BUNDESGESETZBLATT
FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH

Jahrgang 2023

Ausgegeben am 19. Juli 2023

Teil I

79. Bundesgesetz:

Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz

(NR: GP XXVII RV 2094 AB 2156 S. 226. BR: AB 11289 S. 957.)

79. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz – VirtGesG) erlassen wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Bundesgesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz – VirtGesG)

Allgemeine Bestimmungen

Paragraph eins,

  1. Absatz einsDieses Bundesgesetz gilt für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, kleine Versicherungsvereine und Sparkassen („Gesellschaften“). Der Begriff „Gesellschafter“ umfasst auch Aktionäre und Mitglieder, der Begriff „Gesellschaftsvertrag“ umfasst auch die Satzung und die Statuten. Der Begriff „Teilnehmer“ umfasst neben den Gesellschaftern auch alle sonstigen zur Teilnahme an der Versammlung berechtigten oder verpflichteten Personen.
  2. Absatz 2Im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft im Sinn des Absatz eins, kann vorgesehen werden, dass eine Versammlung von Gesellschaftern nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt werden kann („virtuelle Versammlung“). Dabei ist auch zu regeln, ob die Versammlungen von Gesellschaftern stets virtuell durchzuführen sind oder ob das einberufende Organ über die Form der Durchführung entscheidet.
  3. Absatz 3Eine virtuelle Versammlung ist als einfache virtuelle Versammlung (Paragraph 2,) durchzuführen. Hat die Versammlung einen Leiter, so kann im Gesellschaftsvertrag auch vorgesehen werden, dass stets eine moderierte virtuelle Versammlung (Paragraph 3,) durchzuführen ist oder dass die Entscheidung, ob eine einfache oder eine moderierte virtuelle Versammlung durchgeführt wird, dem einberufenden Organ überlassen wird.
  4. Absatz 4Im Gesellschaftsvertrag kann auch vorgesehen werden, dass stets eine Versammlung durchzuführen ist, bei der sich die einzelnen Teilnehmer zwischen einer physischen und einer virtuellen Teilnahme entscheiden können („hybride Versammlung“) oder dass die Entscheidung, ob eine hybride Versammlung durchgeführt wird, dem einberufenden Organ überlassen wird.
  5. Absatz 5Soweit sich organisatorische und technische Festlegungen für eine virtuelle oder hybride Versammlung nicht aus dem Gesetz oder Gesellschaftsvertrag ergeben, sind sie vom einberufenden Organ zu treffen.
  6. Absatz 6Ist nach Absatz 2 bis 5 das einberufende Organ zur Entscheidung berufen, so hat es bei dieser die Interessen der Gesellschaft sowie der Teilnehmer angemessen zu berücksichtigen. Bei der Durchführung einer virtuellen oder hybriden Versammlung hat das einberufende Organ den Teilnehmern den barrierefreien Zugang zu dieser zu gewährleisten.
  7. Absatz 7Soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, gelten für die Einberufung und die Durchführung einer virtuellen oder hybriden Versammlung dieselben gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Regelungen wie für eine sonstige Versammlung dieser Art.
  8. Absatz 8Durch dieses Bundesgesetz werden gesetzliche oder gesellschaftsvertragliche Regelungen, nach denen die Durchführung einer Versammlung von Gesellschaftern oder Organmitgliedern ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer zulässig ist, nicht berührt.

Einfache virtuelle Versammlung

Paragraph 2,

  1. Absatz einsDie Durchführung einer einfachen virtuellen Versammlung ist zulässig, wenn eine Teilnahmemöglichkeit an der Versammlung mittels einer akustischen und optischen Zweiweg-Verbindung in Echtzeit besteht. Dabei muss es jedem Gesellschafter möglich sein, sich zu Wort zu melden, an allen Abstimmungen teilzunehmen und gegebenenfalls Widerspruch zu erheben.
  2. Absatz 2In der Einberufung der virtuellen Versammlung ist anzugeben, welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen für die Teilnahme an der virtuellen Versammlung bestehen.
  3. Absatz 3Wenn bei einer virtuellen Versammlung Anlass zu Zweifeln an der Identität eines Teilnehmers besteht, so hat die Gesellschaft seine Identität auf geeignete Weise zu überprüfen.
  4. Absatz 4Die Gesellschaft ist für den Einsatz von technischen Kommunikationsmitteln nur insoweit verantwortlich, als diese ihrer Sphäre zuzurechnen sind.

Moderierte virtuelle Versammlung

Paragraph 3,

  1. Absatz einsDie Durchführung einer moderierten virtuellen Versammlung ist nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig.
  2. Absatz 2Die Versammlung wird für die Teilnehmer optisch und akustisch in Echtzeit übertragen.
  3. Absatz 3Die Gesellschafter haben während der Versammlung jederzeit die Möglichkeit, sich im Weg elektronischer Kommunikation zu Wort zu melden. Wird einem Gesellschafter das Wort erteilt, ist ihm eine Redemöglichkeit im Weg der Videokommunikation zu gewähren.
  4. Absatz 4Bei allen Abstimmungen können die Gesellschafter ihr Stimmrecht im Weg elektronischer Kommunikation ausüben und auf diese Weise gegebenenfalls auch Widerspruch erheben.
  5. Absatz 5Paragraph 2, Absatz 2 bis 4 gelten sinngemäß.

