Bundesverwaltungsgericht (BVwG)

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Entscheidungstext W202 2243904-1

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Entscheidungsart

Erkenntnis

Geschäftszahl

W202 2243904-1

Entscheidungsdatum

03.02.2023

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §20 Abs1
B-VG Art133 Abs4
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W202 2243904-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER über die Beschwerde von römisch 40 , geb. am römisch 40 , Staatsangehörigkeit Somalia, gesetzlich vertreten durch seine Mutter römisch 40 , Staatsangehörigkeit Somalia, diese wiederum vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2021, Zahl 1273318101/210053546, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) wurde am römisch 40 in Österreich geboren. Die Mutter und der Vater des BF – beide somalische Staatsangehörige und in Österreich subsidiär schutzberechtigt – stellten als gesetzliche Vertreter am 08.01.2021 für den BF einen „Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 17, Absatz 3, AsylG von einem in Österreich nachgeborenem Kind eines subsidiär Schutzberechtigten“.

2. Am 09.02.2021 wurde die gesetzliche Vertreterin des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich einvernommen. Zu den individuellen Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen Ihres Sohnes führte sie dabei aus:

„LA [Anm: Leiter der Amtshandlung]: Wollen Sie für Ihren Sohn individuelle Flucht- bzw. Ausreisegründe vorbringen?

VP [Anm.: Verfahrenspartei]: Ja, in Somalia bestehen immer noch Schwierigkeiten mit der Al Shabaab. Die Sicherheitslage ist schlimm, weshalb ich nicht möchte, dass mein Sohn nach Somalia abgeschoben wird.

LA: Wenn Ihr Status (subsidiär Schutzberechtigte) auf Ihren nachgeborenen Sohn erstreckt wird, ist dieser genauso geschützt, wie Sie, verstehend Sie dies?

VP: Nein

LA: Wollen Sie außerdem für Ihren nachgeborenen Sohn römisch 40 Rückkehrhindernisse vorbringen?

VP: Nein, ich würde Sie nur bitten, dass mein Sohn Asyl zuerkannt wird. Ich sehe nur Nachteile, wenn man nach Somalia zurückkehrt. Auch gibt es kein Kinderbetreuungsgeld, es sind nur Nachteile in Somalia.

LA: Können Sie für ihren nachgeborenen Sohn individuelle Verfolgungsgründe vorbringen?

VP: Nein.

Anmerkung: Der LA erklärt, dass aufgrund des Nichtvorliegens eines individuellen Verfolgungsgrundes keine gesetzliche Möglichkeit besteht, Asyl zuzuerkennen.

LA: Wollen Sie Unterlagen bezüglich Ihres Sohnes vorlegen?

VP: Nein.

LA: Was wäre mit Ihren Kindern, wenn sie mit ihm nach MOGADISCHU zurückkehren würden?

VP: Wir wären auf uns alleine gestellt, wir haben keine Angehörigen in Mogadischu. Die Sicherheitslage ist dort auch nicht gut, ständig gibt es Bedrohungen durch die Al Shabaab.

LA: Woher aus Somalia kommen Sie?

VP: Ich komme aus römisch 40 .

LA: Sind Sie damit einverstanden, dass ihren Sohn römisch 40 , nachdem keine individuellen Zuerkennungsgründe festgestellt werden konnten, ebenso wie Ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird?

VP: Ich wünsche mir Asyl für meinen Sohn.

[…]

LA: Wollen Sie das Länderinformationsblatt ausgehändigt bekommen?

VP: Nein, ich verzichte darauf. Ich werde auch keine Stellungnahme bezüglich des Asylantrages meines Sohnes abgeben.

LA: Wollen Sie noch etwas anbringen, was nicht ausgesprochen wurde?

VP: Nein.“

3. Mit Parteiengehör vom 01.04.2021 übermittelte das BFA eine aktualisierte Länderinformation über Somalia und räumte dem BF dabei eine Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Eine Stellungnahme wurde nicht erstattet.

4. Mit Bescheid des BFA vom 03.05.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG wurde dem BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und eine befristete Aufenthaltsbewilligung gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG bis zum 29.03.2022 erteilt (Spruchpunkt römisch III).

Für den BF seien keine eigenen Flucht- oder Ausreisegründe vorgebracht worden bzw. habe seine Mutter Fluchtgründe, die in der Genfer Flüchtlingskonvention erschöpfen aufgezählt seien, ausdrücklich verneint. Im Verwaltungsverfahren der Mutter hätten sich auch keine begründeten Hinweise für das Vorliegen einer Flüchtlingseigenschaft gezeigt, sodass auch der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen sei. Dem BF wurde als Sohn seiner subsidiär schutzberechtigten Mutter gemäß Paragraph 34, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

5. Mit Schreiben der zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaterin vom 04.06.2021 brachte die Mutter als gesetzliche Vertreterin des BF das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. fristgerecht ein.

Die Mutter des BF habe Somalia aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung und mangelnder Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit ihres Heimatlandes sowie mangels einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative vor langer Zeit verlassen. Darüber hinaus drohe dem BF Verfolgung, da er als Kind keine Rechte in Somalia habe, die Lage von Kindern sehr schlecht sei und ihm Kinderarbeit, Armut sowie Elend drohe. Das BFA habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, das Recht auf Parteiengehör verletzt, unvollständige sowie teilweise veraltete Länderfeststellungen herangezogen, den Grundsatz des Kindeswohls verletzt, mangelhafte Feststellungen getroffen und eine mangelhafte Beweiswürdigung durchgeführt. Abschließend wurde vorgebracht, dass der BF einem Minderheitenclan angehöre und ihm daher eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit drohe.

6. Auf Grund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts wurde die gegenständliche Rechtssache einer vormals zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 17.08.2022).

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF heißt römisch 40 , wurde am römisch 40 in Österreich geboren und ist Staatsangehöriger Somalias. Er ist gesund und lebt mit seiner obsorgeberechtigten Mutter in einem gemeinsamen Haushalt.

Der Mutter des BF ( römisch 40 , Staatsangehörigkeit Somalia) wurde im Jahr 2017 mit Bescheid des BFA der Status der subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides (betreffend Gewährung von Asyl) wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2019 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Dem Vater des BF ( römisch 40 , Staatsangehörigkeit Somalia) wurde im Jahr 2015 mit Bescheid des BFA rechtskräftig der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides (betreffend Gewährung von Asyl) wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2016 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Dem BF wurde mit Bescheid vom 03.05.2021 gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 34, Absatz 3, AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten, abgeleitet im Familienverfahren von seiner Mutter, rechtskräftig zuerkannt.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Somalia aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde bzw. im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr in sein Heimatland verfolgt werden würde.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Die Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich auf die vom BFA herangezogene Länderinformation der Staatendokumentation (Stand 30.03.2021):

„[…] COVID-19

Letzte Änderung: 29.03.2021

Zwischen 19.3.2020 und 2.1.2021 wurden über 81.000 Menschen getestet, knapp 4.700 waren infiziert (HIPS 2021, S.24). Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, S.9).

Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, S.24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend – ohne Besucherbeschränkung – offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, S.16). Testungen sind so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, S.1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020). Mit Stand 9.3.2021 waren in Somalia 4.544 aktive Fälle registriert, insgesamt 319 Personen waren verstorben. Seit Beginn der Pandemie waren nur 84.278 Tests durchgeführt worden (ACDC 9.3.2021).

Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden – aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).

Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, S.1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in 8 ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Insgesamt bleiben Test- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19-Infizierte aber beschränkt (UNFPA 12.2020, S.1).

Nachdem die Bildungsinstitutionen ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv – nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).

Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, S.2; vergleiche UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, S.2). Auch der Export von Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, S.1).

Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als vier Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. Möglicherweise werden diese zusätzlich getestet und in Quarantäne geschickt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 12.2.2021).

Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 12.2.2021) […]

Politische Lage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 29.03.2021

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 2.4.2020, S.5). Während Süd- /Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, S.4).

Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Absatz ,), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis 10 und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 2.4.2020, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 4.3.2020a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, S.33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 4.3.2020a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 11.3.2020, S.24). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).

Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 2.4.2020, S.6; vergleiche ÖB 3.2020, S.2; USDOS 11.3.2020, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, S.34/40).

Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 11.3.2020, S.24). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 2.4.2020, S.6; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.24). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, S.11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, S.20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 2.4.2020, S.4; vergleiche BS 2020, S.20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 11.3.2020, S.26; vergleiche ÖB 3.2020, S.3; BS 2020, S.11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, S.3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, S.20).

Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die 11 Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, S.11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 11.3.2020, S.23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 2.4.2020, S.5f). Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Und es kam im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten. Das vereinbarte Modell entspricht in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Absatz , vergleiche FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Absatz ,).

Politische Lage: Allerdings hat sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed „Madobe“, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vergleiche FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vergleiche ECFR 16.2.2021). Damit verfügt Somalia über keine legitime Regierung mehr. Allerdings weigert sich Farmaajo sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021). Er hofft offenbar darauf, dass das Parlament Artikel 53 des Wahlgesetzes in Kraft setzt, wonach Wahlen ausgesetzt und die Amtszeit der Regierung im Katastrophenfall um sechs Monate verlängert würde. Die Covid-19- Pandemie bietet hier einen Vorwand (BMLV 25.2.2021).

Die Führer von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vergleiche Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, erkennen Farmaajo nicht mehr als Präsidenten an (Sahan 9.2.2021b; vergleiche IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Die Allianz aus Oppositionsparteien sprach sich für die Bildung einer Übergangsregierung aus (FP 10.2.2021). Somalia befindet sich somit in einer schweren Verfassungs- und politischen Krise (Sahan 9.2.2021a). Das Versagen, einen Kompromiss zu finden, hat nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021). Es besteht die Angst, dass Präsident Farmaajo durch das Festklammern an der Macht einen neuen Bürgerkrieg auslösen könnte (SG 8.2.2021). Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche 12 Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vergleiche UNSOM 2.3.2021).

Föderalisierung: Auch wenn diese Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, S.10; vergleiche AI 13.2.2020, S.13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, S.13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Die Fortschritte der Jahre 2012-2016 wurden von der Regierung Farmaajo weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden solle, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vergleiche ECFR 16.2.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt (Sahan 11.2.2021b).

Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Die entstandene Pattsituation zwischen Bund und Ländern hat anfangs zum Stillstand bei wichtigen Fragen geführt – etwa hinsichtlich der Wahlen, der Verfassung und der Sicherheit (UNSC 13.2.2020, Absatz ,). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).

Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, S.41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020). […]

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir – und damit den Status von Mogadischu – entscheiden muss. Es kam auch zu einer Kampagne, wonach Benadir zu einem eigenen Bundesstaat werden sollte. Dadurch wäre aber die künstliche Clanbalance der Bundesstaaten insgesamt gefährdet (HIPS 2021, S.18). Als Konsequenz ist der Status der Bundeshauptstadt nach wie vor nicht geklärt. Die BRA ist kein Bundesstaat, verfügt aber über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020, S.13). Die Hauptstadt untersteht direkt der Bundesregierung (HIPS 2021, S.9), der somalische Präsident ernennt Bürgermeister und Stellvertreter (HIPS 2021, S.18). In Mogadischu bleiben die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir in ihren Machtpositionen; in Dayniile auch die Hawiye/Murusade (FIS 7.8.2020, S.38) […]

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6). […]

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2020, S.38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 285 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die meisten Vorfälle waren Angriffe der al Shabaab, darunter auch Sprengstoffanschläge (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 3.2020, S.2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen berichtet (AA 2.4.2020, S.4/7).

AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Während die somalische Regierung und ihre Alliierten zwar im Großen und Ganzen territoriale Gewinne verzeichnen und die Kontrolle über die meisten Städte halten können, ist es ihnen nicht gelungen, die Kontrolle in ländliche Gebiete auszudehnen (BS 2020, S.6). Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 3.12.2020). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf AMISOM, aber auch auf Unterstützung durch die USA – angewiesen. Dies wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern (IP 1.11.2019; vergleiche BS 2020, S.11). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 11.3.2020, S.1; vergleiche ÖB 3.2020, S.2).

Trend: Im Zeitraum von Anfang 2018 bis zum Ende 2020 gab es hunderte terroristische Vorfälle. In den Jahren 2018 und 2019 war die Zahl an Vorfällen zunächst rückläufig – v.a. wegen der intensivierten Operationen gegen al Shabaab. Die Gruppe konnte dabei aus einigen strategisch wichtigen Punkten vertrieben werden – etwa von den fünf Shabelle-Brücken zwischen Sabid Anoole und Janaale (Sahan 11.2.2021a). Dadurch und durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Mogadischu konnte al Shabaab auch nur mehr selten Sprengstoffanschläge mit Fahrzeugen durchführen. Die Zahl an zivilen Opfern durch Sprengstoffanschläge ging demnach 2020 gegenüber 2019 um 50% zurück (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). Im Jahr 2020 haben sich aber zuletzt die Angriffe auf somalische Kräfte und AMISOM wieder gemehrt (Sahan 11.2.2021a; vergleiche JF 28.7.2020). Dies kann direkt mit den politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Bundesstaaten in Zusammenhang gebracht werden, da dadurch für den Kampf gegen al Shabaab notwendige Ressourcen umgeleitet wurden (Sahan 11.2.2021a). Aufgrund des politischen Streits rund um das Ende der Präsidentschaft Farmajos ist die Sicherheitslage in einer Abwärtsspirale. Sicherheitskräfte haben teilweise seit Monaten keinen Sold erhalten und halten sich in Mogadischu und anderen Landesteilen an der Bevölkerung schadlos (SG 8.2.2021). Auch der politische Streit selbst hat das Potenzial, zu einem bewaffneten Konflikt zu eskalieren. Viele Sicherheitskräfte sind v. a. ihrem Kommandanten oder ihrem Clan gegenüber loyal. So kann nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition Bewaffnete ins Feld stellen (Reuters 19.2.2021).

Laut Einschätzung eines Experten kann ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM auf der aktuellen Grundlage nicht erwartet werden (BMLV 25.2.2021). In Lower Juba und Lower Shabelle kommt es nur noch sporadisch zu Störoperationen gegen al Shabaab (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). In der Vergangenheit hat die Bundesarmee wiederholt dabei versagt, von AMISOM geräumte Gebiete auch tatsächlich abzusichern (UNSC 1.11.2019, S.24). Trotzdem berät AMISOM die Übergabe weiterer Forward Operating Bases (FOBs) an die somalische Armee bzw. die Aufgabe einzelner FOBs (UNSC 13.11.2020, Absatz ,).

