Gericht

Asylgerichtshof

Entscheidungsdatum

23.03.2012

Geschäftszahl

D19 317666-5/2012

Spruch

D19 317666-5/2012/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Der Asylgerichtshof hat gemäß Paragraph 61, Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 38 aus 2011,, (AsylG 2005) und Paragraph 66, Absatz 4, des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Beisitzerin über die Beschwerde von römisch 40 , StA.: Russische Föderation, vom 18.01.2012 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.12.2011, Zl. 10 11.246-BAI, zu Recht erkannt:

römisch eins. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen.

römisch II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 abgewiesen.

römisch III. Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 wird römisch 40 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer bringt vor, Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit aus Tschetschenien zu sein. Er reiste seinem Vorbringen zufolge gemeinsam mit seiner Mutter römisch 40 (protokolliert zur Zl. D19 317705 des Asylgerichtshofes), und seinem Bruder römisch 40 (protokolliert zur Zl. D19 317704 des Asylgerichtshofes), am 25.07.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Sein Vater römisch 40 (protokolliert zur Zl. D19 306149 des Asylgerichtshofes), reiste seinem Vorbringen zufolge bereits am 07.11.2005 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 08.11.2005 einen (ersten) Antrag auf Gewährung von Asyl.

Am 25.07.2007 stellte der Beschwerdeführer einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen am 26.07.2007 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass schon sein Vater die Heimat habe verlassen müssen, als er noch ein Kind gewesen sei. Er bzw. seine Familienangehörigen hätten den Behörden den Aufenthaltsort des Vaters bekannt geben sollen. Er sei sogar einmal festgenommen worden.

Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 17.08.2007 brachte der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe vor, der FSB habe ihn "nicht in Ruhe leben lassen". Am Morgen des 10.05.2007 seien sein Bruder und er abgeholt und nach dem Aufenthaltsort ihres Vaters befragt worden. Am Abend seien sie dann freigelassen worden. Darüber hinaus seien des Öfteren maskierte Männer gekommen und hätten den Beschwerdeführer und seinen Bruder "an die Wand" gestellt.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29.01.2008 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen - kurz zusammengefasst - aus, am 10.05.2007 seien "Leute vom FSB" bzw. "vielleicht auch Leute vom Militär oder der Polizei" gekommen, hätten dem Beschwerdeführer und seinem Bruder Handschellen angelegt und die beiden auf die Polizeistation in Sitzung gebracht. Der Beschwerdeführer sei gleich nach der Ankunft in ein Zimmer gebracht und dort gefragt worden, wo sich sein Vater aufhalte und mit wem er gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer sei nicht misshandelt worden; ihm sei "nichts geschehen". Die Befragung habe bis in die Abendstunden angedauert. Im Anschluss daran sei der Beschwerdeführer in den Hof geführt worden, wo man ihm die Handschellen abgenommen und ihn freigelassen habe. Dann sei er mit seinem Bruder gleich nach Hause gefahren. Nach der Anhaltung habe es keine Probleme mehr gegeben. In der Zeit davor seien "Leute" öfter zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und hätten die Zimmer nach Waffen durchsucht, aber nie etwas gefunden. Diese "Leute" seien sieben oder acht Mal zu ihnen nach Hause gekommen; der Beschwerdeführer erinnere sich aber nicht mehr.

Sein Vater habe früher als Zollbeamter gearbeitet. Weshalb er verhaftet werden solle bzw. was man von ihm gewollt habe, wisse der Beschwerdeführer nicht. Vielleicht habe man ihm unterstellt, zu einer bewaffneten Gruppierung zu gehören.

Mit Bescheid vom 30.01.2008, Zl. 07 06.764-BAI, wies das Bundesasylamt den Antrag gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 wies das Bundesasylamt den Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation ab (Spruchpunkt römisch II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 2, leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt römisch III.).

In seiner Begründung traf das Bundesasylamt umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation und stellte die Identität sowie die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers fest. Seine Fluchtgründe erachtete das Bundesasylamt - mit ausführlicher Begründung im Rahmen seiner Beweiswürdigung - als unglaubwürdig.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14.02.2008 fristgerecht Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat.

Am 30.04.2008 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung, für die das Verfahren des Beschwerdeführers mit jenem seiner Eltern und seines Bruders gemäß Paragraph 39, Absatz 2, AVG verbunden wurde, durch. Dem Beschwerdeführer sowie seiner Familie wurde in dieser Verhandlung die Gelegenheit gegeben, neuerlich die Fluchtgründe zu schildern.

Am 23.04.2009 setzte der Asylgerichtshof die öffentliche mündliche Verhandlung des Beschwerdeführers sowie seiner Familie fort. In dieser wurde dem Beschwerdeführer erneut Gelegenheit gegeben, seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Ferner wurde die aktuelle Lageentwicklung in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation anhand von Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

Mit Erkenntnis vom 26.06.2009, Zl. E6 317666-1/2008/10E, wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gemäß Paragraphen 3,, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet ab. In seiner Begründung traf der Asylgerichtshof Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in der Russischen Föderation unter besonderer Berücksichtigung der Lage in Tschetschenien und stellte die Nationalität und Volksgruppenangehörigkeit des Beschwerdeführers fest. Seine Fluchtgründe erachtete der Asylgerichtshof - wie bereits das Bundesasylamt - als unglaubwürdig: Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation eine asylrelevante - oder sonstige - Verfolgung oder Strafe maßgeblicher Intensität oder die Todesstrafe drohe oder dem Beschwerdeführer in Tschetschenien die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre. Der Beschwerdeführer habe in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien nicht allein schon deshalb Verfolgungshandlungen zu befürchten, weil er der tschetschenischen Volksgruppe angehöre. Es hätten sich auch nach Prüfung gemäß Artikel 8, EMRK keine gegen die vorgesehene Ausweisung bestehenden Hinderungsgründe ergeben.

Im Rahmen seiner Beweiswürdigung erwog der Asylgerichtshof, dass der Beschwerdeführer selbst keine eigenen Gründe für seine Ausreise aus der Russischen Föderation vorgebracht, sondern seine Fluchtgründe auf die Probleme seines Vaters gestützt und erklärt habe, nur aufgrund der Probleme seines Vaters selbst Probleme bekommen zu haben. Auch die vage geschilderten Übergriffe auf den Beschwerdeführer selbst seien - seinen Angaben zufolge - auf die Probleme seines Vater zurückzuführen und stützten sich somit auf die behauptete Verfolgung des Vaters, welchem jedoch keine Glaubwürdigkeit zugesprochen habe werden können. Der Vater des Beschwerdeführers habe sich im gesamten Verlauf seines Asylverfahrens in Österreich in mannigfaltige Widersprüche verwickelt. Darüber hinaus sei dessen Vorbringen insgesamt unplausibel. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Übergriffen auf ihn habe nicht nur wegen der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe seines Vaters (und der damit verbundenen Unglaubwürdigkeit des auf diese Gründe gestützten Vorbringens des Beschwerdeführers) als unglaubwürdig erachtet werden müssen; vielmehr habe sich der Beschwerdeführer selbst im Zuge seines Asylverfahrens in diverse Widersprüche verwickelt. Weiters habe sich das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht mit dem Vorbringen seiner übrigen Familienmitglieder in Einklang bringen lassen.

So habe etwa der Bruder des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt ausgesagt, dass von 1999 bis zur Ausreise im Jahr 2007 fast jeden Tag (manchmal nur zwei Mal in der Woche) maskierte Männer die Familie aufgesucht hätten, wogegen der Beschwerdeführer behauptet habe, dass 2003 erstmals Personen - insgesamt sieben bis acht Mal - gekommen seien; nach Aussagen seiner Mutter seien diese Personen 2001 das erste Mal gekommen. Zum behaupteten Vorfall am 10.05.2007 habe der Beschwerdeführer die Abholung durch einen weißen Jeep bei einer ganztätigen Anhaltung nach Anlegung von Handschellen geschildert, während sein Bruder ihren Transport zur Polizeistation in einem Minibus ohne Handschellen unter aggressivem Verhalten der maskierten Männer beschrieb, wobei deren Mutter ausgeführt habe, dass sich die (nicht maskierten) Männer sehr nett verhalten und sie hinsichtlich der insgesamt 6 Stunden andauernden Anhaltung ihrer Söhne beruhigt hätten. Überdies wären der gesamten Familie des Beschwerdeführers Reisepässe in zeitlicher Nähe zur Ausreise, die legal und problemlos erfolgt sei, ausgestellt worden, woraus sich ferner ableiten lasse, dass die tschetschenischen Behörden keinerlei Interesse an der Familie hätten und diese keine Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte. Aus den Länderfeststellungen könne nicht der Schluss gezogen werden, dass alle Tschetschenen in Russland einer politischen oder ethnischen Verfolgung ausgesetzt wären.

Rechtlich folgerte der Asylgerichtshof daraus, dass die Voraussetzungen für eine aktuelle Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht gegeben seien. Weder aus den Angaben zu den Ausreisegründen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens sei - bezüglich Paragraph 8, AsylG 2005 - ersichtlich, dass jene Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, wie sie von der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinsichtlich außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten gefordert wird, um die Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers im Widerspruch zu Artikel 3, EMRK erscheinen zu lassen: Weder der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers noch die sozialen bzw. wirtschaftlichen Verhältnisse bei seiner Rückkehr würden Bedenken gegen eine Rückführung entstehen lassen; der Beschwerdeführer könne grundsätzlich am Arbeitsleben teilnehmen und habe bereits vor seiner Ausreise finanzielle staatliche Unterstützung erhalten, sodass auch die Deckung der existenziellen Grundbedürfnisse als gesichert angenommen werden könne. Hinsichtlich der verfügten Ausweisungsentscheidung hob der Asylgerichtshof die relativ kurze Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich hervor und gelangte im Rahmen einer Interessenabwägung zu einem Überwiegen öffentlicher Interessen zugunsten einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Dieses Erkenntnis wurde am 30.06.2009 rechtswirksam zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Am 07.07.2009 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen am 07.07.2009 gab der Beschwerdeführer als Grund für die neuerliche Antragstellung an, bereits zwei negative Bescheide bezüglich seines ersten Antrages erhalten zu haben, Österreich jedoch nicht verlassen zu wollen.

Am 13.07.2009 wurde dem Beschwerdeführer eine Mitteilung gemäß Paragraph 29, Absatz 3, AsylG 2005 ausgefolgt, wonach beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, AVG zurückzuweisen.

Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15.07.2009 gab der Beschwerdeführer als Begründung für die neuerliche Antragstellung an, er habe "nicht mehr zu Hause bleiben" können und sei aufgrund der Probleme, die er wegen seines Vaters gehabt habe, geflüchtet. Auf Nachfrage brachte der Beschwerdeführer vor, dass sich an seinen Fluchtgründen "nichts geändert" und er auch "keine neuen Gründe habe", sondern alle seine Gründe im vorangegangenen Verfahren angegeben habe.

Im Akt erliegen das Schreiben einer ehrenamtlichen Deutschlehrerin der Caritas vom 16.07.2009, ein "Situationsbericht aus sozialarbeiterischer Sicht" der Flüchtlings- und Migrantenhilfe der Caritas vom 16.07.2009, ein Schreiben des römisch 40 vom 12.07.2009 sowie drei Kursbestätigungen über den Besuch von Deutschkursen.

Mit Bescheid vom 24.07.2009, Zl. 09 08.006-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den (zweiten) Antrag gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe des Einvernahmeprotokolls des vorliegenden Verfahrens stellte das Bundesasylamt den rechtskräftigen Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens des Beschwerdeführers, nicht jedoch seine Identität fest. Es könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus, einen neuen, gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Die den Beschwerdeführer betreffende allgemeine maßgebliche Lage in der Russischen Föderation habe sich im Vergleich zum Erstverfahren nicht zu Ungunsten des Beschwerdeführers geändert.

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt u.a. aus, dass bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren sowohl das Bundesasylamt als auch der Asylgerichtshof zum Ergebnis gekommen seien, dass der maßgebende, vom Beschwerdeführer als Fluchtgrund bekannt gegebene Sachverhalt nicht den Tatsachen entspreche. Der Beschwerdeführer habe anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt keine individuellen, konkret seine Person betreffenden neuen, asylrelevanten Fluchtgründe geltend gemacht, sondern sich im Wesentlichen auf jene Probleme bezogen, welche er bereits im ersten Asylverfahren angegeben habe. Der Beschwerdeführer stütze seinen nunmehrigen Antrag auf internationalen Schutz somit auf Ereignisse, die bereits vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation vorgefallen sein sollen. Das Vorbringen im nunmehrigen Verfahren decke sich zur Gänze mit jenem Vorbringen, welches bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren als nicht glaubwürdig qualifiziert worden sei. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz diene solcherart lediglich der Überprüfung einer bereits rechtskräftigen Entscheidung. Das Bundesasylamt gelange insgesamt zur Ansicht, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zum gegenständlichen Verfahren insofern keinen glaubhaften Kern aufweise, als der Beschwerdeführer kein über den Rahmen des ersten Verfahrens hinausgehendes glaubhaftes Vorbringen habe erstatten können. Darüber hinaus sei anzuführen, dass der Beschwerdeführer seinen neuerlichen Antrag auf einen bereits als unglaubwürdig qualifizierten Sachverhalt stütze. Aus seiner eigenen Erklärung im Rahmen seiner Einvernahme ergebe sich ferner, dass der Beschwerdeführer weder an einer körperlichen Krankheit noch an einer krankheitswerten psychischen Störung leide.

Rechtlich folgerte das Bundesasylamt unter Verweis auf die entsprechende verwaltungsgerichtliche Judikatur daraus, dass mangels Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes der Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei. Seine Ausweisungsentscheidung begründete das Bundesasylamt nach Wiedergabe der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und jener der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts mit einer Interessenabwägung iSd Artikel 8, Absatz 2, EMRK.

In der dagegen erhobenen Beschwerde verwies der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Asylgründe auf die Gründe seiner Eltern. Im Gegensatz zum Bundesasylamt sehe er sich keineswegs in der Lage, eine Identität des Sachverhaltes zu erkennen. Sein physisch-psychischer Zustand habe sich, seitdem ihm bewusst geworden sei, dass ihm die "zwangsweise Deportation nach Tschetschenien" drohe, wesentlich verschlechtert. Auch wenn er darüber "noch mit niemand gesprochen habe, auch nicht mit der Amtsärztin", sei dies ein "wesentliches Faktum", welches im Bescheid nicht aufscheine. Seine Ehefrau (gemeint wohl: Mutter) stehe in psychiatrischer Behandlung und werde wohl auch stationär aufgenommen; die darauf bezugnehmenden Befunde würden noch vorgelegt. Im Zusammenhang mit der Erkrankung des Beschwerdeführers sowie dem übrigen Vorbringen seien von der "Berufungsbehörde" umfangreiche Erhebungen durchzuführen, "eventuell auch andere medizinische Gutachten einzuholen", um die Richtigkeit seines Vorbringens feststellen zu können.

Mit Erkenntnis vom 27.11.2009, Zl. D6 317666-2/2009/3E, wies der Asylgerichtshof die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG ab und behob allerdings den bekämpften Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. gemäß Paragraph 41, Absatz 3, AsylG 2005.

Im Hinblick auf Spruchpunkt römisch eins. schloss sich der Asylgerichtshof der Ansicht der belangten Behörde an, dass der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag im Wesentlichen auf jene Fluchtgründe gestützt habe, die er bereits im vorangegangenen ersten Verfahren vorgebracht habe, weshalb es der belangten Behörde verwehrt gewesen sei, das nunmehrige Fluchtvorbringen einer neuerlichen Beurteilung zu unterziehen. Mangels Änderung des maßgeblichen Sachverhalts habe die belangte Behörde den zweiten Antrag zutreffend wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Den Spruchpunkt römisch II. behob der Asylgerichtshof mit dem Hinweis auf die Behebung desselben Spruchpunktes im Verfahren der Mutter des Beschwerdeführers.

Mit Bescheid vom 24.02.2010, Zl. 09 08.006-2-EAST Ost, wies das Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren den Beschwerdeführer abermals gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. In seiner Begründung vertrat das Bundesasylamt die Ansicht, dass unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände gegeben wären, welche einer Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet entgegenstünden. Im ersten Verfahren seien alle bis zur Entscheidung dieses Verfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden, sodass darüber nicht neuerlich zu entscheiden sei. Das gesamte erste Verfahren beruhe auf einem nicht glaubhaften Vorbringen. Die den Beschwerdeführer betreffende maßgebliche allgemeine Lage in der Russischen Föderation habe sich im Vergleich zum ersten Verfahren nicht zu Ungunsten des Beschwerdeführers geändert. Aus den Angaben des Beschwerdeführers ergebe sich, dass er weder an einer schweren körperlichen Erkrankung noch an einer krankheitswertigen psychischen Störung leide. Der Eingriff in das Privatleben sei nicht schwerwiegender als das öffentliche Interesse Österreichs an einer Ausweisung des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Ordnung im Fremdenpolizei- und Zuwanderungswesen. Dies ergebe sich aus einer Gesamtbetrachtung der Integration des Beschwerdeführers, der sich seit 25.07.2007 im Bundesgebiet aufhalte, aber niemals einen anderen als einen vorübergehenden, asylrechtlichen Aufenthaltstitel gehabt habe. Aus dem Vorbringen im gegenständlichen Verfahren und im ersten Verfahren würden sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass zwischenzeitlich eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich vorliege.

In der dagegen erhobenen Beschwerde äußerte der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf das im Verfahren seiner Mutter erstattete medizinische Gutachten vom 20.01.2010 die Vermutung, dass der untersuchende Arzt "in den ihm zur Verfügung stehenden 10 Minuten" die Mutter des Beschwerdeführers keineswegs ausreichend für ein Gutachten befragen habe können. Darüber hinaus ergebe sich aus den - im Verfahren der Mutter des Beschwerdeführers - vorliegenden, "wirklichkeitsnahen" Bestätigungen der Caritas vom 03.04.2008, aus dem Schreiben des Landeskrankenhauses römisch 40 vom 28.02.2008 sowie einer weiteren Bestätigung vom 09.07.2009 "eine ganz andere Lage

betreffend [der] Psyche [der Mutter des Beschwerdeführers], ... die

weitaus überzeugender als der oberflächliche Bericht vom 20.1.2010" sei. Darauf bezugnehmend werde der Antrag gestellt, auch den Beschwerdeführer einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen.

Mit Beschluss vom 24.03.2010 bestellte der Asylgerichtshof römisch 40 zum psychiatrischen Sachverständigen zwecks Beantwortung der Frage der psychischen Verfassung des Beschwerdeführers und den Folgen einer allfälligen Überstellung in seine Heimat.

