Bundesverwaltungsgericht (BVwG)

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Entscheidungstext W285 2208373-1

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Entscheidungsart

Erkenntnis

Geschäftszahl

W285 2208373-1

Entscheidungsdatum

15.02.2023

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28
  1. AsylG 2005 § 57 heute
  2. AsylG 2005 § 57 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 86/2021
  3. AsylG 2005 § 57 gültig von 20.07.2015 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  4. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.01.2014 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  5. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.07.2011 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 38/2011
  6. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.01.2010 bis 30.06.2011 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009
  7. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  8. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.04.2009 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 29/2009
  9. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.07.2008 bis 31.03.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  10. AsylG 2005 § 57 gültig von 01.01.2006 bis 30.06.2008
  1. AsylG 2005 § 58 heute
  2. AsylG 2005 § 58 gültig ab 01.07.2023 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 54/2021
  3. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.01.2022 bis 30.04.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 29/2020
  4. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.05.2021 bis 30.06.2023 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 54/2021
  5. AsylG 2005 § 58 gültig von 06.05.2020 bis 30.04.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 29/2020
  6. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.11.2017 bis 05.05.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  7. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  8. AsylG 2005 § 58 gültig von 20.07.2015 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  9. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.01.2014 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  10. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.09.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 50/2012
  11. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.01.2010 bis 31.08.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  12. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  13. AsylG 2005 § 58 gültig von 01.01.2006 bis 30.06.2008
  1. AsylG 2005 § 8 heute
  2. AsylG 2005 § 8 gültig ab 01.03.2027 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 63/2025
  3. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.11.2017 bis 28.02.2027 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  4. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  5. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2014 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  6. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  7. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  8. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2006 bis 31.12.2009
  1. BFA-VG § 9 heute
  2. BFA-VG § 9 gültig ab 01.09.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018
  3. BFA-VG § 9 gültig von 20.07.2015 bis 31.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  4. BFA-VG § 9 gültig von 01.01.2014 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  5. BFA-VG § 9 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013
  1. BFA-VG § 9 heute
  2. BFA-VG § 9 gültig ab 01.09.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018
  3. BFA-VG § 9 gültig von 20.07.2015 bis 31.08.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 70/2015
  4. BFA-VG § 9 gültig von 01.01.2014 bis 19.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013
  5. BFA-VG § 9 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W285 2208373-1/40E

W285 2208371-1/30E

W285 2208374-1/30E

W285 2208372-1/25E

W285 2208378-1/25E

W285 2208376-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des römisch 40 , geboren am römisch 40 2.) der römisch 40 , geboren am römisch 40 , 3.) der römisch 40 , geboren am römisch 40 , und 4.) des minderjährigen römisch 40 geboren am römisch 40 , 5.) des minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , 6.) des minderjährigen römisch 40 , geboren am römisch 40 , alle Staatsangehörigkeit: Irak und vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), die gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch 40 und römisch 40 zu Zahl: 1.) römisch 40 , 2.) römisch 40 /, 3.) römisch 40 4.) römisch 40 5.) römisch 40 und zu 6.) römisch 40 betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2022 zu Recht:

A)

römisch eins.       Die Beschwerden gegen die Spruchpunkt römisch eins., römisch II. und römisch III. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

römisch II.      Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben, die Spruchpunkte römisch IV. bis römisch VI. der angefochtenen Bescheide werden behoben und festgestellt, dass gemäß Paragraph 9, Absatz 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

römisch III. römisch 40 wird gemäß Paragraphen 54,, 55 Absatz und 58 Absatz 2, AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

römisch IV. römisch 40 , wird gemäß Paragraphen 54,, 55 Absatz eins und 58 Absatz 2, AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins.       Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin. Sie haben sechs gemeinsame Kinder wovon nur vier Parteien des gegenständlichen Verfahrens sind. Die Drittbeschwerdeführerin ist bereits volljährig, bei den Viert- bis Sechstbeschwerdeführer handelt es sich um minderjährige Kinder, deren gesetzliche Vertreter der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind. Gemeinsam werden sie als Beschwerdeführer bezeichnet. Der Verwaltungsakt des Erstbeschwerdeführers mit der GZ römisch 40 wird im gegenständlichen Erkenntnis als „Akt BF1“, der Verwaltungsakt der Zweitbeschwerdeführerin mit der GZ römisch 40 als „Akt BF2“, der Akt der Drittbeschwerdeführerin mit der GZ römisch 40 als „Akt BF3“, der Akt des Viertbeschwerdeführers mit der GZ römisch 40 als „Akt BF4“, der Akt des Fünftbeschwerdeführers mit der GZ römisch 40 als „Akt BF5“ und der Akt des Sechstbeschwerdeführers mit der GZ römisch 40 als „Akt BF6“ bezeichnet.

Die Beschwerdeführer, irakische Staatsangehörige, reisten unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 28.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005, wobei die minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer durch die Zweitbeschwerdeführerin vertreten wurden.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz statt.

Die niederschriftliche Einvernahme des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge Bundesamt) fand 27.07.2018 statt.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes bezüglich des Erstbeschwerdeführers vom römisch 40 und bezüglich der Zweit- bis Sechstbeschwerdeführer vom römisch 40 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung der Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (Spruchpunkt römisch eins.) und bezüglich der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde ihnen nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde ihnen eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt römisch VI.).

Mit Schriftsatz vom 22.10.2018, welcher am 23.10.2018 Bundesamt einlangte, erhoben die Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG über die Anträge der Beschwerdeführer selbst entscheiden und ihnen gemäß Paragraph 3, AsylG die Status der Asylberechtigten zuerkennen; in eventu, gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG über die Anträge der Beschwerdeführer selbst entscheiden und ihnen gemäß Paragraph 8, AsylG die Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu, gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG über die Anträge der Beschwerdeführer selbst entscheiden, die Rückkehrentscheidungen beheben und für Dauer unzulässig erklären und den Beschwerdeführern in weiterer Folge Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; in eventu, die Bescheide gemäß Paragraph 28, Absatz 3, VwGVG aufheben und die Angelegenheiten zur neuerlichen Bescheiderlassung an die Behörde zurückverweisen.

Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten dort am 25.10.2018 ein.

Am 02.03.2021 wurde das Semesterzeugnis des Drittbeschwerdeführers der privaten Fachschule für wirtschaftliche BerufeNächster Suchbegriff und Abendwirschaftsschule vorgelegt.

Mit Beschluss vom 02.11.2021 wurden die Beschwerdeführer zur Beantwortung diverser Fragen, sowie zur Nennung von Krankheiten und Vorlage aktueller fachärztlicher Befunde aufgefordert.

Am 08.11.2021 wurde Beschwerdeführervertreter dazu aufgefordert binnen einer Woche diese in leserlicher Form vorzulegen. Dem kam dieser mit einem am 16.11.2021 eingelangten Schriftsatz nach.

Am 18.11.2021 erfolgte die Mitteilung an die Beschwerdeführer, dass die für den 16.12.2021 anberaumte Verhandlung auf den 17.12.2021 verlegt werde. Mit Aktenvermerk vom 01.12.2021 wurde den Beschwerdeführern bekannt gegeben, dass die für den 17.12.2021 anberaumte Verhandlung aus gesundheitlichen nicht stattfinden könne und abberaumt werde.

Die den Beschluss vom 02.11.2021 betreffende Stellungnahme, sowie die Beantwortung der Fragen und ein Urkundenkonvolut langten am 25.11.2021 beim BVwG ein.

Die gegenständlichen Verfahren wurden der Gerichtsabteilung W285 am 27.06.2022 zugewiesen.

Am 26.09.2022 wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation gerichtet, deren Beantwortung vom 28.10.2022 am 31.10.2022 und vom 04.11.2022 am 30.11.2022 beim BVwG einlangten. In diesen wurde angefragt, ob in Falludjah aktuell die medizinische Versorgung sowohl allgemein als auch in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer gewährleistet und ob dort aktuell eine ausreichende Versorgung mit Strom, Wasser und Nahrungsmittel gesichert sei.

Am 08.11.2022 wurden die Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt.

Am 02.12.2022 brachten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur begründeten Furcht vor Verfolgung als sunnitische Araber, zur Situation von Kindern im Irak, der Berücksichtigung des Kindeswohls und einer besonderen Vulnerabilität der Beschwerdeführer, zur Verwestlichung bzw. zum westlichen (nicht konservativen) Lebensstil sowie zum Nichtbestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative ein und legten diverse Unterlagen vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.12.2022 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, ihre Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Das Bundesamt hatte im Vorfeld schriftlich auf eine Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. In der Verhandlung wurden diverse Berichte (UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen vom Mai 2019; Länderinformation der Staatendokumentation des BFA – Irak vom 22.08.2022; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Irak – Lage von Frauen und Grundversorgung in Falludja vom 22.10.2021; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak vom 28.10.2022: Diabetes, Bluthochdruck, Wirbelsäulenprobleme, hoher Cholesterinspiegel; EUAA Iraq- Targeting of Individuals von Jänner 2022; EUAA Iraq Security Situation Jänner 2022; EUAA Iraq Country Guidance June 2022; NZZ 23.01.2022: Falludja galt lange als Synonym für Terror- heute ist eine der sichersten Städte des Iraks; Financial Times 06.12.2021: „Falludjah Land: Iraq’s Anbar province rebuilds after ISIS; Rudaw.net 16.12.2018: Iraqis welcome trains between Baghdad and Falludjah; France 24 (AFP) 10.09.2018: Re-opened Iraqi railways a sign of progress:) eingebracht und den Beschwerdeführern die Möglichkeit gegeben hierzu sowie zu den bisherigen Angaben des Beschwerdeführers eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen. Den Parteien wurde zudem die Möglichkeit gegeben innerhalb einer Woche schriftliche Schlussausführungen zu erstatten.

Der Erstbeschwerdeführer gab in der Verhandlung Folgendes an:

„Ich bin am römisch 40 in Bagdad geboren. 6 Jahre habe ich die Grundschule besucht und dann 6 Jahre Unter- und Oberstufe. Die Schule habe ich mit Matura abgeschlossen. Zusätzlich habe ich die Fachhochschule für Mechanik besucht und abgeschlossen, das war alles in Bagdad. Meine Gattin habe ich 1992 kennengelernt, es war eine traditionelle Heirat. Sie ist auch aus Bagdad römisch 40 . Ich war als Mechaniker für die Boote des Sohnes von Saddam Hussein zuständig. Ich war damals in Mosul. Er hatte mehrere Standorte für die Boote, aber ich war für den in Mosul eingesetzt. Bis 2003 habe ich diese Arbeit gemacht. Seit 1996 habe ich für ihn gearbeitet. Davor war ich beim Militär. Ich war ganz normaler Rekrut, aber im Bereich Mechanik. Der General, der mich zum Sohn von Saddam Hussein gebracht hat bzw. ein gutes Wort für mich eingelegt hat, ist mein Onkel väterlicherseits, d.h. direkt der Bruder meines Vaters. Er hatte einen sehr guten Kontakt zur herrschenden Familie. Aufgrund dessen habe ich meine Arbeit beim Sohn von Saddam bekommen. Von 1996-2003 war ich in Mosul tätig. Meine Familie hat in dieser Zeit in Bagdad gelebt. Von der Arbeit her war es so, dass ich alle 14 Tage bei der Familie war, d.h. 14 Tage war ich arbeiten und dann 14 Tage bei der Familie. Wenn es keine Arbeit gegeben hat, bin ich noch länger zu Hause geblieben. Ich habe ganz normal zivile Boote der Marke Volvo und Malibu repariert, Volvo kommt aus Schweden und Malibu kommt aus den USA. Dann gab es noch Schlauchboote. Dann gab es noch weiter ein paar Jet-ski der Marke Hyundai. Die Boote waren beim Stausee beim großen Staudamm Saddam. Er ist meistens dort hingekommen und mit den Booten umhergefahren, einfach so als Spaß. Es gab Zivilisten und auch Militär. Es gab auch Militärs in unserer Einheit, aber auch Zivilisten. Die Militärs waren für die Sicherheit am Staudamm zuständig. Insgesamt waren das 500 Personen und 17 Zivilisten. Ich war als Zivilist tätig. Es war eine Gelegenheit, die ich ergriffen habe als Zivilist zu arbeiten, weil ich es als eine Arbeit mit Zukunft gesehen habe. Insbesondere nachdem es zum Ende des Irak-Iran Krieges gekommen ist und in weitere Folge nach der Beendigung der Kuwait-Invasion war es für Zivilisten besser und einfacher als Militär bzw. Soldaten.

Es war der Sohn Odai von Saddam Hussein. Ich weiß nicht genau, wo er gewohnt hat, sie haben viele Wohnorte gehabt und diese waren geheim. Die Boote durfte ausschließlich Odai benutzen. Nach dem Jahr 2003 war die schlechteste Zeit unseres Lebens, insbesondere nachdem der Staat zugrunde ging. Wir, diejenigen die in der Nähe der Herrscherfamilie tätig waren, waren plötzlich die Feinde der neuen Leute an der Macht. Wir wurden regelrecht verfolgt.

Hauptsächlich für die Reparaturarbeiten und für die routinemäßigen Prüfungen war ich zuständig. Manchmal bin ich die Boote selbst mit den Leuten gefahren, dadurch, dass ich sie repariert habe und die Instandhaltung durchgeführt habe, muss ich ja wissen wie die Boote funktionieren. Ich hatte einen Chef. Es war ein Leutnant namens römisch 40 . Ja, ich hatte eine Militär-Person als Chef. Nach 2003 war ich als Taxi-Fahrer tätig, ich hatte nämlich ein Fahrzeug, was ich als Taxi umfunktioniert habe. Ich habe eine Zeit lang auch im privaten Autohandel Fahrzeuge an-und verkauft. Ich war in sehr vielen Bereichen tätig, muss ich ehrlich sagen. Hauptsache war um die Runden zu kommen. Das Ganze lief so bis im Jahr 2006. 2006 wurde dann mein Wohnhaus gestürmt und nachdem die Stürmung war, musste ich meine Familie nehmen und wir sind dann in den Wohnort namens römisch 40 geflüchtet, das ist in Falludja. Das ist ein Vorort von Falludja.

Von meiner Familie gibt es nur noch meine Schwester, die in Bagdad übergeblieben ist. Alle anderen sind bereits in das Ausland geflüchtet, insbesondere mein Bruder der als Pilot beim Militär im Einsatz war. Dieser wurde so stark verfolgt, dass er sich derzeit in Syrien aufhält. Ein anderer befindet sich in Kurdistan im irakischen Gebiet. Zwei Schwestern leben in der Türkei. Die schiitischen Milizen haben unser Haus 2006 angegriffen, weil wir Sunniten sind. Die schiitischen Milizen haben unseren Wohnort angegriffen, es sind nicht nur wir gewesen, sondern auch unsere Nachbarn, davon sind zwei Personen umgebracht worden. Der eine namens römisch 40 und der andere hieß römisch 40 . Wir konnten flüchten, zunächst nach römisch 40 und dann nach römisch 40 . Es war für alle bekannt, insbesondere, weil die schiitischen Milizen in der Zeit angefangen haben, Sunniten anzugreifen, aber auch ehemalige regierungsnahe Leute. Diese sind nach wie vor im Irak vorhanden. Derzeit sind sie sogar in Regierungskreisen vertreten, insbesondere wegen der Volksübereinstimmung die es in letzter Zeit gegeben hat. Die Miliz war die AAH.

In römisch 40 waren die Onkel, mütterlicherseits meiner Gattin. Sie hatten eine Firma für Asphaltierungen. Ich habe als Mechaniker bei ihnen arbeiten dürfen. Es wurde uns eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung gestellt. Wir führten dort aber ein Leben als Flüchtlinge. Weil in der Zeit die Familienstämme und Al-Kaida sehr stark an Macht und Kontrolle gewonnen haben. Insbesondere diejenigen, die ein Problem mit den Amerikanern hatten, die haben sich in diese Gebiete zurückgezogen. Zu mindestens solange bis der IS die Kontrolle übernahm. Nein, ich habe eigentlich keinen Kontakt mit den Amerikanern gehabt. Ich habe ausschließlich gearbeitet und habe versucht über die Runden zu kommen.

R (Richterin): Habe ich es richtig verstanden, dass schiitische Milizen 2006 in Bagdad allgemein Ihre sunnitische Wohngegend angegriffen haben ohne konkrete Person als Ziel?

BF1: Ja, genau insbesondere diejenigen, die noch in diesem Wohnviertel übriggeblieben sind. Wir waren in einem Wohnviertel, dass mehrfach von Christen bewohnt wurde. Die Christen sind aber frühzeitig geflüchtet und wir waren sozusagen diejenigen, die übrig gebliebenen sind.

R: Wann und aus welchen Grund haben Sie Falludja verlassen?

BF1: 2006 bin ich nach Falludja gekommen. Am 20.01.2016 habe ich Falludja verlassen, d.h. von 2006-2016 war ich in Falludja.

R: Was war der Grund warum Sie Falludja verlassen haben, am 20.01.2016?

BF1: Unsere Örtlichkeit wurde bombardiert. Es gab einen Vormarsch der Amerikaner, Milizen und sonstige Akteure, die am Kampf beteiligt waren. Es wurde immer enger und gefährlicher. Des Weiteren habe ich auch noch gefürchtet, dass diese Milizen unsere Namen kennen und diesbezüglich uns verfolgen könnten. Deshalb flüchtete ich dann gemeinsam mit meiner Familie. Ich möchte nur anmerken, diejenigen die schlussendlich dort übrig geblieben sind aus verschieden Gründen und zwar, weil sie schon älter waren oder kränklich, all diese Leute wurden kaltblütig umgebracht. Dieser Kriegsverbrecher ist derjenige der Zivilisten kaltblütig ermordet hat, aber man hat ihn nicht bestraft, sondern er sitzt nun in den Regierungskreisen. Die Einheit namens Badr stand unter seiner Kontrolle und er gab den Befehl alle Zivilisten die man in die Finger bekommt, zu ermorden.

Ich habe nicht so einen großen Kontakt zu meiner Schwester in Bagdad, auch habe ich sie nicht nach der derzeitigen Situation gefragt. Vielmehr kenne ich die derzeitige Situation, wie es tatsächlich in den sozialen Medien preisgegeben wird. Es gibt alle paar Monate eine neue Regierung. Die Lage ist nicht stabil. Es gibt nach wie vor Sicherheitsprobleme, insbesondere, weil die Milizen nach wie vor die Kontrolle haben. Normalerweise es ist es so, dass egal wer, der ein kleines Geschäft eröffnen möchte, zunächst zu einer Art Sicherheitskommission gehen muss. Wenn diese den Segen gibt, dann kann man z.B. ein Geschäft eröffnen, aber das ist auch nur theoretisch. In der Praxis muss man den jeweiligen Leuten sehr viel Geld zahlen und wenn man da nicht mitmacht oder dem nicht zustimmt, so setzt man sich der Gefahr der Hinrichtung aus. Meine beiden Schwestern sind mit Schiiten verheiratet, das ist richtig. Die Situation hat sich nach den Umständen im Irak sehr stark verändert. Früher war das natürlich kein Thema, ob Schiit oder Sunnit das war alles gleich. Wir waren Freunde, Nachbarn und auch Familien. Das Ganze war vor 2003. Nach den Umstürzen aber wurden die schiitischen Milizen gegenüber den Sunniten aggressiver. Man versuchte einen Sündenbock zu finden, sodass der Kontakt zwischen Schiiten und Sunniten sehr belastet war. Sprich man konnte kein normales Gespräch mit dem Schwager oder dem Neffen führen, weil hätte man etwas Falsches gesagt, wären die vermutlich zu den Milizen gegangen und hätten das verpetzt.

BF auf Deutsch: Ich habe zwei Deutschkurse gemacht. Ich arbeitete in der römisch 40 geringfügig. Nun leben wir in römisch 40 . Wir als Iraker haben keinen Deutschkurs, diese gibt es aber für Syrer und Afghanen.

Regierungsvorlage (Rechtsvertreter): Wie geht es Ihnen gesundheitlich jetzt? Sind Sie in ärztlicher Behandlung jetzt?

BF1: Ich leide an Diabetes, Bluthochdruck und Cholesterin. Wegen meines Rückens habe ich jetzt meine Operation gehabt und muss nach wie vor eine Therapie machen. Das läuft jetzt schon seit Längerem so.

Regierungsvorlage, Welche Therapie wird das sein? Bzw. wie lange wird diese voraussichtlich dauern?

BF1: Ein Jahr müsste das anhalten.

Regierungsvorlage, Welche Therapie wird das sein? Müssen sie jede Woche oder einmal im Monat?

BF1: Eine Therapie wegen meines Rückens, zweimal in der Woche. Ich habe Probleme mit den Schultern, weil ich die Schultern nicht nach hinten versetzten kann und die Wirbelsäule macht auch Probleme, ich kann mich nicht bücken.

Regierungsvorlage, Keine weiteren Fragen.

BF1: Ich möchte nur anmerken das wir nun schon seit einiger Zeit hier sind, wir haben unser Leben hier aufgebaut. Meine Kinder haben hier die Schule besucht. Zwei meiner Kinder haben einen Aufenthaltstitel, es gibt bereits Enkelkinder. Ich sehe keine andere Möglichkeit bzw. Alternative. Wir sind alle unbescholten.“

Ich bin in römisch 40 geboren und aufgewachsen. Ich habe nur einen Pflichtschulabschluss, ich konnte leider die Schule nicht fortsetzen. Ich habe mit 17 Jahre geheiratet und bin dann von römisch 40 nach Bagdad zu meinem Mann gegangen. Am römisch 40 ist meine erste Tochter römisch 40 auf die Welt gekommen. Mein Gatte war damals in Mosul tätig. Er hat Boote repariert. Mein Gatte war beim Militär als wir geheiratet haben. Ich glaube er war damals schon in Mosul stationiert. Er war dann bei dem Odei und seinen Booten tätig. Ich war in Bagdad als mein Mann in Mosul gearbeitet hat. Er ist immer hin und zurückgegangen seit 1996. Nein, er hat mir nicht erzählt, was er konkret arbeitet. Bis 2006 habe ich in Bagdad gelebt, dann sind wir geflüchtet. Damals sind wir von den Milizen verfolgt worden, durch die Hilfe unsere Nachbarn konnten wir flüchten. Zunächst ging ich zu meinen Eltern zurück nach römisch 40 . Von dort aus nach römisch 40 . Dort blieben wir so lange bis der IS die Kontrolle übernahm und wir tatsächlich vertrieben wurden. Diesmal gingen wir Richtung Europa Gott sei Dank. Ich habe hier ein großes Sicherheitsgefühl, meine Kinder gehen in die Schule. Ich fühle mich sehr sicher, damals war das nicht so. Damals wurden die Kinder auf dem Schulweg entführt oder getötet. Es gab schließlich keinen Rechtsstaat. Ich möchte nur anmerken, wir sind ja fast mehrmals täglich psychisch getötet worden, weil man einfach nicht viel Sicherheit hatte. Nachdem es einen Vorfall gegeben hat, wo ein Kind vor meinen Augen entführt wurde, habe ich meine Kinder nicht mehr zur Schule gebracht. Es hat sich auch keiner mehr um dieses Kind gekümmert bzw. nach diesem Kind gesucht. Das war vor 2006 in Bagdad so und dann auch in Falludja. In Bagdad wurden wir von Milizen verfolgt. Von dieser Volksübereinstimmung. Es waren Schiiten. Weil wir Sunniten sind und sie eben Schiiten. Es wurden einfach alle Sunniten verfolgt.“

Die Zweitbeschwerdeführerin (BF 2) gab Folgendes zu Protokoll:

R: Wie war die Situation in Falludja?

BF2: Also ich muss sagen, es war eine sehr schwierige Situation. Es war eine Zeit, wo es einfach Unruhen gegeben hat, aber die Örtlichkeit sozusagen unkontrolliert war. Immer wieder Kämpfe, bis der IS komplett die Kontrolle übernahm. Ab da war die Situation sehr gefährlich. Die Mädchen mussten von Kopf bis Fuß eine Verhüllung tragen(Burka). Dementsprechend war es auch für sie gefährlich sich auf der Straße aufzuhalten. Nachdem diese Volkseinheit der IS-Anhänger wieder zurückgeschlagen hat, gab es plötzlich wieder sehr viele Kämpfe zwischen sehr vielen Leuten, deshalb mussten wir dann aus Sicherheitsgründen flüchten. Ich habe eigentlich fast keinen Kontakt mehr zu irgendwelchen Familienmitgliedern in Irak. Die meisten sind verstorben, insbesondere Brüder und Schwestern.

R: Wissen Sie wie jetzt die Situation in Bagdad und Falludja aussieht?

BF2: Wie es derzeit ist, weiß ich eigentlich nur von den sozialen Medien bzw. den Nachrichten. Es ist derzeit eine schlechte Situation in Bagdad und Falludja.

R: Wie verbringen Sie Ihren Tag hier in Österreich?

BF2: Ich arbeite geringfügig. Kümmere mich auch um den Haushalt zu Hause und um die Kinder. Ich versuche auch nebenbei Deutsch zu lernen.

Regierungsvorlage, Könnten Sie mir beschreiben wie sich das Leben als Frau im Irak von Leben hier in Österreich unterscheidet?

BF2: Erstens die Sicherheit. Zweitens geht es meinen Töchtern gut, sie sind in der Schule. Es ist sicher sie können alleine in die Schule gehen und ich muss mich nicht fürchten um sie. Hier in Österreich habe ich ein Selbstwertgefühl und habe auch das Gefühl, dass ich tatsächlich ein Mensch bin und das ich auch Möglichkeiten habe. Ich habe das Gefühl, dass eine Frau Rechte hat und diese auch auslebt.

Regierungsvorlage, Welche Rechte meinen Sie damit?

BF2: Alles.

Regierungsvorlage, Können Sie das ein bisschen näher beschreiben?

BF2: Das man hier arbeiten gehen kann und zeitgleich sich um den Haushalt kümmern kann. Der Kontakt zwischen Mann und Frau ist hier ein komplett anderer, nicht so wie im Irak.

Regierungsvorlage, Was sagen Sie zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau?

BF2: Das gibt es nur hier.

Regierungsvorlage, Finden Sie es gut oder?

BF2: Ja, natürlich.

Regierungsvorlage, Treffen Sie manchmal Ihre Freunde, Sie alleine als Frau?

BF2: Ja, natürlich. Mit Freunden gehen wir weg zum Supermarkt und auch sonst wo hin.

Regierungsvorlage, Treffen Sie in Ihrer Familie auch finanzielle Entscheidungen?

BF2: Natürlich.

Regierungsvorlage, Haben Sie auch ein eigenes Bankkonto?

BF2 auf Deutsch: Ja.

Regierungsvorlage, Wie stellen sich Ihre Zukunft in Österreich vor?

BF2: Hier ist alles in Ordnung. Ich möchte die Gelegenheit haben hier mehr arbeiten zu können und auch Kurse zu belegen.

Regierungsvorlage, Was halten Sie davon, wenn Ihre Tochter römisch 40 (BF3) alleine aus den Haus geht?

BF2: Ja, sie hat die Möglichkeit das zu tun.

Regierungsvorlage, Haben Sie ein Problem damit?

BF2: Nein. Es ist tatsächlich auch der Fall, dass sie mit Freunden unterwegs ist und das ist auch normal.

Regierungsvorlage, Denken Sie könnten Sie das Leben was Sie jetzt in Österreich als Frau führen auch im Irak leben?

BF: Nein.

Regierungsvorlage, Warum nicht?

BF2: Hier ist es natürlich besser. Kein Mensch schaut auf darauf, was man macht. Kein Nachbar schaut wann du kommst und geht und was du tatsächlich getan hast.“

Die Drittbeschwerdeführerin (BF3) gab an:

„Ich bin mit meiner Familie 2016 nach Österreich gekommen, ich war 13 Jahre alt. Ich bin mit meinen Eltern hier hergekommen. Ich kann dort nichts machen, nicht arbeiten gehen und muss ein Kopftuch tragen. Den Irak habe ich damals verlassen, weil ich mit meinen Eltern mitgekommen bin. Heute ist ein Leben für mich im Irak nicht mehr möglich, weil ich dort nicht selbständig leben kann und nicht so wie hier ohne Kopftuch mich bewegen kann. Ich habe die Fachschule für wirtschaftliche Vorheriger SuchbegriffBerufeNächster Suchbegriff im Juni abgeschlossen und jetzt kann ich nicht arbeiten, weil ich keinen Aufenthaltstitel habe. Ich habe mich für ein Abendgymnasium angemeldet, ich werde im nächsten Februar beginnen.

Regierungsvorlage, Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?

BF3: Ich gehe raus, ich treffe mich mit Freunden. Ich mag Musik und lese gerne Bücher.

Regierungsvorlage, Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor?

BF3: Ich werde arbeiten und die Dinge, die ich gesagt habe tun. Ich habe mich in der Abendschule angemeldet. Am Vormittag will ich arbeiten und am Nachmittag in die Abendschule gehen. Ich will auch meinen Führerschein machen.

Regierungsvorlage, Denken Sie könnten Sie so ein Leben auch im Irak führen?

BF3: Nein, entweder ich werde heiraten oder keine Ahnung was mit mir passiert wäre. Ich würde vergewaltigt werden.

Regierungsvorlage, Könnten Sie sich vorstellen noch einmal ein Kopftuch zu tragen?

BF3: Nein. Ich mag mich so anziehen wie heute und meine Harre offen tragen. (BF3 trägt Turnschuhe und eine Jeans und trägt die Harre offen)

R: Gibt es von Ihrer Seite noch etwas zu sagen?

BF3: Nein, danke das war alles.

Der Viertbeschwerdeführer (BF4) gab an:

Ich habe damals den Irak verlassen, weil meine Eltern den Irak verlassen haben und meine Fluchtgeschichte ist die Fluchtgeschichte meiner Eltern. Ich habe die Schule besucht die Hauptschule und die Polytechnische Schule, weil meine Deutschkenntnisse damals nicht so gut waren, habe ich bei der Polytechnische Schule leider keinen positiven Abschluss. Ich habe nun aber den Kurs und die Prüfung Deutsch B1 gemacht und habe mich zu einer Ausbildung beim BFI angemeldet. Man kann beim BFI auch eine Lehre machen und es wäre eine Lehre für KFZ-Technik. Ich verbringe meine Freizeit mit Freunden und spazieren gehen und lernen. Sonst kann ich nichts machen, weil alles begrenzt ist.

Regierungsvorlage, Arbeiten Sie freiwillig bzw. ehrenamtlich?

BF4: Ich helfe anderen Personen, weil ich manchmal dolmetsche. Ich wohne in einem Asylheim und für Leute die neu kommen und zum Arzt gehen oder Einkaufen, dann dolmetsche ich.“

Weiters holte das Bundesverwaltungsgericht im Anschluss an die Verhandlung im kurzen Wege eine Stellungnahme der deutschen Journalistin Birgit Svensson ein. Sie lebt seit 2003 im Irak und schreibt ua für die Wiener Zeitung, die ZEIT und die WELT. Sie ist Autorin des 2018 erschienen Buches „Mörderische Freiheit – 15 Jahre Himmel und Hölle im Irak“.

Die Stellungnahme vom 08.01.2022 und 09.01.2022 wurde den Beschwerdeführern zur mit der Möglichkeit der Stellungnahme bis 25.01.2023 zur Kenntnis gebracht. Eine Stellungnahme dazu langte nicht ein.

römisch II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die im Spruch genannten Identitäten der Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige des Irak, konnten nicht festgestellt werden. Sie gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Der Erstbeschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat zwölf Jahre und die Zweitbeschwerdeführerin neun Jahre die Schule besucht und beide sprechen, ebenso wie die restlichen Beschwerdeführer, Arabisch als Muttersprache. Der Erstbeschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat als Mechaniker, sowie nach 2003 auch mit einem selbst umgebauten Taxi als Taxifahrer gearbeitet und er hat im privaten Autohandel Fahrzeuge an- und verkauft (Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung).

Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet, sie sind Eltern der im Irak geborenen Dritt-, sowie der minderjährigen Viert- bis Sechstbeschwerdeführer (Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung).

Nach ihrer Flucht aus Bagdad und vor ihrer Ausreise aus dem Irak lebten die Beschwerdeführer ab dem Jahr 2006 im Gouvernement römisch 40 in römisch 40 , einem Vorort der Stadt Falludjah. Dort wurden sie durch die Onkel der Zweitbeschwerdeführerin unterstützt, indem der Erstbeschwerdeführer bei ihnen arbeiten durfte und indem sie der Familie eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung stellten. Die Schwester des Erstbeschwerdeführers lebt noch immer im Irak in Bagdad, wobei er zu ihr keinen bzw. kaum Kontakt hat, sowie einer seiner Brüder in Kurdistan im irakischen Gebiet, zwei weitere Schwestern in der Türkei, ein anderer Bruder lebt in Syrien. Zwei Töchter bzw. Schwestern der Beschwerdeführer sind in Österreich aufhältig. Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde im Rechtsmittelweg durch die Erkenntnisse des BVwG vom römisch 40 und vom römisch 40 rechtskräftig entschieden und ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung; Erkenntnisse des BVwG zu den Zl. römisch 40 ).

Die Beschwerdeführer halten sich zumindest seit 28.02.2016 durchgehend in Österreich auf. Sie sind nach ihrem Antrag auf internationalen Schutz vom 28.02.2016 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig (Antrag auf internationalen Schutz, jeweils AS 1 der Akte der BF1 bis BF6; ZMR-Auszüge vom 05.01.2023).

Die Beschwerdeführer bestreiten im Bundesgebiet ihren Lebensunterhalt zurzeit aus Leistungen der Grundversorgung (GVS-Auszüge vom 05.01.2023).

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen je über eine Einstellungszusage. Das Ausmaß der Beschäftigungszeiten und die Höhe der Löhne konnten nicht festgestellt werden (Schreiben vom 25.11.2021, Einstellungszusagen).

Zudem hat der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2020 und 2021 je zumindest für vier Tage und zweieinhalb Wochen beim Verein „Mahlzeit! - Verein für Förderung von günstigen Lebensmitteln und Integration von Immigranten“ geringfügig gearbeitet. Die Zweitbeschwerdeführerin war bei der Locker & Legere Hotelbetriebs GmbH im Jahr 2021 für zwei Tage und ist dort seit 04.04.2022 laufend geringfügig beschäftigt (Sozialversicherungsdatenauszüge vom 05.01.2023; Stellungnahme vom 02.12.2022, Arbeitsbeurteilung).

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen über keine Nachweise ihrer Deutschkenntnisse des ÖIF, haben jedoch zumindest seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet regelmäßig an Deutschkursen teilgenommen. Zudem hat der Erstbeschwerdeführer an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teilgenommen (Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung; Teilnahmebestätigung „Sprachen Call“, AS 65; Schreiben vom 25.11.2021, BF1 Bestätigung Deutschkurs ISOP Niveau A1.0 und A 1.1, BF2 Teilnahmebestätigung „Portobella – Begleitende Integration 2019“; Teilnahmebestätigung ÖIF, AS 69).

Die Drittbeschwerdeführerin hat im Bundesgebiet eine Fachschule für wirtschaftliche Vorheriger SuchbegriffBerufeNächster Suchbegriff, insbesondere auch das Fach Deutsch, positiv abgeschlossen. Daher kann daraus auch abgeleitet werden, dass sie die neunte Schulstufe im Fach „Deutsch“ ebenso positiv absolviert hat. Der Viertbeschwerdeführer hat zwar die Polytechnische Schule im Schulfach Deutsch nicht bestanden, kann seine Deutschkenntnisse jedoch durch ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 (Sprachkompetenz B1 und Werte- und Orientierungswissen) vom 15.07.2022 des ÖIF nachweisen. Zudem hat er am Projekt „Zukunft.Bildung.Steiermark“ der VHS Steiermark sowie bei der Politikwerkstatt „Mitmischen im Landhaus“ teilgenommen und den Erste-Hilfe-Einführungskurs absolviert. Er übernimmt auch regelmäßig Tätigkeiten als Dolmetscher für Personen, die mit ihm im Asylheim wohnen. Der Fünft- und Sechstbeschwerdeführer bescuhen die 3. Klasse einer Neuen Mittelschule mit sportlichem Schwerpunkt (Urkundenvorlage vom 02.12.2022: Abschlussprüfungszeugnis BF3, Teilnahmezertifikat VHS, Bestätigung Erste-Hilfe-Kurs, Zeugnis ÖIB, Teilnahmebestätigung Politikwerkstatt, Jahreszeugnisse BF5 und BF6; Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung; Schreiben vom 25.11.2021, Erfahrungsbericht Dr. Radda)

Die Beschwerdeführer haben in Österreich einen Freundeskreis, nehmen am sozialen Leben in Österreich teil und haben sich in der Vergangenheit in Österreich ehrenamtlich engagiert (Schreiben vom 25.11.2021, Bestätigung der römisch 40 über freiwillige Arbeit des BF1; Praktikumsbestätigung der BF3 der Caritas, Bestätigung der BF4 bis BF6 der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Input GmbH, Empfehlungsschreiben der Hausverwaltung, Teilnahmebestätigung BF6 bezüglich des Parcours-Kurses in römisch 40 , Empfehlungsschreiben, Empfehlungsschreiben des Freundes der BF5 und BF6; diverse Empfehlungsschreiben AS 69 – 77 und AS 377 - 379; Empfehlungsschreiben bezüglich BF5, AS 103; Empfehlungsschreiben bezüglich BF6, AS 121; diverse Empfehlungsschreiben AS 381 ).

Der Erstbeschwerdeführer leidet an einer lumbalen Spinalkanalstenose (L2/3) und einer Spinalkanalstenose (L2/3), in Folge dessen am 05.10.2022 eine mikrochirurgische Flavektomie und Dekompression von links mit Undercutting durchgeführt wurde. Im Übrigen wurden bei ihm auch eine arterielle Hypertonie, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, eine chronische Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus Typ römisch II, Hyperurikämie und Hyperlipidämpie diagnostiziert. Die Behandlung der Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers sind in der öffentlichen Einrichtung „Al-Falludjah Teaching Hospital“ verfügbar (Urkundenvorlage vom 02.12.2022, Ärztlicher Entlassungsbrief, Überweisung; Schreiben vom 25.11.2021, Erfahrungsbericht der behandelnden Ärztin vom 23.11.2021 und Medikamentenverschreibung).

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten (Strafregisterauszüge vom 15.02.2023).

1.2. Zum Fluchtvorbringen

Die Beschwerdeführer konnten nicht glaubhaft vorbringen, dass der Erstbeschwerdeführer auf Grund seiner Tätigkeit als Mechaniker für den Sohn von Saddam Hussein und seiner ehemaligen Mitgliedschaft der Baath-Partei eine der am meisten bedrohten Personen bei dem Angriff der Miliz Hashd Al-Shaabi auf ihren Wohnort war und auch bei einer Rückkehr der Verfolgung in asylrelevantem Ausmaß befürchten müsste.

Schließlich konnten die Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft vorbringen, dass sie auf Grund ihrer sunnitischen Glaubensrichtung im Irak oder aufgrund der westlichen Orientierung der Drittbeschwerdeführerin einer unmittelbaren Bedrohung oder konkreten Gefahr ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt waren oder im Falle ihrer Rückkehr in den Irak ausgesetzt sein würden.

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr in den Irak wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der sunnitischen Araber weder konkret und individuell noch im Sinne einer Gruppenverfolgung physische und/oder psychische Gewalt.

Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind im Irak allein aufgrund ihres Geschlechtes keinen psychischen und physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat seit ihrer Einreise in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten Werten im Irak darstellt. Bei ihr handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orierentiert ist.

Die Zweitbeschwerdeführerin hingegen ist eine auf Eigenständigkeit bedachte junge Frau, die in ihrer Lebensweise und persönlichen Wertehaltung am in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie legt großen Wert auf Selbstbestimmtheit und Eigenständigkeit, hat vielfältige soziale Kontakte und geht diversen Aktivitäten nach.

Die Beschwerdeführer werden im Falle ihrer Rückkehr in ihren Heimatbezirk Falludjah, welcher überwiegend von Sunniten bewohnt wird, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen dort ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn dort die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Die Beschwerdeführer können die Stadt Falludjah über den internationalen Flughafen in Bagdad und folglich über die Fernstraße 11 sicher erreichen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer als Angehörige der Volksgruppe der sunnitischen Araber, die aus einem vormals vom IS kontrollierten Gebiet stammen, für ihre dauerhafte Niederlassung in dem von Sunniten bevölkerten Bezirk Falludjah einen Bürgen oder ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigen. Die Niederlassung in Bagdad ist ihnen nicht möglich, da dies dort erforderlich ist.

Der Erst- und die Zeitbeschwerdeführer haben ihr bisheriges Leben ab 2006 bis zur Ausreise nach Österreich in ihrem Herkunftsstaat, verbracht, sind im Irak sozialisiert worden und verfügen über eine zwölfjährige bzw. eine neunjährige Schulbildung. Es ist sohin davon auszugehen, dass sie im Fall der Rückkehr nach Falludja (in eine mehrheitlich von Sunniten bevölkerte Gegend) in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt sowie jenen ihrer Kinder aus Eigenem zu bestreiten. Die Beschwerdeführer können zudem auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Irak

Der Entscheidung werden folgende Berichte zugrunde gelegt:

●        UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen vom Mai 2019

●        Länderinformation der Staatendokumentation des BFA – Irak vom 22.08.2022

●        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Irak – Lage von Frauen und Grundversorgung in Falludja vom 22.10.2021

●        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak vom 28.10.2022: Diabetes, Bluthochdruck, Wirbelsäulenprobleme, hoher Cholesterinspiegel

●        EUAA Iraq- Targeting of Individuals von Jänner 2022

●        EUAA Iraq Security Situation Jänner 2022

●        EUAA Iraq Country Guidance June 2022

●        NZZ 23.01.2022: Falludja galt lange als Synonym für Terror- heute ist eine der sichersten Städte des Iraks

●        Financial Times 06.12.2021: „Falludjah Land: Iraq’s Anbar province rebuilds after ISIS

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über den Irak, mit Stand vom 22.08.2022):

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 11.08.2022

In der vorliegenden Länderinformation wird für die irakischen Gebiete unter der direkten Kontrolle der Zentralregierung in Bagdad, ohne die Kurdistan Region Irak (KRI) auch der Begriff "föderaler Irak" verwendet, um die Zuordenbarkeit von Informationen, die einerseits den gesamten Irak (inkl. der KRI) und andererseits nur die Gouvernements unter der direkten Kontrolle Bagdads zu verdeutlichen.

In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-Pandemie, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Somit ist, insbesondere was die COVID-19-Maßnahmen anlangt, das Datum der jeweiligen Quelle zu beachten, und nicht nur das Aktualisierungsdatum des Kapitels.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie auf die Bewegungs- und Reisefreiheit der Bürgerinnen und Bürger sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

Nebst dem separaten Kapitel zur COVID-19-Situation, das eine aktuelle Momentaufnahme bzw. einen Überblick bietet, finden sich darüber hinaus spezifische Informationen zur COVID-19-Lage und deren Auswirkungen in eigenen Abschnitten folgender Kapitel bzw. Unter-Kapitel der vorliegenden Länderinformation:

●        Internet und soziale Medien

●        Meinungs- und Pressefreiheit in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

●        Protestbewegung

●        Vereinigungsfreiheit / Opposition in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

●        Haftbedingungen

●        Kinder/ Bildungszugang

●        Bewegungsfreiheit

●        Grundversorgung und Wirtschaft

●        Grundversorgung und Wirtschaft in Bagdad und im Südirak

●        Grundversorgung und Wirtschaft im Zentral- und Nordirak

●        Grundversorgung und Wirtschaft in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

●        Medizinische Versorgung

●        Rückkehr

Wie in allen Länderinformationen wird bei staatlichen nationalen Institutionen in der Quellenangabe das Land in eckiger Klammer genannt. Aus Gründen der Stringenz geschieht dies auch, wenn aus dem Quellennamen das Land bereits eindeutig hervorgeht.

Im Hinblick auf offizielle Statistiken des Irak wird darauf hingewiesen, dass auch offizielle irakische Stellen bzw. deren zugängliche Veröffentlichungen immer noch veraltetes Zahlenmaterial anführen, da aufgrund der Post-Konflikt-Situation kein neueres empirisches Material generiert wurde. Viele, vor allem wirtschaftliche Zahlen und solche zu humanitären Fragen berufen sich auf Hochrechnungen basierend auf Umfragen sowie empirischen Untersuchungen, deren Ergebnisse je nach angewandter Methodik variieren können.

COVID-19

Letzte Änderung: 24.02.2022

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle im Irak empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/countries/irq/, oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Föderal Irak

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Im März und April 2020 verhängte die Regierung in Bagdad Sperren aufgrund von COVID-19, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der Grenzübergänge führten (FH 3.3.2021). Die im föderalen Irak am 9.6.2021 verhängte Ausgangssperre ist noch aktiv. Ausgangssperren gelten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr und sind von Freitag bis Sonntag zusätzlich verschärft (IOM 18.6.2021).

Im April und Mai 2020 nutzten die Behörden im Irak die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021). Alle größeren Versammlungen bleiben verboten. Die Behörden halten auch an den vorgeschriebenen sozialen Distanzierungsprotokollen und der Verwendung von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit fest (Garda 4.1.2022).

Nutzer sozialer Medien und Blogger wurden mit Verleumdungsklagen konfrontiert, weil sie die schlechte Reaktion der lokalen Behörden auf die COVID-19-Pandemie kritisierten (FH 3.3.2021).

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Die Hadsch- und Umrah-Behörde registriert keinen Bürger, der die Umrah- und Hadsch-Pilgerreise antreten möchte, wenn dieser keinen Impfnachweis vorweisen kann (GoI 13.4.2021).

Auswirkungen auf die Wirtschaftslage

Die von den irakischen Behörden und der kurdischen Regionalregierung (KRG) verhängten Abriegelungen verschlimmerten die finanziellen Nöte von Niedriglohnarbeitern und Kleinunternehmern (FH 3.3.2021). Die Erwerbsbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten in der Welt. Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich verringert und die Löhne gesenkt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) wurde aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen ab April 2020 ein durchschnittlicher Beschäftigungsrückgang von 40% verzeichnet. Am stärksten betroffen waren KMUs im Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie, mit einem Verlust von 52% der Arbeitsplätze, gefolgt vom Lebensmittel- und Agrarsektor, mit einem Verlust von 45% der Arbeitsplätze (IOM 18.6.2021).

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben staatliche Angestellte im gesamten Land keine regelmäßige und volle Gehaltsauszahlung erhalten (GIZ 1.2021b). Die irakische Regierung hat Schwierigkeiten, die Löhne und Gehälter der sechs Millionen im öffentlichen Sektor Angestellten zu zahlen. Millionen Menschen, die im privaten und informellen Sektor gearbeitet haben, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe leben im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 USD pro Tag (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Die COVID-19-Pandemie hat das ohnehin schon marode irakische Gesundheitswesen stark in Mitleidenschaft gezogen, das mit der großen Zahl von Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, nur schwer zurechtkommt (FH 3.3.2021).

Anfang 2020, zu Beginn der COVID-19-Krise, pausierten die Gesundheitseinrichtungen die meisten Dienstleistungen und konzentrierten sich auf die Erforschung des Virus und seine Auswirkungen. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und seine Dienste wieder auf, mit zusätzlichen Vorschriften wie z. B., dass Krankenhäuser nur nach Terminvereinbarung aufgesucht werden dürfen, strengere Hygienemaßnahmen, und dass medizinisches Personal im Rotationsverfahren eingesetzt wird, was längere Wartezeiten zur Folge hat (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2021 arbeiteten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums (MoH) (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

Als Sofortmaßnahme gegen die COVID-19-Pandemie hat das Bundesbildungsministerium Ende Februar 2020 alle Schulen im Irak schließen lassen (UNICEF 20.1.2021). Die Schulen waren von März bis November 2020 geschlossen. Kinder ohne Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten, insbesondere Kinder von Vertriebenen und in Armut lebenden Familien, sind besonders vom Bildungsverlust betroffen. Besonders hart betroffen sind jene Kinder, die bereits vor der Pandemie durch das Leben unter IS-Herrschaft mehrere Jahre an Bildungszugang verloren haben (HRW 13.1.2021). Ende November 2020 wurden die Schulen wieder geöffnet, mit einem Tag Präsenzunterricht pro Woche für jede Klasse (UNICEF 20.2.2021).

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Im April und Mai nutzten die Behörden die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Kurdische Region im Irak (KRI)

(…)

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Moscheen, Kirchen und andere Gebetsstätten sind offen und dürfen unter strengen Richtlinien Pflichtgebete abhalten (Gov.KRD 30.6.2021; vergleiche IOM 18.6.2021). Alle Angestellten müssen sich entweder Impfen lassen oder alle 72 Stunden einen COVID-Test durchführen. Einrichtungen, die sich nicht an die Vorgaben halten, werden geschlossen (Gov.KRD 30.6.2021). Das Freitagsgebet darf längstens eine halbe Stunde dauern und Personen dürfen Moscheen nur mit Maske betreten. Die Führer der Religionsgemeinschaften müssen bei der Verbreitung des Gesundheitsbewusstseins und der Leitlinien des Gesundheitsministeriums mitwirken (Gov.KRD 2021).

Begräbnisfeiern mit Gästen sind verboten (Gov.KRD 2021; vergleiche Garda 4.1.2022). Verstöße werden mit einer Geldstrafe von 2.000.000 IQD geahndet (Gov.KRD 2021). Das Verbot gilt auch für Hochzeitsfeiern (Garda 4.1.2022).

Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit

Das Verbreiten von Desinformation in den sozialen Medien ist gerichtlich strafbar (Gov.KRD 2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Einer Studie zufolge hatte die Mehrheit der Binnenvertriebenen (IDPs) und Rückkehrer in der KRI im Berichtszeitraum von Juli bis September 2020 Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung (IOM 18.6.2021). In allen Gouvernements der KRI wurden spezielle Gesundheitszentren eingerichtet, die bei der Erkennung und Behandlung von COVID-19-Infektionen helfen und die notwendige Versorgung gewährleisten sollen (Gov.KRD 2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

In der KRI wurden die Schulen im März 2020 bis zum Ende des Schuljahres geschlossen (HRW 13.1.2021). Eltern konnten bis zum 31.10.2021 entscheiden, ob ihre Kinder physisch anwesend sein sollten, oder online unterrichtet werden sollten (Gov.KRD 2021).

Es besteht eine Impfpflicht für Lehrkräfte, die in den Ministerien für Bildung, für Höhere Bildung und wissenschaftliche Forschung angestellt sind. Ebenso müssen sich Schüler und Studenten ab dem Alter von 18 Jahren impfen lassen. Die Frist dafür war der 1.12.2021. Bei Nichteinhaltung drohen Disziplinarverfahren nach den allgemeinen Gesundheitsgesetzen (Gov.KRD 2021).

In den Universitäten werden Vorlesungen und Studiengänge unter Einhaltung der Gesundheitsrichtlinien fortgesetzt (Gov.KRD 2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 11.08.2022

Mit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins und der Ba'ath-Partei im März 2003 (DFAT 17.8.2020, S.9) wurde die politische Landschaft des Irak enorm verändert (KAS 2.5.2018, S.2; vergleiche Fanack 8.7.2020). 2005 hielt der Irak erstmals demokratische Wahlen ab und führte eine Verfassung ein, die zahlreiche Menschenrechtsbestimmungen enthält. Das Machtvakuum infolge des Regimesturzes und die Misswirtschaft der Besatzungstruppen führten hingegen zu einem langwierigen Aufstand gegen die US-geführten Koalitionstruppen (DFAT 17.8.2020, S.9). Dieses gemischte Bild ist das Ergebnis der intensiven politischen Dynamik, die durch den Aufstieg des Islamischen Staates (IS) auf eine harte Probe gestellt wurde (KAS 2.5.2018, S.2). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2021a).

Gemäß der Verfassung von 2005 ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine der Hauptquellen der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.8; vergleiche Fanack 8.7.2020). Das Land ist in 18 Gouvernements (muhafazāt) unterteilt (Fanack 8.7.2020), jedes mit einem gewählten Rat, der einen Gouverneur ernennt (DFAT 17.8.2020; S.17). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (BS 29.4.2020, S.11; vergleiche GIZ 1.2021a, RoI 15.10.2005). An der Spitze der Exekutive steht der Präsident, welcher mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (arab.: majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 8.7.2020). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und repräsentiert die Souveränität und Einheit des Staates (DFAT 17.8.2020, S.17). Das zweite Organ der Exekutive ist der Premierminister, welcher vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt wird (Fanack 8.7.2020; vergleiche RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 8.7.2020; vergleiche DFAT 17.8.2020, S.17). Die Legislative wird durch den Repräsentantenrat, d.h. das Parlament, ausgeübt (Fanack 8.7.2020; vergleiche KAS 2.5.2018, S.2). Er besteht aus 329 Abgeordneten, die für eine Periode von vier Jahren gewählt werden (FH 28.2.2022; vergleiche GIZ 1.2021a). Neun Sitze sind per Gesetz für ethnische und religiöse Minderheiten reserviert (AA 22.1.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022) - fünf für Christen und je einer für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und für Faili-Kurden aus dem Gouvernement Wassit (AA 22.1.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022). Die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Die Judikative wird vor allem durch den Bundesgerichtshof repräsentiert (KAS 2.5.2018, S.2).

Die Grenzen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind jedoch häufig fließend (FH 28.2.2022). Die Gewaltenteilung wird durch parallele Rollen vieler Entscheidungsträger beeinträchtigt (BS 23.2.2022, S.12). Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a). In Artikel 19 der Verfassung heißt es beispielsweise, dass die Justiz unabhängig ist, und keine Macht über der Justiz steht, außer dem Gesetz selbst (BS 23.2.2022, Sitzung 13). Die Justiz ist jedoch eine der schwächsten Institutionen des Staates, und ihre Unabhängigkeit wird häufig durch die Einmischung politischer Parteien über Patronage-Netzwerke und Klientelismus untergraben (BS 29.4.2020, S.11). [siehe dazu Kapitel "Rechtsschutz / Justizwesen"]

Das politische System des Iraks wird durch das sogenannte Muhasasa-System geprägt. Muhasasa im irakischen Kontext bedeutet die Vergabe von staatlichen Ämtern entlang ethnisch-konfessioneller (Muhasasa Ta’ifiyya) oder parteipolitischer (Muhasasa Hizbiyya) Linien. Der Aufteilung wird ein geschätzter Zensus zu Grunde gelegt, sodass die drei größten Bevölkerungsgruppen (Kurden, Sunniten, Schiiten) ihren Bevölkerungsanteilen gemäß proportional repräsentiert werden. Einige Minderheiten wie Christen und Jesiden sind durch für sie reservierte Sitze repräsentiert. Mit der Vergabe staatlicher Ämter ergibt sich auch ein Zugang zu staatlichen Ressourcen, z.B. durch Zugang zu Budgets von Ministerien oder lokalen Behörden (BAMF 5.2020, S.2f.). Das Muhasasa-System gilt auch für die Staatsführung. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018; vergleiche FH 28.2.2022). Das konfessionelle Proporzsystem im Parlament festigt den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindert die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 2.3.2020, S.8). Das seit 2003 etablierte politische Muhasasa-System steht in weiten Teilen der Bevölkerung in der Kritik (BAMF 5.2020, S.30), insbesondere bei säkularen und nationalen Kräften (GIZ 1.2021a). Seit 2015 richten sich die Demonstrationen im Irak zunehmend auch gegen das etablierte Muhasasa-System als solches. Das Muhasasa-System wird für das Scheitern des Staates verantwortlich gemacht (BAMF 5.2020, S.1). Vom Muhasasa-System abgesehen, stehen viele sunnitische Iraker der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber (AA 2.3.2020, S.8).

Für die Durchführung der Wahlen im Irak ist die Unabhängige Hohe Wahlkommission (IHEC) verantwortlich. Sie genießt generell das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und der irakischen Bevölkerung (FH 28.2.2022). Der Irak hält regelmäßig, kompetitive Wahlen ab. Die verschiedenen parteipolitischen, ethnischen und konfessionellen Gruppen des Landes sind im Allgemeinen im politischen System vertreten. Allerdings wird die demokratische Regierungsführung in der Praxis durch Korruption und Sicherheitsbedrohungen behindert (FH 28.2.2022).

Seit dem 1.10.2019 anhaltende Massenproteste, die sich gegen Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten von Amerika richteten, führten zum Rücktritt des damaligen Premierministers Adel Abdul Mahdi Ende November 2019 (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche RFE/RL 6.2.2020; GIZ 1.2021a). Erst im April 2020 einigten sich die großen Blöcke im Parlament und ihre ausländischen Unterstützer auf einen neuen Kandidaten (FH 3.3.2021). Präsident Salih beauftragte am 9.4.2020 den von den schiitischen Blöcken favorisierten Kandidaten Mustafa al-Kadhimi mit der Regierungsbildung (GIZ 1.2021a).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vergleiche NYT 24.12.2019, Al Monitor 2.11.2020, FH 28.2.2022). Das neue Wahlgesetz soll unabhängigen Kandidaten, die nicht von großen Parteien unterstützt werden, den Einzug ins Parlament erleichtern (FH 28.2.2022). Kandidaten können überschüssige Stimmen nicht mehr auf andere Kandidaten ihrer Partei übertragen (ICG 16.11.2021). Die achtzehn irakischen Gouvernements wurden in 83 Wahlbezirke unterteilt, auf die die 329 Parlamentssitze verteilt wurden (ICG 16.11.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Die Gouvernements werden hierzu in eine Reihe neuer Wahlbezirke unterteilt, in denen für jeweils etwa 100.000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt wird (FH 3.3.2021). Unklar ist für diese Einteilung jedoch, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (FH 3.3.2021; vergleiche NYT 24.12.2019). Die Distrikte haben je nach Größe zwischen drei und sechs Sitze (ICG 16.11.2021). Einige politische Parteien befürchteten Wahlbetrug und lehnten die Einteilung der Wahlbezirke ab. Besonders die traditionellen Parteienblöcke befürchteten einen Verlust an Einfluss durch die Aufteilung ihrer Wählerschaft in die neuen, kleineren Wahlbezirke (Al Monitor 2.11.2020).

Im Juli 2020 hat Premierminister al-Kadhimi ein Versprechen an die Protestbewegung erfüllt und die Vorverlegung der Parlamentswahlen auf den 6.6.2021 beschlossen (Reuters 31.7.2020; vergleiche GIZ 1.2021a, Al Monitor 9.12.2020). Auf Vorschlag der IHEC, die um mehr Zeit für die Umsetzung der rechtlichen und logistischen Maßnahmen bat, hat das Kabinett einstimmig entschieden, die Parlamentswahlen auf den 10.10.2021 zu verschieben (Al Jazeera 19.1.2021). Am Vorabend der Parlamentswahlen im Oktober 2021 sahen sich reformorientierte Kandidaten, bei Vorbereitung gegen die etablierten Parteien des Landes anzutreten, zu denen auch bewaffnete Milizen gehören, die das irakische Parlament seit 2018 dominieren, mit beunruhigenden Hindernissen konfrontiert (MEI 22.3.2021).

Am 10.10.2021 fanden Parlamentswahlen statt (HRW 13.1.2022; vergleiche KAS 1.2022), die ersten nach dem neuen Wahlsystem (FH 28.2.2022). Die Wahlbeteiligung war die niedrigste in der Geschichte des Iraks nach 2003 und lag nach der großzügigsten Schätzung bei 43,54 % (KAS 1.2022). Die Bewegung des schiitischen Populistenführers Muqtada as-Sadr, eines Gegners des iranischen und US-amerikanischen Einflusses im Irak, ging als Wahlsieger hervor und erhielt 73 der 329 Parlamentssitze (DW 27.12.2021; vergleiche Al Arabiya 27.12.2021, Al Jazeera 27.12.2021, ICG 16.11.2021, Rudaw 30.11.2021, HRW 13.1.2022, KAS 1.2022). Die Fatah- (Eroberungs-) Allianz, der politische Arm der pro-iranischen Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Forces) - PMF, ist von vormals 48 Sitzen auf 17 abgestürzt (DW 27.12.2021; vergleiche Al Arabiya 27.12.2021, ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die Koalition des ehemaligen Premierministers Nouri al-Maliki zählt ebenso zu den Gewinnern der Wahl. Sie hat 33 Parlamentssitze gewonnen (KAS 1.2022).

Von den sunnitischen Parteien errang die Taqqadum Koalition unter der Führung des scheidenden irakischen Parlamentspräsidenten Mohammed al-Halbousi 37 Sitze (Rudaw 30.11.2021; vergleiche ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die ebenfalls sunnitische Partei Azm unter Khamis al-Khanjar erreichte 14 Sitze (ICG 16.11.2021; vergleiche KAS 1.2022).

Von den kurdischen Parteien erhielt die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) 31 Sitze, die Patriotische Union Kurdistans (PUK) 17 und die Bewegung "Neue Generation" neun Sitze (Rudaw 30.11.2021; vergleiche ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die Gorran Bewegung, die bei dieser Wahl auf einer gemeinsamen Liste mit der PUK antrat, hat alle ihre Sitze verloren (ICG 16.11.2021).

Der Anführer der Emtidad-(Fortführungs-) Bewegung, Alaa Al-Rikabi, war einer der wenigen Aktivisten, die aus der Oktoberprotestbewegung als Anführer hervorgingen (KAS 1.2022). Nach dem Endergebnis haben 16 politische Parteien jeweils nur einen Sitz gewonnen (Rudaw 30.11.2021; vergleiche KAS 1.2022). 43 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten (KAS 1.2022).

Vom Iran unterstützte Gruppierungen, darunter mächtige bewaffnete Gruppen, haben Unregelmäßigkeiten beanstandet (Al Jazeera 27.12.2021). Bei der IHEC gingen mehr als 1.300 Einsprüche ein, die vom "schiitischen Kooperationsrahmen" (CF) eingereicht wurden - einer Gruppierung, die sich hauptsächlich aus schiitischen Gruppen zusammensetzt, die bei den Wahlen schlecht abgeschnitten haben. Die meisten dieser Beschwerden wurden wegen fehlender Beweise abgewiesen (Al-Jazeera 5.11.2021). Am 27.12.2021 hat der oberste Gerichtshof das Wahlergebnis ratifiziert (DW 27.12.2021; vergleiche Al Arabiya 27.12.2021). Der CF fordert eine Beteiligung in einer Regierung der nationalen Einheit (Al Monitor 1.2.2022).

Bei der Eröffnungssitzung des neugewählten Parlaments am 9.1.2022 hat as-Sadrs ethnokonfessionelle Allianz mit kurdischen und sunnitischen Parteien ihren sunnitischen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten, Mohammed al-Halbousi, mühelos gewählt. Des Weiteren konnten die Sadristen 17 weitere Abgeordnete für ihren Block gewinnen und umfassen nun 90 Sitze (Al Monitor 1.2.2022)

Die Wahl des Präsidenten, die für den 7.2.2022 geplant war, kam nicht zustande, da das Parlament nicht beschlussfähig war. Wegen vielfacher Sitzungsboykotte waren nur 58 von 329 Abgeordneten anwesend und damit weniger als die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die für die Wahl eines neuen Präsidenten erforderlich ist. Zu dem Boykott kam es, da der Oberste Gerichtshof die Präsidentschaftskandidatur des Wunschkandidaten Hoshyar Zebari von der KDP wegen Bestechungsvorwürfen aus seiner Zeit als Finanzminister im Jahr 2016 ausgesetzt hatte. Es steht im Raum, dass das Parlament erst dann zusammentreten wird, wenn eine Einigung erzielt wurde (Reuters 7.2.2022).

Proteste gegen das Wahlergebnis sind in Bagdad in Gewalt umgeschlagen. Demonstranten, die Betrug anprangerten, stießen außerhalb der "Grünen Zone" in Bagdad mit Sicherheitskräften zusammen (Al-Jazeera 5.11.2021). Dabei wurde am 5.11.2021 während des Protests von Anhängern der Asaib Ahl- al-Haq und Kataib Hezbollah ein Anhänger der Asaib Ahl- al-Haq getötet, mehrere Hundert Sicherheitskräfte wurden verletzt. Der Anführer der Gruppe, Qais al-Khazali, machte Premierminister al-Kadhimi für den Toten verantwortlich und versprach, ihn vor Gericht zu stellen (ICG 16.11.2021).

Am 31.10.2021 schlugen drei Raketen in der Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes in Bagdad ein, einer Einrichtung, die al-Kadhimi leitete und immer noch kontrolliert (ICG 16.11.2021). Bei einem Anschlag am 7.11.2021 versuchten ungenannte bewaffnete Akteure mit drei bewaffneten Drohnen, den Premierminister in seiner Residenz zu ermorden, scheiterten jedoch (HRW 12.1.2022; vergleiche ICG 16.11.2021). Wegen des Einsatzes von Drohnen wird dieser Anschlag häufig pro-iranischen Gruppen zugeschrieben (ICG 16.11.2021). Am 25.1.2022 wurde auch die Residenz des irakischen Parlamentssprechers Mohammed al-Halbousi mit mindestens drei Raketen beschossen. Der Angriff ereignete sich wenige Stunden, nachdem das Bundesgericht die Wiederwahl al-Halbousis als Parlamentssprecher bestätigt hatte. Al-Halbousi wurde wiederholt von mit dem Iran verbundenen Gruppierungen und solchen, die ihnen nahe stehen, bedroht (Al Monitor 26.1.2022).

Nach fast acht Monaten vergeblicher Bemühungen um die Bildung einer Regierung räumte Moqtada as-Sadr am 12.6.2022 ein, dass es ihm nicht möglich ist, die von ihm angestrebte Regierung zu bilden (Soufan Center 23.6.2022; vergleiche Al-Jazeera 15.6.2022). Sein Ziel war die Bildung einer Zwei- Drittel-Mehrheitsregierung (220 Sitze) unter Einbindung von sunnitisch-arabischen und kurdischen Fraktionen (Soufan Center 23.6.2022). Nach irakischem Recht ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl des Präsidenten erforderlich (Al-Jazeera 15.6.2022). As-Sadrs Ziel war auch die Beendigung der Post-Saddam-Regierungsstruktur, in der schiitische Fraktionen unter weitgehender Ausgrenzung nicht-schiitischer Gruppen regierten. Diese Regierungsstruktur habe laut as-Sadr die Voraussetzungen für die Tishreen-Massenproteste vom Oktober 2019 gegen Korruption und Ineffizienz der Regierung geschaffen und den vom Iran unterstützten PMF zu viel Einfluss verliehen (Soufan Center 23.6.2022).

Der Prozess der Regierungsbildung ist zum Teil deshalb ins Stocken geraten, weil die beiden wichtigsten kurdischen Parteien, KDP und PUK, zu gegensätzlichen nationalen Koalitionen übergegangen sind, und ihr früheres Muster, gemeinsame Positionen im Umgang mit den arabischen Führern des Irak zu schmieden, aufgegeben haben. Die PUK die jetzt mit den pro-iranischen Schiiten verbündet ist, hat Barham Salih, den Amtsinhaber, für eine weitere Amtszeit als Präsident nominiert. Die KDP hat mit Rebar Ahmed einen eigenen Kandidaten vorgeschlagen. Er ist derzeit Innenminister der kurdischen Regionalregierung (KRG) (Soufan Center 14.4.2022).

As-Sadr hat die 73 Abgeordneten seines Blocks der Sadristischen Bewegung (Sairoon) im irakischen Parlament aufgefordert geschlossen zurückzutreten (Al-Jazeera 15.6.2022; vergleiche Soufan Center 23.6.2022), was diese auch befolgten (Al-Jazeera 15.6.2022). Laut irakischem Recht rückt bei Freiwerden eines Parlamentssitzes der Kandidat mit den nächst meisten Stimmen nach (Al-Jazeera 15.6.2022; vergleiche Soufan Center 23.6.2022). Auf der Grundlage der von der Hohen Wahlkommission des Irak vorgelegten Ergebnisse dürften schätzungsweise 50 der 73 frei gewordenen Sitze der Sadristen an Mitglieder der CF gehen. Damit sind as-Sadrs Gegner in den PMF und die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki, mit etwa 120 der 329 Parlamentssitze in einer günstigen Position, eine Regierung zu bilden (Soufan Center 23.6.2022).

Nach wiederholten Verzögerungen wurden die ursprünglich für 2017 geplanten Wahlen zu den Provinzräten im November 2019 auf unbestimmte Zeit verschoben (FH 3.3.2021). Das irakische Parlament hatte Ende Oktober 2019 beschlossen, die Provinzräte aufzulösen, mit Ausnahme jener in der Kurdistan Region Irak (KRI). Es beschloss jedoch, die Gouverneure im Amt zu belassen, welche die Aufgaben der Räte übernehmen, aber unter der Kontrolle der Zentralregierung stehen. Das irakische Bundesgericht bestätigte Anfang Juni 2021 nach einer vorausgegangenen Klage die Entscheidung des Parlaments von 2019 (Rudaw 2.6.2021).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 22.08.2022

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den Zentralirak außerhalb der Hauptstadt (AA 25.10.2021, S.9). Der IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen (Volksmobilisierungskräfte, PMF), aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig (AA 25.10.2021, S.9). Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 25.10.2021, S.15). Die PMF haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 25.10.2021, S.15). [Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi]

Die Überreste des IS zählen zu den primären terroristischen Bedrohungen im Irak. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Terrorgruppe mit Sitz in den Bergen des Nordiraks, verübte ebenfalls mehrere Anschläge in der Kurdistan Region Irak (KRI), bei denen auch mehrere Angehörige der kurdischen Sicherheitskräfte getötet wurden. Auch gewisse mit dem Iran verbündete Milizen stellen eine terroristische Bedrohung dar (USDOS 16.12.2021).

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den IS (UNSC 30.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter PMF sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 25.10.2021, S.16).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut Ankara gegen die PKK gerichtet sind. Außerdem unterhält die Türkei dort temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a), über 40 davon in der KRI sowie eine Militärbabsis in Bashiqa bei Mossul (BS 23.2.2022). Die Errichtung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020). Die Türkei hat im Rahmen ihrer gemeinsamen Operationen Claw-Eagle und Claw-Tiger gegen die PKK im Qandil-Gebirge, in Sinjar und Makhmur (beide in Ninewa) irakischen Boden bombardiert. Auch der Iran hat das Qandil-Gebirge bombardiert, ein Angriff, der vermutlich mit der Türkei koordiniert wurde (BS 23.2.2022).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vergleiche Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). Jene Sicherheitslücken werden vom IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 22.08.2022

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vergleiche MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021, USDOS 16.12.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Der IS versucht jedoch vor allem in jenen Gebieten Fuß zu fassen, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der föderalen Regierung umstritten ist (USDOS 16.12.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021). Auch die Vereinten Nationen schätzen die Stärke des IS im Irak und in Syrien auf etwa 10.000 Kämpfer, wobei es sich dabei um eine Schätzung handelt und die Zahl tatsächlich geringer ausfällt (Wilson Center 10.12.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der Kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021). Im Jänner 2022 erklärte der Leiter der irakischen Sicherheitsmedienzelle, Generalmajor Sa'ad Ma'an, dass der IS weiterhin in den Qarachokh-Bergen, in der Gegend südlich von Makhmur und in Teilen der Gouvernements Kirkuk, Diyala und Salah ad-Din präsent sei (NRT 4.2.2022).

Der verstärkte Einsatz von mobilen IS-Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat Anmerkung, Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der PMF, Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Der IS begeht zumeist Angriffe mit Kleinwaffen, Hinterhalte und Bombenanschläge am Straßenrand (IEDs) (Wilson Center 10.12.2021; vergleiche USDOS 16.12.2021). Er greift jedoch auch auf Selbstmordattentate, Attentate, Entführungen und Sabotageakte zurück. Dabei sind Angriffe im kleinen Ausmaß heute am weitesten verbreitet. Die Ziele sind je nach Gebiet unterschiedlich, aber im Allgemeinen handelt es sich um die Sicherheitskräfte der verschiedenen Gebiete, ihre vermeintlichen Unterstützer/Kollaborateure und die breitere Bevölkerung schiitischer und anderer nicht-sunnitischer Muslime, die alle als Ungläubige und Abtrünnige gelten (Wilson Center 10.12.2021).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht, Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal'afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vergleiche CISAC 2021). Am 4.2.2022 kam al-Qurashi bei einer Militäroperation der USA in Nordsyrien ums Leben (Al Jazeera 4.2.2022; vergleiche Reuters 9.2.2022, GS 11.3.2022). Im März 2022 wurde verkündet, dass Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi die Nachfolge angetreten hat. Hinter diesem nom de guerre verbirgt sich laut irakischen und westlichen Geheimdienstquellen Juma Awad al-Badri, ein Bruder des ersten "Kalifen" (GS 11.3.2022).

Dem "Kalifen" sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des Letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020).

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 22.08.2022

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Im Januar 2022 wurden im Irak insgesamt 84 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet. Dies ist ein Anstieg gegenüber 78 im Dezember 2021 und 67 im November 2021. Dieser Anstieg ist auf Aktivitäten von mit dem Iran verbundenen Volksmobilisierungskräfte (PMF) zurückzuführen. So gab es im Jänner 2022 31 erfolgreiche Angriffe pro-iranischer Gruppen und neun weitere Vorfälle. Dies ist ein Anstieg gegenüber 21 im Dezember 2021 und die höchste PMF zugeschriebene Vorfallszahl seit Beginn ihrer jüngsten Operationen. Wie üblich konzentrieren sie sich auf IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois, die für die USA tätig sind (Wing 7.2.2022).

Es kam auch zu politischer Gewalt durch diese Gruppierungen, um Moqtada as-Sadr und dessen Verbündete unter Druck zu setzen, damit diese den sog. "Koordinationsrahmen" - ein Bündnis aller wichtigen pro-iranischen schiitischen Parteien - in die neue Regierung aufnehmen. Es kam z.B. auch zu Bombenanschlägen auf die Büros der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad und auf das Büro des stellvertretenden Sprechers in Kirkuk, zu Raketenangriffen auf das Haus des Sprechers Mohammed al-Halbousi in Anbar, zu einem Anschlag mit einem Molotow-Cocktail, der auf ein Sadr-Gebäude in Bagdad geworfen wurde, zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär in der Hauptstadt sowie zu Granaten-Anschlägen auf Gebäude der sunnitischen Bündnisse Taqadum und Azm in Bagdad. Auch zwei kurdische Banken in Bagdad wurden bombardiert (Wing 7.2.2022).

Die Zahl der vom IS verübten Anschläge ist in den letzten fünf Monaten zurückgegangen. Im Januar 2022 waren es 46 gegenüber je 55 im Dezember und November 2021, 65 im Oktober 2021 und 70 im September 2021. Es war die niedrigste Zahl von Anschlägen im Irak seit 2003 (Wing 7.2.2022).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2022 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2022).

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2021 669 zivile Todesopfer. Im Jahr 2022 wurden bis Juli bisher 371 zivile Todesopfer verzeichnet (IBC 8.2022).

Auch laut den vom IS in seinem wöchentlichen Newsletter al Naba veröffentlichten Zahlen ist die Zahl der Anschläge im Irak gesunken. Im Jahr 2020 beanspruchte der IS im Irak durchschnittlich 110 Anschläge und 207 Tote pro Monat. Im Jahr 2021 waren es (Mit Stand Dezember 2021) durchschnittlich 87 Anschläge und 149 Tote pro Monat (Wilson Center 10.12.2021).

Laut ACLED wurden im Jahr 2021 im gesamten Irak 1.187 Vorfälle mit mindestens einem Opfer (tot oder verletzt) verzeichnet. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 712 derartige Vorfälle (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Opfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt. Des weiteren weist ACLED auch einige Unschärfen auf, da auch Morde ohne terroristischen Hintergrund inkludiert sind) (ACLED 2022).

Sicherheitslage Bagdad

Letzte Änderung: 22.08.2022

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, das seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Gebiete (Latifiyah, Taji, al-Mushahada, at-Tarmiyah, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten "Bagdader Gürtel" (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 Kilometern um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, al-Tarmiyah, Ba'qubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Falludjah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Im Ort al-Tarmiyah im nördlichen Teil des Gouvernement Bagdad hat der Islamische Staat (IS) eine Zelle reaktiviert (Wing 2.8.2021). Im August 2021 haben Sicherheitskräfte eine Operation gegen diese IS-Zelle gestartet, nachdem der IS seine Angriffe in den vorangegangenen Monaten verstärkt hatte (Anadolu 23.8.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Mitte August 2021 wurde beispielsweise bei al-Tarmiyah ein Strommast gesprengt, der die dortige Pumpstation mit Strom versorgt. Deren Stillstand hatte den Ausfall der Wasserversorgung für mehrere Millionen Menschen im Westen Bagdads zur Folge. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kata'ib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021).

Pro-iranische schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Unter anderem werden auch aus dem Gouvernement Bagdad Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Pro-iranische Milizen werden auch für Raketen- und Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad und auf die sogenannte Grüne Zone Anmerkung, ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandsvertretungen beherbergt) verantwortlich gemacht. Siehe dazu die folgende Auflistungen der monatlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle:

Im Jänner 2021 wurden im Gouvernement Bagdad zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 111 Verletzten verzeichnet. 32 der Toten und 110 der Verletzten waren Zivilisten. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 4.2.2021). Der IS hat im Jänner 2021 einen doppelten Selbstmordanschlag auf einem Markt am Tayaran-Platz im Zentrum Bagdads ausgeführt, bei dem 32 Menschen getötet und 110 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche BBC 21.1.2021, Wing 4.2.2021). Pro-iranische Milizen zeichneten sich verantwortlich für drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und für den Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 wurden zehn Vorfälle mit vier Toten und drei Verletzten verzeichnet. Je fünf Vorfälle werden dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Bei den IS-Vorfällen handelte es sich, bis auf ein Feuergefecht in al-Tarmiyah im Norden Bagdads, um Angriffe von geringem Ausmaß. Bei vier der pro-iranischen Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, beim fünften um einen Raketenbeschuss der Grünen Zone in Bagdad (Wing 8.3.2021). Im März 2021 gab es zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und sieben Verletzten, davon waren zwei der getöteten und sechs der verwundeten Personen Zivilisten. Acht dieser Vorfälle werden dem IS, zwei weitere pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die IS-Angriffe umfassten unter anderem ein Feuergefecht, den Einsatz einer Motorradbombe und den Angriff auf das Haus eines Sheikhs mit einem Sprengsatz. Al-Tarmiyah, von dem aus eine IS-Zelle operiert, war hauptsächlich von den IS-Übergriffen betroffen. Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Vier dieser Vorfälle werden dem IS, drei pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Bei einem der IS-Angriffe handelte es sich um einen Anschlag unter Verwendung einer Autobombe auf einem Markt in Sadr City, bei dem vier Menschen getötet und 20 verwundet wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche Garda 15.4.2021, Wing 3.5.2021). Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich wiederum um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie um Raketenbeschuss einer Militärbasis (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten verzeichnet, von denen zwei Zivilisten waren. Sieben Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, wobei sich sechs im nördlichen al-Tarmiyah Distrikt ereigneten. Zwei Vorfälle, ein Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad und ein vereitelter Angriff, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021). Im Mai wurde bei vier Protesten scharfe Munition verwendet, um die Demonstrationen aufzulösen. Bei zwei dieser Vorfälle starben ein, bzw. zwei Demonstranten. Dutzende weitere wurden verletzt. Neun Demonstrationen in dem Monat verliefen friedlich (ACLED 2022). Im Juni 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 39 Verletzten verzeichnet. Sieben der Toten und 36 der Verletzten waren zivile Opfer. Zehn der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Sechs der sicherheitsrelevanten Vorfälle, unter anderem ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Weitere Angriffe konnten verhindert werden (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 18 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten, davon 38 Zivilisten, und 59 zivile Verletzte verzeichnet. 14 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Am 19.7.2021 führte der IS ein Selbstmordattentat in einem Markt in Sadr City aus, bei dem 35 Menschen getötet und 59 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vergleiche Wing 2.8.2021). Vier Vorfälle, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, zwei Raketenbeschüsse der Grünen Zone sowie die Entschärfung einer Rakete, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (WIng 2.8.2021). Im August 2021 wurden zehn Vorfälle, mit acht Toten und elf Verwundeten verzeichnet, wobei zwei der Verwundeten Zivilisten waren. Sechs Angriffe werden dem IS zugeordnet, vier pro-iranischen Milizen. Der IS war im Gouvernement Bagdad neuerlich in al-Tarmiyah am aktivsten, wo unter anderem ein Brigade-Hauptquartier der Volksmobilisierungskräfte (PMF) angegriffen wurde. Bei den vier Vorfällen unter Beteiligung pro-iranischen Milizen handelt es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der US-Streitkräfte (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurde lediglich ein IED-Angriff von PMF auf einen Versorgungskonvoi der US-Streitkräfte verzeichnet (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden neun Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet, wobei alle Opfer Zivilisten waren. Sieben Angriffe werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen. Bei einem dieser Angriffe handelte es sich wiederum um einen IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA (Wing 4.11.2021). Am 31.10.2021 schlugen drei Raketen in der Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes im Distrikt Mansour ein (ICG 16.11.2021; vergleiche Wing 4.11.2021). Des weiteren wurden im Oktober 2021 15 Proteste verzeichnet, von denen zwölf friedlich verliefen und drei als gewalttätige Demonstrationen deklariert wurden, ohne jedoch Opfer zu fordern (ACLED 2022). Im November 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Verletzten verzeichnet. Ein Vorfall wird mit dem IS in Verbindung gebracht, während der zweite pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird (Wing 6.12.2021). Am 7.11.2021 wurde die Residenz von Premierminister al-Kadhimi in Bagdad mit drei bewaffneten Drohnen angriffen, wobei der Premierminister und fünf seiner Leibwachen verletzt wurden (ICG 16.11.2021; vergleiche HRW 13.1.2022, Wing 6.12.2021). Dies geschah, nachdem unter anderem ein Kommandeur der Asa'ib Ahl Al-Haqq-Brigade am 5.11.2021 als Teil eines Mobs getötet wurde, der versuchte, die Grüne Zone zu stürmen (Wing 6.12.2021; vergleiche Garda World 5.11.2021). Mindestens drei Demonstranten wurden getötet und Dutzende weitere verletzt (Garda World 5.11.2021; vergleiche ACLED 2022). Weitere zehn Proteste, die im November in Bagdad stattfanden, verliefen friedlich (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden drei Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Bei zweien handelte es sich um IED-Angriffe auf US-Versorgungskonvois, bei einem um Raketenbeschuss auf die Grüne Zone (Wing 4.1.2022). Im Dezember wurden acht Proteste verzeichnet, von denen sechs friedlich blieben, während zwei gewalttätig verliefen, ohne jedoch Opfer zu fordern (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Es kam zu Zwischenfällen in al-Tarmiyah und Taji, sowie zu einem Bombenanschlag im südlichen Madain. Für 16 Vorfälle werden pro-iranische Milizen verantwortlich gemacht. Dazu zählten sechs IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, eine weitere IED konnte entschärft werden (Wing 7.2.2022). Mehrere Raketen und Drohnenangriffe im Lauf des Monats werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben: Am 3.1.2022 wurden bewaffnete Drohnen nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad abgeschossen (AAA 3.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Am 5.1.2022 wurde die US-Basis Camp Victory nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad von Raketen getroffen (AAA 5.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Am 28.1.2022 schlugen Raketen am Internationalen Flughafen Bagdad ein (Al Monitor 28.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Des Weiteren wurden bei Raketenbeschuss der Green Zone, neben dem Gelände der US-Botschaft auch eine Schule getroffen, wobei eine Frau und zwei Kinder verletzt wurden (AN 15.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Es kam auch zu mehreren Vorfällen politischer Gewalt durch pro-iranische Gruppen. Es wird angenommen, dass diese Druck auf Muqtada as-Sadr und seine Verbündeten ausüben, damit der sogenannte Koordinationsrahmen (CF), dem alle wichtigen [pro-iranischen] schiitischen Parteien außer der as-Sadrs angehören, in die neue Regierung aufgenommen werden (Wing 7.2.2022). Es kam zu einem Bombenanschlag auf das Büro der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad (Bas News 13.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022), zu einem Angriff mit einem Molotow-Cocktail auf ein Gebäude von as-Sadrs Partei (Wing 7.2.2022), zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär (Bas News 14.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022), sowie zu Granatenangriffen auf Gebäude der sunnitischen Parteien Taqqadum und Azm in Bagdad (AN 15.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Schließlich wurden auch zwei kurdische Banken in der Hauptstadt bombardiert (Wing 7.2.2022). Proteste, von denen im Jänner 2021 in Bagdad sieben verzeichnet wurden, blieben friedlich (ACLED 2022). Im April 2022 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten registriert. Vier werden dem IS zugeschrieben, drei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA (Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Verletzten verzeichnet, von denen vier dem IS und einer pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, wobei je einer dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Bagdad im Jahr 2021 596 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 227.

Im Distrikt Rusafah wurden im Jahr 2021 52 Vorfälle verzeichnet, 22 davon waren Demonstrationen, von denen 18 friedlich verliefen und vier durch Interventionen verhindert oder beendet wurden. Hervorzuheben ist der Selbmordanschlag vom 21.1.2021 mit Dutzenden Toten und ca. hundert Verletzten. Zivilisten wurden darüber hinaus bei 15 weiteren Vorfällen zu Opfern von Gewalt durch Angriffe, IEDs und Anschläge mit Handgranaten. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 15 Vorfälle verzeichnet, darunter ein Angriff gegen Zivilisten (ACLED 2022).

Im Distrikt Adhamiyah wurden im Jahr 2021 39 Vorfälle verzeichnet, darunter acht Fälle von Gewalt gegen Zivilisten. In sieben weiteren Fällen waren Zivilisten von Gewalt betroffen, insbesondere durch IED-Angriffe. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 18 Vorfälle verzeichnet. Darunter sechs Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten sowie zwei Fälle bei denen Zivilpersonen ebenfalls von Gewalt betroffen waren (ACLED 2022).

Im Distrikt Sadr City (früher Thawra) wurden im Jahr 2021 35 Vorfälle verzeichnet. Den größten Anteil hatten bewaffnete Auseinandersetzungen, von denen 15 verzeichnet wurden, gefolgt von gezielter Gewalt gegen Zivilisten mit acht, sowie weiteren sechs bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren, z.B. durch IEDs oder Angriffen mit Handgranaten. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 29 Vorfälle verzeichnet. Bei zehn handelte es sich um Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten, darunter eine Entführung. Bei zwei weiteren waren Zivilisten ebenfalls betroffen. Es wurde wiederum eine größere Anzahl von bewaffnete Auseinandersetzungen (11) registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt 9 Nissan (Neu Bagdad) wurden im Jahr 2021 2021 43 Vorfälle verzeichnet. Hervorzuheben sind hierbei 14 Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten, sowie neun weitere Vorfälle, bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren. Des weiteren wurden neun friedliche Demonstrationen verzeichnet, ein Protest mit Intervention, sowie jeweils eine gewalttätige Demonstration und eine mit exzessiver Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte gegen Demonstranten. Darüber hinaus sind vier bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Stammesmilizen zu erwähnen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni elf Vorfälle verzeichnet, vier davon Fälle von Gewalt gegen Zivilisten (ACLED 2022).

Im Distrikt Karadah wurden im Jahr 2021 33 Vorfälle verzeichnet, darunter sieben Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten und neun weitere Vorkommnisse, bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren. Darunter mehrere IED-Angriffe auf Geschäfte, die Alkohol verkaufen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 21 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren bei vier dieser Fälle betroffen, darunter ein Mord und drei Angriffe mit Granaten, bzw. IEDs (ACLED 2022).

Im Distrikt Karkh wurden im Jahr 2021 61 Vorfälle verzeichnet. Beim überwiegenden Teil der Vorfälle handelte es sich um friedliche Demonstrationen. Fünf Demonstrationen wurden jedoch als gewalttätig kategorisiert. Es handelte sich dabei um Proteste gegen das Wahlergebnis von Oktober 2021 von PMF-Anhängern vor der Green Zone. Darüber hinaus wurde die Green Zone auch mehrfach mit Raketen beschossen. Zivilisten waren nur bei vier Vorfällen gezielt oder indirekt von Gewalt betroffen. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 21 Vorfälle, darunter je vier friedliche und gewalttätige Demonstrationen. Bei drei Vorfällen waren Zivilisten ebenfalls von Gewalt betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt Kadhimiya wurden im Jahr 2021 19 Vorfälle verzeichnet. Vier davon waren Angriffe auf Zivilisten, bei vier weiteren waren Zivilisten von Sprengsätzen betroffen. Im Jahr 2022 waren es bisher neun Vorfälle, darunter ein Fall von gezielter Gewalt gegen Zivilisten und zwei weitere Vorfälle, bei denen Zivilpersonen ebenfalls betroffen waren (ACLED 2022).

Im Distrikt Mansour wurden im Jahr 2021 21 Vorfälle verzeichnet. Bei zwei dieser Vorfälle handelte es sich um gezielte Gewalt gegen Zivilisten, bei drei weiteren waren Zivilisten ebenfalls betroffen. Des weiteren wurden sechs friedliche Demonstrationen verzeichnet und sechs Vorfälle von bewaffneten Auseinandersetzungen und IED- und Raketenangriffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni sechs Vorfälle verzeichnet, wovon bei zwei Zivilisten angegriffen wurden (ACLED 2022).

Im Distrikt ar-Rashid wurden im Jahr 2021 29 Vorfälle verzeichnet. In neun Fällen waren Zivilisten betroffen. Im Jahr 2022 waren es bis Juni elf Vorfälle, wobei es sich bei fünf um Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten handelte (ACLED 2022).

Im Distrikt Abu Ghraib wurden im Jahr 2021 22 Vorfälle verzeichnet. Elf dieser Vorfälle, zumeist Drohnenangriffe und Raketenbeschuss, betrafen den Internationalen Flughafen Bagdad. Weitere Vorfälle umfassten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ISF- und PMF-Kräften mit dem IS, sowie IED-Angriffe, die insbesondere gegen Versorgungskonvois der USA gerichtet waren. Des weiteren wurden zwei Fälle von gezielter Gewalt gegen Zivilisten verzeichnet. 2022 wurden bis Juni 14 Vorfälle verzeichnet. Erneut richtete sich die Mehrzahl der Übergriffe, insbesondere Raketenbeschuss, gegen den Internationalen Flughafen Bagdad. Mehrere Angriffe konnten durch Abschüsse von Drohnen vereitelt werden. Zivilisten waren bei zwei Vorfällen ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Mada'in wurden im Jahr 2021 19 Vorfälle verzeichnet. Bei fünf dieser Vorfälle handelte es sich um gezielte Gewalt gegen Zivilisten, darunter eine Entführung, sowie weitere fünf Fälle bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren. Im Jahr 2022 wurden bis Juni fünf Vorfälle verzeichnet. Bei einem IED-Angriff waren Zivilisten ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt Mahmudiyah wurden im Jahr 2021 21 Vorfälle verzeichnet. Bei 13 dieser Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois der USA. In zwei weiteren Fällen wurden Zivilisten Ziele von Angriffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwei Vorfälle verzeichnet, wobei bei einem Zivilisten ebenfalls betroffen waren (ACLED 2022).

Im Distrikt Taji wurden im Jahr 2021 acht Vorfälle verzeichnet, drei davon Angriffe mit IEDs. Im Jahr 2022 waren es bis Juni acht Vorfälle. Bei einem waren Zivilisten ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Tarmiyah wurden im Jahr 2021 82 Vorfälle verzeichnet, von denen 47 auf den Aufstand des IS und den Kampf gegen diese Gruppe zurückzuführen sind, darunter u.a. bewaffnete Auseinandersetzungen und Luft-/Drohnenangriffe zwischen IS-Kämpfern sowie ISF und PMF-Kräften. Es wurden auch fünf Angriffe des IS auf Zivilisten verzeichnet, bei denen jeweils mindestens eine Person ums Leben kam. Acht weitere Angriffe auf Zivilisten werden unbekannten bewaffneten Gruppen zugeschrieben. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 14 Vorfälle verzeichnet. Zehn dieser Vorfälle gehen auf den Aufstand des IS, bzw. den Kampf gegen ihn zurück. Bei drei Vorfällen wurden Zivilisten entweder direkt angegriffen oder waren von Sprengstoffanschlägen ebenfalls betroffen (ACLED 2022).

2021 waren 113 Fälle nicht verortbar. Es handelt sich dabei zum größten Teil um "strategische Entwicklungen", aber auch bewaffnete Auseinandersetzungen, Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Granaten etc.. Zehn der Fälle betreffen gezielte "Gewalt gegen Zivilisten", zwei davon Entführungen. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 41 Vorfälle, von denen acht als gezielte Gewalt gegen Zivilisten klassifiziert sind, darunter drei Entführungen (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

8

39

25 (3)

15 (1)

16 (3)

24 (1)

bewaffnete Auseinandersetzungen

17

30

35

22

32

23

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Granaten

42

23

27

10

30

11

Selbstmordanschläge

1

 

 

 

 

 

Artillerie- und Raketenbeschuss

3

7

3

4

4

2

Luft-/Drohnenangriff

1

1

1

1

1

1

Proteste/ friedliche Demonstrationen

27

32

10

31

12

20

Protest mit Intervention

5

1

 

3

1

2

Proteste/ exzessive Gewalt gegen Demonstranten

 

4

 

 

 

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

1

5

3

7

1

6

strategische Entwicklungen

31

28

60

33

17

23

Vorfälle gesamt

136

170

164

126

114

113

Anmerkung, Die Kategorie "strategische Entwicklungen" umfasst z.B. Truppenbewegungen, die Etablierung von Checkpoints, Korridoren und Brücken, die Zerstörung von Unterschlupfen von Aufständischen (IS) und Waffenlagern, Entminung und Entschärfungen von Sprengsätzen und Vorfälle von Beschädigung von Eigentum ohne Opfer).

Im Gouvernement Bagdad, unterteilt in die Stadtdistrikte Rusafah, Adhamiyah, Sha'ab, Sadr City (früher Thawra), 9 Nissan (Neu Bagdad), Karrada, az-Za' franiyah, Karkh, Kadhimiyah, Mansour und ar-Rashid, sowie die Vorstadtdistrikte Abu Ghraib, al-Istiqlal, al-Mada'in, Mahmudiyah, Taji und at-Tarmiyah wurden 2021 87 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians"), sowie 88 Vorfälle, bei denen Zivilisten ebenfalls zu den Betroffenen gehörten, z.B. durch IEDs, Luft-/Drohnenangriffe, etc., verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 40 Vorfälle, sowie 27 bei denen Zivilisten ebenfalls betroffen waren (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Opfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt. Des Weiteren weist ACLED auch einige Unschärfen auf, da auch Morde ohne terroristischen Hintergrund inkludiert sind).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Stadtdistrikte:

Rusafah

7

4

4

1

1

1

Adhamiyah

7

7

2

0

4

4

Sadr City (früher Thawra)

2

9

2

1

4 (1)

6

9 Nissan (Neu Bagdad)

5

14

1

3

3

1

Karadah

6

3

4

3

3

1

Karkh

 

3

 

1

3

 

Kadhimiyah

2

3

2

1

 

3

Mansour

3

1

1

 

 

2

ar-Rashid

3

2

2 (1)

2

2

3

Vorstadtdistrikte:

Abu Ghraib

 

2

1

 

1

1

al-Istiqlal

 

 

 

 

 

 

al-Mada'in

3

5

2 (1)

 

1

 

Mahmudiyah

5

3

2

3

1

 

Taji

 

 

 

 

1

 

at-Tarmiyah

4

6

4

6

2

1

nicht verortbar

4

4

7 (1)

5 (1)

3 (2)

5 (1)

Vorfälle gesamt

51

66

34 (3)

26 (1)

29 (3)

28 (1)

[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel Protestbewegung entnommen werden.]

Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

Letzte Änderung: 22.08.2022

Die Aktivitäten des Islamischen Staates (IS) nehmen in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad-Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zu, vor allem in abgelegenen Gegenden der zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Bundesregierung "umstrittenen Gebiete". IS-Kämpfer wenden "Hit-and-Run"-Taktiken an und verüben Entführungen und Erschießungen in diesen Gebieten (K24 3.7.2021). Der IS infiltriert bereits seit Jahren die Sicherheitslücken, die sich zwischen den irakischen und kurdischen Sicherheitskräften in den umstrittenen Gebieten gebildet haben (JP 1.5.2021). Bei vielen IS-Vorfällen handelt es sich zumeist um Verteidigungsoperationen, um die Bevölkerung und die Regierung aus gewissen Gebieten fernzuhalten, z.B. von den Schmuggelrouten in West-Anbar, den Distrikten al-Muqdadiyah und Khanaqin in Zentral- und Nordost-Diyala, dem Hamrin-Gebirge an der Grenze zwischen Diyala und Salah ad-Din und dem Süden von Kirkuk (Wing 11.5.2022).

Die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din sind, ebenso wie viele südirakische Gouvernements von Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs) durch schiitische Milizen (PMF) betroffen, die gegen militärische Versorgungskonvois der USA gerichtet sind. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).

In den umstrittenen Gebieten gibt es große Sicherheitslücken zwischen den Sicherheitskräften Bagdads und Erbils, die in den nördlichen Gebieten bis zu 60 km und in Diyala um die 40 km breit sind. Diese territorialen Sicherheitslücken haben sich zu sicheren Zufluchtsorten für den IS entwickelt, von wo aus die Kämpfer Anschläge gegen irakische Streitkräfte und kurdische Peshmerga in den Gebieten von Ninewa, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk verüben (EPC 13.7.2021).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel, der zwischen dem arabischen und kurdischen Teil des Irak liegt, und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (ICG 14.12.2018). Die umstrittenen Gebiete umfassen Territorien in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal'afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya und Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Shabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die umstrittenen Gebiete umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (ICG 14.12.2018).

In dem Bemühen, die zunehmenden Aktivitäten des IS in den Sicherheitslücken einzudämmen, richten die KRG und die irakische Bundesregierung gemeinsame Koordinationszentren ein (Al Monitor 26.5.2021). Ein Abkommen zwischen Bagdad und Erbil soll die Wiederherstellung der gemeinsamen militärischen Verwaltung dieser Gebiete und die Rückkehr der kurdischen Peschmerga in diese Gebiete, insbesondere in Kirkuk und einigen Teilen von Diyala, mit sich bringen (EPC 13.7.2021).

Gouvernement Anbar

Das Gouvernement Anbar wird vom IS hauptsächlich als Drehscheibe benutzt, was üblicherweise eine geringe Zahl an Angriffen vor Ort zur Folge hat (Wing 5.4.2021).

