung. Bei den Entführungsopfern handelt es sich um Afghanen und um Ausländer. Thomas Ruttig meint, die Aussage, dass die Sicherheitslage in Kabul besser als irgendwo sonst im Lande sei, sei zu generell und kaum haltbar. Die Sicherheitslage sei schwer voraussagbar und variiere je nach Zeitpunkt selbst innerhalb von Städten, Provinzen oder Distrikten. Keinerlei Bedrohung gebe es jedoch in nur wenigen Gebieten. Die städtischen Gebiete seien in aller Regel sicherer als ländliche, allerdings seien sie ebenso wie die von den internationalen Truppen genutzten Straßen häufiger Zielscheibe spektakulärer Terroranschläge mit unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen, bei denen oftmals Zivilpersonen betroffen sind.
Die Nähe und Verbindungen zwischen kriminellen Geschäftsleuten, aufständischen Netzwerken und einer korrupten politischen Elite untergraben die Sicherheit in Kabul.
Die Polizei ist von Netzwerken der Bürgerkriegsmilizen ebenso wie von kriminellen Netzwerken durchsetzt und deshalb zT nicht unter der Kontrolle der Regierung. Polizisten handeln häufig im Auftrag verschiedener "Strongmen". Korruption betrifft alle Ebenen der Polizei. Dabei handelt es sich nicht nur um Bestechung, sondern auch um die Kooperation mit aufständischen Gruppen und kriminellen Netzwerken. Noch gefährlicher als die täglichen Bestechungen sind die Bezahlungen, die von kriminellen und aufständischen Gruppen an korrupte Polizeibeamte getätigt werden.
1.1.6. Taliban
Offizielle Friedensgespräche mit den Taliban sind wegen des nahenden Abzugs der internationalen Streitkräfte wahrscheinlicher geworden. Delegierte der Taliban haben 2012 neben Vertretern des Hohen Friedensrates und der afghanischen Regierung an Konferenzen in Kyoto und in Chantilly teilgenommen. Die Regierung hofft nun, mit der Freilassung hochrangiger inhaftierter Taliban-Kämpfer deren Vertrauen zu gewinnen und damit Friedensgespräche zu erleichtern. Auch Pakistan hat seit November 2012 rund 30 mittlere und höhere afghanische Taliban-Anführer freigelassen. Nach Berichten des NDS haben sich einige der freigelassenen Kämpfer bereits wieder dem bewaffneten Widerstand angeschlossen. Unklar bleibt auch, ob im Rahmen von Gesprächen geschlossene Abkommen in der stark dezentral organisierten Bewegung der Taliban überhaupt durchgesetzt werden könnten. Am 17.11.2012 verkündete der Vorsitzende des Hohen Friedensrates, dass Vertretern der Taliban strafrechtliche Immunität zugestanden werde, wenn sich diese am Friedensprozess beteiligten, obwohl einige von ihnen im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen begangen zu haben.
Die Führung der Taliban ist weiterhin in der Lage, ihre militärischen Operationen von Pakistan aus zu lenken und die notwendigen Ressourcen zu beschaffen. 2012 erreichten die Spannungen innerhalb der Bewegung einen Höhepunkt. Insbesondere verschob sich die Macht von der Quetta- hin zur Peshawar-Shura. Die Bewegung hat diesbezüglich im Süden Afghanistans größere Probleme. 2012 meldeten viele Gemeinden, dass regierungsfeindliche Gruppierungen wegen der eingeschränkten Präsenz afghanischer Sicherheitskräfte vermehrt Gebiete kontrollierten. Die Taliban üben auch in Gebieten, die unter der Kontrolle der afghanischen und internationalen Streitkräfte stehen, Einfluss aus, und zwar über Drohbriefe, Einschüchterung, Familien- und Stammesnetzwerke oder Imame. Sie nutzen auch die Schwäche der Regierung in Gebieten aus, in denen diese nur ungenügend Präsenz, Rechtsstaatlichkeit oder wirtschaftliche Möglichkeiten bieten kann.
1.1.7. Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung ist unzureichend, weil es an Medikamenten, Geräten, Ärzten und ausgebildetem Hilfspersonal (va. Hebammen) mangelt. Es gibt große regionale Unterschiede, die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen ist viel besser als in den Süd- und Ostprovinzen. Afghanen mit guten Kontakten zum ausländischen Militär oder zu Botschaften können sich uU auch in Militärkrankenhäusern der ausländischen Truppen behandeln lassen. Psychische Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - werden, abgesehen von einzelnen Pilotprojekten, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße behandelt. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden eher in spirituellen Schreinen (zB dem Mia-Ali-Baba-Schrein) unter teilweise unmenschlichen Bedingungen behandelt oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben".
Im Gesundheitswesen tätige Personen gehören zu den besonders gefährdeten Personengruppen.
1.2. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der ethnischen Gruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Muslim. Er hält sich seit Frühjahr 2012 in Österreich auf.
Die Eltern des Beschwerdeführers waren in der Zeit des kommunistischen Regimes politisch aktiv und haben vermutlich anderen Menschen schwer geschadet. Darüber hinaus hat sich der Vater des Beschwerdeführers in einen Gerichtsprozess um ein Haus verwickelt, der beim Prozessgegner Rachegefühle gegen die ganze Familie des Beschwerdeführers geweckt hat. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer daher schwere Sanktionen durch die Gegner seiner Eltern.
2. Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf dem Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.3.2014 (Stand Feber 2014), der durch die Darstellung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender) vom August 2013 bestätigt wird, ebenso durch jene der Berichte Troxler Gulzars (Schweizerische Flüchtlingshilfe) vom September 2013 und des britischen Home Office vom Feber 2013.
Die Feststellungen zum Inhalt der Verfassung beruhen auf dem Text der Verfassung (in englischer Übersetzung).
