Unabhängiger Bundesasylsenat

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Entscheidungstext 227.065/4-I/01/02

Entscheidende Behörde

Unabhängiger Bundesasylsenat

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Entscheidungsart

Bescheid

Geschäftszahl

227.065/4-I/01/02

Entscheidungsdatum

27.08.2002

Verfasser

Mag. Eigelsberger

Norm

AsylG 1997 §7 AsylG 1997 §12

Spruch

BESCHEID

SPRUCH

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Maga. Eigelsberger gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG in Verbindung mit Paragraph 38, Absatz eins, des Asylgesetzes 1997, BGBI. römisch eins Nr. 76/1997 (AsylG) in der Fassung Nr. 82/2001, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23. 5. 2002 entschieden:

Der Berufung von A. R. B. vom 11. 3. 2002 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. 2. 2002, Zl 01 07.459-BAL, gemäß Paragraph 7, AsylG wird stattgegeben und A. R. B. gemäß Paragraph 7, AsylG Asyl gewährt. Gemäß Paragraph 12, leg cit wird festgestellt, dass A. R. B. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

Der Asylwerber stellte am 30. 3. 2001 beim Bundesasylamt einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Am 2. 5. 2001 wurde der Asylwerber beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen:

"Schildern sie die Gründe für ihre Asylantragsstellung vollständig und wahrheitsgemäß.

Der erste Grund ist jener, dass in Afghanistan ein sehr starker Krieg herrscht. Wegen diesem Grund sind wir auch ausgereist.

Der zweite Grund ist jener, dass ich früher ein Staatsangestellter war und Parteimitglied der Demokratischen Volkspartei Afghanistan (DVPA) war. Die Taliban verfolgen alljene Personen, die früher Staatsangestellte und Parteimitglieder waren. Sie werden verfolgt, verhaftet, gefoltert und umgebracht. Meistens geschieht das unter der Benutzung des Vorwandes, dass man noch Waffen von früher versteckt hält. Da ich mein Leben schützen wollte, bin ich nach Österreich gekommen.

Das sind meine Gründe.

F: Was befürchten sie konkret, wenn sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten.

A: Ich fürchte die Taliban. Wenn sie mich zu fassen bekommen, werden sie mich exekutieren, weil ich Staatsangestellter und Parteinmitglied war.

(....)

F: Wovon lebt ihr Bruder in Afghanistan.

A: Er hat ein Lebensmittelgeschäft.

F: Wie hat ihr Versteckthalten im Vorort von Mazar genau ausgesehen.

A: Es ist kein Vorort, sondern gehört zum Bezirk Mazar und ist ca 100 km von Mazar entfernt.

In S. gibt es ein Dorf mit dem Namen D. Ich habe dort einen Freund namens H. A. Ich hatte vor 27 oder 28 Jahren bereits einmal dort unterrichtet und war der Lehrer seiner Söhne. Er hat mich in seinem Haus leben lassen und war dort auch versteckt. Nach zwei Monaten brachte mein Bruder meine Frau nach. Sie war nicht durchgehend da, sie war auch zwischendurch wieder in Mazar i Sharif. Sie wurde immer von meinem Bruder hin- und hergebracht.

F: Warum sind sie wieder nach Mazar i Sharif zurückgekehrt.

A: H. A. fuhr auch einige Male nach Mazar. Er sagte mir, dass sie mich suchen. Er sagte, wenn sie eines Tages nach S. kämen und mich in seinem Haus finden würden, dann sei auch sein Leben in Gefahr. Deswegen sollte ich sein Haus verlassen. Man sagte ihm, dass ich sicher eine Waffe gehabt hätte, dass ich geflohen sei, dass er die Waffe suchen und abgeben müsste. Weiters wollte man über ich herausfinden, wo ich sei. Deswegen hat man ihn auch mehrere Male festgenommen, aber nach der Zahlung von 200, 300 oder 500 Lak kam er frei. Ich hatte ein Grundstück, welches die Taliban, nachdem ich nach Mazar i Sharif geflohen bin, beschlagnahmt haben.