Ein Vordringen größerer Kampfverbände der al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und AMISOM – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (BMLV 25.2.2021).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (USDOS 10.6.2020, S.5). Al Shabaab bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Die Gruppe führt ihren Kampf mit zunehmender Intensität und Häufigkeit. Die Angriffe auf sogenannten high-profile-Ziele in Mogadischu und anderswo wurden verstärkt (HIPS 2021, S.20). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels (FIS 7.8.2020, S.25; vergleiche AA 3.12.2020). Al Shabaab führt weiterhin regelmäßige Angriffe auf Regierungsstellungen durch. Vor allem der Korridor Mogadischu–Merka ist für Angriffe anfällig (PGN 10.2020, S.2). Die Kriegsführung der al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet – jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, z.B. in Mogadischu koordinierte Angriffe durchzuführen. Die Zahl an Mörserangriffen ist zurückgegangen. Derartige Angriffe richten sich in erster Linie gegen AMISOM und regionale Sicherheitskräfte in Lower Juba, Lower Shabelle und Middle Shabelle (UNSC 13.11.2020, Absatz ,), aber auch in Hiiraan und Benadir (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Hingegen hat die Zahl an Selbstmordattentaten zugenommen. Es kommt auch weiterhin zu sogenannten komplexen Angriffen, etwa am 16.8.2020 auf das Elite Hotel in Mogadischu mit zwanzig Todesopfern oder am 17.8.2020 auf einen Stützpunkt der somalischen Armee in Goof Gaduud Burey (Bay) (UNSC 13.11.2020, Absatz ,).

Kampfhandlungen: Al Shabaab greift die Bundesarmee und AMISOM weiterhin an, bei durchschnittlich 140 Angriffen pro Monat. Dabei handelt es sich meist um sogenannte hit-and-run-Angriffe. Im Zeitraum November 2020 bis Feber 2021 waren davon die Regionen Lower und Middle 27 Shabelle, Benadir, Bay, Hiiraan, Bakool, Lower Juba, Gedo, Galgaduud und Mudug betroffen (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 14.1.2020). In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 2.4.2020, S.18; vergleiche AA 3.12.2020). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle (AA 2.4.2020, S.18). Der durch AMISOM und die somalische Armee in der Region Lower Shabelle auf al Shabaab ausgeübte militärische Druck hat dazu beigetragen, dass die Gruppe ihre Aktivitäten in HirShabelle und Galmudug verstärkt hat (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).

Immer wieder überrennt al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Daynuunay oder Goof Gaduud im Bereich Baidoa - um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (PGN 10.2020, S.9f). Andernorts greift al Shabaab Stützpunkte erfolglos an – etwa die FOB äthiopischer AMISOM-Truppen in Halgan im Feber 2021 (Halbeeg 22.2.2021).

Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 3.2020, S.2). Seit der weitgehenden Einstellung offensiver Operationen durch AMISOM seit Juli 2015 hat sich die Aufteilung der Gebiete nicht wesentlich geändert. Während AMISOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (UNSC 1.11.2019, S.10; vergleiche ÖB 3.2020, S.2). Dabei kontrollierte al Shabaab im Jahr 2019 soviel Land, wie schon seit dem Jahr 2010 nicht mehr. Man rechnet mit 20% des gesamten Staatsterritoriums (USDOS 10.6.2020, S.5). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 2.4.2020, S.5).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 25.2.2021). Gegen einige dieser Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 14.1.2020). Al Shabaab ist in der Lage, Hauptversorgungsrouten abzuschneiden und Städte dadurch zu isolieren (UNSC 1.11.2019, S.10; vergleiche BMLV 25.2.2021).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind

1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; sowie Qunya Baarow in Lower Juba;

2. Teile von Lower Shabelle um Sablaale;

3. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

4. weites Gebiet recht und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

5. sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 2.2021).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BMLV 25.2.2021).

Andere Akteure: Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2020, S.31). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 3.12.2020). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 11.3.2020, S.30). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2020, S.7). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 2.4.2020, S.17f).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 2.4.2020, S.17f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2019 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Subclans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2019 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle sowie Sool betroffen (USDOS 11.3.2020, S.3/11; vergleiche ÖB 3.2020, S.10). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).

Der sogenannte Islamische Staat bleibt in Somalia in Puntland konzentriert, in Mogadischu gibt es nur eine minimale Präsenz. Größere Aktivitäten des IS gab es in Puntland in den Jahren 2016 und 2017. In Mogadischu richtet sich der IS mit gezielten Tötungen v.a. gegen Sicherheitskräfte (JF 14.1.2020). Für den Zeitraum Mai-August 2020 werden dem IS allerdings nur zwei Attacken 29 – beide in Mogadischu – zugeschrieben (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Im Zeitraum August-Oktober 2020 (UNSC 13.11.2020, Absatz ,) sowie November 2020-Feber 2021 gab es keine Aktivitäten (UNSC 17.2.2021, Absatz ,).

Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Allerdings greift al Shabaab Zivilisten nicht spezifisch an. Doch auch wenn die Gruppe eigentlich andere Ziele angreift, enden oft Zivilisten als Opfer, da sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden haben (NLMBZ 3.2020, S.17/37). […]

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 15,4 Millionen Einwohnern (WHO 12.1.2021) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:12035.

Luftangriffe: Im Jahr 2017 führten die USA 35 Luftschläge in Somalia durch, 2018 waren es 47 und 2019 63. Im Jahr 2020 ist die Zahl auf 51 gesunken. Die Luftangriffe auf al Shabaab und den IS, bei denen seit 2017 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden sind (HIPS 2021, S.21) konzentrierten sich vor allem auf die Regionen Lower Shabelle, Lower Juba, Middle Juba, Gedo und Bari (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Die Luftangriffe werden in der Regel mit bewaffneten Drohnen geflogen (PGN 10.2020, S.8). Neben den offiziell bekannt gegebenen Luftschlägen kommen noch verdeckte hinzu. Zusätzlich führt auch die kenianische Luftwaffe Angriffe durch, vorwiegend in Gedo und Lower Juba (PGN 10.2020, S.15ff). Insgesamt gab es demnach 2020 72 Luftangriffe, bei welchen die USA als Angreifer bestätigt sind oder vermutet werden (PGN 2.2021, S.11). […]

South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle)

Letzte Änderung: 29.03.2021

In den größeren von der Regierung kontrollierten Städten besteht eine grundlegende Verwaltung. Es gibt Bürgermeister, eine lokale Rechtsprechung und Ordnungskräfte. Die Regierung konnte mit internationaler Unterstützung ihre eigene, lokal rekrutierte Armee, die South West State Special Police Force (SWSSPF), weiter ausbauen. Sie wird von Äthiopien versorgt und ist in Bay der Hauptträger des Kampfes gegen al Shabaab. Al Shabaab kontrolliert viele Straßenverbindungen und ländliche Gebiete (BMLV 25.2.2021).

Lower Shabelle: Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM. Die Lage hinsichtlich Kurtunwaarey ist unklar. Sablaale wird von al Shabaab kontrolliert. Dies gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle (PGN 2.2021, S.1). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus der al Shabaab (BMLV 25.2.2021).