Die Prozentzahlen zur Verteilung der ethnischen Gruppen und zur Stärke der Religionsgemeinschaften verstehen sich als Schätzungen; der Flüchtlings-Hochkommissär der Vereinten Nationen (UNHCR-Richtlinien, S 50 FN 266 und S 74 FN 410) zB macht etwas abweichende Angaben (80 % Sunniten, 19 % Schiiten; 42 % Paschtunen, 27 % Tadschiken, 9 % Hazara, 9 % Usbeken, 4 % Aymaq, 3 % Turkmenen, 2 % Belutschen).
Die Feststellungen zur Justiz und zum alternativen Rechtssystem und den Parallelstrukturen der Taliban beruhen va. auf dem Bericht Troxler Gulzars (S 12 - 14) und auf den UNHCR-Richtlinien (S 23). Die Feststellungen zur Rekrutierung von Soldaten und Kämpfern beruhen auf dem Bericht des deutschen Außenamtes (S 12) und auf den UNHCR-Richtlinien (S 45 f., 65 f.). Die Feststellungen zu den Wanderungen der Kuchis beruhen auf den UNHCR-Richtlinien (S 78). Die Feststellungen zur Bedrohung von Personen, die sich nicht islamkonform verhalten, beruhen auf dem Bericht des deutschen Außenamtes (S 11 f.) und auf den UNHCR-Richtlinien (S 52, 54). Die Feststellungen unter der Überschrift "Taliban" stützen sich iW auf den Bericht Troxler Gulzars (S 2 f., 6 f.).
Die Feststellungen zur Sicherheitslage beruhen va. auf den UNHCR-Richtlinien, weiters auf dem Bericht des Home Office (Country Information and Guidance. Afghanistan: Security) vom August 2014 sowie für Kabul auf dem Bericht Geisers (SFH).
Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen.
2.2. Die Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers und zu seiner Religion stützen sich auf seine insoweit glaubwürdigen Angaben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er nicht aus Afghanistan stamme.
Die übrigen Feststellungen (also zum Fluchtgrund) stützen sich auf folgende Überlegungen:
Der Beschwerdeführer gab bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizeiinspektion Traiskirchen, Erstaufnahmestelle) am 31.05.2012 an, sein Vater besitze in römisch 40 ein Haus. Ein Maurer mit dem Vornamen römisch 40 - Näheres sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt -, der vor etlichen Jahren Arbeiten an dem Haus verrichtet habe, habe dem Vater gedroht, er solle nicht mehr nach römisch 40 kommen, sonst würde es ihm ebenso ergehen wie seinem Sohn römisch 40 , dem Bruder des Beschwerdeführers. römisch 40 sei nämlich Ende 2011 von unbekannten Tätern entführt worden. Nach etwa drei Tagen sei den Eltern telefonisch mitgeteilt worden, dass er tot aufgefunden worden sei. Die Leiche des Bruders habe die Familie in Kabul beerdigt. Der Vater des Beschwerdeführers habe große Angst gehabt und seine Frau und seine drei Kinder nach Pakistan (Peshawar) in Sicherheit gebracht. Sein Vater habe sich entschlossen, die Weiterreise des Beschwerdeführers als seines nunmehr einzigen Sohnes in ein sicheres Land in Europa zu bezahlen. Warum er nach Österreich gebracht worden sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Vielleicht habe dies sein Vater oder auch der bzw. die Schlepper entschieden. Wegen der hohen Kosten habe nicht seine ganze Familie mit ihm reisen können, der Vater habe gesagt, dass sich das finanziell nicht ausginge. Es sei ihm vorerst am wichtigsten gewesen, dass der Beschwerdeführer als sein Sohn in Sicherheit sei. Sobald es finanziell möglich wäre, wollten auch seine Eltern und seine beiden Schwestern nach Österreich kommen. Sie lebten nämlich auch in Peshawar nicht sicher. Sie müssten sich verstecken, die Schwestern dürften nicht zur Schule gehen. Der Beschwerdeführer habe seinen Onkel in Kabul angerufen und ihm mitgeteilt, dass er sich in Österreich befinde. Er habe sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan Angst um sein Leben.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (Außenstelle Traiskirchen) am 12.06.2012 gab der Beschwerdeführer an, er sei Tadschike und Muslim, seine Tazkira habe er verloren, weitere Dokumente habe er nicht. In seinem Heimatland habe er sich zuletzt in Kabul, Stadtteil römisch 40 , aufgehalten, eine genauere Adresse gebe es nicht. Dabei handle es sich um sein Elternhaus, in dem er von 2007 bis zu seiner Ausreise 2012 gewohnt habe. Es sei jedoch nur ein Miethaus gewesen. 1994, als die Taliban gekommen seien, sei die Familie nach Pakistan gegangen und habe bis 2007 dort gelebt. Vor 1994 habe sie in Kabul, Stadtteil römisch 40 , in einem eigenen Haus gelebt. Der Beschwerdeführer habe immer nur an diesen Adressen gewohnt, und zwar mit seinen Eltern, zwei Schwestern und seinem Großvater; sonst habe dort niemand gewohnt. Die Familie halte sich seit Ende 2011 in Pakistan auf, dort habe er selbst zuletzt gelebt. Auf den Vorhalt, er habe zuvor gesagt, dass er bis zu seiner Ausreise 2012 in Afghanistan gelebt habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe gemeint, dass seine Familie 2007 von Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt sei, 2012 sei sie wieder nach Pakistan zurückgegangen. Auf die weitere Frage, warum er zunächst gesagt habe, dass er bis zu seiner Ausreise 2012 in seinem Elternhaus gewohnt habe, wenn er doch schon seit 2011 in Pakistan gelebt habe, gab der Beschwerdeführer zunächst an, er habe nicht "2011" gesagt, und dann - als ihm vorgehalten wurde, dann wäre es nicht so protokolliert worden -, er habe sich bestimmt versprochen, 2007 habe er die Schule abgeschlossen und die Familie sei nach Afghanistan gegangen, wo sie bis 2012 gelebt habe.