F: Welche Funktion hatten sie in der Partei.

A: Wir haben die Jugend ausgeklärt und Jugendarbeit geleistet, indem wir sie in die Partei integrieren wollten und haben auch Parteipropaganda gemacht. Weiters haben wir für die Versammlungen alles vorbereitet.

F: Wie sind sie für die Partei in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten.

A: Da ich Staatsangestellter war, war ich auch Parteimitglied. Die Partei hat die Funktionen innerhalb der staatlichen Organe vergeben. Ich hatte keine offizielle Funktion innerhalb der Partei. Ich habe nur für die Partei Propagandaarbeit gemacht.

F: Wie hat ihre Aufgabe im Staatsdienst konkret aus.

A: Ich war der Sekretär innerhalb der Gemeinde. Weiters gab es jeden Dienstag Treffen, welche ich dann im Stadtparlament vorbrachte und diese akzeptiert wurden. Mit dem Begriff "Volksanwaltschaft" ist auch das gemeint.

F: Sie sind nach Zusammenbruch der kommunistischen Regierung von den Mujaheddin übernommen worden.

A: Ja, ich wurde ganz übernommen, weil sich Dostum den Mujaheddin angeschlossen hat. Die ganz hohen Funktionäre, wie Minister wurden nicht übernommen, aber die normalen Staatsangestellten schon.

F: Haben sie schon während der Herrschaft der Kommunisten irgendwelche Gewalttaten an Mujaheddin befohlen, genehmigt oder durchgeführt.

A: Nein, das habe ich nie getan. Ich war selbst nie im Krieg, ich habe nur Propaganda für die Partei betrieben.

F: Waren sie unter den Mujaheddin aktiv gegen die Taliban tätig.

A: Ja, ich war aktiv tätig, aber nur in der Propaganda.

F: Wie hat das konkret ausgesehen.

A: Ich habe in Straßen, Gassen, öffentlichen Plätzen und Moscheen Reden gehalten. Ich habe über die Ideologie der Taliban gesprochen, dass es eine diktatorische Ideologie ist, dass sie die Frauenrechte nicht beachten, sich nur zu ihrem eigenen Stamm zugehörig fühlen.

Nach Rückübersetzung gebe ich an, dass alles vollständig ist, ich jedoch nicht Sekretär auf Gemeindeebene war, sondern eine Ebene höher. Mein Vorgesetzter war den Bürgermeistern gegenüber weisungsbefugt und unterstand dem Innenminister. Das Amt meines Vorgesetzten wird als "Wali" bezeichnet.

Der Wali ist eigentlich der Provinzchef.

F: Waren sie in Afghanistan wegen ihrer Zuckerkrankheit in ärztlicher Behandlung.

A: Unter den Kommunisten wurde mir schon gesagt, dass ich für Zucker anfällig bin und meine Ernährung umstellen muss. In S. hat man mir einen Hausarzt gebracht und er sagte mir, dass ich einfach meine Ernährung umstellen muss. Dagegen gibt es kein Medikament. Ich bin erst seit meinem Aufenthalt in Österreich in ärztlicher Behandlung und es geht mir besser.

F: Welche erwähnenswerte Vorfälle gab es, nachdem sie nach Mazar zurückkehrten. Was fällt ihnen ein.

A: Ich kann mich an keine besonderen Vorfälle erinnern. Ich muss dazu angeben, dass ich immer im Haus war, weil ich mich versteckt hielt.

Da es kein Radio und Fernsehen gibt, ist man vom Informationsfluss abgeschnitten.

V: Es gibt Zeitungen.

A: Das stimmt, aber ich bin kein Zeitungsleser. Außerdem sind die Zeitungen in Pashtu und da habe ich kein Interesse das zu lesen.

V: Es gibt auch Zeitungen in Farsi.

A: Ja, in Mazar gibt es eine Zeitung mit dem Namen "Bidar".