Im Jänner 2021 wurden in Anbar zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Je ein Toter und ein Verletzter waren Zivilisten. Alle Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 14 Verletzten verzeichnet, jedoch ohne zivile Opfer. Alle Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden fünf Vorfälle mit fünf Verletzten verzeichnet. Bei einem der Opfer handelt es sich um einen Zivilisten. Drei der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, und ein Raketenbeschuss der 'Ain Al-Assad Militärbasis (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden elf Vorfälle mit vier Toten und einem Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Toten handelt es sich um Zivilisten. Vier der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, während sieben der Vorfälle - fünf IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, ein Raketenbeschuss der 'Ain Al-Assad Militärbasis sowie ein Schusswechsel an einem Kontrollpunkt an der saudiarabischen Grenze - pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 13 sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und 15 Verletzten verzeichnet. Sechs der Vorfälle werden dem IS und sieben - drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie zwei Raketen und ein Drohnenangriff auf 'Ain Al-Assad Militärbasis - pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden fünf Vorfälle ohne Opfer verzeichnet. Zwei der Vorfälle werden dem IS und drei - ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie Raketenbeschüsse der 'Ain Al-Assad Militärbasis an unterschiedlichen Tagen - pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 14 Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Bei neun der Toten und acht der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Zwölf der Vorfälle werden dem IS und vier - zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie Raketenbeschüsse der 'Ain Al-Assad Militärbasis an unterschiedlichen Tagen - werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden in Anbar sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und drei Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und zwei Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Fünf Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.9.2021). Der schwerwiegendste Vorfall im August ereignete sich am Grenzübergang Akashat. Ein Grenzpolizist wurde getötet, ein weiterer verletzt und ein dritter entführt und später vom IS enthauptet. Es wird vermutet, dass dies als Einschüchterung gesehen wird, Schmuggelaktionen des IS zu ermöglichen (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden vier Vorfälle mit einem Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Beim Toten handelte es sich um einen Angehörigen der ISF, einer Grenzwache, die entführt und enthauptet wurde, während die Verletzten Angehörige einer PMF-Einheit waren (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden lediglich zwei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet (Wing 4.11.2021). Am 14.10.2021 setzten Randalierer das Parteibüro der Fortschrittspartei im Distrikt Ar Rutba in Brand. Acht Randalierer wurden festgenommen, es gab keine Verletzten (ACLED 2022). Im November 2021 wurden drei Vorfälle mit vier verletzten ISF verzeichnet (Wing 6.12.2021). Im Dezember 2021 wurden drei Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Es handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 4.1.2022).

Im Jänner 2022 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Drei der verletzten Opfer waren Zivilisten. Drei Vorfälle werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die 'Ain Al-Assad Militärbasis wurde neuerlich mit Raketen beschossen, während ein Drohnenangrifff vereitelt werden konnte (Wing 7.2.2022). Des weiteren wurde am 25.1.2022 das Haus des Parlamentssprechers Mohammed al-Halbousi mit einem Molotow-Cocktail angegriffen (Al Monitor 26.1.2022; vergleiche Wing 7.2.2022). Im Februar 2022 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten verzeichnet. Drei der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, sowie ein Vorfall politischer Gewalt (Wing 3.3.2022). Ein Büro der sunnitischen Taqqadum Partei des Parlamentssprechers al-Halbousi in Heet wurde mit Handgranaten angegriffen (Wing 3.3.2022; vergleiche Bas News 19.2.2022). Im April 2022 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 19 Verwundeten verzeichnet. Bei zwei der Verletzten handelte es sich um Zivilisten. Die übrigen Opfer waren ISF- und PMF-Angehörige. Elf dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, die übrigen drei pro-iranischen Milizen (Wing 11.5.2022). Der IS hat unter anderem einen Armeestützpunkt (Wing 11.5.2022; vergleiche Xinhua 9.4.2022) sowie einen Kontrollpunkt im Heet Distrikt angegriffen (Wing 11.5.2022; vergleiche Xinhua 26.4.2022). Pro-iranische Milizen werden einerseits für zwei Raketeneinschläge nahe der 'Ain Al-Assad Militärbasis verantwortlich gemacht (Wing 11.5.2022; vergleiche Al Arabiya 1.5.2022), andererseits wird ihnen vorgeworfen hinter einer Drohne zu stecken, die über der Basis abgeschossen werden konnte (Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden drei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, von denen zwei dem IS, der dritte pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 6.6.2022). Pro-iranische Milizen waren neuerlich für Raketenbschuss der 'Ain Al-Assad Militärbasis verantwortlich (Wing 6.6.2022; vergleiche NRT 31.5.2022). Im Juni 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und zwei Verletzten verzeichnet. Beide Vorfälle, Angriffe mit IEDs, werden dem IS zugeschrieben (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Anbar im Jahr 2021 325 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 105.

Im Distrikt Anah wurden im Jahr 2021 20 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren bei zwei dieser Vorfälle, einem Angriff auf Fischer durch den IS und einem Vorfall mit einer IED, betroffen. Im Jahr 2022 wurde bis Juni ein Vorfall verzeichnet, bei dem es sich um einen IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA handelte (ACLED 2022).

Im Distrikt Falludjah wurden im Jahr 2021 66 Vorfälle verzeichnet, darunter befanden sich 13 Vorfälle bei denen Zivilisten direkt Angegriffen, oder Opfer von Sprengsätzen wurden. Es wurden zwölf bewaffnete Auseinandersetzungen, hauptsächlich mit dem IS verzeichnet, sowie 13 Angriffe mit IEDs und ein Raketenbeschuss. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zehn Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in vier Fällen durch gezielte Angriffe oder Raketenbeschuss betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt Haditha wurden im Jahr 2021 36 Vorfälle verzeichnet. Bei neun dieser Vorfälle waren Zivilpersonen betroffen durch Angriffe, IEDs oder Zerstörung von Infrastruktur, wie der Zerstörung von mehreren Strommasten in drei Fällen. Es wurden darüber hinaus drei bewaffnete Auseinandersetzungen und sieben Vorfälle in Verbindung mit IEDs oder auch Kriegsrelikten registriert. Im Jahr 2022 wurden bis Juni neun Vorfälle verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Heet wurden im Jahr 2021 56 Vorfälle verzeichnet. Bei zwei dieser Vorfälle waren Zivilisten Ziele von IS-Attacken. Es wurden acht bewaffnete Auseinandersetzungen, hauptsächlich Schusswechsel und Kämpfe zwischen dem IS und Sicherheitskräften registriert, sowie zwölf Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss, wovon neun gegen die 'Ain Al-Assad Militärbasis gerichtet waren, ebenso wie ein Selbstmord-Drohnenangriff. Das irakische Militär hat darüber hinaus selbst vier Luft-, Drohnenangriffe gegen Stellungen des IS ausgeführt und diese auch in einem Fall mit Artillerie beschossen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 20 Vorfälle verzeichnet, darunter drei bewaffnete Auseinandersetzungen und zwei Luftschläge, hauptsächlich gegen den IS gerichtet, und drei Raketenbeschüsse, die gegen die US und Koalitionstruppen in der 'Ain Al-Assad Militärbasis gerichtet waren (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Qa'im wurden im Jahr 2021 38 Vorfälle verzeichnet, darunter zwei Fälle von Angriffen des IS gegen Zivilisten. Darüber hinaus wurden fünf bewaffnete Auseinandersetzungen, hauptsächlich Kampfhandlungen zwischen dem IS und Sicherheitskräften und drei Luft-, Drohnenangriffe verzeichnet. Von letzteren waren zwei Luftschläge gegen Positionen von PMF. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zehn Vorfälle verzeichnet, darunter ein IED-Angriff gegen einen PMF-Konvoi (ACLED 2022).

Im Distrikt Ramadi wurden im Jahr 2021 113 Vorfälle verzeichnet, darunter eine friedliche Demonstration. In 18 Fällen waren Zivilisten betroffen, 15 Mal durch IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois der USA. Bei zwölf Vorfällen handelte es sich um bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen irakischen Sicherheitskräften (ISF und PMF) und dem IS. Darüber hinaus wurden elf Luftschläge gegen Stellungen des IS durchgeführt. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 17 Vorfälle verzeichnet, darunter eine friedliche Demonstration. Zivilisten waren in zwei Fällen durch IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA betroffen. Insgesamt wurden fünf IED-Angriffe, zwei bewaffnete Auseinandersetzungen und drei Luft-, Drohnenangriffe gegen den IS verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Rawah wurden im Jahr 2021 keine Vorfälle verzeichnet.

Im Distrikt ar-Rutba wurden im Jahr 2021 100 Vorfälle verzeichnet, darunter eine gewalttätige Demonstration. Bei zehn Vorfällen waren Zivilisten Opfer von Übergriffen des IS, darunter drei Entführungen. Es wurden 34 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF, PMF und Stammesmilizen) und dem IS verzeichnet, sowie drei Raketenbeschüsse auf den IS durch Sicherheitskräfte. In zehn Fällen wurden ISF und PMF Ziele von IED-Angriffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 39 Vorfälle verzeichnet. Es gab zwei Fälle von Gewalt gegen Zivilsten, darunter eine Entführung. Darüber hinaus wurden unter anderem 15 bewaffnete Auseinandersetzungen hauptsächlich zwischen Sicherheitskräften und dem IS verzeichnet, sowie fünf IED-Angriffe gegen Sicherheitskräfte (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

3

1

7

2 (2)

3

2 (1)

bewaffnete Auseinandersetzungen

14

7

17

14

3

19

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Handgranaten

10

18

18

4

5

8

Artillerie- und Raketenbeschuss

2

6

4

 

2

3

Luft-/Drohnenangriff

5

4

6

2

3

3

Proteste/ friedliche Demonstrationen

 

 

 

 

1

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

 

 

 

2

 

 

Strategische Entwicklungen

44

57

53

25

24

29

Vorfälle gesamt

78

93

105

49

41

64

Anmerkung, Die Kategorie "Strategische Entwicklungen" umfasst z.B. Truppenbewegungen, die Etablierung von Checkpoints, Korridoren und Brücken, die Zerstörung von Unterschlupfen von Aufständischen (IS) und Waffenlagern, Entminung und Entschärfungen von Sprengsätzen und Vorfälle von Beschädigung von Eigentum ohne Opfer).

Im Gouvernement Ninewa, unterteilt in die Distrikte Anah, Falludjah, Haditha, Heet, al-Qa'im, Ramadi, Rawah und ar-Rutba wurden 2021 13 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni fünf Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Anah

 

 

2

 

 

 

Falludjah

2

3

2

2

3

1

Haditha

3

1

4

 

1

 

Heet

 

 

2

 

 

 

al-Qa'im

 

 

2

 

 

 

Ramadi

2

9

2

2

1

1

Rawah

 

 

 

 

 

 

ar-Rutba

3

1

1

3 (2)

1

1 (1)

Vorfälle gesamt

10

14

15

7 (2)

6

3 (1)

Gouvernement Diyala

Das Gouvernement Diyala gilt als ein Zentrum des IS im Irak. Hier hat er im zentralen Distrikt al-Muqdadiyah und im nordöstlich gelegenen Khanaqin de facto die Kontrolle über weite ländliche Gebiete und konzentriert sich darauf, Einheimische und Sicherheitskräfte von diesen Gebieten fernzuhalten (Wing 6.7.2021; vergleiche Wing 2.8.2021). Üblicherweise kommt es in den Distrikten al-Muqdadiyah und Khanaqin zu den meisten Zwischenfällen Diyala (Wing 6.7.2021; vergleiche Wing 2.8.2021). Mit dem Ende des Sommervorstoßes 2021 wurde Diyala wieder zum Hauptschwerpunkt des IS. Im September 2021 begann der IS, den Nordwesten entlang der Grenze zu Salah ad-Din anzugreifen, über die der IS häufig Männer und Material bewegt. Es wird angenommen, dass der IS versucht die de facto Kontrolle über das Grenzgebiet zu erlangen (Wing 4.10.2021).

Im Februar 2021 wurden in Diyala 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und neun Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 30 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 49 Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und zehn der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 31 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und sechs der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten und 15 Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Toten und sieben der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Ein Vorfall wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Bei zwölf der Toten und sechs der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit je neun Toten und Verletzten verzeichnet. Bei sechs der Toten und acht der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden 30 Vorfälle, mit 24 Toten und 37 Verletzten verzeichnet, die alle dem IS zugeschrieben werden. Bei 15 der Toten und 13 der Verletzten handelte es sich um Zivilisten, während die übrigen Opfer Angehöriger der ISF und PMF waren (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden 23 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 45 Verletzten verzeichnet. Alle, bis auf einen Vorfall, werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.11.2021). Am 26.10.2021 erfolgte ein IS-Angriff auf das schiitische Dorf Al Rashad im Distrikt al-Miqdadiyah, bei dem 17 Personen getötet und 26 weitere verletzt wurden. Die meisten Opfer, darunter auch Frauen und Kinder, waren Zivilisten (NRT 26.10.2021; vergleiche Wing 4.11.2021, The National 27.10.2021). Stammesangehörige führten daraufhin einen Vergeltungsschlag gegen das benachbarte Dorf Nahr al-Imam durch. Sie töteten sieben Menschen, setzten 57 Häuser in Brand und zerstörten Anbauflächen. 350 Familien flohen vor der Gewalt (Wing 4.11.2021; vergleiche Al Mada Paper 2.11.2021). Im Oktober 2021 wurden drei Demonstrationen verzeichnet. Zwei verliefen friedlich, eine dritte, die von Anhängern der Fatah-Allianz, die gegen den Ausgang der Parlamentswahlen gerichtet war, wurde durch den Einsatz von Spezialeinheiten aufgelöst (ACLED 2022). Im November 2021 wurden 18 Vorfälle mit acht Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Zwei der Toten und fünf der Verletzten waren Zivilisten, die übrigen Opfer gehören den ISF und PMF an. Die Angriffe konzentrierten sich wieder auf die Distrikte al-Muqdadiyah und Khanaqin (Wing 6.12.2021). Im Dezember 2021 wurden 27 Vorfälle mit 20 Toten und 31 Verletzten verzeichnet. 14 in den Distrikten al-Muqdadiyah und Khanaqin und sieben an der Grenze zu Salah ad-Din (Wing 4.1.2022). Sowohl im November, als auch im Dezember 2021 wurden je zwei weitere friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022)

Im Jänner 2022 wurden in Diyala 14 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, mit 16 Toten und 22 Verletzten. Vier der getöteten Personen waren Zivilisten, ebenso wie eine der verletzten (Wing 7.2.2022). Bei einem der Angriffe handelte es sich um einen der größten IS-Angriffe seit einiger Zeit. Am 21.1.2022, bei einem Angriff auf eine Regimentskommandozentrale im Distrikt al-Khalis im Norden von Diyala wurden elf Soldaten getötet und zehn weitere verwundet (Wing 7.2.2022; vergleiche NRT 21.1.2022).

Im Februar 2022 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und zwölf Verletzten verzeichnet, die alle dem IS zugeschrieben werden (Wing 3.3.2022). Darunter war auch ein Bombenschlag auf ein Jugendcafé in der Nähe des az-Zahraa-Krankenhauses im Distrikt al-Muqdadiyah (Shafaq News 14.2.2022). Im März 2022 wurden zehn Vorfälle mit drei Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Die meisten der Vorfälle fanden wieder in den Distrikten Muqdadiyah und Khanaqin statt (Wing 6.4.2022). Im April waren es 23 Vorfälle mit zehn Toten und 32 Verletzten. Bei zwei der Toten und zwölf der Verletzten handelte es sich um Zivilisten, während die übrigen Opfer Angehöriger der ISF und PMF waren (Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden 24 Vorfälle mit 24 Toten und 30 Verletzten verzeichnet. Davon waren 16 der getöteten und 17 der verletzten Personen Zivilisten (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 wurden zwölf Vorfälle verzeichnet mit fünf Toten und zwölf Verletzten. Wiederum gab es darunter zivile Opfer, nämlich vier Tote und fünf Verletzte (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Diyala im Jahr 2021 565 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 178.

Im Distrikt Baladruz wurden im Jahr 2021 sieben Vorfälle verzeichnet, darunter eine friedliche Demonstration. Bei vier Vorfällen waren Zivilisten Ziele von IS-Attacken. Darüber hinaus wurden drei bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF und PMF) und dem IS registriert, sowie eine IED-Attacke. Im Jahr 2022 wurden bis Juni vier Vorfälle verzeichnet, darunter ein Fall von Gewalt gegen Zivilisten und zwei bewaffnete Auseinandersetzungen (ACLED 2022).

Im Distrikt Ba'quba wurden im Jahr 2021 131 Vorfälle verzeichnet, darunter zwölf friedliche Demonstrationen. In 36 Fällen waren Zivilisten Ziele von Angriffen oder anderweitig betroffen, darunter drei Entführungen. Des Weiteren wurden 34 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF und PMF) und dem IS registriert, sowie sechs Luft-/Drohnenangriffe, 25 IED-Angriffe und elf Vorfälle von Artillerie- und Raketenbeschuss. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 48 Vorfälle verzeichnet, darunter vier friedliche Demonstrationen und eine gewalttätige. Zivilisten waren in sieben Fällen von Gewalt betroffen. Darüber hinaus wurden unter anderem 19 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS und vier IED-Angriffe verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Khalis wurden im Jahr 2021 96 Vorfälle verzeichnet, darunter drei friedliche Demonstrationen und eine gewalttätige. Zivilisten waren in 26 Fällen Opfer von Angriffen, darunter eine Entführung, oder anderweitig betroffen. Darüber hinaus wurden 38 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF und PMF) und dem IS registriert, sowie 14 IED-Angriffe und fünf Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 48 Vorfälle verzeichnet, darunter eine gewalttätige Demonstration und zehn Vorfälle, bei denen Zivilisten Ziele von Gewalt wurden, darunter eine Entführung. Des Weiteren wurden unter anderem 19 bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwei IED-Angriffe und fünf Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen des IS verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Khanaqin (umstritten) wurden im Jahr 2021 55 Vorfälle verzeichnet, darunter sieben friedliche Demonstrationen. in 23 Fällen waren Zivilisten Ziele von Angriffen oder anderweitig betroffen, darunter vier Entführungen. Des Weiteren wurden 61 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF, PMF und Peshmerga) und dem IS registriert, sowie zwölf Luft-/Drohnenangriffe, 16 IED-Angriffe und 18 Vorfälle von Artillerie- und Raketenbeschuss. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 35 Vorfälle verzeichnet. Bei acht dieser Vorfälle waren Zivilisten betroffen. Es wurden zehn bewaffnete Auseinandersetzungen, acht IED-Angriffe, vier Vorfälle von Artillerie- oder Raketenbeschuss, sowie zwei Luft-/Drohnenangriffe verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Kifri (umstritten) wurden im Jahr 2021 25 Vorfälle verzeichnet, wobei bei einem Vorfall Zivilisten betroffen waren. Die übrigen Vorfälle, darunter drei Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen des IS, neun bewaffnete Auseinandersetzungen, fünf Vorfälle von Sprengstoffanschlägen, bzw. IED-Angriffen und fünf Fälle von Raketenbeschuss, gehen überwiegend auf den Konflikt mit dem IS zurück. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 47 Vorfälle verzeichnet, darunter eine gewalttätige Demonstration und neun Vorfälle, bei denen Zivilisten angegriffen oder anderweitig betroffen waren. Im Jahr 2022 wurden bis Juni acht Vorfälle verzeichnet, wobei bei einem Zivilisten betroffen waren. Insgesamt wurden vier bewaffnete Auseinandersetzungen, drei IED-Angriffe und ein Luft-/Drohnenangriff, verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Muqdadiyah wurden im Jahr 2021 145 Vorfälle verzeichnet, darunter sieben friedliche Demonstrationen. In 39 Fällen waren Zivilisten betroffen, darunter Angriffe, IEDs und zwei Entführungen. Darüber hinaus wurden 49 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF und PMF) und dem IS registriert, sowie 22 IED-Angriffe und acht Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss. Die meisten der verzeichneten Vorfälle gehen auf den Konflikt mit dem IS zurück. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 35 Vorfälle verzeichnet, darunter eine friedliche Demonstration und neun Vorfälle, bei denen Zivilisten angegriffen wurden. Des Weiteren wurden unter anderem elf bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwei IED-Angriffe und ein Luft-/Drohnenangriff gegen eine Stellung des IS verzeichnet (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

16 (2)

17 (3)

22 (4)

16 (1)

8 (1)

15

bewaffnete Auseinandersetzungen

43

51

53

47

23

42

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Handgranaten

16

29

29

13

8

13

Artillerie- und Raketenbeschuss

16

9

9

13

4

5

Luft-/Drohnenangriff

14

3

2

15

6

2

Proteste/ friedliche Demonstrationen

3

7

13

7

 

5

Protest mit Intervention

 

 

 

1

 

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

 

 

1

 

 

2

Strategische Entwicklungen

17

33

30

19

28

16

Vorfälle gesamt

125

149

159

132

77

101

Im Gouvernement Diyala, unterteilt in die Distrikte Baladruz, Ba'quba, al-Khalis, Khanaqin, Kifri und al-Muqdadiyah wurden 2021 71 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 23 Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Baladruz

1

 

3

 

 

 

Ba'quba

9 (2)

10

12 (1)

5

4

4

al-Khalis

6

7

6

7 (1)

3 (1)

7

Khanaqin

4

9 (1)

8 (2)

2 (1)

3

5

Kifri

2

 

 

 

1

 

al-Muqdadiyah

6

14 (2)

9 (1)

10

2

7

Vorfälle gesamt

28 (2)

40 (3)

38 (4)

24 (1)

13 (1)

23

Gouvernement Kirkuk

Das Gouvernement Kirkuk zählt auch zu den Schwerpunkten des IS (Wing 2.8.2021). Der IS reorganisiert sich in den umstrittenen Gebieten des Gouvernements Kirkuk. Kleine Gruppen von IS-Kämpfern attackieren Kontrollpunkte von Militär und Polizei, ermorden lokale Anführer und greifen das Elektrizitätsnetz und die Erdöl-Anlagen an. Die hügeligen und gebirgigen Gebiete in Kirkuk bieten dabei einen perfekten Rückzugsort (K24 12.7.2021). Da der Süden Kirkuks nie vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, finden hier auch üblicherweise die meisten Gewalttaten des IS statt (Joel Wing 3.5.2021).

Im Februar 2021 wurden in Kirkuk acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 20 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten handelt es sich um einen Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit fünf Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Es befanden sich keine Zivilisten unter den Opfern (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 24 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten handelt es sich um einen Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 20 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 19 Toten und 34 Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle und ein Verletzter waren Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle waren Zivilisten (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und vier der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden im 20 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und neun der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden sieben Vorfälle mit zehn Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Acht verletzte waren Zivilisten, während die übrigen Opfer Mitglieder der ISF waren (Wing 4.10.2021). Bei einem der Angriffe, einem Überfall auf ein Dorf im Distrikt Serklan, am 2.9.2021, wurde ein Soldat getötet, sieben weitere wurden verletzt und der Sohn des Dorfvorstehers wurde entführt (NINA 2.9.2021). Im Oktober verzeichnete Kirkuk 13 Vorfälle mit neun Toten und acht Verletzten. Fünf der Toten waren Zivilisten, während die übrigen Opfer den Peshmerga, den ISF und den PMF angehörten (Wing 4.11.2021). Im Oktober 2021 wurden fünf Demonstrationen verzeichnet, von denen drei friedlich verliefen. Am 12.10.2021 kam es jedoch zu Zusammenstößen zwischen ISF und Anhängern der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) im Viertel Shorja in Kirkuk Stadt, wobei 29 Randalierer festgenommen wurden. Bei einem weitern Vorfall am selben Tag, im Viertel Rahimawa, rissen kurdische Randalierer eine irakische Flagge von einem der Polizeifahrzeuge und schossen in die Luft. Bei keinem der Vorfälle gab es Verletzte (ACLED 2022). Im November 2021 wurden acht Vorfälle mit drei Toten und neun Verletzten verzeichnet (Wing 6.12.2021). Zwei Demonstrationen verliefen friedlich (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden neun Vorfälle mit jeweils zehn Toten und Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle und vier der Verletzten waren Zivilisten (Wing 4.1.2022). Des Weiteren gab es eine friedliche Demonstration (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden in Kirkuk zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, mit sechs Toten und zwölf Verletzten. Bei zwei der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 7.2.2022). Der Angriff auf das Büro des zweiten stellvertretenden Sprechers des irakischen Parlaments in Kirkuk wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022; vergleiche Al Sumaria 19.1.2022). Im Jänner 2021 ist die Polizei gegen protestierende Journalisten vorgegangen, die der Polizei vorwarfen das Telefon eines NRT-Reporters am Vortag zerstört zu haben (ACLED 2022). Im Februar 2022 wurden drei Vorfälle mit fünf Verletzten verzeichnet, die allesamt dem IS zugeschrieben werden (Wing 3.3.2022). Darunter war ein Handgranatenangriff auf das Haus eines Mitglieds der kurdischen Asayish-Sicherheitskräfte in al-Faylaq, in Kirkuk Stadt (Shafaq News 11.2.2022; vergleiche Wing 3.3.2022). Im März 2022 wurden acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit fünf Toten und sechs Verletzten verzeichnet (Wing 6.4.2022). Nur einer der Vorfälle, ein Mordversuch an einem KDP-Vertreter, ereignete sich in Kirkuk Stadt (Wing 6.4.2022; vergleiche Bas News 8.3.2022). Im April 2022 ist die Zahl der verzeichneten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf 23 angestiegen, mit fünf Toten und 16 Verletzten. Unter den Vorfällen waren unter anderem zwei Angriffe auf Polizeistationen, drei Schießereien mit der Armee und ein Mordanschlag auf den Kommandeur der 5. Division der Bundespolizei in Kirkuk (Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden 13 Vorfälle mit 13 Toten und sieben Verletzten verzeichnet (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 war es nur ein Vorfall ohne Opfer (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Kirkuk im Jahr 2021 375 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 107.

Im Distrikt Daquq wurden im Jahr 2021 156 Vorfälle verzeichnet. In zwölf Fällen waren Zivilisten betroffen, davon fünf Entführungen durch den IS. Darüber hinaus wurden unter anderem 65 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS verzeichnet, sowie 15 IED-Angriffe, sechs Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss, sowie 16 Luft-/Drohnenangriffe auf Stellungen des IS. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 57 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in sieben Fällen betroffen, in fünf Fällen durch Entführungen durch den IS. Des Weiteren wurden 28 bewaffnete Auseinandersetzen zwischen Sicherheitskräften und dem IS, sechs IED-Angriffe, drei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss, sowie sechs Luft-/Drohnenangriffe auf Stellungen des IS verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Dibis wurden im Jahr 2021 156 Vorfälle verzeichnet. In fünf Fällen waren Zivilisten betroffen, davon drei Entführungen. Des Weiteren wurden 13 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS, acht IED-Angriffe, drei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie ein Luft-/Drohnenangriff auf eine Stellungen des IS verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwölf Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren bei drei Vorfällen betroffen, darunter eine Entführung. Darüber hinaus wurden vier bewaffnete Auseinandersetzen zwischen Sicherheitskräften und dem IS verzeichnet, sowie zwei IED- und Handgranatenangriffe, ein Fall von Artilleriebeschuss und zwei Luft-/Drohnenangriffe auf Stellungen des IS (ACLED 2022).

Im Distrikt Hawijah wurden im Jahr 2021 55 Vorfälle verzeichnet. In neun Fällen waren Zivilisten betroffen, davon eine Entführung. Des Weiteren wurden 24 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS - sieben IED-Angriffe und vier Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss - verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni acht Vorfälle vermeldet. Zivilisten waren bei einem Vorfall betroffen. Darüber hinaus wurden vier bewaffnete Auseinandersetzen zwischen Sicherheitskräften und dem IS - ein IED-Angriff, sowie Angriffe auf Stellungen des IS durch Artilleriebeschuss und ein Luftangriff - registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt Kirkuk wurden im Jahr 2021 124 Vorfälle verzeichnet. In 22 Fällen waren Zivilisten betroffen, davon vier Entführungen. Des Weiteren wurden 27 bewaffnete Auseinandersetzen zwischen Sicherheitskräften und dem IS - zwölf IED-Angriffe, zwei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss, sowie 15 Luft-/Drohnenangriffe auf Stellungen des IS - gezählt. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 30 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren bei zehn Vorfall betroffen, darunter eine Entführung. Darüber hinaus wurden acht bewaffnete Auseinandersetzen zwischen Sicherheitskräften und dem IS - drei IED- und Handgranatenangriffe, sowie ein Luftangriff auf eine IS-Stellung - vermerkt (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

bewaffnete Auseinandersetzungen

1 (1)

10 (6)

8 (5)

7 (1)

7 (4)

9 (3)

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Handgranaten

20

39

38

33

14

30

Artillerie- und Raketenbeschuss

3

6

3

3

2

3

Luft-/Drohnenangriff

13

6

6

7

6

4

Proteste/ friedliche Demonstrationen

5

6

1

6

 

1

Protest mit Intervention

2

 

 

 

1

 

exzessive Gewalt gegen Demonstranten

1

 

 

 

 

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

 

2

1

2

 

 

Strategische Entwicklungen

15

35

37

15

10

8

Vorfälle gesamt

67

118

111

79

47

60

Im Gouvernement Kirkuk, unterteilt in die Distrikte Daquq, Dibis, Hawijah und Kirkuk wurden 2021 26 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 16 Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Daquq

 

8 (4)

1

3 (1)

3 (3)

4 (2)

Dibis

 

3 (1)

2 (2)

 

 

3 (1)

Hawijah

 

5

4 (1)

1

1

 

Kirkuk

2 (1)

6 (1)

7 (2)

7

5 (1)

5

Vorfälle gesamt

2 (1)

22 (6)

14 (5)

11 (1)

9 (4)

12 (3)

Gouvernement Ninewa

Ninewa ist eine der Regionen, die dem IS als logistische Drehscheibe dienen (Wing 6.7.2021). Sie wird genutzt, um Personal und Material zwischen Syrien und dem Irak zu bewegen (Wing 7.6.2021). Die Region ist daher üblicherweise relativ ruhig. Die Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen im August 2021 wird als Zeichen einer Kampagne des IS gesehen. Die Mehrheit der Vorfälle betraf Sabotage an Strommasten und den Einsatz von Sprengsätzen (IEDs) (Wing 6.9.2021). Die KRG und die Zentralregierung in Bagdad haben im Oktober 2020 ein Sicherheitsabkommen für Sinjar geschlossen. Um die PKK-Kämpfer zu vertreiben, will die Zentralregierung eine neue bewaffnete Truppe aufbauen, die sich aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert (BS 23.2.2022).

Im Februar 2021 wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten verzeichnet. Es handelt sich bei den drei Toten um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und bei den vier Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und 18 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und 13 der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und neun Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Verletzten verzeichnet. Vier davon waren Zivilisten (Wing 6.7.2021). Unter anderem wurden zwei Strommasten im Südosten Mossuls gesprengt (Wing 6.7.2021; vergleiche NINA 13.6.2021). Im Juli 2021 wurden 13 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei zivilen Toten und 18 Verletzten, davon drei ISF- und acht PMF-Angehörige, verzeichnet (Wing 2.8.2021). Außerdem wurden im Süden Mossuls Strommasten gesprengt (Wing 2.8.2021; vergleiche NINA 1.7.2021). Im August 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und sieben Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und sieben der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet mit vier Toten und acht Verletzten. Ein Drohnenangriff auf eine türkische Basis wird PMF zugeschrieben und als Warnung an die türkische Präsenz im Nordirak gesehen (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden zehn Vorfälle mit acht Toten und neun Verletzten verzeichnet, von denen sechs, bzw. fünf Zivilisten waren (Wing 4.11.2021). Fünf Demonstrationen, die im Oktober verzeichnet wurden, verliefen friedlich (ACLED 2022). Im November 2021 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Alle Opfer waren Zivilisten. Drei der Vorfälle werden pro-iranischen Milizen zugeordnet. Dabei handelt es sich um einen vereitelten IED-Angriff und Raketenbeschüsse von zwei türkischen Militärbasen (Wing 6.12.2021). Es wurde ein friedlicher Protest verzeichnet (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Alle Opfer waren Zivilisten. Einer der Angriffe, ein neuerlicher Raketenbeschuss einer türkischen Basis, wird PMF zugeschrieben (Wing 4.1.2022). Im Dezember 2021 wurden drei Proteste verzeichnet, von denen zwei friedlich verliefen, einer jedoch gewaltätig wurde. Am 12.12.2021 protestierten Demonstranten im Distrikt Sinuni gegen türkische Luftangriffe im Irak. Während der Demonstration eröffneten die Demonstranten das Feuer auf irakische Soldaten und setzten mit Molotow-Cocktails ein Militärfahrzeug in Brand. Die Sicherheitskräfte lösten daraufhin die Demonstration auf. Ein Soldat wurde verletzt (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden in Ninewa sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Todesopfer verzeichnet. Drei der Vorfälle, Raketenbeschüsse von türkischen Basen, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022). Im Jänner 2022 wurde lediglich eine friedliche Demonstration verzeichnet (ACLED 2022). Im Februar 2022 wurden in Ninewa acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Verletzten verzeichnet. Sieben der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, der achte pro-iranischen Milizen (Wing 3.3.2022). Dabei handelt es sich um Raketenbeschuss der türkischen Zlikan Militärbasis (Bas News 3.2.2022; vergleiche Wing 3.3.2022) als Vergeltung für türkische Luftangriffe in den Distrikten Makhmour und Sinjar (Bas News 3.2.2022). Im März 2022 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und sieben Verletzten gezählt. Zehn der Vorfälle werden dem IS, einer pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.4.2022). Bei letzterem handelte es sich neuerlich um Raketenbeschuss der türkischen Zlikan Militärbasis (NRT 30.3.2022; vergleiche Wing 6.4.2022). Der April 2022 sah elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und sechs Verletzten. Sieben der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 11.5.2022). Im Schutz eines Sandsturms haben IS-Kämpfer in den Außenbezirken Mossuls einen Angriff auf Kämpfer der 44. PMF-Brigade (Ansar al-Marja'iya) durchgeführt (Shafaq News 6.4.2022; vergleiche Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und zwölf Verletzten registriert. Acht der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, drei pro-iranischen Milizen (Wing 6.6.2022). Juni 2022 sah zehn Vorfälle mit fünf Verletzten, wobei vier dem IS und sechs pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Ninewa im Jahr 2021 376 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 203.

Im Distrikt al-Ba'adj wurden im Jahr 2021 neun Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in drei Fällen betroffen. Es wurden unter anderem eine bewaffnete Auseinandersetzung, vier IED-Angriffe und ein Luft-/Drohnenangriff der Türkei verzeichnet, bei dem Zivilisten betroffen waren. Im Jahr 2022 wurden bis Juni vier Vorfälle vermerkt. Zivilisten waren in zwei Fällen von Gewalt betroffen. Es wurden je eine bewaffnete Auseinandersetzung, ein IED-Angriff und ein Fall von Artillerie- und Raketenbeschuss verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Hamdaniyah wurden im Jahr 2021 26 Vorfälle verzeichnet, darunter zwei friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren in zehn Fällen betroffen. Es wurden unter anderem drei bewaffnete Auseinandersetzungen, drei IED-Angriffe, sieben Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie drei Luft-/Drohnenangriffe verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni sieben Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in drei Fällen von Gewalt betroffen. Es wurden eine bewaffnete Auseinandersetzung und ein Fall von Artillerie- und Raketenbeschuss verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Hatra wurden im Jahr 2021 13 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in zwei Fällen betroffen. Es wurden unter anderem acht bewaffnete Auseinandersetzungen, zwei IED-Angriffe, zwei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie ein Luft-/Drohnenangriff registriert. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwölf Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in drei Fällen von Gewalt betroffen. Des Weiteren wurden fünf bewaffnete Auseinandersetzungen, ein IED-Angriff und drei Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen des IS gezählt (ACLED 2022).

Im Distrikt Mossul wurden im Jahr 2021 157 Vorfälle verzeichnet, darunter fünf friedliche Demonstrationen und eine gewalttätige. Zivilisten waren in 50 Fällen betroffen, vor allem durch direkte Angriffe und IEDs. Es wurden unter anderem elf bewaffnete Auseinandersetzungen, 54 IED-Angriffe, 15 Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie drei Luft-/Drohnenangriffe registriert. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 66 Vorfälle gezählt, darunter eine friedliche Demonstration. Zivilisten waren in 15 Fällen betroffen. Darüber hinaus wurden acht bewaffnete Auseinandersetzungen, sieben IED-Angriffe, 14 Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss und sieben Luft-/Drohnenangriffe vermerkt, einer davon mutmaßlich durch die türkische Armee gegen ein PMF-Hauptquartier in Jarbuaa (ACLED 2022).

Im Distrikt Sinjar wurden im Jahr 2021 67 Vorfälle gezählt, darunter 27 friedliche und zwei gewalttätige Demonstrationen. in einem weiteren Fall wurde exzessive Gewalt gegen Demonstranten angewandt. Zivilisten waren in 15 Fällen betroffen, darunter drei Entführungen. Es wurden unter anderem sechs bewaffnete Auseinandersetzungen und vier IED-Angriffe verzeichnet. Das Türkische Militär hat acht Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen der PKK und der Widerstandseinheiten Shingal (YBS) ausgeführt. Dabei wurde in einem Fall ein Krankenhaus getroffen und wurden mehrer Personen verletzt. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 68 Vorfälle gezählt, darunter 13 friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren in zwölf Fällen betroffen, darunter zwei Entführungen. Es wurden außerdem 18 bewaffnete Auseinandersetzungen, je drei IED-Angriffe und Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss, sowie acht Luft-/Drohnenangriffe verzeichnet. Letztere ausgeführt durch die türkische Armee gegen Stellungen der PKK und YBS (ACLED 2022).

Im Distrikt Tala’far wurden im Jahr 2021 33 Vorfälle vermerkt, darunter zwei friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren in neun Fällen betroffen, vor allem durch IEDs. Es wurden unter anderem eine bewaffnete Auseinandersetzung und elf IED-Angriffe verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 20 Vorfälle gezählt. Zivilisten waren in neun Fällen betroffen. Es wurden unter anderem zwei bewaffnete Auseinandersetzungen und fünf IED-Angriffe verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Tilkaif wurden im Jahr 2021 acht Vorfälle aufgeführt. Zivilisten waren in fünf Fällen betroffen. Es wurden unter anderem eine bewaffnete Auseinandersetzung und drei IED-Angriffe verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni ebenso acht Vorfälle verzeichnet. In drei Fällen waren Zivilisten betroffen. Die Registrierten Vorfälle umfassen vier bewaffnete Auseinandersetzungen, zwei IED-Angriffe und Raketenbeschuss (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

2

9 (2)

10 (1)

3

8

14 (2)

bewaffnete Auseinandersetzungen

6

7

11

8

11

28

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Handgranaten

14

24

30

14

12

9

Selbstmordanschläge

 

 

 

 

 

1

Artillerie- und Raketenbeschuss

 

4

9

11

6

14

Luft-/Drohnenangriff

10

11

36

16

19

15

Proteste/ friedliche Demonstrationen

18

12

 

8

5

9

Protest mit Intervention

 

 

 

 

1

1

exzessive Gewalt gegen Demonstranten

1

 

 

 

 

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

2

 

 

1

 

 

Strategische Entwicklungen

20

41

22

16

24

26

Vorfälle gesamt

73

108

118

77

86

117

Im Gouvernement Ninewa, unterteilt in die Distrikte Akre, al-Ba'adj, al-Hamdaniyah, al-Hatra, Mossul, Shikhan, Sinjar, Tala’far und Tilkaif wurden 2021 24 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 22 Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Akre (umstritten)

 

 

 

 

 

 

al-Ba'adj

 

 

2

1

 

2

al-Hamdaniyah

 

5

2

3

1

2

al-Hatra

1

 

 

1

2

1

Mossul

9

15

18

8

6

9

Shekhan (umstritten)

 

 

 

 

 

 

Sinjar

 

5 (2)

6 (1)

4

4

8 (2)

Tala’far

1

3

4

1

6

3

Tilkaif

 

1

1

3

1

2

Vorfälle gesamt

11

29 (2)

33 (1)

21

20

27 (2)

Gouvernement Salah ad-Din

Salah ad-Din zählt ebenfalls zu den Schwerpunkten des IS (Wing 2.8.2021). Der IS hat durch Sprengungen von Strommasten zunehmend Angriffe auf das irakische Stromnetz ausgeführt (Wing 6.9.2021)

Im Februar 2021 wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Bei acht der Toten und einem der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, zwei davon IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und Raketenbeschüsse der Balad Luftwaffenbasis, werden pro-iransichen Milizen zugeschrieben (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und sieben der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Raketenbeschüsse der Luftwaffenbasis, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurde 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 22 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Bei den Toten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, zwei davon IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 24 Toten und 41 Verletzten verzeichnet. Bei 13 der Toten und 29 der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Einer der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden 32 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 17 Toten und 31 Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Toten und drei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden acht Vorfälle mit zwei Toten und vier verletzten verzeichnet, die dem IS zugeschrieben werden. Alle Opfer waren Zivilisten (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden elf Vorfälle mit acht Toten und 20 Verletzten erfasst. Fünf der verstorbenen und 15 der verwundeten Personen waren Zivilisten (Wing 4.11.2021). Des weiteren wurden vier friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022). Im November 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und neun Verletzten verzeichnet. Vier, bzw. sieben der Opfer waren Zivilisten. Bei einem größeren Feuergefecht zwischen IS und der 52. PMF-Brigade im Distrikt Amerli wurde auch die irakische Luftwaffe eingesetzt, die das Gebiet bombardierte (Wing 6.12.2021). Im November wurden zwei friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden sieben Vorfälle mit elf Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Zwei der Getöteten und vier der Verletzten waren Zivilisten. Einer der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 4.1.2022).

Im Jänner 2022 wurden in Salah ad-Din sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit je vier Todesopfern und Verletzten verzeichnet. Dabei handelte es ich bei allen vier Toten und einem der Verwundeten um Zivilisten. Zwei Vorfälle, darunter ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA und ein vereitelter Drohnenangriff auf den Luftwaffenstützpunkt Balad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022; vergleiche NRT 31.5.2022). Im Februar 2022 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten gezählt (Wing 3.3.2022). Im März 2022 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten registriert. Vier der Vorfälle werden dem IS und drei pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Letztere werden unter anderem für zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA verantwortlich gemacht (Wing 6.4.2022). Im April 2022 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 18 Verletzten verzeichnet. 15 Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen (Wing 11.5.2022). Unter anderem wurden bei einem Angriff auf ein PMF-Lager zwei Milizionäre getötet (Shafaq News 16.4.2022; vergleiche Wing 11.5.2022). Weiters konnten zwei IS-Angriffe auf eine ISF-Militärbasis in Dujail und auf eine PMF-Position in den Hamrin Bergen abgewehrt werden (Xinhua 25.4.2022). Im Mai 2022 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und einem Verletzten vermerkt. Acht der Vorfälle werden dem IS, einer pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 waren es sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und drei Verletzten. Vier der Vorfälle werden dem IS, zwei pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Salah ad-Din im Jahr 2021 308 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 126.

Im Distrikt al-Daur wurden im Jahr 2021 43 Vorfälle gezählt. In einem Fall waren Zivilisten betroffen. Es wurden unter anderem 13 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS, vier IED-Angriffe sowie 18 Luft-/Drohnenangriffe gegen IS-Stellungen verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 31 Vorfälle verzeichnet, darunter ein Fall von Gewalt gegen Zivilisten. Des weiteren wurden unter anderem 16 bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwei IED-Angriffe und sieben Luft-/Drohnenangriff gegen eine IS-Stellungen registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Faris wurden im Jahr 2021 und bis Juni Jahr 2022 keine Vorfälle verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Shirqat wurden im Jahr 2021 neun Vorfälle registriert, darunter sechs Fälle bei denen Zivilisten betroffen waren. Es wurden unter anderem zwei bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS und ein IED-Angriff gegen Sicherheitskräfte verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwei Vorfälle verzeichnet, darunter ein IED-Angriff der Zivilisten betroffen hat und eine bewaffnete Auseinandersetzung (ACLED 2022).

Im Distrikt Baiji wurden im Jahr 2021 46 Vorfälle aufgelistet, darunter vier friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren bei neun Fällen betroffen. Darüber hinaus wurden 21 bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, fünf IED-Angriffe gegen Zivilisten und Sicherheitskräfte und sechs Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss gegen Koalitionstruppen und Sicherheitskräfte verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 15 Vorfälle gezählt. Bei zwei dieser Vorfälle waren Zivilisten betroffen. Es wurden des Weiteren acht bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwei IED-Angriffe und ein Luft-/Drohnenangriff gegen eine IS-Stellungen registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt Balad wurden im Jahr 2021 28 Vorfälle verzeichnet, darunter eine friedliche Demonstration. Zivilisten waren bei fünf Fällen betroffen. Des Weiteren wurden acht bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, fünf IED-Angriffe gegen Zivilisten und Sicherheitskräfte, zwei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss und drei Luft-/Drohnenangriffe gegen IS-Stellungen vermerkt. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zehn Vorfälle gezählt. Zivilisten waren bei drei Vorfällen betroffen. Es wurde eine bewaffnete Auseinandersetzung, drei IED-Angriffe und zwei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt Samarra wurden im Jahr 2021 57 Vorfälle gezählt, darunter zwei friedliche Demonstrationen. In elf Fällen waren Zivilisten durch direkte Angriffe oder durch IEDs betroffen. Darüber hinaus wurden 17 bewaffnete Auseinandersetzungen, überwiegend mit dem IS verzeichnet, sowie sechs IED-Angriffe, vier Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss und fünf Luft-/Drohnenangriffe gegen IS-Stellungen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 27 Vorfälle gezählt, wobei in zwei Fällen Zivilisten betroffen waren. Es wurden außerdem elf bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwei IED-Angriffe und vier Luft-/Drohnenangriffe gegen IS-Stellungen registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt Tikrit wurden im Jahr 2021 70 Vorfälle verzeichnet, darunter drei friedliche Demonstrationen und ein Fall von exzessiver Gewalt gegen Demonstranten. Zivilisten waren bei 14 Fällen betroffen. Des Weiteren wurden 16 bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwölf IED-Angriffe gegen Zivilisten und Sicherheitskräfte, sowie zwölf Luft-/Drohnenangriffe gegen IS-Stellungen vermerkt. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 28 Vorfälle gezählt. Zivilisten waren in zehn Fällen von Gewalt betroffen, darunter eine Entführung und neun IED-Angriffe. Darüber hinaus wurden fünf bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem IS, zwölf IED-Angriffe gegen Sicherheitskräfte und Versorgungskonvois der USA, sowie drei Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen des IS registriert (ACLED 2022).

Im Distrikt Tuz Khurmatu wurden im Jahr 2021 55 Vorfälle verzeichnet, darunter eine friedliche Demonstration. In elf Fällen waren Zivilisten betroffen, besonders durch IED-Angriffe. Es wurde auch eine Entführung registriert. Unter anderem wurden 15 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS, 13 IED-Angriffe, drei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss und drei Luft-/Drohnenangriffe gegen IS-Stellungen verbucht. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 13 Vorfälle verzeichnet, darunter sechs bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS und zwei IED-Angriffe (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

4 (1)

5

8

3

2 (1)

2

bewaffnete Auseinandersetzungen

18

25

27

23

23

25

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Handgranaten

12

18

14

3

9

15

Artillerie- und Raketenbeschuss

4

7

3

2

3

1

Luft-/Drohnenangriff

12

14

1

14

11

4

Proteste/ friedliche Demonstrationen

1

4

 

6

 

 

Proteste/ exzessive Gewalt gegen Demonstranten

 

 

 

1

 

 

Strategische Entwicklungen

18

18

30

13

19

12

Vorfälle gesamt

69

91

83

65

67

59

Im Gouvernement Salah ad-Din, unterteilt in die Distrikte al-Daur, al-Faris, al-Shirqat, Baiji, Balad, Samarra, Tikrit und Tuz Khurmatu wurden 2021 20 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni vier Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

al-Daur

 

 

1

 

 

1

al-Faris

 

 

 

 

 

 

al-Shirqat

 

1

5

1

1

 

Baiji

 

3

 

2

 

2

Balad

4

2

2

3

3

1

Samarra

3

5

3

2

2

 

Tikrit

1

4

7

2

4 (1)

6

Tuz Khurmatu

5 (1)

4

1

1

 

 

Vorfälle gesamt

13 (1)

19

19

11

10 (1)

10

Sicherheitslage Südirak

Letzte Änderung: 22.08.2022

Im Südirak ist Gewalt durch den Islamischen Staat (IS) praktisch kaum präsent (CGRA 20.3.2020). Angriffe des IS werden hauptsächlich in Jurf an-Nasr im Nordwesten des Gouvernements Babil verzeichnet. Dieser Distrikt dient der Kata'ib Hizbollah, einer Miliz der Volksmobilisierungskräfte (PMF), als Basis (Wing 2.8.2021).

Schiitische Milizen werden häufig für Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA verantwortlich gemacht, insbesondere in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Qadisiyah und Muthanna. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).

Ab Oktober 2019 fanden im Südirak Massenproteste statt, bei denen es in den Jahren 2019 und 2020 zu gewaltsamen Übergriffen und zu Morden gekommen ist (UNAMI 5.2021). [Anm.: Weiterführende Informationen können dem Kapitel Protestbewegung entnommen werden.]

Gouvernement Babil

Babil ist für die Aufständischen des IS ein Nebenschauplatz (Wing 6.12.2021) und ein einfaches Ziel, zu dem sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere zu Jurf an-Nasr Anmerkung, vormals Jurf al-Sakhr), in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019; vergleiche Wing 4.10.2021).