Sein Vater habe einen Laden besessen und auch ein Haus vermietet. Der Beschwerdeführer selber habe nicht gearbeitet, er habe zwölf Klassen eine afghanische Schule besucht. Er habe keinen Beruf erlernt, kenne sich aber im IT-Bereich aus, er habe einen Kurs besucht.
Anfang 2012 habe er seine Heimat verlassen, weil die Familie vier Jahre zuvor dort Schwierigkeiten bekommen habe. Sie besitze ein Haus in römisch 40 , das eigentlich seinem Großvater gehört habe, er habe es dem Vater des Beschwerdeführers übergeben. Wegen des Krieges mit den Taliban hätten sie jahrelang keinen Zugang zu diesem Haus gehabt. Vor vier Jahren habe jemand, der für seinen Großvater im Haushalt gearbeitet habe, seinen Vater angerufen und ihm gesagt, jemand habe ihr Haus in Besitz genommen, er wolle ihnen aber helfen, es zurückzubekommen. Dazu müsse aber der Vater von Kabul nach römisch 40 kommen. Der Vater sei mit der Besitzurkunde hingefahren. Der Mann habe dann dem Vater geholfen, das Haus zurückzubekommen, weil er Kontakte zu den Behörden habe und auch für den Staat arbeite. Danach habe der Mann den Vater gebeten, ihm ein Zimmer in dem Haus zur Verfügung zu stellen, weil er ihnen einen Gefallen getan und weil er ihnen jahrelang gedient habe. Er habe ein Zimmer bekommen, die anderen Zimmer seien vermietet worden. Nach einiger Zeit habe der Mieter das Haus verlassen und wieder einige Zeit später angerufen und gesagt, dass er mit der Person, die das Zimmer bekommen habe, nicht klar gekommen sei. Der Vater habe römisch 40 - den Mann, der ihnen geholfen habe - angerufen und erfahren, dass römisch 40 den Mieter dazu gedrängt habe. Der Vater des Beschwerdeführers habe ihm gesagt, er habe nicht das Recht, die Mieter hinauszuwerfen, darauf habe römisch 40 geantwortet, das Haus gehöre ihm und nicht dem Vater. Wenn sie ihre Ruhe haben und am Leben bleiben wollten, sollten sie ihn in Ruhe lassen und sich damit zufrieden geben, dass das Haus ihm gehöre. Einige Tage danach habe römisch 40 den Vater des Beschwerdeführers angezeigt, dass er von ihm Geld gestohlen habe. Er habe damit bezweckt, dass der Vater verhaftet werde. Dies sei auch geschehen, der Vater sei aber gegen Bürgschaft (gemeint vermutlich: gegen Kaution) freigekommen. Er habe bei Gericht geklagt und gewonnen. Als römisch 40 gesehen habe, dass er auf diesem Wege nichts erreichen könne, habe er versucht, über die Taliban zu drohen. Man solle ihm das Haus überlassen, wenn man Frieden haben wolle. Der Bruder des Beschwerdeführers - er habe als Fahrer gearbeitet und sei die Strecke römisch 40 gefahren - habe sich gegen diese Drohungen gewehrt und sei letztlich Ende 2011 verschwunden. Die Familie habe dann die Nachricht erhalten, dass er ermordet worden sei. Danach habe römisch 40 angerufen und gesagt, wenn sie sich wehren wollten, müssten sie mit Konsequenzen rechnen, die noch härter würden als bisher. Täglich hätten sie Drohungen bekommen und Angst gehabt. Deshalb hätten sie sich entschlossen, 2012 nach Pakistan zu flüchten. Selbst dort hätten sie Drohungen und Anrufe bekommen. Die Klage wegen des Hauses sei noch bei Gericht, sie seien "dort" in Gefahr gewesen. Mehrmals habe römisch 40 dem Vater des Beschwerdeführers gesagt, er solle die Anzeige zurückziehen und bekanntgeben, dass das Haus römisch 40 gehöre, ihm auch die Besitzurkunde übergeben und das Haus überlassen. Ansonsten werde er ihn nicht in Ruhe lassen. Der Bruder des Beschwerdeführers sei von den Taliban getötet worden, wegen der Drohungen habe der Beschwerdeführer sein Heimatland verlassen. Die Probleme hätten sie wegen des Hauses bekommen.
Die Frage, ob er Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden in seinem Heimatland gehabt habe, bejahte der Beschwerdeführer, weil römisch 40 für die Behörden arbeite, wegen seiner Kontakte hätten sie das Haus nicht zurückbekommen. Auf den Vorhalt, er habe zuvor angegeben, dass ein afghanisches Gericht das Haus seinem Vater zugesprochen habe, sagte der Beschwerdeführer, es habe bei Gericht einen Spruch gegeben, es sei darum gegangen, dass das Haus besetzt gewesen sei und nun wieder dem Staat gehöre, weil der eigentliche Besitzer, also der Vater des Beschwerdeführers, jahrelang nicht dort gewesen sei. Das Urteil des Gerichts sei zu Gunsten des Vaters ausgefallen. Er habe sich darum gekümmert, das Haus vom Staat zurück in seinen Besitz zu bekommen, doch römisch 40 habe versucht, ihn daran zu hindern. Abgesehen davon wolle römisch 40 die Besitzurkunde des Hauses haben und drohe ihnen. Sie hätten ständig Angst vor Leuten gehabt, die Patu (nach der Anmerkung in der Niederschrift ist das ein langer Schal für Männer) oder einen Turban getragen hätten. römisch 40 sei ein einflussreicher Mann und habe Kontakte in die Regierung und zu den Taliban. Er sei eigentlich ein Kriminalbeamter. Mit den Jahren sei sein Rang höher geworden. Auf den Vorhalt, der Beschwerdeführer habe zuvor angegeben, dass römisch 40 für den Großvater den Haushalt geführt habe, antwortete der Beschwerdeführer, römisch 40 habe, als er etwa zehn Jahre alt gewesen sei, im Haushalt geholfen und Brot geholt. Der Großvater habe das Haus in römisch 40 wegen des Wetters gekauft. Eigentlich stamme die Familie aus Kabul und habe außer dem Haus nichts mit römisch 40 zu tun. Das Problem mit römisch 40 habe vor vier Jahren, 2008, begonnen, an das Datum könne sich der Beschwerdeführer nicht erinnern; ein Jahr nach der Rückkehr nach Afghanistan. Auf die Frage, ob römisch 40 zunächst für den Großvater gearbeitet habe und dann in den Staatsdienst gewechselt sei, gab der Beschwerdeführer an, so lange der Großvater in römisch 40 gelebt habe, habe römisch 40 für ihn gearbeitet. Nachdem der Großvater nach Kabul gezogen sei, hätten sie von römisch 40 nichts mehr gehört. Damals sei der Beschwerdeführer noch gar nicht auf der Welt oder noch sehr klein gewesen. römisch 40 lebe in römisch 40 . Nach seiner und den Aussagen anderer sei er ein Kriminalbeamter. Auch seine Familie stamme aus römisch 40 und sei noch am Leben. Neben seiner Arbeit als Kriminalbeamter unterrichte er Stumme und Taube. Er sei groß und dick. Der Beschwerdeführer schätze, dass er fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt sei. Er wisse das alles nur aus Erzählungen, selbst habe er das nie miterlebt.