V: Laut dem ho Amtswissen werden nur jene Mitglieder des ehem. Kommunistischen Regimes verfolgt, die eine exponierte Stellung hatten und für Gewalttaten verantwortlich gemacht werden.

A: Es ist so, dass jede Person, die in der Partei tätig war und Propaganda machte, verfolgt, verhaftet und umgebracht wird. Als die Taliban Mazar eroberten, köpften sie am ersten Tag ca 5.000 - 6.000 Menschen.

V: Das war eine kriegsbedingte Racheaktion.

A: Wieso ist dann mein Sohn seit diesem Tag verschollen. Es wurde auch viele unbeteiligte Passanten einfach festgenommen.

V: Viele ehemalige Kommunisten arbeiten heute noch unter den Taliban und die bloße Mitgliedschaft bei den Kommunisten stellt keinen Verfolgungsgrund dar. Als Beispiel sei Prof. Daris genannt, der der letzte Justizminister von Nadjbullah war und heute völlig unbehelligt in Kabul lebt.

A: Prof. Daris war kein Parteimitglied. Einen weiteren Punkt erwähnte ich nicht, dass ich zum Kommandanten der Usbekenmiliz Kontakt hatte.

F: Wie hieß dieser.

A: Die meiste Zeit hatte ich Kontakt zu M. R., ein anderer hieß L. K., ein anderer Z. P.

F: Wie stehen diese Personen mit ihrem Asylantrag in Verbindung.

A: Es ist als Beispiel genannt, dass ich mit den Usbeken viel Kontakt hatte. Weiters sagen die Taliban, dass jemand, wenn er mit den Kommandanten regen Kontakt hat, muss er sicher ein Feind sein.

(....)."

Mit Bescheid vom 19. 2. 2002, Zl 01 07.459-BAL, hat das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß Paragraph 7, AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins) und zugleich festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß Paragraph 8, AsylG nicht zulässig ist (Spruchpunkt römisch II). Begründend wurde zu Spruchpunkt römisch eins ausgeführt, dass aus dem Vorbringen des Asylwerbers kein Grund zur Annahme ersichtlich sei, dass dieser von einem ehemaligen Angehörigen der Taliban in dessen Eigenschaft als Privatperson verfolgt werden solle. Aus dem dem Bundesasylamt zur Verfügung stehenden Amtswissen sei weiters kein Grund ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dieser von den derzeitigen Machthabern Verfolgung zu befürchten habe. Den Angaben des Asylwerbers, wonach dieser von der derzeitigen Regierung Verfolgung zu befürchten habe, weil in dieser ehemalige Angehörige der Mudjaheddin vertreten seien, werde deswegen kein Glauben geschenkt, weil dieser einerseits unter den Mudjaheddin mehrere Jahre unbehelligt in Afghanistan gelebt habe und andererseits selbst angegeben habe, dass man ihn keine Gewalt oder Greueltaten gegen Angehörige der Mudjaheddin vorwerfen könne, sodass dieser nicht zu jenem Personenkreis zählen könne, welcher zu den verfolgungsgefährdeten Personen der Mudjaheddin gezählt hätte. Somit sei dem Vorbringen des Asylwerbers aufgrund der geänderten Lage die Glaubwürdigkeit hinsichtlich einer zu befürchteten Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan abzusprechen. Das Bundesasylamt gelange nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass es nicht glaubhaft sei, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung drohe und sei sein Asylantrag aus diesem Grund abzuweisen.

Zu Spruchpunkt römisch II wurde ausgeführt, dass im Falle des Asylwerbers von einer Glaubhaftmachung der Fluchtgründe nicht gesprochen werden könne, weshalb auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Paragraph 57, FrG ausgegangen werden könne.

Die Behörde gelange zur Ansicht, dass Gründe für die Annahme bestehen würden, dass der Asylwerber im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Afghanistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nicht zulässig gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 23. 11. 2000 erhob der nunmehrige Berufungswerber Berufung, welche sich nur gegen Spruchpunkt richtet.

