Entscheidungstext 50R106/21a

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

50R106/21a

Entscheidungsdatum

27.09.2021

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richterinnen Mag.a Michlmayr (Vorsitzende), Mag.Schillhammer und den Richter KR Bayer in der Rechtssache der klagenden Partei A*, **straße **/B*, ** C*, vertreten durch Lugger Bankler Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei D* GmbH, E* B*, **, vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 802,80 sA, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 15.6.2021, GZ 21 C 258/20z-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei innerhalb von 14 Tagen die Kosten der Berufungsbeantwortung von EUR 280,54 (darin EUR 46,76 USt) zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Der Kläger begehrt von der Beklagten als Reiseveranstalterin einer am 31.10.2019 für die Zeit vom 14. bis 21.3.2020 gebuchten Flugpauschalreise für sich und seine Frau nach F* die Rückzahlung der Stornogebühr von EUR 802,80. Am 24.2.2020 sei er aufgrund der Corona-Pandemie zu Recht vom Pauschalreisevertrag iSv Paragraph 10, Absatz 2, PRG zurückgetreten.

Die Beklagte bestreitet insbesondere das Vorliegen der Voraussetzungen für einen entschädigungslosen Rücktritt.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 802,80. Dabei ging es von den auf den Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen aus, worauf verwiesen wird.

Rechtlich führte es aus, der Kläger sei zu Recht gemäß Paragraph 10, Absatz 2, PRG vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten. Die Pandemie habe sich in den Wochen vor der Rücktrittserklärung in Norditalien rasant ausgebreitet. Das Corona-Virus verursache eine hoch ansteckende Lungenkrankheit, für dessen Verbreitung der Aufenthalt in einem gemeinsamen Raum genügt. Ex-ante betrachtet habe niemand vorhersagen können, dass Sizilien die in Italien am wenigsten betroffene Region sein wird. Aufgrund der Medienberichte habe der Kläger im kritischen Alter von 71 – seine Frau sei 69 gewesen – von einer Ausbreitung auch auf Sizilien ausgehen dürfen. Es spiele keine Rolle, dass es noch keine Reisewarnung für ganz Italien sondern nur eine partielle für nördliche Regionen gegeben habe. Die Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit einem pandemischen Geschehen sei als wesentlich größer einzustufen, als die Gefahr regional beschränkter Terroranschläge.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Im Rahmen der Rechtsrüge wendet sich die Beklagte gegen die erstgerichtliche Annahme, dass die Voraussetzungen für einen entschädigungslosen Rücktritt iSv Paragraph 10, Absatz 2, PRG vorliegen.

Vorweg wird dazu auf die überzeugende, umfassende sowie sorgfältige Argumentation des Erstgerichts verwiesen (Paragraph 500 a, ZPO) und folgendes zur Verdeutlichung hervorgehoben:

Voraussetzung für einen entschädigungslosen Rücktritt des Reisenden gemäß Paragraph 10, Absatz 2, PRG ist, dass am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Vorheriger SuchbegriffPauschalreiseNächster Suchbegriff oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Eine erhebliche Beeinträchtigung liegt nicht nur bei einem Reisemangel und bei Unmöglichkeit vor, sondern auch dann, wenn der Antritt der Vorheriger SuchbegriffPauschalreise mit unzumutbaren Belastungen (zB wegen Ausgangsverboten oder Straßensperren) oder Gefahren verbunden wäre. Dabei genügt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Risiko verwirklichen könnte. ErwGr 31 der ReiseRL nennt als Beispiele für unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände Kriegshandlungen, Terrorismus, den Ausbruch einer Epidemie oder Naturkatastrophen. Das entspricht im Wesentlichen den Rücktrittsgründen nach bisherigem Recht (Bammer/Treu in ecolex 2020, 357 mwN).

Neu ist, dass das Rücktrittsrecht gemäß Paragraph 10, Absatz 2, PRG nur dann ausgeübt werden kann, wenn die unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände, die der Reisende geltend macht, am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auftreten. Daher können zB Ereignisse am Abflughafen oder am Ort einer Zwischenlandung keinen entschädigungslosen Rücktritt begründen (Bammer/Treu in ecolex 2020, 357).

Die Beklagte gesteht zu, dass die Corona-Pandemie grundsätzlich als außergewöhnlicher Umstand iSd Paragraph 10, Absatz 2, PRG zu qualifizieren ist. Allerdings müsse der außergewöhnliche Umstand (a) am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe aufgetreten sein und (b) die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigt haben. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt gewesen, weshalb die Klage abzuweisen gewesen wäre.

1) Zum Bestimmungsort

Wie bereits dargelegt, nennt ErwGr 31 der ReiseRL als Beispiel für einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand ua den Ausbruch einer Epidemie. Umso mehr stellt eine Pandemie einen solchen Umstand dar.

Unter einer Epidemie ist nach allgemeinem Verständnis das Auftreten einer ansteckenden Krankheit in einem bestimmten begrenzten Verbreitungsgebiet zu verstehen, wobei eine große Zahl von Menschen gleichzeitig von der Krankheit befallen wird. Unter einer Pandemie ist nach allgemeinem Verständnis eine sich weit ausbreitende, ganze Landstriche, Länder erfassende Seuche, dh eine Epidemie großen Ausmaßes zu verstehen.