In seinem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 01.05.2010 gelangte der Sachverständige zum Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht ein im Wesentlichen unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund vorliege. Aus psychiatrischer Sicht finde sich aufgrund Befunderhebung und Anamnese kein Hinweis auf das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung und auch kein Hinweis auf eine abgelaufene psychiatrische Erkrankung. Auch neurologisch ergebe sich ein im Wesentlichen unauffälliger Befund, sodass keine psychiatrische Behandlungsnotwendigkeit oder Notwendigkeit einer psychologischen Betreuung bestehe.

Eine Überstellung des Beschwerdeführers - führte der Sachverständige römisch 40 weiter aus - stehe den Wünschen und Zielen des Beschwerdeführers entgegen und könne möglicherweise auch eine psychische Irritation bedeuten, wobei eine Verschlechterung des psychischen Zustandes zwar nicht wahrscheinlich, aber auch nicht ausschließbar sei.

Mit Schriftsatz vom 20.05.2010 übermittelte der Asylgerichtshof dieses Gutachten dem Beschwerdeführer und räumte ihm eine Frist von 7 Tagen ein, um sich zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern.

Mit Schriftsatz vom 29.05.2010 nahm der Beschwerdeführer zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung und führte aus, dass keine Einwände das Sachverständigen-Gutachten betreffend erhoben würden.

Mit Erkenntnis vom 09.06.2010, Zl. D6 317666-3/2010/7E, wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 als unbegründet ab. In den Entscheidungsgründen wies der Gerichtshof unter Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darauf hin, dass in Tschetschenien grundsätzlich alle medizinischen Behandlungsmöglichkeiten gegeben seien. So entspreche es dem Amtswissen, dass Posttraumatische Belastungsstörungen in Tschetschenien behandelbar seien, sich zwei Spitäler mit der Behandlung psychischer Traumata beschäftigen würden, in jedem Ambulatorium "Ärzte-Psychologen" arbeiten würden und Psychopharmaka ebenfalls erhältlich seien; auch bestehe die Möglichkeit, psychologische Hilfe in anderen Regionen der Russischen Föderation in Anspruch zu nehmen. Gemäß dem eingeholten psychiatrischen Sachverständigen-Gutachten liege beim Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht ein im Wesentlichen unauffälliger psychopathologischer Querschnittsbefund vor. Hinsichtlich der Ausweisung des Beschwerdeführers erwog der Gerichtshof u.a., die zweifellos vorhandenen privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet in ihrem Gewicht entscheidend dadurch gemindert würden, dass der Beschwerdeführer illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und lediglich aufgrund zweier Anträge auf internationalen Schutz, welche sich als unbegründet erwiesen hätten, vorläufig zum Aufenthalt berechtigt gewesen sei. Zudem habe er den zweiten Antrag nur wenige Tage nach Erlassung der asylgerichtlichen Entscheidung im ersten Verfahren gestellt. Er habe sich bewusst sein müssen, dass sein Aufenthalt lediglich an die Dauer des Asylverfahrens geknüpft und ein weiterer Verbleib im Bundesgebiet vom Erfolg seiner Anträge abhängig sein würde.

Es sei auch zu beachten, dass zahlreiche Verwandte des Beschwerdeführers weiterhin in Tschetschenien leben würden, weshalb davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer nach wie vor über persönliche Bindungen zu Personen in der Russischen Föderation verfüge. Weiters habe er dort seine gesamte schulische Ausbildung erhalten und dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht. Nach alledem könne nach Ansicht des Asylgerichtshofes nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seinem Heimatland derart entfremdet wäre, dass er sich dort im Falle seiner Rückkehr nicht mehr zurechtfinden könne.

Am 30.11.2010 stellte der Beschwerdeführer den vorliegenden (dritten) Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung am Tag der Antragstellung brachte der Beschwerdeführer neuerlich vor, dass sein Vater beim Zoll beschäftigt gewesen sei und in Tschetschenien vom Militär gesucht werde. Aus diesem Grund sei der Beschwerdeführer im Gefängnis gewesen. Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien werde der Beschwerdeführer "sofort verhaftet" und über seinen Vater befragt. Weshalb sein Vater vom Militär gesucht werde, könne er jedoch nicht angeben. Bei der Festnahme sei ihm mitgeteilt worden, dass er "länger im Gefängnis festgehalten" würde, sollte er ohne seinen Vater zurückkehren.

Im Rahmen einer amtsärztlichen Untersuchung am 02.12.2010 wurde beim Beschwerdeführer keine schwere körperliche oder ansteckende Erkrankung festgestellt.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 09.12.2010 führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, er habe in Tschetschenien Probleme wegen seines Vaters und daher Angst, dorthin zurückzukehren. Seine Fluchtgründe habe er bereits in den vorhergehenden Verfahren geschildert; neue Gründe gebe es nicht. Seit dem römisch 40 sei er nach islamischem Ritus, nicht jedoch standesamtlich verheiratet. Seine Vertreterin könne Beweismittel vorlegen.

Am 09.12.2010 teilte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer seine Absicht mit, den Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Am 10.12.2010 wurde der Beschwerdeführer aufgrund von Selbstverletzung für haftunfähig befunden und aus der Schubhaft entlassen. In der Folge wurde er am 11.01.2011 vor dem Bundesasylamt einvernommen und verneinte insbesondere die Frage, ob er konkrete Gründe nennen wolle, die einer Zurückweisung seines Antrages wegen entschiedener Sache entgegenstünden.

Im Akt befindet sich eine Trauungsurkunde, wonach der Beschwerdeführer Frau römisch 40 nach islamischem Ritus geehelicht habe.

Mit Bescheid vom 12.01.2011, Zl. 10 11.246-EAST West, wies das Bundesasylamt den Antrag gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies ferner den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Russland" aus. In seiner Begründung stellte das Bundesasylamt u.a. fest, dass der Beschwerdeführer an keinen Krankheiten leide und keine Medikamente einnehme. Ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt könne - so das Bundesasylamt - nicht festgestellt werden: Der Beschwerdeführer habe im nunmehrigen Verfahren auch keine weiteren asylrelevanten Gründe vorgebracht; ein neuer objektiver Sachverhalt habe sich nicht ergeben. Unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen existierten keine Umstände, welche der Ausweisung des Beschwerdeführers entgegenstünden. Da der Beschwerdeführer sein Vorbringen im gegenständlichen Verfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stütze bzw. sein gegenwärtiges Vorbringen auf ein solches aufbaue, könne kein neuer Sachverhalt vorliegen. Im gegenständlichen Fall sei vor dem Hintergrund der Angaben des Beschwerdeführers - ohne dass auf deren Glaubwürdigkeit einzugehen gewesen sei - davon auszugehen, dass die im gegenständlichen Antrag vorgebrachten Fluchtgründe bereits im Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsstaates bestanden hätten und der Beschwerdeführer diese Gründe auch gekannt habe.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wiederholte der Beschwerdeführer, dass er Bestätigungen aus seinem Heimatland vorlegen könne, wonach er und sein Bruder festgenommen worden seien. Seine Vertreterin sei zwar aufgefordert worden, eine sich angeblich bei ihr befindliche Bestätigung vorzulegen. Der bekämpfte Bescheid sei jedoch unmittelbar nach der Einvernahme am 11.01.2011 ohne Setzung einer konkreten Frist erlassen worden, in welcher die Vertreterin allenfalls eine ergänzende Stellungnahme abgeben und allfällige darauf Bezug nehmende Dokumente vorlegen hätte können.

Am 18.01.2011 wurde ein den Beschwerdeführer betreffender Entlassungsdekurs vom 10.12.2010 in Vorlage gebracht.

Mit Beschluss vom 31.01.2011, Zl. D6 317666-4/2011/2Z, erkannte der Asylgerichtshof der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.

Mit Erkenntnis vom 15.02.2011, Zl. D6 317666-4/2011/3E, gab der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß Paragraph 41, Absatz 3, AsylG 2005 statt und behob den bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2011. In den Entscheidungsgründen betonte der Gerichtshof, dass die Glaubwürdigkeit der Verfolgung des Beschwerdeführers maßgeblich von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der vom Vater des Beschwerdeführers in dessen Verfahren vorgebrachten eigenen Verfolgung abhänge. Im Verfahren des Vaters des Beschwerdeführers sei der angefochtene Bescheid, mit welchem der Antrag des Vaters gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei, mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 01.12.2010, D6 306149-4/2010/4E, zwecks weiterer Erhebungen bzw. weiterer Einvernahmen des Vaters des Beschwerdeführers gemäß Paragraph 41, Absatz 3, AsylG 2005 behoben worden; das Verfahren des Vaters des Beschwerdeführers sei daher weiterhin vor dem Bundesasylamt anhängig. Der Asylgerichtshof vertrete die Ansicht, dass die Beurteilung der Frage, ob dem Vorbringen des Beschwerdeführers ein "glaubhafter Kern" zu attestieren sei, wesentlich von den Feststellungen im Verfahren des Vaters des Beschwerdeführers (insbesondere hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der dort vorgebrachten Verfolgung) abhänge. Die belangte Behörde wäre somit gehalten gewesen, auf die Ergebnisse des derzeit beim Bundesasylamt anhängigen Verfahrens des Vaters des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen.

Am 03.05.2011 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin der russischen Sprache niederschriftlich einvernommen. Die wesentlichen Teile der Einvernahme gestalteten sich wie folgt:

"F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.

F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten und wenn ja, welche?

A: Nein, keine. Ich bin gesund.

F: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche weiteren Dokumente besorgt?

A: Ich habe alle meine Dokumente bereits vorgelegt, andere Dokumente habe ich nicht.

F: Besitzen Sie einen Führerschein, und wenn ja, wann, wo und von wem wurde dieser ausgestellt?

A: Nein.

Erklärung: Sie haben am 30.11.2010 beim Bundesasylamt Ihren dritten Asylantrag gestellt. Ihre zwei anderen Asylanträge wurden rechtskräftig negativ entschieden. Sie wurden am 01.10.2010 vor der Polizei und am 30.11.2010 bzw. 09.12.2010 in der EAST West bereits zu Ihrem neuerlichen Asylverfahren, d.h. zu Ihrem Reiseweg und den Gründen Ihrer nochmaligen Asylantragstellung, befragt. Ihr Antrag wurde gemäß Paragraph 68, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der dagegen eingebrachten Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.01.2011, Zahl: D6 317704-4/2011/2Z, stattgegeben. Aus diesen Gründen wurden Sie neuerlich zum Bundesasylamt geladen und werden heute ergänzend zu Ihrem bisherigen Vorbringen befragt.

Können Sie sich an Ihre damaligen Angaben erinnern? Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und entsprechen diese der Wahrheit? Wollen Sie selbst zu diesen Angaben noch etwas hinzufügen oder etwas sagen, was Sie noch nicht angeführt haben?

A: Ja, ich kann mich noch daran erinnern. Meine Angaben sind vollständig, ich habe damals alles gesagt, mehr habe ich selbst nicht dazu anzuführen. Ich habe die Wahrheit gesagt. Andere Gründe gibt es nicht.

Angaben zur Person und Lebensumständen:

F: Sind Ihre Angaben, die Sie zu Ihrer Person und den Lebensumständen bisher gemacht haben, richtig?

A: Ja, ich habe alles richtig angegeben. Gelebt habe ich mit meiner Familie im eigenen Haus bis zu meiner Ausreise. Ich selbst habe zu Hause nie offiziell gearbeitet. Ich habe aber manchmal meinem Bruder römisch 40 geholfen, als er mit Metall gehandelt hat. Ich bekam dafür auch Geld von ihm. Ich besitze keine Immobilien wie mein Bruder. Aber das Familienhaus gibt es immer noch. Im Moment wohnt dort niemand. Das Haus gehört aber immer noch meiner Familie.

Angaben zum Fluchtweg:

F: Wann haben Sie Ihre Heimat verlassen und seit wann halten Sie sich in Österreich auf?

A: Ich habe meine Heimat im Mai 2007 gemeinsam mit meiner Mutter und meinem Bruder verlassen. Wir waren dann einige Zeit in Polen. Ausgereist sind wir mit Auslandsreisepässen, das war kein Problem. Ich hatte auch noch einen Inlandsreisepass. Seit Juli 2007 lebe ich ununterbrochen in Österreich.

F: Können Sie sich an Ihre Angaben zum Reiseweg, die Sie bisher gemacht haben, noch erinnern? Stimmen diese Angaben?

A: Ja, ich erinnere mich noch daran. Ich bin über Polen gekommen. Meine Angaben dazu sind die Wahrheit. Ich habe dazu alles gesagt.

F: Wie sind Sie von Polen nach Österreich gekommen?

A: Wir reisten mit einem LKW, über welche Länder ich eingereist bin, weiß ich nicht.

F: Wollen Sie dazu noch etwas anführen?

A: Nein, ich habe dazu nichts mehr anzuführen.

F: Möchten Sie zu Ihren bisherigen Angaben zum Fluchtweg noch etwas angeben, was Ihnen wichtig ist?

A: Nein, nichts mehr.

Angaben zum Fluchtgrund:

F: Welche Gründe wollen Sie nun für Ihren dritten Asylantrag geltend machen (freie Erzählung)!

A: Das sind immer noch dieselben Probleme, die ich auch bei meinen anderen Asylanträgen geltend gemacht habe. Es sind immer noch die alten Probleme. Es ist wegen der Probleme meines Vaters. Wir wurden festgenommen und man hat uns gedroht uns umzubringen, wenn unser Vater nicht auftaucht, deswegen kann ich nicht nach Hause zurück.

F: Sie haben diese Gründe bereits in Ihren Vorverfahren geltend gemacht. Warum haben Sie einen weiteren Asylantrag gestellt, nachdem Ihre anderen Anträge abgelehnt wurden?

A: Weil wir immer noch nicht nach Hause zurückkehren können. Ich hoffe auf eine positive Entscheidung.

F: Warum können Sie nicht nach Hause zurückkehren?

A: Die haben uns nach unserem Vater gefragt. Sie haben gesagt, sie werden uns das nächste Mal festhalten, bis mein Vater auftaucht. Deswegen habe ich Angst zurückzukehren, weil sie uns wieder festnehmen könnten.

F: Gibt es irgendwelche neuen Gründe für Ihren jetzigen Asylantrag, die Sie geltend machen wollen?

A: Nein. Ich habe alle meine Gründe bereits geschildert, es gibt keine neuen Gründe, die ich geltend machen kann. Genauso wie ich früher Angst hatte, habe ich auch jetzt Angst, da hat sich nichts geändert. Ich hätte dort wirklich Probleme wegen meines Vaters.

F: Gab es Ihre Probleme ausschließlich wegen Ihres Vaters?

A: Die Probleme hängen ausschließlich mit meinem Vater zusammen. Ich hatte die Probleme nur wegen meines Vaters, das kann man so sagen. Die Festnahme von mir und meinem Bruder römisch 40 erfolgte nur wegen meinem Vater. Sonst hatte ich keine Schwierigkeiten.

F: Was wollte man von Ihrem Vater?

A: Das weiß ich nicht. Ich kann dazu nichts sagen.

F: Warum hat man Sie wegen der Probleme Ihres Vaters festgenommen?

A: Man hat meinen Vater gesucht und deswegen haben die uns festgenommen und uns als "Geiseln" gehalten.

F: Warum wurden Sie dann freigelassen, wenn man Sie als "Geisel" festgenommen hat?

A: Ich weiß es nicht. Die haben nur gesagt, dass sie uns das nächste Mal solange festhalten, bis mein Vater kommt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

V: Im Zuge der Asylverfahren Ihres Vaters wurden die von ihm vorgebrachten Asylgründe als gänzlich unglaubwürdig bewertet. Sie stützen Ihre Verfolgung jedoch ausschließlich auf diese Probleme. Da die Angaben Ihres Vaters unglaubwürdig sind, sind auch die von Ihnen dazu vorgebrachten Gründe unglaubwürdig, zumal Sie selbst auch überhaupt keine näheren Angaben zu den von Ihnen aufgestellten Behauptungen darlegen konnten!

A: Ich kann dazu nichts sagen.

F: Warum wollen Sie dazu nichts anführen?

A: Naja, wenn Sie (meint EV) mir nicht glauben, dann weiß ich nicht, was ich dazu noch sagen soll. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe bereits alles erzählt. Es sind immer dieselben Gründe, ich habe schon alles gesagt. Ich habe nichts Neues hinzuzufügen. Ich habe schon alles gesagt.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft?

A: Nein, das bin ich nicht.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Wie bereits erwähnt, wurde ich einmal festgenommen. Sonst hatte ich nie irgendwelche Probleme und wurde auch nie angehalten und war auch nie in Haft.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

A: Nein, das war ich nie.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein, nie.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?

A: Nein, nie.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein, deswegen hatte ich keine Probleme.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein, nein, nie. Ich wurde nur wegen meinem Vater verfolgt, sonst hatte ich keine Probleme.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Ich habe Angst, dass man mich festnimmt. Die könnten mich umbringen und mich nie wieder freilassen. Ich weiß nicht was passiert, wenn ich zurückkehre, aber ich habe Angst.

F: Aus welchem konkreten Grund sollte eine Festnahme erfolgen oder warum befürchten Sie umgebracht zu werden und von wem sollten Sie umgebracht werden?

A: Die haben ja schon damit gedroht.

Nochmalige Frage: Aus welchem konkreten Grund sollte eine Festnahme erfolgen oder warum befürchten Sie umgebracht zu werden und von wem sollten Sie umgebracht werden?

A: Naja, vielleicht der FSB.

F: Können Sie Ihre Behauptungen konkretisieren?

A: Ich habe keine konkreten Hinweise darauf, aber ich bin überzeugt davon, dass ich festgenommen werde, wenn ich ohne meinen Vater zurückkehre, dann würde etwas Schlimmes passieren. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Feststellung des Bundesasylamtes: Wenn Sie möchten, werden Ihnen die Feststellungen des Bundesasylamtes zur Lage in Ihrer Heimat zur Kenntnis gebracht (Anmerkung: Dem AW wird kurz erklärt, um was es sich handelt und welchen Inhalt die Feststellungen haben). Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs Stellung zu nehmen. Möchten Sie die Erkenntnisse des Bundesasylamtes Ihr Heimatland betreffend in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen dazu abgeben?

A: Nein, ich kenne die allgemeine Situation in meiner Heimat. Ich weiß besser, wie es dort zugeht. Ich verzichte darauf. Ich möchte keine schriftliche Stellungnahme dazu abgeben.

Angaben zum Privat- und Familienleben:

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist und seit wann halten Sie sich hier auf?

A: Ich kam 2007 nach Österreich und seither bin ich ununterbrochen hier.

F: Hatten Sie in Österreich jemals einen gültigen Aufenthaltstitel zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein, nie.

F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen?

A: Nein, Arbeitsbewilligung hatte ich keine. Früher arbeitete ich bei der Caritas, aber jetzt nicht mehr.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie jetzt hier in Österreich?