Der unabhängige Bundesasylsenat führte am 23. 5. 2002 eine mündliche Verhandlung durch, wobei das Bundesasylamt als Partei des Verfahrens an der Verhandlung nicht teilgenommen hat. Diese wird hier wiedergegben:

"VL: Beschreiben Sie Ihren beruflichen Werdegang ?

BW: Im Jahr 1347 (1968) habe ich die Darolmoalemin Schule (Lehrerausbildungsschule) fertig gemacht. Als Lehrer habe ich im Lyceum angefangen. In dieser Schule habe ich 3 Jahre unterrichtet. Insgesamt war ich 13 Jahre lang als Lehrer in verschiedenen Schulen tätig. Vom Jahr 1360 bis 1361 (1981 bis 1982) habe ich für ein Jahr im Institut der Sozialwissenschaften des Zentralkomitees der VDPA studiert. Von 1361 bis 1365 (1982 bis 1986) war ich Inspektionsdirektor und Inspektionspräsident. Von 1365 bis 1368 (1986-1989) war ich Präsenzdiener. Von 1368 bis 00. 00. 1377 (1989 bis 00.00.1998) war ich Chefsekretär der Provinzverwaltung. Am 00.00. sind dann die Taliban gekommen. Nach etwa 13 Tagen haben sie meinen Sohn weggenommen und ich habe nie mehr von ihm etwas erfahren. Dann bin ich geflohen nach S. Das Haus habe ich am 00.00. (00.00.) verlassen.

Ergänzend gebe ich an, dass ich die Tätigkeiten für die Partei ehrenhalber ausgeübt habe, da ich in der Regierung tätig war.

VL: Haben Sie jemals aktiv gegen die Mujaheddin gekämpft ?

BW: Nein. Damit habe ich nur den Propagandakampf gemeint.

VL: Worin sehen Sie nach dem Sturz des Taliban Regimes noch eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Afghanistan ?

BW: In Afghanistan gibt es keine Sicherheit, egal ob sie sich Taleb oder Mudjahed nennen. Da ich Parteimitglied und in der Regierung tätig war und infolge meiner Dienstverrichtung die Gesuche auch ablehnen musste, so habe ich mir auch persönliche Feinde und Feinde innerhalb der Partei gemacht, im Besonderen in Mazar-i Sharif sind die Parteien Jonbesh und Jamiat in Streit miteinander; im Radio haben sie bekannt gegeben, dass Hekmatyar mit 600 Leuten Jalalabad angegriffen hat. In der Provinz Ghor hat man kürzlich einen Kandidaten der Loya Jirga umgebracht. So kann man kaum von Sicherheit sprechen.

VL: Welche Gesuche haben Sie ablehnen müssen ?

BW: Juristische Fälle, wie zum Beispiel Boden- und Grundstreitigkeiten, Mord- und Kriminalfälle hatte ich zu behandeln, auch Diebstahl. Wenn die Leute nicht mit den Entscheidungen der Behörde einverstanden waren, dann haben sie Gesuche an mein Amt abgegeben und ich habe dann die Entscheidung zu treffen gehabt, sie weiterzuleiten und dies als Hauptsekretär in der Provinzverwaltung.

VL: Wem waren Sie unterstellt ?

BW: Dem Gouverneur.

VL: Wohin mussten Sie diese Beschwerden weiterleiten ?

BW: Ich musste diese Beschwerden an verschiedene zutreffende Behörden, zum Beispiel an Gerichte und die Polizei weiterleiten. Da ich keine Bestechungsgelder angenommen habe und immer nach Gesetz vorgegangen bin, waren einige Leute nicht zufrieden.

VL: Können Sie sich vorstellen, dass in solchen Fällen sich bei Ihrer Rückkehr nach Afghanistan Leute dafür rächen könnten ?