Die Operation Badbaado zielt auf die Absicherung der Routen Mogadischu-Baidoa und Mogadischu-Belet Weyne ab (UNSC 13.5.2020, Absatz ,). Außerdem wurde mit der Operation die 36 Sicherheit Mogadischus weiter abgesichert, da Orte in einem Transitkorridor der al Shabaab eingenommen werden konnten (UNSC 1.11.2019, S.25). Ab März 2020 wurden die Aktivitäten im Rahmen der Operation Badbaado wieder aufgenommen (UNSC 13.11.2020, Absatz ,), es kam zu Kämpfen im Bereich Janaale. Dabei wurden rund 8.000 Menschen vertrieben. Die Stadt, die rund 28.000 Einwohner zählt, wurde durch die Bundesarmee eingenommen (UNOCHA 31.3.2020, S.4). Generell wurde der Großteil der militärischen Anstrengungen der Bundesarmee gegen al Shabaab 2020 in die Operation Badbaado investiert. In einem Jahr militärischer Operationen haben Armee und AMISOM die Orte Janaale, Sabiid, Bariire und Aw Dheegle einnehmen können. Diese Orte sind insofern strategisch relevant, als dort Brücken über den Shabelle führen und für al Shabaab wichtige Nachschubwege in Richtung Mogadischu dargestellt haben (HIPS 2021, S.14).

Trotz der Erfolge der Operation Badbaado 1 bleibt der SWS hinsichtlich Angriffen durch al Shabaab der am meisten gefährdete Teil Somalias. Immer noch kontrolliert die Gruppe große Teile des Gebietes. Sicheres Reisen erfolgt über den Luftweg (HIPS 2021, S.14). Al Shabaab bleibt in der Lage, die somalische Armee und AMISOM im Gebiet anzugreifen (BMLV 25.2.2021).

Erstmals seit Jahren ist es der Armee nicht nur gelungen, neue Gebiete einzunehmen, sondern diese auch zu halten (HIPS 2021, S.14). Es ist zu beobachten, dass vor allem in den durch diese Operation Badbaado neu gewonnenen Räumen der Aufbau einer zivilen Verwaltung relativ rasch nach der Einnahme der Ortschaften erfolgt ist (BMLV 25.2.2021). Derartige stabilisierende Maßnahmen werden auch weiter durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Absatz ,). Eine Quelle spricht hinsichtlich des Aufbaus ziviler Strukturen von Verzögerungen (TDP 12.2.2020), eine andere von mangelnden Kapazitäten (BS 2020, S.13). Hier sind womöglich die Polizeikräfte gemeint, deren Stationierung auf sich warten lässt (BMLV 25.2.2021). Gemäß einer Quelle warten in Mogadischu 525 Mann der Bundespolizei und 376 Mann der Polizei des SWS, um als stabilisierender Faktor in Lower Shabelle stationiert zu werden (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Deren Verlegung wurde jedoch gestoppt, da es an Bewaffnung fehlt (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Nach anderen Angaben gibt es auch Probleme bei Rekrutierung und Ausbildung (BMLV 25.2.2021).

Jedenfalls wurden unmittelbar nach der Einnahme von z.B. Janaale a) eine zivile Verwaltung eingesetzt; b) mobile Kliniken und Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung gestellt; und c) sog. Cash-for-work-Programme installiert (UNSC 13.5.2020, Absatz ,). Die somalische Armee hat sich in den neuen Gebieten eingerichtet, ist dort jedoch zahlreichen Angriffen der al Shabaab ausgesetzt (UNSC 13.8.2020, Absatz ,).

Der Regierung des SWS ist es gelungen, bei Clanstreitigkeiten im Bezirk Wanla Weyn erfolgreich zu vermitteln und ein Abkommen zwischen den Clans der Shamta-Alemod und Galja’el herbeizuführen (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Bei Kämpfen waren zuvor im April mehr als 25 Menschen getötet worden (UNSC 13.5.2020, Absatz ,).

Nach Angaben einer Quelle ist die keiner Verwaltung zuordenbare und gegen al Shabaab gerichtet Miliz der Macawiisley auch in Lower Shabelle aktiv und wurde dort im Bezirk Wanla Weyne gesichtet (PGN 2.2021, S.14). Al Shabaab hat daraufhin die Bewohner von zehn Ortschaften im Bezirk Wanla Weyne aufgefordert, ihre Ortschaften zu evakuieren. Felder wurden niedergebrannt und Personen, die sich weigerten, ihr Land zu verlassen, attackiert (Sahan 25.2.2021a).

Afgooye liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien. Trotzdem kann Afgooye hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 25.2.2021).

Einige Dörfer an der Küste zwischen Mogadischu und Merka sind häufig Schauplatz von Kämpfen, es ist unklar, wer dort die Kontrolle ausübt (PGN 10.2020, S.6). Die Stadt Merka selbst ist unter Kontrolle der Regierung (PGN 2.2021, S.2). Merka kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Küstenbereich zwischen Merka und Mogadischu ist al Shabaab noch präsent. Allerdings kann dieser Landesteil durch die Gruppe nicht mehr so einfach erreicht werden, als vor der Operation Badbaado (BMLV 25.2.2021).

Aus Baraawe gibt es auch weiterhin nur wenige sicherheitsrelevante Meldungen, allerdings ist al Shabaab im Umfeld militärisch aktiver als in der Vergangenheit (BMLV 25.2.2021). Am 24.4.2020 hat AMISOM einen großangelegten Angriff der al Shabaab auf den Flughafen und den AMISOM-Stützpunkt erfolgreich abgewehrt (JF 1.5.2020).

Bay: Die großen Städte – Baidoa, Buur Hakaba, Diinsoor – werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert, dies gilt auch für Qansax Dheere und Berdaale (PGN 2.2021, S.1). Die drei erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Umfeld der Stadt Diinsoor, die als Frontstadt bezeichnet werden kann, ist al Shabaab aktiv (BMLV 25.2.2021). Al Shabaab kontrolliert große Teile von Bay (PGN 2.2021, S.1) und hat entlang der Hauptversorgungsrouten ihre Angriffe auf Konvois von AMISOM verstärkt (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Am 17.8.2020 griff al Shabaab den Stützpunkt der somalischen Armee in Goof Gaduud an, konnte diesen einnehmen und drei Tage halten (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Insgesamt gibt es in Bay aber nur geringe Kampfhandlungen (BMLV 25.2.2021).

Es ist gelungen, al Shabaab entlang der Hauptversorgungswege von Baidoa in Maßen zurückzudrängen. Die Sicherheitslage in Baidoa ist stabil, die Stadt wird als relativ sicher beschrieben. Es gibt dort regelmäßig Sicherheitsoperationen und Razzien durch Sicherheitskräfte. Die Einsatzfähigkeit der SWS Police Force (SWSPF) hat sich nach der Aufnahme lokaler Rekruten verbessert. Gleichzeitig ist Baidoa auf die Anwesenheit der äthiopischen AMISOM-Truppen angewiesen. Al Shabaab ist in der Lage, Baidoa in der Nacht zu infiltrieren (BMLV 25.2.2021). Allerdings weigert sich rund ein Drittel der Wirtschaftstreibenden in Baidoa Steuern an al Shabaab abzuführen. Dies weist auf einen besseren Schutz bzw. auf eine geringere Dichte an Straforganen der al Shabaab hin (HI 10.2020, S.2). In Baidoa sind eine sogenannte Formed Police Unit und einzelne Polizisten von AMISOM stationiert. Diese Polizisten bilden die lokale Polizei nicht nur aus, sondern unterstützen sie auch im Einsatz (RD 22.2.2021). Es handelt sich dabei um mindestens 160 Polizisten aus Ghana (PGN 2.2021, S.6).