Der Beschwerdeführer wurde gefragt, wie seine Familie erfahren habe, dass sein Bruder verstorben sei. Er gab an, sie hätten einige Tage nichts von seinem Bruder gehört, er habe ja als Taxifahrer gearbeitet. Einige Tage, nachdem er verschwunden sei, habe jemand seinen Vater angerufen und gewollt, dass der Bruder ihn nach Torkham mitnehme. Der Vater habe gesagt, dass er den Bruder seit zwei Tagen suche. Einige Tage später, Ende 2011, habe römisch 40 angerufen und gesagt, es werde noch schlechter, wenn sie Widerstand leisteten. Damals hätten sie noch in Kabul gewohnt; nach etwa fünfzehn Tagen, 2012, seien sie nach Pakistan geflüchtet. Zuvor sei der Bruder noch in Kabul bestattet worden. römisch 40 habe den Bruder getötet, er habe gesagt, das seien die Konsequenzen ihrer Taten; mehr wisse der Beschwerdeführer nicht. Man habe einen Verkehrsunfall vortäuschen wollen, der Leichnam sei im Auto gelegen, sie hätten ein oder zwei Tage nach seiner Ermordung die Adresse bekommen, an der das Auto abgestellt gewesen sei. Der Vater und dessen Freund hätten den Bruder in Kabul auf dem Friedhof begraben, vermutlich am Tag nach der Auffindung oder einen Tag später.
Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, die Geschichte, die er geschildert habe, weiche - wie der einvernehmende Beamte meinte - "massiv" von jener in der Erstbefragung ab. Damals habe er gesagt, ein Mann namens römisch 40 habe Maurerarbeiten am Haus des Vaters in römisch 40 durchgeführt - Näheres über römisch 40 wisse der Beschwerdeführer nicht - und dann dem Vater gedroht, er solle nicht mehr nach römisch 40 kommen, sonst werde es ihm wie dem Bruder des Beschwerdeführers ergehen. Heute habe er dagegen gesagt, dass römisch 40 schon seit längerem für den Großvater des Beschwerdeführers gearbeitet habe, Kriminalbeamter und nebenberuflicher Lehrer sei, er habe auch sonst Einzelheiten über römisch 40 angeben können, dagegen sei von einem Maurer keine Rede mehr gewesen. Der Beschwerdeführer gab dazu an, bei der Erstbefragung sei ihm gesagt worden, er solle sich kurz halten. Vielleicht sei es zu einem Missverständnis gekommen; er habe das Wort Baba verwendet, das Vater oder Großvater heißen könne. Er habe nicht angegeben, dass römisch 40 Maurer- oder Malerarbeiten durchgeführt habe, sondern davon gesprochen, dass er generell im Haus Arbeiten durchgeführt habe. Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, er hätte solche Fehler anlässlich der Rückübersetzung korrigieren lassen müssen. Er gab an, römisch 40 habe im Haus als Aufpasser gearbeitet und sich um den Haushalt gekümmert, dazu gehörten auch Maurerarbeiten. Abschließend gab der Beschwerdeführer nochmals an, er sei 1994 von Afghanistan nach Pakistan geflüchtet, habe dort bis 2007 gelebt und die Schule abgeschlossen, sei dann nach Afghanistan zurückgekehrt und 2012 wieder nach Pakistan gegangen.
In seiner Beschwerde führt der Beschwerdeführer ua. aus, römisch 40 sei als Kind im Haus des Großvaters des Beschwerdeführers als "Mädchen für alles" angestellt gewesen. Er stamme aus einer armen Familie, aber der Großvater des Beschwerdeführers habe ihn zur Schule geschickt und auch selbst unterrichtet. Daher sei es möglich gewesen, dass er nun Polizeibeamter sei; er arbeite auch mit den Taliban zusammen. Wenn man in Afghanistan mit den Taliban zusammenarbeite, könne man alles tun, weil sie einem hülfen. Wenn man einen reichen Mann kenne, könne er einen unterstützen, es gebe sehr viel Korruption. Der Beschwerdeführer nimmt sodann dazu Stellung, dass er römisch 40 am 31.05.2012 als Maurer, am 12.06.2012 aber als Reinigungskraft bezeichnet habe. Wer in Afghanistan als Träger ("porter"; "????") angestellt werde, besorge alle möglichen Arbeiten, während in Europa unterschiedliche Berufe in Frage kämen (Fahrer, Wäscher, ...). Weiters nimmt der Beschwerdeführer Stellung zu einem Punkt, in dem das Bundesasylamt seine Aussagen als widersprüchlich beurteilt hatte. Während die anderen Räume des Hauses in römisch 40 vermietet worden seien, habe der Vater des Beschwerdeführers römisch 40 auf seine Bitte einen Raum überlassen. Nach einigen Monaten habe der Bruder des Mieters den Vater des Beschwerdeführers angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Mieter das Haus verlassen habe. Daraufhin habe der Vater römisch 40 angerufen. römisch 40 habe den Vater aufgefordert, nach römisch 40 zu kommen, damit er ihm die Sache erklären könne. Der Vater sei dann dorthin gefahren und habe mit dem Mieter (nicht mit römisch 40 ) gesprochen, der ihm erzählt habe, dass römisch 40 ein sehr schlechter Mensch sei. Jeden Tag kämen viele Leute und machten in dem Haus böse Dinge. Er selbst habe Familie und junge Töchter, deshalb habe er das Haus verlassen, obwohl er dabei Geld (gemeint ist die voraus bezahlte Miete) verloren habe. Der Vater habe römisch 40 dann gefragt, warum der Mieter das Haus verlassen habe. römisch 40 habe geantwortet, das seien schlechte Menschen gewesen, sie hätten jeden Tag mit ihnen "gekämpft". All dies sei ein Plan XXXX' gewesen, der den Mieter vertrieben habe. Der Vater habe dann gesagt, er brauche Geld und werde das Haus verkaufen oder in Pacht geben (die Ausdrucksweise in der Beschwerdeschrift war unklar; der Beschwerdeführer erklärte diesen Ausdruck in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht). römisch 40 habe geantwortet, das Haus gehöre ihm und nicht dem Vater, der Vater solle nie nach römisch 40 kommen.