A: Ich bekomme keine Sozialhilfe mehr. Zur Zeit helfen mir meine Eltern.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

A: Nein, das bin ich nicht.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: Ich trainiere Ringen, manchmal gehe ich ins Fitnessstudio, sonst mache ich nichts.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Meine Familie ist hier. Sie haben auch um Asyl angesucht. Ich habe auch drei Cousins, zwei sind in römisch 40 , einer ist in römisch 40 .

F: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren Verwandten aus?

A: Zu meinem Cousin in römisch 40 habe ich öfters persönlichen Kontakt, zu meinen anderen Cousins habe ich telefonischen Kontakt. Zu meinem Eltern und meinem Bruder habe ich regelmäßigen Kontakt.

F: Wo leben Ihre Eltern und Ihr Bruder?

A: Meine Eltern leben noch in einer Flüchtlingsunterkunft. Mein Bruder lebt bei verschiedenen Freunden.

F: Wo leben Sie derzeit?

A: Ich lebe in römisch 40 . Ich lebe mit meiner Frau in einer gemeinsamen Wohnung. Die Miete für die Wohnung bezahlen meine Schwiegereltern. Weder ich noch meine Frau arbeiten. Meine Frau bekommt vom AMS Geld und Familienbeihilfe. Sonst unterstützen uns noch ihre Eltern.

F: Sind Sie standesamtlich verheiratet?

A: Nein, nur traditionell.

F: Seit wann sind Sie traditionell verheiratet?

A: Seit römisch 40 .

Erklärung: Nachdem Sie nicht standesamtlich verheiratet sind, gelten Sie in Österreich als ledig!

A: Ja, das verstehe ich.

F: Seit wann ist Ihre Lebensgefährtin in Österreich?

A: Sie ist seit ca. acht Jahren in Österreich und hat einen positiven Bescheid bekommen.

F: Wann haben Sie Ihre Lebensgefährtin kennengelernt?

A: Wir haben uns erst letztes Jahr kennengelernt, aber ich weiß den Monat nicht mehr. Ich kannte sie vorher nicht. Ich glaube, wir haben uns im April 2010 kennengelernt und im September haben wir geheiratet.

F: Seit wann leben Sie mit Ihrer Lebensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt?

A: Nach der Hochzeit sind wir zusammen gezogen.

F: Haben Sie in Österreich eine Schule oder Ausbildung absolviert?

A: Ich habe verschiedene Deutschkurse besucht. Schule habe ich hier keine besucht.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

A: Ja, damit bin ich einverstanden.

F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?

A: Ich habe alles gesagt. Ich habe nichts mehr zu meinem Asylantrag vorzubringen.

F: Hatten Sie die Gelegenheit alles vorzubringen?

A: Ich das hatte ich."

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.12.2011, Zl. 10 11.246-BAI, wurde dieser dritte Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 30.11.2010 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), weiters gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.) und der Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt römisch III.).

Das Bundesasylamt traf in diesem Bescheid umfassende Länderfeststellungen zur Lage in der Russischen Föderation unter besonderer Berücksichtigung der Lage in Tschetschenien und gelangte in Bezug auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen zu dem Schluss, dass diesem Vorbringen keine Glaubwürdigkeit zukommt.

Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.12.2011, zugestellt am 04.01.2012, wurde mit Anwaltsschriftsatz vom 18.01.2012 fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wies der Vater des Beschwerdeführers insbesondere darauf hin, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb das Bundesasylamt seinem Vorbringen in Bezug auf die Verfolgung in Tschetschenien keinen Glauben schenke. Das Bundesasylamt berufe sich darauf, dass er vage und krass widersprüchliche Angaben gemacht habe und daher den Kriterien der Glaubwürdigkeit nicht entspreche. Bei der Begründung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens sei auffällig, dass die belangte Behörde allgemeine Formeln auf seine "Geschichte" anwende und sich nicht mit seinem Vorbringen auseinandersetze. Die Widersprüche, auf welche sich das Bundesasylamt in seiner Begründung berufe und welche bei näherer Betrachtung "keine wirklichen Widersprüche" seien, seien lediglich Divergenzen im Datum oder bei der Benennung von Behörden und somit durchaus erklärbar. Wenn sich das Bundesasylamt darauf berufe, dass der Vater des Beschwerdeführers am 24.11.2005 behauptet habe, im Juli 2005 vom FSB verhaftet worden zu sein, und im Widerspruch dazu vor dem Bundesasylamt am 14.09.2006 angegeben habe, er sei im August 2005 von der Miliz verhaftet worden, so sei darin kein Widerspruch zu sehen. Vielmehr sei es in seinem Heimatland dergestalt, dass "zwischen Miliz und FSB im Volksmund kein Unterschied" gemacht werde und oft nicht erkennbar sei, ob es sich bei den ihn verhaftenden Leuten um Mitarbeiter der Miliz oder des FSB gehandelt habe, da sich diese letztendlich nicht ausgewiesen hätten. Ob dies nun im Juli oder August 2005 gewesen sei, sei "vom Datum her so nahe beisammen liegend", dass dieser Umstand allein nicht zur Begründung der gesamten Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens herangezogen werden könne. Zudem sei nicht nachvollziehbar, weshalb in der nunmehrigen Begründung hinsichtlich der Antragstellung des Vaters des Beschwerdeführers vom 01.10.2010 auf die im Rahmen des ersten Antrages erstatteten Ausführungen Bezug genommen werde und die Widersprüche in diesem (ersten) Verfahren gesucht und auf das nunmehrige Verfahren "übergewälzt" würden. Insbesondere könne jedoch bei der Abweichung zwischen Juli und August sowie Miliz und FSB nicht von krassen Widersprüchen gesprochen werden.

Nach Ansicht des Bundesasylamtes liege ein weiterer Widerspruch darin, dass der Vater des Beschwerdeführers einerseits angegeben habe, vom FSB verprügelt worden zu sein, andererseits jedoch betont habe, er sei im Revier weder geschlagen noch misshandelt worden. Diesbezüglich sei auszuführen, dass er in seinem Heimatland "natürlich vom FSB oder von der Miliz geschlagen" worden sei, eine bloße Ohrfeige für ihn jedoch noch keine Misshandlung darstelle, da er viel schlimmere Sachen erleben habe müssen. Weshalb es lapidar sein solle, dass er etwa einen Rippenbruch als Misshandlung ansehe, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Er habe jahrelang Dudajew und die Tschetschenische Republik unterstützt und sei deshalb Repressionen ausgesetzt gewesen. Bei der Antragstellung im Jahr 2005 sei die Unterstützung Dudajews jedoch schon Jahre her gewesen, sodass er diesen Umstand nicht mehr als aktuell und wichtig erachtet und sich darauf nur am Rande bezogen habe. Dennoch sei es zutreffend, dass er Dudajew und Tschetschenien unterstützt habe und auch deshalb immer wieder Repressionen ausgesetzt gewesen sei, selbst wenn dies augenscheinlich nicht mehr aktuell sei. Aus diesem Grund habe er diesen Umstand auch nicht näher ausgeführt und sich im weiteren Asylverfahren nicht mehr darauf bezogen.

Es sei für ihn unerklärlich, weshalb als Jahr der Verhaftung seines Bruders 1992 protokolliert worden sei, da die Verhaftung im Jahr 2002 erfolgt sei und er dies auch so angegeben habe. Er habe "wirklich niemals 1992 erwähnt". Vielmehr habe sich der Vorfall im November 2002 ereignet, sodass es sich lediglich um einen "Fehler der Verständigung eventuell auch in der Übersetzung" handeln könne. Er könne jedoch auch nicht ausschließen, dass er aus Versehen das Jahr 1992 genannt, jedoch das Jahr 2002 gemeint habe. Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes sei jedenfalls dadurch gekennzeichnet, dass die Widersprüche im früheren Verfahren des Vaters des Beschwerdeführers aufgezeigt und auseinander genommen würden. Mit dem im nunmehrigen dritten Asylverfahren vom Vater des Beschwerdeführers vorgebrachten neuen Tatsachensubstrat, wonach er aufgrund seiner Tätigkeit als Zöllner Probleme gehabt habe, setze sich die belangte Behörde im Gegensatz zu den Tatsachen im vorigen Verfahren nicht auseinander. Überdies habe er sich auch darauf berufen, dass die Entführung seines Bruders im Jahr 2002 aufgrund seiner Arbeit beim Zoll erfolgt sei. Es möge zwar richtig sein, dass er die Entführung seines Bruders bereits in den vorhergehenden Verfahren erwähnt habe; die Zusammenhänge mit seiner Tätigkeit als Zöllner habe er aus Angst jedoch bislang verschwiegen. Dass die Entführung seines Bruders nicht im Zusammenhang mit seinen eigenen Problemen stehe, sei nicht den Tatsachen entsprechend. Er habe sich im nunmehrigen Verfahren vielmehr darauf berufen, dass sein Bruder von einem Vorgesetzten des FSB getötet worden sei und der Vater des Beschwerdeführers nun verfolgt werde, da er geäußert habe, den Mörder seines Bruders zu kennen. Aus diesem Grund befürchte er nun konkret Blutrache.

Es wäre insbesondere Aufgabe des Bundesasylamtes gewesen, im Zuge des nunmehrigen dritten Asylverfahrens des Vaters des Beschwerdeführers den konkreten Zusammenhang zwischen seiner Tätigkeit beim Zoll und der Entführung seines Bruders durch den Abteilungsleiter des FSB, den er namentlich nennen habe können, aufzuklären. Hinsichtlich der Vorfälle beim Zoll habe das Bundesasylamt auch keine eigenen Ermittlungsschritte getätigt, sondern sich lediglich auf die Begründung im vorherigen Verfahren und das diesbezügliche Vorbringen berufen. Auf den Umstand, dass er und sein Neffe Dokumente versteckt hätten und der Verdacht aufgekommen sei, dass er im Besitz von Adresslisten sei, sei nur rudimentär Bezug genommen worden. Hinsichtlich dieser Adresslisten und der Befragungen seiner Person seien zudem keine weiteren Fragen gestellt worden, sodass der Sachverhalt in diesem Punkt vom Bundesasylamt unzureichend ermittelt worden sei. Auch hätten weitere Schritte im Zusammenhang mit dem Asylverfahren seines Neffen getätigt und in dessen Akt Einsicht genommen werden müssen, um "nähere Aufschlüsse über die Tätigkeit und die Zusammenhänge erfahren zu können".

Der Ansicht, dass er zu seinem in Frankreich lebenden Bruder widersprüchliche Angaben gemacht habe, könne er nicht zustimmen. Vielmehr wisse er "schlicht und einfach nicht", wo sich sein Bruder aufhalte. Sein letzter Wissensstand sei dessen Flucht nach Polen. Danach sei sein Bruder wieder nach Tschetschenien zurückgekehrt und dann nach Frankreich gereist, wo er "eine positive Entscheidung bekommen" habe. Da er jedoch keinen Kontakt mit seinem Bruder habe, könne er keine näheren Angaben machen. Jedenfalls könne allein aufgrund der Unwissenheit hinsichtlich des Aufenthaltes seines Bruders nicht die Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens angenommen werden.

Der Beschwerdeführer legte in weiterer Folge insbesondere eine russische Geburtsurkunde sowie eine Bescheinigung der Administration der ländlichen Siedlung römisch 40 , Tschetschenische Republik, Russische Föderation vom römisch 40 vor, wonach er "in der Tat ledig" sei und "keine standesamtliche Heirat mit niemandem" vorliege.

Weiters übermittelte der Beschwerdeführer eine Heiratsurkunde des Standesamtsverbandes römisch 40 vom römisch 40 über die am selben Tag mit römisch 40 erfolgte Eheschließung.

Auf Grundlage der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.11.2010 und der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt am 09.12.2010, 11.01.2011 und 03.05.2011, sowie auf Grundlage der Beschwerde vom 18.01.2012 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist - ebenso wie seine Eltern und sein volljähriger Bruder - Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit aus Tschetschenien und führt den im Spruch angeführten Namen.

Er reiste seinem Vorbringen zufolge am 25.07.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.01.2008, Zl. 07 06.764-BAI, gemäß Paragraphen 3, Absatz eins,, 8 Absatz eins, Ziffer eins und 10 Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 26.06.2009, Zl. E6 317666-1/2008/10E, gemäß Paragraphen 3,, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet ab. Den am 07.07.2009 gestellten (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 24.07.2009, Zl. 09 08.006-EAST Ost, gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 27.11.2009, Zl. D6 317666-2/2009/3E, hinsichtlich Spruchpunkt römisch eins. gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG ab, behob jedoch den bekämpften Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt römisch II. gemäß Paragraph 41, Absatz 3, AsylG 2005. Mit Bescheid vom 24.02.2010, Zl. 09 08.006-2-EAST Ost, wies das Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren den Beschwerdeführer gemäß Paragraph 10, Absatz eins, AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 09.06.2010, Zl. D6 317666-3/2010/7E, gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 als unbegründet ab. Am 30.11.2010 stellte der Beschwerdeführer den vorliegenden (dritten) Antrag auf internationalen Schutz.

Am römisch 40 heiratete der Beschwerdeführer FrauXXXX standesamtlich in römisch 40 . Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde im Wege der Erstreckung Asyl gewährt. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer selbst oder seinen Familienangehörigen in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - droht oder dass dem Beschwerdeführer bzw. seinen Familienangehörigen im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Familienangehörigen an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würden, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Artikel 3, EMRK unzulässig machen würden.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen in Österreich vorliegt.

Mit Erkenntnissen vom heutigen Tag wies der Asylgerichtshof die in den Verfahren der Eltern und des volljährigen Bruders des Beschwerdeführers erhobenen Beschwerden gemäß Paragraphen 3, Absatz eins,, 8 Absatz eins, Ziffer eins und 10 Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ab.

Zur Situation in der Russischen Föderation (Tschetschenien) werden folgende Feststellungen getroffen:

Allgemeines

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Subjekte der Russischen Föderation. Die sieben mehrheitlich moslemischen Republiken im Nordkaukasus wurden jüngst zu einem neuen Föderationsbezirk mit der Hauptstadt Pjatigorsk zusammengefasst. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen), fast alle sind islamischen Glaubens (sunnitische Richtung). Die Tschetschenen sind das älteste im Kaukasus ansässige Volk und nur mit den benachbarten Inguschen verwandt. Freiheit, Ehre und das Streben nach (staatlicher) Unabhängigkeit sind die höchsten Werte in der tschetschenischen Gesellschaft, Furcht zu zeigen gilt als äußerst unehrenhaft. Sehr wichtig ist auch der Respekt gegenüber älteren Personen und der Zusammenhalt in der (Groß-)Familie, den Taips (Clans) und Tukkums (Tribes). Eine große Bedeutung hat auch das Gewohnheitsrecht Adat. Es gibt sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen den Flachland- und den Bergtschetschenen.

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

Laut Ministerpräsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten. Er hat seine Macht in der Zwischenzeit gefestigt und zu einem Polizeistaat ausgebaut. Seit 2. September 2010 trägt Kadyrow den Titel "Oberhaupt" Tschetscheniens.

Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten.

Der russische Präsident Medwedew versucht Tschetschenien auch durch Wirtschaftshilfe zu "befrieden".

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahhabismus. Viele Moscheen wurden wiederaufgebaut, die Zentralmoschee von Grosny ist die größte in Russland. Jeder, der in Verdacht steht, ihn und seine Regierung zu kritisieren, wird verfolgt. Eine organisierte politische Opposition gibt es daher nicht. Die 16.000 Mann starken Einheiten Kadyrows sind für viele Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bis heute verantwortlich.

(Tschetschenien, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien, Zugriff 11.01.2011, Ramzan Kadyrow, http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow, Zugriff 11.01.2011, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus:

Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 25.11.2009, Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat-Blutrache vom 5.11.2009, Martin Malek, Understanding Chechen Culture, Der Standard vom 19.01.2010, Eurasisches Magazin vom 03.05.2010, Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, )

1. Allgemeine Sicherheitssituation

Präsident Ramzan Kadyrow hat in Tschetschenien ein repressives, stark auf seine Person zugeschnittenes Regime etabliert, was die Betätigungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft auf ein Minimum reduziert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt kaum Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors. Nach zwei Jahren mit deutlichen Fortschritten sowohl bei der Sicherheitsals auch bei der Menschenrechtslage hatte sich die Situation in beiden Bereichen in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt wieder verschlechtert. Berichtet wurde von verstärktem Zulauf zu den in der Republik aktiven Rebellengruppen und erhöhter Anschlagstätigkeit. Im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben. Nach glaubhaften Angaben von Menschenrechts-NROs reagierten die Behörden in einigen Fällen mit dem Abbrennen der Wohnhäuser der Familien von Personen, die sich den Rebellen angeschlossen haben. Die Entführungszahlen stiegen wieder an: Memorial hat 74 Entführungsfälle für die erste Jahreshälfte 2009 registriert (im Gesamtjahr 2008 waren es im Vergleich 42). Die Entführungen wurden größtenteils den (vor allem republikinternen) Sicherheitskräften zugeschrieben. Weiterhin werden zahlreiche Fälle von Folter gemeldet. Unter Anwendung von Folter erlangte Geständnisse werden (nach Informationen von Memorial) - auch außerhalb Tschetscheniens - regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 18)

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffnete Opposition wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert, welche allerdings kaum Sympathien in der Bevölkerung genießen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf entlegene Bergregionen.

Seit Jahresbeginn 2010 ist es in Tschetschenien jedoch zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt, was teilweise ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien bewirkt. Die Macht von Ramzan Kadyrow, ist in Tschetschenien unumstritten. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe, über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Ministerpräsident Putin verfüge und sich großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreue.

(Asylländerbericht Russland der Österreichischen Botschaft in Moskau, Stand 21.10.2010, Seite 15)

Der stetige Rückgang der föderalen Streitkräfte nach Ende der "heißen" Phase des zweiten Krieges ab 2002 kann als Zeichen für die verbesserte Sicherheitslage verstanden werden. Der Rückzug der russischen Truppen war nicht nur durch die Stabilisierung der Sicherheitslage, sondern auch durch die sukzessive Übergabe der Verantwortung auf lokale tschetschenische Streitkräfte, die erst in den letzten Jahren anwuchsen, möglich. Die andauernde Stationierung föderaler Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der trotz der Beendigung der von 1999 bis 2009 dauernden Anti-Terror-Organisation (ATO) nicht erfolgte Abzug zeigen, dass die tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin föderale Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen benötigen. Andererseits kann auch davon ausgegangen werden, dass Moskau seine Truppen vermutlich aus mangelndem Vertrauen in Kadyrow weiterhin dort stationiert lässt. Die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen und die Wortwahl der Präsidenten Medwedew und Kadyrow sowie des Ministerpräsidenten Putin zeigen jedenfalls, dass man zur Bekämpfung des "Terrorismus" im Nordkaukasus insgesamt weiterhin eher auf militärische Gewalt setzt, und soziale und wirtschaftliche Maßnahmen eine untergeordnete Rolle spielen.

