BUNDESGESETZBLATT
FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH

Jahrgang 2004

Ausgegeben am 15. November 2004

Teil I

125. Bundesgesetz:

Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2005 – StEG 2005

(NR: GP römisch XXII RV 618 AB 636 S. 78. BR: 7130 AB 7133 S. 714.)

125. Bundesgesetz über den Ersatz von Schäden aufgrund einer strafgerichtlichen Anhaltung oder Verurteilung (Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2005 - StEG 2005)

Der Nationalrat hat beschlossen:

1. Abschnitt

Anwendungsbereich

Paragraph eins,

  1. Absatz einsDer Bund haftet nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für den Schaden, den eine Person durch den Entzug der persönlichen Freiheit zum Zweck der Strafrechtspflege oder durch eine strafgerichtliche Verurteilung erlitten hat.
  2. Absatz 2Die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes (AHG), Bundesgesetzblatt Nr. 20 aus 1949,, bleiben unberührt.

2. Abschnitt

Ersatzpflicht des Bundes

Ersatzanspruch

Paragraph 2,

  1. Absatz einsEin Ersatzanspruch nach Paragraph eins, Absatz eins, steht nur einer Person zu, die
    1. Ziffer eins
      durch eine inländische Behörde oder eines ihrer Organe zum Zweck der Strafrechtspflege oder auf Grund der Entscheidung eines inländischen Strafgerichts gesetzwidrig festgenommen oder angehalten wurde (gesetzwidrige Haft);
    2. Ziffer 2
      wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung festgenommen oder in Haft gehalten wurde und in der Folge durch ein inländisches Strafgericht freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wurde (ungerechtfertigte Haft) oder
    3. Ziffer 3
      durch ein inländisches Strafgericht nach Wiederaufnahme oder Erneuerung des Verfahrens oder sonstiger Aufhebung eines früheren Urteils freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt oder neuerlich verurteilt wurde, sofern in diesem Fall eine mildere Strafe verhängt wurde oder eine vorbeugende Maßnahme entfiel oder durch eine weniger belastende Maßnahme ersetzt wurde (Wiederaufnahme).
  2. Absatz 2Das Organ, das der geschädigten Person den Schaden zufügte, haftet ihr nicht.

Ausschluss und Einschränkung des Ersatzanspruchs

Paragraph 3,

  1. Absatz einsEine Haftung des Bundes ist ausgeschlossen, soweit
    1. Ziffer eins
      in den Fällen der gesetzwidrigen Haft, der ungerechtfertigten Haft und der Wiederaufnahme mit einer nachfolgenden milderen Strafe oder weniger belastenden Maßnahme die Zeit der Anhaltung auf eine Strafe angerechnet wurde;
    2. Ziffer 2
      im Fall der ungerechtfertigten Haft die geschädigte Person nur deshalb nicht verfolgt wurde, weil die Ermächtigung zur oder der Antrag auf Strafverfolgung zurückgenommen wurde oder die Strafbarkeit der Tat aus Gründen entfiel, die erst nach der Festnahme oder Anhaltung eintraten;
    3. Ziffer 3
      im Fall der ungerechtfertigten Haft die geschädigte Person nur deshalb nicht verfolgt wurde, weil sie die Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen hatte oder
    4. Ziffer 4
      im Fall der Wiederaufnahme an die Stelle der aufgehobenen Entscheidung nur deshalb eine günstigere trat, weil inzwischen das Gesetz geändert worden ist.
  2. Absatz 2In den Fällen der ungerechtfertigten Haft und der Wiederaufnahme kann das Gericht die Haftung des Bundes mindern oder auch ganz ausschließen, soweit ein Ersatz unter Bedachtnahme auf die Verdachtslage zur Zeit der Festnahme oder Anhaltung, auf die Haftgründe und auf die Gründe, die zum Freispruch oder zur Einstellung des Verfahrens geführt haben, unangemessen wäre. Ist die geschädigte Person aber in einem Strafverfahren gemäß Paragraph 259, Ziffer 3, der Strafprozessordnung 1975 (StPO), Bundesgesetzblatt Nr. 631 aus 1975,, freigesprochen worden, so kann dabei die Verdachtslage nicht berücksichtigt werden.
  3. Absatz 3Die Haftung des Bundes kann jedoch im Fall der gesetzwidrigen Haft weder ausgeschlossen noch gemindert werden, wenn die Festnahme oder Anhaltung unter Verletzung der Bestimmungen des Artikel 5, der Europäischen Menschenrechtskonvention, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, Bundesgesetzblatt Nr. 684 aus 1988,, erfolgte.