In der Verhandlung vom 09.05.2014 legte der Beschwerdeführer mehrere Blätter in Dari vor, die sich auf den Grundstücksstreit bezögen, weiters die Kopie einer Tazkira sowie - "zum Nachweis der generellen Problematik ungesetzlicher und gewaltsamer Eigentumseingriffe" - eine DVD (afghanisches TV). Dazu gab er an, die erste Urkunde sei die Besitzurkunde und besage, dass sein Vater Besitzer des Hauses sei. Die dritte Seite der Urkunde sei eine Bestätigung aus dem Grundbuch. Die beiden anderen Urkunden seien eine Anzeige seines Vaters beim Präsidium der Nationalen Sicherheit und die Antwort darauf. Der Vater habe gesagt, dass, wenn ihm oder seiner Familie etwas geschehe, römisch 40 schuld daran sei. Das vierte Schreiben sei ein Schreiben des Provinzialrates an das Justizpräsidium, auch im fünften und im sechsten Schreiben gehe es um das Haus. Das Bundesverwaltungsgericht ließ diese Schreiben in der Folge übersetzen.
Der Beschwerdeführer bestätigte in der Verhandlung, seine Angaben vor dem Bundesasylamt und der in englischer Sprache geschriebene Teil seiner Beschwerdeschrift träfen zu. Er gab an, er sei elf Jahre lang in römisch 40 in die Schule gegangen. Über römisch 40 habe er bei seiner Befragung durch die Polizei am 31.05.2012 - anders als am 12.06.2012 vor dem Bundesasylamt - nicht viel erzählt, weil er befürchtet habe, dadurch Probleme mit ihm zu bekommen. Erst beim Bundesasylamt, wo ihm Vertraulichkeit zugesichert worden sei, habe er erzählen können, was er über römisch 40 gewusst habe. - Sein Vater habe in römisch 40 den ersten Prozess gegen römisch 40 gewonnen, römisch 40 habe aber dagegen berufen.
Zu den unterschiedlichen Angaben, wer seinen Bruder getötet habe (römisch 40 oder die Taliban), gab der Beschwerdeführer an, römisch 40 habe seinen Bruder "über die Taliban" umgebracht. Er habe mit der Regierung und auch mit den Taliban gearbeitet. Auf welche Weise sein Bruder getötet worden sei, wisse er nicht. "Sie" hätten es so aussehen lassen, als wäre er bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Dass es sich nicht um einen solchen gehandelt habe, das habe römisch 40 gesagt, denn er habe gedroht, sollte die Familie weiter Widerstand leisten, werde er sie in den Zustand des Bruders des Beschwerdeführers bringen.
Sein Vater, gab der Beschwerdeführer weiter an, lebe derzeit mit seiner Familie in römisch 40 . Wegen der Probleme mit dem Haus fahre er manchmal nach römisch 40 und dann wieder nach römisch 40 . Der Beschwerdeführer nehme an, dass er römisch 40 bei Gericht oder bei einer Behörde sehe. Auf die Frage, ob das für den Vater nicht gefährlich sei, meinte der Beschwerdeführer, es sei bekannt, dass sein Vater mit römisch 40 ein Problem habe, daher könne römisch 40 seinem Vater nichts antun, weil die Behörde sonst wisse, wer dahinter stecke. Auf die Frage, ob römisch 40 den Vater nicht auch in römisch 40 etwas antun könne, wiederholte der Beschwerdeführer, römisch 40 habe ein Problem mit seinem Vater; wenn er ihm etwas antue, habe er nichts davon. Auf die Frage, weshalb der Beschwerdeführer dann überhaupt gefährdet sei, meinte er, römisch 40 werde seinen Vater nicht töten, sondern gehe anders gegen ihn vor: Er bedrohe ihn und seine Familie, sodass die Mutter und die Schwestern des Beschwerdeführers nicht aus dem Haus gehen könnten, und er gehe zu Gericht, damit sich die Angelegenheit in die Länge ziehe und er inzwischen vom Haus profitiere und kostenlos dort leben könne. Er drohe damit, die Mutter und die Schwestern des Beschwerdeführers zu töten. Die Hauspapiere lauteten auf den Namen des Vaters des Beschwerdeführers. römisch 40 bedrohe ihn, um ihn dazu zu bringen, dass er sein Haus auf römisch 40 überschreibe. Die Familie werde nicht nur von römisch 40 , sondern auch von anderen Personen und Regierungsorganen bedroht, die "Leute von XXXX" seien. Die Familie des Beschwerdeführers wohne seit Jänner 2012 in XXXX; die Probleme seien mehr geworden, sie würden bedroht und könnten nicht in Ruhe leben. Auf die Frage, warum der Vater das Haus nicht auf römisch 40 überschreibe, um dann Ruhe zu haben, erwiderte der Beschwerdeführer, römisch 40 habe ihn zuvor zu Unrecht beschuldigt und angeklagt, dass der Vater Gold gestohlen habe. Wenn der Vater jetzt nachgebe und römisch 40 das Haus überschreibe, bedeute das, dass der Vorwurf wegen des Gelddiebstahls zutreffe, und der Vater würde erneut eingesperrt werden und sein Haus in römisch 40 ebenso wie jenes in Kabul verlieren. - Die Familie sei aus Angst vor römisch 40 von Kabul nach römisch 40 gezogen. In römisch 40 lebe sie versteckt, römisch 40 wisse nicht, wo sie dort wohne. Wie oft sein Vater in römisch 40 bei Gericht sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Aus Angst davor, dass römisch 40 ihm jemanden nachschicke, gehe der Vater von römisch 40 nach Kabul und übernachte dort bei einem Freund; erst danach fahre er nach Hause (gemeint: nach römisch 40 ). Er selbst sei nach Europa gekommen und nicht nach römisch 40 gegangen, weil er nunmehr der älteste Sohn seines Vaters sei und Angst gehabt habe, dass ihm das Gleiche wie seinem Bruder geschehe.