Im Jänner 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Verletzten verzeichnet. Sechs der Vorfälle, alles Angriffe im Distrikt Jurf al-Sakh, der als Basis für die PMF Kata'ib Hizbollah dient, werden dem IS zugeschrieben. Drei weitere Vorfälle - IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA - werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Ein Vorfall, die Ermordung eines PMF-Kommandanten, wird dem IS zugeschrieben. Drei weitere Vorfälle - IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA - werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten verzeichnet. Ein Vorfall, die Ermordung eines PMF-Kommandanten, wird dem IS zugeschrieben, während fünf Vorfälle - IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA - pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden in Babil acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Verletzten verzeichnet. Drei Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, während fünf Vorfälle - IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA - pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden in Babil fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit je einem Toten und einem Verletzten verzeichnet. Drei der Vorfälle werden dem IS-zugeschrieben, zwei - IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA - pro-iranischen Milizen (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall ohne Opfer verzeichnet (Wing 6.7.2021). Zwei bewaffnete Personen wurden durch ihre eigene IED verletzt, als sie versuchten Jurf an-Nasr über die Anbar Wüste zu infiltrieren (NINA 10.6.2021). Im Juni wurden außerdem fünf Mitglieder einer IS-Zelle wegen Terrorismusvorwürfen verhaftet, die gestanden haben, für die Ermordung eines Bürgers und für mehrere Anschläge gegen Sicherheitskräfte verantwortlich gewesen zu sein (Anadolu 26.6.2021). Im Juli 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem zivilen Toten und zwei Verletzten, davon drei ISF-Angehörige verzeichnet. Bei drei der Vorfälle handelte es sich um Angriffe des Islamischen Staates (IS) auf das nordwestliche Jurf an-Nasr. Drei Vorfälle, darunter zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Im August wurden zwölf Vorfälle verzeichnet, mit vier Toten und zwei Verletzten. Bei einem der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, darunter die Ermordung eines PMF-Kommandanten, während neun Vorfälle - IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA - pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden sieben Vorfälle verzeichnet, mit je zwei Toten und Verwundeten. Bei dreien handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 4.10.2021). Oktober 2021 sah einen Vorfall, der pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird. Eine IED wurde entschärft (Wing 4.11.2021). Im November 2021 wurden fünf Vorfälle mit einem Toten verzeichnet. Zwei der Vorfälle werden pro-iranischen Milizen, drei dem IS zugeschrieben (Wing 6.12.2021). Im Dezember 2021 wurden acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit je einem Toten und Verletzten verzeichnet. Sechs opferlose IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA werden den pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Zwei IED-Angriffe des IS in Jurf an-Nasr führten zu den beiden Opfern (Wing 4.1.2022). Im Oktober und November 2021 wurde jeweils ein friedlicher Protest verzeichnet (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten verzeichnet. Sechs dieser Vorfälle werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Es gab fünf IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, eine weitere IED konnte entschärft werden. Dem IS werden drei Vorfälle zugeschrieben, darunter ein Angriff auf PMF in Jurf an-Nasr und ein Bombenangriff auf eine Moschee (Wing 7.2.2022). Des Weiteren wurde im Jänner 2022 ein friedlicher Protest verzeichnet (ACLED 2022). Im Februar 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Verletzten verzeichnet. Je ein Vorfall wird dem IS und pro-iranischen Milizen zugerechnet (Wing 3.3.2022). Der IS wird für einen IED-Angriff in Jurf an-Nasr verantwortlich gemacht, bei dem zwei PMF-Angehörige verwundet wurden (NINA 10.2.2022; vergleiche Wing 3.3.2022), pro-iranische Milizen haben neuerlich einen Versorgungskonvoi der USA mit einer IED angegriffen (Wing 3.3.2022). Im März 2022 gab es einen IED-Angriff des IS gegen den Kata'ib Hizbollah-Stützpunkt, bei dem ein Milizionär verwundet wurde (Wing 6.4.2022). Im April 2022 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Verwundeten verzeichnet. Fünf, darunter drei Sprengstoffanschläge und eine Schießerei in Jurf an-Nasr werden dem IS zugeschrieben, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA wird pro-iranischen Milizen zulasten gelegt (Wing 11.5.2022). Auch im Mai 2022 wurde ein Versorgungskonvoi der USA von pro-iranischen Milizen mittels einer IED angegriffen (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Verwundeten PMF-Angehörigen verzeichnet, die dem IS zugeschrieben werden (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Babil im Jahr 2021 116 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 39.

Im Distrikt al-Mahawil wurden im Jahr 2021 sieben Vorfälle verzeichnet. Bei vier dieser Vorfälle waren Zivilisten Opfer von gezielter Gewalt oder durch den Vorfall ebenfalls betroffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni drei Vorfälle verzeichnet. Darunter zwei IED-Angriffe, wobei bei einem Zivilisten betroffen waren (ACLED 2022)

Im Distrikt al-Musayab wurden im Jahr 2021 37 Vorfälle verzeichnet. Bei vier dieser Fälle waren Zivilisten betroffen. Es wurden außerdem 14 Vorfälle mit Beteiligung des IS verzeichnet, darunter acht bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ISF und PMF mit dem IS in Jurf an-Nasr, sowie 14 IED-Angriffe, die ebenfalls in Jurf an-Nasr stattfanden. Im Jahr 2022 wurden bis Juni neun Vorfälle verzeichnet. Es handelte sich dabei wiederum insbesondere um bewaffnete Auseinandersetzungen und IED-Angriffe in Jurf an-Nasr (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Hashimiyah wurden im Jahr 2021 acht Vorfälle verzeichnet. Bei drei dieser Vorfälle handelte es sich um Gewalt gegen Zivilsten. Bei einem weiteren Vorfall, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, waren ebenfalls Zivilisten betroffen. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwei Vorfälle verzeichnet. Bei beiden waren Zivilisten betroffen (ACLED 2022).

Im Distrikt Hillah wurden im Jahr 2021 64 Vorfälle verzeichnet. 27 dieser Vorfälle waren IED-Angriffe vor allem gegen Versorgungskonvois der USA. Bei 29 Vorfällen waren Zivilisten betroffen, insbesondere durch IEDs im Zusammenhang mit den Angriffen auf die Versorgungskonvois. Bei einem weiteren Vorfall handelte es sich um einen Fall von gezielter Gewalt gegen Zivilsten. Des Weiteren wurden zwölf friedliche und acht gewalttätige Demonstrationen verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 2022 27 Vorfälle registriert. Bei 19 dieser Vorfälle waren Zivilisten ebenfalls betroffen. Es handelte sich dabei überwiegend um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (ACLED 2022).

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen)

1

2

3

 

1

2

bewaffnete Auseinandersetzungen

2

3

9

 

2

3

Sprengstoffanschläge, Landminen, IEDs, Granaten

13

8

15

9

12

6

Artillerie- und Raketenbeschuss

1

 

 

 

 

 

Proteste/ friedliche Demonstrationen

4

8

 

2

3

 

Protest mit Intervention

 

 

 

 

 

 

Proteste/ exzessive Gewalt gegen Demonstranten

 

1

 

 

 

 

gewalttätige Demonstrationen/ Aufstände/ Mobgewalt

5

4

 

 

1

1

Strategische Entwicklungen

4

8

10

4

3

5

Vorfälle gesamt

30

34

37

15

22

17

Anmerkung, Die Kathegorie "Strategische Entwicklungen" umfasst z.B. Truppenbewegungen, die Etablierung von Checkpoints, Korridoren und Brücken, die Zerstörung von Unterschlupfen von Aufständischen (IS) und Waffenlagern, Entminung und Entschärfungen von Sprengsätzen und Vorfälle von Beschädigung von Eigentum ohne Opfer).

Im Gouvernement Babil, unterteilt in die Distrikte al-Mahawil, al-Musayab, al-Hashimiyah und Hillah wurden 2021 sechs Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians"), verzeichnet. 2022 waren es bis Juni drei Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Gewalt gegen Zivilisten (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

1.-3.2021

4.-6.2021

7.-9.2021

10.-12.2021

1.-3.2022

4.-6.2022

al-Mahawil

1

1

1

 

1

 

al-Musayab

2

 

2

 

 

 

al-Hashimiyah

1

2

1

 

1

1

Hillah

3

8

4

6

9

10

Vorfälle gesamt

7

11

8

6

11

11

Gouvernement Basra

(…)

Gouvernement Dhi-Qar

(…)

Gouvernement Kerbala

(…)

Gouvernement Muthanna

(…)

Gouvernement Najaf

(…)

Gouvernement Qadisiyah

(…)

Gouvernement Wasit

(…)

Rechtsschutz / Justizwesen

Rechtsschutz / Justizwesen im Föderal Irak

Letzte Änderung: 11.08.2022

Die irakische Gerichtsbarkeit ist in drei Bereiche unterteilt:

1.       Die ordentliche Justiz, bestehend aus dem Obersten Justizrat, dem Kassationsgerichtshof, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Kassationsgerichtshofs, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtsbehörde und dem Berufungsgericht (BS 23.2.2022, S.13; vergleiche Fanack 8.7.2020).

2.       die Verfassungsgerichtsbarkeit, welche durch das oberste Bundesgericht erfüllt wird (BS 23.2.2022, S.13; vergleiche AA 25.10.2021, Sitzung 8).

3.       eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, welche die Militärgerichtsbarkeit, Gerichte der inneren Sicherheitskräfte und die Gerichte des Obersten Justizrats umfasst (BS 23.2.2022, S.13).

Das Rechtssystem basiert auf einer Mischung aus zivilem und islamischem Recht (Fanack 8.7.2020).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vergleiche AA 25.10.2021, S.8, USDOS 12.4.2022, GIZ 1.2021a, BS 23.2.2022, S.13), jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 12.4.2022). Die Justiz wird von mächtigen politischen Eliten und Parteien politisiert (BS 23.2.2022, S.13; vergleiche FH 28.2.2022). Sie ist von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang zu diesen wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 28.2.2022).

Premierminister al-Kadhimi hat die Justiz erfolgreich entpolitisiert, indem er sich nicht in ihre Angelegenheiten eingemischt hat und auch anderen politischen Parteien nicht erlaubt, dies zu tun (BS 23.2.2022, S.13).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 12.4.2022) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vergleiche HRW 13.1.2022). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 12.4.2022).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 12.4.2022).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern (AA 25.10.2021, S.12). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 28.2.2022). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt (AA 25.10.2021, S.22). Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen erheblich ausgedehnt (AA 25.10.2021, S.22; vergleiche HRW 13.1.2022). Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden (AA 25.10.2021, S.22). Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 25.10.2021, S.12). Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 25.10.2021, S.22).

Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden, dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anzugehören (FH 28.2.2022; vergleiche HRW 13.1.2022). Menschenrechtsgruppen kritisierten, insbesondere in Terrorismusverfahren, die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (HRW 13.1.2022; vergleiche CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 12.4.2022). 2018 dauerten einige Prozesse, die ein Todesurteil zur Folge hatten, nur etwa 20 Minuten und Hunderte von Familienangehörigen mutmaßlicher IS-Kämpfer wurden willkürlich inhaftiert (FH 28.2.2022). Anwälte, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, berichten bedroht zu werden (USDOS 30.3.2021).

In den von Bagdad kontrollierten Gebieten können Kinder ab dem Alter von neun Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt (HRW 13.1.2022). Ein Komitee in Mossul verbesserte den Umgang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Kindern, die verdächtigt werden, dem IS anzugehören (HRW 13.1.2021).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen haben demnach gegen Strafgesetze verstoßen. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht. Eine Beurteilung ist kaum möglich, aufgrund mangelnder Transparenz seitens der Regierung, Korruption während der Verfahren und wegen des eingeschränkten Zugangs zu Gefangenen, insbesondere solchen, die in Einrichtungen der Terrorismusbekämpfung, der Geheimdienste und des Militärs inhaftiert sind (USDOS 12.4.2022).

Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018; vergleiche UK Home Office 2.2020). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).

In Ermangelung von Recht und Ordnung - oder zumindest des Vertrauens in das Rechtssystem - greifen immer mehr Iraker auf die Stammesjustiz zurück (AW 29.6.2019; vergleiche FH 28.2.2022, UK Home Office 3.2021). Stammesgerichte beschäftigen sich mit kommerziellen und kriminellen Angelegenheiten, Diebstahl, bewaffneten Konflikten, Körperverletzung und Mord sowie deren Beilegung durch Entschädigungszahlungen (Blutgeld oder diya), den Austausch von Frauen und Mädchen, Heirat und Vergeltung (UK Home Office 3.2021).

Im südirakischen Basra berichten Einwohner über sogenannte "degga ashairiya" (Stammeswarnungen). Bei diesem alten Brauch zur Beilegung von Streitigkeiten versammeln sich bewaffnete Angehörige eines Stammes vor dem Haus eines Angehörigen eines gegnerischen Stammes und beschießen dieses, bis sich dieser bereit erklärt, herauszukommen und einen Streit durch Verhandlungen beizulegen. Wenn er sich weigert zu verhandeln oder keine Einigung erzielt wird, kann dies zu mehr Gewalt und manchmal auch zu Todesopfern führen (AW 29.6.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen in der Kurdistan Region Irak (KRI)

(…)

Sicherheitskräfte und Milizen

Letzte Änderung: 11.08.2022

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Statt des Bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS).

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land. Obwohl sie Teil der irakischen Sicherheitskräfte sind und Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der Regierung erhalten, operieren sie oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 12.4.2022; vergleiche BS 23.2.2022), insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 12.4.2022). Außerdem wird die staatliche Kontrolle über das gesamte irakische Territorium durch die Dominanz der PMF, durch verbliebene IS-Kämpfer, durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Reihe von Stämmen, Clans und andere Milizen und schließlich durch die militärischen Interventionen regionaler Mächte, insbesondere des Iran, Israels und der Türkei, beeinträchtigt (BS 23.2.2022).

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Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Letzte Änderung: 11.08.2022

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 12.4.2022).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000 bis 185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitreichend (AA 25.10.2021, S.9).

Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 12.4.2022). Den Sicherheitskräften werden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt: Im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints, wurden nach 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer gefangen genommen (AA 25.10.2021, S.9).

Nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 klagten mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt auch durch Sicherheitskräfte der Regierung (DFAT 17.8.2020, S.20).

Die irakischen Sicherheitskräfte, Armee, Bundes- und lokale Polizei werden bei ihrer Professionalisierung durch internationale Militär-und Polizeiausbildung unterstützt (AA 25.10.2021, S.9).

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Letzte Änderung: 11.08.2022

Der Name "Volksmobilisierungskräfte" (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 12.4.2022; vergleiche FPRI 19.8.2019, Clingendael 6.2018, S.1f, Wilson Center 27.4.2018), die, je nach Quelle, zwischen 45.000 und 142.000 Kämpfer umfassen (ICG 30.7.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgutachtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf gegen den vorrückenden Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016, S.2-4; vergleiche TCF 5.3.20218, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volksmobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016, S.4). Alle PMF sind offiziell dem Vorsitzenden des Ausschusses für Volksmobilisierung und somit letztlich dem Premierminister unterstellt. In der Praxis unterstehen mehrere Einheiten auch dem Iran und seinem Korps der Islamischen Revolutionsgarden (USDOS 12.4.2022).

Die PMF sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwerken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (CH 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.3f). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3). Die PMF haben nach dem erfolgreichen Kampf gegen den IS, der israelisch-iranischen Eskalation und dem Rückzug der USA aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPOA, "Atomabkommen") mit dem Iran im Jahr 2018 enorm an Einfluss gewonnen (BS 23.2.2022, Sitzung 7).

Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Milizen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu Letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen "Sinjar Widerstandseinheiten". Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3f). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind im Allgemeinen in oder in der Nähe ihrer Heimatregionen tätig (USDOS 12.4.2022).

Die PMF wurden im Dezember 2016 (erstmals) formell in die irakischen Streitkräfte integriert (AA 22.1.2021, S.16; vergleiche FPRI 19.8.2019). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als "unabhängig" definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 25.10.2021, S.15; vergleiche FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1000 IT 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppierungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF-Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (WI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 25.10.2021, S.16).

Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen haben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (CH 2.2021, S.2).

Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (Süß 21.8.2017). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6).

Insbesondere mit dem Iran verbündete Einheiten operieren im ganzen Land oft außerhalb der Kontrolle der Regierung oder gar in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022). Selbiges gilt auch für die (offizielle) PMF-Kommission (USDOS 12.4.2022), welche wiederum tendenziell pro-iranische Gruppen bevorzugt hat (ICG 30.7.2018). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 12.4.2022). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hezbollah und Harakat Hezbollah an-Nujaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (USDOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata'ib Hezbollah und der Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlaufe des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021).

Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (CH 2.2021, Sitzung 18f).

Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ihrem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch den Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitäten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ bescheiden (Clingendael 6.2018, S.7f). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (CH 2.2021, S.19). - Darüberhinaus aquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus halb-legalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Abgaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (CH 2.2021, S.29-31). Außer durch die Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mithilfe der Organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der Organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat (Posch 8.2017).

Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Polarisierungen. Es wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte von Anwohnern, Menschenrechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). So klagten nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt durch PMF-Gruppen (DFAT 17.8.2020, S.20). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 12.4.2022). Die Medien meldeten zahlreiche Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk eindrangen, sie plünderten und niederbrannten (DFAT 17.8.2020, S.20, 26, 32). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit dem Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl. Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF-Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus konfessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehörigen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 12.4.2022). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, angeblich aus Rache für Verbrechen seitens des IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 2.6.2022).

Einige PMF-Einheiten in den südlichen Gouvernements Najaf und al-Qadisiya sollen Kinder rekrutiert und militärische Ausbildungslager für Schüler unter 18 Jahren gesponsert haben. Einige mit dem Iran verbündete PMF-Gruppen, insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und Harakat Hizbollah an-Nujaba (HHN), rekrutierten weiterhin Burschen unter 18 Jahren für den Kampf in Syrien und im Jemen (DFAT 17.8.2020, S.47).

Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwortlich waren (EASO 10.2020, S.31; vergleiche WI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischen Saraya Talia al-Khorasani, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, Asa'ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf Demonstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (WI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriyah und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres wurden 56 Aktivisten gewaltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktion gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (Al Monitor 8.1.2021).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdistan Region Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Anlässlich der sozialen Proteste zeigten die PMF ihre Fähigkeit, Kritiker zu verfolgen. Beispielsweise können kritische Kommentare in sozialen Medien zur Verfolgung seitens Asa‘ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hezbollah oder der Saraya as-Salam führen, welche im Stande sind, die Personen ausfindig zu machen und sie anschließend zu bedrohen und zu attackieren. Namentlich Kata’ib Hizbollah kann jeden ins Visier nehmen und kennt etwa die Namen aller, die über den internationalen Flughafen einreisen (AQ1 27.5.2021).

Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (CH 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Abu Mahdi Al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 21.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata'ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 21.2.2020; vergleiche MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels innerhalb der Hashd ash-Sha'bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten "Muhandis-Kern" zugeordnet werden (Warsaw Institute 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 21.2.2020).

Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entscheidung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einheiten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verantwortlich sind (Warsaw Institute 9.7.2020; vergleiche AAA 23.4.2020, Al Monitor 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreis der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (Al Monitor 4.12.2020; vergleiche Diyaruna 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (Diyaruna 22.2.2021).

Diese fortschreitende Zersplitterung der PMU lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Einer der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (AIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak Al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata'ib Hizbollah, die ihn als den unrechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, vom Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervortun (AIIA 12.1.2021).

Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji'iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji'i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vergleiche ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini "Schrein"-Milizen bzw. Saraya al-'Atabat (kurz: Atabat) (WI 5.2.2021; vergleiche ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala'i bezeichnet werden - wala' ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.3f).

Pro-iranische Milizen: al-Hashd al-Wala'i / al-Muqawama al-Islamiyya

Das Lager, welches u.a. als al-Hashd al-Wala'i bezeichnet wird, umfasst jene PMF-Formationen, die entweder mit dem Iran verbündet sind oder mit ihm zusammenarbeiten, und die innerhalb der PMF sowohl quantitativ als auch qualitativ die Oberhand haben (EUI 6.2020, S.3). Die vom Iran unterstützten irakischen Milizen bezeichnen sich selbst auch als al-Muqawama al-Islamiyya - der islamische Widerstand - Widerstand vor allem gegen die US-geführten Koalitionstruppen, meist in Form von Raketen- und Sprengstoffangriffen (JS 12.4.2021). Jene PMF (bzw. deren Vertreter), welche im Februar 2020 das Wahlkomitee zur Bestimmung eines neuen stellvertretenden Vorsitzenden nach dem Tode Muhandis bildeten, gelten als die wichtigsten Iran-affinen Milizen. Diese sind: Kata'ib Hizbollah, die Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und Kata'ib Jund al-Imam (WI 23.3.2020, S.23; vergleiche ICG). Hinzu kommen noch Harakat Hizbollah an-Nujaba (Bewegung der Partei Gottes der Noblen) (ICG 30.7.2018, S.3), mit mindestens 1.500 Kämpfern, auch in Syrien aktiv (WI 23.3.2020, S.110, 204) und eine der kampferfahrensten Milizen und stark seitens des Iran gefördert (ITIC 8.1.2020), sowie die Kata’ib Imam Ali (Bataillone des Imam Ali), deren Anführer, Shibl al Zaydi, 2018 von den USA wegen seiner Verbindungen zu den Iranischen Revolutionsgarden als Terrorist eingestuft wurde (LWJ 15.12.2020). Zudem war Kata’ib Imam Ali auch 2021 in Syrien präsent (AAA 22.3.2021). Dazu gesellen sich noch die Saraya Talia al-Khorasani, die auch in Syrien aktiv waren (WI 23.3.2020, S.110, 205; vergleiche ICG 30.7.2018, S.27). Einige der pro-iranischen PMF sicherten sich bei den letzten Wahlen auch ihren Einfluss im Parlament. Innerhalb der 2018 gewonnenen Parlamentssitze des Wahlbündnisses "Fatah" sind 22 Abgeordnete der Badr-Organisation zugehörig und 15 dem politischen Flügel der Asai‘b Ahl al-Haqq, Sadiqoun (CH 2.2021, S.21f; vergleiche EPIC 5.2020).

Die Badr-Organisation, die mächtigste schiitische Miliz, gilt als Irans ältester Stellvertreter im Irak. Sie wurde 1982 im Iran gegründet, um Saddam Hussein zu bekämpfen, und wurde zunächst vom Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und geführt (Soufan 20.3.2020; vergleiche Wilson Center 27.4.2018). Nach der US-Invasion im Jahr 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die neue irakische Regierung integriert. Ihre Kräfte wurden zur größten Fraktion innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere der Polizei (Wilson Center 27.4.2018), die wiederum zu einem Instrument der Badr-Organisation erwuchs (SWP 2.7.2021, S.26). Sie nahm an Wahlen teil; ihre Führer wurden in die neue Regierung in Kabinettspositionen aufgenommen. Sie behielt jedoch ihre Miliz bei (Wilson Center 27.4.2018). Sie umfasst rund 20.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2020) und unterhält mindestens zehn Brigaden der staatlich finanzierten PMF, möglicherweise sogar 17 (WI 2.9.2021). Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt. Viele Badr-Mitglieder waren oder sind Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). So haben einige Mitglieder der PMF auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi, beispielsweise, führte die 5. PMF-Brigade, eine Badr-Brigade, und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (CH 2.2021, S.18f). Oder das Badr-Führungsmitglied Qassim al-Araji war Innenminister (2017-2018) und ist nun der nationale Sicherheitsberater. Die Badr ist eine große und komplexe Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen politischen Flügel und viele Unterfraktionen hat. Im Großen und Ganzen hat sich Badr durch seine Wahlerfolge, seine paramilitärische Macht und seine Patronagenetzwerke tief in den irakischen Staat eingebettet. Badr war die Quelle für viele jüngere und radikalere Gruppen, einschließlich Kata'ib Hisbollah. Zwar setzt sich die Badr-Organisation für den Abzug der US-Kampftruppen aus der Region ein, doch hat sie sich im Gegensatz zu den anderen pro-iranischen PMF von Angriffen auf die USA und deren Verbündete öffentlich distanziert. Innerhalb der Muqawama nimmt die Badr-Organisation weiterhin eine wichtige Rolle ein und bleibt gleichzeitig ihren Wurzeln als iranischer Stellvertreter treu, mit weiterhin engen institutionellen und personellen Beziehungen zum IRGC (WI 2.9.2021).

Die Kata’ib Hizbollah (Brigaden der Partei Gottes) umfassen etwa 3.000 bis 7.000 Kämpfer (Al Arabiya 31.5.2020), anderen Schätzungen zufolge sogar 20.000 (Soufan 20.3.2020). Die Kata'ib Hisbollah haben enge konfessionelle, ideologische und finanzielle Bindungen zum Iran (Al Arabiya 31.5.2020). Keine andere Miliz steht den IRGC näher (Soufan 20.3.2020). Sie sind für zahlreiche Angriffe auf die von den USA geführte Militärallianz verantwortlich und riefen u.a. auch zu Terrorattacken gegen Saudi-Arabien auf. Menschenrechtsorganisationen werfen der Miliz schwere Menschenrechtsverletzungen vor, insbesondere gegen Sunniten (Al Arabiya 31.5.2020). Sie arbeiten intensiv mit der Badr-Organisation und der libanesischen Hizbollah zusammen. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffen) verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018; vergleiche EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in iranischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson Center 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (ITIC 8.1.2020). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson Center 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khazali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den für die USA als einer der Verantwortlichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz'ali als "Specially Designated Global Terrorist" ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).

Die seit 2020 vermehrt in Erscheinung tretenden pro-iranischen Splittergruppen haben ein zweifelhaftes Maß an Autonomie. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen um unabhängige Gruppen handelt, die von den größeren "Mutter"-Milizen unterstützt werden, oder ob sie lediglich eine Fassade für diese größeren Milizen bilden, um sich den US-Sanktionen durch die Einstufung als terroristische Organisation zu entziehen (AIIA 12.1.2021; vergleiche JS 10.3.2021). Sie werden diesbezüglich insbesondere Kata'ib Hizbollah, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und der Harakat Hizbollah an-Nujaba zugeordnet (JS 10.3.2021). Ihre Anzahl ist vage und wird auf 10 bis 20 Gruppen geschätzt (Al Arabiya 18.11.2020). Die neuen Splittergruppen treten durch primär zwei unterschiedliche Handlungsweisen in Erscheinung: Zum einen bewaffnete Milizen, die in der Lage sind, Anschläge auf US-Einrichtungen im Irak zu verüben, und zum anderen Straßenbanden, die eine Art sozialen Krieg auf den Straßen Bagdads führen. Zu den Ersteren gehören Usbat al-Tha'ireen (Liga der Revolutionäre) und Ashab al-Kahf (die Gefährten der Höhle), die sich regelmäßig zu Raketen- oder IED-Angriffen auf US-Ziele bekennen (AIIA 12.1.2021). Usbat al-Tha'ireen übernahm beispielsweise die Verantwortung für den Angriff auf Camp Taji im März 2020, bei dem zwei amerikanische Soldaten und ein britischer Soldat getötet wurden (WI 10.4.2020; vergleiche Al Arabiya 18.11.2020), während Ashab al-Kahf zahlreiche Angriffe auf Konvois sowie einen Raketenangriff auf die US-Botschaft im November 2020 für sich reklamierte (JS 10.3.2021). Zur zweiten Gruppe gehören Raba Allah/Rab'Allah (das Volk Gottes), Jund Soleimani (die Soldaten Soleimanis) und Jabhat Abu Jadahah (eng. People of the Lighter's Front), die, getragen von stark religiösen Anwandlungen, als Sittenpolizei agieren und das liberalere Leben Bagdads unterdrücken, indem sie beispielsweise Massagesalons angriffen oder Bombenanschläge auf Geschäfte verübten, die Alkohol verkauften (AIIA 12.1.2021; vergleiche WI 9.4.2021). Rab'Allah gilt als wichtigste Gruppe. Im Oktober 2020 verübte sie Brandanschläge auf Büros von Fernsehsendern sowie der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP). Weiters führte sie Hetzkampagnen gegen Personen aus Politik und Medien durch und drohte ihnen mit Gewalt. Zudem organisierte sie Proteste vor ausländischen Vertretungen (WI 9.4.2021).

Iran-kritische Milizen: Atabat / Schrein-Milizen / Hashd al-Marji‘i

Bei den "Schrein"- oder Atabat-Milizen (andere Bezeichnungen: Hashd al-Atabat/ Saraya al-Atabat/ al-Atabat al-Muqadasa) oder auch Hashd al-Marji‘i handelt es sich um paramilitärische Gruppen, die mit den schiitischen Heiligtümern in Najaf und Kerbala verbunden sind, deshalb auch die Bezeichnung "Schrein-Milizen" (ICSR 1.11.2018, S.24; vergleiche WI 28.5.2020, Diyaruna 1.3.2021). Liwa Ansar al-Marjaiya, Liwa Ali al-Akbar, Firqat al-Abbas al-Qitaliyah, letztere bekannter unter der Bezeichnung Abbas Kampfdivision (Abbas Combat Division) und Firqat al-Imam Ali al-Qitaliyah haben keine Verbindungen zum Korps der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) des Iran, sondern zu Ayatollah Ali as-Sistani, dem irakischen schiitischen Kleriker, den sie als ihr Vorbild betrachten. Insgesamt verfügen die Atabat über rund 18.000 aktive Soldaten und Zehntausende von Reservisten. Die Abbas Kampfdivision (Firqat al-Abbas) ist die militärisch fähigste der vier Gruppen, gestärkt durch die logistische Ausbildung und die Zusammenarbeit mit dem irakischen Verteidigungsministerium. Mehrere Merkmale unterscheiden die Atabat von den pro-iranischen Einheiten der PMF: Erstens arbeiten sie nur mit nationalen irakischen Institutionen zusammen und dürfen nicht mit IRGC-Kommandeuren oder anderen ausländischen Militärs in Verbindung treten. Zweitens halten sie sich aus der Politik heraus, während die iran-freundlichen Gruppen sogar ihre eigenen politischen Parteien gegründet haben. Drittens betrachten die Atabat-Einheiten die Vereinigten Staaten nicht als Feind, trotz anlassbezogener Verurteilungen von US-Aktionen. Viertens wurden die Atabat nicht der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt. Tatsächlich haben sie kein Interesse daran, in den sunnitisch-arabischen Gebieten präsent zu sein, in denen viele solcher Verstöße begangen wurden. Ihr Hauptinteresse gilt den schiitischen heiligen Städten Karbala und Najaf und dem Wüstengebiet, die diese Städte mit Anbar verbindet. Die Atabat wurden auch nicht der Erpressung beschuldigt, im Gegensatz zu den vielen PMF-Gruppen, die solche Taktiken anwenden, um sich selbst zu erhalten, und damit den Unmut der sunnitischen Bevölkerung verschärfen (WI 28.5.2020). Die Schrein-Milizen spielten eine wichtige Rolle bei der Verteilung von Hilfsgütern im Rahmen einer Kampagne von Großayatollah as-Sistani mit dem Namen Maraji'yat al-Takaful (Solidarität der Marji'i) zur wirtschaftlichen Unterstützung der Menschen, die unter der von der Regierung verhängten Ausgangssperre während der COVID-Krise litten (EUI 6.2020, S.3).

Saraya as-Salam / Friedenskompanien

Die Saraya as-Salam mobilisierten sich 2014 aus den Rängen der vormaligen Mahdi-Armee, die dem irakischen Kleriker Muqtada as-Sadr untersteht. Sie verfolgen eine nationalistische Ideologie und eigene politische Ziele (Clingendael 6.2018, S.3). Sadr und seine Anhänger lehnen die pro-Khamenei paramilitärischen Führer und Gruppen entschieden ab. Dennoch bleiben sie Teil der Gesamtstruktur der PMF. Sie sind hinsichtlich einer Integration in die Sicherheitskräfte aufgeschlossen (ICG 30.7.2018, S.3f; vergleiche FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert (Süß 21.8.2017). Hinsichtlich der im Herbst 2019 aufflammenden Proteste vollzog Muqtada as-Sadr eine zwiespältige Politik. - Schon in der Anfangsphase der Oktober-Demonstrationen 2019 waren Sadristen aktiv an den Demonstrationen beteiligt, und deren Paramilitärs verteidigten andere Demonstranten vor der Gewalt staatlicher und mit dem Iran verbündeter bewaffneter Kräfte. Im Frühjahr 2020 allerdings, nachdem Sadr die Demonstranten wegen ihres Auftretens gegenüber den religiösen Autoritäten tadelte, ihre "Abweichung" vom "richtigen Weg" kritisierte und parallel die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Saraya as-Salam und der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq eingestellt wurden, gingen die Sadr-Miliz bzw. seine Anhänger in Bagdad und weiteren Städten im Südirak gewaltsam gegen Demonstranten vor und besetzten Protestlager (FPRI, 3.2020, S.2, 17; vergleiche BAMF 5.2020, S.9f, 22).

Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga) und Nachrichtendienste

Letzte Änderung: 11.08.2022

Die Kurdischen Sicherheitskräfte sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert (AA 25.10.2021, S.9). Nach der irakischen Verfassung hat die Kurdische Regionalregierung (KRG) das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte (Polizei und die militärischen Peshmega) sowie jene des Inlandsgeheimdienstes (Asayish) zu unterhalten (USDOS 12.4.2022). Die beiden wichtigsten kurdischen politischen Parteien, die Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotischen Union Kurdistans (PUK), unterhalten jeweils einen unabhängigen Sicherheitsapparat (AA 25.10.2021, S.9; vergleiche USDOS 12.4.2022). Zusätzlich kontrollieren sie auch getrennt voneinander militärische Einheiten der Peshmerga und der Asayish. Nominell unterstehen sie dem Innenministerium der KRG (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 22.1.2021).

Die beiden Einheiten, die den Großteil der Peshmerga-Kräfte ausmachen und über 100.000 Mann stark sind, werden von der KDP und PUK kontrolliert. Die Kräfte der Einheit Nr.70 gehören zur PUK und die Kräfte der Einheit Nr.80 werden von der KDP kontrolliert (Rudaw 21.6.2021). Seit 2005 ist die Vereinigung der KDP und PUK-eigenen Peshmerga-Streitkräfte unter dem Peshmerga-Ministerium ein wichtiges innenpolitisches Thema (Rudaw 3.4.2017; vergleiche GPPi 3.2018). Mit der territorialen Niederlage des Islamischen Staates (IS) Ende 2017 haben auch die internationalen Koalitionspartner im Rahmen eines 2018 begonnenen Reformprogramms auf die Zusammenlegung der kurdischen Kräfte unter dem Peshmerga-Ministerium gedrängt (Rudaw 21.6.2021). Obwohl es bereits gelungen ist, mehrere bestehende Brigaden effektiv zu vereinen, kämpft das Peshmerga-Ministerium noch darum, alle Peshmerga-Einheiten unter sein Kommando zu bringen (Rudaw 3.4.2017; vergleiche GPPi 3.2018). Die KDP und PUK haben seit Ende 2018 Schritte unternommen, um ihre jeweiligen Peshmerga zu vereinigen (BS 23.2.2022, Sitzung 16). Auf Brigade-Ebene werden die Führungspositionen nach einem 50-50-Prinzip verteilt: Brigaden unter der Leitung von KDP-Kommandanten haben PUK-Stellvertreter und umgekehrt. In der Praxis sind die meisten Brigaden jedoch immer noch entlang der Parteigrenzen aufgegliedert (GPPi 3.2018) und die Peshmergaeinheiten auf die jeweiligen politischen Parteien fixiert geblieben (BS 23.2.2022, Sitzung 16).

Im April 2021 wurde die Einrichtung gemeinsamer Koordinationszentren zum Austausch von Informationen zur Bekämpfung des IS zwischen den Irakischen Sicherheitskräften (ISF) und den Peshmerga-Kräften beschlossen. Diese sollen dazu dienen, die Sicherheitslücken, zwischen deren Einsatzgebieten zu schließen, die vom IS ausgenutzt werden. Die Koordinationszentren befinden sich in Diyala, Kirkuk, Makhmour und Ninewa (Rudaw 23.5.2021).

Im Kampf gegen den IS hatten die Peshmerga über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der KRI hinaus Gebiete befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 14.10.2020).

Die Sicherheitsdienste der KRI halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige ohne Haftbefehl fest, insbesondere auf der Grundlage des Antiterrorismusgesetzes. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen den kurdischen Gouvernements sowie dem (nicht-kurdischen) Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte. Angehörige der Sicherheitskräfte haben dokumentierte Übergriffe begangen (USDOS 12.4.2022).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 22.08.2022

Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten (AA 25.10.2021, S.21; vergleiche USDOS 12.4.2022). Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte (AA 25.10.2021, S.21), oder auch um Geständnisse zu erzwingen (HRW 13.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022, FH 28.2.2022). Gerichte akzeptieren solche Geständnisse als Beweismittel (USDOS 12.4.2022) auch für die Vollstreckung von Todesurteilen. Häftlinge berichten auch über Todesfälle aufgrund von Folter während Verhören (HRW 13.1.2021).

Weiterhin misshandeln und foltern Angehörige der Sicherheitskräfte, darunter Polizeibeamte, Angehörige des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS), der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und der kurdischen Asayish, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während Verhaftung, Untersuchungshaft und nach einer Verurteilung. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen. Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem und erzwungene Geständnisse werden von Gerichten in zahlreichen Fällen als primäre Beweisquelle anerkannt (USDOS 12.4.2022).

Seit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 werden irakische Sicherheitsbehörden und Milizen beschuldigt an Entführungen und Folter gegen die Demonstranten involviert zu sein (GIZ 1.2021a; vergleiche UNAMI 23.5.2020). In Basra gingen die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vor, wobei auch einige Kinder bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen wurden. Andere Demonstranten waren Misshandlungen ausgesetzt, die Folter gleichkommen könnten (AI 7.4.2021).

Folter und unmenschliche Behandlung in der Kurdistan Region Irak (KRI)

(…)

Korruption

Letzte Änderung: 11.08.2022

Korruption ist nach wie vor ein großes Problem im Irak (FH 28.2.2022; vergleiche GIZ 1.2021b). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 3.3.2021). Weniger als 5 % der Korruptionsfälle werden angezeigt (GIZ 1.2021b). Das Justizsystem, das selbst durch Politisierung und Korruption behindert wird, bearbeitet nur einen Bruchteil der Fälle, die von der Integritätskommission, einer von drei Antikorruptionsbehörden, untersucht werden (FH 28.2.2022).

Beamte sind häufig ungestraft in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung wurden durch Mangel an Einigkeit bezüglich der institutionellen Rollen, an politischem Willen und politischem Einfluss, mangelnder Transparenz und durch unklare Rechtsvorschriften und Regulierungsverfahren behindert. Im August 2020 hat Premierminister al-Kadhimi per Verordnung einen ständigen Sonderausschuss zur Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung größerer Korruptionsfälle eingesetzt. Im September 2020 wurden aufgrund der Arbeit des Antikorruptionsausschusses 19 hochrangige Personen verhaftet. Im Oktober 2020 wurden rund 1.000 Beamte entlassen, nachdem sie wegen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, darunter Verschwendung öffentlicher Gelder, Bestechung und Veruntreuung, verurteilt worden waren (USDOS 30.3.2021). Der von Premierminister al-Kadhimi eingesetzte Ständige Sonderausschuss zur Untersuchung von Korruption und bedeutenden Straftaten hat seine Arbeit im Laufe des Jahres 2021 fortgesetzt. Da er von der Antiterroreinheit der Regierung unterstützt wird, welche Haftbefehle und gerichtliche Anordnungen umsetzen kann, werden korrupte Beamte Berichten zufolge unter Druck gesetzt (USDOS 12.4.2022).

Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Sie sind sowohl im föderalen Irak, als auch in der KRI mit Verhaftungen, Verleumdungsklagen und Gewalt konfrontiert (FH 28.2.2022). Korruption war einer der Auslöser für die sogenannten Tishreen-Proteste, die 2019 ausgebrochen sind (FH 28.2.2022).

Die Kurdistan Region Irak (KRI) leidet unter ähnlichen Korruptionsproblemen (FH 28.2.2022).

Auf dem Corruption Perceptions Index 2021 von Transparency International wird der Irak mit 23 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) und nimmt Rang 157 von 180 Staaten ein (TI 25.1.2022).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit (AA 25.10.2021, S.20; vergleiche GIZ 1.2021a), Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung (AA 25.10.2021, S.21). Die Verfassungswirklichkeit weicht jedoch vielfach von diesen Prinzipien ab. Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a).

Der Irak hat auch wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte (AA 25.10.2021, S.20). Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft, und das Mandat für die unabhängige Menschenrechtskommission ist am 4.8.2021 ausgelaufen, wobei unklar ist, ob es erneuert wird (AA 25.10.2021, S.21). Im Zuge der Proteste seit Oktober 2019 versucht die Kommission sich unabhängig ein Bild von der Lage zu machen und die Zahlen von Toten und Verletzten zu sammeln, zu verifizieren und zu veröffentlichen, da sich die Regierung einer Veröffentlichung verweigert (AA 22.1.2021).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit, Gewalt gegen Journalisten, weit verbreitete Korruption, gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen (IDPs), Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 12.4.2022). Auch Menschenhandel ist ein Problem, wenngleich die Regierungen des Irak und der Kurdistan Region Irak ihre Bemühungen zur Verhinderung des Menschenhandels verstärkt haben. IDPs sind davon besonders gefährdet (FH 28.2.2022). Es fehlt an Rechenschaftspflicht für Gewalt gegen Frauen und Gewaltverbrechen, die sich gegen Angehörige ethnischer Minderheiten richten (USDOS 12.4.2022). Im Irak kam es 2020 zu einer Reihe von Morden an zivilgesellschaftlichen, politischen und Menschenrechtsaktivisten sowie zu vermehrten Drohungen gegen Journalisten (FCO 8.7.2021).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.4.2022). Tausende IDPs, die aus Gebieten geflohen sind, die unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) standen, wurden von Irakischen Sicherheitskräften (ISF) und Volksmobilisierungskräften (PMF) willkürlich verhaftet und sind nach wie vor verschwunden (AI 7.4.2021).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer diese erfolgen im öffentlichen Interesse, was jedoch nie eindeutig definiert wurde, und gegen eine gerechte Entschädigung (USDOS 12.4.2022; vergleiche BS 23.2.2022, S.24). Seit den Offensiven des IS im Sommer 2014 sind föderalstaatliche und kurdische Sicherheitskräfte sowie paramilitärische bewaffnete Gruppen (IS und schiitische Milizen) für Angriffe auf Zivilisten verantwortlich, einschließlich der Beschlagnahme und Zerstörung von Privateigentum (BS 23.2.2022, S.24). In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt, ohne Kompensationen für die Besitzer (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, die durch die Irakischen Sicherheitskräfte ISF) begangen wurden, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten. Viele hochrangige Regierungsbeamte und Angehörige der Sicherheitskräfte, einschließlich der irakischen Sicherheitskräfte, der Bundespolizei, der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und Einheiten der Asayish (interne Sicherheitsdienste der kurdischen Regionalregierung), agieren ungestraft (USDOS 12.4.2022).

Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 12.4.2022).

Allgemeine Menschenrechtslage in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Letzte Änderung: 12.08.2022

Es gibt eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, die sich aber auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen beschränkt. Sie kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung von Menschenrechtsverletzungen gewährleisten (AA 25.10.2021, S.21).

Sicherheitskräfte der Kurdischen Regionalregierung (KRG) wie Peshmerga und Asayish verstoßen bisweilen gegen die Gesetze (USDOS 12.4.2022).

Kurdischen Sicherheitskräften werden Gewalt, Drohungen und willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Medienvertretern vorgeworfen (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Es gibt auch Vorwürfe von willkürlichen Verhaftungen, sowie von Missbrauch und Folter von Gefangenen und Häftlingen (USDOS 12.4.2022). Es liegen keine zuverlässigen Statistiken über die Anzahl solcher Vorfälle vor (USDOS 30.3.2021). Peshmerga und Asayish wird vorgeworfen, Vorschriften selektiv umzusetzen, auch aus ethno-konfessionellen Gründen. Die Vorwürfe umfassen auch Erpressung und die Verweigerung einer Rückkehr von Zivilisten in ihre Heimat, insbesondere sunnitischer Araber sowie Angehöriger ethno-konfessioneller Minderheiten (USDOS 12.4.2022).

Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich bestimmter Einheiten der kurdischen Sicherheitsdienste, wie der Asayish (USDOS 12.4.2022).

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die Verfassung garantiert Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzen (AA 25.10.2021, S.10; vergleiche FH 28.2.2022, GIZ 1.2021a, USDOS 12.4.2022). Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei sowie das Befürworten einer gewaltsamen Änderung der Grenzen des Landes sind jedoch verboten. Einzelpersonen und Medien betreiben Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionelle Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der Kurdischen Regionalregierung (KRG) behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung. Sicherheitskräfte haben Demonstranten und Aktivisten, die der Zentralregierung kritisch gegenüberstanden, verhaftet bzw. festgenommen (USDOS 12.4.2022).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 25.10.2021, S.10; vergleiche FH 3.3.2021). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 12.4.2022). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensurieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 28.2.2022).

Medienorganisationen sehen sich als Reaktion auf ihre Berichterstattung Einschränkungen und Behinderungen ausgesetzt (FH 28.2.2022). Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 30.3.2021). Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 25.10.2021, S.10).

Irakische Journalisten riskieren ihr Leben, wenn sie über Proteste berichten oder über Korruption recherchieren. Seit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 hat sich die Lage verschlechtert. Journalisten müssen damit rechnen, von nicht identifizierten Milizen schikaniert, entführt, körperlich angegriffen oder sogar getötet zu werden (RSF 2021). Milizen entführen, foltern und ermorden häufig Journalisten wegen ihrer Arbeit (FH 28.2.2022).

Im Lauf des Jahres 2020 wurden mehrere Journalisten wegen ihrer Tätigkeit verhaftet, entführt oder getötet (FH 28.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge von Milizen oder Sicherheitskräften (USDOS 12.4.2022).

Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2011-2021) des "Committee to Protect Journalists" zudem den weltweit dritten Platz in Bezug auf nicht aufgeklärte Journalistenmorde ein (CPJ 28.10.2021).

Auch Lehrer sind im Irak seit Langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht-staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 28.2.2022). Akademische Freiheit wird durch die Regierung eingeschränkt. Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 12.4.2022).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 25.10.2021, S.10). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2021 auf Platz 161 von 180, eine Verschlechterung um einen Platz im Vergleich zum Vorjahr (RSF 2021).

Hinsichtlich des Internetzugangs gibt es offene staatliche Einschränkungen und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 12.4.2022).

Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien. Bestimmte Themen, darunter Korruption, und, in etwas geringerem Maße, Kritik am Iran, werden als Tabu angesehen und führten zuweilen zu Verhaftungen, Gehaltskürzungen, Folter oder Strafverfolgung. Nutzer sozialer Medien sowie Blogger wurden wegen Kritik an Behörden mit Verleumdungsklagen konfrontiert (FH 28.2.2022).

Vom Iran unterstützte Milizen haben viele vermeintliche Kritiker bedroht, entführt, gefoltert und ermordet, darunter den bekannten irakischen Analysten Hisham al-Hashimi, der im Juli 2020 erschossen wurde. Mehr als 30 Privatpersonen, die an den Protesten 2019 und 2020 beteiligt waren, darunter mindestens ein Minderjähriger, wurden in den Jahren 2019 und 2020 entführt; ihr Verbleib war zum Jahresende (2020) unbekannt. Viele lautstarke Aktivisten haben das Land verlassen oder sind in die Region Kurdistan umgezogen, da sie um ihr Leben fürchten (FH 3.3.2021). Ahmed Hassan, ein Journalist, der für Al-Forat TV in al-Diwaniya arbeitet, überlebte im Mai 2021 ein Attentat durch maskierte Bewaffnete. Die Journalisten Abbas al-Rifi'i und Ali al-Mikdam wurden im Mai bzw. Juli 2021 von Milizionären entführt, gefoltert, bedroht und dann freigelassen (FH 28.2.2022).

Trotz Einschränkungen nutzen politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung räumt ein, in manchen Gebieten den Internetzugang beschränkt zu haben, angeblich aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der Nutzung von Social Media-Plattformen durch den IS (USDOS 30.3.2021). Auch zu Beginn der Demonstrationen im Oktober 2019 wurde der Internetzugang tagelang blockiert. Soziale Medien blieben für mehrere Wochen, bis in den November hinein, gesperrt, bzw. eingeschränkt nutzbar (AA 2.3.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021).

Meinungs und Pressefreiheit in der Kurdistan Region Irak (KRI)

(…)

Letzte Änderung: 12.08.2022

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungsfreiheit

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration nach den Regeln des Gesetzes vor (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022), allerdings nur unter der Vorgabe, dass nicht gegen die öffentliche Ordnung und Moral verstoßen wird (AA 25.10.2021, S.10; vergleiche GIZ 1.2021a). Ein Gesetzesentwurf von 2014 für eine nähere Ausgestaltung der Regelung wurde bislang nicht verabschiedet (AA 25.10.2021, S.10).

Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, der Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften. Die Regierung schränkt gelegentlich die friedliche Versammlungsfreiheit ein (USDOS 12.4.2022).

Demonstranten sind der Gefahr von Gewalt oder Verhaftung ausgesetzt (FH 28.2.2022). Als die Demonstrationen ab Oktober 2019 eskalierten, versäumten es die Behörden, die Demonstranten vor Gewalt zu schützen (USDOS 30.3.2021). Sicherheitskräfte gingen teils mit großer Härte gegen Demonstranten vor. Es gibt Berichte über Entführung, Folter und Tötung von Demonstranten, Aktivisten und Journalisten, von denen angenommen wird, dass diese der Einschüchterung der Demonstranten und der Beendigung der Proteste dienen sollten. UNAMI zufolge soll es im Zeitraum 1.10.2019 bis 15.5.2021 zu 81 Tötungsversuchen gegen Protestierende und Aktivisten gekommen sein, davon 32 tatsächliche Tötungen. Seit dem erneuten Ausbruch von Demonstrationen im Sommer 2020 soll es über 150 Fälle von Entführungen und Ermordungen gegeben haben (AA 25.10.2021, S.10).