Mitverschulden

Paragraph 4,

  1. Absatz einsDie Haftung des Bundes kann wegen eines Mitverschuldens nach Paragraph 1304, des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB), JGS Nr. 936/1811, eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn die geschädigte Person an ihrer Festnahme oder Anhaltung ein Verschulden trifft, insbesondere weil sie
    1. Ziffer eins
      den Verdacht oder einen Haftgrund dadurch herbeiführte, dass sie sich in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu einer späteren Verantwortung belastete oder wesentliche entlastende Umstände verschwieg oder sonst gegen die Festnahme oder Anhaltung sprechende Gründe nicht vorbrachte,
    2. Ziffer 2
      eine ordnungsgemäße Ladung nicht befolgte oder
    3. Ziffer 3
      gelinderen Mitteln zuwider handelte.
  2. Absatz 2Die Haftung des Bundes kann jedoch im Fall der gesetzwidrigen Haft aufgrund eines Mitverschuldens der geschädigten Person weder ausgeschlossen noch gemindert werden, wenn die Festnahme oder Anhaltung unter Verletzung der Bestimmungen des Artikel 5, der Europäischen Menschenrechtskonvention, Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, Bundesgesetzblatt Nr. 684 aus 1988,, erfolgte.

Gegenstand des Ersatzes

Paragraph 5,

  1. Absatz einsDer Gegenstand und der Umfang des Ersatzes richten sich nach den Bestimmungen des ABGB. Der Schaden ist nur in Geld zu ersetzen.
  2. Absatz 2Der Ersatzanspruch wegen des Entzugs der persönlichen Freiheit umfasst auch eine angemessene Entschädigung für die durch die Festnahme oder die Anhaltung erlittene Beeinträchtigung. Bei der Beurteilung der Angemessenheit sind die Dauer der Anhaltung sowie die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person und deren Änderung durch die Festnahme oder Anhaltung zu berücksichtigen.
  3. Absatz 3Ein Ersatzanspruch nach Paragraph eins, Absatz eins, unterliegt keiner bundesgesetzlich geregelten Abgabe.

Beschränkung der Verfügbarkeit

Paragraph 6,

Ein Ersatzanspruch nach Paragraph eins, Absatz eins, ist Exekutions- oder Sicherungsmaßnahmen entzogen, außer zugunsten einer Forderung auf Leistung des gesetzlichen Unterhalts oder auf Ersatz von Unterhaltsaufwendungen, die die geschädigte Person nach dem Gesetz selbst hätte machen müssen (§ 1042 ABGB). Soweit Exekutions- und Sicherungsmaßnahmen ausgeschlossen sind, ist auch jede Verpflichtung und Verfügung der geschädigten Person durch Abtretung, Anweisung, Verpfändung oder durch ein anderes Rechtsgeschäft unter Lebenden unwirksam.

Rückersatz

Paragraph 7,

Hat der Bund der geschädigten Person den Schaden ersetzt, so kann er von Personen, die als seine Organe gehandelt und den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben, Rückersatz begehren. Auf den Rückersatzanspruch sind die Paragraphen 3,, 4, 5 und 6 Absatz 2, AHG anzuwenden.

Verjährung

Paragraph 8,

  1. Absatz einsEin Ersatzanspruch nach Paragraph eins, Absatz eins, verjährt in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der geschädigten Person die anspruchsbegründenden Voraussetzungen bekannt geworden sind, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft der Entscheidung oder Verfügung, aus der der Ersatzanspruch abgeleitet wird. Sind der geschädigten Person diese Voraussetzungen nicht bekannt geworden oder ist der Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung entstanden, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, so verjährt ein solcher Ersatzanspruch erst in zehn Jahren nach der Festnahme oder der Anhaltung.
  2. Absatz 2Die Verjährung wird durch eine Aufforderung gemäß Paragraph 9, für die dort bestimmte Frist oder, wenn die Aufforderung innerhalb dieser Frist beantwortet wird, bis zur Zustellung der Antwort an die geschädigte Person gehemmt. Gleiches gilt bei Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zum Nachteil der geschädigten Person (Paragraph 11,) bis zur Rechtskraft der Entscheidung im wiederaufgenommenen Strafverfahren.