BW: Als Beispiel kann ich nennen, dass ein Kommandant der Jamiat namens S. K. den Grund von einem Kommandanten von Jonbesh gewaltsam genommen hat. Beide Parteien haben behauptet, dass sie den Grund zu Recht beanspruchen dürfen. Ich habe bei dem Gesuch von S. K. immer wieder die Anweisung gegeben, die Behörden sollen entsprechend der Gesetze und Dokumente vorgehen. Dies war der Grund, dass dieser Kommandant S. K. nicht zufriedengestellt werden konnte, da er unrechtmäßig den Grund konfisziert hatte. Er gab mir auch mehrmals Bestechungsgelder, die ich abwies.

VL: Gibt es Gründe, warum man Sie in Afghanistan verfolgt ?

BW: Ich habe gegen die Mujaheddin und gegen die Taliban als Parteimitglied der VDPA Stellung genommen und Propaganda betrieben, weil sie gegen den Fortschritt waren und die Ehre der Leute angegriffen und die Leute geplündert haben. Dies (die Propaganda) geschah öfters in Versammlungen, bei Privatzusammenkünften, bei Kondolenzversammlungen und davon haben auch die Gegner Kenntnis erhalten.

VL: Wie hat die Parteipropaganda ausgesehen ?

BW: Ich habe die Ziele der Partei den Leuten erklärt. Die negativen Seiten der Mujaheddin und der Taliban habe ich wiederspiegelt.

VL: Woraus soll heute eine Verfolgung resultieren ?

BW: Karzai ist selbst ein Taleb und die Reste sind immer noch da. Karzai arbeitet mit den Taliban zusammen.

Kommandant A., bekannt unter dem Namen U. A., war ein schlechter Schüler von mir und zwar in der Nadershahi Mittelschule. Er hat auch von mir schlechte Noten und Ohrfeigen bekommen. Das hat er mir übel genommen. Er hegt Feindschaft. Dieser genannte Kommandant ist im Moment in Mazar-i Sharif ein mächtiger Mann. Sein Einflussbereich reicht von Mazar-i Sharif bis Kabul. Zuvor war er auch ein Vertrauensmann des Massoud. Dieser A. könnte eventuell auch meinen Sohn gefangengenommen und verschleppt haben. Er kämpft auch zuweilen für Massoud gegen Jonbesh (Dostum). Ein anderer Kommandant namens A. S. war ein Schüler der sich halbstark benahm und mit Taschenmessern die Leute attackierte. Ich habe ihn oft ermahnt und aufgefordert, die Schule zu beenden und fleißig zu lernen. Er hat nur 6 Klassen absolviert. Auch wegen ihm habe ich Angst, weil er ein mächtiger Kommandant in Mazar-i Sharif ist. Er wohnt in Mazar-i Sharif. Diese Fälle stellen alle persönliche Feindschaften dar (Khossumate Shakhssi)."

Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Ethnie der Tadschiken an und stammt aus Mazar-i Sharif. Im Jahre 1968 absolvierte der Berufungswerber die Darolmoalemin Schule (Lehrerausbildungsschule). Er begann im Lyceum zu unterrichten. Er unterrichtete insgesamt 13 Jahre als Lehrer in verschiedenen Schulen. Ein ehemaliger Schüler des Berufungswerbers war auch Kommandant A., bekannt unter dem namen U. A., der heute ein mächtiger Kommandant der Jamiat-e Islami ist. A. wurde vom Berufungswerber für seine schulischen Leistungen nicht zufriedenstellend beurteilt und wurde deswegen auch mittels Ohrfeigen vom Berufungswerber misshandelt.

Von 1981 bis 1982 studierte der Berufungswerber am Institut für Sozialwissenschaften des Zentralkomitees der VDPA. Von 1982 bis 1986 war er als Inspektionsdirektor und Inspektionspräsident tätig. Von 1986-1989 war er Präsenzdiener. Von 1989 bis 00.00.1998 war er Chefsekretär der Provinzverwaltung. Er war auch aktives Mitglied der VDPA, indem er für die Partei Propaganda betrieben hat. Als die Taliban 1998 einmarschierten, wurde der Sohn des Berufungswerbers von den Taliban festgenommen. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Danach flüchtete der Berufungswerber aus Afghanistan nach Österreich.