Auf Fragen seines Vertreters in der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, das Haus in römisch 40 sei ein großes Einfamilienhaus. Dass dennoch ein Zimmer an römisch 40 abgegeben worden sei, erklärte er damit, dass sein Vater im Garten des Hauses ein kleines Häuschen gebaut habe, in dem römisch 40 habe wohnen dürfen. Das Grundstück mit dem Haus sei ungefähr 500.000 Dollar wert. römisch 40 sei ein Paschtune aus römisch 40 . Der Beschwerdeführer gab den Namen des Friedhofes an, auf dem sein Bruder bestattet worden sei; sein Vater, ein Freund, nahe Verwandte und der Beschwerdeführer selbst seien bei der Beerdigung anwesend gewesen. römisch 40 sei sehr mächtig gewesen und habe viele Beziehungen gehabt, deshalb wäre es schwierig gewesen, sich an eine andere Institution oder an ein anderes Gericht zu wenden. römisch 40 arbeite noch auf der Regierungsseite. Sein Vater habe als römisch 40 und später als römisch 40 , seine Mutter als römisch 40 und auch als römisch 40 gearbeitet. Sein Großvater väterlicherseits habe für das römisch 40 gearbeitet, jener mütterlicherseits bei einer römisch 40 , beide seien nebenher römisch 40 gewesen. Beide seien schon verstorben. Wann der Großvater väterlicherseits beim römisch 40 gearbeitet habe, wisse er nicht. Sein Vater und dessen Vater seien nicht bei einer politischen Partei gewesen. Seine Familie interessiere sich nicht für Politik und wolle damit nichts zu tun haben.
Das Haus in römisch 40 habe der Beschwerdeführer nie gesehen, er kenne aber die ungefähre Adresse.
Der Beschwerdeführer erklärte sich damit einverstanden, dass der Sachverständige vor Ort Nachforschungen unternehme. Dazu machte er weitere Angaben zu seinen Wohnadressen und zu den Namen und der Herkunft seiner Großväter und kündigte an, die Telefonnummern eines Freundes des Vaters und allenfalls weiterer Verwandter demnächst bekanntzugeben. Dies geschah in der Folge.
Am 03.08.2014 erstattete der Sachverständige sein schriftliches Gutachten. Seine Mitarbeiter hätten in Kabul und römisch 40 nachgeforscht und Informationen zum Streitfall mit römisch 40 und über die Herkunft der Familie des Beschwerdeführers aus Kabul gesammelt. Sie stamme ursprünglich aus Kabul und befinde sich seit dem Sturz des kommunistischen Regimes in römisch 40 in Pakistan. Sein Vater komme seit dem Sturz der Taliban immer wieder nach Afghanistan, treffe sich mit den Mietern seiner Häuser in Kabul und in römisch 40 und kehre bald wieder nach römisch 40 zurück. Die Angaben des Beschwerdeführers, dass sein Vater wegen seines Hauses in römisch 40 mit einem Mann namens römisch 40 Probleme gehabt habe und dass seine Familie weiterhin von römisch 40 bedroht werde, hätten die Mitarbeiter des Sachverständigen bestätigt. römisch 40 , der mit vollem Namen römisch 40 heiße, habe ihnen bestätigt, dass er tatsächlich im Hause des Großvaters des Beschwerdeführers gearbeitet habe, und habe behauptet, das Haus habe inzwischen ihm gehört. Der Vater des Beschwerdeführers habe mit ihm prozessiert und mit Hilfe eines mächtigeren Mannes sein Haus von ihm zurückbekommen. Aber römisch 40 bestehe darauf, dass das Haus irgendwann wieder ihm gehören werde. Diese Behauptung werde von den Mitarbeitern des Sachverständigen als eine Art Drohung gegen die Familie des Beschwerdeführers verstanden. Daraufhin hätten sie den Mann aufgesucht, der dem Vater des Beschwerdeführers geholfen habe, sein Haus zurückzubekommen, und mit ihm ein Gespräch geführt. Er sei ein mächtiger ehemaliger Mujaheddin-Kommandant, der das Haus vom Vater des Beschwerdeführers gemietet habe und mit seiner Truppe dort wohne. Er handle mit Treibstoff, habe einen Vertrag mit dem Innenministerium und beliefere es mit Treibstoff.
Der Vater des Beschwerdeführers habe nur einen Sohn; es sei nicht bestätigt worden, dass ein Bruder des Beschwerdeführers von römisch 40 getötet worden sei. Der Vater des Beschwerdeführers habe einen Bruder im Ausland, über den nichts Genaueres in Erfahrung zu bringen gewesen sei. Es werde bestätigt, dass römisch 40 Aggressionen gegen den Vater des Beschwerdeführers entwickelt habe und ihn mehrmals mit dem Tod bedroht habe. Er habe es einmal geschafft, ihn ins Gefängnis zu bringen.