Im Zuge der sog. Tishreen-Protestbewegung wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (FH 28.2.2022; vergleiche GIZ 2021a) und Sicherheitskräfte setzten Tränengas und scharfe Munition gegen Demonstranten ein. Bis Mitte Dezember 2021 wurden Hunderte Menschen im Zusammenhang mit Protesten getötet, Dutzende davon durch gezielte Attentate außerhalb von Protestplätzen. Irakische Sicherheitskräfte und pro-iranische Milizen schossen routinemäßig mit scharfer Munition auf Demonstranten. Irakische Beamte und Journalisten berichteten auch, dass Scharfschützen unter dem Kommando von iranisch unterstützten Milizeinheiten mit scharfer Munition von Dächern aus auf Demonstranten schossen und eine Welle von Entführungen von Protestorganisatoren und Aktivisten durchführten. Iranische und irakische Medien, die mit den vom Iran unterstützten Milizen in Verbindung stehen, verbreiteten falsche Berichte über Aktivisten, um diese Angriffe zu rechtfertigen (FH 3.3.2021).

Auch 2021 haben irakische Sicherheitskräfte auf Demonstranten geschossen, sie verhaftet und gefoltert. Während die meisten Verhafteten aufgrund des öffentlichen Drucks nach einigen Tagen wieder freigelassen werden, wurden einige zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt (FH 28.2.2022).

Im Jänner 2021 griff in Nasiriya, der Hauptstadt des Gouvernements Dhi-Qar, eine Armee-Einheit ein, um Demonstranten vor der Polizei zu schützen. Dabei kam es zu Schusswechseln zwischen den Sicherheitskräften, bei denen ein Polizist getötet wurde (Wing 11.1.2021).

Protestbewegung

Letzte Änderung: 02.03.2022

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung und Korruption sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021a; vergleiche DFAT 17.8.2020, ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des Muhasasa-Systems, d. h. der ethnisch-konfessionellen Postenbesetzung in der Regierung und Verwaltung (ICG 26.7.2021). Sie waren außerdem gegen die Einmischung ausländischer Mächte, insbesondere des Iran gerichtet. Bereits von Juli bis September 2018 kam es im Südirak zu Protesten (DFAT 17.8.2020).

Im Oktober 2019 begannen landesweite Massenproteste (ICG 26.7.021; vergleiche AI 7.4.2021). Diese betrafen vor allem die schiitischen Gebiete des Südirak und Bagdad (DFAT 17.8.2020; vergleiche ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Diese Proteste wurden auch in den ersten Monaten des Jahres 2020 fortgesetzt, bis sie durch den Ausbruch von COVID-19 vorübergehend unterbrochen wurden. Seit Mai 2020 kommt es wieder zu kleineren Demonstrationen, vor allem in den Städten Bagdad, Basra und Nasriyah (AI 7.4.2021).

Es wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (GIZ 1.2021a). Fernsehsender, die über die Proteste berichteten, wurden von bewaffneten Männern überfallen (ICG 27.7.2021). Staatliche Sicherheitskräfte (ISF) und mit dem Iran verbündete Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) waren an gewaltsamer Unterdrückung der Proteste beteiligt (DFAT 17.8.2020; vergleiche ICG 26.7.2021). Im Zuge der Proteste kam es seit Ende 2019 bis ins Jahr 2020 hinein zu willkürlichen Verhaftungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und außergerichtlichen Tötungen von Demonstranten durch ISF und PMF (HRW 13.1.2021). Dutzende Aktivisten wurden im Zuge der Protestbewegung Ziel von Entführungen, Mordversuchen und Morden (MEE 25.7.2021). Mindestens 560 Demonstranten wurden während der Proteste getötet (HRW 13.1.2022). Andere Quellen sprechen von etwa 600 getöteten Demonstranten und über 20.000 Verletzten in den ersten sechs Monaten der Proteste (ICG 26.7.2021). Diese Vorfälle führten zum Rücktritt der Regierung unter Premierminister Adil Abdul al-Mahdi und zur Ernennung eines neuen Premierministers, Mustafa al-Kadhimi, im Mai 2020 (HRW 13.1.2021; vergleiche ICG 26.7.2021).

Die Demonstranten fordern, dass die Sicherheitskräfte für ihre Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden, einschließlich der Tötung und des gewaltsamen Verschwindenlassens von Demonstranten (AI 7.4.2021). Trotz der anfänglichen, scheinbaren Bereitschaft, einige der gravierendsten Menschenrechtsprobleme des Irak anzugehen, gelang es der Regierung al-Kadhimi nicht, die Übergriffe auf Demonstranten zu beenden (HRW 13.1.2021).

Im Oktober 2019 wurden mehrere hochrangige Militärkommandanten wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten von ihren Posten entfernt (FH 3.3.2021). Es wurden jedoch bislang keine hochrangigen Kommandanten strafrechtlich verfolgt. Nach einer Reihe von Tötungen und versuchten Tötungen von Demonstranten in Basra wurden im August 2020 der Polizeichef von Basra und der Direktor für nationale Sicherheit des Gouvernements entlassen. Es wurde jedoch keine Strafverfolgung eingeleitet (HRW 13.1.2021).

Diese Maßnahmen wurden von vielen Irakern als unzureichend abgelehnt und hatten wenig abschreckende Wirkung auf Mitglieder der Sicherheitskräfte, die im Laufe des Jahres zahlreiche Demonstranten tödlich verletzten. Trotz eines öffentlichen Versprechens von Premierminister al-Kadhimi im August 2020, die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen und die Ermordungen zu untersuchen und zu bestrafen, befinden sich die Täter weiterhin auf freiem Fuß (FH 3.3.2021). Auch Verhaftungen von Mitgliedern einer "Todesschwadron" im Februar 2021 und von Sicherheitsbeamten im Juli 2021 sind bis Ende 2021 nicht über die Ermittlungsphase hinausgegangen. Keine der Verhaftungen hat zu einer Anklageerhebung geführt (HRW 13.1.2022).

Ein im Mai 2020 eingerichteter Ausschuss zur Untersuchung der Tötung von Demonstranten hat bis Ende 2021 noch keine Ergebnisse öffentlich bekannt gegeben. Im Juli 2020 kündigte die Regierung al-Kadhimi an, die Familien der bei den Protesten Getöteten zu entschädigen. Bis September 2021 hatten die sechs Familien von getöteten Aktivisten, die von HRW kontaktiert wurden, noch keine Entschädigung erhalten (HRW 13.1.2022).

Vereinigungsfreiheit / Opposition

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 12.4.2022). Iraker können generell ohne staatliche Einmischung Parteien gründen oder ihnen beitreten (FH 28.2.2022). Bei den jüngsten Parlamentswahlen vom 10.10.2021 hatten sich 267 Parteien, von denen 126 bei den Wahlen antraten, und 21 Wahlbündnisse registriert (AA 25.10.2021).

Es liegen keine Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der außerparlamentarischen politischen Opposition durch staatliche Organe vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nicht-staatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren, und die Vorheriger SuchbegrifffreieNächster Suchbegriff Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 25.10.2021, Sitzung 9f.). Irakische Politiker, die gegen iranische Interessen agieren, werden bedroht (FH 28.2.2022).

Die Arbeitsgesetze garantieren Arbeitnehmern das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften, von Kollektivverhandlungen und auf das Abhalten von Streiks, schützen sie aber nicht vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung bis hin zu Entlassungen (FH 28.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Es ist verboten Gewerkschaften unabhängig vom staatlichen kontrollierten Generalverband der irakischen Arbeiter zu gründen (USDOS 12.4.2022). Angestellten des öffentlichen Sektors ist es nicht gestattet, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Einige Staatsbeamte und private Arbeitgeber entmutigen Gewerkschaftsaktivitäten mit Drohungen, Degradierungen und anderen Abschreckungsmaßnahmen (FH 28.2.2022).

Vereinigungsfreiheit / Opposition in der Kurdistan Region Irak (KRI)

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Haftbedingungen

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem internationalen Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 25.10.2021, Sitzung 22). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten sind die Bedingungen aufgrund von Überbelegung oft hart (FH 28.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Aufgrund von Misshandlung und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung, werden die Bedingungen bisweilen auch als "lebensbedrohlich" bezeichnet. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der festgenommenen mutmaßlichen IS-Mitglieder noch verschärft wird. Auch die Gefahr von COVID-19 und anderen übertragbaren Krankheiten wirkt sich negativ auf die Haftbedingungen aus (USDOS 12.4.2022). Im April 2020 gab das Justizministerium bekannt, dass 950 erwachsene Häftlinge und 57 Jugendliche begnadigt wurden, um die Ausbreitung von COVID-19 in den Gefängnissen einzudämmen (USDOS 30.3.2021). Anderen Quellen zufolge wurde die Freilassung von 20.000 Häftlingen verkündet (MEMO 24.4.2020; vergleiche HRW 13.1.2021). Mitte 2020 haben das Justizministerium und das Irakische Hochkommissariat für Menschenrechte (IHCHR) vor einer COVID-19 bedingten Gesundheitskrise wegen der Überbelegung in den Haftanstalten gewarnt. Um dieser Überbelegung weiter entgegenzuwirken, wurde im August 2020 die Eröffnung eines neuen Gefängnisses in Bagdad angekündigt (USDOS 30.3.2021). Im August 2021 wurden 1.300 Häftlinge, darunter 86 Jugendliche, begnadigt und im Oktober 2021 68 Jugendliche im Rahmen einer Sonderamnestie freigelassen, um die Überbelegung weiter zu verringern (USDOS 12.4.2022).

Berichten von Inhaftierten zufolge wurden innerhalb der Haftanstalten keine oder kaum ausreichende Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 ergriffen. Die Hürden für Haftbesuche wurden jedoch deutlich erhöht (AA 25.10.2021, S.23). Im Juni 2021 gab das irakische Justizministerium bekannt, dass es eine COVID-19-Impfkampagne für alle Gefängnisinsassen durchgeführt hat. Ein Ministeriumssprecher bestätigte, dass das Gefängnispersonal geimpft wurde und dass seit Mai 2021 keine positiven Fälle mehr aufgetreten sind (USDOS 12.4.2022).

Es mangelt an Jugendstrafanstalten. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zufolge werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 25.10.2021, S.13).

Bürokratische Hürden erschweren das Mandat der UN-Mission für den Irak (UNAMI) zum Besuch irakischer Haftanstalten. Das IKRK hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 25.10.2021, S.23).

Der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, hat im Juli 2018 erstmals eingestanden Personen über einen längeren Zeitraum festzuhalten, beispielsweise in ash-Shurta, im Osten Mossuls. Dies geschieht laut NSS mit der Zustimmung des Hohen Justizrates in Ninewa (HRW 22.7.2018; vergleiche DFAT 17.8.2020). Berichten zufolge betreibt auch die 30. Brigade der Volksmobilisierungskräfte (PMF) mehrere geheime Gefängnisse in Ninewa. Eine unbekannte Anzahl von Personen soll unter falschen Tatsachen und aus ethno-konfessionellen Gründen verhaftet worden sein. Familien solcher Gefangener müssen hohe Lösegeldsummen für die Freilassung ihrer Angehörigen zahlen (USDOS 12.4.2022). Es gibt Berichte über gewaltsames Verschwindenlassen von Häftlingen, besonders von mutmaßlichen IS-Kämpfern (FH 28.2.2022).

Auch in Frauengefängnissen gibt es Überbelegung, und es fehlen oft ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen für die Kinder der Gefangenen, die nach dem Gesetz bis zum Alter von vier Jahren bei ihren Müttern bleiben dürfen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt keine psychosoziale Unterstützung für Gefangene mit geistigen Behinderungen (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung berichtet, dass sie Maßnahmen ergriffen hat, um den Vorwürfen von Misshandlung in staatlich verwalteten Haftanstalten und Gefängnissen entgegenzuwirken, aber das Ausmaß dieser Maßnahmen ist nicht bekannt (USDOS 12.4.2022).

Haftbedingungen in der Kurdistan Region Irak (KRI)

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Todesstrafe

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die Todesstrafe ist in Artikel 15 der Verfassung auf Grundlage einer von einer zuständigen Justizbehörde erlassenen Entscheidung erlaubt (DFAT 17.8.2020). Sie ist auch im irakischen Strafrecht vorgesehen, wird verhängt und vollstreckt (AA 25.10.2021, S.22). Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe kann bei 48 verschiedenen Delikten, darunter Mord, terroristische und staatsfeindliche Aktivitäten, Hochverrat, Einsatz von chemischen Waffen und Vergewaltigung verhängt werden (AA 25.10.2021, S.22).

Nach dem Antiterrorismusgesetz (2005) kann die Todesstrafe gegen jeden verhängt werden, der terroristische Handlungen begeht, dazu anstiftet, sie plant, finanziert oder unterstützt (DFAT 17.8.2020). Der Großteil der Hinrichtungen erfolgt wegen Terrorismusvorwürfen (AA 25.10.2021, Sitzung 22; vergleiche DFAT 17.8.2020). Viele Personen werden im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung wegen ihrer IS-Angehörigkeit verurteilt (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 22.1.2021).

Aktuelle Zahlen zu den vollstreckten Hinrichtungen liegen nicht vor (HRW 13.1.2021; vergleiche AA 25.10.2021, S.22). Die Behörden berichten diese nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen und machen auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben (AA 25.10.2021, Sitzung 22). Amnesty International zufolge wurden 2020 mindestens 27 Todesurteile ausgesprochen (AI 4.2021). Mindestens 50 Hinrichtungen wurden vollzogen (AI 7.4.2021). 21 dieser Hinrichtungen fanden während einer Massenexekution am 17.11.2020 statt (AI 4.2021; vergleiche DW 16.11.2020, HRW 13.1.2021). Unter den Verurteilen waren elf Franzosen und ein Belgier. Bis dahin wurde im Irak noch nie ein ausländisches IS-Mitglied hingerichtet (DW 16.11.2020). Im Jahr 2021 wurden bis September 2021 mindestens 19 Hinrichtungen ausgeführt (HRW 13.1.2022).

Bisherige Berichte gingen davon aus, dass Ende 2020/Anfang 2021 um die 8.000 Personen zum Tode verurteilt waren und auf ihre Hinrichtungen warteten (AI 4.2021; vergleiche AA 25.10.2021, Sitzung 22). Vor allem gegen mutmaßliche IS-Kämpfer werden in fragwürdigen Prozessen zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (AA 25.10.2021, Sitzung 22). Laut einer Erklärung des Justizministeriums vom September 2021 halten die Behörden fast 50.000 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrorismus fest, von denen über die Hälfte zum Tode verurteilt wurde (HRW 13.1.2022; vergleiche BasNews 6.9.2021).

Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 12.08.2022

Anmerkung: Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt "Minderheiten" behandelt.

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche FH 28.2.2022). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 2.6.2022). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 25.10.2021, S.11). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vergleiche USDOS 2.6.2022).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 28.2.2022).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 2.6.2022).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 2.6.2022; vergleiche USCIRF 4.2021).

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 25.10.2021, S.11; vergleiche USDOS 2.6.2022). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 25.10.2021, S.11). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Mandäer-Sabäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 2.6.2022).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Shabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).

Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 2.6.2022).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), die Freizügigkeit innerhalb des Landes unter anderem aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden der Kurdischen Regionalregierung (KRG) diskriminierten weiterhin Minderheiten, darunter Türken, Araber, Yeziden, Shabak und Christen, in Gebieten, die sowohl von der KRG als auch von der Zentralregierung im Norden des Landes beansprucht werden. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch PMF (USDOS 12.4.2022).

Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wie viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 12.4.2022).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden. Sie berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 2.6.2022).

In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der KRG. Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Mandäer-Sabäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 2.6.2022).
Es gibt keine Gesetze, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten verbieten (DFAT 17.8.2020).

[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel Minderheiten entnommen werden.]

Konversion und Apostasie

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Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik

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Ethnische und religiöse Minderheiten

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80 % Araber, 15-20 % Kurden und etwa 5 %, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20 %) (AA 25.10.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten können im Alltag jedoch gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI), oft benachteiligt. Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten im Zentralirak faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat, unter der Verwaltung von Bagdad, kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 25.10.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 28.2.2022). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch Volksmobilisierungskräfte (PMF), in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 12.4.2022).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Shabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit unterschiedlicher Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 25.10.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 25.10.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 2.6.2022). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte, der Peschmerga und vor allem der schiitischen Milizen und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (AA 25.10.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 25.10.2021).

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können rund eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Angehörige der PMF verlangen an Kontrollpunkten von IDPs, insbesondere von Angehörigen von religiösen Minderheiten überhöhte Geldbeträge für die Überquerung der Grenze. Alternativ riskieren die Betroffenen in die Lager zurückgeschickt zu werden (USCIRF 4.2021).

Sunnitische Araber

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 25.10.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 25.10.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 12.4.2022). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 2.6.2022). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 12.4.2022). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 2.6.2022).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 25.10.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 12.4.2022).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

Die PMF setzen ihre Unterdrückungspraktiken in sunnitischen Gebieten fort (BS 23.2.2022). Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemalige Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe PMF sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben und versuchen würden, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seinem Gouvernement gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021). Auch 2021 gab es Warnungen über demografische Veränderungen durch die Vertreibung von Sunniten und Christen durch PMF-Kräfte aus den Gouvernements Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (USDOS 2.6.2022). In Mossul, Ninewa werden sunnitische Zivilisten von Milizionären der "PMF Babylon" und "Shabak Hashd" wahllos schikaniert, eingeschüchtert und verhaftet. Einige PMF-Fraktionen werden auch für die Massaker von Farhatiyah und Khailaniyah im Jahr 2020 in Salah al-Din bzw. Diyala verantwortlich gemacht (BS 23.2.2022).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 12.08.2022

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 % im Parlament verankert. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30 % (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022). Diese formale Repräsentation hat geringe Auswirkungen auf die staatliche Politik gegenüber Frauen, die von politischen Debatten und Führungspositionen üblicherweise ausgeschlossen sind (FH 28.2.2022).

Der Irak hat 1986 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert. Irakische Gesetze erfüllen jedoch nicht die Anforderungen des Übereinkommens, insbesondere das Personenstandsgesetz und das Strafgesetz (BS 23.2.2022, S.26). Frauen sind auch im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben einschränkt. Sie werden selten in Entscheidungspositionen und andere einflussreiche Positionen ernannt (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Die traditionelle Rollenverteilung in der Familie lässt weniger Möglichkeiten für Frauen, sich im Studium oder beruflich weiter zu entwickeln. Dies wird zum Teil aus der religiösen Tradition begründet, aber auch patriarchalische Strukturen sind weit verbreitet (AA 25.10.2021).

Frauen werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit als eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung (AA 25.10.2021). Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsbürgerschaftsrecht (AA 25.10.2021; vergleiche FH 28.2.2022). So können Frauen in Bezug auf das Erbrecht unter Druck geraten, ihre Rechte an männliche Verwandte abzutreten (FH 28.2.2022). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 25.10.2021; vergleiche FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen, insbesondere unter Binnenflüchtlingen (IDPs) (AA 25.10.2021). Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird durch gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt (FH 28.2.2022). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 28.2.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 28.2.2022).

Frauen werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Die Regierung al-Kadhimis hat zwar eine Untersuchungskommission eingesetzt, die solche Fälle untersuchen und die Täter vor Gericht bringen soll, bisher jedoch ohne konkrete Ergebnisse (BS 23.2.2022, S.14). Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen liegt bei etwa 11,5 % (Stand 2019) (WB 29.1.2021a). Die geschätzte Arbeitslosigkeit bei Frauen, die an der Arbeitswelt teilhaben, liegt laut Weltbank bei etwa 30,6 % (Stand 2019) (WB 29.1.2021b). Der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak zufolge liegt sie bei 13 % (UNIraq 2021). Die Jugendarbeitslosigkeit bei Frauen und Mädchen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren wird auf etwa 63,3 % geschätzt (Stand 2017) (CIA 15.6.2021). Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).

Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer (GIZ 1.2021c). Frauen wird überproportional der Zugang zu Bildung verwehrt (AA 25.10.2021). Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen stärker von Analphabetismus betroffen als Buben (GIZ 1.2021c). Etwa 79,9 % der Frauen im Alter von über 15 Jahren können lesen und schreiben (Stand 2017) (UNESCO 2021; vergleiche WB 9.2020). In der Altersgruppe der 15 bis 24-jährigen Mädchen und Frauen liegt die Rate bei 92,1 % (Stand 2017) (UNESCO 2021). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate bei Mädchen (rund 77 %) weit niedriger als jene der Buben (rund 90 %). Je höher die Bildungsstufe ist, desto geringer ist der Anteil an Mädchen. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c).

Häusliche Gewalt, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Letzte Änderung: 22.08.2022

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 30.3.2021; vergleiche HRW 13.1.2021, BS 23.2.2022). Im Jahr 2020 kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt (FH 28.2.2022). Meldungen über Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Misshandlung in der Ehe, Verbrennunng und Selbstverbrennung, Selbstverletzung aufgrund von Misshandlung in der Ehe, sexuelle Belästigung von Minderjährigen und Selbstmord aufgrund der zunehmenden Spannungen in den Haushalten sind während der COVID-19 Pandemie angestiegen. Laut der föderalen Polizei hat häusliche Gewalt um fast 20 % zugenommen (USDOS 12.4.2022).

Auch Tötung von Frauen und Mädchen durch ihre Familien und Ehemänner wurden 2021 verzeichnet (HRW 13.1.2022). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, aber nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches hat der Ehemann das Recht, seine Frau, sowie seine Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 13.1.2022; vergleiche USDOS 12.4.2022). Diese Grenzen sind recht vage definiert, sodass verschiedene Arten von Gewalt als rechtmäßig interpretiert werden können (FIS 22.5.2018). Nach Artikel 128, Absatz 1 des Strafgesetzbuches können Straftaten, die aufgrund der Ehre oder vom Opfer provoziert begangen wurden, ungestraft bleiben, bzw. kann in solchen Fällen die Strafe gemildert werden (FIS 22.5.2018; vergleiche HRW 13.1.2022, USDOS 12.4.2022). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als normal und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen. Frauen tendieren dazu, häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch, um den Täter zu schützen. Viele Frauen haben kein Vertrauen in die Polizei und halten den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (FIS 22.5.2018).

Während sexuelle Übergriffe, wie z. B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022, UNSC 30.3.2021, StC 25.6.2021). Dies gilt sowohl im Irak als auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) (StC 25.6.2021). Eine Bestimmung verhindert hierbei eine Scheidung innerhalb der ersten drei Ehejahre (USDOS 12.4.2022). Dies trifft auch zu, wenn das Opfer minderjährig ist (FIS 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022). Es gab keine zuverlässigen Schätzungen über die Häufigkeit von Vergewaltigungen oder Informationen über die Effektivität der staatlichen Durchsetzung des Gesetzes (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge sind besonders binnenvertriebene Frauen und Mädchen, insbesondere solche, die mit dem IS in Verbindung gebracht werden, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt (EMHRM 6.2021).

Der Irak hat zwar eine nationale Strategie gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen angenommen, die Verabschiedung eines Gesetzesentwurfs zum Schutz vor häuslicher Gewalt steht jedoch noch aus (UNFPA 2020). Bemühungen des irakischen Parlaments, einen Gesetzesentwurf gegen häusliche Gewalt zu verabschieden, sind seit 2019 ins Stocken geraten (HRW 13.1.2022). Die erneuten Bemühungen irakischer Frauenrechtsorganisationen, das Parlament zur Verabschiedung eines Gesetzes zum Verbot geschlechtsspezifischer Gewalt zu bewegen, blieben erfolglos (FH 28.2.2022). Entsprechende parlamentarische Bemühungen zur Verabschiedung eines Gesetzentwurfs gegen häusliche Gewalt sind seit 2019 ins Stocken geraten (HRW 13.1.2022).

Fälle von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt bleiben weitgehend ungemeldet. Gründe dafür sind fehlender Zugang zu gerichtlichen oder administrativen Mechanismen, Angst vor Stigmatisierung und Repressalien (EMHRM 6.2021; vergleiche UNSC 30.3.2021) sowie fehlende strafrechtliche Verantwortung der Täter und Schutzmechanismen für Opfer (EMHRM 6.2021). Auch Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte haben Frauen in den von ihnen kontrollierten Lagern, wie z. B. in Ninewa, belästigt und sexuell missbraucht. 2020 wurden 30 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt durch bewaffnete Akteure, hauptsächlich gegen Frauen verzeichnet, einer gegen einen inhaftierten Mann (UNSC 30.3.2021). In der KRI ist die Zahl der Frauenmorde gestiegen. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 wurden in der KRI elf Frauen getötet, die meisten von ihnen durch Schüsse. 2021 waren es 45 Frauen, 2020 waren es 25 Frauen (France 24 20.3.2022).

Frauen, die infolge einer Vergewaltigung Kinder geboren haben, haben Probleme für ihre Kinder Identitätspapiere zu erhalten und damit einhergehend Zugang zu Dienstleistungen (UNSC 30.3.2021).

Obwohl der IS ein System organisierter Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei und Zwangsheirat von jesidischen Frauen und Mädchen und anderen Minderheiten etablierte, wurde kein IS-Mitglied wegen dieser spezifischen Verbrechen strafrechtlich verfolgt oder verurteilt (HRW 13.1.2022). Im Zuge des IS-Vormarsches auf Sinjar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als Trophäen an IS-Kämpfer übergeben oder nach Syrien verkauft wurden. Diese Frauen wurden anschließend oftmals von ihren Familien aus Gründen der Tradition verstoßen oder sie wurden gezwungen, die aus den Zwangsehen entstandenen Kinder zu verstoßen (AA 25.10.2021).

Schutzmaßnahmen, Schutzeinrichtungen, Frauenhäuser

Letzte Änderung: 12.08.2022

Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen. NGOs zufolge meiden es Opfer häuslicher Gewalt, sich an die Familienschutzeinheiten zu wenden, weil sie vermuten, dass die Polizei ihre Familien über ihre Aussage informieren würde. Einige Stammesführer im Süden des Irak haben Berichten zufolge ihren Stammesmitgliedern verboten, sich an Familienschutzeinheiten der Polizei zu wenden (USDOS 12.4.2022).

Die meisten Familienschutzeinheiten unterhalten keine Schutzräumlichkeiten für Opfer häuslicher Gewalt (USDOS 12.4.2022). NGOs ist es nicht explizit verboten, Schutzhäuser zu betreiben. Per Gesetz muss der Betrieb von Schutzhäusern durch das Arbeits- und Sozialministerium genehmigt werden. NGOs wurde ein solcher Betrieb jedoch nicht erlaubt (USDOS 11.3.2020). Manche NGOs betreiben daher inoffizielle Schutzhäuser unter der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (USDOS 11.3.2020; vergleiche Al Jazeera 12.2.2021). So betreibt die Organisation für die Freiheit der Frauen im Irak mehrere Frauenhäuser in Bagdad. Im Jahr 2020 hat die Regierung ein gerichtliches Auflösungsverfahren gegen die Organisation eingeleitet. Ihr wird die Spaltung von Familien, die Ausbeutung von Frauen und Fluchthilfe vorgeworfen (Al Jazeera 12.2.2021). UNFPA unterstützt fünf Frauenhäuser im gesamten Irak, davon eines in Bagdad, mit einem Aufnahmevermögen von 80 Personen in zehn Schlafräumen sowie einem Beratungsraum und einem Raum für psychosoziale Unterstützung (UNFPA 20.2.2019). Aufgrund von Druck durch die Gemeinschaften, die Frauenhäuser häufig als Bordelle ansehen, werden diese regelmäßig durch das Ministerium geschlossen, um später an anderer Örtlichkeit wieder eröffnet zu werden. Manchmal werden Schutzhäuser Ziel von Gewalt. (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung hat am 1.3.2021 das Gesetz über weibliche Überlebende von IS-Verbrechen (Jesidinnen, Turkmeninnen, Christinnen und Shabak) erlassen (UNSC 3.8.2021; vergleiche DW 26.3.2021, HRW 13.1.2022, OHCHR 21.4.2021). Das Gesetz sieht eine Entschädigung für die Überlebenden von IS-Verbrechen und Maßnahmen zu ihrer Rehabilitierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie zur Verhinderung solcher Verbrechen in der Zukunft vor (HRW 13.1.2022; vergleiche OHCHR 21.4.2021). Das neue Gesetz sieht vor, dass der Irak den Opfern ein monatliches Stipendium, Wohngrundstücke oder kostenlosen Wohnraum (DW 26.3.2021; vergleiche OHCHR 21.4.2021) sowie psychologische Unterstützung gewährt (DW 26.3.2021). Überlebende von IS-Angriffen werden außerdem bei der Einstellung von 2% aller Stellen im öffentlichen Sektor bevorzugt (DW 26.3.2021; vergleiche OHCHR 21.4.2021). Im Mai 2021 hat der Ministerrat eine Generaldirektion für die Angelegenheiten der jesidischen Überlebenden eingerichtet, die dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales untersteht, und ernannte eine jesidische Juristin zur Generaldirektorin (UNSC 3.8.2021). Im September 2021 verabschiedete das Parlament die notwendigen Verordnungen zur Umsetzung des Gesetzes, aber bis November waren kaum Fortschritte bei der Anwendung des Gesetzes erzielt worden (HRW 13.1.2022).

Kurdistan Region Irak (KRI)

(…)

Ehrenverbrechen an Frauen

Letzte Änderung: 12.08.2022

Als Ehrenverbrechen werden Praktiken beschrieben, die zur Verhaltenskontrolle innerhalb von Familien oder sozialen Gruppen eingesetzt werden, um wahrgenommene kulturelle und religiöse Überzeugungen und/oder die Ehre zu schützen (CPS o.D.). Ehrenverbrechen können auftreten, wenn die Täter der Meinung sind, dass eine Person die Familie und/oder die Gemeinschaft beschämt hat, indem diese ihren Ehrenkodex gebrochen hat (CPS o.D.), bzw. "Schande" über die Familie oder den Stamm gebracht hat. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können, wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. "Entehrung" (MRG 11.2015). Die Familien- und die individuelle Ehre wird ausschließlich von Männern gehalten und kann verloren oder wiedergewonnen werden. Frauen dagegen können nur eine Quelle der Familien- oder individuellen "Schande" sein, und können nicht aktiv Ehre in ihre Familie oder ihren Stamm bringen (TCF 7.11.2019).

Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können. Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen (MRG 11.2015).

Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 12.4.2022; vergleiche EASO 1.2021, AA 25.10.2021). Ehrenverbrechen kommen in allen Teilen des Landes vor und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen (EASO 1.2021). Das Ausmaß der Ehrenmorde ist aufgrund einer hohen Dunkelziffer nicht bekannt (UK Home Office 3.2021). UNAMI berichtete 2018, dass jedes Jahr mehrere hundert Frauen durch Ehrenmorde sterben. Einige Familien sollen Ehrenmorde so arrangiert haben, dass sie wie Selbstmord aussehen (UK Home Office 3.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Obwohl einige Gemeinschaften Dekrete erlassen und Schritte unternommen haben, um Frauen von der vermeintlichen Schuld freizusprechen, die mit ihrer sexuellen Ausbeutung durch IS-Kämpfer verbunden ist, bleiben Ehrenmorde ein Risiko (USDOS 12.4.2022).

Das Strafgesetzbuch des Irak sieht für Gewalttaten aus "ehrenhaften Motiven", inklusive Ehrenmorde, milde, reduzierte Strafen vor (FH 28.2.2022; vergleiche HRW 13.1.2022, StC 25.6.2021, AA 25.10.2021). In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht zudem den Grund der "Ehre" als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis (USDOS 12.4.2022). Strafen für Ehrenverbrechen sind selten (FH 28.2.2022; vergleiche EASO 1.2021).

In der Kurdistan Region Irak (KRI) wurden "Ehrenmorde" durch eine Abänderung des irakischen Strafrechts im Jahr 2015 anderen Morden strafrechtlich gleichgestellt. In einigen gesellschaftlichen Gruppen gilt der "Ehrenmord" aber immer noch als rechtfertigbar (AA 25.10.2021). Offizielle Daten der Kurdischen Regionalregierung (KRG) nennen in der KRI 50 Ehrenmorde im Jahr 2017, 46 im Jahr 2018 und 120 im Jahr 2019 (BS 23.2.2022, S.14). Die Generaldirektion für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen des Innenministeriums der Kurdischen Regionalregierung (KRG) hat für 2021 bis September 19 Fälle von Ehrenmord bestätigt (USDOS 12.4.2022). Im übrigen Irak werden Tötungen in der Familie von den Behörden nur unzureichend gemeldet, weshalb es keine genauen Daten über geschlechtsspezifische Gewalt gibt. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Situation für Frauen im föderalen Irak schlechter ist als in der KRI (BS 23.2.2022, S.14).

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Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation)

Letzte Änderung: 12.08.2022

Das Thema der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen im Irak war lange Zeit ein Tabu, über das kaum gesprochen wurde (UK Home Office 2.2020; vergleiche MRG 11.2015). Erst als durch Studien die alarmierend hohe FGM-Rate im kurdischen Norden aufgezeigt wurde, hat sich dies geändert (MRG 11.2015). Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Kurdistan Region Irak (KRI) die Genitalverstümmelung unter Strafe (AA 25.10.2021; vergleiche PKI 21.6.2011). Die UNO arbeitet mit Regierungsinstitutionen und lokalen NGOs zusammen, um FGM durch Sensibilisierungskampagnen zu verhindern (UNICEF 6.2.2019). FGM ist in der KRI weit verbreitet (BS 23.2.2022, S.15). NGOs berichten, dass die Praxis weiter betrieben wird, vor allem in ländlichen Gebieten, insbesondere in Erbil und Sulaymaniyah, sowie in Kirkuk (USDOS 12.4.2022; vergleiche DFAT 17.8.2020). Eine Umfrage aus dem Jahr 2016 ergab, dass fast 45 % der befragten Frauen in der KRI FGM ausgesetzt waren, (DFAT 17.8.2020). In Erbil waren 2018 etwa 50,1 % der Frauen vom FGM betroffen, in Sulaymaniyah waren es 45,1 %. In Dohuk hingegen nur etwa 3,1% (UNICEF 6.12.2018; vergleiche BMC 1.4.2021). Auch unter IDPs wird FGM noch praktiziert (DFAT 17.8.2020). Allerdings geht die FGM-Rate kontinuierlich zurück (USDOS 12.4.2022; vergleiche BMC 1.4.2021). Außerhalb der KRI ist FGM nicht üblich (USDOS 12.4.2022; vergleiche BS 23.2.2022, S.15).

Einer Untersuchung aus 2018 zufolge wurden etwa 7,4 % der irakischen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren einer FGM unterzogen. In der KRI waren es 37,5 %, im Zentral- und Südirak hingegen nur 0,4 %. Bei Mädchen im Alter von 0 bis 14 Jahren ist der Prozentsatz mittlerweile auf 1 % gesunken, bzw. auf 3 % in der KRI (UNICEF 6.12.2018).

Außerhalb der KRI gibt es bisher keine staatlichen Anstrengungen zur Bekämpfung von FGM. Dabei gibt es laut einer Studie in Kirkuk auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung, wenn auch in geringerem Ausmaß (AA 25.10.2021).

Weibliche Familienoberhäupter: Witwen, Geschiedene, alleinstehende Frauen

Letzte Änderung: 12.08.2022

Etwa 10 % aller irakischen Haushalte werden von einem weiblichen Haushaltsvorstand geführt (DFAT 17.8.2020; vergleiche REACH 2.6.2021). Etwa 80 % dieser weiblichen Haushaltsvorstände sind Witwen, Geschiedene, getrennt Lebende oder pflegen kranke Ehepartner. Sie sind aufgrund des niedrigeren Gesamteinkommens tendenziell stärker von Armut und Ernährungsunsicherheit betroffen und sind besonders benachteiligt, was den Zugang zu Bildung, Beschäftigung und angemessener Unterkunft angeht. Nach Angaben internationaler Organisationen sind nur 2 % der weiblichen Haushaltsvorstände erwerbstätig und haben ein festes Gehalt, während weitere 6 % informell arbeiten und kein regelmäßiges Einkommen haben (DFAT 17.8.2020).

Einer Studie von IOM zufolge bleiben Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand länger binnenvertrieben (IDPs) als Haushalte mit einem männlichen Haushaltsvorstand. Rund 70 % der weiblich geführten Haushalte waren IDPs (IOM 23.9.2020). Weiblich geführte Haushalte haben nicht unbedingt Zugang zu Finanzanlagen, Sozialleistungen oder dem öffentlichen Verteilungssystem (PDS) (FIS 22.5.2018). Nur etwa 10 % der Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand erhalten Hilfe als Vertriebene (IOM 23.9.2020). Viele sind auf Unterstützung durch ihre Familien (FIS 22.5.2018; vergleiche IOM 23.9.2020), Behörden und NGOs angewiesen (FIS 22.5.2018). Soziale Netzwerke, Familie, Nachbarn und Freunde sind für das Wohlergehen und Überleben entscheidend. Bei fast 75 % der untersuchten Haushalte handelt es sich um Witwen. Wenn der Tod des Ehemannes dokumentiert ist, kann die Familie die staatliche Sozialhilfe für Witwen und Waisen sowie, wenn dieser eine staatliche Stelle innehatte, die Rente des Ehemannes in Anspruch nehmen. Frauen mit niedrigem Bildungsniveau und funktionale Analphabeten (41 %) finden es eine Herausforderung, sich in bürokratischen Systemen zurechtzufinden, insbesondere im Fall von Vertreibung (IOM 23.9.2020).

Es gibt unterschiedliche Angaben über den Anteil der berufstätigen weiblichen Haushaltsvorstände: Einer Quelle zufolge sind nur 2 % der weiblichen Haushaltsvorstände erwerbstätig und haben ein festes Gehalt, während weitere 6 % informell arbeiten und kein regelmäßiges Einkommen haben (DFAT 17.8.2020). Einer anderen Quelle zufolge sind etwa 13,5 % der weiblichen Haushaltsvorstände berufstätig. Rund 12,8 % haben sich aus dem Berufsleben zurückgezogen. 67,7 % sind als Hausfrauen tätig. 1,4 % sind auf Arbeitssuche, weitere 4,6 %, sind aus diversen Gründen nicht berufstätig (Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit, Studenten und Arbeitslose, die nicht auf Arbeitssuche sind) (IOM 23.9.2020).

Um ihre Grundbedürfnisse decken zu können, reduzieren viele Haushalte Lebensmittel und andere Ausgaben. Außerdem leihen sie Geld von Familie und Freunden. Fast 70 % der weiblichen Haushaltsvorstände geben an, für ihre Grundbedürfnisse sorgen zu können, wenn sie bei den Lebensmitteln und anderen Ausgaben Abstriche machen (IOM 23.9.2020).

Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden, obwohl die Behörden in den meisten Fällen Geburtsurkunden nach der Registrierung der Geburt durch die Ministerien für Gesundheit und Inneres ausgestellt haben. Diese Registrierung ist Berichten zufolge ein langwieriger und bisweilen komplizierter Prozess (USDOS 12.4.2022).

Berichten zufolge wurden Frauen von Arbeitgebern durch Zwangsehen und die Androhung von Scheidungen zu unfreiwilliger Hausarbeit gezwungen. Frauen, die aus solchen Ehen flohen oder, deren Ehemänner sich von ihnen scheiden ließen, sind sozialer Stigmatisierung und einer erhöhten Anfälligkeit für prekäre Arbeitssituationen, wie Zwangsarbeit ausgesetzt. Weibliche Binnenvertriebene (IDPs), alleinstehende Frauen und Witwen sind besonders anfällig für wirtschaftliche Ausbeutung und diskriminierende Beschäftigungsbedingungen (USDOS 12.4.2022).

Männer können sich einseitig von ihren Ehefrauen scheiden lassen, während Frauen nur aus bestimmten Gründen Scheidungsverfahren einleiten können, wie z.B. die Inhaftierung des Mannes für mehr als drei Jahre, Impotenz oder Unfruchtbarkeit des Mannes (OECD 12.2018; vergleiche HRW 25.2.2018), die Abwesenheit des Mannes für mehr als zwei Jahre, oder wenn der Ehemann für vier oder mehr Jahre als vermisst gilt (HRW 25.2.2018). Darüber hinaus haben sowohl Männer als auch Frauen das Recht, aus Gründen wie Untreue, Glücksspiel im Ehehaus oder Gewalt in einer Weise, die das Eheleben unmöglich macht, die Trennung zu verlangen. Frauen können zusätzlich eine „Khula“-Scheidung beantragen, bei der sie ihre Brautgabe zurückgeben und jede zukünftige finanzielle Unterstützung verlieren (OECD 12.2018). 2018 wurde ein Anstieg von Scheidungsanträgen, insbesondere durch Frauen verzeichnet. Obwohl nicht verfolgt wurde, ob es sich dabei um IS-bezogene Scheidungen handelte, wurde insbesondere in sunnitischen Regionen unter vormaliger IS-Herrschaft, wie Anbar und Ninewa, ein Anstieg verzeichnet (NBC 5.7.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 25.10.2021). Nach anderen Angaben bleibt eine Scheidung im Irak weiterhin mit starkem sozialem Stigma verbunden (FIS 22.5.2018).

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Letzte Änderung: 12.08.2022

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 3.3.2021). Personen, die als nicht konform mit den lokalen sozialen und kulturellen Normen angesehen werden, weil sie ein "westliches" Verhalten an den Tag legen, sind Drohungen und Angriffen von Einzelpersonen aus der Gesellschaft sowie von Milizen ausgesetzt. Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben es auf Personen abgesehen, die Anzeichen für eine Abweichung von ihrer Auslegung der schiitischen Normen zeigen, manchmal mit Unterstützung der schiitischen Gemeinschaft (EASO 1.2021). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 25.10.2021). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 2.6.2022; vergleiche DFAT 17.8.2020). Nicht-schiitische Muslime und nicht-muslimische Frauen berichten, dass sie sich gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bspw. während des heiligen Monats Muharram, insbesondere während Ashura, den Hijab und schwarze Kleidung zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden (DFAT 17.8.2020). Im Jahr 2018 gab es einige Morde an Frauen aus der Schönheits- und Modebranche, die in der Öffentlichkeit standen. Die Angreifer blieben unbekannt, aber die Regierung machte extremistische Gruppen für die Morde verantwortlich (FH 3.3.2021).

Für Frauen außerhalb des Hauses zu arbeiten, wird in weiten Teilen der Gesellschaft als inakzeptabel angesehen. Vorheriger SuchbegriffBerufeNächster Suchbegriff, wie die Arbeit in Geschäften, Restaurants oder in den Medien, wurden als etwas Schändliches angesehen. Gleiches gilt für die Teilnahme an lokaler und nationaler Politik (IWPR 8.3.2021). So wurden weibliche Aktivisten, die an den Protesten teilnahmen, in politischen Kampagnen als promiskuitiv verunglimpft (ICG 26.7.2021). Entsprechend sprach sich as-Sadr im Februar 2020 für eine Geschlechtertrennung auf den öffentlichen Plätzen aus (ICG 26.7.2021; vergleiche AIIA 1.4.2020). Im Zuge des darauffolgenden Frauenmarsches am 13.2.2020 wurden weibliche Demonstranten mit Tränengas angegriffen, bedroht, attackiert, entführt und in einigen Fällen getötet (AIIA 1.4.2020). Im August 2020 verübten Unbekannte eine Reihe von Attentaten auf regierungskritische Demonstranten. Die gewalttätigsten Angriffe ereigneten sich im Gouvernement Basra und führten zur Tötung von drei Aktivisten und zwei Zivilisten (MEMO 17.9.2020).

Kinder

Letzte Änderung: 12.08.2022

Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 25.10.2021). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 13.1.2022).

Kinder sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 25.10.2021). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 12.4.2022).

Vor der COVID-19-Krise lebte laut UNICEF eines von fünf Kindern in Armut (AA 25.10.2021). Einem Bericht für das Jahr 2021 zufolge leben 38 % aller irakischer Kinder in Armut (USDOS 12.4.2022). Über 1,16 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren waren unterernährt (AA 25.10.2021). Ende 2020 lag die Zahl der Kinder im Irak, die humanitäre Hilfe benötigen, bei 1,89 Millionen (UNICEF 20.1.2021).

Nach dem Gesetz ist der Vater der Vormund seiner Kinder, aber auch einer geschiedenen Mutter kann das Sorgerecht für ihre Kinder bis zum Alter von zehn Jahren zugesprochen werden, verlängerbar durch ein Gericht bis zum Alter von 15 Jahren, wobei die Kinder zu diesem Zeitpunkt wählen können, bei welchem Elternteil sie leben möchten (USDOS 12.4.2022). Das irakische Familienrecht unterscheidet zwischen zwei Arten der Vormundschaft (wilaya und wasiya), sowie der Pflege bzw. Sorge (hanada). Dem Vater kommt immer die Vormundschaft (wilaya) zu. Wenn dieser nicht mehr lebt, dem Großvater bzw. nach Entscheidung eines Shari‘a-Gerichts einem anderen männlichen Verwandten. Nur ein Mann kann demnach wali sein. Die Fürsorgeberechtigung (hanada), d.h. die Verantwortung für die Erziehung, Sicherheit und Betreuung eines Kindes, kommt im Falle einer Scheidung der Mutter zu. D.h. die Kinder leben bei der Mutter, im Falle von Knaben bis zum 13. Lebensjahr und im Falle von Mädchen bis zum 15. Lebensjahr (Migrationsverket 15.8.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weitverbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im Gebiet des Islamischen Staates (IS) geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten. Etwa 15.000 Kinder sind davon betroffen (USDOS 12.4.2022).

Gewalt gegen Kinder/Minderjährige

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem, aber aktuelle, zuverlässige Statistiken über das Ausmaß des Problems sind nicht verfügbar (USDOS 12.4.2022). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland (USDOS 1.7.2021). Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln (USDOS 1.7.2021; vergleiche FH 28.2.2022). Sie werden auch gezwungen Drogen zu verkaufen (USDOS 1.7.2021). Ebenso ist Kinderprostitution ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Aufgrund der Strafmündigkeit ab einem Alter von neun Jahren im Irak, bzw. elf Jahren in der Kurdistan Region Irak (KRI), behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 30.3.2021).

Kinderarbeit

Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schwersten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022; vergleiche AA 21.1.2021). In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Arbeitsgesetz begrenzt für Personen unter 18 Jahren die tägliche Arbeitszeit auf sieben Stunden und verbietet Arbeiten, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral schaden können. Dieses Gesetz gilt jedoch nicht für Jugendliche, die in Familienbetrieben arbeiten, die ausschließlich Waren für den Hausgebrauch herstellen. Es gibt daher Berichte über Kinder, die in Familienbetrieben gefährliche Arbeiten verrichten. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, wie erzwungenes Betteln und kommerzielle sexuelle Ausbeutung, manchmal als Folge von Menschenhandel, kommt im ganzen Land vor (USDOS 12.4.2022). Trotz des Verbotes der Kinderarbeit arbeiten etwa 500.000 Kinder vorrangig in der Landwirtschaft oder im Straßenverkauf. Armut begünstigt Kindesentführungen und Kinderhandel (AA 21.1.2021).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales der kurdischen Regionalregierung (KRG) schätzt, dass mehrere hundert Kinder in der KRI arbeiten, oft als Straßenverkäufer oder Bettler, was sie besonders gefährdet. Das Ministerium betrieb eine 24-Stunden-Hotline zur Meldung von Arbeitsmissbrauch, einschließlich Kinderarbeit, bei der monatlich etwa 200 Anrufe eingingen (USDOS 12.4.2022).

Strafverfolgung von Kindern/Minderjährigen

Die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung beträgt neun Jahre und elf Jahre in der Kurdischen Region im Irak (KRI) (USDOS 12.4.2022; vergleiche HRW 13.1.2022).

Laut Berichten der Vereinten Nationen sind zahlreiche Jugendliche wegen Terrorismusvorwürfen angeklagt oder verurteilt (AA 21.1.2021; vergleiche HRW 13.1.2022). Bei einigen von ihnen handelt es sich um ehemalige Opfer von Zwangsrekrutierungen (USDOS 1.7.2021). Es mangelt nach wie vor an Jugendstrafanstalten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) berichtet jedoch, dass jugendliche Häftlinge mittlerweile vorwiegend von erwachsenen Straftätern getrennt inhaftiert werden (AA 21.1.2021). Einem Bericht des IHRCKR zufolge sind außerdem bspw. über 50 Minderjährige gemeinsam mit ihren Müttern in der Erziehungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil untergebracht (USDOS 30.3.2021),

Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern/Minderjährigen

Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden (USDOS 12.4.2022).

Rekrutierung von Kindern ist ein Problem (FH 28.2.2022). Kinder sind nach wie vor anfällig für Zwangsrekrutierung und den Einsatz durch diverse bewaffnete Gruppen, die im Irak operieren. Dazu zählen der IS, Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Stammesmilizen, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und andere vom Iran unterstützte Milizen (USDOS 1.7.2021). 2021 gab es jedoch einen bestätigten Bericht über den Einsatz eines Kindersoldaten durch PMF (USDOS 12.4.2022).

Es gibt Berichte, wonach der IS in den vergangenen Jahren Kinder als Soldaten eingesetzt hat (AA 21.1.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022), ebenso als menschliche Schutzschilde, Informanten, Bombenbauer, Henker und Selbstmordattentäter (USDOS 1.7.2021). Unter anderem aufgrund der territorialen Niederlage des IS liegen für das Jahr 2021 nur wenige Informationen über den Einsatz von Kindern durch den IS vor (USDOS 12.4.2022).