Es handelt sich um eine notorische Tatsache, dass die Taliban zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung als politisches System nicht mehr existieren. Die Taliban sind ab dem Zeitpunkt 00.00. 2001 vollständig abgezogen.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Sicherheitslage zur Zeit der Herrschaft der Taliban gegenüber dem jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich unterscheidet. Während unter den Taliban jeder Afghane an jedem Ort und zu jeder Zeit vor gewaltsamen Handlungen nicht geschützt war, betrifft die derzeitige Sicherheitssituation solche Fälle, die aus wirtschaftlichen Gründen, aus Rache- und Blutrachemotiven oder aus persönlichen Gründen erfolgen. Zusätzlich gibt es vereinzelt Zusammenstöße zwischen lokalen Kommandanten, die nach kurzer Zeit unter Mitwirkung der UN beigelegt worden sind.

Bei einer früheren Tätigkeit als Mitglied der VDPA ist zum heutigen Zeitpunkt nicht von einer allgemeinen Verfolgung solcher Personen auszugehen. Dies vor dem Hintergrund, dass die zur Zeit bestehende Verwaltung mehrheitlich von Beamten und Offizieren des kommunistischen Staates unter Najibullah und zuvor besetzt ist. Wenn Kommunisten an Kriegseinsätzen teilgenommen haben und dabei Menschen zu Schaden gekommen sind oder es zu Auseinandersetzungen mit Fundamentalisten wegen blasphemischer Äußerungen der islamischen Religion gekommen ist, können diese von jenen Personen, die dabei zu Schaden gekommen bzw gekränkt worden sind, verfolgt werden. Die "Verfolger" müssen jedoch hohe Posten im Verteidigungs-, Innen- oder Staatssicherheitsdienst bekleiden oder es muss sich dabei um bewaffnete Kommandanten handeln, welche Gegner der Interimsregierung sind.

In Afghanistan ist die persönliche Feindschaft ein weit auszulegender Begriff. Es ist vorgekommen, dass Schüler, die von Lehrern erniedrigt worden sind, oder auf Veranlassung dieser Lehrers durchgefallen sind, sich dafür rächen, indem sie nach ihrer Machterlangung diese Personen verfolgen.

A. ist ein einflussreicher Kommandant der Jamiat-e Islami und als Gegner von General Dostum zu sehen. Wenngleich dieser Kommandant im Einflussgebiet von Dostum in Nordwestafghanistan nicht herrschend ist, kann er wegen seiner Auseinandersetzungen mit Dostum auch Personen in dessen Schutzbereich Schaden zufügen. Als einflussreicher Kommandant der Jamiat-e Islami beherrscht er die Gebiete in Nordostafghanistan, Kabul und die Verbindungswege zwischen Mazar-e Sharif - Kabul und Kabul - Kunduz.

Die Feststellungen resultieren aus

der Einvernahme des Berufungswerbers beim Bundesasylamt und beim unabhängigen Bundesasylsenat und den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen für die politische Situation in Afghanistan anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 23. 5. 2002. Die vom Berufungswerber gemachten Angaben bei der Einvernahme beim Bundesasylamt und der beim unabhängigen Bundesasylsenat abgehaltenen öffentlichen mündlichen Verhandlung haben sich als glaubwürdig und in sich schlüssig dargestellt. Da sich das Gefährdungsmoment des Berufungswerbers bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mehr auf eine mögliche Verfolgung durch die Taliban bezieht, ist der Beurteilung eine mögliche Verfolgung durch die jetzigen Machthaber zu Grunde zu legen.