Medwedew fordert weiterhin "brutale Maßnahmen" gegen Terroristen und spricht von einem "schonungslosen Kampf" gegen die Rebellengruppen. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 oder den Anschlag auf ein Kaffeehaus in Pjatigorsk im August 2010 sprach sich Medwedew für die "Zerstörung" der Kämpfer aus. In Anbetracht der 2014 in Sotschi stattfindenden olympischen Winterspiele wird gemutmaßt, dass Medwedew meinen könnte, allein die Anwendung roher Gewalt könne die Region genügend stabilisieren um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14)

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Organisation 2009 temporär wieder vermehrt Anschläge in Tschetschenien zu verzeichnen waren. Die 2009 sprunghaft angestiegene Anzahl an Selbstmordanschlägen ist 2010 wieder stark eingebrochen. Der jüngste Angriff auf die Heimatstadt Kadyrows Zenteroi am 29. August 2010 lässt keine Zweifel, dass die tschetschenischen Rebellen auch zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind. Von einer Stärkung der Widerstandsbewegung, die in der nächsten Zeit zu einem Ausbruch größerer Kamphandlungen führen könnte, ist jedoch nicht auszugehen.

Wenngleich sich die Sicherheitslage im Sinne dessen, dass keine großflächigen Kampfhandlungen stattfinden und es zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung kommt stabilisiert hat, so zeigt sich also, dass dies nicht zuletzt auf die repressive Machtausübung Ramzan Kadyrows und seiner Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Das teilweise brutale und in einigen Fällen als menschenrechtswidrig zu bezeichnende Vorgehen der Sicherheitskräfte (für das diese kaum belangt werden) bringt zwar auch Resultate mit sich, da immer wieder auch führende Kämpfer "neutralisiert", also getötet oder verhaftet werden. Dadurch konnte die Sicherheitslage in Tschetschenien weitgehend stabilisiert werden. Andererseits trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass sich auch junge Menschen, die sich zunächst nicht mit radikal-islamischem Gedankengut identifizieren, der Widerstandsbewegung anschließen. Deshalb wird die Rebellenbewegung auch in nächster Zeit nicht an Schlagkraft verlieren. Eine nachhaltige Befriedung ist also weiterhin nicht absehbar, die in Zusammenhang mit Tschetschenien so oft zitierte Gewaltspirale dreht sich weiter.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 4-5)

2. Verfolgungsgefahr

2.1. Zivilbevölkerung

Glaubwürdigen Berichten von NROs, internationalen Organisationen und der Presse zufolge haben sich auch nach dem von offizieller Seite festgestellten Abschluss des "politischen Prozesses" zur Überwindung des Tschetschenienkonflikts dort erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 18)

Bei Sondereinsätzen der Anti-Terror-Organisation geraten gelegentlich auch Zivilisten ins Schussfeld, wie etwa ein Vorfall im inguschetisch-tschetschenischen Grenzgebiet im Februar 2010 zeigt:

Bei diesem Sondereinsatz kamen je nach Angaben zwischen vier und 14 Zivilisten ums Leben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Sicherheitskräfte getötete Zivilisten manchmal als Kämpfer bezeichnen würden, um die Statistik zu schönen. Die derzeit stattfindenden Kämpfe führen jedoch nicht zu einer Vertreibung der Zivilbevölkerung.

In den letzten Jahren kehrten nicht nur tausende Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück, sondern auch Tschetschenen, die nach Europa flüchteten. Das subjektive Unsicherheitsgefühl verhindert eine solche Rückkehr scheinbar nicht. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen oder unmenschliche Behandlung durch Sicherheitskräfte stattfinden und fragwürdige Maßnahmen wie die Kollektivbestrafung von Kadyrow und anderen tschetschenischen Amtsträgern gutgeheißen werden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 5)

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Bisher gibt es nur sehr wenige Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verhängte dasselbe Gericht in der "Sache Ulman" Haftstrafen zwischen neun und 14 Jahren gegen vier Offiziere wegen der Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Ulman und Mittäter waren zuvor zwischen 2002 und 2005 zweimal von Geschworenengerichten freigesprochen worden, bis der russische Verfassungsgerichtshof diese Freisprüche kassierte und eine erneute gerichtliche Prüfung des Falls anordnete. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Für Aufsehen sorgte die vorzeitige Entlassung von Ex-Oberst Budanow. Er war 2003 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil er im Jahr 2000 eine 18-jährige Tschetschenin getötet hatte, und ist im Januar 2009 vorzeitig aus der Haft entlassen worden.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19)

Eine Gefahr für Zivilisten stellen nicht nur die Kämpfe zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften dar, sondern auch die in der Republik verbreiteten Anti-Personenminen. Rund 14.000 Hektar, etwa 1% des gesamten Territoriums sollen weiterhin vermint sein. 2008 starben 39 Personen, zwischen 2005 und 2008 insgesamt 171 Personen durch Anti-Personenminen und Blindgänger. Die Zahl der Todesfälle ging in diesen drei Jahren mit jedem Jahr zurück. Des Problems der Minen ist man sich bewusst, zuletzt sprach sich Präsident Medwedew im August 2010 für weitere Minenräumungen in Tschetschenien aus. (Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 19-20)

2.2. Die Rebellen

Die tschetschenische Rebellenbewegung entwickelte sich bereits vor Ausbruch des zweiten Krieges immer mehr von einer separatistischen hin zu einem islamistischen Netzwerk und radikalisierte sich im Verlauf der Kriegsjahre erheblich. Damit einher ging die Ausbreitung der Gewalt auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, wo die Sicherheitslage mittlerweile als prekärer als in Tschetschenien gilt, sowie in geringerem Ausmaß auch auf Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und Nordossetien. Durch die Ausrufung des "Kaukasus Emirats" durch Dokku Umarow (Emir Abu Usman) Ende Oktober 2007 wurde offensichtlich, dass sich der tschetschenische Widerstand nunmehr als Teil einer pankaukasischen islamischen Bewegung betrachtet, deren Ziel nicht die Unabhängigkeit der Republik, sondern vielmehr die "Befreiung" der derzeit "von den Russen besetzten" "islamischen Lande" von "Ungläubigen" ist. Grundsätzlich kann die tschetschenische Rebellenbewegung daher heute nicht mehr losgelöst von den im gesamten Nordkaukasus agierenden Rebellengruppen betrachtet werden. Die einzelnen Gruppen des die Republiksgrenzen überschreitenden Netzwerks stehen zwar miteinander in Verbindung, handeln jedoch weitgehend autonom und dürften einzelne Angriffe auch nicht miteinander koordinieren.

Die Anführer der einzelnen Gruppen ("Dschamaat") nennen sich "Emir". Das traditionelle Rückzugsgebiet in den Wäldern der schwach besiedelten Bergregion im Süden des Landes wird nach wie vor genutzt. Insbesondere die Grenzgebiete zu den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan sind von Bedeutung. Die tatsächliche Anzahl der Kämpfer ist unklar, Schätzungen reichen von 50 bis 60 (Aussagen Kadyrows) über rund 500 (FSB) bis zu 1.500 Mann (einzelne unabhängige Beobachter in Tschetschenien). Dokku Umarow gab im März 2010 an, die Anzahl der Mudschaheddin im gesamten Nordkaukasus läge zwischen 10.000 und 30.000 Mann, bei entsprechenden Ressourcen könnte er fünf- bis zehnmal so viele anführen. Während die Angaben Kadyrows zu niedrig angesetzt sind (allein 2009 sollen offiziellen Angaben zufolge 190 Kämpfer in Tschetschenien ums Leben gekommen sein, in den ersten sieben Monaten 2010 51), sind jene Umarows sicherlich stark übertrieben.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-15)

Verfolgungshandlungen von Unterstützern der Kämpfer im zweiten Tschetschenienkrieg können eher vorkommen als bei Unterstützern der Kämpfer des ersten Krieges, wo eine Vorfolgung heutzutage eher auszuschließen ist. Entscheidend für eine Verfolgung ist, wie aktiv ein Kämpfer tatsächlich involviert war oder gegebenenfalls immer noch ist. Sowohl bei den Unterstützern des Widerstands im ersten und zweiten Tschetschenienkrieg vor 2005 sind einzelne Verfolgungshandlungen jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen. Familienmitglieder und Unterstützer von derzeit aktiven Rebellen sind, sofern sie als solche bekannt sind, sicherlich einer Bedrohung durch staatliche Organe ausgesetzt. Fälle strafrechtlicher Verfolgung von Unterstützern von Rebellen sind bekannt. Die ergriffenen Maßnahmen wie etwa Hausniederbrennungen finden nicht offiziell statt, werden aber geduldet, wenn nicht sogar durch Aussagen hoher Regierungsbehörden bis hin zu Präsident Kadyrow informell gefördert.

(Analyse der Staatendokumentation, Tschetschenien - Gefährdungseinschätzung: Menschenrechtsaktivisten und Unterstützer (von ehemaligen) Widerstandskämpfern vom 09.09.2009, Seite 13 und 14)

Eine weitere Strategie, Rebellen zu bekämpfen, besteht darin, Angehörige vermeintlicher Rebellen unter Druck zu setzen, um diese zur Aufgabe zu bewegen. Nachdem dieses Vorgehen Menschenrechtsorganisationen zufolge in den letzten Jahren zurückgegangen war, wird seit 2008 wieder vermehrt über solche Repressalien berichtet. So etwa dokumentierte die NRO Human Rights Watch zwischen Juli 2008 und Juli 2009 über zwei Dutzend Fälle, bei denen tschetschenische Sicherheitskräfte Häuser von Familien angeblicher Untergrund-kämpfer angezündet haben - als Strafe dafür, dass ein Sohn oder Enkel Widerstandskämpfer sei. Seit Sommer 2009 erhielt Human Rights Watch weitere Berichte über Haus-Niederbrennungen, zuletzt im März 2010 in Schali. Hochrangige lokale Politiker wie Ramzan Kadyrow oder der Bürgermeister von Grosny Muslim Chutschijew sprachen sich explizit für diese Art der kollektiven Bestrafung aus. Des Weiteren gibt es Berichte, denen zufolge Sicherheitskräfte Rebellen zu vergiften versuchen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 12)

2.2.1. Das Vorgehen der Rebellen

In den ersten Jahren des zweiten Krieges kämpften ganze Armeedivisionen und Brigaden russischer Truppen gegen die Rebellen. Nachdem es den föderalen Truppen gelungen war, große Kampfverbände zu besiegen, gingen die Auseinandersetzungen in einen Guerillakrieg über. In den ersten Monaten des zweiten Tschetschenienkrieges waren die russischen Truppen, die sich vor allem auf die als Hochburgen der Rebellen geltenden südlichen Regionen der Republik konzentrierten, beinahe täglich Bombenanschlägen und Angriffen durch Heckenschützen ausgesetzt. Die Stärke und Kräfte der Kämpfer nahmen ab 2002 und deutlich mit 2004 ab, die Häufigkeit militärischer Aktionen ging zurück. Nachdem viele hochrangige Kommandeure der ersten Generation liquidiert worden waren, - nämlich im März 2002 Ibn al-Chattab, im Jänner 2003 Ruslan Gelajew, im März 2005 Aslan Maschadow, im Juni 2006 Abdul-Chalim Sadulajew und im Juli 2006 Schamil Bassajew - verlor die Rebellenbewegung in Tschetschenien insgesamt an Schlagkraft. Tschetschenische Kämpfer begannen zunehmend auf Terrorakte zu setzen, wie etwa die Geiselnahme im Moskauer Theater Dubrowka 2002, die Geiselnahme an der Schule von Beslan 2004 oder der Angriff auf Naltschik 2005. Die jüngsten Anschläge im russischen Kernland - jener auf den Zug Newski-Express im November 2009 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 - gingen Bekennerschreiben zufolge zwar ebenfalls auf das Konto nordkaukasischer Rebellen, allerdings vermutlich nicht tschetschenischer.

Heutzutage teilt sich die Rebellenbewegung in Tschetschenien in kleine, extrem mobile und unabhängige Gruppen von Kämpfern, die sich im gesamten Nordkaukasus praktisch mehr oder weniger frei bewegen können. Die kleine Gruppengröße (Berichten zufolge fünf bis zehn Kämpfer pro Gruppe) erleichtert es, flexibel zu bleiben, die Standorte häufig zu wechseln und die Infiltration durch Gegner zu erschweren. Regelmäßig - aus Medienberichten zu schließen mehrmals monatlich - kommt es zu Angriffen gegen staatliche Einrichtungen und Sicherheitskräfte, ebenso wie gegen vermeintliche Gegner der Rebellen. Seit 2008 führt die islamistische Rebellenbewegung im Nordkaukasus wieder vermehrt Selbstmordattentate durch, die insbesondere auf lokale Sicherheitskräfte abzielen, jedoch auch zahlreiche zivile Opfer fordern. Nachdem sich im Jahr 2001 die erste so genannte "Schwarze Witwe" in die Luft gesprengt hatte, kam es nicht zuletzt durch die Gründung des Selbstmordkommandos "Riyadus Salihin" ("Gärten der Tugendhaften") durch Schamil Bassajew regelmäßig zu Selbstmordanschlägen. 2004 riss diese Reihe ab, nach einer ungefähr vierjährigen Pause kam es zu einer Wiederbelebung der Riyadus Salihin durch Said Buryatsky (Alexandr Tichomirow) Ende 2008. Im Jahr 2009 kam es ab dem Sommer in Tschetschenien zu mindestens zehn Selbstmordanschlägen. Danach ging deren Häufigkeit zwar wieder zurück, dennoch kam es auch 2010 zu, je nach Quelle, ein bis zwei Selbstmordanschlägen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 16)

2.2.2. Schwächung der Rebellenbewegung

Im letzen Jahr kamen zahlreiche Anführer des Kaukasus Emirats ums Leben, darunter auch tschetschenische. Zuletzt wurde am 21. August 2010 der "Emir von Grosny", Chamsat Schamilew, bei einem Sondereinsatz getötet. Gerade in Tschetschenien selbst gelang es im Gegensatz zu Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien aber nicht, auch bedeutende Führungspersönlichkeiten wie Dokku Umarow, festzunehmen oder zu liquidieren. Ob die Tötung von Führungspersönlichkeiten zu einer Schwächung der tschetschenischen Rebellenbewegung führen würde ist fraglich. Das Beispiel der anderen Republiken zeigt, dass dies zumindest kurzfristig nicht zu einer entscheidenden Schwächung der einzelnen Dschamaat führt. 2009 wurden den offiziellen Angaben zufolge 148 Kämpfer "liquidiert", 290 Kämpfer und Unterstützer wurden verhaftet. Jedoch scheint der Zulauf zur Rebellenbewegung weiterhin stabil zu sein.

Die nordkaukasische Widerstandsbewegung wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert. Radikal-islamisches Gedankengut findet jedoch in Tschetschenien kaum Sympathien in der Bevölkerung, die Islamisten können sich durch den hohen Repressionsdruck nicht frei in der Öffentlichkeit bewegen. Obwohl die radikal-islamische Ausrichtung einige Männer abschrecken soll sich den Kämpfern anzuschließen, scheint die nordkaukasische Rebellenbewegung keine Probleme zu haben, neue Mitglieder zu rekrutieren. Dabei soll es sich um eine neue Generation vor allem junger Männer handeln, die aufgrund des gewalttätigen Vorgehens der lokalen Sicherheitskräfte gegen vermeintliche Rebellen und ihre Angehörige radikalisiert werden. Aber auch junge Frauen schließen sich vereinzelt der Rebellenbewegung an. Dazu kommen sozioökonomische Gründe: Bei der hohen Arbeitslosenrate fehlt vielen jungen Tschetschenen die Perspektive. Das radikal islamistische Gedankengut spielt bei der Rekrutierung eine untergeordnete Rolle, viele werden erst als Mitglied der Untergrundbewegung indoktriniert.

Obwohl die Rekrutierung neuer Mitglieder kein Problem darstellt, gehen den tschetschenischen Kämpfern einigen Beobachtern zufolge zusehends die Ressourcen aus, da es Kadyrow und russischen Sicherheitskräften gelungen sei, ihre Versorgungslinien abzuschneiden. Am 1. August 2010 wurde ein Video von Dokku Umarow veröffentlicht, in dem er seinen Rücktritt erklärte. Am nächsten Tag erklärte er in einem weiteren Video, dass ersteres gefälscht gewesen wäre und er nicht zurücktrete. Seitdem ranken sich die Gerüchte über die Gründe für diese widersprüchlichen Aussagen, zum Beispiel wird gemutmaßt, ob es einen Putsch jüngerer Emire gegeben hat, die Umarow zum Rücktritt gezwungen hatten oder ob Umarow unter Druck stand, weil er als schlechter militärischer Stratege betrachtet wird oder ihm die Schuld an der Schwächung des tschetschenischen Flügels des Emirats gegeben wurde.