Mehrere Quellen berichten, dass die PKK und die Volksschutzeinheiten (YPG), die in der KRI und in Sinjar, Ninewa operieren, weiterhin Kinder rekrutieren und einsetzen. Im Jahr 2021 berichtete eine nicht verifizierte Quelle, dass die PKK Dutzende von Kindern rekrutiert habe, um sie auf den Kampf vorzubereiten, darunter auch Kinder aus Kirkuk (USDOS 1.7.2021).

[Anm.: Informationen zu Kinderehen können dem Kapitel Zwangsehen, Kinderehen, temporäre Ehen, Blutgeld-Ehe (Fasliya) entnommen werden, Informationen zu Kindern, die unter dem IS geboren sind finden sich in Kapitel (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und IS-Familien (Dawa‘esh).]

Bildungszugang

Letzte Änderung: 12.08.2022

Die irakischen Bildungseinrichtungen unterstehen dem Bildungsministerium in Bagdad, welches durch Direktorate in allen Gouvernements vertreten ist (GIZ 1.2021c). Die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten (USDOS 12.4.2022). Es existieren vier Schulstufen: Die nicht verpflichtende Vorschule, die verpflichtende Grundschule (Alter 6-11 Jahre), die Sekundarausbildung und die Hochschulausbildung (GIZ 1.2021c).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist ein eigenes, der Kurdischen Regionalregierung (KRG) unterstehendes Bildungsministerium zuständig. Der Lehrplan in der KRI ähnelt dem zentralirakischen Lehrplan weitgehend, es wird jedoch großteils auf Kurdisch gelehrt (GIZ 1.2021c). Schulpflicht besteht hier bis zum Alter von 15 Jahren. Auch sie ist kostenlos (USDOS 12.4.2022). Neben den staatlichen Schulen gibt es auch private, meist mit ausländischer Beteiligung aufgebaute Schulen (GIZ 1.2021c).

Eine flächendeckende Sicherung der Grundbildung konnte nicht gewährleistet werden (GIZ 1.2021c). Die Sicherheitslage, das Einquartieren von Binnenvertriebenen in Schulgebäuden und eine große Zahl zerstörter Schulen verhinderten, und verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate seit 2003 drastisch gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten (AA 25.10.2021). Nach Angaben von UNESCO auf 85,6 % (AA 25.10.2021; vergleiche BS 23.2.2022), laut dem irakischen Planungsministerium auf 87 %. Zum Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 25.10.2021). Laut UNESCO waren 2017 79,9 % der Frauen und 91,2 % der Männer über 15 Jahre des Lesens und Schreibens mächtig (AA 25.10.2021; vergleiche BS 23.2.2022). Nach Angaben des Planungsministeriums von Januar 2020 liegt die Alphabetisierungsrate von Frauen bei 83 % im Vergleich zu 92 % bei den Männern (AA 25.10.2021).

Laut Schätzungen sind etwa 22 % der Erwachsenen nie zur Schule gegangen. Während mehr als 90 % der Kinder eine Grundschule besuchen, fällt die Schülerzahl in der Altersklasse 15 bis 17 unter die Hälfte (GIZ 1.2021c). Ein gleichberechtigter Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 12.4.2022). Es gibt eine Benachteiligung von Mädchen im Bildungssystem, die nach wie vor einen schlechteren Zugang zu Bildung haben. So sind Mädchen im Alter ab zwölf Jahren doppelt so stark von Analphabetismus betroffen wie Buben (GIZ 1.2021c). Auf dem Land fällt die Einschulungsrate von Mädchen (77 %) weit niedriger aus als die von Buben (90 %). Je höher die Bildungsstufe, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine frühe Ehe für sie vor (GIZ 1.2021c; vergleiche UN OCHA 2019). Tausende von Kindern ohne Ausweispapiere werden von den Behörden weiterhin daran gehindert staatliche Schulen zu besuchen, darunter auch staatliche Schulen in Vertriebenenlagern (HRW 13.1.2022).

Die Einschulungsquoten von Mädchen sind auf allen Bildungsebenen gestiegen, liegen aber immer noch unter denen der Buben. Mädchen brechen die Ausbildung tendenziell häufiger ab als Buben (BS 23.2.2022). Eine 2018 durchgeführte Umfrage zur Situation von Kindern im Irak hat ergeben, dass 91,6 % der Kinder im Irak in der Grundschule eingeschrieben sind (92,7 % der Buben, 90,4 % der Mädchen). Im Zentralirak sind dies 90,8 % (92,2 % der Buben, 89,3 % der Mädchen), in der KRI sind es 96 % (95,8 % der Buben, 96,2 % der Mädchen). Der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten, die eine Grundschule besuchen, ist dabei mit 93 % höher als jener in ruralen Gebieten mit 88,6%. Entsprechend sinkt auch der Anteil der Buben von 93,8 % auf 90,5 % und der der Mädchen von 92,2 % auf 86,7%. Der Anteil der Kinder, die die untere Sekundarstufe (Unterstufe) besuchen liegt bei 57,5 %, wobei der Anteil von Buben und Mädchen gleich ist. Im Zentralirak sind dies 55,6 % (56,5 % der Buben, 54,7 % der Mädchen), in der KRI sind es 67,1 % (63,1 % der Buben, 70,6 % der Mädchen). Auch hier ist der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten mit 64,5 % (63,7 % der Buben, 65,2% der Mädchen) höher als der in ruralen Gebieten mit 43,8 % (45,2 % der Buben, 42,4 % der Mädchen). Der Anteil der Kinder, die die obere Sekundarstufe (Oberstufe) besuchen, liegt bei 24,2 % (31 % der Buben, 35,3 % der Mädchen. Im Zentralirak sind dies 28,8 % (28,0 % der Buben, 29,7 % der Mädchen), in der KRI sind es 52 % (44,4 % der Buben, 60,7 % der Mädchen). Auch hier ist der Anteil der Kinder aus urbanen Gebieten mit 37 % (34,4 % der Buben, 39,6 % der Mädchen) höher als der in ruralen Gebieten mit 24,9 % (24,1 % der Buben, 25,7 % der Mädchen) (UNICEF 2.2019). Aktuelle, verlässliche Statistiken über Einschreibungen, Anwesenheit oder Abschlüsse sind nicht verfügbar (USDOS 30.3.2021).

Einer Umfrage von 2021 zufolge, die in Bagdad, Basra und Mossul durchgeführt wurde, geben 65 % der Befragten an, dass ihre Kinder zur Schule gehen können, während die Kinder von 24 % nicht zur Schule gehen. Während 72 % der von Männern geführten Haushalte angeben, dass ihre Kinder zur Schule gehen können, sind es bei den von Frauen geführten Haushalten nur 56%. Auch regional gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Schulbesuch: In Mossul liegt die Quote bei 82 %, in Basra bei 74% und in Bagdad bei 56%. Was die ethnischen Gruppen betrifft, so gehen die Kinder von 67 % der Araber und 61 % der Kurden zur Schule. 57 % der Christen geben an, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken können, ebenso wie 74 % der schiitischen und 68% der sunnitischen Muslime. 92 % der Kinder derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, gehen zur Schule, aber nur 63 % derjenigen, die weniger verdienen (BFA, IRFAD 2021).

70 % der Befragten geben an, dass ihre Kinder eine öffentliche Schule besuchen, während nur 16 % eine Privatschule besuchen. Regional gesehen besuchen 82 % der Kinder in Mossul, 78 % in Basra und 62 % in Bagdad eine öffentliche Schule, während 18 % in Mossul, 22 % in Basra und 14 % in Bagdad eine Privatschule besuchen. Während die Quote bei den öffentlichen Schulen ähnlich hoch ist, besuchen 19 % der kurdischen Kinder eine Privatschule, gegenüber 9% der arabischen Kinder. Auch die religiösen Gruppen weisen unterschiedliche Muster auf: Öffentliche Schulen werden von 61 % der Kinder von Christen, 84 % der Kinder von schiitischen Muslimen und 73 % der Kinder von sunnitischen Muslimen besucht. Privatschulen werden von 26 % der Kinder von Christen, 9% der Kinder von sunnitischen Muslimen und 15 % der Kinder von sunnitischen Muslimen besucht. 30 % der Kinder von Personen mit einem Einkommen von mehr als 700.000 IQD besuchen eine Privatschule, aber nur 13 % der Kinder von Personen mit einem geringeren Einkommen. 39 % der Befragten geben an, weniger als 70.000 IQD pro Kind für die Schule zu zahlen, während nur 4 % zwischen 150.000 und 300.000 IQD zahlen. In Bagdad zahlen 34 % weniger als 70.000 IQD, ebenso 39 % in Basra und 54 % in Mosul; nur in Bagdad zahlen einige der Befragten (7 %) zwischen 150.000 und 300.000 IQD. 56 % der Kurden zahlen weniger als 70.000 IQD pro Kind und Monat, gegenüber 35 % der Araber. Was die religiösen Gruppen betrifft, so geben 54 % der sunnitischen Muslime an, weniger als 70.000 pro Monat zu zahlen, ebenso wie 30 % der Christen und 32 % der schiitischen Muslime (BFA, IRFAD 2021).

60 % der Befragten geben an, dass ihre Kinder keinen Zugang zur Hochschulbildung haben, während dieser für 31 % der Befragten gegeben ist. Von den weiblich geführten Haushalten haben nur 25 % der Befragten Hochschulzugang, wärend es 37 % bei männlich geführten Haushalten sind. Regionale Unterschiede zeigen, dass in Basra 83 % keinen Zugang haben, ebenso wie 77 % in Mossul, aber nur 42 % in Bagdad. 65 % der Kurden geben an, dass sie keinen Zugang zur Hochschulbildung haben, während 58 % der Araber keinen Zugang haben. Der fehlende Zugang ist fast gleichmäßig auf die Konfessionen verteilt: 60 % der Christen, 64 % der schiitischen Muslime und 64 % der sunnitischen Muslime. Hinsichtlich eines Zugangs zu höherer Bildung hat die Befragung ergeben, dass 58 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, gegenüber 34 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie waren die Schulen in den von Bagdad kontrollierten Gebieten von März bis November 2020 geschlossen, in der KRI von März 2020 bis zum Ende des Schuljahres (HRW 13.1.2021).

Wegen der COVID-19-Pandemie blieben die Schulen bis zum Ende des Schuljahres 2020-21 geschlossen, sodass mehr als zehn Millionen Schüler nicht zur Schule gehen konnten. UNICEF unterstützte das Bildungsministerium bei der Übertragung von Unterricht über das Bildungsfernsehen und digitale Plattformen. Der Zugang der Kinder zu alternativen Lernplattformen über das Internet und das Fernsehen wurde jedoch durch die begrenzte Konnektivität und Verfügbarkeit digitaler Geräte sowie durch den Mangel an Strom behindert. Außerdem hat das Bildungsministerium keine Richtlinien für die Durchführung von Fernunterricht herausgegeben (USDOS 12.4.2022). Schulen wurden vom irakischen Bildungsministerium angewiesen, den Lehrbetrieb aus der Ferne fortzusetzen, einschließlich der Ablegung von Prüfungen. In den Abschlussjahrgängen müssen die Schüler ihre Prüfungen jedoch in Anwesenheit ablegen. Einige Schulen haben hybride Unterrichtsmodelle eingerichtet, bei denen die Schüler an 2-3 Tagen pro Woche den Unterricht in Anwesenheit besuchen konnten. Ab Mai 2021 wurden jedoch alle Schulen wieder auf Fernstudien umgestellt (IOM 18.6.2021). Familien, die durch den IS-Konflikt vertrieben wurden, sind am meisten durch die Schulschließungen betroffen, da die meisten von ihnen keinen Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten haben (HRW 13.1.2021). Ebenso stehen Familien mit geringem Einkommen oder aus entlegenen Gebieten hinsichtlich eines Fernstudiums vor einem Hindernis, aufgrund der Erfordernis an eine stabile Internetleitung und an ein adäquates Equipment zu kommen (IOM 18.6.2021).

Berufsgruppen & Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen

Letzte Änderung: 16.08.2022

Journalisten, Blogger, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte sowie Mitglieder des Sicherheitsapparats, wie Polizisten und Soldaten, sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von Entführungen und gezielten Attentaten. Die Täter sind meist Angehörige von Milizen oder des Islamischen Staates (IS) (AA 25.10.2021).

Es sind fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, die Alkohol verkaufen, vor allem Jesiden und Christen (AA 25.10.2021; vergleiche USDOS 2.6.2022) sowie Mandäer-Sabäer. Das Verbot des Alkoholkonsums für Muslime hindert muslimische Geschäftsinhaber daran, Genehmigungen für den Alkoholverkauf zu beantragen. Christen werden deshalb als Strohmänner benutzt, um dieses Verbot zu umgehen (USDOS 2.6.2022). Läden, die Alkohol verkaufen bzw. deren Inhaber und Angestellte, werden immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 14.10.2020). Christliche, jesidische und sabäisch-mandäische Ladenbesitzer, insbesondere solche mit Alkoholverkaufslizenzen, berichten, dass sie von PMF-Milizen erpresst und angegriffen wurden (USDOS 12.4.2022). Im Oktober 2020 wurde beispielsweise ein Bombenanschlag auf ein von Christen betriebenes Spirituosengeschäft in Bagdad verübt. Nach Angaben von Anwohnern handelte es sich bei den Angreifern um mit der PMF verbündete Milizionäre (USDOS 12.5.2021). Im November 2021 wurde das Haus einer christlichen Familie, die ab-Haus Alkohol mit einer Lizenz handelt, zum wiederholten mal angegriffen (USDOS 2.6.2022).

Auch Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 25.10.2021).

Im Juli 2021 gab es 13 Angriffe mit Bomben (IED) auf Konvois, die Nachschub für die USA transportierten. Vier in Dhi Qar, je zwei in Anbar, Babil und Diwaniyah, sowie je einen in Bagdad, Basra und Salah ad-Din (Wing 2.8.2021).

Ex-Ba‘athisten

Letzte Änderung: 16.08.2022

Die Arabische Sozialistische Ba‘ath-Partei war im Jahr 1963 und dann zwischen 1968 und 2003, bis zum Fall von Saddam Hussein, die herrschende Partei des Irak (EB o.D.). Mit der neuen Verfassung von 2005 wurde die Ba‘ath Partei verboten (EASO 1.2021). Ebenso ist es untersagt, Unterstützung für die verbotene Ba'ath-Partei zu bekunden (USDOS 12.4.2022).

Nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins durchlief der Irak eine Ent-Ba‘athifizierung, die die Auflösung der Ba‘ath-Partei und verschiedener, mit ihr verbundener Organisationen, umfasste. Es kam zu Verhaftungen ehemaliger hochrangiger Parteimitglieder sowie zur Säuberung des Staatsapparates, der Streitkräfte und der öffentlichen Verwaltung (UKHO 1.2020; vergleiche ICTJ 3.2013). Im Zuge der Ent-Ba‘athifizierung wurden mit Wirkung vom 16.4.2003 alle militärischen Dienstgrade und Titel annulliert, Wehrpflichtige und Mitarbeiter entlassen. In späterer Zeit konnten manche Ba‘ath Mitglieder wieder in den Dienst genommen werden, oft nach einem Rehabilitationskurs, die Kriterien für die Wiedereinsetzung waren jedoch unklar (ICTJ 3.2013). Schrittweise aufeinander folgende Gesetze zur Entfernung von Ba‘athisten aus dem öffentlichen Dienst basierten auf Schuld durch Assoziation anstatt individuell begangener und nachgewiesener Verbrechen (EUISS 10.2017).

Einige mittel- bis hochrangige Ba‘athisten sind für schwere, unter dem Saddam-Regime begangene Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Darüber hinaus wird berichtet, dass einige frühere Ba‘athisten Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) oder zu anderen aufständischen Organisationen, wie der "Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens" (JRTN, Jaysh Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiyya) haben (UKHO 1.2020).

Obwohl viele Mitglieder der Ba'ath-Partei schiitisch waren, waren Sunniten in den oberen Rängen der Partei, im Militär und in den Sicherheitsdiensten überproportional vertreten. Sunniten stellen die Ent-Ba‘athifizierung wiederholt als "Ent-Sunnifizierung" dar und beklagen, dass der Prozess zu einem Instrument konfessioneller Politik geworden ist (ICTJ 3.2013). Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Ba‘ath-Partei ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig aufgrund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Viele von ihnen haben weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien (AA 25.10.2021).

Das 2006 verabschiedete irakische Ent-Ba‘athifizierungs-Gesetz verbietet ehemaligen Mitgliedern der Partei und des Regimes, führende Positionen, einschließlich Parlamentssitze, zu bekleiden (Anadolu 2.4.2018). Vormalige Ba‘athisthen, zumeist Sunniten, sind daher von einer Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen (CEIP 25.2.2010; vergleiche Anadolu 2.4.2018). 2008 hat das irakische Parlament das generelle Verbot für vormalige Ba‘athisten in Regierungspositionen zu arbeiten aufgehoben. Hochrangige Ba‘athisten blieben von Regierungspositionen ausgeschlossen (NYT 13.1.2008).

Tausende vormalige Ba'ath-Mitglieder wurden in die Reihen des IS aufgenommen (Reuters 11.12.2015). In dessen Anfangszeit drückte auch der mittlerweile verstorbene Feldmarschall Izzat Ibrahim al-Douri, seit der Hinrichtung Saddam Husseins 2006, Anführer der im Untergrund weiterbestehenden Überreste der Ba'ath Partei, seine Unterstützung aus, bevor er sich später von ihm distanzierte (Al-Monitor 27.10.2020).
(Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und "IS-Familien" (Dawa‘esh)

Letzte Änderung: 16.08.2022

Personen können aufgrund ihres Familiennamens (HRW 13.1.2022), ihrer Stammeszugehörigkeit oder ihres Herkunftsgebiets als dem Islamischen Staat (IS) nahestehend pauschal verurteilt werden (HRW 13.1.2021). Der Vorwurf einer IS-Nähe wird von den Behörden und Gemeinschaften oft ohne Beweise erhoben. Der Verdacht, dass sich ein Verwandter dem IS angeschlossen oder mit der Gruppe sympathisiert hat, ist dafür ausreichend. Es gibt keine Möglichkeit dagegen Einspruch zu erheben (HRW 3.6.2021). Generell: Frauen und Kinder von Angehörigen des sog. IS sind wegen ihrer Verbindung zu diesem stigmatisiert (USDOS 12.4.2022). Das Fehlen von Ausweispapieren wirkt sich für vermeintliche ehemalige IS-Angehörige bzw. deren Familien negativ auf die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Arbeit und Sozialleistungen aus (HRW 13.1.2021).

Irakische Sicherheitskräfte halten mutmaßliche IS-Angehörige willkürlich fest, viele davon monatelang, einige sogar jahrelang. Verdächtige werden regelmäßig ohne Gerichtsbeschluss oder Haftbefehl und ohne Nennung eines Grundes festgenommen. Dabei wird über die weit verbreitete Anwendung von Folter durch Sicherheitskräfte zur Gewinnung von Geständnissen berichtet (HRW 13.1.2021). Vertriebene Familien mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, die sich in und außerhalb von Lagern aufhalten, sind besonders anfällig für Übergriffe und sexuellen Missbrauch (FH 28.2.2022). Regierungstruppen der Zentralregierung und der Kurdistan Region Irak (KRI) werden für das Verschwindenlassen Tausender mutmaßlicher IS-Mitglieder und Personen, die ihnen nahe stehen, verantwortlich gemacht (USDOS 11.3.2020). Ebenso gibt es Berichte über willkürliche rechtswidrige Tötungen von mutmaßlichen IS-Mitgliedern durch Sicherheitskräfte und Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 30.3.2021). Regierungskräfte und PMF haben mutmaßliche IS-Sympathisanten aus deren Häusern vertrieben und diese beschlagnahmt (USDOS 12.4.2022). Vermeintliche IS-Familien, die sich auf der Flucht befinden, sind besonders gefährdet, dass ihr Eigentum beschlagnahmt oder übernommen wird (FH 28.2.2022). Derartige Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 25.10.2021). Obwohl derartige Beschlagnahmen von Häusern und Grundstücken im Laufe des Jahres 2021 zurückgegangen sind, bleiben viele Häuser und Grundstücke nach wie vor in Fremdbesitz (USDOS 12.4.2022).

Dokumente: Der IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen seine eigenen Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden. Außerdem haben viele Familien ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren, oder als sie in den Lagern für IDPs ankamen (CCiC 1.4.2021; vergleiche NRC 4.2019). Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021). Wenn aufgrund des Familiennamens, der Stammeszugehörigkeit oder des Herkunftsgebietes von Familien eine IS-Angehörigkeit vermutet wird (HRW 13.1.2021), kommt es zur Weigerung, eine Sicherheitsfreigabe zu erteilen, was wiederum die Beschaffung von Dokumenten verunmöglicht (HRW 13.1.2021; vergleiche CCiC 1.4.2021). Einige Familien wurden genötigt, zur Erlangung der Sicherheitsfreigabe Verwandte, die verdächtigt werden, sich dem IS angeschlossen zu haben, anzuzeigen (HRW 13.1.2021).

Frauen:

Vielen Frauen, die mit IS-Kämpfern verheiratet waren und verwitwet sind, fehlen Heiratsurkunden und ihren Kindern die entsprechenden Geburtsurkunden, die für die Ausstellung rechtlicher Dokumente für diese Kinder erforderlich sind (USDOS 30.3.2021). Einige Dokumente sind auf den Namen des männlichen Haushaltsvorstands ausgestellt. Um diese Dokumente auf ihren Namen neu ausstellen lassen zu können, müssen diese Frauen ihre Ehe auflösen, indem sie einen Antrag vor Gericht stellen und die Sterbeurkunde des Ehemanns vorlegen. Viele Frauen haben jedoch keine Sterbeurkunde für ihren Ehemann. Ohne diese Sterbeurkunde können diese Frauen auch keine Klagen, ihren Besitz betreffend einreichen, da dieser auf den Namen des Ehemannes eingeschrieben ist. Außerdem können gemeinsame Kinder nicht das Eigentum ihres Vaters erben (CCiC 1.4.2021). Auch werden Heiratsurkunden, die in den vormals vom IS kontrollierten Gebieten ausgestellt wurden, von der irakischen Regierung nicht anerkannt (CCiC 1.4.2021; vergleiche NRC 4.2019). Ohne vorliegender Sterbeurkunde des Ehemanns ist den betroffenen Frauen auch eine neuerliche Heirat nicht möglich (AA 25.10.2021). Diese Frauen sind einem erhöhten Risiko von Selbstmord, Vergeltung und sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Auch Ehrenmorde bleiben ein Risiko. Manche Gemeinschaften haben Edikte erlassen und Maßnahmen ergriffen, um die betroffenen Frauen von jeder Schuld freizusprechen, die mit ihrer sexuellen Ausbeutung durch IS-Kämpfer verbunden ist (USDOS 12.4.2022). Die Gemeinschaften akzeptieren jedoch im Allgemeinen keine Kinder von IS-Kämpfern (USDOS 12.4.2022), weswegen diese häufig ausgesetzt oder in Waisenhäuser gebracht werden (USDOS 30.3.2021).

Kinder: Kinder von IS-Kämpfern werden im Allgemeinen von den diversen Gemeinschaften nicht akzeptiert (USDOS 12.4.2022). Auch werden vom IS ausgestellte Geburtsurkunden für Kinder, die im IS-Territorium geboren wurden, von Regierungsbehörden nicht anerkannt und die Ausstellung von neuen Geburtsurkunden wird oft verweigert. Ohne Geburtsurkunden können diese Kinder nicht eingeschult werden (AA 25.10.2021). Jahrelang haben die Behörden Tausende von Kindern ohne zivile Papiere daran gehindert, sich in staatlichen Schulen einzuschreiben, einschließlich staatlicher Schulen in Lagern für Vertriebene (HRW 13.1.2021). Geschätzt 15.000 Kindern fehlen noch immer zivilrechtliche Dokumente, einschließlich Geburtsurkunden. Das Fehlen eines einheitlichen, landesweiten Plans zur Erfassung von Kindern irakischer Mütter mit IS-Vätern bringt für die betroffenen Kinder die Gefahr der Staatenlosigkeit (USDOS 12.4.2022).

Bewegungsfreiheit: Die Bewegungsfreiheit von Personen mit angenommenen IS-Verbindungen wird eingeschränkt. Zudem sind Familienmitglieder von IS-Angehörigen oft nicht bereit oder in der Lage an ihre Herkunftsorte zurückzukehren (FH 28.2.2022; vergleiche HRW 13.1.2021), weil ihre ursprünglichen Gemeinschaften ihre Rückkehr ablehnen oder die irakischen Behörden sie verbieten (FH 28.2.2022). Auch das Fehlen von Dokumenten hindert Menschen an der Rückkehr in ihre Heimatregionen (HRW 13.1.2021; vergleiche NRC 4.2019). Überhaupt wirkt sich das Fehlen von Ausweispapieren negativ auf die Bewegungsfreiheit aus (HRW 13.1.2021; vergleiche AA 25.10.2021). Personen ohne Papiere sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, willkürlich verhaftet oder an Kontrollpunkten festgehalten zu werden (HRW 13.1.2021; vergleiche NRC 4.2019). Sie können bei Polizeikontrollen festgenommen und verhört werden (AA 25.10.2021).

Unterstützung: Personen mit angenommenen IS-Verbindungen erhalten aufgrund fehlender Dokumente keinen Zugang zu Dienstleistungen (HRW 13.1.2021; vergleiche UN General Assembly 30.7.2019). Insbesondere Frauen, deren Ehemänner vermisst oder verstorben sind, und die nicht über eine entsprechende Sterbeurkunde verfügen, um sich selbst als Haushaltsvorstand einschrieben zu lassen, stehen damit vor einem Hindernis, um humanitäre und staatliche Hilfe zu erhalten (CCiC 1.4.2021). Das Gesetz Nr. 20 von 2009 sieht zur Entschädigungen für Opfer von Militäroperationen, militärischen Fehlern und terroristischen Handlungen vor, egal durch welche Konfliktparteien der Schaden verursacht wurde (HRW 3.6.2021). Manche lokale Behörden wenden das Entschädigungsgesetz jedoch in diskriminierender Weise an, indem Familien mit vermeintlichen IS-Verbindungen davon ausgeschlossen werden. Vielen fehlen dadurch die Mittel zum Wiederaufbau ihrer Häuser (HRW 3.6.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Die Entschädigungskommission von Mossul hat erklärt, dass Familien von IS-Mitgliedern eine Entschädigung erhalten können, wenn sie vom irakischen Geheimdienst NSS eine Sicherheitsfreigabe für ihre Heimkehr erhalten. Es wird aber berichtet, dass allen Familien von mutmaßlichen IS-Mitgliedern diese Genehmigung verweigert wird (USDOS 30.3.2021). Das Fehlen von Dokumenten schränkt mitunter den Zugang zu grundlegenden Diensten zusätzlich ein (NRC 4.2019; vergleiche HRW 13.1.2021).

Amnestie: Ein im August 2016 verabschiedetes allgemeines Amnestiegesetz (Nr. 27/2016) gewährt allen Personen, die zwischen 2003 und 2016 verurteilt wurden, die Möglichkeit einen Antrag auf Amnestie zu stellen (Al-Monitor 30.8.2016; vergleiche HRW 6.3.2019, WCAC 3.2021). Ausgenommen sind Personen, die wegen 13 Arten von Verbrechen verurteilt wurden, darunter Terrorakte, die Todesfälle oder dauerhafte Invalidität zur Folge hatten, Menschenhandel, Vergewaltigung, Geldwäsche und Veruntreuung sowie Diebstahl staatlicher Gelder (Al-Monitor 30.8.2016; vergleiche WCAC 3.2021). Dieses Gesetz sieht theoretisch auch eine Amnestie für jede Person vor, die sich gegen ihren Willen dem IS oder einer anderen extremistischen Gruppe angeschlossen und keine schwere Straftat begangen hat (HRW 6.3.2019; vergleiche Al-Monitor 30.8.2016). Richter, die mit Fällen der Terrorismusbekämpfung befasst sind, weigern sich jedoch häufig, das Gesetz anzuwenden (HRW 6.3.2019; vergleiche WCAC 3.2021). NGOs und Politiker kritisieren die selektive Umsetzung des Gesetzes, die nicht dem beabsichtigten Ziel der Gesetzgebung entspricht, das darin besteht, Erleichterung für diejenigen zu schaffen, die unter falschen Anschuldigungen oder aus konfessionellen Gründen inhaftiert wurden (USDOS 13.3.2021).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 16.08.2022

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 12.4.2022).

In vielen Teilen des Landes, die von der Kontrolle durch den Islamischen Staat (IS) befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 12.4.2022). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vergleiche Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vergleiche K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdistan Region Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 12.4.2022).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert, noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 28.2.2022).

Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).

Die Regierung verlangt von Bürgern unter 18 Jahren, die das Land verlassen wollen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen nationalen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).

Der Irak hat fünf internationale Flughäfen: Bagdad, Najaf, Basra, Erbil und Sulaymaniyah (Anadolu 23.7.2020). Der internationale Flughafen von Mossul ist seit 2014 geschlossen, nachdem der IS die Stadt im Juni 2014 eingenommen hatte. Der Flughafen ist beschädigt und muss noch renoviert werden (Kirkuk Now 4.2.2020).

Der Irak verfügt über ein Straßennetz von etwa 45.000 km Länge. Etwa 80 % der Straßen sind asphaltiert. Allerdings ist es schwierig, den Zustand der Straßen zu ermitteln. Explosionen und der Verkehr großer Mengen gepanzerter Fahrzeuge kann diese in Mitleidenschaft gezogen haben (Driver Abroad o.D.).

Die wichtigste Straße im Irak ist die Autobahn (Freeway) 1, die von Basra über Nasiriyah, Al Diwaniyah, Al Hillah, Bagdad, Falludjah, Habbaniyah, Ramadi nach Ar Rutba in Anbar und weiter nach Syrien und Jordanien führt. Andere wichtige Straßen sind:
Fernstraße 1: von Bagdad über Taji, Samarra, Tikrit und Mossul nach Syrien
Fernstraße 2: von Bagdad über Baqubah, Al Khalis, Kirkuk, Erbil, Mossul, Dohuk und Zakhu in die Türkei
Fernstraße 3: von Bagdad über Baqubah und Erbil in den Iran
Fernstraße 4: von Kirkuk über Sulaymaniyah, Darbinadikhan und Jalaulah nach As Sa'Diyah
Fernstraße 5: von Baqubah über Muqdadiyah, As Sa'Diyah und Khanaqin in den Iran
Fernstraße 6: von Bagdad über Al Kut und Al Amarah nach Basra
Fernstraße 7: von Al Kut über Ash Shatrah nach Nasiriyah.
Fernstraße 8: von Bagdad über Al Hillah, Al-Qadisiyyah, As Samawah, Nasiriyah und Basra nach Kuwait.
Fernstraße 9: von Karbala über Al-Najaf nach Al-Qadisiyyah.
Fernstraße 10: von Ar Rutbah nach Jordanien.
Fernstraße 11: von Bagdad über Al Falludjah, Al Ramadi und Ar Rutbah nach Syrien.
Fernstraße 12: von Al Ramadi über Hit, Haditha und Al-Karābilah nach Syrien (Driver Abroad o.D.) Die Sicherheitslage auf allen Strecken ist unvorhersehbar und kann sich schnell ändern. In den von den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten gibt es zahlreiche Kontrollpunkte. Die Fahrt auf vielen Straßen zwischen den Städten erfordert eine strenge Sicherheitsüberprüfung. In den umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge aus dem jeweiligen Gouvernorat die Straßen befahren. Autos mit Nummernschildern aus einem anderen Gouvernement benötigen eine Sicherheitsgenehmigung (Driver Abroad o.D.).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist die Situation im Allgemeinen besser als im Rest des Landes. Im Norden der KRI gab es jedoch auch terroristische Zwischenfälle und Luftangriffe (Driver Abroad o.D.). Die meisten Straßen in der KRI wurden nicht nach modernen Betriebs- und Sicherheitsstandards gebaut und befinden sich aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen häufig in einem schlechten Zustand. Seit Anfang 2014 hat sich die Wirtschaftskrise in der Region auch negativ auf die Straßen ausgewirkt. Die kurdische Regionalregierung (KRG) stoppte fast alle Straßenbau- und Instandhaltungsprojekte. Infolgedessen ist die Zahl der Unfälle gestiegen (Mohammed, Jaff, Schrock 9.2019).

Einreise und Einwanderung in den föderalen Irak

Letzte Änderung: 16.08.2022

Die Regierung in Bagdad verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die (zeitlich befristete) Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Missan, Muthanna, Najaf, Qadisiyah und Wassit. Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Missan und Muthanna wurden 2020 aufgehoben (UNHCR 11.1.2021). Lokale PMF-Gruppen verhinderten in gewissen Gebieten die Rückkehr von Binnenvertriebenen, beispielsweise nach Salah ad-Din oder von Christen in mehrere Städte in der Ninewa-Ebene, darunter Bartalla und Qaraqosh (USDOS 12.4.2022).

Für die dauerhafte Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar Anmerkung, etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Missan, Muthanna, Najaf, Qadisiyah und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Ausnahmen stellen der nördliche Bezirks Muqdadiyah, der Unterbezirk Saadiyah im Bezirk Khanaqin, sowie der Norden des Unterbezriks Al-Udhim im Bezirk Khalis dar, in denen Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS) und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.1.2021).

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 16.08.2022

Mit Dezember 2020 waren etwa 4,7 Millionen Iraker, die durch den Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) ab 2014 vertrieben wurden, in ihre Heimatregionen zurückgekehrt (FH 3.3.2021). Rund 1,2 Millionen Menschen waren Anfang 2021 weiterhin intern vertrieben (FH 3.3.2021; vergleiche IDMC 5.2021). Mit Stand Dezember 2021 waren noch rund 1,19 Millionen Personen IDPs, während 4,95 Millionen Personen Rückkehrer waren (IOM 12.2021). Nach Angaben des Gemeinsamen Krisenkoordinationszentrums (Joint Crisis Coordination Center, JCC) der Kurdistan Regionalregierung (KRG) hielten sich mit Stand Dezember 2021 664.909 Binnenvertriebene in der Kurdistan Region Irak (KRI) auf, im Vergleich zu 700.000 im Jahr 2020 (USDOS 2.6.2022).

Etwa 40 % der IDPs in der KRI sind sunnitische Araber, 30 % Jesiden, 13 % Kurden (verschiedener Religionszugehörigkeiten) und 7 % Christen. Andere religiöse Minderheiten machen die restlichen 10 % aus (USDOS 2.6.2022). Die KRI beherbergt einen großen Anteil von Christen, Jesiden, Shabak, Kaka'i und andere ethno-konfessionelle Gruppen aus der Ninewa Ebene (USDOS 30.3.2021). Trotz der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage und der Sicherheitsprobleme in der Region berichteten Beamte der Kurdischen Regionalregierung (KRG), dass sie die Wahrung der Rechte dieser Minderheiten als oberste Priorität ansehen (USDOS 12.4.2022).

Die meisten IDPs befinden sich in Ninewa, Dohuk und Erbil (IOM 12.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021). 57 % der IDPs stammen aus Ninewa (664.929), insbesondere aus den Distrikten Mossul (246.361), Sinjar (193.688) und Al-Ba'aj (93.046). Die nächstgrößeren IDP-Kontingente kommen aus Salah ad-Din (138.134) und aus Anbar (134.255) (IOM 12.2021). Mehr als eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, können nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Etwa 76 % der IDPs leben in privaten Unterkünften (902.448), 15 % in Lagern (179.120) und 9 % (104.226) in Notunterkünften (IOM 12.2021), darunter unsichere und verlassene Gebäude, religiöse Gebäude und Schulen (USDOS 30.3.2021).

Die erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen an Orte, an denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind, sowie Androhung von Gewalt gegen Binnenvertriebene und Rückkehrer, von denen angenommen wurde, dass sie mit dem IS in Verbindung stehen, zählen zu wichtigen Menschenrechtsproblemen im Irak (USDOS 30.3.2021). Sowohl erzwungene Rückkehr als auch das Verhindern einer Rückkehr dauerten im Jahr 2020 an (GIZ 1.2021c; vergleiche Rudaw 11.9.2020). Personen aus vormals vom IS kontrollierten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten werden in vielen Gebieten wegen mutmaßlicher Nähe zum IS und aus ethno-konfessionellen Gründen von lokalen Behörden oder anderen Akteuren, wie den Volksmobilisierungskräften (PMF), unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatregionen zurückzukehren (UNHCR 11.1.2021). Andererseits erkennen lokale Behörden Sicherheitsgenehmigungen von Rückkehrern nicht immer an oder halten sich nicht an die Anweisungen der Zentralregierung, die Rückkehr zu erleichtern (USDOS 30.3.2021).

Zwar gehen die irakische Verfassung und die nationale Richtlinie über Vertriebene auf die Rechte von IDPs ein, aber nur wenige Gesetze enthalten entsprechende Bestimmungen. Die Regierung und internationale Organisationen, darunter UN-Organisationen sowie lokale und internationale NGOs, bieten den Binnenvertriebenen Schutz und andere Hilfe an. Die humanitären Akteure unterstützen weiterhin die offiziellen IDP-Lager und richten gemeindebasierte Dienste für IDPs, die außerhalb der Lager leben, ein, um die Belastung der Ressourcen der Aufnahmegemeinden zu begrenzen (USDOS 12.4.2022).

Im März 2021 verabschiedete die irakische Regierung einen Nationalen Plan zur Bekämpfung der Vertreibung im Irak, der von den Ministerien für Planung und für Migration und Vertreibung ausgearbeitet wurde. Trotz des erklärten Ziels der Regierung, IDPs in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, verhindern administrative Hürden, dass Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit Dokumente erhalten, darunter Personalausweise, Geburtsurkunden und Lebensmittelkarten. Dies blockiert sowohl ihre sichere Rückkehr als auch den Zugang zu Sozialleistungen und staatlichen Dienstleistungen (HRW 3.6.2021). Insgesamt 58.000 Personen waren bereits mindestens einmal zuvor durch bewaffnete Konflikte und Gewalt vertrieben worden (IDMC 5.2021).

Berichten zufolge ermutigten kurdische Behörden lokale Kräfte dazu, tausende arabische Familien, die durch den Konflikt mit dem IS vertrieben wurden, daran zu hindern, in ihre Dörfer nahe der syrisch-irakischen Grenze und in den sogenannten umstrittenen Gebieten, die de facto unter der Kontrolle der KRG stehen, zurückzukehren, in einem Versuch, die Demografie der Region zu verändern (FH 3.3.2021).

Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, gewähren IDPs Schutz und andere Hilfe. Humanitäre Akteure unterstützen IDP-Lager und gewähren auch IDPs außerhalb der Lager Dienstleistungen, um die Belastung der Ressourcen der Gastgebergemeinden zu begrenzen. Vertriebene Familien, insbesondere solche mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, sind oft nicht in der Lage, wichtige Personenstandsdokumente zu erhalten oder zu ersetzen, ohne die sie nicht arbeiten, zur Schule gehen oder sich frei bewegen können (USDOS 30.3.2021). Die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen unterstützen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei den Behörden, um den Zugang zu Dienstleistungen und Bezugsrechten zu verbessern (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der KRI, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten (USDOS 30.3.2021). Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren. Nicht alle IDPs können in jedem Gouvernement auf Lebensmittel aus dem PDS zugreifen, insbesondere nicht in den vom IS befreiten Gebieten. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrem eingetragenen Gouvernement einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 12.4.2022).

Familien, die an ihren Herkunftsort zurückkehren, können mit der Zerstörung ihrer Häuser sowie fehlendem Zugang zu Dienstleistungen und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts konfrontiert werden (USDOS 12.4.2022). Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 28.2.2022). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 12.4.2022).

Vertriebene Familien mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, die sich weiterhin in und außerhalb von Lagern aufhalten, sind besonders anfällig für Übergriffe und sexuellen Missbrauch. Viele können nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil ihre ursprünglichen Gemeinschaften ihre Rückkehr ablehnen oder die irakischen Behörden sie verbieten (FH 3.3.2021). IDPs, insbesondere solche mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, sind Anfeindungen seitens lokaler Regierungsbeamter und der Bevölkerung, sowie Ausweisungen ausgesetzt, wenn sie versuchen in ihre Herkunftsgebiete zurückzukehren (USDOS 12.4.2022). Haushalte mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind stigmatisiert und werden mit einem erhöhten Risiko ihrer Grundrechte beraubt. Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Zivildokumente und die häufig vorenthaltenen Sicherheitsfreigaben schränken ihre Bewegungsfreiheit ein, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, wegen der Gefahr von Verhaftungen und eines Verbots ins Lager zurückzukehren (USDOS 30.3.2021).

Behörden der Zentralregierung und der Gouvernements unternahmen manchmal Maßnahmen zur Schließung oder Konsolidierung von Flüchtlingslagern, um IDPs zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete zu zwingen (USDOS 11.3.2020). Im Oktober 2020 kündigte der Minister für Vertreibung und Migration einen Drei-Phasen-Plan zur Schließung aller Binnenvertriebenenlager des Landes an und begann sofort mit einer Reihe von plötzlichen Lagerschließungen in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kerbala, Kirkuk und Ninewa (USDOS 30.3.2021). Nach der Schließung von 16 Vertriebenenlagern in Gebieten außerhalb der KRI durch die Regierung Ende 2020 konnten nach Berichten internationaler NGOs nur etwa 41 % derjenigen, die die Lager verließen, an ihren vorherigen Wohnsitz zurückkehren. Tausende sind von Sekundärvertreibung betroffen (USDOS 12.4.2022).

Die Schließungen waren nicht mit den zuständigen lokalen Behörden oder humanitären Akteuren koordiniert und nicht alle betroffenen IDPs waren in der Lage oder bereit, an ihren Herkunftsort zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Diese Schließungen zwangen viele IDPs zur Rückkehr in zerstörte Häuser und Dörfer ohne Grundversorgung (UNHCR 27.5.2021). Während einige IDPs nach den Lagerschließungen in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten, war eine beträchtliche Anzahl von ihnen nicht dazu in der Lage, sondern war mit neuerlicher Vertreibung konfrontiert (UNHCR 11.1.2021). Etwa die Hälfte der betroffenen Personen ist in Gefahr, in eine sekundäre Vertreibung zu geraten (USDOS 30.3.2021). Im Zusammenhang mit den Lagerschließungen Ende 2020 gewährten die Behörden vielen der betroffenen Personen eine Sicherheitsfreigabe und stellten ihnen neue zivile Dokumente aus. Da sie die Familien jedoch in einigen Fällen nur 24 Stunden vorher darüber informierten, dass sie die Lager, in denen sie jahrelang gelebt hatten, verlassen mussten, wurden einige von ihnen faktisch ihres Zugangs zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung beraubt und obdachlos gemacht (HRW 13.1.2021). Von lokalen Gemeinschaften wurde insbesondere die Rückkehr von Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder an einer Rückkehr abgelehnt, was diese zu einer Rückkehr in ihre bisherigen Lager oder andernorts zwang (USDOS 30.3.2021). Eine erzwungene Rückkehr resultiert häufig in neuerlicher Vertreibung (USDOS 11.3.2020).

Die KRG beherbergt 25 der 27 verbliebenen IDP-Lager im Land und hat sich verpflichtet, diese nicht zu schließen, bevor die Vertriebenen nicht freiwillig in ihr Herkunftsgebiet zurückgekehrt sind. Im November stufte die Zentralregierung eines der beiden verbliebenen IDP-Lager in von der Zentralregierung kontrollierten Gebieten als informelle Siedlung ein. Das Lager in Anbar beherbergte 466 Haushalte (2.155 Personen). Die Hälfte der Lagerbevölkerung besteht aus weiblich geführten Haushalten, von denen viele vermeintlich dem IS angehören. Ein weiteres IDP-Lager in Ninewa beherbergt etwa 1.020 Haushalte (5.279 Personen). Die Regierung stimmte einem koordinierten Rückkehrplan für beide Lager zu. Dabei arbeitet sie mit sunnitischen Stiftungen zusammen, um eine Million Dinar für Familien bereitzustellen, die sich entscheiden die Lager zu verlassen. Die Regierung genehmigte einen nationalen Plan zur Bewältigung der Vertreibung im Irak, der von den Ministerien für Planung und für Migration und Vertreibung ausgearbeitet wurde (USDOS 12.4.2022).

Mindestens 34.801 Vertriebenen war es nicht möglich, sicher nach Hause zurückkehren. Sie erhielten keine andere sichere Unterkunft und hatten keinen Zugang zu erschwinglichen Dienstleistungen. Bei vielen handelte es sich um von Frauen geführte Haushalte, die durch die Kämpfe zwischen dem IS und den irakischen Sicherheitskräften zwischen 2014 und 2017 vertrieben wurden. Viele dieser Familien werden als IS-nahe eingestuft (HRW 13.1.2022).

Die KRG hindert arabische Familien weiterhin daran, in Dörfer an der Grenze zu Syrien zurückzukehren, aus denen sie während der Kämpfe zwischen den Peshmerga und dem IS im Jahr 2014 geflohen waren (FH 28.2.2022).

Ausländische Flüchtlinge

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 30.3.2021). Der Status ausländischer Flüchtlinge wird durch das Gesetz über politische Flüchtlinge, Nr. 51 (1971) geregelt. Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 25.10.2021). Die Regierung arbeitet im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 30.3.2021).

Nach Angaben des Gemeinsamen Krisenkoordinationszentrums (Joint Crisis Coordination Center, JCC) sind 247.422 syrische, 8.746 türkische, 9.700 iranische und 752 palästinensische Flüchtlinge sowie 507 Personen anderer Nationalitäten in der KRI aufhältig (USDOS 2.6.2022).

Flüchtlinge und Asylwerber sind gesetzlich berechtigt, in der Privatwirtschaft zu arbeiten (USDOS 12.4.2022).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 22.08.2022

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 25.10.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70 % der Iraker in Städten. Die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 25.10.2021).

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).

Wirtschaftslage

Der Irak ist eines der am stärksten vom Öl abhängigen Länder der Welt. In den letzten zehn Jahren machten die Öleinnahmen mehr als 99 % der Ausfuhren, 85 % des Staatshaushalts und 42 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Diese übermäßige Abhängigkeit vom Öl setzt das Land makroökonomischer Volatilität aus (WB 1.6.2022). Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanack 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet rund 90 % der Staatseinnahmen (AA 25.10.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 25.10.2021).

Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vergleiche GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Die Wirtschaft erholt sich allmählich von den Öl- und COVID-19-Schocks im Jahr 2020. Das reale BIP dürfte 2021 um 1,3 % gestiegen sein, nachdem es 2020 um 11,3 % geschrumpft war. Die Trendwende auf den Ölmärkten hat die mittelfristigen Wirtschaftsaussichten des Irak deutlich verbessert. Für das Jahr 2022 wird nun ein Gesamtwachstum von 8,9 % prognostiziert. Die jüngsten geopolitischen Spannungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine machen die Risiken für die irakische Wirtschaft deutlich. Während weitere Ölpreissteigerungen die Haushaltsbilanz des Irak verbessern würden, werden steigende Lebensmittelpreise und Störungen bei den Agrarimporten die bereits bestehenden Armutstrends verschärfen und die Risiken für die Ernährungssicherheit erhöhen. Der Konflikt birgt auch Risiken für die irakische Rohölproduktion, wenn die Tätigkeit russischer Ölgesellschaften im Irak durch die internationalen Sanktionen gegen Russland beeinträchtigt wird (WB 1.6.2022).

Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).

Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76 % im Jahr 2019 auf 13,74 % im Jahr 2020 (TE 2021). Im Januar 2021 lag die Arbeitslosenquote im Irak um mehr als 10 % über dem Niveau von 12,7 % vor der COVID-19-Pandemie (WB 1.6.2022). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11 %, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8 %. Unter den IDPs sind fast 24 % arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18 % im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8 % und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29 % der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22 % und 18 % bei Rückkehrern (OCHA 2.2021). Die Arbeitslosigkeit unter Vertriebenen, Rückkehrern, arbeitssuchenden Frauen, Selbstständigen aus der Zeit vor der Pandemie und informell Beschäftigten ist weiterhin hoch (WB 1.6.2022).

Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7 % im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vergleiche ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32 %. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12 % (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20 % geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7 % (DFAT 17.8.2020).

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge sind etwa 34 % der Stadtbewohner ständig erwerbstätig, 38 % nur gelegentlich und 25 % sind arbeitslos. 12 % der Männer und 40 % der Frauen geben an, arbeitslos zu sein. Die Arbeitslosigkeit betrifft vor allem die 16- bis 18-Jährigen (48 %). 27 % der Einwohner im Alter von 19 bis 25 Jahren und 17 % im Alter von 26 bis 35 Jahren haben keine Arbeit. Während 30 % der Araber arbeitslos sind, sind es nur 10 % der Kurden. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so sind 19 % der Christen, 25 % der schiitischen und 30 % der sunnitischen Muslime arbeitslos. Während 75 % der kontinuierlich Beschäftigten mehr als 700.000 IQD verdienen, verdienen 62 % der Befragten, die nur gelegentlich arbeiten, weniger als 700.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).