Fest steht, dass sich ab Jänner 2020 das Corona-Virus von China ausgehend exponentiell bis nach Europa verbreitete, das Virus im Februar 2020 schon in der ** und in G* bzw ** G*, dh im nördlichen Italien grassierte, tw der Notstand ausgerufen wurde, es bereits Todesfälle sowie Ein- und Ausgangssperren, weiters partielle Reisewarnungen für das betroffene Gebiet gab bzw die Medien darüber berichteten, die Infektionen in F* Anfang März 2020 hingegen nicht auffällig waren (UA, S 3 Mitte, 3 unten f, 4 Mitte; disloziert S 5 oben).

Weiters steht fest, dass österreichische Behörden am 26.1.2020 eine Corona-Infektion als nach dem Epidemiegesetz anzeigepflichtige Krankheit einstuften, die H* die Corona-Krise am 30.1.2020 als gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite bezeichnete und am 11.3.2020 vom Vorliegen einer weltweiten Pandemie ausging (UA, S 4 unten).

Allgemein bekannt ist, dass sich Pandemien in der vorliegenden vernetzten und globalisierten Welt besonders rasch ausbreiten.

Vor diesem Hintergrund ist das Reiseziel des Klägers, F*, angesichts der im nördlichen Italien bereits grassierenden Corona-Infektionen, jedenfalls ex-ante, dh gegen Ende Februar 2020 betrachtet, als von einem außergewöhnlichen Umstand iSd Paragraph 10, Absatz 2, PRG betroffen anzusehen. Mit anderen Worten musste und durfte der Kläger zum Zeitpunkt des Rücktritts am 24.2.2020 von der für die Zeit vom 14. bis 21.3.2020 geplanten Flugpauschalreise davon ausgehen, dass das pandemische Geschehen bis dahin das Reiseziel Sizilien erreicht haben wird, auch wenn es sich dabei um eine Insel handelt. Insofern kann auch von keinem „verfrühten Rücktritt“ gesprochen werden vergleiche Bammer/Treu in ecolex 2020, 358).

Der Kläger war daher schon allein nach einem objektiven Maßstab (ErlRV 1513 BlgNR 25. Gesetzgebungsperiode 12), der gebotenen objektiven ex-ante-Betrachtung (Treu in Bammer, PRG Paragraph 10, Rz 31 [Stand 1.10.2019, rdb.at]) bzw unter Berücksichtigung der erheblichen Wahrscheinlichkeit (aaO Rz 38) einer vom Schutzzweck des Paragraph 10, Absatz 2, PRG umfassten Gefahrenlage vergleiche dazu unten) zum entschädigungslosen Rücktritt berechtigt.

Dass es in Sizilien ex–post betrachtet tatsächlich anders kam vergleiche UA, S 7 unten), spielt keine Rolle. Ebenso wenig ist das Infektionsgeschehen am bzw rund um den Wohnort des Klägers in C* südlich von ** nach dem Wortlaut des Paragraph 10, Absatz 2, PRG in die Überlegungen einzubeziehen.

2) Zur erheblichen Beeinträchtigung der Reise

Die in Paragraph 10, Absatz 2, PRG geforderte erhebliche Beeinträchtigung der Reise ist mit Blick auf den Schutzzweck der Norm (Vermeidung von Reisen, die mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden sind) und mit Blick auf den Umstand, dass weder in ErwGr 31 noch in Artikel 12, Absatz 2, Reise-RL eine Vertragswidrigkeit vorausgesetzt wird, weit auszulegen. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise liegt demnach ua auch dann vor, wenn von einer erheblichen Gefährdung bzw von einer Reise mit unzumutbaren Sicherheitsrisiken, etwa durch Ansteckung mit Krankheiten auszugehen ist (Treu in Bammer, PRG Paragraph 10, Rz 40 f [Stand 1.10.2019, rdb.at].

Die Beklagte gesteht selbst zu, dass es für die geforderte erhebliche Beeinträchtigung keine Reisewarnung braucht, sondern die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der Reise durch ein hohes Ansteckungsrisiko.

Dazu wird auf die Ausführungen zu Punkt 1) verwiesen, wonach aufgrund des pandemischen Geschehens im nördlichen Italien im Februar 2020 von der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefahrenlage am Reiseziel Sizilien auszugehen war. Weiters wird auf die dislozierte Feststellung verwiesen, wonach es sich bei einer Corona-Infektion um eine hochansteckende und jedenfalls ernstzunehmende Krankheit handelt (UA, S 5 oben).

Von einer mangelnden Beeinträchtigung der Reise iSd Paragraph 10, Absatz 2, PRG kann daher im vorliegenden Fall keine Rede sein.

Der Berufung war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraphen 50, Absatz eins,, 41 Absatz eins, ZPO. Gemäß Paragraph 23, Absatz 10, RATG gebührt im vorliegenden Bagatellverfahren (Paragraph 501, Absatz eins, ZPO) nur der einfache Einheitssatz.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet sich auf Paragraphen 500, Absatz 2, Ziffer 2,, 502 Absatz 2, ZPO.

Textnummer

EWH0000074

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00007:2021:05000R00106.21A.0927.000

Im RIS seit

06.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

06.10.2022

Dokumentnummer

JJT_20210927_LG00007_05000R00106_21A0000_000

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