3. Abschnitt

Verfahren

Aufforderungsverfahren

Paragraph 9,

  1. Absatz einsDie geschädigte Person soll den Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, zunächst schriftlich auffordern, ihr binnen drei Monaten eine Erklärung zukommen zu lassen, ob er den Ersatzanspruch anerkennt oder ganz oder zum Teil ablehnt. Das zur Entscheidung über den Ersatzanspruch berufene Gericht kann der geschädigten Person für dieses Aufforderungsverfahren nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO), RGBl. Nr. 113/1895, über die Verfahrenshilfe einen Rechtsanwalt beigeben.
  2. Absatz 2Hat die geschädigte Person den Bund zur Anerkennung eines Anspruchs nicht oder nicht hinreichend deutlich aufgefordert oder die Klage vor Ablauf der Frist von drei Monaten erhoben oder den Anspruch erst im Lauf eines Rechtsstreits geltend gemacht, so steht dem Bund, soweit er den Ersatzanspruch anerkennt oder erfüllt, für die Dauer von drei Monaten ab Geltendmachung, längstens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung, Kostenersatz nach Paragraph 45, ZPO zu.
  3. Absatz 3Der Bundesminister für Justiz kann mit Verordnung die näheren Anforderungen an das Aufforderungsschreiben der geschädigten Person sowie die für die Mitwirkung der Gerichte und Staatsanwaltschaften zur Vorbereitung der Grundlagen für die Entscheidung über die Berechtigung eines Ersatzanspruchs erforderlichen Regelungen erlassen.

Bindung

Paragraph 10,

Jede rechtskräftige Entscheidung eines inländischen Gerichts, mit der die Rechtswidrigkeit einer Festnahme oder Anhaltung ausgesprochen wird, ist für das weitere Verfahren über einen Ersatzanspruch nach Paragraph eins, Absatz eins, bindend. Gleiches gilt für ein endgültiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in dem ausgesprochen wird, dass das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

Auswirkungen einer Wiederaufnahme

Paragraph 11,

  1. Absatz einsWird ein Strafverfahren zum Nachteil der geschädigten Person wiederaufgenommen, so ist die Erklärung nach Paragraph 9, Absatz eins, oder die Zahlung einer anerkannten Entschädigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des wiederaufgenommenen Strafverfahrens aufzuschieben. Die Finanzprokuratur hat hievon die geschädigte Person zu verständigen. Vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im wiederaufgenommenen Strafverfahren kann der Entschädigungsanspruch nicht mit Klage geltend gemacht werden. Ein bereits anhängiger Rechtsstreit ist vom Gericht zu unterbrechen.
  2. Absatz 2Nach Rechtskraft der Entscheidung im wiederaufgenommenen Strafverfahren sind die nach Abs. 1 aufgeschobenen Rechtshandlungen nachzuholen, das unterbrochene Gerichtsverfahren fortzusetzen oder bereits geleistete Entschädigungen zurückzufordern, sofern die geschädigte Person diese Beträge nicht gutgläubig verbraucht hat.
  3. Absatz 3Das Gericht, das über den Antrag auf Wiederaufnahme zu entscheiden hat, hat unverzüglich die Finanzprokuratur vom Einlangen dieses Antrags zu verständigen.

Verfahren

Paragraph 12,

  1. Absatz einsAuf das Verfahren gegen den Bund und das Rückersatzverfahren gegen ein Organ sind die Paragraphen 9,, 10, 13 und 14 AHG anzuwenden.
  2. Absatz 2Die geschädigte Person kann einen Ersatzanspruch nach Paragraph eins, Absatz eins, gegen das Organ, das ihr den Schaden zufügte, im ordentlichen Rechtsweg nicht geltend machen.

4. Abschnitt

Schluss- und Übergangsbestimmungen

In- und Außer-Kraft-Treten

Paragraph 13,

  1. Absatz einsDieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2005 in Kraft.
  2. Absatz 2Mit Ablauf des 31. Dezember 2004 tritt das Bundesgesetz vom 8. Juli 1969, Bundesgesetzblatt Nr. 270, über die Entschädigung für strafgerichtliche Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches Entschädigungsgesetz - StEG) außer Kraft.

Übergangsbestimmungen

Paragraph 14,

  1. Absatz einsDieses Bundesgesetz ist anzuwenden, wenn
    1. Ziffer eins
      eine vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes begonnene Anhaltung in den Fällen der gesetzwidrigen Haft oder der ungerechtfertigten Haft nach dem 31. Dezember 2004 geendet hat;
    2. Ziffer 2
      im Fall der Wiederaufnahme die Entscheidung, mit der eine rechtskräftige Verurteilung aufgehoben wurde, nach dem 31. Dezember 2004 in Rechtskraft erwachsen ist.
  2. Absatz 2In allen anderen Fällen einer Festnahme oder Anhaltung vor dem 1. Jänner 2005 sind die bisher geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden.

Verweise

Paragraph 15,

  1. Absatz einsSoweit in diesem Bundesgesetz auf andere Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.
  2. Absatz 2Soweit in anderen Bundesgesetzen und Verordnungen auf Bestimmungen verwiesen wird, die durch dieses Bundesgesetz geändert oder aufgehoben werden, erhält die Verweisung ihren Inhalt aus den entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

Vollziehung

Paragraph 16,

Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Justiz betraut.

Fischer

Schüssel