26 % der Befragten arbeiten Vollzeit, 30 % Teilzeit, 10 % haben mehrere Teilzeitstellen, 15 % sind Tagelöhner und 12 % Saisonarbeiter. Interessanterweise ist das Geschlechtergefälle bei der Vollzeitbeschäftigung (24 % der Frauen und 28 % der Männer) viel geringer als bei der Teilzeitbeschäftigung (35 % der Männer und 23 % der Frauen). Von den Kurden geben 29 % an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, 43 % gehen einer Saison- oder Tagelohnarbeit nach. 22 % der Araber haben eine Vollzeitstelle und 45 % eine oder mehrere Teilzeitstellen. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 20 % der sunnitischen Muslime eine Vollzeitstelle, während 50 % eine oder mehrere Teilzeitstellen haben. Von den schiitischen Muslimen geben 29 % an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, und 20 % sind als Tagelöhner tätig. 33 % der Christen haben eine Vollzeitbeschäftigung, aber auch 20 % gehen einer Tagelöhnertätigkeit nach. 51 % derjenigen, die eine Teilzeitbeschäftigung oder Tagelohnarbeit ausüben, verdienen weniger als 700.000 IQD, während 57 % derjenigen, die Vollzeit arbeiten, mehr als 700.000 IQD verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD) (BFA, IRFAD 2021).

Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30 % angestiegen (AA 25.10.2021; vergleiche ILO 2021), Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5 % (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14 % erwartet (WB 5.4.2021).

Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021). Dem oben zitierten Befragung zufolge verdienen 56 % der Befragten weniger als 600.000 IQD (360 EUR) und nur 5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD (600 bis 1800 EUR). In der Einkommensgruppe unter IQD 600.000 sind 58 % Frauen und 55 % Männer, in der Gruppe mit einem Einkommen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD sind 7 % Männer und nur 2 % Frauen. Die regionalen Daten zeigen, dass in Bagdad 54 % weniger als 600.000 IQD verdienen und nur 1,5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Basra haben 61 % ein Einkommen unter 600.000 IQD und 9 % verdienen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Mossul verdienen 56 % weniger als 600.000 IQD, während 10 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD liegen. 55 % der arabischen Befragten verdienen weniger als 600.000 IQD, während 5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD verdienen. Von den kurdischen Befragten verdienen 54 % unter 600.000 IQD und 3 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. Nach Religionszugehörigkeit verdienen 61 % der Christen, 50 % der schiitischen Muslime und 59 % der sunnitischen Muslime weniger als 600.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).

Nahrungsmittelversorgung

Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50 % des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).

Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 25.10.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).

Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). In den vorangegangenen zwei Jahren hat die Regierung nur Mehl verteilt, aber keine anderen Waren wie Speiseöl oder Zucker. Ein Vorschlag der Regierung, die PDS-Nahrungsmittelverteilung durch Bargeldzahlungen (IQD 17.000, ca. 12 $ pro Person) zu ersetzen, wurde angesichts der anhaltenden Sicherheits- und wirtschaftlichen Instabilitäten noch nicht umgesetzt (BS 23.2.2022, S.26). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8 % gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).

Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 12.4.2022).

62 % der Befragten einer Umfrage von 2021 sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich und ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. 34 % schaffen dies kaum oder gar nicht. 55 % der Frauen geben an, dass sie in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, im Gegensatz zu 70 % der Männer. Die regionalen Antwortmuster zeigen, dass in Bagdad 59 % in der Lage oder gerade noch in der Lage sind, für Nahrungsmittel zu sorgen, ebenso wie 63 % in Basra und 69 % in Mossul. Insbesondere die 16- bis 18-Jährigen (56 %) geben an, nicht oder kaum in der Lage zu sein, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Die ethnische Zugehörigkeit zeigt, dass 62 % der Araber und 58 % der Kurden nicht oder kaum in der Lage sind, sich selbst oder ihre Familien zu versorgen. Die Religionszugehörigkeit zeigt, dass 63 % der Christen, 62 % der schiitischen Muslime und 66 % der sunnitischen Muslime in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Sogar 73 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind in der Lage, sich selbst zu versorgen, oder schaffen es gerade noch (BFA, IRFAD 2021).

54 % der Befragten sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, während 42 % dies nicht tun. Während 61 % der Männer angeben, dass sie in der Lage sind, sich und ihre Familie zu versorgen, gelingt dies 49 % der Frauen kaum oder gar nicht. Regional ergibt sich ein unterschiedliches Bild: In Bagdad sind 53 % in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ebenso wie 60 % in Mossul, während 49 % in Basra kaum oder gar nicht dazu in der Lage sind (in Basra schaffen es 32 % überhaupt nicht). Vor allem Jugendliche (71 %) im Alter von 16 bis 18 Jahren geben an, dass sie nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, während die 19- bis 25-Jährigen (56 %) und die Gruppe der 26- bis 35-Jährigen (63 %) es schaffen bzw. gerade noch dazu in der Lage sind. 51 % der Araber geben an, dass sie in der Lage sind, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, oder es gerade so schaffen, ebenso wie 53 % der Kurden. Was die religiösen Gruppen betrifft, so geben 58 % der Christen, 53 % der schiitischen Muslime und 57 % der sunnitischen Muslime an, dass sie in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, oder es gerade noch schaffen. Von denjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind 57 % in der Lage, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, bzw. gerade noch (BFA, IRFAD 2021).

Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98 % des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70 % des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80 % reduziert (GRI 24.11.2019; vergleiche AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi-Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29 % bzw. 73 % (UNICEF 29.8.2021).

Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021). Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 25.10.2021).

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge geben insgesamt 60 % der Befragten an, immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, 27 % manchmal, 12 % selten oder nie. Frauen scheinen weniger Zugang zu haben als Männer: 16 % haben selten oder nie Zugang, im Gegensatz zu 9 % der Männer. Regional gesehen ist der Zugang am niedrigsten in Mossul, wo 23 % selten oder nie Zugang haben, während 12 % in Basra und 7 % in Bagdad Zugang haben. 70 % der Kurden geben an, manchmal oder immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, ebenso wie 57 % der Araber. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 54 % der Christen, 65 % der schiitischen Muslime und 62 % der sunnitischen Muslime immer Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch bei den Einkommensverhältnissen gibt es Unterschiede: 91 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu sauberem Trinkwasser, aber nur 59 % derjenigen, die weniger verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 25.10.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60 % der Nachfrage ab, wobei etwa 20 % der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 25.10.2021).

Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50 %. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem IS vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vergleiche Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vergleiche BBC 2.7.2021). Nur die KRI war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021)

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge haben 30 % der Befragten immer Strom zur Verfügung, 31 % manchmal, 34 % meistens und 5 % nie. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 63 % immer Strom zur Verfügung, während dies nur für 22 % der Wenigerverdienergilt (BFA, IRFAD 2021).

Unterkunft

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge leben 52 % aller Befragten bei ihren Eltern oder Schwiegereltern, während 43 % in einer eigenen Wohnung leben. In Bagdad leben 51 % in einer eigenen Wohnung, während in Basra 55 % und in Mosul 64 % bei ihren Eltern oder Schwiegereltern wohnen. Von den Kurden leben 50 % in einer eigenen Wohnung, während 53 % der Araber bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. 58 % der Christen leben in einer eigenen Wohnung, während 55 % der schiitischen Muslime und 53 % der sunnitischen Muslime bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. Interessanterweise hat das Einkommensniveau keinen Einfluss auf die Wohnsituation: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 52 % in einer eigenen Wohnung, von denen, die weniger verdienen, 51 % (BFA, IRFAD 2021).

Von den Befragten leben 66 % in einem Haus und 29 % in einer Wohnung. In Bagdad leben 67 % in einem Haus, in Basra 61 % und in Mosul 68 %. 65 % der Araber und 60 % der Kurden geben an, in einem Haus zu leben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so leben 63 % der Christen, 67 % der schiitischen Muslime und 71 % der sunnitischen Muslime in einem Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 77 % in einem Haus, während 59 % derjenigen, die weniger verdienen, in einem Haus leben (BFA, IRFAD 2021).

Von allen Befragten haben über 70 % ein Dach, Fenster, Türen und einen Fernseher in ihrer Wohnung; über 60 % geben an, fließendes Wasser, eine Toilette mit Wasserspülung und ein Bad/eine Dusche zu haben, und über 50 % verfügen über einen Herd und einen Internetanschluss. Nur 46 % haben einen Kühlschrank und 28 % eine Heizung. Das Einkommen (derjenigen, die mehr als und weniger als 700.000 IQD verdienen) ist ausschlaggebend für den Besitz eines Fernsehers (89 % vs. 71 %), eines Bades/einer Dusche (71 % vs. 61 %), eines Internetanschlusses (79 % vs. 47 %) und einer Heizung (43 % vs. 27 %). 52 % der Befragten gaben an, dass ihre Wohnung/ihr Haus ihnen gehört, während 38 % angaben, dass sie gemietet sind. Der Anteil der Hausbesitzer ist in Mosul mit 67 % am höchsten, gefolgt von 59 % in Basra und 42 % in Bagdad. 53 % der Kurden geben an, eine Wohnung oder ein Haus zu besitzen, ebenso wie 45 % der Araber. Was die Religionszugehörigkeit angeht, so besitzen 60 % der Christen, 54 % der schiitischen Muslime und 48 % der sunnitischen Muslime eine Wohnung oder ein Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, besitzen 75 % eine Wohnung, während es bei denjenigen, die weniger verdienen, nur 43 % sind. Von allen Befragten zahlen 24 % weniger als 250.000 IQD pro Monat für ihre Wohnung, 25 % zwischen 250.001 und 500.000 IQD, 3 % zwischen 500.001 und 999.999 IQD und 1 % mehr als 1.000.000 IQD. 48 % der Befragten haben auf diese Frage nicht geantwortet. 50 % der Befragten leben in einer Wohnung mit mehr als 100 m², 43 % haben 60-100 m² zur Verfügung und 7 % 20-60 m². In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD leben 66 % in einer Wohnung, die größer als 100 m² ist, während 47 % der Befragten, die weniger als diesen Betrag verdienen, in einer Wohnung leben. 56 % teilen ihre Wohnung mit 4-5 Mitbewohnern, während 16 % mit 1-3 Personen und 28 % mit 6-8 Personen zusammenleben (BFA, IRFAD 2021).

Grundversorgung und Wirtschaft in Bagdad und im Südirak

Letzte Änderung: 22.08.2022

Bagdad

Bagdad ist das Zentrum des irakischen Wirtschafts-, Handels-, Banken- und Finanzsektors. Bagdad ist ebenso ein wichtiges Zentrum für die Erdölindustrie (NCCI 12.2015; vergleiche EASO 9.2020). Bis auf die Schwerindustrie ist ein großer Teil der irakischen Produktion in Bagdad angesiedelt. Die Regierung ist dabei der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt (EASO 9.2020). Einige Sektoren waren besonders betroffen von Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, darunter das Transportwesen, das Baugewerbe, die Lebensmittelindustrie, das Bildungswesen, der Tourismus, die Geflügel- und Fischzucht, sowie der Einzelhandel, insbesondere für Bekleidung. Die meisten Frauen sind in den Bereichen Nähen, Friseurhandwerk, Unterricht und Einzelhandel tätig, die alle von Auswirkungen der COVID-19- Pandemie negativ beeinflusst wurden (IOM 9.2021a).

Laut einer Befragung im Distrikt Mahmoudiya vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 264 USD (~385.813 IQD) und reichen von 170 bis 540 USD (~248.440 bis 789.160 IQD). Etwa die Hälfte der befragten Arbeitgeber gab jedoch an, keine Fachkräfte zu beschäftigen, obwohl dies in der Vergangenheit der Fall war, und zahlten ihnen ein Durchschnittsgehalt von 291 USD (~425.270 IQD) (IOM 9.2021a).

Im Jahr 2016 lag die Arbeitslosenquote in Bagdad zwischen 6 % und 10 %. Für 2017 betrug sie 9,3 %. Unter jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren wird die Arbeitslosigkeit im Jahr 2016 mit 18,6 % und für 2017 mit 5-7 % beziffert (EASO 9.2020). Im Jahr 2018 war über 1 % der Bevölkerung von akuter Armut betroffen und 4 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020; vergleiche EASO 9.2020). Einer Umfrage von 2021 zufolge gehen 28 % der Befragten einer Vollbeschäftigung nach, während 17 % angeben arbeitslos zu sein (BFA, IRFAD 2021).

Etwa 6,39 % der Bevölkerung Bagdads (rund 456.500 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 0,46 % (rund 32.600 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Bagdad im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten [Anm.: Verfügbarkeit ist hier nicht gleichzusetzen mit Leistbarkeit] (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Bagdad bei 86,9 % (CSO 2018a). 2019 war für etwa 70 % der Einwohner Bagdads ständige Verfügbarkeit von Trinkwasser gegeben, während 30 % nur unregelmäßigen Zugang zu Trinkwasser hatten (WFP 2019). Mitte Juli 2021 wurde die Wasserversorgung in Karkh, im Westen Bagdads durch einen Sabotageakt an Strommasten in Tarmiya, die die Pumpstation versorgen, unterbrochen (Swissinfo 17.7.2021). Auch Mitte August 2021 wurde durch einen Anschlag auf einen Strommasten in Tarmiya, der die dortige Pumpstation mit Energie versorgte, die Trinkwasserversorgung für mehrere Millionen Bewohner im Westen der Stadt Bagdad unterbrochen (AN 14.8.2021).

Die öffentliche Stromversorgung ist in Bagdad vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 25.10.2021). Stromausfälle führen häufig zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad gestürmt (DW 8.7.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Einer Umfrage von 2021 zufolge gaben 21 % der Befragten Personen in Bagdad an, immer Strom zur Verfügung zu haben, 41 % manchmal, 34 % meistens und 4 % nie (BFA, IRFAD 2021).

Babil

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Basra

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Dhi-Qar

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Kerbala

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Missan

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Najaf

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Qadisiyah

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Wassit

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Grundversorgung und Wirtschaft im Zentral- und Nordirak

Letzte Änderung: 22.08.2022

Anbar

Anbar gehört zu den Gouvernements, in denen die kritische Infrastruktur infolge des Konflikts mit dem Islamischen Staat (IS) stark beeinträchtigt wurde. Dies gilt insbesondere für Schäden an Wohnhäusern, in der Landwirtschaft, an wichtigen kommunalen Dienstleistungen sowie in Industrie und Handel. Wiederaufbau und Sanierungsmaßnahmen wurden in den Jahren 2019 und 2020 fortgesetzt (EASO 1.2021).

Laut einer Befragung im Distrikt Al-Qa'im vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 162 USD (~236.750 IQD) und reichen von unter 100 bis 345 USD (~146.141 bis 504.190 IQD). Nur wenige Arbeitgeber gaben an, auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 106 USD (~154.910 IQD) erhielten (IOM 9.2021h). Im Distrikt Falludjah ist das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte wegen der COVID-19-Pandemie von 347 USD (~507.110 IQD) auf 220 USD (~321.510 IQD) gesunken, für ungelernte Arbeitskräfte von 290 USD (~423.810 IQD) auf 207 USD (~302.510 IQD) (IOM 9.2021i).

Im Jahr 2018 waren etwa 1,31 % der Bevölkerung des Gouvernements Anbar von akuter Armut betroffen und 4,65 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Anbar als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 18,45 % der Bevölkerung Anbars (rund 330.900 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 34,33 % (rund 615.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Anbar im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Die Bevölkerung Anbars ist in erster Linie auf den Euphrat als Wasserquelle für häusliche, industrielle und landwirtschaftliche Verwendung angewiesen (NAS 16.2.2021). Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung bei 80 % (CSO 2018k). Die Dürreperiode bedroht den Wasserzugang. Einige Familien, die keinen Zugang zu Flusswasser haben, geben bis zu 80 USD (~116.860 IQD) pro Monat für Wasser aus (NRC 23.8.2021).

Die Stromversorgung ist in einigen Städten auf weniger als zwei Stunden pro Tag gesunken. Die Einwohner sind fast ausschließlich auf Besitzer privater Generatoren angewiesen. Einwohner zahlen ein Viertel, bis zu einem Drittel ihres Monatsgehaltes, um generatorenerzeugten Strom zu kaufen (Shafaq 4.6.2021). UNDP hat den Bau eines Umspannwerks in al-Qa'im finanziert, das 2021 fertiggestellt wurde (UNIraq 15.9.2021).

Diyala

Diyala hat durch den Konflikt mit dem sog. IS erhebliche Schäden an seiner Infrastruktur erlitten. Der Agrarsektor, Schulen, der Energiesektor, die Wasserressourcen sowie der Hygiene- und Gesundheitssektor sind betroffen. Es wird über Wiederaufbau und die Instandsetzungsmaßnahmen berichtet (EASO 1.2021).

Einer Umfrage zufolge gingen 29 % der befragten Personen in Diyala einer formellen Beschäftigung nach, 28 % einer informellen und 42 % gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22 %) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Einer Umfrage im Distrikt Al-Khalis vom Februar 2021 zufolge haben die meisten Arbeitgeber Gehälter wegen COVID-19 gekürzt. Einige zahlten monatelang keine Gehälter, und manche reduzierten die Anzahl ihrer Beschäftigten. Die Durchschnittsgehälter für Fachkräfte liegen bei 170 USD (~248.440 IQD) und reichen von unter 100 bis 350 USD (~146.140 bis 511.490 IQD). Vor der Pandemie war der Durchschnittslohn mit 224 USD (~327.360 IQD) höher. Nur wenige Arbeitgeber gaben an ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021j). Auch im Distrikt Al-Muqdadiya haben Arbeitgeber Löhne gekürzt, und es kam auch zu Entlassungen. Im Privatsektor beschäftigte Frauen waren Berichten zufolge stärker betroffen als Bedienstete im öffentlichen Sektor. Die Durchschnittsgehälter für Fachkräfte liegen zwischen 322 USD und 433 USD (~470.580 bis 632.790 IQD) (IOM 9.2021k). Im Distrikt Khanaqin haben Arbeitgeber etwa 70 % ihrer Angestellten gehalten. Einige Angestellte haben gekündigt, entweder weil ihre Gehälter nicht gezahlt, oder weil sie gekürzt wurden. Die Durchschnittsgehälter von Fachkräften liegen bei USD 228 (~333.200 IQD), zwischen 200 und 300 USD (~292.280 bis 438.420 IQD). Vor der COVID-19-Pandemie lag das Durchschnittsgehalt bei 292 USD (~426.730 IQD). Nur wenige Arbeitgeber gaben an ungelernte Arbeitskräfte mit einem Durchschnittsgehalt von 178 USD (~260.130 IQD) zu beschäftigen, etwas niedriger als vor COVID-19 (IOM 9.2021l).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,21 % der Bevölkerung des Gouvernements Diyala von akuter Armut betroffen und 3,64 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Etwa 14,46 % der Bevölkerung Diyalas (rund 207.600 Personen) leidet unter unzureichender Nahrungsmittelaufnahme. Für rund 10,84 % (rund 155.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Diyala im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Diyala bei 89,3 % (CSO 2018l).

Wegen des niedrigen Wasserpegels des Khurasan-Flusses, der Hauptwasserquelle im Distrikt Ba'qubah, mussten Ende Mai 2021 vier Wasseraufbereitungsanlagen in Ba'qubah, Buhriz, al-Abbara und al-Tahrir abgeschaltet werden. Durch die Abschaltungen waren fast 400.000 Bewohner von der Wasserversorgung abgeschnitten (Shafaq 25.5.2021).

Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Diyala vorgeworfen (New Arab 6.7.2021). Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalem Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021). Mitte 2021 haben wütende Iraker aufgrund von häufigen Stromausfällen unter anderem ein Kraftwerk in Diyala gestürmt (DW 8.7.2021).

Kirkuk

Einer Umfrage im Distrikt Hawija vom Februar 2021 zufolge ist das Durchschnittsgehalt im Vergleich zum Niveau vor der COVID-19-Pandemie gesunken. Für Fachkräfte ist der Durchschnittslohn von 282 USD (~412.120 IQD) auf unter 200 USD (~292.280 IQD) gefallen, für ungelernte Arbeitskräfte von 165 USD (~241.130 IQD) auf 105 USD (~153.450 IQD). Arbeitgeber haben durchschnittlich nur etwa 44 % ihrer Angestellten gehalten (IOM 9.2021m).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,44 % der Bevölkerung des Gouvernements Kirkuk von akuter Armut betroffen und 1,9 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Etwa 9,8 % der Bevölkerung Kirkuks (rund 152.200 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 3,92 % (rund 60.900 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren liegt Kirkuk hinter allen anderen irakischen Gouvernements. Außer Kirkuk haben alle Gouvernements bei der Frage von Verfügbarkeit von Waren zehn von zehn möglichen Punkten erhalten, Kirkuk nur 8,3 Punkte (ACCORD 28.9.2021; vergleiche WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Kirkuk bei 89,7 % (CSO 2018m). Über 2.000 Familien im kurdischen Viertel der Stadt Kirkuk waren im Mai 2021 von Auswirkungen einer Wasserknappheit betroffen. Berichte zufolge erfolgte die Versorgung mit Wasser, welches unsauber war, nur alle zwei bis sieben Tage. Einwohner mussten Wasser kaufen, das jedoch zu salzhaltig zum trinken gewesen sei (Rudaw 29.5.2021). Das Gouvernement Kirkuk ist für seinen Wasserbedarf für Bewässerung, als Trinkwasser und für industriellen Gebrauch hauptsächlich auf Grundwasser angewiesen. Eine Untersuchung der Wasserqualität von 60 Brunnen im Gouvernement hat bei 30 der getesteten Brunnen eine Kontaminierung des Wassers ergeben. Die Untersuchung der entnommenen Proben hat außerdem ergeben, dass die meisten Parameter für eine Verwendung als Trinkwasser nicht erreicht wurden. Die Qualität hat sich im Untersuchungszeitraum von 2017 bis 2019 verschlechtert (Tameemi 2020).

Die Stromversorgung der Stadt Kirkuk durch das nationale Energienetz ist laut dem Pressesprecher der Direktion für Elektrizität in Kirkuk abwechselnd für drei Stunden aktiv und für drei Stunden inaktiv. In manchen Stadtvierteln Kirkuks, wie Qadisiyah, Nasir und Askari, stehen den Einwohnern weniger als zehn Stunden Strom am Tag zur Verfügung (Kirkuk Now 7.8.2021). Im Mai 2021 hat mangelhafte Stromversorgung die Versorgung mit Wasser in der Stadt Kirkuk beeinträchtigt (Rudaw 29.5.2021). Mangelnde Stromversorgung durch das nationale Stromnetz und durch den Ausfall von Generatoren beeinträchtigt auch die Erbringung gewisser medizinischer Dienste, die beständige Stromzufuhr erfordern, z.B. im Rahimawa-Gesundheitszentrum, einem der größten staatlichen Krankenhäuser der Stadt Kirkuk (Kirkuk Now 20.4.2021). Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Kirkuk vorgeworfen (New Arab 6.7.2021). Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalen Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021).

Ninewa

Im Jahr 2018 waren etwa 1,54 % der Bevölkerung des Gouvernements Ninewa von akuter Armut betroffen und 3,01 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). In drei Distrikten des Gouvernements - in Hamdaniya, Tal'afar und Sinjar ist die hohe Arbeitslosigkeit sehr problematisch. Viele sind der Ansicht, dass sich die Einwohner ihrer Gemeinden aus wirtschaftlicher Not den diversen Sicherheitsakteuren anschließen würden (USIP 22.6.2021). Einer Umfrage von 2021 zufolge gehen 29 % der Befragten in Mossul einer Vollzeitbeschäftigung nach, während 28 % arbeitslos sind (BFA, IRFAD 2021).

Einer Umfrage im Distrikt Al-Bakir vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte zwischen 34 und 612 USD (~49.690 bis 894.390 IQD), das für ungelernte Arbeiter zwischen 82 und 408 USD (~119.840 bis 596.260 IQD). Der Umfrage zufolge ist etwa die Hälfte der Familien sehr bedürftig, und mehr als 80 % der jungen Menschen sind arbeitslos (IOM 9.2021n). Im Distrikt Al-Shikhan liegt das Durchschnittsgehalt bei 275 USD (~401.890 IQD), zwischen 100 und 690 USD (~146140 bis 1.008.380 IQD). Etwa die Hälfte der Arbeitgeber gibt an, ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 200 USD (~292.280 IQD) erhalten, wobei die Löhne von unter 100 bis zu 480 USD (~146.140 bis 701.480 IQD) reichten. (IOM 9.2021o). Im Distrikt Ba'aj Markaz liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 168 USD (~245.520 IQD), und reicht von etwa 100 bis zu 310 USD (~146.140 bis 453.0450 IQD). Allerdings gab nur ein Drittel der befragten Arbeitgeber an Fachkräfte zu beschäftigen. Nur ein Unternehmen gab an ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021p). In Tal Azer im Distrikt Ba'aj verdient eine Fachkraft durchschnittlich 185 USD (270.360 IQD), wobei die Spanne zwischen unter 100 bis 345 USD (~146.140 bis 504.190 IQD) reicht. Es gaben jedoch nur 71 % der befragten Arbeitgeber an, qualifizierte Arbeitskräfte zu beschäftigen, und einige wenige haben ungelernte Arbeitskräfte. Manche beschäftigen auch Verwandte, die nicht bezahlt werden (IOM 9.2021q). In Bab Lakash, in Mossul erhalten Fachkräfte im Durchschnitt 188 USD (~274750 IQD), ungelernte Arbeitnehmer 122 USD (~178.290 IQD). Mehr als die Hälfte der Familien in der Gemeinde wird als vulnerable eingestuft. Etwa 75 % der Jugendlichen sind arbeitslos (IOM 9.2021r). In Qayrawan im Distrikt Sinjar liegen die Durchschnittslöhne für qualifizierte Arbeitskräfte zwischen 61 und 102 USD (~89.150 bis 149.060), mit einem Durchschnitt von 85 USD (~124.220 IQD). Nur ein Drittel der Unternehmen gibt an Fachkräfte zu beschäftigen. Ungelernte Arbeitskräfte werden der Umfrage zufolge von keinem Unternehmen angestellt. Frauen verdienen nach Schätzungen im Durchschnitt 42 USD (~61.380 IQD) (IOM 9.2021s). In den Ortschaften Tal Banat und Tal Qassab in Sinjar reicht die Gehaltsspanne für Fachkräfte von 100 und 600 USD (~146.140 bis 876.850 IQD), wobei das Durchschnittsgehalt bei 234 USD (~341.970 IQD) liegt. Nur 67 % der Arbeitgeber geben jedoch an Fachkräfte zu beschäftigen. Wenige haben ungelernte Arbeitskräfte angestellt (IOM 9.2021t). Im Distrikt Tal'afar liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 233 USD (~340.510 IQD), reicht von 100 bis 544 USD (~146.140 bis 795.010 IQD). Etwa die Hälfte der Arbeitgeber gibt an auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, deren Durchschnittsgehalt bei 162 USD (~236.750 IQD) liegt. Die Spanne reicht von unter 85 USD bis zu 340 USD (~124.220 bis 496.880 IQD). Der Umfrage zufolge leben etwa 30 % bis 40 % der Familien in Tal'afar unterhalb der Armutsgrenze. Etwa 60 % der Jugendlichen sind arbeitslos. Arbeitslosigkeit ist besonders unter Frauen und Menschen mit Behinderungen besonders hoch (IOM 9.2021u).

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Ninewa als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 10,28 % der Bevölkerung (rund 375.500 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 11,7 % (rund 427.300 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Ninewa im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Sommer 2021 kam es in Ninewa zu dürrebedingten Ernteausfällen. Das Landwirtschaftsministerium (MOA) schränkte daher den Handel von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes ein, mit Ausnahme des Transfers in Lagerhäuser des MOA, um spekulative Händler und Schmuggler davon abzuhalten, von den höheren Inlandspreisen zu profitieren (FAO 11.6.2021).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Ninewa bei 87,1 % (CSO 2018n). Fehlender Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasser- und Stromversorgung, bleibt eine Herausforderung für ländliche Gebiete der Ninewa Ebene und den Distrikt Sinjar (EASO 1.2021).

Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Ninewa, vorgeworfen (New Arab 6.7.2021).

Einer Umfrage von 2021 zufolge gaben 49 % der Befragten Personen in Mossul an, immer Strom zur Verfügung zu haben, 16 % manchmal, 24 % meistens und 11 % nie (BFA, IRFAD 2021).

Salah ad-Din

Salah ad-Din ist eines der Gouvernements, in denen infolge des Konflikts mit dem sog. IS besonders hohe Schäden an der Infrastruktur entstanden sind, darunter in der Landwirtschaft, in der Wasserversorgung, sowie im Sanitär- und Hygienesektor. Der Wiederaufbau ging im Jahr 2019 nur langsam voran (EASO 1.2021).

Die Erwerbsquote in Salah ad-Din ist von 10,8 % im Jahr 2016 auf 9,5 % im Jahr 2017 gefallen. Auch die Arbeitslosenrate ist gefallen, von 40,8 % im Jahr 2016 auf 38,2 % im Jahr 2017 (CSO 2018c; vergleiche ACCORD 10.9.2021). Einer Umfrage zufolge gingen 21 % der befragten Personen in Salah ad-Din einer formellen Beschäftigung nach, 36 % einer informellen und 49 % gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22 %) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Einer Umfrage im Distrikt Baiji vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittseinkommen für Fachkräfte bei 189 USD und reicht von 68 bis 282 USD (~99.380 bis 412.120 IQD). Für ungelernte Arbeiter liegt das Durchschnittsgehalt bei 115 USD (~168.060 IQD) (IOM 9.2021v).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,27 % der Bevölkerung des Gouvernements von akuter Armut betroffen und 2,58 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Salah ad-Din als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 1,85 % der Bevölkerung Salah ad-Dins (rund 26.200 Personen) sind unzureichende ernährt. Für rund 6,17 % (rund 87.100 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Salah ad-Din im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Salah ad-Din bei 63,2 % (CSO 2018o).

Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalen Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 22.08.2022

Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden (GIZ 1.2021b).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor (IOM 1.4.2019). Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Vor allem in größeren Städten und für spezialisierte Behandlungen kann es zu langen Wartezeiten kommen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hängt stark davon ab, ob die Gesundheitsinfrastruktur seit dem jüngsten bewaffneten Konflikt wiederhergestellt wurde, und ob Ärzte und Krankenschwestern zurückgekehrt sind (IOM 18.6.2021).

Eine Umfrage deutet darauf hin, dass im Jahr 2020, infolge der COVID-Krise, die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20 % ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, stark auf 38 % gestiegen ist (gegenüber 7 % im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD Anmerkung, ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 1.2021d). Medizinische Kosten und Gesundheitsleistungen werden im Irak nicht von einer Krankenversicherung übernommen (IOM 18.6.2021).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 25.10.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 25.10.2021). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Es gibt im Irak 1.146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1.185, die von Ärzten geleitet werden. Des Weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.). Im Zuge der COVID-19 Krise hat die Regierung einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst. Daten über konkrete Initiativen und die Wirksamkeit der Maßnahmen sind jedoch nicht verfügbar (IOM 18.6.2021).

In einer Umfrage im Jahr 2021, in den Städten Bagdad, Basra und Mossul, geben 33 % der Befragten an, immer Zugang zu einem Arzt (Allgemeinmediziner) zu haben, während 58 % einen begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang haben. 53 % der Befragten in Mossul haben nur eingeschränkten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Allgemeinmediziner, ebenso wie 60 % in Basra und 59 % in Bagdad. 50 % der Kurden gegenüber 30 % der Araber geben an, immer Zugang zu einem Arzt zu haben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so haben 46 % der schiitischen Muslime immer Zugang zu einem Arzt, während dies nur 28 % der sunnitischen Muslime und 25 % der Christen tun. Bei den Einkommensverhältnissen ist ein erheblicher Unterschied festzustellen: 91 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Allgemeinmediziner, während nur 20 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, Zugang haben (BFA, IRFAD 2021).

Von allen Befragten haben 32 % immer Zugang zu einem Zahnarzt, 52 % haben begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang und 14 % keinen Zugang. Auf regionaler Ebene haben 55 % in Mossul, 63 % in Basra und 43 % in Bagdad begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Zahnarzt; 21 % in Bagdad haben keinen Zugang. 45 % der Kurden gegenüber 28 % der Araber geben an, immer Zugang zu einem Zahnarzt zu haben (25 % der Kurden haben keinen Zugang). 39 % der schiitischen Muslime, 27 % der sunnitischen Muslime und 39 % der Christen haben immer Zugang zu einem Zahnarzt (keinen Zugang haben 12 % der schiitischen Muslime, 15 % der sunnitischen Muslime und 19 % der Christen). Auch bei den Einkommensverhältnissen ist der Zugang unterschiedlich: 77 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Zahnarzt, während nur 22 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, dies tun (BFA, IRFAD 2021).

Insgesamt haben 29 % immer und 57 % eingeschränkt oder stark eingeschränkt Zugang zu einem Facharzt (z.B. Gynäkologe, Kinderarzt usw.), wenn dieser benötigt wird. 59 % der Frauen und 57 % der Männer haben einen begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Facharzt. In Mossul geben 40 % an, immer Zugang zu einem Facharzt zu haben, während dies nur 20 % in Basra und 28 % in Bagdad tun. Von den Kurden haben 43 % immer Zugang zu einem Facharzt, gegenüber 26 % der Araber. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so geben 38 % der schiitischen Muslime an, immer Zugang zu einem Facharzt zu haben, während dies 27 % der sunnitischen Muslime und 25 % der Christen tun. 70 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Facharzt. Bei Wenigerverdiener sind es nur 20 % (BFA, IRFAD 2021).

In allen untersuchten Städten haben 30 % der Befragten immer Zugang zu Krankenhäusern, um sich bei Bedarf behandeln oder operieren zu lassen, 54 % haben einen eingeschränkten oder stark eingeschränkten Zugang und 13 % keinen Zugang. Von den männlichen Befragten haben 32 % immer Zugang, während 17 % überhaupt keinen Zugang haben; von den weiblichen Befragten haben 27 % immer Zugang, während 10 % überhaupt keinen Zugang haben. 53 % der Einwohner von Mossul, 63 % von Basra und 49 % von Bagdad haben nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu Krankenhäusern. 45 % der Kurden haben immer Zugang zu Krankenhäusern, während 20 % überhaupt keinen Zugang haben. Von den Arabern haben 26 % immer Zugang, während 14 % keinen Zugang haben. Von den sunnitischen Muslimen geben 30 % an, immer Zugang zu Krankenhäusern zu haben (16 % haben keinen Zugang), ebenso wie 38 % der schiitischen Muslime (13 % haben keinen Zugang) und 21 % der Christen (16 % haben keinen Zugang). In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD haben 68 % immer Zugang zu Krankenhäusern, während von denjenigen, die weniger verdienen, nur 20 % Zugang haben (und 16 % haben keinen Zugang) (BFA, IRFAD 2021).

36 % aller Befragten haben alle, 36 % kaum die notwendigen Hygieneartikel, während 28 % kaum oder gar nicht über diese Artikel verfügen. Vor allem Frauen mangelt es an den notwendigen Hygieneartikeln, 34 % haben sie kaum oder gar nicht, gegenüber 23 % der Männer. Die Verfügbarkeit scheint in Bagdad am höchsten zu sein, wo 80 % angeben, kaum oder alle notwendigen Hygieneartikel zu besitzen, ebenso wie 67 % in Mossul und 60 % in Basra. 75 % der 26- bis 36-Jährigen geben an, kaum oder alle notwendigen Hygieneartikel zu besitzen, während 73 % der 19- bis 25-Jährigen und 58 % der 16- bis 18-Jährigen dies tun. 31 % der Araber, aber nur 15 % der Kurden geben an, dass sie kaum oder gar nicht über die notwendigen Hygieneartikel verfügen. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so verfügen 30 % der Christen, 31 % der schiitischen Muslime und 27 % der sunnitischen Muslime kaum oder gar nicht über die erforderlichen Hygieneartikel. 66 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben alle notwendigen Hygieneartikel, während 32 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, diese besitzen (BFA, IRFAD 2021).

44 % der Befragten geben an, dass sie immer Zugang zu Impfungen haben, während 51 % nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu Impfungen im Allgemeinen haben. Zu den COVID-19-Impfungen haben 55 % der Befragten immer Zugang, während 40 % nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang haben. Auf regionaler Ebene haben 35 % der Befragten in Bagdad, 55 % in Basra und 52 % in Mossul immer Zugang zu Impfungen, während 59 % in Mossul, 61 % in Basra und 51 % in Bagdad angeben, vollen Zugang zu COVID-19-Impfungen zu haben. 50 % der Kurden und 43 % der Araber haben immer Zugang zu Impfungen, während 80 % der Kurden und 51 % der Araber immer Zugang zu COVID-19-Impfungen haben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so haben 55 % der schiitischen Muslime, 37 % der sunnitischen Muslime und 39 % der Christen uneingeschränkten Zugang zu Impfungen; uneingeschränkter Zugang zu COVID-19-Impfungen wird von 70 % der schiitischen Muslime, 46 % der sunnitischen Muslime und 55 % der Christen angegeben. Das Einkommensniveau ist ausschlaggebend für den kontinuierlichen Zugang zu Impfungen: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 86 % immer Zugang zu Impfungen und 91 % zu COVID-19-Impfungen, während von denjenigen, die weniger verdienen, nur 34 % immer Zugang zu Impfungen und 52 % zu COVID-19-Impfungen haben (BFA, IRFAD 2021).

Anfang des Jahres 2020, mit Beginn der COVID-19-Pandemie stellten die medizinischen Fakultäten und Gesundheitseinrichtungen die meisten ihrer zur Verfügung gestellten Dienste ein und verlagerten sich auf die Untersuchung des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und Dienstleistungen wieder auf, mit neuen Regelungen, wie dem Zugang zu Krankenhäusern nur nach Terminvereinbarung, Rotationsschichten des medizinischen Personals, längeren erforderlichen Wartezeiten und strengeren Hygienemaßnahmen. Im Jahr 2021 bieten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor ihre Arbeit beinahe wieder normal an, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wie vom irakischen Gesundheitsministerium (MoH) angewiesen (IOM 18.6.2021). Das Gesundheitsministerium wandte sich angesichts der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den öffentlichen Gesundheitssektor an private Einrichtungen, um die Regierung bei der Krisenbewältigung zu unterstützen. So nutzte die Regierung beispielsweise das Andalus Hospital and Specialized Cancer Treatment Center in Bagdad, das einem irakischen Pathologen gehört (BS 23.2.2022, S.25).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck. Familien haben nicht im gleichen Maße wie 2019 Zugang zu grundlegenden Diensten, einschließlich Impfungen und Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind. Schätzungsweise 300.000 Kinder laufen Gefahr, nicht geimpft zu werden, was zu Masernausbrüchen oder der Rückkehr von Polio führen könnte (UN OCHA 2021).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich (AA 25.10.2021).

Rückkehr

Letzte Änderung: 16.08.2022

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 25.10.2021).

Einer Studie von 2021 zufolge sind soziale Netzwerke wichtige Erleichterer oder Hemmer einer Wiedereingliederung. Die meisten Studienteilnehmer waren sich darin einig, dass ein starkes soziales Netz ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist und berichteten von einem positiven Einfluss der Netzwerke nach ihrer Rückkehr, es gab jedoch auch Berichte von eher negativen Empfängen (FIS, ERRIN 2021).

Rückkehrer berichten über psychosoziale Bedürfnisse vor, während und nach einer Rückkehr. Dabei stehen psychosoziale Dienste weitgehend nicht oder kaum zur Verfügung. Ein Faktor ist Angst vor einer Stigmatisierung durch die Familie, nicht jedoch die Stigmatisierung selbst. 90 % der Studienteilnehmer berichteten, dass sie von ihrer Familie und ihren Freunden freudig empfangen wurden (FIS, ERRIN 2021).

Während die Forschungsteilnehmer nur wenige Probleme beim formalen Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge meldeten, beeinträchtigen Anpassungsschwierigkeiten und Qualitätsbarrieren ihre Fähigkeit, diese Dienste in Anspruch zu nehmen (FIS, ERRIN 2021).

Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnisch-konfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).

Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20 % ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38 % gestiegen ist (im Vergleich zu 7 % im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021). Einer Studie von 2021 zufolge, sehen sich Rückkehrer nach ihrer Rückkehr mit Barrieren für den Lebensunterhalt konfrontiert, die zwar nicht unbedingt ein Hindernis für die Wiedereingliederung darstellen, aber eine Ursache für eine erneute Abwanderung sind (FIS, ERRIN 2021).

Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12 % der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdistan Region Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71 % der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56 %. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56 % seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2020 hatten 59 % der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~267,90 EUR) (im Vergleich zu 55 % im Jahr 2019 und 71 % im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79 %. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenen- und Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92 % und 93 % der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).

Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).

Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).

In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 25.10.2021).

Staatsbürgerschaft und Dokumente

Letzte Änderung: 16.08.2022

Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vergleiche USDOS 12.4.2022). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist gemäß Artikel 10 des Staatsbürgerschaftsgesetzes No.26/2006, möglich (RoI MoFA 2021b).

Für die Ausstellung einer Geburtsurkunde für ein im Ausland geborenes Kind ist eine Registrierung bei der Konsularabteilung einer irakischen Botschaft notwendig. Der Vater der Kindes muss in der Konsularabteilung der Botschaft anwesend sein. Im Fall seines Ablebens ist der Ehevertrag ein erforderliches Dokument, um die Vaterschaft des Kindes zu belegen. Innerhalb von zwei Monaten nach dem Geburtstermin muss eine beglaubigte Geburtsbestätigung von der zuständigen Behörde des Landes, in dem die Geburt erfolgte, vorgelegt werden. Bei Verspätung ist eine Gebühr für die verzögerte Registrierung in Höhe von 10.000 irakischen Dinar (IQD) [Anm.: 5,69 € (Stand April.2021)] zu bezahlen (RoI MoFA 2021a).

Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Ein Personalausweis wird etwa für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt (USDOS 12.4.2022; vergleiche FIS 17.6.2019). Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt (FIS 17.6.2019). Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen (FIS 17.6.2019). In den seit 2016 ausgestellten Personalausweisen ist die Religionszugehörigkeit des Inhabers nicht mehr vermerkt, obwohl bei der Online-Beantragung immer noch nach dieser Information gefragt wird, und ein Datenchip auf dem Ausweis weiterhin Angaben zur Religion enthält (USDOS 2.6.2022). Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und den erforderlichen Staatsbürgerschaftsnachweis. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).

Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 12.4.2022; vergleiche FH 28.2.2022) noch einen Personalausweis bekommen (USDOS 12.4.2022).

Auch 2021 wurden Personen, denen ein Naheverhältnis zum Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wurde, eine Sicherheitsfreigabe, wichtige Identifikationskarten und andere zivile Papiere vorenthalten (HRW 13.1.2022). Der IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen eigene Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden, z.B. Heiratsurkunden (CCiC 1.4.2021; vergleiche NRC 4.2019). Viele Familien haben ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren oder als sie in den Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) ankamen. Fehlende Sicherheitsfreigaben hindern Familien daran, zivile Dokumente zu erhalten oder zu erneuern. Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Binnenvertriebenenlagern leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind in Umlauf. Zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 25.10.2021).

Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.10.2021 zur Lage von alleinstehenden Frauen in Falludja hält Folgendes fest:

„Einer nachfolgend zitierten Studie ist zu entnehmen, dass Frauen eher in bestimmten Berufssparten arbeiten, die meist mit ihrer Geschlechterrolle übereinstimmen. Sie arbeiten im Lebensmittel- und im Dienstleistungssektor, einschließlich Friseur- und Schönheitssalons, Fotografie und Hochzeitsdienstleistungen; im Textilsektor, im Handel und auch in der Landwirtschaft und Viehzucht. Im Vergleich zu 2020 haben sich mit den Lockerungen der COVID-19-bedingten Einschränkungen die Einkommensmöglichkeiten im Jahr 2021 wieder verbessert.

Die Stadt Fallujah hat im Zuge der Kämpfe gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhebliche Schäden an Behausungen und an grundlegender Infrastruktur erlitten. Es kam zu Wiederaufbau- und Sanierungsmaßnahmen von zerstörten und beschädigten Wohngebäuden in allen Stadtdistrikten Fallujahs.“

EUAA Country Guidance Iraq führt betreffend Frauen Folgendes aus:

2.16.   Women

The position of women and girls in Iraq is characterised by deeply engrained attitudes, strong cultural beliefs and societal structures that reinforce discrimination; gender-based human rights violations are common.

2.16.1. Violence against women and girls: overview

2.16.1. Violence against women and girls: overview

… Violence against women and girls is a pervasive problem in Iraq, which, since 2003, has been exacerbated by recurring armed conflicts. Information on sexual violence remains difficult to obtain as a result of stigma against the victims and fear of reprisals. Official national statistics on different forms of violence against women are not available, and in general, there is a lack in systematic collection of data on sexual and gender-based violence (SGBV) in Iraq. However, an increase in SGBV cases during the COVID-19 pandemic has been reported. The major forms of sexual and gender-based violence across the country are sexual violence, domestic violence, so-called honour crimes, child marriage, trafficking in women and girls, Female Genital Mutilation (FGM).

In particular, Iraq lacks comprehensive legislation to protect and punish violence against women; it allows for honour as a mitigating circumstance, and although it criminalises sexual assault, it allows charges to be dropped if the sexual assault perpetrator marries the victim.

Several hundred women and girls are killed every year in honour crimes in Iraq, and such crimes are underreported to the authorities. See also 2.13 Individuals perceived to transgress moral codes.

Article 41 of the Penal Code gives a husband the legal right to resort to physical violence against his wife within certain limits prescribed by law or by custom. Sources report that around 1 000 women are killed every year in Iraq due to domestic violence.

Due to a reliance on traditional non-State justice mechanisms in areas of Iraq that are less developed, ‘justice systems can lead to poor outcomes for women’. Domestic violence and honour killings are rarely punished and spousal rape is not criminalised. (Suspected) rape is one of the reasons why honour crimes are perpetrated.

There are no effective shelters for women in Iraq, and women who leave their homes due to abuse, are vulnerable and may end up taking shelter in prisons or resort to prostitution. Shelters in Iraq are significantly lacking and are run by volunteers. As most of them are located in the cities, it is very difficult for rural women to access them. The women that reside there are in an especially vulnerable situation, often having no male support network.

In the absence of shelters, authorities often detained victims for their own protection.Communities often viewed shelters for victims of gender-based crimes as brothels and demanded their closure. To appease these concerns, the government regularly closed these shelters while allowing them to reopen later in another location. Shelters have also been attacked. Although the government stated to have set up family protection units at police stations across the country, these units prioritise family reconciliation over protection of the victims and most of them do not serve as shelters.

Women face particular difficulties accessing justice due to the discriminatory attitudes of police and government officials towards them, and a lack of awareness of their rights. Women face broad discriminatory treatment in society and under the law; marriage and divorce law tend to favour men. Legal protections for women against domestic violence in Iraq are insufficient and violence in the family has been underreported due to shame, fear of family or community reprisals, or harassment and abuse from police and security forces.

In addition, women cannot obtain civil status documentation without the consent of a male relative.

Unlike the rest of Iraq, in KRI, domestic violence is criminalised. This is under the Kurdistan Region Act (Act No. 8) of 2011 on domestic violence. A special police force has been set up in the KRI to implement the law and investigate cases of gender-based violence The frequent practice by the authorities is to mediate between the women and their families, so that women return to their home. Furthermore, women risk being harassed by some staff at the police stations and their intentions will be questioned. Moreover, a husband may threaten to take the children if the wife reports a violent act.

Other barriers for the implementation of the KRI law on domestic violence include the patriarchal mentality of the society, as well as the discriminatory mindset of the judges towards women. The rate of domestic violence has increased in the KRI and, especially in the tribal areas, domestic violence is common.

Shelter space is also insufficient in KRI and shelters are attacked because they are considered as places of immorality and the government has to close them and reopen them in a new secret place. Many women are reluctant to go to a shelter afraid of being seen as outcasts. Moreover, admission to shelters in KRI requires a judicial order, which is reportedly a deterrent for women to use them. There are four government shelters and two private shelters, which provided some protection to women victims of SGBV in the KRI. In the KRI, organisations are permitted to run shelters, although the authorities have reportedly denied licenses to establish them under accusations of fostering prostitution. Many hotels refuse to permit single women to stay alone. Conflict-related sexual violence continued to be underreported in Iraq. Cases of sexual abuse by members of Iraqi security forces against women in camps have been reported, such as in Ninawa.

Risk analysis: Sexual assault and rape amount to persecution. In case of other forms of violence, the assessment should take into account the severity and repetitiveness of the violence. Not all women and girls would face the level of risk required to establish a well-founded fear of persecution. The individual assessment of whether there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: perception of traditional gender roles in the family, poor socio-economic situation, area of origin, influence of the tribe, etc.

Nexus to a reason for persecution: Available information indicates that persecution of this profile may be for reasons of membership of a particular social group. For example, honour-based violence experienced by women who have been victims of sexual abuse may be for reasons of membership of a particular social group, due to their common background which cannot be changed (past experience of sexual abuse) and distinct identity in Iraq in relation to stigmatisation by society.

Additionally, persecution of women who have left their violent marriage, may be for reasons of membership of a particular social group due to their common background which cannot be changed (having left the abusive relationship) and their distinct identity in Iraq (stigmatisation by society).

2.16.4. Women acting in the public sphere

This subsection refers to women who are considered to work in the public sphere in Iraq and KRI, such as a position as a candidate in elections, a position in healthcare, in NGOs, in media, in the transportation sector or in entertainment. This section also refers to women acting in the public sphere such as on social media.

The Council of Representatives allocates 25 % of the seats to women, whereas KRG’s regional legislative assembly allocates 30 % of the seats to women. Over 2 000 female candidates ran in the 2018 election. During the campaign for the parliamentary elections, posters of female candidates were vandalised and photographs allegedly showing candidates wearing revealing clothing were posted online. Some women candidates withdrew due to threats and intimidation. Women candidates gained 84 seats in the 2018 parliament following the national elections.