Der Sachverständige führte weiter aus, er habe mit dem Vater des Beschwerdeführers ein Telefongespräch geführt. Der Vater habe angegeben, dass er und seine Frau in Afghanistan römisch 40 studiert und anschließend als Beamte an der Universität gearbeitet hätten. Später sei seine Frau römisch 40 und auch Mitglied der römisch 40 geworden. Er selbst sei dann zum Militärdienst beordert worden, habe den Rang eines Leutnants erhalten und in der römisch 40 gearbeitet, die vom römisch 40 herausgegeben worden sei. Der Vater des Beschwerdeführers habe vehement bestritten, Mitglied der VDPA (der Volksdemokratischen Partei Afghanistans, also der kommunistischen Partei) gewesen zu sein; er sei zufällig zu dieser römisch 40 gekommen. Diese Version könne, so der Sachverständige, nicht zutreffen. Der Vater müsse Mitglied der VDPA gewesen sein, da er sonst nicht römisch 40 eines römisch 40 geworden wäre. Der Sachverständige gehe davon aus, dass der Vater des Beschwerdeführers sich während seiner Tätigkeit für das kommunistische Regime sehr engagiert und in Verruf gebracht habe. Es sei nicht auszuschließen, dass er und seine Frau in dieser Zeit Menschen geschädigt hätten. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass sich die Mutter des Beschwerdeführers damals besonders für Frauenfragen engagiert habe. Möglicherweise habe sie sich so modern und offen verhalten, dass sie sich nun nicht mehr in Kabul blicken lasse und auch sich vielleicht davor fürchte, Opfer von Racheakten zu werden. Denn sie sei in der kommunistischen Zeit Mitarbeiterin der römisch 40 gewesen, weiters römisch 40 und Mitglied der römisch 40 . - Der Sachverständige habe auch mit der "Tante" des Beschwerdeführers in Deutschland telefoniert, sie habe bestätigt, dass die Mutter des Beschwerdeführers in den Bürgerkriegsjahren von der Hezb-e Islami bedroht worden sei und sich die Familie des Beschwerdeführers auch deshalb in Pakistan aufhalte. Nach ihren Angaben seien die meisten weitschichtigen Verwandten des Beschwerdeführers im Ausland. Deshalb habe der Beschwerdeführer keinen Familienanschluss in Afghanistan mehr. Seine Familie sei eine alteingesessene moderne Kabuler Familie gewesen. Sein Großvater (väterlicherseits) sei unter dem König mehrmals römisch 40 gewesen, sein Großvater mütterlicherseits auch hoher Beamter der Monarchie.
Der Sachverständige fasste zusammen, dass die Familie des Beschwerdeführers eine "Konfliktfamilie" sei, dh. eine Familie, deren Mitglieder sich in den Kriegsjahren für eine der Kriegsparteien so engagiert hätten, dass dadurch Personen zu Schaden gekommen seien. Damit sei die Grundlage dafür geschaffen, dass Mitglieder dieser Familie von Racheakten betroffen seien. Darüber hinaus habe sich der Vater des Beschwerdeführers im Streit über das Haus mit römisch 40 angelegt, der sich von ihm ungerecht behandelt fühle, denn er habe das Haus Jahrzehnte bewohnt und sehe nicht ein, dass der Vater des Beschwerdeführers gegen ihn prozessiere und ihm das Haus mit Hilfe eines mächtigen Kommandanten weggenommen habe.
Dieses Gutachten wurde den Parteien des Verfahrens am 03.09.2014 schriftlich vorgehalten. Der Beschwerdeführer behauptete in seiner Stellungnahme vom 22.09.2014, das Gutachten stehe "weitestgehend" mit seinen Angaben im Einklang. Er stamme nachweislich aus einer so genannten "Konfliktfamilie", es sei daher im Falle seiner Rückkehr von "politisch motivierter Verfolgung" auszugehen. Seine Eltern seien nachweislich politisch in vielfältiger Weise tätig gewesen, die Vorfahren in hohen Ämtern zur Zeit der Monarchie. Nach den "Feststellungen" des Sachverständigen sei die Mutter des Beschwerdeführers zudem in den Bürgerkriegsjahren bereits von der Hezb-e Islami bedroht worden. Dem Beschwerdeführer werde allein auf Grund seiner Familienzugehörigkeit eine politische Gesinnung unterstellt bzw. sei "von einer auf ihn durchschlagenden politisch motivierten Verfolgung" und damit von Lebensgefahr auszugehen.
Der Sachverständige ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, er hat in Kabul das Gymnasium absolviert, in Wien Politikwissenschaft studiert und war in den neunziger Jahren an mehreren Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Befriedung Afghanistans beteiligt. Er hat Werke über die politische Lage in Afghanistan verfasst und verfügt dort über zahlreiche Kontakte, ist mit den dortigen Gegebenheiten vertraut und recherchiert dort selbst - auch für den Asylgerichtshof und für das Bundesverwaltungsgericht - immer wieder (zuletzt im Jänner 2015). Darüber hinaus hat er an der Universität Wien Lehrveranstaltungen abgehalten, die sich mit Afghanistan beschäftigen. Auf Grund seiner Sachkenntnis wurde er bereits in vielen Verfahren als Gutachter herangezogen; er hat im Auftrag des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten zur aktuellen Lage in Afghanistan erstattet.
Auf Grund des schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachtens des Sachverständigen geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan gefährdet ist, weil sich seine Eltern politisch betätigt und dabei vermutlich anderen Menschen geschadet haben. Er ist daher von Racheakten bedroht, die sich nicht nur gegen seine Eltern, sondern auch gegen deren Verwandte, also ihn selbst, richten können.