Die Verhaftung des Kandidaten für die Präsidentschaft im SWS, des ehemaligen stellvertretenden Kommandanten der al Shabaab, Mukhtar Robow, führte im Dezember 2018 zu gewaltsamen Demonstrationen, bei welchen insgesamt 15 Personen getötet wurden (UNSC 1.11.2019, Absatz ,). Nach Kompensationszahlungen für die toten Demonstranten durch die Regierung des SWS hat sich die Situation entspannt (UNSC 13.2.2020, Absatz ,).

Bakool: Ceel Barde, Yeed, Xudur und Waajid werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert (PGN 2.2021, S.1). Die drei letztgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Ein mindestens 20 km breiter Grenzstreifen an der Grenze zu Äthiopien, der von durch Äthiopien gesponserte, lokale Clanmilizen beherrscht wird, ist frei von al Shabaab. Große Teile der Region werden aber von der Gruppe kontrolliert (BMLV 25.2.2021). Die Kontrolle über die Bezirkshauptstadt Rab Dhuure ist ungewiss; Tayeeglow wird von al Shabaab kontrolliert (PGN 2.2021, S.1). In Xudur befindet sich ein größerer Stützpunkt der Armee. Außerdem operieren in Bakool unabhängige Clanmilizen. Die Verwaltung von Bakool steht massiven Problemen gegenüber, um die Bevölkerung zu erreichen (BMLV 25.2.2021). Im Dezember 2020 wurde die Stadt Xudur gänzlich von al Shabaab eingeschlossen und muss aus der Luft versorgt werden (HIPS 2021, S.14; vergleiche PGN 2.2021, S.12). Die Versorgungsstraße nach Xudur wird nur fallweise freigekämpft. Insgesamt gibt es in Bakool nur geringe Kampfhandlungen (BMLV 25.2.2021).

Vorfälle: In den Regionen Bakool, Bay und Lower Shabelle lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 2,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 61 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 48 dieser 61 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 60 derartige Vorfälle (davon 48 mit je einem Toten). […]

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 29.03.2021

Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 2.2021, S.1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren aber verbessert (FIS 7.8.2020, S.4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Absatz ,). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, S.20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen (FIS 7.8.2020, S.9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021). Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, S.20).

Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, S.9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, S.4).

Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen – wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, S.5).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).

Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5; vergleiche BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).

Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f; vergleiche BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, S.13; vergleiche BBC 23.11.2020). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, S.6f/12; vergleiche BMLV 25.2.2021).

Anschläge und Attentate: Die Zahl größerer Anschläge und Operationen in der Hauptstadt hat abgenommen (FIS 7.8.2020, S.10f). Trotzdem ermordet al Shabaab immer noch regelmäßig Menschen in Mogadischu (BBC 23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates [„officials“], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden – z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, S.14).

Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, S.8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, S.25f; vergleiche FIS 7.8.2020, S.25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, S.6f/12).

Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, S.14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vergleiche FIS 7.8.2020, S.24ff).

Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, S.25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, S.22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, S.22f).

Die Gewaltkriminalität in der Stadt ist hoch. Monatlich sterben mehrere Menschen bei Raubüberfällen oder aus anderen Gründen verübten Morden (FIS 7.8.2020, S.19). Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS 7.8.2020, S.5). Gleichzeitig haben die Bewohner eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020, S.15/20; vergleiche BMLV 25.2.2021). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei – aufgrund der Unterwanderung selbiger – die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020, S.15/20).

Die Kapazitäten des sogenannten Islamischen Staates sind in Mogadischu sehr beschränkt (FIS 7.8.2020, S.18).

Vorfälle: 2020 waren die Bezirke Dayniile (28 Vorfälle), Dharkenley (35), Hodan (39) und Yaqshiid (22), in geringerem Ausmaß die Bezirke Hawl Wadaag (17), Heliwaa (14), Karaan (18) und Wadajir/Medina (19) von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2020 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile (15 Vorfälle), Dharkenley (16), Hodan (18) und Yaqshiid (12) von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).

In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 134 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 120 dieser 134 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 96 derartige Vorfälle (davon 86 mit je einem Toten). […]

HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Macht der Regierung von HirShabelle ist auf Teile von Middle Shabelle bzw. Jowhar beschränkt. Sie hat phasenweise Einfluss entlang der Straße von Jowhar nach Mogadischu. Zudem kann HirShabelle auch in Belet Weyne – beschränkt – Einfluss ausüben. Insgesamt sind bei den Verwaltungen von HirShabelle und Belet Weyne Verbesserungen zu verzeichnen (BMLV 25.2.2021).

Al Shabaab untergräbt auch weiterhin die Sicherheit in HirShabelle (HIPS 2021, S.16), ihre Aktivitäten im Bundesstaat haben sich intensiviert, die Zahl an Sprengstoffanschlägen auf AMISOM und somalische Armee hat sich erhöht (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Zudem hat die Gruppe erfolgreich wesentliche Versorgungsrouten unterbrochen (HIPS 2021, S.17). So hat sich etwa die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne wieder verschlechtert, die Straße gilt nicht als durchgehend sicher (BMLV 25.2.2021). Bewohner von Buulo Barde beklagten sich im Feber 2021, dass ihr Bezirk von al Shabaab abgeriegelt worden ist (Sahan 2.3.2021b).

Hiiraan: Belet Weyne, Buulo Barde, Jalalaqsi und Maxaas befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 2.2021, S.1). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Nordwesten Hiiraans ist al Shabaab nur in geringer Stärke präsent. Vor allem der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist aktuell als sicher anzusehen (BMLV 25.2.2021). Wesentliche Teile von Hiiraan befinden sich hingegen unter Kontrolle von al Shabaab (HIPS 2021, S.17) – vor allem die Gebiete westlich der Straße Jalalaqsi – Belet Weyne (PGN 2.2021, S.1).

Die Miliz der Macawiisley ist östlich von Belet Weyne auch weiterhin gegen al Shabaab aktiv (BMLV 25.2.2021). Nach anderen Angaben ist diese Miliz, die keiner Verwaltung zugeordnet und gegen al Shabaab gerichtet ist, sowohl in Hiiraan als auch in Middle Shabelle aktiv (PGN 2.2021, S.14).

Dem Präsidenten von HirShabelle ist es erfolgreich gelungen, in den Clankonflikt zwischen Reer Hassan und Hawadle in Hiiraan einzugreifen. Bei vorangehenden Auseinandersetzungen waren im Juni 2020 neun Menschen getötet worden. Außerdem hat die Regierung dazu beigetragen, dass zwischen den Hawadle und den Habr Gedir im Bereich Matabaan ein Waffenstillstand geschlossen wurde (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). Auch beim Konflikt zwischen Abdalla Aroni und Eli Oumar konnte die Regierung vermitteln (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). Allerdings ist es Anfang 2021 im Zuge von Clanauseinandersetzungen vermehrt zu Überfällen auf den Verkehr von Belet Weyne in Richtung Dhusamareb gekommen. Güter aus Hiiraan (z. B. Gemüse, Vieh) können nur unter erschwerten Umständen oder gar nicht nach Norden transportiert werden (RE 18.2.2021).

In Hiiraan leistet aufgrund des Konflikts um die Neuwahl des Präsidenten von HirShabelle der sogenannte Hiiraan Salvation Council unter dem ehemaligen Armeegeneral Abukar Huud Widerstand gegen die Regierung von HirShabelle. Im Jänner 2021 war es bei Kämpfen zwischen Kräften der Regierung und Milizen von General Huud schon zu Todesopfern gekommen (HO 16.2.2021; vergleiche PGN 2.2021, S.7ff).