Anderen Spekulationen zufolge hatten einige Emire der anderen Republiken nach dem Rücktritt Umarows dessen von ihm ernannten Nachfolger Aslanbek Wadalow (Emir Aslanbek) nicht anerkannt, was Umarow zu diesem "Rücktritt vom Rücktritt" zwang. Einer wiederum anderen Interpretation der Ereignisse zufolge handelte es sich um einen von langer Hand geplanten Coup des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB), um Umarows Position als Anführer des Kaukasus Emirats zu unterminieren. Der tschetschenische Emir Aslanbek selbst trat Mitte August als Stellvertreter Umarows (naib), zu dem er erst im Juli 2010 ernannt worden war, zurück. Er und Husein Gakajew, ebenfalls erst im Juli zum Emir des Gebiets Tschetscheniens des Kaukasus Emirats ernannt, erklärten Umarow nunmehr nicht die Treue halten zu können. Dem folgten auch die beiden bekannten, in Tschetschenien aktiven Emire Tarchan und Muchannad, wenngleich sich alle als dem Kaukasus Emirat weiterhin verpflichtet erklärten. Andere Emire des in Kabardino-Balkarien und Karatschajewo-Tscherkessien tätigen Jarmuk Dschamaat und des inguschetischen und des Dagestan Dschamaat hingegen erklärten Umarow weiterhin ihre Loyalität. Diese jüngsten Vorgänge werden vielfach als Spaltung innerhalb der Rebellenbewegung interpretiert.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 16-18)

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte unterstehen fast allesamt dem tschetschenischen Innenministerium. Nach Auflösung der beiden Bataillons Sapad und Wostok, die direkt dem russischen Verteidigungsministerium unterstanden hatten, stehen in der Praxis alle Sicherheitskräfte in Tschetschenien unter der direkten Kontrolle Ramzan Kadyrows oder sind ihm loyal, da es Kadyrow im Laufe der Jahre gelungen war, nahezu das gesamte Innenministerium mit Vertrauenspersonen zu besetzen

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 9)

Die Rebellenbewegung erfuhr durch den Verlust hunderter Kämpfer und hochrangiger Kommandeure durch Tod oder Überlaufen eine Schwächung, die sich ab 2003 bemerkbar machte. Dies führte aber aufgrund des nicht abzubrechen scheinenden Zulaufs zur Rebellenbewegung nicht zu einer Ausmerzung dieser, Angriffe auf Sicherheitskräfte werden regelmäßig durchgeführt. Am 29. August 2010 wurde die Heimatstadt Ramzan Kadyrows, Zenteroi, von einer Gruppe von 30 bis 60 islamistischen Kämpfern angegriffen. Überraschend war hier vor allem, dass eine so große Einheit angriff. Der Angriff zeigt aber auch, dass die Rebellen zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind, schließlich gilt Zenteroi als die am besten bewachte Stadt Tschetscheniens.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 18)

2.2.3. Neuerliche Gewalt durch Rebellengruppen

Als Gründe für den neuerlichen Gewaltausbruch werden nicht nur religiöser Extremismus und ethnischer Separatismus genannt. Auch die autoritäre Politik Kadyrows und die durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte begangenen Menschenrechtsverletzungen werden als Auslöser genannt. Wie bereits erwähnt werden Armut und die schlechte wirtschaftliche Lage sowie die weit verbreitete Korruption und Klanwirtschaft ebenso dafür verantwortlich gemacht, den Zulauf aus der tschetschenischen Bevölkerung zur Widerstandsbewegung nicht abreißen zu lassen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-18)

Am 19.10.2010 drangen Terroristen sogar bis zum schwer bewachten Parlament in Grosny vor. Aus bisher ungeklärten Gründen gelang es drei Terroristen die Sperre vor dem Parlamentsgebäude zu passieren. Einer der Angreifer sprengte sich davor in die Luft, zwei Untergrundkämpfer drangen in das Gebäude ein, lieferten sich im Erdgeschoss ein Feuergefecht mit den tschetschenischen Sicherheitskräften und sprengten sich dann selbst in die Luft. Tschetschenische Parlamentsabgeordnete, die eine Geiselnahme fürchteten, flüchteten in den zweiten Stock. Russische Parlamentarier, die aus der Ural-Region Swerdlowsk angereist waren, wurden evakuiert. Tschetschenische Polizisten verließen mit blutenden Köpfen das Gebäude. Außer den Terroristen wurden bei dem Überfall drei Personen getötet, darunter zwei Polizisten und ein tschetschenischer Zivilist. 17 Personen, darunter sechs Polizisten und elf Zivilisten, wurden verletzt. Mit dem Überfall zeigten die Separatisten, dass sie auch in Tschetschenien, wo es in den letzten Jahren weit weniger Anschläge gegeben hatte, als in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, noch handlungsfähig sind. Kadyrow, das von Putin eingesetzte Oberhaupt Tschetscheniens, versuchte den Vorfall herunterzuspielen. Seine Sicherheitskräfte hätten nur 20 Minuten gebraucht, um den Angriff auf das Parlament abzuwehren. Doch nach Medienberichten dauerten die Feuergefechte über eine Stunde.

(Eurasisches Magazin: Der Terror in Tschetschenien ist zurück vom 06.12.2010)

Am 6. Juli forderte Putin im südrussischen Kislowodsk eine Amnestie für die Untergrundkämpfer im Nordkaukasus. Damit bewies er, dass man mit allen Mitteln Frieden erreichen will.

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 5)

2.3. Menschenrechtsaktivisten und Gegner Kadyrows:

Der Mord an einer Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Memorial im Juli 2009 zeigt, dass geäußerte Bedenken in Hinblick auf Rechte und Sicherheit der NRO Mitarbeiter derzeit nicht unbegründet sind. Am 15. Juli 2009 wurde Natalja Estemirova nach Inguschetien verschleppt und erschossen. Erwähnt sei auch der Mord an der NRO Mitarbeiterin Salema Sadulaeva ("Let¿s Save the Generation") und ihrem Ehemann Alik Dzhabrailov am 11. August 2009. Die beiden waren in einem Vorort von Grosny erschossen aufgefunden worden. Ob ihr Tod aber tatsächlich mit der Tätigkeit Sadulaevas in der NRO zusammenhängt ist unklar, da auch Vermutungen bestehen, dass der Mord aus Rache an ihrem Ehemann passierte. Unabhängig von den Mordmotiven scheint eine Aufklärung der Morde in allen drei Fällen unwahrscheinlich.

Bereits im Jänner 2009 waren in Moskau auf offener Straße Stanislav Markelov, ein prominenter Menschenrechtsanwalt der zahlreiche Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien vertreten hatte, und Anastasiya Baburova, eine junge Praktikantin für die Zeitung "Novaya Gazeta", für die bereits Anna Politkovskaya bis zu ihrem Tod gearbeitet hatte, erschossen worden. Im August 2008 starb der inguschetische Journalist und Anwalt Magomed Yevloev in einem Polizeiauto, nachdem er für eine Einvernahme festgenommen worden war. Somit kann bei Personen, die sich aktiv für Menschenrechte in Tschetschenien oder das Aufzeigen von dort begangenen Menschenrechtsverletzungen einsetzen, davon ausgegangen werden, dass diese im Allgemeinen einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sind.

(Analyse der Staatendokumentation, Tschetschenien - Gefährdungseinschätzung: Menschenrechtsaktivisten und Unterstützer (von ehemaligen) Widerstandskämpfern vom 09.09.2009, Seite 6, 12 und 13)

Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen verschiedenen offiziellen tschetschenischen Einheiten, insbesondere zwischen solchen unter der Kontrolle Kadyrows und jenen unter der Kontrolle von Personen, die gemeinhin als seine persönlichen Gegner bezeichnet wurden, wie zum Beispiel der mittlerweile ermordete Sulim Jamadajew und der nunmehr aus Tschetschenien vertriebene Said-Magomed Kakijew. Bei diesen Zusammenstößen kam es auch zu Todesfällen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 10)

3. Versorgungslage

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in den Jahren seit 2007 deutlich verbessert.

Einige Indizien hierfür liefern die offiziellen Statistiken: Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Das laufende föderale Hilfsprogramm zum Aufbau Tschetscheniens sieht 111 Mrd. Rubel (2,5 Mrd. ¿) für die Jahre 2008-2011 vor. Damit sind die Staatsausgaben in Tschetschenien pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des südlichen Föderalen Bezirks. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU-Kommission findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, Argun und Schali, statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern jedoch in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten; sie konstatieren keine humanitäre Notlage, immer noch aber erhebliche Entwicklungsprobleme.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19 und 20)

3.1. Wohnsituation

Im Juli 2003 führte die Regierung Kompensationszahlungen ein. Im Rahmen dessen sollten Personen, deren gesamtes Eigentum zerstört worden war, 350.000 Rubel bekommen. Der föderalen Regierung zufolge hatten bis Ende 2004 39.000 Personen solche Kompensationszahlungen erhalten. Zusätzlich zu Regierungsprogrammen unterhalten humanitäre Organisationen Programme zur Beschaffung von Unterkünften. Zwischen 2000 und 2007 wurden in Tschetschenien rund 20.000 Häuser mit der Hilfe humanitärer Organisationen repariert oder aufgebaut.

(BAA - ÖIF, Soziale Infrastruktur in Tschetschenien; August 2009, Seite 9)

Wohnraum bleibt ein großes Problem. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden während der kriegerischen Auseinandersetzungen seit 1994 über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Nichtregierungsorganisationen berichten, dass nur rund ein Drittel der Vertriebenen eine Bestätigung der Kompensationsberechtigung erhalte. Viele Rückkehrer bekämen bei ihrer Ankunft in Grosny keine Entschädigung, weil die Behörden sich weigerten, ihre Dokumente zu bearbeiten, oder weil ihre Namen von der Liste der Berechtigten verschwunden seien. Verschiedene Schätzungen, u.a. des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Gil Robles, gehen davon aus, dass 30-50% der Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 20)

3.2. Nahrungsversorgung

Der Bazar in Grosny wurde wiedereröffnet und es ist praktisch alles erwerbbar, allerdings nicht immer zu leistbaren Preisen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat seine Aufmerksamkeit weg von Hilfsleistungen hin zum Aufbau von eigenständiger Versorgung gelenkt. So wurden Projekte für die Förderung der Eröffnung von kleinen Geschäften - z.B. Schuhreparaturwerkstätten, Bäckereien, Verarbeitung von Wolle und Herstellung von Kleidung - ins Leben gerufen.

Auf Grund zahlreicher Landminen und der bestehenden Bodenverschmutzung ist es in Tschetschenien nur schwer möglich, Landwirtschaft oder Viehzucht zu betreiben. Haupteinnahmequelle ist der Handel, viele Familien leben auch davon, dass Familienangehörige Geld aus anderen Teilen Russlands oder dem Ausland nach Tschetschenien schicken. Berichten des World Food Programm zu Folge ist die Versorgungslage in Tschetschenien jedoch nach wie vor schlecht. Etwa 80% der Betroffenen würden unter der Armutsgrenze der Russischen Föderation leben. Überdies seien 10% der Kinder akut unterernährt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010)

Das Notfall- und Rehabilitationsprogramm im Nordkaukasus soll für die Ernährungssicherheit und Ernährung durch "Empowerment" gefährdeter Bevölkerungsgruppen sorgen. Diese Ziele sollen dadurch erreicht werden, indem man die landwirtschaftliche und die auf Viehzucht basierende Produktion wiederaufnimmt und gleichzeitig verstärkt neue Kenntnisse über Ernährung und Klein-Farmbetriebe anwendet.

Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) nahm am Inter-Agency-Transitional-Arbeitsplan für den Nordkaukasus 2007 teil, der die Durchführung von Aktivitäten zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und Stärkung ländlicher Existenzmöglichkeiten in der Region beabsichtigt. Insbesondere gehören zu den wichtigsten Zielen der FAO im Bereich der Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion die Wiedereingliederung von sozial benachteiligten Gruppen, die Bereitstellung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln für Einkommen schaffende Maßnahmen, der Wiederaufbau der wichtigen landwirtschaftlichen Infrastruktur, die Gewährung von Dienstleistungen sowie die Stärkung der institutionellen Kapazitäten in der Landwirtschaft.

Landwirtschaftliche Projekte wurden in der Region durch die 2006 von der FAO errichtete Emergency and Rehabilitation Coordination Unit (ERCU) umgesetzt. Laufende FAO-Aktivitäten beinhalten derzeit die Förderung der Gewächshausproduktion und die Vermarktung von hochwertigen Nutzpflanzen. Die FAO realisiert gerade zwei Projekte, die sich mit Gewächshausproduktion beschäftigen, von denen ein Projekt auch eine kleine Imkerei beinhaltet. Diese Projekte zielen auf Grundversorgungsempfänger ab, die vom Konflikt betroffen sind, mit dem Ziel der Verringerung der Abhängigkeit von externer Hilfe in Tschetschenien und Inguschetien durch vielversprechende Ertragsmöglichkeiten und der Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Die Herangehensweise der FAO, die sich daran orientiert Klein-Agrarbetriebe zu errichten, stimuliert lokale kleine landwirtschaftliche Märkte.

(Homepage der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation), Zugriff am 11. Jänner 2011,

http://www.fao.org/countries/55528/en/rus/)

3.3. Arbeitslosigkeit und soziale Lage

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in den Jahren seit 2007 deutlich verbessert. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern jedoch in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten; sie konstatieren keine humanitäre Notlage, immer noch aber erhebliche Entwicklungsprobleme. Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN waren 2008 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19 und 20)

Heute erreicht die Arbeitslosenrate in Tschetschenien 30 Prozent. Putin rief dazu auf, die Wirtschaft der Nordkaukasus-Region anzukurbeln. Um den Rückstand gegenüber anderen Regionen aufzuholen, brauche der Nordkaukasus laut Aussagen Putins rund zehn Prozent Wirtschaftswachstum jährlich und sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit äußerst wichtig. Innerhalb von zehn Jahren sollen laut Putin mindestens 400.000 neue Arbeitsplätze im Nordkaukasus entstehen. Beim Wiederaufbau gibt es bereits Erfolge zu verzeichnen. In den vergangenen zwei Jahren sind in Tschetschenien beispielsweise 53 Schulen und 35 medizinische Einrichtungen in Betrieb genommen worden, deren Bau der Staat finanziert hat.

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 4)

3.4. Medizinische Versorgungssituation

Die Gesundheitsversorgung stellt auch in dem "Zielprogramm für den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau 2008-2011" einen Schwerpunkt dar. Insbesondere seit 2006 zeigen sich im Gesundheitssektor erste Anzeichen einer Erholung. Diese Erholung ist an verschiedenen Kennzahlen ersichtlich: Auf 10.000 Einwohner kamen im Jahr 2007 73,2 Krankenhausbetten, 22,5 Ärzte, sowie 66,7 weiteres medizinisches Personal. Insgesamt gab es 2007 62 Krankenhäuser, 79 ambulant behandelnde Polikliniken, 185 Stellen für ärztliche Betreuung und Geburtshilfe und fünf Zentren für ansteckende Krankheiten. Dies stellt in jedem der Bereiche einen signifikanten Anstieg im Vergleich zum Jahr 2006 dar.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 6)

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - waren medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Nach Angaben der VN-Entwicklungshilfeorgansiation UNDP entspricht die Dichte der Polikliniken in einigen Bezirken nur 20 % des russischen Durchschnitts. Dabei treten einige stressbedingte Krankheiten laut tschetschenischem Gesundheitsministerium zehn- bis fünfzehnmal häufiger auf als vor dem Krieg. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung dank internationaler Hilfe inzwischen aber ein Niveau erreicht haben, das dem durchschnittlichen Standard in der Russischen Föderation entspricht. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 20f)

Diverse Erkrankungen wie Hepatitis C, Coronare Herzkrankheiten, Posttraumatische Belastungsstörungen und sogar DES-Stent-Implantationen etc. können laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation in der Russischen Föderation (und in der Tschetschenischen Republik) behandelt und nachversorgt werden. In Tschetschenien ist die Versorgung mit medizinischen Spezialisten noch immer unzureichend und komplizierte Fälle werden für die Behandlung und Nachsorge von ihren örtlichen Kliniken in die nächsten Städte (Krasnodar, Rostov-on-Don, Machatschkala) überwiesen.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 10.08.2010, Seite 2)

Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist weiterhin sehr einfach, jedoch ist es vor allem seit 2002 zu umfassendem Wiederaufbau durch Regierungsprogramme und Programme Internationaler Organisationen gekommen, die insbesondere seit 2006 auch tatsächlich merkbar sind.

Die offiziellen Statistiken zeigen, dass der Wiederaufbau der Infrastruktur für medizinische Versorgung in den letzten Jahren fortgeschritten ist. Krankenhäuser und Polikliniken wurden wieder aufgebaut. Auch psychologische Behandlungsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich, wobei bei der Betreuung von traumatisierten Kindern besonders UNICEF engagiert tätig ist. Internationale Organisationen stellen mittlerweile nicht mehr nur Nothilfe zur Verfügung, sondern fachmedizinische Versorgung sowie auch Schulungsmaßnahmen für medizinisches Personal vor Ort. Einzelne von Organisationen unterstützte Programme, wie etwa das Tuberkuloseprogramm von Ärzte ohne Grenzen, werden schrittweise an lokale Stellen übergeben. Diese nachhaltigen Maßnahmen sind weitere Hinweise darauf, dass sich die Lage in gewissen Bereichen auch nach Einschätzung dieser Organisationen mittlerweile soweit gebessert hat, dass solch nachhaltige Maßnahmen bzw. sogar ein Rückzug ihrerseits möglich sind.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 10)

Durch die Erhöhung der Quoten auf medizinischen Bildungseinrichtungen versucht man dem Personalmangel entgegenzuwirken. Auch die von elf Internationalen Organisationen durchgeführten Schulungsmaßnahmen können zu einer sukzessiven Besserung des Personalmangels beitragen. Zumindest die medizinische Grundversorgung hat bereits wieder das Vorkriegsniveau erreicht. Dies ist in Anbetracht der Tatsache, dass Monate nach Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges - also vor weniger als zehn Jahren - rund 70% der medizinischen Infrastruktur als zerstört galten, nicht unbeachtlich. Die medizinische Versorgung hat in Tschetschenien noch starken Aufholbedarf, wobei die medizinische Grundversorgung bereits als positives Beispiel für gelungenen Wiederaufbau genannt werden kann. Die diesbezüglich bereits erfolgten Fortschritte sind einerseits auf Unterstützungsleistungen Internationaler Organisationen, andererseits auch auf staatliche Investitionen zurückzuführen. Weitere zukünftige Investitionen sowie positive Entwicklungen zur Linderung des Personalmangels, die sich unter anderem durch erhöhte Quoten in Bildungseinrichtungen abzeichnen, können, sofern sie weitergeführt werden mittel- bis langfristig zu einer Rückkehr zum Vorkriegszustand führen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 10-11)

3.4.1. Psychologische Bertreuung in Tschetschenien

Der Nichtregierungsorganisation Vesta zufolge können psychische Erkrankungen beispielsweise in dem Republiksambulatorium für Neuropsychologie (Grosny), in dem Republikskrankenhaus "Samaschkin" (Zakan-Jurt im Bezirk Atschchoi-Martan) und im Darbachin-Republikskrankenhaus (Braguny im Bezirk Gudermes) behandelt werden. Auch Internationale und Nichtregierungsorganisationen sind im Bereich der psychiatrischen Versorgung tätig: UNICEF entwickelte in Tschetschenien Ende 2005 ein neues Programm, um Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und ihren Familien zu behandeln.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 9)

3.5. Rückkehrer

3.5.1. Derzeitige Situation von Rückkehrern

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden statt, haben aber an Intensität abgenommen. Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit von aus anderen Staaten zurückgeführten Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahegelegt.

Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u.a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 30 und 31)

Mittlerweile sind von den nach Kriegsausbruch weit über 200.000 Flüchtlingen, die vor allem nach Inguschetien geflüchtet waren, die meisten nach Tschetschenien zurückgekehrt. Auch von den innerhalb Tschetscheniens vertriebenen Personen sind die meisten wieder in ihre Häuser zurückgekehrt. Laut UNHCR konnten seit dem Jahr 2002 zehntausende Binnenflüchtlinge aufgrund der Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage und der bereits erfolgten und laufenden Wiederaufbauprogramme in ihre Häuser zurückkehren. Anfang 2009 schätzte das Flüchtlingshochkommissariat die Zahl der weiterhin Binnenvertriebenen auf 79.000.