Hybride Versammlung

Paragraph 4,

  1. Absatz einsDie Durchführung einer hybriden Versammlung ist nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig.
  2. Absatz 2Die einzelnen Teilnehmer können zwischen einer physischen und einer virtuellen Teilnahme an der Versammlung entscheiden. Für die virtuelle Teilnahme gelten die Bestimmungen für einfache virtuelle Versammlungen (Paragraph 2,) bzw. für moderierte virtuelle Versammlungen (Paragraph 3,) sinngemäß.
  3. Absatz 3Es ist zu gewährleisten, dass physische und virtuelle Teilnehmer gleichwertig behandelt werden.

Sonderbestimmung für börsenotierte Aktiengesellschaften

Paragraph 5,

  1. Absatz einsFür die Durchführung einer virtuellen oder hybriden Hauptversammlung in einer börsenotierten Aktiengesellschaft (Paragraph 3, AktG) sind zusätzlich zu den Paragraphen 2,, 3 oder 4 die folgenden Absätze maßgeblich.
  2. Absatz 2Wenn die Informationen gemäß Paragraph 2, Absatz 2, in der Einberufung der Hauptversammlung der Gesellschaft noch nicht enthalten sind, so ist es ausreichend, wenn diese Informationen ab dem 21. Tag vor der Hauptversammlung gemäß Paragraph 108, Absatz 3 bis 5 AktG bereitgestellt werden und dies in der Einberufung angekündigt wird.
  3. Absatz 3Unbeschadet der Möglichkeit einer Wortmeldung in der Hauptversammlung gemäß Paragraph 2, Absatz eins, oder Paragraph 3, Absatz 3, stellt die Gesellschaft den Aktionären einen elektronischen Kommunikationsweg zur Verfügung, auf dem sie vom Zeitpunkt der Einberufung bis zum dritten Werktag oder einem festzusetzenden späteren Zeitpunkt vor Beginn der Versammlung Fragen und Beschlussanträge an die Gesellschaft übermitteln können. Für die Informationen über diesen Kommunikationsweg gilt Absatz 2, sinngemäß. Die auf diesem Weg gestellten Fragen und Beschlussanträge sind in der Versammlung zu verlesen oder den Teilnehmern auf andere geeignete Weise zur Kenntnis zu bringen.
  4. Absatz 4Die Gesellschaft stellt auf ihre Kosten den Aktionären zumindest zwei besondere Stimmrechtsvertreter zur Verfügung. Dabei handelt es sich um dafür geeignete und von der Gesellschaft unabhängige Personen, die von den Aktionären zur Stellung von Beschlussanträgen, zur Stimmabgabe und gegebenenfalls zur Erhebung eines Widerspruchs in der virtuellen oder hybriden Hauptversammlung bevollmächtigt werden können. Für die Informationen über die besonderen Stimmrechtsvertreter gilt Absatz 2, sinngemäß.
  5. Absatz 5Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Hauptversammlung öffentlich übertragen wird.
  6. Absatz 6Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre ihre Stimmen schon bis zu einem festzusetzenden Zeitpunkt vor der Hauptversammlung auf elektronischem Weg abgeben können. Die betreffenden Aktionäre können ihre Stimmabgabe bis zur Abstimmung in der virtuellen oder hybriden Hauptversammlung widerrufen und allenfalls erneut abstimmen. Im Übrigen gilt Paragraph 126, AktG sinngemäß.
  7. Absatz 7Wurde die ordentliche Hauptversammlung nach diesem Bundesgesetz virtuell durchgeführt, so können Aktionäre, deren Anteile zusammen fünf vom Hundert des Grundkapitals erreichen, bis zum Ende des Geschäftsjahres die Einberufung der nächsten ordentlichen Hauptversammlung in einer Form verlangen, die eine physische Teilnahme der Aktionäre ermöglicht. Paragraph 105, Absatz 3, zweiter und dritter Satz sowie Absatz 4, AktG gelten sinngemäß.
  8. Absatz 8Die Satzungsbestimmung, die eine Durchführung virtueller oder hybrider Versammlungen vorsieht oder die Entscheidung hierüber dem einberufenden Organ überlässt (Paragraph eins, Absatz 2, bis 4), ist auf längstens fünf volle Geschäftsjahre zu befristen.

Sprachliche Gleichbehandlung

Paragraph 6,

Soweit in diesem Bundesgesetz Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise. Bei der Anwendung der Bezeichnung auf bestimmte natürliche Personen ist die jeweils geschlechtsspezifische Form zu verwenden.

Vollziehung

Paragraph 7,

Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist die Bundesministerin für Justiz betraut.

Inkrafttreten

Paragraph 8,

  1. Absatz einsDieses Bundesgesetz tritt mit 14. Juli 2023 in Kraft.
  2. Absatz 2Die Bundesministerin für Justiz hat im Jahr 2028 auf der Grundlage der Auswirkungen der Durchführung von virtuellen und hybriden Gesellschafterversammlungen nach diesem Bundesgesetz und der Erfahrungen in anderen vergleichbaren EU-Mitgliedstaaten die Zweckmäßigkeit der Möglichkeit zur Durchführung solcher Versammlungen zu prüfen und darüber dem Nationalrat zu berichten.

Van der Bellen

Nehammer