Aufgrund der Zuspitzung der Clanrivalität zwischen lokalen Clans und der Regierung von HirShabelle kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage um Belet Weyne. In der Stadt ist die Sicherheitslage unverändert vergleichsweise stabil, es kommt nur sporadisch zu Gewalt oder Attacken der al Shabaab. In der Stadt befinden sich das Regionalkommando der Bundesarmee sowie Stützpunkte dschibutischer AMISOM-Truppen und der äthiopischen Armee. Zusätzlich gibt es einzelne Polizisten und eine Formed Police Unit von AMISOM (AMISOM 23.2.2021). Zudem gibt es eine relativ starke Bezirksverwaltung und lokal rekrutierte Polizeikräfte (BMLV 25.2.2021) sowie einzelne Polizisten und eine Formed Police Unit von AMISOM (Sonna 24.2.2021). Clankonflikte werden nicht in der Stadt, sondern außerhalb ausgetragen. Die in Belet Weyne vorhandene Präsenz der al Shabaab scheint kaum relevant (BMLV 25.2.2021) – auch wenn die Zahl an Anschlägen mit Sprengsätzen und Handgranaten sowie an gezielten Attentaten zugenommen hat (UNSC 13.11.2020, Absatz ,).

Im Mai 2020 wurden Teile des Bezirks und der Stadt Belet Weyne überschwemmt. Es handelte sich um die zweite große Überschwemmung in diesem Landesteil binnen eines halben Jahres (PGN 10.2020, S.3).

Middle Shabelle: Al Shabaab ist in Middle Shabelle am Vorrücken, die Region ist ein operativer Schwerpunkt der Gruppe, sie dient al Shabaab als Angriffskorridor nach Mogadischu. Da der Weg in Lower Shabelle aufgrund der Operation Badbaado für al Shabaab mühsamer geworden ist, nutzt die Gruppe verstärkt die direkt von Norden nach Mogadischu kommende Versorgungsroute westlich von Balcad. Dazu hat al Shabaab Raum in der Nähe von Balcad eingenommen und ist näher an die Stadt gerückt. Das Gebiet ostwärts der Hauptverbindung von Balcad nach Jowhar befindet sich unter Kontrolle von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).

Die größeren Städte befinden sich zwar unter Regierungskontrolle, diese Kontrolle ist allerdings völlig auf die Stadtgebiete begrenzt. Das Land zwischen den Städten ist „bandits’ country“ (BMLV 25.2.2021). Noch vor einiger Zeit war die Verbindungsstraße von Jowhar nach Mogadischu derart sicher, dass auch hochrangige Vertreter der Bundesregierung hier häufig den Landweg nutzten. Mittlerweile können Vertreter von HirShabelle diese Straße nicht mehr nutzen. Sie und Vertreter der Bundesregierung benutzen auf diesen 90 Kilometern den Luftverkehr, über welchen auch die Versorgung für AMISOM abgewickelt wird (HIPS 2021, S.17). Al Shabaab blockiert den Güterverkehr aus Mogadischu (Sahan 19.2.2021b).

Jowhar, Balcad und Cadale befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 2.2021, S.1). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 25.2.2021). Adan Yabaal befindet sich unter Kontrolle von al Shabaab (PGN 2.2021, S.1). Der gesamte nördliche Teil von Middle Shabelle befindet sich unter Kontrolle von al Shabaab (HIPS 2021, S.17; vergleiche BMLV 25.2.2021). Zwar wurde in Balcad am 8.9.2020 ein Stützpunkt der somalischen Armee von al Shabaab angegriffen und vorübergehend Punkte besetzt (UNSC 13.11.2020, Absatz , vergleiche HIPS 2021, S.17, PGN 10.2020, S.14); doch würde AMISOM die Stadt nicht aufgeben – die Stadt gilt, wie erwähnt, als konsolidiert. Al Shabaab kann eine derartige Stadt also angreifen aber nicht einnehmen (BMLV 25.2.2021).

In Jowhar kommt es regelmäßig zu Aktivitäten von al Shabaab (HIPS 2021, S.18). Allerdings gilt die Stadt trotzdem als relativ ruhig. Dort befindet das Brigadekommando der burundischen AMISOM-Kräfte und ein Bataillon dieser Truppen (BMLV 25.2.2021).

Im März 2020 hat die Regierung erfolgreich bei Landstreitigkeiten zwischen den Clans Abadalla Aroni und Eli Omar im Bereich Cadale vermittelt (UNSC 13.5.2020, Absatz ,).

Vorfälle: In den beiden Regionen Hiiraan und Middle Shabelle lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,04 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 58 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 27 dieser 58 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 64 derartige Vorfälle (davon 39 mit je einem Toten). […]

Al Shabaab

Letzte Änderung: 29.03.2021

Al Shabaab ist eine radikal-islamistische, mit der al Qaida affiliierte Miliz (AA 2.4.2020, S.5; vergleiche USDOS 24.6.2020). Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: der Eroberung Somalias (BBC 18.1.2021; vergleiche BMLV 25.2.2021). Allerdings wandelt sich al Shabaab langsam zu einer mafiösen Entität, bei der das Eintreiben von „Steuern“ über den bewaffneten Kampf gestellt wird (HIPS 2021, S.3).

Der Anführer von al Shabaab ist Ahmed Diriye alias Ahmed Umar alias Abu Ubaidah (USDOS 24.6.2020). Es wird darüber berichtet, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen von seinem Stellvertreter Sheikh Abukar Ali Aden abgelöst worden ist (JF 23.10.2020; vergleiche PGN 10.2020, S.12), und dass die Spannungen innerhalb al Shabaabs größer geworden sind (JF 23.10.2020). Gemäß Angaben einer Quelle handelt es sich hier um wenig fundierte Gerüchte. Al Shabaab bleibt auch weiterhin eine geschlossene, monolithische Organisation, es sind keinerlei Anzeichen für eine Spaltung erkennbar (BMLV 25.2.2021).

Manche Menschen unterstützen al Shabaab aus ideologischen Gründen; manche deshalb, weil die Gruppe Rechtsschutz bietet; die meisten Menschen befolgen Anweisungen der Gruppe aber aus Angst (FIS 7.8.2020, S.15f). Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2020, S.12). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018). Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2020, S.12). Dadurch kann al Shabaab die Bevölkerung kontrollieren, rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen (Mohamed 17.8.2019).

Verwaltung und Clans: Al Shabaab hat in den von ihr kontrollierten Gebieten Verwaltungsstrukturen geschaffen (BS 2020, S.6) und erfüllt alle Rahmenbedingungen eines Staates. Gleichzeitig erlangt al Shabaab aufgrund ihres funktionierenden Justizwesens auch ein Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung (Mohamed 17.8.2019). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 2.4.2020, S.5/17). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, S.1). Die Gruppe verfügt über eine eigene Verwaltung und eigene Gerichte (LIFOS 9.4.2019, S.6). Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten (BMLV 25.2.2021). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft (HI 31.5.2018, S.5). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 25.2.2021). Die Zivilverwaltung von al Shabaab bietet u.a. Rechtsprechung durch Schariagerichte, organisiert Treffen mit Clanältesten, unterstützt Bedürftige, führt Religionsschulen und bietet Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen (NLMBZ 3.2019, S.11). Al Shabaab versucht, zu enge Bindungen an Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt bei Streitigkeiten (ICG 27.6.2019, S.2). Gleichzeitig wird al Shabaab als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte derart handhabt, dass diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (HI 31.5.2018, S.5).