Daran ändert es nichts, dass sich der Sachverhalt keineswegs so darstellt, wie ihn der Beschwerdeführer ursprünglich angegeben hatte. (Er hatte ja angegeben, seine Familie habe sich nie für Politik interessiert, und das Schwergewicht auf die behauptete Verfolgung durch römisch 40 gelegt, dabei aber wieder angegeben, römisch 40 könne seinem Vater nicht unmittelbar schaden, weil die Behörde ihn sofort als Täter verdächtigen würde - somit ein Hinweis auf das Funktionieren staatlicher Schutzgewährung.)
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1.1. Gemäß Paragraph 75, Absatz 19, AsylG 2005 in der Fassung des FNG-Anpassungsgesetzes Bundesgesetzblatt Teil eins, 68 aus 2013, sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Paragraph 75, Absatz 20, AsylG 2005 in der Fassung des FNG-Anpassungsgesetzes zu Ende zu führen.
Gemäß Paragraph 73, Absatz eins, AsylG 2005 in der Fassung ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß Paragraph 75, Absatz eins, AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
3.1.2. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen. Da es am 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängig war, ist es vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.
3.2. Gemäß Paragraph eins, Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Artikel eins, BG Bundesgesetzblatt Teil eins, 33 aus 2013, (in der Folge: VwGVG), in der Fassung BG Bundesgesetzblatt Teil eins, 122 aus 2013, ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, in Kraft. Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner Paragraphen eins bis 5 und seines römisch IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-Verfahrensgesetzes (Artikel 2, FNG) in der Fassung des Artikel 2, FNG-Anpassungsgesetz und des BG Bundesgesetzblatt Teil eins, 144 aus 2013, (in der Folge: BFA-VG) anzuwenden. (So enthalten zB Paragraph 16, Absatz eins, zweiter Satz und Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG ausdrücklich Sonderbestimmungen gegenüber dem VwGVG.)
Gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß Paragraph 28, Absatz 3, VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß Paragraph 6, Bundesverwaltungsgerichtsgesetz Bundesgesetzblatt Teil eins, 10 aus 2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.
Zu A)
1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 55 aus 1955, (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 Nr. L 337/9 [Statusrichtlinie - Neufassung] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (Paragraph 6, AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK in der Fassung des Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge Bundesgesetzblatt 78 aus 1974,) - deren Bestimmungen gemäß Paragraph 74, AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." vergleiche VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist vergleiche zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde vergleiche VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse vergleiche VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vergleiche auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein vergleiche dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Gemäß Paragraph 3, Absatz 3, Ziffer eins und Paragraph 11, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK vorliegen kann vergleiche zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 zB VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß Paragraph 74, AsylG 2005 unberührt bleiben - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539; vergleiche VwGH 17.3.2009, 2007/19/0459).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793¿19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat vergleiche VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen vergleiche VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101).
1.2. Es ist dem Beschwerdeführer gelungen, (drohende) Verfolgung glaubhaft zu machen. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass sich die Eltern des Beschwerdeführers in der Zeit der kommunistischen Regierung in Afghanistan politisch besonders stark engagiert und dabei möglicherweise anderen Menschen geschadet haben. In einem solchen Fall ist zu befürchten, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Nachkommen, so der Beschwerdeführer, mit Verfolgung durch die Leute, denen sie geschadet haben, oder deren Verwandte zu rechnen haben. Dies ist zwar nicht gesichert, aber gleichsam glaubhaft gemacht, wenn auch nicht unmittelbar durch den Beschwerdeführer, sondern durch die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens. Verschärft wird diese Situation durch den Streit, in den sich der Vater des Beschwerdeführers mit dem mehrmals genannten römisch 40 eingelassen hat. Diese Verfolgung droht dem Beschwerdeführer praktisch überall in Afghanistan. Nach den Feststellungen zu diesem Land kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihm dort ausreichender staatlicher Schutz zuteil würde.
Diese Verfolgung, die der Beschwerdeführer zu befürchten hat, wurzelt in einem der in der GFK genannten Gründe, und zwar in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der Familienangehörigen des Täters vergleiche T Alexander Aleinikoff, Protected characteristics and social perceptions: an analysis of the meaning of 'membership of a particular social group', in:
Feller/Türk/Nicholson [Hg.], Refugee Protection in International Law. UNHCR's Global Consultations on International Protection, Cambridge 2003, 263 [276, 306]; weiters VwGH 26.2.2002, 2000/20/0517; 12.3.2002, 2001/01/0399; 3.7.2003, 2001/20/0219 [nur unter dem Gesichtspunkt des "offensichtlichen" Fehlens eines Konventionsgrundes iSd Paragraph 6, Ziffer 2, AsylG 1997]; 16.4.2002, 99/20/0430;
14.1.2003, 2001/01/0508; 3.7.2003, 2001/20/0040; 17.9.2003, 2000/20/0137; 17.9.2003, 2001/20/0292; 24.6.2004, 2002/20/0165;
22.8.2006, 2006/01/0251; 17.10.2006, 2005/20/0198; 21.3.2007, 2006/19/0083; 21.3.2007, 2006/19/0390; 4.3.2008, 2006/19/0358;
26.5.2009, 2007/01/007; 15.12.2010, 2007/19/0265; 16.12.2010, 2007/20/1490). Denn der Beschwerdeführer wird nicht deshalb verfolgt, weil er jemandem etwas zuleide getan hat, sondern weil er mit jemandem verwandt ist, dem Verletzungen vorgeworfen werden und der vermutlich die Blutrache herausgefordert hat. Auf die Frage, welchem Konventionsgrund die "politisch motivierte[] Verfolgung" oder eine auf den Beschwerdeführer "durchschlagende[n] politisch motivierte[n] Verfolgung" zuzuordnen wäre, von welcher der - rechtsfreundlich vertretene - Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme spricht, ist nicht weiter einzugehen.
Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Familie seiner Eltern, außerhalb Afghanistans aufhält und dass auch keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
2. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen; in vielen Punkten steht die Tatfrage im Vordergrund.
ECLI:AT:BVWG:2015:W199.1427595.1.00