Auch ein Anstieg der Anzahl freiwilliger Rückkehrer aus Österreich in die Russische Föderation ist festzustellen. 2008 kehrten in den ersten zehn Monaten 1.196 Personen aus Europa in die Russische Föderation zurück (hiervon 173 aus Österreich). Zwischen 2003 und 2007 kehrten insgesamt 1.485 Personen zurück. Hierbei handelt es sich allerdings nur um mit der Unterstützung der IOM (International Organisation for Migration) zurückgekehrte Personen, die tatsächliche Gesamtzahl liegt vermutlich höher. 75% der (durch IOM unterstützten) Rückkehrer in die Russische Föderation kehrten 2008 nach Tschetschenien zurück, 17% gingen nach Dagestan, 3% nach Inguschetien. Tschetschenen kehren derzeit auch aus Moskau und anderen Teilen der Russischen Föderation nach Tschetschenien zurück. Mit Unterstützung von IOM kehrten 2009 insgesamt 918 Personen aus Österreich in die Russische Föderation zurück. Aus Österreich kehrten darunter mit Unterstützung des VMÖ (Verein Menschenrechte Österreich) 2008 69 Personen, 2009 303, und in den ersten vier Monaten des Jahres 2010 64 Personen nach Tschetschenien zurück.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010)

3.5.2. Frauen als Rückkehrer

Frauen, die nach Tschetschenien zurückkehren, können mit sozialen Beihilfen im Rahmen der Gesetzgebung der Russischen Föderation rechnen. Sozialhilfe und staatliche Zuwendungen stellen neben offiziellen Arbeitslöhnen und Einkommen aus semi-formellen, privaten oder unregelmäßigen Beschäftigungsformen eine wichtige Einkommensquelle für tschetschenische Haushalte dar. Dies gilt insbesondere für die sozial schwächsten sozialen Gruppen, zu denen unter anderem Familien ohne Männer gehören. Neben der auf föderaler Ebene geregelten Sozialversicherung (Renten, Krankenversicherung, Mutterschutz, Arbeitslosigkeit) bestehen auch regional implementierte, beitragsfreie Sozialhilfeprogramme, beispielsweise Kinderbeihilfe, Wohnbeihilfe oder Beihilfen für Invalide. Im Rahmen dieser beitragsfreien regionalen Programme besteht auch eines für Familienmitglieder von Kriegsveteranen und verstorbenen Soldaten, diese Empfängergruppe umfasste 2008 3.163 Personen. Für das letzte Quartal 2008 lag das offizielle Mindestexistenzlevel in der Republik Tschetschenien bei 3.842 Rubel pro Person. Für die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter betrug das Minimum 4.202 Rubel, für Kinder war das Minimum bei 3.594 Rubel festgesetzt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19)

3.5.3. Unbegleitete Minderjährige als Rückkehrer

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können über die Abteilung für staatliche Jugendpolitik, Erziehung und sozialen Schutz für Kinder des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums der Russischen Föderation in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandte zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 32)

4. Innerstaatliche Fluchtalternative

Die Reise bzw. der Aufenthalt von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus in andere Teile der Russischen Föderation ist grundsätzlich möglich, wird aber sowohl durch Transportprobleme als auch durch fehlende Aufnahmekapazitäten erschwert. Wer dazu die Hilfe russischer Regierungsstellen in Anspruch nehmen muss, kann bürokratischen Hemmnissen und Behördenwillkür begegnen. In großen Städten (z.B. in Moskau und St. Petersburg) wird der Zuzug von Personen restriktiv reguliert. Dies beschränkt im Zusammenhang mit der antikaukasischen Stimmung besonders stark die Möglichkeit zurückgeführter Tschetschenen, sich legal dort niederzulassen. Der Botschaft Moskau sind Fälle von Tschetschenen in Moskau bekannt, die gegenüber ihren Vermietern ihre Volkszugehörigkeit verheimlichten und sich stattdessen als Tartaren ausgaben, weil sie sich dadurch weniger Schwierigkeiten bei ihrer Registrierung erhofften. Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Tschetschenen landesweit, insbesondere in den Großstädten, häufig die Registrierung verweigert wird. In seinem Jahresbericht 2008 kritisiert er das noch ungelöste Problem von tschetschenischen Pensionären, deren Arbeitsdokumente während der Tschetschenien-Kriege oder im Rahmen von Terrorbekämpfungsmaßnahmen in Tschetschenien verloren gegangen sind, und die vor allem außerhalb Tschetscheniens daher keine Rentenansprüche nachweisen können.

Es ist darauf hinzuweisen, dass aus den Nordkaukasusrepubliken stammende Personen auch bei Übersiedlung in andere Teile Russlands grundsätzlich weiterhin dem Zugriff der Behörden ihrer Herkunftsregion unterworfen sind. Den regionalen Strafverfolgungsbehörden ist es möglich, auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Föderationssubjekten Personen in Gewahrsam zu nehmen und in ihre Heimatregion zu verbringen. Nach glaubhaften Berichten von Menschenrechts-NGOs wie Memorial wird diese Möglichkeit regelmäßig genutzt; z.B. haben tschetschenische Ermittler am 05.11.2009 in Moskau Arbi Chatschukajew, Leiter der NGO "Prawo" (Recht), in Gewahrsam genommen und zwangsweise zu einer Vernehmung nach Grosny verbracht; am 06.11.2009 wurde er wieder freigelassen. Ihm wurde Nichterscheinen bei einem Vernehmungstermin als Zeuge eines Raubüberfalls vorgeworfen; Menschenrechtsverteidiger sehen hingegen eine Verbindung zu der kurz zuvor erfolgten Tötung seines Bruders als mutmaßlicher Rebell bei einer Milizaktion.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 23 und 24)

Nichtregierungsinstitutionen berichten auch, dass Registrierungsbehörden vereinzelt nicht kooperieren, wenn Tschetschenen sich in ihrem Kreis registrieren lassen oder dort wohnen möchten. Angesichts der Terrorgefahr dürfte sich an dieser Praxis der Behörden in absehbarer Zeit nichts ändern. Daher haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Ihr Lebensstandard hängt stark davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Es kommt immer wieder zu Festnahmen wegen fehlender Registrierung oder aufgrund manipulierter Ermittlungsverfahren.

Tschetschenen leben außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens vor allem in den nordkaukasischen Nachbarrepubliken Dagestan und Kabardino-Balkarien sowie in Südrussland (Regionen Krasnodar, Stawropol, Rostow, Astrachan). Dort ist eine Registrierung grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil dort Wohnraum, was eine Registrierungsvoraussetzung darstellt, erheblich billiger ist. Eine Registrierung ist in vielen Landesteilen oft erst nach Intervention von Nichtregierungsorganisationen, Duma- Abgeordneten, anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung möglich. Eine Registrierung als Binnenflüchtling (IDP, internally displaced person) und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen wie Wohnung, Schule, medizinische Fürsorge, Arbeitsmöglichkeit wird in der Russischen Föderation nach glaubhaften Berichten von amnesty international und des UNHCR regelmäßig verwehrt. Es ist für russische Staatsbürger grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor - wenn auch in stark verringerter Zahl - Kontrollposten der föderalen Truppen oder der sog "Kadyrowzy", die gewöhnlich eine "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben. Sie beträgt für Bewohner Tschetscheniens in der Regel zehn Rubel (also ungefähr 25 Cent); für Auswärtige - auch Tschetschenen - liegt sie höher, z.B. an der inguschetisch-tschetschenischen Grenze bei 50 - 100 Rubel (etwa 1,25 - 2,50 Euro).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 31 und 32)

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass, ob eine Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist, bei Fehlen staatlicher Verfolgung im Einzelfall zu prüfen ist. Dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle. Nicht registrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können.

Länderfeststellungen dieses Inhaltes wurden im Wesentlichen bereits im angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.12.2011 getroffen. In der Beschwerde vom 18.01.2012 wird diesen Länderfeststellungen nicht konkret entgegengetreten.

Die vorstehenden Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers sowie zu den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Identität, zur Staatsangehörigkeit und zur tschetschenischen Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen gründen sich auf das eigene, diesbezüglich glaubwürdige Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer und seinen Familienangehörigen im Verfahren vor dem Bundesasylamt vorgelegten Dokumenten, hinsichtlich deren Echtheit und inhaltlicher Richtigkeit nach derzeitigem Kenntnisstand kein ausreichender Anlass zu zweifeln besteht.

Die Feststellung über die erfolgte Eheschließung gründet sich auf die vorgelegte Heiratsurkunde des Standesamtsverbandes römisch 40 vom

römisch 40 .

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, keiner aktuellen Verfolgung maßgeblicher Intensität ausgesetzt ist, gründet sich auf den Umstand, dass dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers, welches sich im Wesentlichen auf das Fluchtvorbringen seines Vaters stützt, keine Glaubwürdigkeit zukommt.

Der Beschwerdeführer brachte in seiner Erstbefragung am 30.11.2010 vor, dass sein Vater in Tschetschenien gesucht werde und er wegen seines Vaters bereits im Gefängnis gewesen sei. Im Falle seiner Rückkehr nach Tschetschenien werde er sofort verhaftet und nach seinem Vater befragt. Auch in seinen Einvernahmen am 09.12.2010 und am 03.05.2011 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er im Herkunftsstaat Probleme wegen seines Vaters habe ("Die Probleme hängen ausschließlich mit meinem Vater zusammen. Ich hatte die Probleme nur wegen meines Vaters, das kann man so sagen. Die

Festnahme von mir und meinem Bruder ... erfolgte nur wegen meinem

Vater. Sonst hatte ich keine Schwierigkeiten." - "Ich wurde nur wegen meinem Vater verfolgt, sonst hatte ich keine Probleme.").

Hinsichtlich dieses Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers ist zunächst festzuhalten, dass dieses Vorbringen dermaßen vage und unkonkret gehalten ist, dass es bereits aufgrund der Unkonkretheit nicht geeignet sein kann, eine konkret und gezielt gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft darzutun.

Insoweit sich der Beschwerdeführer in seinem Vorbringen auf die Fluchtgründe seines Vaters beruft, wird auf folgende beweiswürdigende Ausführungen des Asylgerichtshofes im den Vater des Beschwerdeführers betreffenden Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. D19 306149-5/2012, verwiesen:

"Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, keiner aktuellen Verfolgung maßgeblicher Intensität ausgesetzt ist, gründet sich auf den Umstand, dass dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen keine Glaubwürdigkeit zukommt.

Das Bundesasylamt tätigte im angefochtenen Bescheid insbesondere folgende beweiswürdigende Ausführungen, welchen sich der Asylgerichtshof in inhaltlicher Hinsicht anschließt:

¿Mit den von Ihnen behaupteten Angaben zu den Gründen der Ausreise bzw. Ihrem neuerlichen Vorbringen für die Begründung Ihres aktuellen Asylantrages vermochten Sie eine Verfolgungsgefahr in Ihrer Heimat jedoch nicht glaubwürdig darlegen. Ihre Behauptung einer konkreten Verfolgung in der Heimat kann nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit, wie nachstehend begründet, keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden kann. Um den Erfordernissen der Glaubwürdigkeit zu genügen, muss das Vorbringen des Asylwerbers nämlich hinreichend substantiiert sein, weshalb vage und widersprüchliche Schilderungen entscheidender Umstände für eine Glaubhaftmachung der asylrechtlichen Relevanz der Erlebnisse nicht ausreichen. Weiters muss das Vorbringen, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Überdies muss - wie bereits zuvor ausgeführt - das Vorbringen plausibel sein, das heißt mit den Tatsachen oder den allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen.

Sie vermochten mit Ihren Aussagen jedoch diesen Anforderungen auf keinen Fall gerecht zu werden, zumal es sich bei Ihren Behauptungen einer Verfolgung durch die russischen Behörde und Misshandlung lediglich um vage Angaben handelt.

Ihre Angaben, die Sie im Rahmen Ihres Sachvortrages dazu gemacht haben, sind zu vage und allgemein gehalten, um damit glaubhaft zu machen, dass Sie in Ihrem Herkunftsland tatsächlich einer Verfolgung deswegen ausgesetzt wären, zumal Sie Ihren eigenen Aussagen nach keine Probleme mit der Polizei, dem Militär oder dem Gericht in der Heimat gehabt haben.

Ein weiterer Hinweis dafür kann auch darin ersehen werden, dass Ihren Aussagen nach nie eine Strafe gegen Sie verhängt oder ein Gerichtsverfahren eingeleitet wurde, noch sonst irgendwelche Sanktionen gegen Sie seitens der Behörden gesetzt wurden, sodass die Befürchtungen als haltlos anzusehen sind, da es für die Sicherheitskräfte in Ihrer Heimat ein Leichtes gewesen wäre, Ihrer habhaft zu werden, sollte tatsächlich Interesse an Ihrer Person bestanden haben.

Es ist jedoch anerkannt, dass im Asylverfahren im besonderen Maße Erfahrungen und typische Geschehnisabläufe zu berücksichtigen sind. Die Betroffenen und die Behörden stehen in solchen Verfahren vor schwierigen Beweisfragen. Sie sind deshalb auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze angewiesen. Dabei ist die Bildung von Erfahrungssätzen nicht nur zugunsten des Asylwerbers möglich. Erfahrungssätze können auch gegen ein Asylvorbringen sprechen.

Nach Erfahrung des Bundesasylamtes als erkennende Behörde kommt dem Vorbringen von Asylwerbern, die auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen und mit dem in diesen Fällen zu beobachtenden, formularmäßigen Vorbringen nach Österreich eingereist sind, eher geringere Glaubwürdigkeit zu. Bei der Beurteilung, ob es sich um ein standardisiertes Vorbringen handelt, ist Vorsicht geboten. Ein hervorstehendes Charakteristikum ist jedoch, dass das Vorbringen, wenngleich es bis zu einem gewissen Grad auch auf eigenen Erfahrungen des Asylwerbers beruht, regelmäßig so abstrakt und allgemein gehalten ist, dass es sich einer Überprüfbarkeit an der Wirklichkeit entzieht.

Im Rahmen Ihrer Befragungen vor dem Bundesasylamt ergingen Sie sich in der Darlegung einiger Eckpunkte einer Rahmengeschichte, ohne diese durch die Präsentation spezifischer detaillierter Angaben anzureichern. Sie waren nämlich während der Vernehmung nicht in der Lage seine allgemein gehaltenen Angaben durch das Vorbringen von Detailumständen zu konkretisieren. Ihre Angaben zu Ihren Fluchtgründen bzw. jenen Umständen, welche Sie letztlich zur Ausreise veranlasst haben, blieben blass, wenig detailreich und oberflächlich.

Aber nicht nur allein diese Behauptungen nimmt die Behörde zum Anlass, um an der Glaubwürdigkeit des von Ihnen vorgebrachten Sachverhaltes zu zweifeln. Ihre Fluchtgeschichte enthält nämlich noch weitere Ungereimtheiten, welche das von der erkennenden Behörde getroffene Befinden unterstreichen.

[...]

Sie gaben nun erstmals einen neuen Fluchtgrund an, und zwar, dass Sie als Zöllner tätig waren und deswegen Probleme hatten. Auch als Ihr Bruder entführt wurde, sagten Sie zu anderen Personen, dass Ihnen bekannt sei, wer dies war und gaben weiters an, dass Sie diese Person auch bestrafen würden.

Als Grund, warum Sie diese Fluchtgründe nicht in Ihren ersten beiden Asylverfahren nannten, gaben Sie an, dass ein Mal ein tschetschenischer Dolmetscher tätig war und weiters, dass bei Dr. Klodner ebenfalls ein Tschetschene arbeitete. Daher konnten Sie diesen Personen nicht vertrauen.

So ist jedoch anzuführen, dass zahlreiche Einvernahmen in Ihrem ersten Asylverfahren, als auch in Ihrem zweiten Asylverfahren, von Russischdolmetschern geführt wurde. Laut vorliegender Dolmetscherliste waren die verwendeten Dolmetscher, außer der Dolmetscher bezüglich der Einvernahme vom 15.07.2009 im Ihrem Zweitasylverfahren, wo auch Dr. Klodner anwesend war, für die Sprache Russisch und waren diese auch der Sprache Tschetschenisch nicht mächtig.

Weiters hätten Sie jederzeit in Ihren Beschwerden selbst verfasst alle Ihre Vorbringen anführen können. Da Sie sich auch in beiden Verfahren an die Caritas gewandt haben, hätten Sie auch hier Ihr Vorbringen kundmachen können.

Wie ersichtlich hätten Sie zahlreiche Möglichkeiten gehabt, seit Ihrem Aufenthalt in Österreich, somit seit 2005, alle Ihre Fluchtvorbringen mündlich oder schriftlich dem Bundesasylamt bekannt zu geben.

Bezüglich der Entführung Ihres Bruders ist auch festzuhalten, dass Sie dies auch bereits in Ihren früheren Verfahren vorbrachten.

[...]

Im Zuge der Einvernahme am 08.02.2011 haben Sie im weiteren Widerspruch angegeben, dass dieser Bruder umgebracht worden wäre und die ein Vorgesetzter vom FSB gewesen sei und Sie nunmehr diesem verfolgt werden würden, weil Sie gesagt hätten, dass Sie wüssten, wer dies gewesen sei. Sie befürchten nun Blutrache. Sie vermochten jedoch dazu weder konkrete Angaben machen, noch vermochten Sie dazu angeben, woher Sie die Information haben, dass Ihr Bruder umgebracht worden wäre. Zudem haben Sie diesen Sachverhalt bisher mit keinem einzigen Wort erwähnt, sodass offensichtlich ist, dass es sich um ein gesteigertes Vorbringen handelt.

Sie haben diese Umstände mit keinem Wort erwähnt, obwohl Ihnen die jetzt erwähnten Ereignisse schon vor Ihrer Einreise nach Österreich und der ersten Asylantragstellung bekannt waren.

Sie haben vor dem Bundesasylamt einen Sachverhalt vorgebracht, der Ihnen in seiner Gesamtheit bereits bei Ihrem ersten Asylverfahren bekannt war. Dazu ist zu sagen, dass Sie all jene Umstände aufzuzeigen haben, die in Ihrer persönlichen Sphäre liegen und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann. Genau diesen Anforderungen entspricht jedoch Ihr Vorbringen nicht. Zudem vermochten Sie mit Ihren behaupteten Angaben zu den Gründen der Ausreise eine Verfolgungsgefahr in Ihrer Heimat jedoch nicht glaubwürdig darlegen, zumal es sich offensichtlich um ein gesteigertes Vorbringen handelt, mit dem Sie versuchten, Ihren nunmehrigen Asylantrag zu begründen, was Ihnen jedoch in keiner Weise gelang.

Ihre Behauptung einer konkreten Verfolgung in der Heimat kann nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden kann,

Auch zu Ihrem in Frankreich lebenden Bruder machten Sie widersprüchliche Angaben. Im Zuge der Befragung vor dem Asylgerichtshof vom 23.04.2009 haben Sie behauptet, dass Ihr anderer Bruder nach Polen geflüchtet ist, jedoch wieder nach Tschetschenien zurückkehrte. Sie meinten dazu, dass er nach Polen gereist ist und wieder zurückkehrte und dann nach Frankreich reiste.