Stärke: Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; sowie Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk. Die Größe der Miliz von al Shabaab wird von einer Quelle auf 13.000 geschätzt (Maruf 14.11.2018). Neuere Quellen berichten von 7.000-9.000 (USDOS 24.6.2020) oder auch von 5.000-10.000 Angehörigen der al Shabaab (HIPS 2021, S.21). Die tatsächliche Größe ist schwer festzulegen, da viele Angehörige der al Shabaab zwischen Kampf und Zivilleben hin- und herwechseln (WP 31.8.2019). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BMLV 25.2.2021). Der Amniyad ist die wichtigste Stütze der al Shabaab (Mohamed 17.8.2019).

Kapazitäten: Al Shabaab hat zwar insgesamt nicht an Stärke verloren (ÖB 3.2020, S.2) und ist nach wie vor in der Lage, Friedens- und Staatsbildung zu hemmen (HIPS 2021, S.3). Trotz ihrer Fähigkeit zu stören und zu zerstören, stellt al Shabaab aber nicht länger eine existentielle Bedrohung für die somalische Regierung dar (HIPS 2021, S.21). An Kapazitäten zur konventionellen Kriegsführung hat al Shabaab deutlich eingebüßt. Schuld daran sind die Luftschläge der USA und die Bodenoperationen von somalischer Armee und AMISOM (HIPS 2021, S.3). Allein bei Luftschlägen hat al Shabaab seit 2017 ca. 1.000 Mann verloren (HIPS 2021, S.21). So wurden Kommandostrukturen unterbrochen und zudem Sprengstoffvorräte vernichtet (FIS 7.8.2020, S.10f). Gemäß einer anderen Quelle bleiben die Kapazitäten von al Shabaab konstant. Zwar kann die Gruppe aufgrund intensiver Aufklärungstätigkeiten keine großen Kampfverbände mehr verlegen; allerdings sind die personellen und materiellen Kapazitäten unverändert geblieben (BMLV 25.2.2021). Allerdings nutzt die Gruppe die bestehenden politischen Konflikte um Neuwahlen. Die politische Elite ist durch sich selbst abgelenkt und hat den Kampf gegen al Shabaab vernachlässigt (HIPS 2021, S.21).

Gebiete: Al Shabaab wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position (BBC 18.1.2021). Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen (HIPS 2021, S.3). Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 2.2021, S.1).

Gemäß einer Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, S.3). Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (BMLV 25.2.2021).

Steuern: Al Shabaab hat in ganz Süd-/Zentralsomalia ein komplexes System an Schutzgelderpressung etabliert, welches in den Jahren 2018 und 2019 exponentiell ausgebaut worden ist (HIPS 2020, S.12f; vergleiche FIS 7.8.2020, S.14f). In den Gebieten der al Shabaab wird alles und jeder besteuert (HI 10.2020, S.2f; vergleiche BBC 18.1.2021). In umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung der al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden Steuern an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020, S.2f).

Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen – zumindest im Vergleich zur Bundesregierung (BS 2020, S.10). Demnach hebt al Shabaab auch mehr „Steuern“ ein, als die Bundesregierung. Dabei agiert die Gruppe wie eine mafiöse Organisation (FIS 7.8.2020, S.18; vergleiche HI 10.2020, S.5). Das Steuersystem von al Shabaab wird durch systematische Einschüchterung und Gewalt gestützt (SEMG 9.11.2018, S.26/97). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu lukrieren. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020, S.18). U.a. investiert al Shabaab Überschüsse aus Einnahmen in kleine Geschäfte und am Immobilienmarkt von Mogadischu (PGN 10.2020, S.16).

Eingehoben werden Steuern auf landwirtschaftliche Produkte; Güter, Personen und Fahrzeuge im Transit; auf den Verkauf von Vieh (BS 2020, S.10); sowie auf manche Dienstleistungen – und zwar sowohl in den eigenen Gebieten als auch in jenen der Regierung (HIPS 2020, S.13). Sogar Bundesbedienstete – darunter hochrangige Angehörige der Armee – führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer“ an al Shabaab ab. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird (HI 10.2020, S.6f).

Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten (LI 20.12.2017, S.3). Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben; aber jene, die sich weigern, werden bestraft und ihr Leben bedroht. Vorerst werden dabei hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen. Andere müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden (HI 10.2020, S.4ff). Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst (HI 10.2020, S.1).

Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15 Millionen US-Dollar pro Monat – davon die Hälfte in Mogadischu (HI 10.2020, S.5). Generell werden alle Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeld belegt (FIS 7.8.2020, S.13). Wirtschaftstreibende werden angerufen und bedroht. Diese zahlen Schutzgeld (WP 31.8.2019), denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen (HI 10.2020, S.9). Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere Steuern (HI 10.2020, S.1). Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche Steuer. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen den Zakat nicht abführen. Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert – etwa die Nutzung von Bewässerungsanalgen durch Bauern (HI 10.2020, S.3). Steuern werden auch auf landwirtschaftliche Produkte und Vieh eingehoben. Zusätzlich kommt es auch zu allgemeinen Geldforderungen (infaaq). Am meisten Geld verdient al Shabaab aber mit der Besteuerung von Fahrzeugen, die Güter durch das Gebiet der Gruppe transportieren. Auch am Bakara-Markt (VOA 3.12.2018), für Importe am Hafen von Mogadischu (UNSC 1.11.2019, S.13; vergleiche FIS 7.8.2020, S.13) sowie am Immobilienmarkt hebt al Shabaab Steuern ein (HI 10.2020, S.4). Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Steuern bzw. Schutzgeld an al Shabaab, um in Ruhe gelassen zu werden (BFA 8.2017, S.33).

Auch der sog. Islamische Staat fordert „Steuern“ – v.a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer“ widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen (USDOS 11.3.2020, S.14). Dies gilt jedenfalls für Unternehmen in Puntland – etwa in Bossaso und Galkacyo (UNSC 1.11.2019, S.19). […]

Rechtsschutz, Justizwesen

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v. a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, S.31; vergleiche BS 2020, S.16; USDOS 11.3.2020, S.8). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr 1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia hat es als Grundlage allen Rechts in die Übergangsverfassung und in die Verfassung von Puntland geschafft (BS 2020, S.9).

In Süd-/Zentralsomalia sowie in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 2.4.2020, S.8; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.8). Al Shabaab untergräbt die Rechtsstaatlichkeit durch die Einhebung von Steuern und Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, S.9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, S.10). Andererseits ist auch bekannt, dass staatliche Sicherheitskräfte manchmal bei Clankonflikten Partei ergreifen (BS 2020, S.34).

Formelle Justiz - Kapazität: In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. U.a. gibt es zwei Bezirksgerichte in HirShabelle, sechs im SWS, acht in Jubaland und eines in Galmudug. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2020, S.16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2020, S.9). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2020, S.17; vergleiche LIFOS 1.7.2019, S.4). Oft werden diese nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, S.5), und ernannte Richter erhielten keine Ausbildung (BS 2020, S.17). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes. Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 2.4.2020, S.4/13). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 4.3.2020a, F1), in vielen Landesteilen gar nicht vorhanden. Einige Regionen haben lokale Gerichte geschaffen, die vom dort dominanten Clan abhängen (USDOS 11.3.2020, S.8).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In der Verfassung ist die Unabhängigkeit der Justiz vorgesehen (BS 2020, S.9). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.7; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.8). Nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020, S.8). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2020, S.16; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.9; FH 4.3.2020a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 11.3.2020, S.8f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vor-Gericht-Stellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 2.4.2020, S.9).