Sources report that the targeting of well-known women in Iraq has increased significantly. In August – September 2018, a number of prominent women were murdered in Iraq. One victim was a former beauty queen popular on social media (killed in Baghdad), another victim was a women’s rights activist (killed in Basrah). Two other victims worked in beauty parlours. For many people in Iraq the only acceptable jobs for women are in certain home-related sectors or government departments. Women and girls who work in shops, cafes, entertainment, nursing or the transportation sector (taxi/truck drivers) are frowned upon.

Women’s public activity may lead to harassment, particularly online through social media. Harassment can be aggressive in cases of women activists, by online defamation, vulgar distortion of hashtags and messages calling for their rape or assassination. Women faced restrictions on taking part in protests, because their families were afraid of being negatively painted. Disparagement may include claims that activists were committing ‘immoral acts’ such as drug abuse, homosexual acts or premarital sex. Sexual defamation may leave – especially women and girls – vulnerable to ‘honour killings’. Similar harassment has been reported for female politicians and candidates.

Risk analysis: The acts to which women acting in the public sphere could be exposed are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. violence and killings). Not all women acting in the public sphere would face the level of risk required to establish a well-founded fear of persecution. The individual assessment of whether there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account riskimpacting circumstances, such as: area of origin, conservative environment, visibility of the applicant (e.g. nature of the work, public statements perceived negatively by the actor ofpersecution), perception of traditional gender roles by the family or network, etc.

Nexus to a reason for persecution: Available information indicates that persecution of this profile may be for reasons of (imputed) political opinion and/or for reasons of religion. Additionally, persecution of women who work in jobs perceived as not acceptable based on traditional gender roles may be for reasons of membership of a particular social group due to a common background (past professional experience) and their distinct identity in the surrounding society.

2.16.5. Women perceived to have transgressed moral codes

Women in Iraq continue to face violence, socio-economic restrictions and discriminatorypractices, as a result of traditional stereotypes, patriarchal norms, discriminatory laws as well as weakness of state institutions. In regard of the specific situation and treatment of women in the context of Iraq and the KRI, due consideration should be given to the assessment of international protection needs of Iraqi female applicants.

For guidance on this topic, see the profile 2.13 Individuals perceived to transgress moral codes.”

Risk analysis (2.13): The acts to which individuals under this profile could be exposed are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. violent attacks, killings). Not all individuals under this profile would face the level of risk required to establish a well founded fear of persecution. The individual assessment of whether there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: the moral and/or societal norm transgressed, gender (the risk is higher

for women), conservative environment, area of origin, perception of traditional gender roles by the family and society, etc.

Nexus to a reason for persecution (2.13): Available information indicates that for this profile, the individual circumstances of the applicant need to be taken into account to determine whether a nexus to a reason for persecution can be substantiated. In the cases of inter-sect/inter-ethnic marriages, as well as in individual cases of persons targeted by Shia militias, persecution may be for reasons of religion and/or race (ethnicity). In the case of persons transgressing social norms, persecution may also be for reasons of membership of a particular social group, based on their common background which cannot be changed (perceived past behaviour) and/or a shared characteristic or belief that is so fundamental to identity or conscience that they should not be forced to renounce it (opposition to cultural, social or religious norms and the unwillingness to comply with them). They may also be considered to have a distinct identity in the context of Iraq, because they may be perceived as being different by the surrounding society”

Laut Berichten der Neuen Züricher Zeitung vom 23.01.2022 und der Financial Times vom 06.12.2021 zählt die Stadt Falludja und die umliegende Provinz Anbar, die früher Hochburg von Untergrundkämpfern, Al-Quaida und dem IS war, heute zu den sichersten Gebieten im Irak. Es wurde neue Geschäfte, Wohnblöcke, Häuser, ein College und Vergnügungsparks für Kinder errichtet.

Die Journalistin Birgit Svensson beschreibt die Lage in Falludja im Jänner 2023 wie folgt:

„Zur Situation in Falludja in der Provinz Anbar, nordwestlich von Bagdad, kann ich den Inhalt der Reportage in der NZZ vom Januar 2021 voll und ganz bestätigen. Ich selbst war Anfang Dezember in Falludja und war erstaunt, wie positiv sich die Stadt entwickelt hat. Falludja galt als der Hotspot des Terrors von Al Qaida und dem IS, in Falludja gab es zwei verlustreiche Schlachten zwischen der US-Armee und den irakischen Aufständischen. In meinem Buch "Mörderische Freiheit" - Kapitel 3, "Immer wieder Falludja" - beschreibe ich ausführlich die Stadt und ihr Schicksal. Ich hatte noch nie vorher eine derart zerstörte Stadt wie Falludja gesehen, außer im Fernsehen Grosny und später Aleppo.

Man kann nicht sagen, dass man von der Zerstörung heute nichts mehr sieht. Es gibt immer noch Häuser und Orte, die nicht wieder aufgebaut sind. Aber was die Menschen in Falludja und der ganzen Provinz Anbar, Ramadi miteingeschlossen, in den fünf Jahren seit dem Ende des Kalifats der Terrormiliz IS erreicht haben, ist bemerkenswert. In puncto Sicherheit sowieso. Auch als Frau alleine, kann man heute in Falludja auf die Straße, was früher nicht möglich war. Anschläge gibt es keine mehr, die Kriminalität ist nicht höher als anderswo im Irak. Die Provinz Anbar hat es geschafft, Millionen US-Dollar Hilfsgelder und Investitionen zu bekommen. Es gibt ein neues Krankenhaus, das mit deutscher Hilfe gebaut wurde. Neue Geschäfte sind entstanden, Einkaufstempel, Restaurants. Schulen sind noch schwierig. Denn selbst wenn die Gebäude wiederhergestellt sind, fehlen Lehrer. Die waren entweder vor den Dschihadisten geflohen oder sind von ihnen umgebracht worden.

Langsam ziehen Irakerinnen und Iraker nach Falludja, die vorher nicht dort gelebt haben. Die Stadt ist für Arbeitsuchende attraktiv, sie bietet Perspektiven. Allerdings werden Schiiten, die dorthin ziehen, zunächst kritisch beäugt. Falludja und die gesamte Provinz Anbar wurden schon immer mehrheitlich von Sunniten bewohnt. Da jetzt ein ehemaliger Minister des früheren Premiers Nuri al-Maliki Regierungschef wurde, ist die Skepsis umso größer. Malikis sektiererische Politik und sein Hass gegen Sunniten hat zum Aufstieg des IS geführt und Falludja in die Hände der Dschihadisten getrieben. Falludja war die erste Stadt im Irak, die der IS schon im Frühjahr 2014 unter seine Kontrolle brachte, ein halbes Jahr vor dem Angriff auf Mosul und Tikrit und später auf die Jesidenprovinz Sinjar im Nordwesten Iraks. Ich würde nicht sagen, dass Falludja schon jetzt eine Erfolgsgeschichte der Post-IS-Ära ist, aber es läuft in diese Richtung.

Nur die schon längst angekündigte Eisenbahnlinie Falludja-Bagdad ist noch immer nicht in Betrieb.

Dort geht man hin und wartet, bis das Auto voll ist. Je nach Fahrzeugtyp fasst es 4, manchmal 6 oder 7 Fahrgäste. Diese Taxen sind recht preiswert, Nach Falludja kostet ein Sitz in einem Sammeltaxi 50.000 ID. Man kann auch zwei Plätze bezahlen, dann fährt das Taxi schneller ab. Eine Familie nimmt sich meistens ein Auto alleine. Dann gibt es noch Minibusse, so genannte Coster, die Platz für 10 bis 12 Personen haben. Wieviel ein solcher Minibus von Bagdad nach Falludja kostet, weiß ich allerdings nicht.“

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.10.2022 bezüglich der Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers ergibt sich deren Behandelbarkeit. Demzufolge sind folgende Behandlungen und/oder Fachärzte in Falludjah verfügbar :

●        stationäre und ambulante Behandlung sowie Nachsorge durch einen Internisten;

•        stationäre und ambulante Behandlung sowie Nachsorge durch einen Orthopäden/orthopädischen Chirurgen;

•        stationäre und ambulante Behandlung sowie Nachsorge durch einen Ophthalmologen;

•        Laboruntersuchung: Blutzucker (einschließlich HbA1C/ glyc.Hb);

•        Laboruntersuchung: Lipidprofil (Gesamtcholesterin, HDL Cholesterin, LDL-Cholesterin, Triglyceride);

•        Laboruntersuchung: Nierenfunktion (Kreatinin, Harnstoff, Proteinurie, Natrium- und Kaliumspiegel);

•        Diagnostische Bildgebung: Computertomographie (CT Scan).

2.       Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt römisch eins. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person der beschwerdeführenden Parteien:

Die Identität der Beschwerdeführer konnte mangels Vorlage unbedenklicher Urkunden nicht festgestellt werden.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Aktenkundig sind zudem die Staatsbürgerschaftsnachweise der Beschwerdeführer.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich des Beschwerdeführers Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten und holte die aktenkundigen Auszüge ein.

Der Familienstand der Beschwerdeführer konnte aufgrund der glaubwürdigen Angaben im gesamten Verfahren festgestellt werden.

Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.10.2022 ergibt sich, dass sowohl die lumbale Spinalkanalstenose, die Spinalkanalstenose, als auch die arterielle Hypertonie, die periphere arterielle Verschlusskrankheit, die chronische Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus Typ römisch II, Hyperurikämie und Hyperlipidämpie in Falludjah behandelt werden können, auch wenn die

●        stationäre und ambulante Behandlung sowie Nachsorge durch einen Endokrinologen;

●        stationäre und ambulante Behandlung sowie Nachsorge durch einen Neurologen und

●        die diagnostische Bildgebung: MRT-Scan

dort nicht durchgeführt werden kann.

Zwar hat sich die Medikation des Erstbeschwerdeführers seit Einlangen der Anfragebeantwortung teilweise geändert, so sind jedoch alle gängigen Medikamente mit Ausnahme von Metamizol (welches der Erstbeschwerdeführer nunmehr nicht einnehmen muss) verfügbar, während alternative Medikamente in Form von Naproxen und Ibuprofen erhältlich sind, wobei alle Substitute im Ermessen des behandelnden Arztes liegen. Ein Endokrinologe und Neurologe – für die Nachsorge der Schmerzen im unteren Rückenbereich aufgrund einer Radikulopathie (welche durch eine Spinalkanalstenose ausgelöst werden kann) – sind nicht verfügbar, jedoch ein orthopädischer Chirurg, der allerdings nicht auf Radikulopathie spezialisiert ist sowie ein Neurologe, der bei Bedarf hinzugezogen werden kann. Bei einer Nachuntersuchung der Radikulopathie ist ein MRT-Scan nicht möglich, wohl aber eine CT-Untersuchung, welche (vorzugsweise als CT-Myelogramm) eine sinnvolle Alternative zur MRT-Untersuchung ist.

Bezüglich des mikrochirurgischen Eingriffes sind, wie aus dem ärztlichen Entlassungsbrief ersichtlich ist, keine Routinekontrollen vorgesehen, jedoch wurden diverse Maßnahmen (wie das Fortführen der physiotherapeutischen Maßnahmen im ambulanten Bereich) empfohlen, aus denen jedoch nicht abgeleitet werden kann, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückführung in den Herkunftsstaat selbst, wenn die Maßnahmen folglich nicht mehr durchgeführt werden könnten, eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens zu befürchten hat, wozu er auch kein substantiiertes Vorbringen erstattete.

Vor dem Hintergrund, dass seit dem Jahr 2021 sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums ist davon auszugehen, dass konkret der Erstbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht einem höheren Risiko ausgesetzt wäre, an Covid-19 zu erkranken, als in Österreich (siehe dazu auch VwGH 05.02.2021, Ra 2020/19/0322).

Demnach sowie aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im erwerbsfähigen Alter ist und im Bundesgebiet einer selbstständigen Tätigkeit nachgeht, war festzustellen, dass er arbeitsfähig ist.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren vom Beschwerdeführer gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit bestritten wurden.

Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien:

Die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates und ihrer Situation im Fall der Rückkehr beruhen auf den jeweiligen Angaben der Beschwerdeführer in ihrer Erstbefragung, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, den Ausführungen in der Beschwerde sowie den Angaben im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Im Rahmen der Erstbefragung am 28.02.2016 gaben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen gleichlautend an, dass sie aufgrund des Krieges geflüchtet seien und ihre Herkunftsstadt vom IS kontrolliert werde. Zudem wurde die Region nach Angaben des Erstbeschwerdeführers von überall bombardiert und ihr Einfamilienhaus sei laut der Zweitbeschwerdeführerin zerstört worden. Auf letzteres wies der Erstbeschwerdeführer erst in der Einvernahme am 27.07.2018 vor dem Bundesamt hin. In der Einvernahme brachte der Erstbeschwerdeführer auch vor, dass er einer der am meist bedrohten Personen sei, da er bis 2003 für die Baath-Partei, nämlich für die Regierung Saddam Husseins bzw. dessen Sohn gearbeitet habe und da er der Religionsgemeinschaft der Sunniten angehöre. Deswegen sei er im Jahr 2006 aufgrund der Verfolgung durch schiitische Milizen von Bagdad nach Anbar geflohen. Er sei am 15.12.2006 in Bagdad im Garten seines Hauses gewesen, seine Frau sei in der Küche gewesen, es seien dann Schüsse auf das Nachbarhaus gefallen. 2016 sei sein Wohngebiet römisch 40 von schiitischen Milizen mit Maschinengewehren beschossen worden, die Miliz hätte sie für IS-Anhänger gehalten. Die Milizen hätten gewusst, dass er früher die Regierung von Sadam Hussein gearbeitet habe.

In der Beschwerdeverhandlung gab der Erstbeschwerdeführer an, dass sein Wohnviertel beschossen wurde und damit alle, die dort noch übriggeblieben sind. Das Wohnviertel sei mehrheitlich von Christen bewohnt gewesen. 2016 habe er mit seiner Familie Falludja verlassen, da seine Örtlichkeit bombardiert worden sei. Es habe einen Vormarsch von Amerikanen, Milizen und sonstigen Akteuren gegeben.

Vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderberichte kann dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers insofern gefolgt werden, dass 2006 die Lage in Bagdad aufgrund des Vorgehens schiitischer Milizen und 2016 die Lage in Falludja im Zusammenhang mit dem IS den Erstbeschwerdeführer veranlasst hat, zu den jeweiligen Zeitpunkten Bagdad bzw Falludja zu verlassen.

Heute stellt sich die Situation in Falludja wie die aktuellen Berichte völlig anders da, es zählt zu den sichersten Gebieten im Irak und ist mehrheitlich von Sunniten bewohnt. Es kommt kaum zu sicherheitsrelevanten Vorfällen.

Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, wonach er für Odai – den Sohn Sadam Husseins – als Mechaniker von dessen Booten gearbeitet habe, wird nicht als glaubhaft erachtet. Obwohl der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung weitere Angaben dazu machte, ist festzuhalten, dass diese sehr allgemein gehalten waren und daher nicht darauf schließen lassen, dass der Erstbeschwerdeführer diese Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat. Detaillierte Angaben blieb der Erstbeschwerdeführer schuldig.

Zur vermeintlichen Verfolgung aufgrund der Nähe zur Baath-Partei ist zudem anzumerken, dass laut den aktuellen Länderinformationen (Kapitel „Relevante Bevölkerungsgruppen“, „Ex-Baathisten“) die Baath-Partei im Jahr 2005 verboten wurde. Nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins kam es im Irak zu einer „Ent-Baathifizierung“. Dabei kam es unter anderem zu einer Annulierung aller militärischen Dienstgrade und Titel, Wehrpflichtige und Mitarbeiter wurden entlassen. Manche Ex-Mitglieder der Partei konnten nach einem Rehabilitationskurs wieder in den Dienst aufgenommen werden, wobei die Kriterien für die Wiedereinsetzung unklar blieben. Bei dem Erstbeschwerdeführer handelt es sich bloß um ein einfaches Ex-Mitglied der Baath-Partei.

Auch der EUAA Country Guidance: Irak (Kapitel „2.7 Former Baath-pary members“) entspricht im Wesentlichen den Länderinformationen und führt zum Risiko einer diesbezüglichen Verfolgung aus, dass dieses für ein einfaches Parteimitglied gering sei und individuelle Umstände berücksichtigt werden müssten, wie zB. wenn jemand eine hohe Position in der Partei innehatte, während des Saddam Regimes für den Geheimdienst gearbeitet hat, eine potentielle Zugehörigkeit zum IS annehmbar sei oder wenn jemand ein ehemaliger Militär- oder Polizeioffizier aus der Saddam-Ära zu war, etc. Keine dieser Punkte treffen auf den Erstbeschwerdeführer zu. Auch eine Zugehörigkeit zum IS wird dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht unterstellt werden.

Im Übrigen kann den Länderfeststellungen nicht entnommen werden, dass Sunniten im Irak allein aufgrund ihrer Konfession von schiitischen Milizen systematisch verfolgt werden oder aufgrund einer – damaligen – Weigerung, sich einer schiitischen Miliz anzuschließen mit Repressalien zu rechnen hätten. Sunniten stellen zwar die Minderheit im Irak dar, wenn sie auch im Herkunftsgebiet des BF die mehrheitliche Bevölkerung stellen; dennoch sind sie in Gesellschaft und Politik präsent. Auch wenn der Onkel des Erstbeschwerdeführers ein ehemaliges Mitglied der Baath-Partei und unter Saddam Hussein ein hoher Polizeichef war, so kann angesichts der seither verstrichenen Zeit kein Zusammenhang zur Flucht der Beschwerdeführer hergestellt werden. Die Beschwerdeführer brachten nicht vor, dass der Onkel ein aktiver Baath-Anhänger sei, dessen politische und polizeiliche Tätigkeit liegt nunmehr viele Jahre zurück. Die Beschwerdeführer konnten über Jahre hinweg (bis zur Machtübernahme des IS) unbehelligt im Irak leben, sodass die Beschwerdeführer diesbezüglich nicht als Angehörige einer vulnerablen Gruppe angesehen werden können.

In Anbetracht dessen, dass die prekäre Situation zwischen Schiiten und Sunniten wie in den Jahren bis 2015 den Länderberichten zufolge aktuell nicht mehr besteht, ist nicht davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern im Fall ihrer Rückkehr seitens schiitischer Milizen eine konkrete Bedrohung oder Verfolgung drohen würde.

Eine generelle und systematische Verfolgung von sunnitischen Arabern ergibt sich aus den Länderberichten in Übereinstimmung mit der Einschätzung der EUAA Country Guidance: Irak (Kapitel „2.2 Sunni Arabs“) und den EUAA Iraq- Targeting of Individuals von Jänner 2022 (Kapitel „2. Sunni Arabs“) auch zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Somit ergibt sich, dass es den Beschwerdeführern auch unter Berücksichtigung der Länderberichte zur Sicherheitslage im Irak und den schiitischen Milizen nicht gelungen ist, glaubhaft darzutun, dass sie im Herkunftsstaat einer individuellen Verfolgung ausgesetzt wären. Diesbezüglich ist auch zu erwähnen, dass nach wie vor die Schwester des Erstbeschwerdeführers im ersten Wohnsitz der Beschwerdeführer aufhältig ist.

Außerdem liegt der letzte Wohnsitz der Beschwerdeführer, die Stadt Falludja, im Gouvernement römisch 40 . Gemäß der EUAA Iraq Security Situation von Jänner 2022 (Kapitel „2.1 Anbar“) wird dieses überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt. Vor dem Hintergrund, dass die Kontrolle über die Stadt im Jahr 2014 vom IS übernommen wurde, ist der Ansicht des Bundesamtes beizupflichten, dass es glaubwürdig sei, dass die Beschwerdeführer im Jahr 2016 auf Grund der vom IS ausgehenden Gefahr geflohen seien, die Gefahr jedoch zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bestehe. Bereits am 23.01.2022 berichtete die NZZ im Artikel „Falludja galt lange als Synonym für Terror- heute ist eine der sichersten Städte des Iraks“ darüber, dass die Stadt im Aufschwung sei und Häuser, Geschäfte und Straßen, sowie neue Wohnviertel, ein College, Apartmentblöcke, … gebaut würden. Auch die Financial Times berichtete über geplante Bauprojekte und die positiven Zukunftsaussichten bereits am 06.12.2021 im Artikel „Falludjah Land: Iraq’s Anbar province rebuilds after ISIS“. Aus der EUAA Iraq Security Situation von Jänner 2022 (Kapitel „2.1.7 Displacement and Return“) ist ersichtlich, dass zum Stichtag des 26.10.2021 das Gouvernement Anbar die zweithöchste und die Distrikte Ramadi und Falludjah die höchste Rückkehrrate von Geflüchteten aufweisen. Die aktuelle Stellungnahme der im Irak lebenden deutschen Journalistin bestätigt die Zeitungsberichte von NZZ und Financial Times.

Eine Rückkehr in den letzten Wohnsitzort der Beschwerdeführer im Irak ist daher grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen von Mai 2019 möglich, zumal aus den Länderinformationen auch nicht ersichtlich ist, dass für eine Rückkehr Bürgen oder Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt würden. In dem Kapitel „Bewegungsfreiheit“ ist zudem angeführt, dass eine Einreise in den Irak mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen nationalen Reisepass möglich ist. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Falludjah ist überdies nicht nur über den internationalen Flughafen Bagdad und die Fernstraße 11 sicher erreichbar und besteht die Möglichkeit mit Taxi oder Sammeltaxi nach Fallujda zu reisen.

Laut den Länderinformationen (Kapitel „Einreise und Einwanderung in den Föderalen Irak“) existieren für die dauerhafte Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen (für den letzten Wohnsitz, siehe den vorhergehenden Absatz, sind solche nicht erischtlich). Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar Anmerkung, etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Da die Beschwerdeführer die Stadt bereits im Jahr 2006 verlassen haben, der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und zudem später in einem vom IS kontrollierten Gebiet gewohnt haben kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie Voraussetzungen erfüllen würden, um sich in Bagdad niederlassen zu können.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin konnte keine westliche Orientierung festgestellt werden, da sie sich in der Verhandlung nur auf die in Österreich bestehende Sicherheit bezog, sowie, dass ihre Töchter zur Schule gehen könnten und dass Frauen Rechte hätten. Auf Nachfrage konnte sie diese jedoch nicht ausreichend beschreiben, da sie diesbezüglich bloß ausführte, dass hier eine Frau arbeiten und sich um den Haushalt kümmern könne und der Kontakt zwischen Frauen und Männern anders sei, was sie gut fände. Sie treffe auch alleine ihre Freunde und würde mit ihnen zum Supermarkt gehen und auch sonst wo. Sie habe auch ein eigenes Konto und dürfe finanzielle Entscheidungen treffen. Die Drittbeschwerdeführerin hingegen ist westlich orientiert, zumal sie in der Verhandlung vorbrachte, dass sie im Irak nicht mehr leben könne, da sie dort ihr Leben nicht selbstständig führen und sich nicht wie in Österreich ohne Kopftuch bewegen könne, zumal sie ein solches auch bei einer Rückkehr in den Irak nicht tragen wolle. Sie habe die Fachschule für wirtschaftliche Vorheriger SuchbegriffBerufeNächster Suchbegriff abgeschlossen und sich bereits für ein Abendgymnasium angemeldet. In ihrer Freizeit gehe sie gerne aus, lese gerne, höre Musik und treffe sich mit Freunden. Künftig wolle sie auch arbeiten gehen. Laut dem Kapitel „2.16 Women“ der EUAA Country Guidance: Irak ist ersichtlich, dass nicht alle Frauen und Mädchen dem Risiko einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung ausgesetzt sind. Auch hier kommt es auf das Vorliegen diverser individueller Umstände an, wie zB das Verständnis traditioneller Geschlechterrollen in der Familie, ein schlechter sozioökonomischer Status, die Herkunftsregion, der Einfluss des Stammes, …. Der Drittbeschwerdeführerin wird jedoch bei einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine politische Gesinnung aufgrund ihrer westlichen Orientierung unterstellt werden. Aufgrund ihres Schulabschlusses konnte kein schlechter sozioökonomischer Status festgestellt hat werden. Im gesamten Verfahren sind auch keine untypischen Geschlechterrollen innerhalb der Familie hervorgekommen. Da eine allfällige Rückkehr auch im Familienverband erfolgen würde handelt es sich bei ihr auch um keine alleinstehende Frau. Auch in den Länderinformationen (Kapitel „Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil“) ergibt sich nicht, dass die Drittbeschwerdeführerin aufgrund ihrer „Verwestlichung“ und bei Wohnsitznahme im überwiegend durch Sunniten bewohnten Falludjah einem maßgeblichen Risiko einer Verfolgung ausgesetzt ist, zumal sich die Ausführungen dort explizit ausschließlich auf die PMF und den schiitisch geprägten Südirak beziehen.

Im Übrigen konnten auch die von den Beschwerdeführern vorgelegten Kopien von Unterlagen sowohl in der Einvernahme (AS 133f), als auch mit der Beschwerde (AS 357f) das erkennende Gericht nicht von seinem Vorbringen überzeugen. Zum einen handelt es sich dabei lediglich um Kopien, deren Echtheit nicht überprüfbar ist. Zum anderen sind die Stempel wie auf den übersetzten Unterlagen (siehe E-Mail vom 07.12.2021) allesamt unleserlich. Laut den Länderinformationen (Kapitel „Staatsbürgerschaft und Dokumente“) ist jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind in Umlauf. Zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden. Vor diesem Hintergrund konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Kopie eines Postings von Facebook, welches vermeintliche Drohungen gegen den Erstbeschwerdeführer enthält echt und nicht verfälscht ist, zumal Facebookposting leicht manipulierbar sind. Die von den Beschwerdeführern vorgelegten Kopien vermögen daher nicht ihr Vorbringen zu untermauern.

Schlussendlich konnten die Beschwerdeführer mit ihrem Vorbringen eine sie persönlich treffende Bedrohung keineswegs glaubhaft machen. Andere Vorkommnisse oder andere Fluchtgründe wurden konnten nicht festgestellt werden.

Ebensowenig lässt sich aus der von ihnen angeführten allgemein schwierigen Lage am irakischen Arbeitsmarkt sowie fehlenden sozialstaatlichen Leistungen eine konkrete persönliche Gefährdung der Beschwerdeführer erkennen. Dass ihnen ein Zugang zum Arbeitsmarkt oder sozialen Leistungen aus in ihrer Person gelegenen Gründen in der Vergangenheit absichtlich verweigert worden wäre, wurde vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Der Erstbeschwerdeführer war im Vorfeld der Ausreise in der Lage, an beiden Wohnsitzen einer Arbeit nachzugehen und dass ihm dies aufgrund seiner Erkrankungen nicht mehr möglich sei hat er nicht vorgebracht. Dass er in der Vergangenheit jemals konkrete Schwierigkeiten bei der Finanzierung seines Lebensunterhaltes erlebt hätte, wurde von ihm ebenfalls nicht erwähnt.

Auch anhand der persönlichen Umstände der Beschwerdeführer erscheint eine Rückkehr nach Falludjah zumutbar. Diese verbrachten ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise im Jänner 2016 im Irak (bis 2006 in Bagdad, dann in Falludjah,) und wuchsen dort in einem irakischen Familienverband auf. Sie sind somit mit den Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut und sprechen mit Arabisch eine Landessprache muttersprachlich. Speziell die Eltern genossen eine zwölf- bzw. neunjährige Schulbildung und der Erstbeschwerdeführer arbeitete dann sowohl vor 2006, als auch nach seinem Umzug als Mechaniker, nach 2003 in einem umgebauten Taxi als Taxifahrer und hat im privaten Autohandel Fahrzeuge an- und verkauft, weshalb auch sein künftiges wirtschaftliches Bestehen durch Vorkenntnisse abgesichert ist. Seinen glaubhaften Angaben zufolge lebte der Beschwerdeführer mit seiner Familie von 2006 bis 2016, also ca. zehn Jahre, in Falludjah und zuvor in Bagdad, verfügt er demnach über ausreichende Ortskenntnisse. Wie bereits dargestellt bildet auch der gesundheitliche Zustand des Erstbeschwerdeführers kein Rückkehrhindernis, zumal die von ihm einzunehmenden Medikamente auch im Herkunftsstaat erhältlich sind und er seine Erkrankungen behandeln lassen kann. Die Beschwerdeführer verfügen aufgrund ihrer Sprachkenntnisse, Berufserfahrungen und der Sozialisierung in einem irakischen Familienverband über die maßgeblichen Voraussetzungen, um eine Neuansiedelung in Bagdad vernünftigerweise erwarten zu können.

Auch bezüglich der minderjährigen Kinder sind nach Einsicht in das entsprechende Kapitel der Länderinformationen in Zusammenschau mit dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführer keine Umstände hervorgetreten, welche wegen des Bestehens einer realen Gefahr im Sinne einer Gewährung subsidiären Schutzes diesen rechtfertigen würden.

Zusammenfassend ist im Lichte der ins Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen sowie der konkreten Situation der Beschwerdeführer festzuhalten, dass ihnen im Falle einer Rückkehr in den Irak nicht die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes droht.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den von ihr in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.

Darüber hinaus brachte das Bundesverwaltungsgericht für den konkreten Fall maßgebliche und zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderberichte im Rahmen der mündlichen Verhandlung in das gegenständliche Verfahren ein. Diese wurden infolge vom Beschwerdeführer nicht substantiiert bestritten. Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß Absatz 2, leg. cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht vergleiche etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen vergleiche Artikel 9, Absatz eins, der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen vergleiche VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach Paragraph 15, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen vergleiche VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht vergleiche VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).

Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden VwG vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom VwG nicht getroffen werden vergleiche VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste vergleiche VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren vergleiche VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt – wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung – ein „Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (z.B. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob es dem Asylwerber möglich ist, angesichts des ihn betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos wahrscheinlich ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden grundsätzlich daran zu messen ist, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben vergleiche VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.06.2000, 99/20/0597; 01.09.2005, 2005/20/0357). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503; 09.11.2004, 2003/01/0534; 17.03.2009, 2007/19/0459; 19.10.2016, 2006/19/0297 mwN; und 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Artikel eins, Abschnitt C Ziffer 5, GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, 98/20/0399; 03.05.2000, 99/01/0359).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des der Beschwerdeführer, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht (mehr) begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Subsumiert man den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt unter den relevanten und im Lichte der zitierten Judikatur auszulegenden Rechtsvorschriften, ergibt sich, dass den Beschwerdeführern der Status der Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, war das Vorbringen der Beschwerdeführer, nicht glaubhaft und konnte sohin den Feststellungen mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt werden, bzw. nicht mehr aktuell und zum Entscheidungszeitpunkt gegeben.

Dass den Beschwerdeführern sonst aus einem Grund der GFK oder aus anderen Gründen Verfolgung drohen würde, konnte aus dem gesamten Akteninhalt und aktuellen Länderberichten ebenfalls nicht ersehen werden.

Zur Abweisung des Asylantrages sei erwähnt, dass auch ein wirtschaftlicher Nachteil unter bestimmten Voraussetzungen als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren sein kann, im Ergebnis jedoch nur dann, wenn durch den Nachteil die Lebensgrundlage massiv bedroht ist und der Nachteil in einem Kausalzusammenhang mit den Gründen der Flüchtlingskonvention steht. Eine solche Bedrohung der Lebensgrundlage ist den Feststellungen zufolge nicht gegeben und ein derartiger Kausalzusammenhang ist im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich.

Entsprechend den oben getätigten Ausführungen ist es den Beschwerdeführern nicht gelungen, darzutun, dass ihnen im Herkunftsstaat Irak asylrelevante Verfolgung droht, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen war.

Zu Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Ziffer eins,), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Ziffer 2,), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde

Gemäß Paragraph 8, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Absatz eins, mit der abweisenden Entscheidung nach Paragraph 3, oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach Paragraph 7, zu verbinden.

Gemäß Paragraph 8, Absatz 3, AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn der beschwerdeführenden Partei eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des Paragraph 11, offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Absatz eins, oder aus den Gründen des Absatz 3, oder 6 abzuweisen, so hat gemäß Paragraph 8, Absatz 3 a, AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß Paragraph 9, Absatz 2, AsylG 2005 vorliegt.

Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Artikel 2, EMRK (Recht auf Leben), Artikel 3, EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, 95/18/0049; 05.04.1995, 95/18/0530; 04.04.1997, 95/18/1127; 26.06.1997, 95/18/1291; 02.08.2000, 98/21/0461).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und die Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben vergleiche VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode zu Paragraph 8, AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (z.B. VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 25.01.2001, 2000/20/0438; 30.05.2001, 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3, EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 08.06.2000, 99/20/0203; 17.09.2008, 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt besteht, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen vergleiche VwGH 08.06.2000, 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3, EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde vergleiche VwGH 27.02.2001, 98/21/0427; 20.06.2002, 2002/18/0028).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR vom 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; vom 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vergleiche auch VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (z.B. das Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Artikel 3, EMRK in Verbindung mit Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR vom 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vergleiche VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Artikel 3, EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Artikel 3, EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 nicht gegeben sind.

Aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall nicht ersichtlich, dass jene, gemäß der Judikatur des EGMR geforderte, Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Artikel 3, EMRK erscheinen zu lassen (VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443).

Eine völlige Perspektivenlosigkeit der Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat kann nicht erkannt werden, wobei insbesondere darauf hinzuweisen ist, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin den bei weitem überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftssaat verbracht haben. Sie haben dort auch ihre Schulbildung absolviert, wobei der Erstbeschwerdeführer immer erwerbstätig war. Ihnen ist es daher auch zuzutrauen, ihren Lebensunterhalt mittels eigener Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, sowie den Dritt- bis Sechstbeschwerdeführern ist daher die Rückkehr im Rahmen ihres Familienverbandes grundsätzlich zumutbar. Die Drittbeschwerdeführerin ist zwar ledig, jedoch im Falle der Rückkehr eben nicht alleinstehend, weshalb auch sie im Falle einer Rückkehr nicht um ihr Leben fürchten muss oder der Gefahr ausgesetzt ist in eine existenzbedrohende Lage zu geraten vergleiche auch VwGH 03.08.2021, Ra 2021/20/0261).

Deshalb ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer unter Beachtung ihrer Sprachkenntnisse, der Möglichkeit der medizinischen Versorgung der Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers ihren und der beruflichen Tätigkeit in der Lage sein werden im Irak ihre grundlegenden existenziellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Zudem wäre es ihnen zumutbar zu ihren in Österreich lebenden volljährigen Verwandten mittels Telekommunikation Kontakt zu halten.

Für das Bundesverwaltungsgericht haben sich unter diesen Aspekten keine Hinweise ergeben, wonach die Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Situation geraten würden. Zudem ist es nicht Ziel des Refoulementschutzes, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, zu beschützen, sondern einzig und allein, Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.

Auch besteht in Falludjah (Irak) keine derart instabile Sicherheitslage, dass jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen Risiko iSd Artikel 3, EMRK ausgesetzt ist. Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsland der Beschwerdeführer in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vergleiche auch Artikel 3, des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch jeder, der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält, schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter Paragraph 8, Absatz eins, AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

Auch dass die Fünft- und Sechstbeschwerdeführer im Rückkehrfall keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu Bildung haben würde ist den Länderfeststellungen nicht zu entnehmen, zumal die Beschwerdeführer über die irakische Staatsbürgerschaft verfügen, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass die Fünft- und Sechstbeschwerdeführer keinen – im Irak üblichen – Zugang zu Bildung hätten.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht, auch unter Berücksichtigung der Länderinformationen bezüglich des Kapitels über „Kinder“, zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführer in keine die Existenz bedrohende Notlage geraten werden oder um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie zu ihrem letzten Wohnsitz im Irak zurückkehren. Daher war die diesbezügliche Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheides gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheids

Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch bezüglich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 lautet:

'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'

"1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Absatz eins a, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist."

Die Beschwerdeführer befindeen sich seit ihrer Einreise durchgehend im Bundesgebiet, doch ist ihr Aufenthalt nicht geduldet. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen oder Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheids ist sohin ebenfalls abzuweisen.

Zur Stattgabe der Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch IV. des angefochtenen Bescheids

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Dabei hat das Bundesamt gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (Paragraph 10, AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Auf Grundlage des Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG – wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird – zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere die in Paragraph 9, Absatz 2, Ziffer eins bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Artikel 8, EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG überhaupt in Betracht käme.

Dabei ist die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen, wonach das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen vergleiche VwGH 06.05.2020, Ra 2020/20/0093).

Die Beschwerdeführer befinden sich seit beinahe sieben Jahren dauerhaft im Bundesgebiet, wobei ihr Asylverfahren unter Einrechnung der Frage, inwiefern ihnen gegenüber eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, jeweils von den ersten Tagen ihres Aufenthalts in Österreich bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung andauerte. Sie setzten dabei auch keine verfahrensobstruierenden Handlungen, weshalb die lange Aufenthaltsdauer jedenfalls in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben auch bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach Paragraph 9, BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen sei, dienten die in Paragraph 138, ABGB genannten Kriterien als Orientierungsmaßstab vergleiche VwGH 13.12.2021, Ra 2021/14/0370, mwN). Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach Paragraph 9, BFA-VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab vergleiche VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0166 bis 0170, 16.6.2021, Ro 2021/01/0013; jeweils mwN).

Dabei sind insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen die Kinder im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden vergleiche VwGH 21.06.2021, Ra 2021/14/0096 bis 0100, mwN).

Wie aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ersichtlich, führt auch der überwiegende oder gänzliche Schulbesuch in Österreich nicht zu einem Überwiegen der privaten Interessen am Verbleib in Österreich vergleiche VwGH Ra 2020/18/0457; ebenso VwGH 14.01.2022, Ra 2021/19/0009). In seiner jüngsten diesbezüglichen Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof dazu ausgeführt, dass der Besuch einer Bildungseinrichtung in Österreich als Aspekt des Privatlebens im Sinn von Artikel 8, EMRK zu jenen Umständen zählen könne, die bei der Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig ist, zu berücksichtigen seien, allerdings auch, dass der allfällige Umstand, dass Bildungsmöglichkeiten in Österreich mit jenen im Herkunftsland nicht gleichwertig sind, bei der Abwägung nach Artikel 8, EMRK nicht entscheidend seien vergleiche VwGH vom 04.05.2022, Ro 2021/14/0004).

Allerdings stellt das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Fall der minderjährigen Beschwerdeführer nicht darauf ab, dass die Bildungsmöglichkeiten der beiden minderjährigen Beschwerdeführer im Irak mit jenen in Österreich nicht gleichwertig sind, sondern vielmehr darauf, dass auch wenn keine der minderjährigen Beschwerdeführer im Bundesgebiet geboren wurden, sie jedenfalls den Großteil ihrer schulischen Bildung im Bundesgebiet absolviert haben, zumal der älteste minderjährige Beschwerdeführer bereits siebzehn Jahre alt ist, bei seiner Einreise beinahe elf Jahre alt war und sich die Familie bereits seit Anfang 2016 in Österreich aufhält. Die beiden jüngsten Beschwerdeführer waren im Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet erst acht Jahre alt und haben den beinahe die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht. Die Viert- bis Sechstbeschwerdeführer befinden sich somit auch nicht mehr im anpassungsfähigen Alter zwischen sieben und elf Jahren vergleiche VfGH 07.10.2014, U2459/2012 ua).

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Artikel 8, EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach Paragraph 55, AsylG überhaupt in Betracht käme.

Dabei ist die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen, wonach das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen vergleiche VwGH 06.05.2020, Ra 2020/20/0093).

Die bereits volljährige Drittbeschwerdeführerin hat bereits eine Fachschule für wirtschaftliche Vorheriger SuchbegriffBerufeNächster Suchbegriff positiv abgeschlossen und beabsichtigt ein Abendgymnasium zu besuchen. Der Viertbeschwerdeführer hat zwar die Polytechnische Schule nicht positiv abgeschlossen, jedoch bereits die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 über Sprach- und Werteinhalte (Sprachkompetenz und Werte- und Orientierungswissen) auf dem Niveau B1 vor dem ÖIF erfolgreich abgelegt (ÖIF Zeugnis vom 15.07.2022). Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben zwar noch keinen Deutschkurs erfolgreich absolviert, zeigen sich aber durch den Besuch diverser Deutschkurse zumindest bemüht die deutsche Sprache zu erlernen.

Zwar liegt zum Entscheidungszeitpunkt noch keine Selbsterhaltungsfähigkeit der volljährigen Beschwerdeführer vor, jedoch waren sie stets bemüht, ihre Selbsterhaltungsfähigkeit zu sichern, was letztlich an ihrem Aufenthaltsstatus scheiterte. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen außerdem je über eine Einstellungszusage. Die Zweitbeschwerdeführerin war bei der Locker & Legere Hotelbetriebs GmbH im Jahr 2021 für zwei Tage und ist dort seit 04.04.2022 laufend geringfügig beschäftigt. Der Viertbeschwerdeführer hat zudem am Projekt „Zukunft.Bildung.Steiermark“ der VHS Steiermark sowie bei der Politikwerkstatt „Mitmischen im Landhaus“ teilgenommen und den Erste-Hilfe-Einführungskurs absolviert. Er übernimmt auch regelmäßig Tätigkeiten als Dolmetscher für Personen, die mit ihm im Asylheim wohnen. Wie aus den Feststellungen ersichtlich haben sich die Beschwerdeführer haben sich während ihres Aufenthalts in Österreich auch einen Freundeskreis verschafft, nehmen am sozialen Leben in Österreich teil und haben sich in der Vergangenheit in Österreich ehrenamtlich engagiert.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag vergleiche VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253; VwGH 25.2.2010, 2010/0018/0029).

Im Sinne dieser zugunsten der Beschwerdeführer ausfallenden Interessenabwägung nach Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG ist gemäß Absatz 3, leg. cit. festzustellen, dass eine gegen sie gerichtete Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß Paragraph 54, Absatz eins, AsylG, werden Drittstaatsangehörigen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt als:

1.       "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß Paragraph 17, Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), Bundesgesetzblatt Nr. 218 aus 1975, berechtigt,

2.       "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3.       "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

(2) Aufenthaltstitel gemäß Absatz eins, sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Absatz eins, Ziffer eins und 2 sind nicht verlängerbar (Paragraph 54, Absatz 2, AsylG, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012,).

Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Paragraph 55, leg.cit. von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des Paragraph 9, Absatz eins bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017,, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Paragraph 5, Absatz 2, Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 189 aus 1955,) erreicht wird.

Gemäß Paragraph 55, Absatz 2, AsylG 2005 ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Absatz eins, Ziffer eins, vorliegt.

Das Integrationsgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 41 aus 2019, (im Folgenden: IntG), lautet auszugsweise:

„Modul 1 der Integrationsvereinbarung

Paragraph 9, (1) Drittstaatsangehörige (Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 6, NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins,, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Absatz eins, haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins,, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach Paragraph 14,

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins,, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Absatz 2, angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige 1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß Paragraph 11, vorlegt, 3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des Paragraph 64, Absatz eins, Universitätsgesetz 2002, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 120 aus 2002,, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht, 4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß Paragraph 41, Absatz eins, oder 2 NAG besitzt oder 5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß Paragraph 43 a, NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer eins bis 3 Kunstförderungsgesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 146 aus 1988,, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (Paragraph 10,) beinhaltet das Modul 1.

(5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Absatz eins, sind Drittstaatsangehörige, 1. die zum Ende des Zeitraums der Erfüllungspflicht (Absatz 2,) unmündig sein werden; 2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen; 3. wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von 24 Monaten innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten soll; diese Erklärung enthält den unwiderruflichen Verzicht auf die Stellung eines weiteren Verlängerungsantrags im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, NAG nach dem ersten Verlängerungsantrag.

(6) Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass der Drittstaatsangehörige trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Absatz 4, Ziffer eins, oder 2 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß Paragraph 7, Absatz 2, Ziffer eins, nicht erfüllt hat.

(7) Der Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 gemäß Absatz 4, Ziffer eins, bzw. 2 oder Absatz 4, in Verbindung mit Paragraph 10, Absatz 2, Ziffer eins, bzw. 2 darf zum Zeitpunkt der Vorlage im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens (Paragraph 24, NAG) nicht älter als zwei Jahre sein.

Paragraph 10, Absatz 2, Integrationsgesetz lautet:

(2) Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß Paragraph 12, vorlegt,

Anmerkung, Ziffer 2, aufgehoben durch Art. römisch III Ziffer 18,, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 41 aus 2019,)

3.       minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (Paragraph 3, Absatz 3, Schulorganisationsgesetz (SchOG), Bundesgesetzblatt Nr. 242 aus 1962,) besucht oder im vorangegangenen Semester besucht hat,

4.       minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Sekundarschule (Paragraph 3, Absatz 4, SchOG) besucht und die positive Beurteilung im Unterrichtsgegenstand „Deutsch“ durch das zuletzt ausgestellte Jahreszeugnis oder die zuletzt ausgestellte Schulnachricht nachweist,

5.       einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule in Österreich nachweist und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat oder das Unterrichtsfach „Deutsch“ auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat oder eine positive Beurteilung im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung gemäß Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 72 aus 2012, nachweist,

6.       einen positiven Abschluss im Unterrichtsfach „Deutsch“ nach zumindest vierjährigem Unterricht in der deutschen Sprache an einer ausländischen Sekundarschule nachweist,

7.       über eine Lehrabschlussprüfung gemäß dem Berufsausbildungsgesetz, Bundesgesetzblatt Nr. 142 aus 1969,, oder eine Facharbeiterprüfung gemäß den Land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsgesetzen der Länder verfügt oder

8.       mindestens zwei Jahre an einer postsekundären Bildungseinrichtung inskribiert war, ein Studienfach mit Unterrichtssprache Deutsch belegt hat und in diesem einen entsprechenden Studienerfolg im Umfang von mindestens 32 ECTS-Anrechnungspunkten (16 Semesterstunden) nachweist bzw. über einen entsprechenden postsekundären Studienabschluss verfügt.

Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1

Paragraph 11, (1) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 wird bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab vom Österreichischen Integrationsfonds durchgeführt.

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) Der Prüfungsinhalt, die Modalitäten der Durchführung, die Qualifikationen der Prüfer sowie die Prüfungsordnung zur Erfüllung des Moduls 1 werden durch Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres festgelegt.“

Da bezüglich des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin mangels Vorlage eines Nachweises über die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, IntG oder der Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit, mit der die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, die Voraussetzungen des Paragraph 55, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 nicht vorliegen, war ihnen jeweils gemäß Paragraph 55, Absatz 2, AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen. Dass sie an Deutschkursen bzw. der Erstbeschwerdeführer an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teilgenommen haben reichen für sich nicht aus um ihnen eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.

Die volljährige Drittbeschwerdeführerin hat durch die Vorlage ihres Abschlusszeugnisses einer Fachschule für wirtschaftliche Vorheriger SuchbegriffBerufe unter Beweis gestellt, dass sie jedenfalls die neunte Schulstufe im Fach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat, weshalb sie gemäß Paragraph 10, Absatz 2, Ziffer 4, IntG das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat. Gemäß Paragraph 9, Absatz 4, leg. cit. gilt daher auch das Modul 1 als erfüllt und ihr ist daher gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG 2005 die „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.

Der Viertbeschwerdeführer legte im Rahmen der Stellungnahme vom 02.12.2022 ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 vom 15.07.2022 des ÖIF und damit einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung einer Prüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Sprachniveau B1 und zu Werte- und Orientierungswissen vor und hat somit das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß Paragraph 9, Integrationsgesetz (IntG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 68 aus 2017,, erfüllt, weshalb die Voraussetzungen gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG 2005 vorliegen und ihm eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen ist.

Die Fünft- und der Sechstbeschwerdeführer sind noch minderjährig, besuchen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht die sechste Schulstufe einer Mittelschule und somit eine Sekundarschule, wie sie durch die Vorlage ihrer Jahreszeugnisse des letzten Schuljahres 2021/2022 im Rahmen der Stellungnahme vom 02.12.2022 bewiesen haben, und gemäß der sie die positive Beurteilung im Unterrichtsgegenstand „Deutsch“ nachgewiesen haben. Sie haben daher gemäß Paragraph 10, Absatz 2, Ziffer 4, IntG das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt. Gemäß Paragraph 9, Absatz 4, leg. cit. gilt daher auch das Modul 1 als erfüllt und ihnen ist daher gemäß Paragraph 55, Absatz eins, AsylG 2005 die „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Beschwerdeführern den Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 58, Absatz 7, AsylG 2005 auszufolgen, die Beschwerdeführer haben daran gemäß Paragraph 58, Absatz 11, leg.cit. mitzuwirken. Die Aufenthaltstitel gelten gemäß Paragraph 54, Absatz 2, leg.cit. zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Die Spruchpunkte römisch fünf. bis römisch VI. der jeweils angefochtenen Bescheide sind aufgrund der Erteilung von Aufenthaltstiteln ersatzlos zu beheben

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zu Fragen des Asyls, zur Überschreitung der Eingriffsschwelle des Artikel 3, EMRK und zu Fragen des Artikel 8, EMRK ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR orientiert und hat diese – soweit erforderlich – auch zitiert.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsdauer Berufstätigkeit Familienverband Glaubwürdigkeit Interessenabwägung Kindeswohl Lebensunterhalt mangelnde Asylrelevanz Miliz Minderheitenzugehörigkeit non refoulement Parteimitgliedschaft private Interessen Privatleben Religion Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Rückkehrsituation Sicherheitslage Verfahrensdauer Verfolgungsgefahr Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2023:W285.2208373.1.00

Im RIS seit

15.03.2023

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2023

Dokumentnummer

BVWGT_20230215_W285_2208373_1_00

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