Ihre Erklärung ist nicht nachvollziehbar, zumal Sie zuvor angegeben haben, dass Ihr Bruder bereits 2007 oder 2008 nach Frankreich reiste. Sie berichtigen Ihre Aussage nach einem Vorhalt dann jedoch dahingehen, dass Sie nicht wüssten, wann er nach Frankreich gereist sei.

Bezüglich der Vorfälle beim Zoll ist ebenfalls auf das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.06.2009, Zahl: E6 306.149-1/2008-25E, Seite 17 hinzuweisen.

[...]

Sie meinten vor dem Bundesasylamt am 08.02.2011 weiters auch, dass Sie der Bewegung auch Geld gegeben hätten und das ebenfalls ein neuer Grund sei. Nicht nur, dass Sie dazu keine konkreten Angaben machten konnten, Sie bestätigten selbst auch, dass dieser Sachverhalt keinen Zusammenhang mit Ihrer Ausreise und Asylantragstellung in Österreich hatte und Sie deswegen auch nie verfolgt wurden. Zudem haben Sie diesen Sachverhalt trotz mehrfacher Möglichkeiten mit keinem Wort erwähnt.

Sie haben sich somit bereits bei den Kernaussagen Ihres Fluchtvorbringens selbst mehrfach widersprochen. Wenn sich eine Person schon bei den Kernaussagen selbst widerspricht und die Sachverhalte, die den Asylantrag begründen sollen, derart unterschiedlich darstellt, so kann nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht davon ausgegangen werden, dass das weitere Vorbringen den Tatsachen entspricht und war Ihnen schon aus diesem Grund die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

[...]

Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (Erk. des VwGH vom 25.03.1999, Zl. 98/20/0559). Diesen Anforderungen vermochten Sie mit Ihrem Vorbringen nicht gerecht zu werden.

Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist aber davon auszugehen, dass Flüchtlinge, die ihr Heimatland aus wohlbegründeter Flucht verlassen, in dem Land, in dem sie Schutz und Zuflucht suchen, sowohl hinsichtlich ihrer Person als auch ihres Fluchtgrundes die Wahrheit sagen. Aus denklogischer Sicht betrachtet ergibt sich für Personen, die in ihrem Heimatland tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt sind, keine Notwendigkeit dafür, im Land in dem sie sicher sind und um Hilfe (Asyl) ersuchen, mehrmals andere Fluchtgründe vorzubringen, außer man verfolgt ein anderes Ziel, nämlich, sich durch dieses Vorgehen Rechtsvorteile zu verschaffen. Aus denklogischer Sicht betrachtet ergibt sich nämlich für Personen, die in ihrem Heimatland tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt sind, keine Notwendigkeit dafür, im Land in dem sie sicher sind und um Hilfe (Asyl) ersuchen, die erlebten Ereignisse unterschiedlich zu schildern oder weiter auszuschmücken.

Mit Ihren Angaben vermochten Sie dem vom Gesetz geforderten Glaubhaftigkeitsanspruch nicht gerecht zu werden und musste Ihrem Vorbringen die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden, denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit - wenn er tatsächlich einer Verfolgungsgefährdung in seinem Heimatstaat unterliegt - zentral entscheidungsrelevante Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen vergleiche Beschluss des VwGH 2000/01/0250 vom 7.6.2000).

Bei der Beurteilung muss jedenfalls auch mitberücksichtigt werden, dass Sie - menschlich durchaus verständlich - ein gravierendes Interesse am positiven Ausgang Ihres Asylverfahrens haben, was natürlich auch zu verzerrten Darstellungen tatsächlicher Geschehnisse oder zu gänzlich falschen Vorbringen führen kann.

Zusammenfassend ist daher zu befinden, dass Ihre Geschichte wohl asylzweckbezogen angelegt, in dieser Form aber aufgrund der vagen und widersprüchlichen Aussagen weder nachvollziehbar noch glaubwürdig ist und die von Ihnen geltend gemachte Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht.

Aufgrund vorliegender Fakten und oben angeführter Beweiswürdigung ist somit davon auszugehen, dass es sich bei Ihrem Vorbringen zum Fluchtgrund um eine "asylzweckbezogene" Konstruktion handelt. Aus Ihrer Geschichte und Ihrem Auftreten kann eindeutig geschlossen werden, dass Sie auch Ihren dritten Asylantrag nur aus Zwecken der weiteren Aufenthaltserlangung in Österreich gestellt haben.'

Wie bereits erwähnt, schließt sich der Asylgerichtshof diesen beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes in inhaltlicher Hinsicht an. In Bekräftigung dieser Ausführungen ist auch seitens des Asylgerichtshofes festzuhalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im gegenständlichen - nunmehr dritten - Asylverfahren, mit welchem der Beschwerdeführer im Übrigen keinerlei konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete (drohende) Verfolgungshandlungen darzulegen vermochte, nicht glaubwürdig und daher auch nicht geeignet ist, eine aktuelle Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer und daran anknüpfend für seine Ehefrau und seine beiden volljährigen Söhne im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien darzulegen.

Im vorliegenden Verfahren ist auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe bereits in zwei vorangegangenen Asylverfahren und damit im Rahmen mehrerer Einvernahmen vor dem Bundesasylamt ausführlich vorbringen konnte und seinen Schilderungen auch nach Durchführung zweier mündlicher Berufungsverhandlungen vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat sowie einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof rechtskräftig keine Glaubwürdigkeit zuerkannt und keine Verfolgung des Beschwerdeführers in seiner Heimat festgestellt wurde.

Im Hinblick auf die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach er wegen eines tschetschenischen Dolmetschers keine vollständigen Aussagen habe machen können, ist auf die bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 01.12.2010, Zl. D6 306149-4/2010/4E, dargelegte Erwägung zu verweisen, wonach diese Behauptung des Beschwerdeführers angesichts der Vielzahl an Einvernahmen und Verhandlungen im Laufe der vom Beschwerdeführer angestrengten Asylverfahren und in Anbetracht der vom Asylgerichtshof im Erkenntnis vom 26.06.2009, Zl. E6 306149-1/2008/25E, geschilderten massiven Widersprüche im Fluchtvorbringen nicht überzeugend ist. Überdies hat der Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, bei welcher Verhandlung bzw. Einvernahme welcher Dolmetscher nicht vertrauenswürdig gewesen sein soll und welche Details er trotz Kenntnis von seiner Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben verschwiegen haben will.

Wenn der Beschwerdeführer im nunmehr dritten Verfahren behauptet, er werde im Herkunftsstaat "immer noch politisch verfolgt", da er früher "gegen Russland politisch tätig" gewesen sei, so vermag dieses Vorbringen - dies auch vor dem Hintergrund, dass das gesamte in den bisherigen Verfahren erstattete bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers rechtskräftig als unglaubwürdig beurteilt wurde und nicht ersichtlich ist, weshalb nun gerade dem nunmehrigen Vorbringen Glaubwürdigkeit zukommen sollte - bereits aufgrund seiner Allgemeinheit keine für den Beschwerdeführer in der Russischen Föderation bestehende Verfolgungsgefahr glaubhaft darzutun.

Aber auch der Hinweis auf seine Tätigkeit als römisch 40 beim Zoll und der Umstand, dass er "alle Unterlagen" seiner Mitarbeiter über deren Tätigkeiten bei sich zu Hause versteckt und diese dadurch geschützt habe, da sie "alle gemeinsam politisch gegen Russland tätig" gewesen seien, überzeugt nicht. Diesbezüglich ist zunächst zu bedenken, dass der Beschwerdeführer seine Position als römisch 40 beim Zoll bereits im Zuge seines ersten Verfahrens vorgebracht hat. Verwundern muss in diesem Zusammenhang aber insbesondere der Umstand, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich jener Unterlagen, die er - gemäß seinen nunmehrigen Angaben im gegenständlichen Verfahren - zum Schutz seiner Mitarbeiter zu Hause versteckt haben will, in der in seinem ersten Verfahren vom Asylgerichtshof am 23.04.2009 durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung angegeben hatte, "viele überflüssige Dokumente versteckt" zu haben ("Ich war römisch 40 . Die ganzen Dokumente waren üblicherweise bei mir. Wie der Krieg begonnen hat, haben wir viele überflüssige Dokumente versteckt."). Darüber hinaus ist - wie bereits erwähnt - auch die Ausführung des Beschwerdeführers, dass sie "alle gemeinsam politisch gegen Russland tätig" gewesen seien, in dieser unkonkret gebliebenen Form nicht geeignet, eine glaubwürdige Verfolgungsgefahr darzutun. Von einer tatsächlich politisch tätigen Person, die aufgrund dieses Umstandes Verfolgung befürchtet, ist vielmehr zu erwarten, dass sie nähere Details der politischen Tätigkeit eigeninitiativ darlegt, was im gegenständlichen Fall jedoch unterblieben ist. Die Äußerung in der Beschwerde, wonach das Bundesasylamt zu diesem Themenbereich keine weiteren Fragen gestellt und sohin den "Sachverhalt in diesem

Punkt ... unzureichend ermittelt" habe, vermag auch im Hinblick auf

den Umstand, dass der Beschwerdeführer bereits das dritte Asylverfahren angestrengt hat und neuerlich keine Verfolgungsgründe ausreichend konkret vorgebracht hat und glaubhaft machen konnte, nicht zu überzeugen.

Was die Ausführung des Beschwerdeführers anbelangt, dass er nach der Entführung seines Bruders "zu anderen Personen" gesagt habe, dass er wisse, wer dies getan habe, ist zu bedenken, dass der Beschwerdeführer auch zu diesem Umstand keinerlei nähere Details - wie etwa die Namen jener Personen, welchen er berichtet habe - bekannt gab.

Hinsichtlich der - im Übrigen ebenfalls völlig unkonkret gehaltenen - Angaben des Beschwerdeführers am 08.02.2011, wonach er einer "Bewegung" Geld gegeben habe, ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer selbst sein diesbezügliches Vorbringen als nicht mit seiner Ausreise in Zusammenhang stehend gewertet hat, sodass auch der Asylgerichtshof hierin keinen Grund für eine (drohende) Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat ableitet ("F: Was hat dieser Sachverhalt mit Ihrem jetzigen Asylantrag zu tun? - A: Es gibt keinen Zusammenhang. [...] Aber das hat nichts mit meiner Ausreise oder meinem jetzigen Asylantrag zu tun. Jetzt habe ich aber wirklich alles gesagt, es gibt nicht einmal mehr einen Doppelpunkt, den ich noch anführen könnte. [...] Ich sage ja auch nicht, dass da ein Zusammenhang mit meiner Ausreise war. Deswegen wurde ich auch nicht verfolgt.").

Aber auch eine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund der (angeblichen) Flucht seines Bruders nach Frankreich konnte nicht festgestellt werden. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer den Aufenthalt seines Bruders in Frankreich nicht selbst vorgebracht hat, sondern dieser Umstand von seiner Ehefrau - überdies lediglich in ihrer Erstbefragung am 01.10.2010, nicht jedoch in den darauffolgenden Einvernahmen am 11.10.2010 und 14.10.2010 - thematisiert wurde. In seiner Einvernahme am 08.02.2011 gab der Beschwerdeführer auf entsprechende Nachfrage erstmals an, sein Bruder befinde sich "seit zwei oder drei Jahren in Frankreich, seit 2007 oder 2008", berichtigte seine Ausführungen in weiterer Folge jedoch dahingehend, dass er nicht wisse, wann sein Bruder nach Frankreich gereist sei. Auf die Frage, weshalb sein Bruder nach Frankreich gereist sei, führte der Beschwerdeführer aus, dies ebenfalls nicht zu wissen; es gehöre "zu den alten Gründen". Aber auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer vom Aufenthalt seines Bruders in Frankreich laut eigenen Angaben bereits seit "Beginn des Frühlings" 2010 in Kenntnis gewesen sei, dies jedoch in keiner seiner darauffolgenden Einvernahmen vorbrachte, legt den Schluss nahe, dass die (angebliche) Flucht seines Bruders für die vorgebrachte Bedrohung des Beschwerdeführers in seiner Heimat nicht von entscheidungsrelevanter Bedeutung ist.

Auch die Ehefrau des Beschwerdeführers gab in ihrer Einvernahme am 08.02.2011 an, dass sie nicht wisse, weshalb ihr Schwager nach Frankreich gereist sei und "dazu nichts sagen" könne ("F: Können Sie konkret sagen, warum er ausgereist ist? - A: Seine Töchter sind verheiratet, vielleicht hatte das einen Einfluss. [...] F: Wissen Sie konkret ob er tatsächlich verfolgt wurde und was passiert ist bzw. ihn zur Ausreise bewogen hat? - A: Nein, ich weiß nichts Konkretes. Ich kann dazu gar nichts sagen. - F: Warum behaupten Sie dann, dass er verfolgt wurde, wenn Sie nichts Konkretes dazu sagen können? - A: Ich betone nochmals, dass ich nichts Konkretes sagen kann. Ich kann Ihnen (gemeint: EV) auch keinen Grund für seine Ausreise sagen. Warum er tatsächlich ausgereist ist, weiß ich nicht. Das ist mir auch nicht wichtig. Ich habe meine Probleme, er seine. - [...] F: Warum bringen Sie diesen Sachverhalt in Zusammenhang mit Ihrer Asylantragstellung, wenn Sie konkret überhaupt nichts sagen können? - A: Ich wollte damit wahrscheinlich sagen, dass die ganze Familie Probleme hat. Warum genau ich das gesagt habe, weiß ich jetzt nicht mehr. Die Brüder haben Probleme gehabt. Konkret weiß ich aber nichts über die Probleme meines Schwagers in Frankreich. Mehr kann ich dazu nicht sagen."). Ein Zusammenhang zwischen der behaupteten Flucht des Bruders und dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist daher im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgekommen.

Überdies wäre jedenfalls für das vorliegende Verfahren zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer, der sich der Glaubwürdigkeitsproblematik bei seinem nunmehr dritten Antrag auf internationalen Schutz bewusst sein musste, versuchen würde, eine allfällige konkrete und real existierende Bedrohung im Falle seiner Rückführung in die Russische Föderation, konkret nach Tschetschenien, eigeninitiativ und - auch unter Zuhilfenahme von Dokumenten oder sonstiger schriftlicher Hinweise zur Untermauerung der Richtigkeit der Schilderungen - umfassend darzulegen, um die Asylinstanzen davon zu überzeugen, dass das gegenständliche Vorbringen vollständig den Tatsachen entspricht.

Im Übrigen verneinten sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau die Fragen nach einer Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Dass dem Beschwerdeführer und seinen Familienangehörigen aufgrund der in Österreich aufhältigen asylberechtigten Neffen des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist im gegenständlichen Verfahren - ebenso wie in den beiden vorangegangenen Verfahren - nicht hervorgekommen.

Im Ergebnis ist der Beschwerde zwar dahingehend zuzustimmen, dass hinsichtlich des im Rahmen der ersten beiden Anträge erstatteten Vorbringens des Beschwerdeführers entschiedene Sache vorliegt. Dass jedoch - wie in der Beschwerde moniert - lediglich die Widersprüche in diesen (abgeschlossenen) Verfahren gesucht und auf das nunmehrige Verfahren "übergewälzt" würden und sich die belangte Behörde mit dem im nunmehrigen dritten Asylverfahren vorgebrachten "neuen Tatsachensubstrat" nicht auseinandersetze, kann - auch angesichts der oben wiedergegebenen Beweiswürdigung des Bundesasylamtes - nicht gesagt werden.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ergibt sich daher, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen nicht den Tatsachen entspricht. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht."

Wenn daher der Antrag des Vaters des Beschwerdeführers - mangels Glaubhaftmachung einer aktuellen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention - abgewiesen werden musste, sind dessen unglaubwürdige Fluchtgründe auch nicht geeignet, daraus eine Verfolgung für den Beschwerdeführer abzuleiten und ist diesen behaupteten Fluchtgründen die Grundlage entzogen. Wenn der Vater des Beschwerdeführers keiner aktuellen Gefährdung bzw. Verfolgung in seiner Heimat ausgesetzt ist, kann - mangels von den Fluchtgründen seines Vaters unabhängigen Ausreisegründen des Beschwerdeführers - auch nicht von einer Verfolgung des Beschwerdeführers ausgegangen werden.

Dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner in Österreich aufhältigen Ehefrau, der im Wege der Erstreckung Asyl gewährt wurde, in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, wurde vom Beschwerdeführer nicht dargetan und ist auch sonst im Verfahren nicht hervorgekommen.

Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr einer aktuellen Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt wäre.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation, konkret nach Tschetschenien, die notdürftigste Lebensgrundlage nicht entzogen wäre, gründet sich auf das eigene Vorbringen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer brachte insbesondere vor, dass im Herkunftsstaat seine Cousins und seine Tante leben würden. Darüber hinaus verfüge die Familie im Herkunftsstaat über ein Haus. Der Beschwerdeführer habe im Herkunftsstaat zwar nicht offiziell gearbeitet, manchmal jedoch seinem Bruder geholfen und "dafür auch Geld von ihm" erhalten. Auch die Eltern des Beschwerdeführers sowie sein volljähriger Bruder seien - laut deren Vorbringen - im Herkunftsstaat berufstätig gewesen. Der Beschwerdeführer und seine Familie waren jedenfalls vor der Auseise aus der Russischen Föderation in der Lage, die Lebensgrundlage für die Familie abzudecken und ist - auch vor dem Hintergrund, dass das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als nicht glaubwürdig anzusehen ist - nicht ersichtlich und haben der Beschwerdeführer und seine Familie auch nicht dargetan, weshalb dies nicht auch künftig möglich sein sollte.

Auch aus den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich nicht der Schluss ableiten, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer an keinen dermaßen schwerwiegenden, akut lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation (Tschetschenien) nicht behandelbaren Erkrankungen leidet, welche allenfalls im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK führen könnten, gründet sich auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer das Vorliegen solcher schwerwiegender, akut lebensbedrohlicher Erkrankungen, welche zudem in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, nicht behandelbar wären, nicht vorgebracht hat und nicht ersichtlich ist, dass er von derart außergewöhnlichen Umständen betroffen wäre, welche geeignet wären, die hohe Eingriffschwelle des Artikel 3, EMRK zu überschreiten. Vielmehr gab der Beschwerdeführer explizit an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme.

Was letztlich die Feststellung betrifft, dass der Beschwerdeführer in Österreich auf keine ausreichend ausgeprägten und verfestigten individuellen integrativen Anknüpfungspunkte verweisen kann, so wird diesbezüglich auf die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Paragraph 61, Absatz , Asylgesetz 2005 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 38 aus 2011, entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes oder, soweit dies in Absatz 3, oder 3a vorgesehen ist, durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß Paragraph 4,,

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß Paragraph 5, und

c) wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG und die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung bzw. über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Paragraph 41 a,

Gemäß Paragraph 23, Absatz eins, Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Artikel eins, BG Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 4 aus 2008, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 111 aus 2010,) sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100 nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), Bundesgesetzblatt Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

Gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Ad römisch eins. )

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Der Status eines Asylberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass die Voraussetzungen des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen. Diese liegen vor, wenn sich jemand aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Ebenso liegen die Voraussetzungen bei Staatenlosen, die sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach einer Prognose zu erstellen ist. Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt vergleiche VwGH E 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).