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

Gem Paragraph 7, AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaub-haft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlings-konvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der (Genfer) Konvention über die Rechtstellung der Flücht-linge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (GFK), ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gem. Paragraph 45, Absatz eins, AVG bedürfen Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (sog. "notorische" Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze13 [MSA 1998], 89), und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, keines Beweises. "Offenkundig" ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder "allgemein bekannt" (notorisch) oder der Behörde im Zuge Ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch "bei der Behörde notorisch" (amtsbekannt) geworden ist; "allgemein bekannt" sind Tat-sachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen - ohne besondere Fachkenntnisse vergleiche VwSlgNF 8311 A; VwGH 5. 3. 1976, 1529/75) - her-geleitet werden können (VwGH 23. 1. 1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch2, Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im wesent-lichen gleichlautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden, wobei sich die Allgemeinnotorietät nicht auf die bloße Ver-lautbarung beschränkt, sondern allgemein bekannt ist, dass die in den Massenmedien verbreiteten Tatsachen auch der Wahrheit entsprechen. Vor diesem Hintergrund steht aber fest, das sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat des Berufungswerbers in wesent-lichen Punkten geändert haben. Es muss insbesondere als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Taliban - der Berufungswerber hatte sich bisher im Wesentlichen auf eine von den Taliban ausgehende Verfolgungs-gefahr berufen - in Afghanistan als Machtapparat nicht mehr existieren. Wie in den Medien berichtet, übernahm die unter der Führung von Karzai bestehende Interimsregierung in Kabul bzw in weiterer Folge die am 19. 6. 2002 von der Loya Jirga vereidigte Interimsregierung unter Karzai die Macht. Der Rückzug der Taliban war am 00.00. 2001 abgeschlossen. Wenngleich zwar dem vormaligen Verfolger, dem Taliban-Regime, kein effektiver Machtapparat mehr zur Verfügung steht, ist jedoch im gegenständlichen Fall eine Verfolgungsgefahr durch die jetzigen Machthaber in Afghanistan als wahrscheinlich zu erachten. Dies deshalb, weil es sich bei dem Berufungswerber um einen ehemaligen Lehrer des nunmehr politisch sehr bedeutsamen Kommandant A. handelt, der damals seinem Schüler wegen dessen schulischen Misserfolgen feindlich gegenübergestanden ist. Darüber hinaus handelt es sich bei Kommandant A., einem islamischen Fundamentalisten, um einen ideologischen Kontrahenten des Berufungswerbers. Aus diesem Grund ist es - wegen der vom Sachverständigen angesprochenen Rachegefühle - nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass der Berufungswerber nunmehr wegen des maßgebenden Einflusses des Kommandanten A. in der Jamiat-e Islami ein potentielles Feindbild für seinen ehemaligen Schüler darstellen und somit bei einer Rückkehr Gefahr laufen kann, Repressalien seitens des Kommandanten A. erleiden zu müssen.

Zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative ist festzuhalten, dass sich die wohl-begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss vergleiche VwGH vom 8. 10. 1980, Slg Nr 10.255/A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatlandes offen, in denen er frei vor Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht. Es ist im gesamten Verfahren hervorgekommen, dass dem Berufungswerber insoweit eine besondere Position zukommt, als er als ehemaliger Lehrer des Kommandanten A., der der Jamiat-e Islami zuzurechnen ist, auch über das Gebiet von Mazar-e Sharif hinaus mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste, da die Jamiat-e Islami den größten Teil Afghanistans beherrscht. Im Lichte dessen ist eine inländische Fluchtalternative auf Grund der obigen Ausführungen ausgeschlossen.

Aus all diesem Gesagten ist festzuhalten, dass bei Gesamtbetrachtung der geschehenen Vorfälle im Falle einer Rückkehr des Berufungswerbers nach Afghanistan Verfolgungshandlungen durchaus nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden können.

Schlagworte

Minderheiten-Zugehörigkeit, Risikogruppe, gesamte Staatsgebiet, maßgebliche Wahrscheinlichkeit

Dokumentnummer

UBAST_20020827_227_065_4_I_01_02_00

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