Wie bereits oben dargestellt wurde, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen keine Glaubwürdigkeit zu, weshalb es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Aus diesem Grund war die Beschwerde gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 abzuweisen.

Ad römisch II.)

Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Herkunftsstaat des Antragsstellers. Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 17, ist ein Herkunftsstaat, der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Der (vormalige) Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 1997 in der Fassung der AsylG-Novelle 2003 verwies auf Paragraph 57, Fremdengesetz (FrG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 75 aus 1997, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 126 aus 2002,, wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig ist, wenn dadurch Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung verletzt würde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum vormaligen Paragraph 57, FrG - welche in wesentlichen Teilen auf Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 zu übertragen sein wird - ist Vorraussetzung für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, dass eine konkrete, die Berufungswerberin betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (z.B. VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294, VwGH 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438, VwGH 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203). Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 57, FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427, VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028).

Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiären Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein vergleiche EUGH 17.02.2009, Elgafaji, C-465/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45).

Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat der Beschwerdeführer keine ihm konkret drohende aktuelle, an asylrelevanten Merkmale im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe glaubhaft dargetan. Wie bereits unter Spruchpunkt römisch eins. ausgeführt wurde, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Weiters kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation, konkret nach Tschetschenien, dort die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Artikel 3, EMRK überschritten wäre vergleiche diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, Zahl:

2003/01/0059, zur - wenngleich für Bewohner des Kosovo - dargestellten "Schwelle" des Artikel 3, EMRK; in dem diesem Erkenntnis zu Grunde liegenden Fall habe der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus dem Kosovo mit seiner Mutter und drei Brüdern, fallweise auch mit dem Großvater, in einem notdürftig errichteten Zelt in der Größe von 9 m² neben dem zerstörten Haus gelebt, Nahrungsmittel in gerade noch ausreichendem Maß sowie Holz zum Kochen und für die Heizung seien der Familie von Freunden und Verwandten zur Verfügung gestellt bzw. sei Holz zusätzlich durch eigenes Sammeln zusammen getragen worden), zumal der Beschwerdeführer selbst angab, dass die Familie über ein Haus im Herkunftsstaat verfüge. Überdies brachte der Beschwerdeführer vor, im Herkunftsstaat zwar nicht offiziell gearbeitet, manchmal jedoch seinem Bruder geholfen und "dafür auch Geld von ihm" erhalten zu haben. Auch die Eltern des Beschwerdeführers sowie sein volljähriger Bruder seien - laut deren Vorbringen - im Herkunftsstaat berufstätig gewesen. Darüber hinaus würden seine Cousins und seine Tante im Herkunftsstaat leben. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich die Unterkunftssituation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation, konkret nach Tschetschenien, als besser gesichert darstellen würde, als die laut dem zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059, als zwar prekär, aber unter dem Gesichtspunkt des Artikel 3, EMRK noch erträglich beurteilte Situation der Unterbringung einer fünf- bis sechsköpfigen Familie in einem beheizbaren Zelt in der Größe von 9 m². Der Beschwerdeführer und seine Familie waren jedenfalls vor der Auseise aus der Russischen Föderation in der Lage, die Lebensgrundlage für die Familie abzudecken und ist - auch vor dem Hintergrund, dass das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als nicht glaubwürdig anzusehen ist - nicht ersichtlich und hat der Beschwerdeführer auch nicht dargetan, weshalb dies nicht auch künftig möglich sein sollte.

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation, Republik Tschetschenien, jegliche Existenzgrundlage - im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059 - fehlen würde und der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre; auch aus den getroffenen Länderfeststellungen ist solches nicht abzuleiten.

Das Vorliegen dermaßen akuter und schwerwiegender Erkrankungen, welche in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, nicht behandelbar wären und im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien allenfalls zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK führen könnten, wurde vom Beschwerdeführer im Verfahren nicht behauptet. Vielmehr gab der Beschwerdeführer explizit an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme.

Im Hinblick auf die gegebenen Umstände kann daher ein "reales Risiko" einer gegen Artikel 2, oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden.

Es sind weiters keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation, konkret in Tschetschenien, aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Artikel 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in Tschetschenien auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in Tschetschenien ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt. Dies wurde vom Beschwerdeführer im Verfahren auch nicht behauptet.

Ad römisch III.)

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 38 aus 2011,, ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Absatz eins, unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Artikel 8, EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

d) der Grad der Integration;

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 3 AsylG 2005 ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Absatz eins, Ziffer eins, verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 5 AsylG 2005 ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Paragraph 10, Absatz 2, Ziffer 2, AsylG auf Dauer unzulässig ist. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches oder unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 6 AsylG 2005 bleiben Ausweisungen nach Absatz eins, binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 7 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung - sobald sie durchsetzbar wird - als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 100, und hat der Fremde binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß Paragraph 5, AsylG 2005 oder Paragraph 68, AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß Paragraph 38, durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

Gemäß Paragraph 10, Absatz 8, AsylG 2005 ist der Fremde mit Erlassung der Ausweisung über seine Pflicht zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise und gegebenenfalls über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (Paragraph 55 a, FPG) zu informieren, insbesondere auf Rückkehrhilfe, sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (Paragraph 46, FPG) hinzuweisen.

Gemäß Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

Gemäß Artikel 8, Absatz 2, EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass bereits die Ausweisung, nicht erst deren Vollzug einen Eingriff in das durch Artikel 8, Absatz eins, gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt vergleiche die bei Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, Seite 344 zitierte Judikatur des VfGH).

Entsprechend der Rechtsprechung des EGMR als auch jener des Verfassungsgerichtshofes muss der Eingriff hinsichtlich des verfolgten legitimen Zieles verhältnismäßig sein.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Artikel 8, EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8, EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind vergleiche etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.01.2006, 2002/20/0423, vom 08.06.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass bereits die Ausweisung, nicht erst deren Vollzug einen Eingriff in das durch Artikel 8, Absatz eins, gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt vergleiche die bei Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, Seite 344 zitierte Judikatur des VfGH).

Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag ergehen gegenüber dem Beschwerdeführer, seinen Eltern und seinem volljährigen Bruder inhaltlich gleichlautende, mit den Aussprüchen von Ausweisungen in die Russische Föderation verbundene Entscheidungen.

Im Hinblick auf die in Österreich als anerkannte Flüchtlinge lebenden Cousins des Beschwerdeführers sei angemerkt, dass der EGMR ausgesprochen hat, dass etwaige familiäre Beziehungen unter Erwachsenen - wie im gegebenen Fall - nur dann unter den Schutz des Artikel 8, EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen würden vergleiche dazu auch das E des VfGH vom 09.06.2008, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR). Ein derartiges, von der Rechtsprechung gefordertes Abhängigkeitsverhältnis wurde jedoch vom Beschwerdeführer im Verfahren nicht hinreichend konkret behauptet bzw. dargetan und ist auch sonst im Verfahren nicht hervorgekommen; Anhaltspunkte für ein besonders stark ausgeprägtes Familienleben mit der geforderten Beziehungsintensität liegen somit nicht vor. Im Sinne der obigen Erwägungen kann daher - mangels entsprechender konkreter Anhaltspunkte - von einem entscheidungswesentlichen Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in Österreich in getrennten Haushalten lebenden Cousins nicht ausgegangen werden.

Im gegenständlichen Fall lebt der Beschwerdeführer seit römisch 40 mit seiner nunmehrigen Ehefrau, welche er am römisch 40 standesamtlich in römisch 40 heiratete und die in Österreich als anerkannter Flüchtling aufhältig ist, im gemeinsamen Haushalt. Angesichts des Zusammenlebens des Beschwerdeführers und seiner nunmehrigen Ehefrau geht der Asylgerichtshof von einem tatsächlich bestehenden Familienleben iSd Artikel 8, EMRK aus.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert, und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren vergleiche z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich; 31.01.2006, 50435/99, Rodrigues da Silva und Hoogkamer v. Niederlande; 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

Im Fall Useinov etwa erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung eines abgewiesenen mazedonischen Asylwerbers als zulässig, der während seines langjährigen Aufenthaltes von 1992 bis 2000 bzw. 2005 Vater von zwei Kindern geworden war, die aus einer wechselhaften Beziehung mit einer Niederländerin hervor gingen: Der Gerichtshof wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit der Fortsetzung seines Familienlebens in den Niederlanden rechnen konnte, da sein Verbleib auf niederländischem Territorium nur an das Abwarten der Entscheidung über seine Anträge geknüpft gewesen sei. In diesem Zusammenhang zog der Gerichtshof eine Parallele zu jener Konstellation, in der Personen, welche die Niederlassungsvorschriften nicht erfüllten, die staatlichen Behörden mit ihrer Anwesenheit im Territorium des Vertragsstaates vor vollendete Tatsachen stellten. Schließlich wertete er die Möglichkeit einer gemeinsamen Übersiedlung der gesamten Familie nach Mazedonien nicht als übermäßige Härte für die niederländischen Familienangehörigen und führte auch als Alternative die Aufrechterhaltung des Kontaktes von Mazedonien aus ins Treffen (EGMR 11.04.2006, 61292/00, Useinov v. Niederlande).

Der Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen betraf einen ebenfalls abgewiesenen nigerianischen Asylwerber, der während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen begründet hatte. Ungeachtet der Tatsache, dass während der (nach Abweisung des Asylantrages geschlossenen) Ehe eine gemeinsame Tochter geboren worden war, verstieß die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht gegen Artikel 8, EMRK, weil dem Beschwerdeführer zu keiner Zeit ein Bleiberecht zugekommen und das Familienleben während eines Zeitraumes entstanden sei, in dem sein fremdenrechtlicher Aufenthaltsstatus in Norwegen unsicher gewesen sei, worüber sich der Beschwerdeführer bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren habe sein müssen. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer gemeinsamen Übersiedlung nach Nigeria erblickte der Gerichtshof keine unüberwindbaren Hindernisse für die Entwicklung des Familienlebens, wobei regelmäßigen Besuchen des Beschwerdeführers in Nigeria durch seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter jedenfalls nichts entgegen stünde (EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen).

Was das Familienleben des Beschwerdeführers anbelangt, ist zu bemerken, dass der Beschwerdeführer seine nunmehrige Ehefrau seinem Vorbringen zufolge "im April 2010" kennen gelernt hat und nach der traditionellen Eheschließung im römisch 40 auch standesamtlich heiratete ("Wir haben uns erst letztes Jahr kennengelernt, aber ich weiß den Monat nicht mehr. Ich kannte sie vorher nicht. Ich glaube, wir haben uns im April 2010 kennengelernt und im September haben wir geheiratet."). Die Beziehung des Beschwerdeführers und seiner nunmehrigen Ehefrau entstand demnach - nach rechtskräftigem Abschluss des im Übrigen mit dem Ausspruch einer Ausweisung in die Russische Föderation verbundenen ersten Asylverfahrens am 30.06.2009 - während des zweiten Asylverfahrens des Beschwerdeführers, somit zu einem Zeitpunkt, in dem sich der Beschwerdeführer seines ungewissen Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Die Beziehung ist zudem nicht von einem besonderen Abhängigkeits- oder Pflegeverhältnis geprägt und ist bisher kinderlos geblieben. Überdies wurde das Familienleben des Beschwerdeführers - wie bereits erwähnt - im Jahr 2010 begründet und dauert daher noch nicht besonders lange an.

Der Beschwerdeführer konnte weiters nicht davon ausgehen, sein Leben in Österreich auch nach Beendigung seiner Asylverfahren fortführen zu können. Ein gemeinsamer Wohnsitz mit seiner nunmehrigen Ehefrau in Österreich war dem Beschwerdeführer überdies lediglich auf Grund der - im Ergebnis unberechtigten - Anträge auf internationalen Schutz möglich und erlaubt. Der Beschwerdeführer konnte sich nicht darauf verlassen, in Österreich dauerhaft bleiben zu können, nachdem ihm lediglich ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für die Dauer seiner Asylverfahren zukam. Auch die nunmehrige Ehefrau des Beschwerdeführers konnte nicht davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung erteilt werde. Das Paar musste sich daher von Anfang an der Unsicherheit bewusst sein, zumal gegenüber dem Beschwerdeführer bereits zwei rechtskräftige Ausweisungen in die Russische Föderation ausgesprochen wurden, denen der Beschwerdeführer aber nicht Folge leistete.

Aufgrund der soeben dargestellten Erwägungen ist daher - auch unter Einbeziehung der folgenden Ausführungen - nicht von einem ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Familienleben auszugehen.

Auch liegt kein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers vor, welcher zur Erreichung der in Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, Interesse an geordneter Zuwanderung und wirtschaftliches Wohl des Landes) nicht geboten oder zulässig wäre:

Der Beschwerdeführer reiste seinem Vorbringen zufolge am 25.07.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet und befindet sich seither fortlaufend in Österreich. Aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes vergleiche VfSlg. 18.224/2007) kann abgeleitet werden, dass die Dauer des inländischen Aufenthaltes für die Zulässigkeit einer Ausweisung nicht allein entscheidend ist und lediglich einen von mehreren verschiedenen Aspekten darstellt, die im Rahmen einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Artikel 8, Absatz 2, EMRK zu unterziehen sind; dennoch ist davon auszugehen, dass durch den mehr als viereinhalbjährigen Aufenthalt persönliche Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet entstanden sind. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sind diese Interessen des Beschwerdeführers jedoch in ihrem Gewicht maßgeblich dadurch gemindert, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich aufgrund von drei gestellten Anträgen auf internationalen Schutz, die sich als unbegründet erwiesen haben, nicht illegal war. Der Beschwerdeführer musste sich im Laufe seines Aufenthaltes in Österreich bewusst sein, dass sein Aufenthalt unsicher und lediglich auf die Dauer des Verfahrens beschränkt war und ein weiterer Verbleib nach Beendigung des Verfahrens vom Erfolg seiner Anträge abhängen würde vergleiche dazu etwa die Erkenntnisse des VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479-7, VwGH vom 04.03.2008, Zl. 2006/19/0409-6 und Beschluss des VfGH vom 29.11.2007, Zl. B 1654/07-9, sowie Urteil des EGMR vom 08.04.2008, Beschwerde Nr. 21878/06, Nnyanzi v. The United Kingdom, Randnr. 76). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass die durch eine soziale Integration erworbenen Interessen an einem Verbleib in Österreich in ihrem Gewicht gemindert sind, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Auch nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bewirkt in Fällen, in denen das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, eine Ausweisung nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Artikel 8, EMRK vergleiche VwGH vom 29.04.2010, Zl. 2009/21/0055 mwN).

Der Beschwerdeführer musste gemäß der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz am 30.01.2008 seinen zukünftigen Aufenthalt als nicht gesichert betrachten; er konnte seit diesem Zeitpunkt überhaupt nicht darauf vertrauen, in Zukunft in Österreich verbleiben zu können vergleiche VwGH 29.4.2010, Zl. 2010/21/0085). Dies gilt auch im Hinblick auf den Aufenthalt seiner Eltern und seines volljährigen Bruders, die ebenfalls lediglich aufgrund von Anträgen auf internationalen Schutz zum Aufenthalt in Österreich vorläufig berechtigt gewesen und nunmehr auch von einer Ausweisung betroffen sind.

Ganz abgesehen davon wurden, wie bereits erwähnt, gegenüber dem Beschwerdeführer bereits zwei rechtskräftige Ausweisungen in die Russische Föderation ausgesprochen, denen der Beschwerdeführer aber nicht Folge leistete; vielmehr stellte der Beschwerdeführer in der Folge jeweils weitere - unbegründete - Anträge auf internationalen Schutz. Allein dieser Umstand führt bereits zu einem Überhang der öffentlichen Interessen an einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat gegenüber den privaten Interessen an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet.

Ein mittlerweile eingetretener Erwerb von Deutschkenntnissen aufgrund des mehrjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet ist schon deshalb zu relativieren, weil dem Beschwerdeführer die Unsicherheit der Aufenthaltsberechtigung bewusst sein musste vergleiche VwGH 25.02.2010, Zl. 2009/21/0187).

Soweit der unbescholtene Beschwerdeführer ein Konvolut an Unterstützungsschreiben vorlegte, lässt dies zwar auf einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich schließen; eine außergewöhnliche Integration und Aufenthaltsverfestigung während des Aufenthalts im österreichischen Bundesgebiet hat jedoch nicht stattgefunden.

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass Verwandte des Beschwerdeführers weiterhin in der Russischen Föderation leben. Weiters erhielt der Beschwerdeführer dort seine schulische Ausbildung und verbrachte dort den überwiegenden Teil seines Lebens. Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation, konkret nach Tschetschenien, bei der Eingliederung in die tschetschenische Gesellschaft unüberwindbaren Hürden gegenübersehen könnte.

Der Beschwerdeführer gab überdies selbst an, dass er in Österreich über keine Arbeitsbewilligung verfüge; er habe früher "bei der Caritas" gearbeitet. Derzeit werde er von seinen Eltern unterstützt. Er trainiere Ringen und gehe manchmal in ein Fitnessstudio; "sonst mache [er] nichts". Der Beschwerdeführer wird zudem im Rahmen der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes unterstützt. Von einer Integration auf dem österreichischen Arbeitsmarkt und damit der Selbsterhaltungsfähigkeit kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren auch keine Umstände vorgebracht, die geeignet wären, einen besonderen Grad der Integration in die österreichische Gesellschaft darzutun.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gelangt der Asylgerichtshof ebenso wie das Bundesasylamt zu dem Schluss, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers keinen - ungerechtfertigten - Eingriff in Artikel 8, EMRK darstellt.

Es sind im Beschwerdeverfahren auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß Paragraph 10, Absatz 3, AsylG hervorgekommen und wurden auch vom Beschwerdeführer solche nicht behauptet.

Gemäß Paragraph 41, Absatz 7, AsylG 2005 hat der Asylgerichtshof Paragraph 67 d, AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. römisch II Absatz 2, lit. D Ziffer 43 a, EGVG war der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 02.03.2006, 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.01.2003, 2002/20/0533; 12.06.2003, 2002/20/0336).

Gemäß dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof unterbleiben, da der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war. Was das Vorbringen in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser kein neues bzw. kein ausreichend konkretes bzw. zulässiges Tatsachenvorbringen hinsichtlich allfälliger sonstiger Fluchtgründe. Auch tritt die Beschwerde den seitens der Behörde getätigten beweiswürdigenden Ausführungen nicht in ausreichend konkreter und überzeugender Weise entgegen.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.