Auch Korruption behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 11.3.2020, S.9; vergleiche FH 4.3.2020a, F1; FIS 7.8.2020, S.21). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, S.21). Von Richtern oder Staatsanwälten werden Bestechungsgelder verlangt. Verdächtige und Verurteilte werden gegen Geld, oder weil sie einem bestimmten Clan angehören, auf freien Fuß gesetzt (SIDRA 11.2019, S.5). Zusätzlich halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 11.3.2020, S.8; vergleiche BS 2020, S.16; FH 4.3.2020a, F1). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2020, S.16). Insgesamt stehen Zivilisten ernsthaften Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, S.21). Bürger wenden sich aufgrund der 67 Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 4.3.2020a, F1).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Die von der Bundesregierung geschaffenen Militärgerichte verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 2.4.2020, S.8; vergleiche BS 2020, S.16; vergleiche FH 4.3.2020a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Ein Grund dafür ist, dass zivile Richter oftmals Angst haben, bestimmte – zivile – Fälle zu verhandeln (USDOS 11.3.2020, S.8f). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 2.4.2020, S.8; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.2; HRW 13.1.2021; FH 4.3.2020a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 11.3.2020, S.9).

Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2020, S.16). Die traditionelle Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten (USDOS 11.3.2020, S.8). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung – z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern – angewendet (SEM 31.5.2017, S.34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, S.100). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, S.7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, S.4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, S.14).

Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib – die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet – je nach Region, Clan und Status – ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat – z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde – sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, S.8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, S.20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind – insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, S.8ff).

Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen – oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S.14). Der Clanschutz funktioniert generell – aber nicht immer – besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8; vergleiche ÖB 3.2020, S.10), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, S.35).

Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, S.3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, S.35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 11.3.2020, S.8). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Absatz ,). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, S.32).

Scharia: Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia nicht mehr nur in Zivil-, sondern auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, S.34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird, bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt. Schariagerichte werden auch für andere Rechtsdienste herangezogen – sie werden als effizienter, weniger korrupt, schneller und fairer angesehen (BS 2020, S.16).

Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe abgelehnt (AA 2.4.2020, S.7). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, S.33; ÖB 3.2020, S.4) bzw. ist Letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2020, S.17). Außerdem gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 11.3.2020, S.10). Der Clanschutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, S.33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, S.3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, S.4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2020, S.17). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 11.3.2020, S.10). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 2.4.2020, S.13; vergleiche BS 2020, S.17). Al Shabaab inhaftiert Personen für Vergehen wie Rauchen, unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören, Fußballschauen oder -spielen und das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 11.3.2020, S.6). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, S.3).

Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv, weniger korrupt, schnell und im Vergleich fairer beschrieben (BS 2020, S.16) – zumindest im Vergleich zur staatlichen Rechtsprechung (FIS 7.8.2020, S.16). Al Shabaab urteilt oder vermittelt u.a. in Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden (HI 10.2020, S.7). Viele Menschen bevorzugen die Gerichte der al Shabaab – selbst Personen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten (BS 2020, S.17) – etwa aus Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.16). Von dort begeben sich Streitparteien extra nach Lower Shabelle, um dort bei al Shabaab Klage einzureichen (FIS 7.8.2020, S.16; vergleiche LIFOS 1.7.2019, S.4). Denn der Rechtsprechung durch al Shabaab wird mehr Vertrauen entgegengebracht als jener der staatlichen Justiz (LIFOS 1.7.2019, S.14). Auch für benachteiligte Gruppen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu anderen Rechtssystemen kann die Justiz von al Shabaab anziehend wirken. So sind diese Gerichte für manche Frauen etwa die einzige Möglichkeit, um finanzielle Ansprüche an vormalige Ehemänner oder männliche Verwandte geltend zu machen (UNSC 1.11.2019, S.14). Gerichte von al Shabaab hören alle Seiten, fällen Urteile und sorgen dafür, dass Urteile auch umgesetzt bzw. eingehalten werden – wo nötig mit Gewalt (FIS 7.8.2020, S.16). Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (UNSC 1.11.2019, S.14; vergleiche HI 10.2020, S.10).

Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen. Für diese Amnestiemöglichkeit gibt es aber keine rechtliche Grundlage (AA 2.4.2020, S.13). Allerdings wird üblicherweise ehemaligen Kämpfern im Austausch für Informationen über al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 1.7.2019, S.24).

Puntland: Die meisten Fälle werden durch Clanälteste im Xeer abgehandelt. Ins formelle Justizsystem gelangen vor allem jene Fälle, wo keine Clanrepräsentation gegeben ist (USDOS 11.3.2020, S.9). Puntland hat ein eigenes Gerichtswesen geschaffen (BS 2020, S.16), die Gerichte werden als funktionierend bezeichnet. Es gilt die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren, auf einen Anwalt und auf Berufung (USDOS 11.3.2020, S.9f).

Abseits der Zivilgerichtsbarkeit gibt es in Puntland Militärgerichte. Deren Personal wird direkt vom Präsidenten aus den Reihen des Militärs ernannt und muss über keine fachliche Ausbildung verfügen. Die Spezialeinheit „Puntland Security Force“ (PSF) ist gemäß Anti-Terrorgesetz mit den Militärgerichten in enger Verbindung. Es kommt an diesen Gerichten – in Zusammenhang mit Prozessen bei Terrorismusverdacht – mitunter zu Verurteilungen unter Verwendung erzwungener Geständnisse. Zuständig sind Militärgerichte in Puntland u.a. im Falle von Spionage, Verrat, Kontakt mit dem Feind und Terrorismus (UNSC 1.11.2019, S.38/138ff).

Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal – Richter, (Staats-)Anwälte – entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019).

Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und - Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 2.4.2020, S.7). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 2.4.2020, S.13). […]

Sicherheitsbehörden

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Ausländische Kräfte

Letzte Änderung: 30.03.2021

Die African Union Mission in Somalia (AMISOM) ist seit 2007 in Somalia stationiert (EU o.D.). Das prinzipielle Mandat von AMISOM ist es, die durch al Shabaab und andere Rebellengruppen gegebenen Bedrohungen zu reduzieren und Stabilisierungsanstrengungen zu unterstützen. Das hat AMISOM zu einem gewissen Maß auch geschafft (ISS 28.2.2019). Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung (BBC 18.1.2021), die in großem Maße von den Kräften der AMISOM abhängig ist (BS 2020, S.6/13; vergleiche ÖB 3.2020, S.8, BBC 18.1.2021). AMISOM ist ein beispielgebender Fall internationaler Kooperation bei einer militärischen Intervention. Afrikanische Länder stellen die Truppen, während die EU und andere für die Finanzierung aufkommen. Die UN wiederum sind für Ausrüstung und Logistik verantwortlich. Einzelne Länder, wie etwa die USA und Großbritannien, gewährleisten zusätzliche Unterstützung bei finanziellen Ressourcen, Logistik und Ausbildung (BS 2020, S.39).

Die UN haben im Mai 2020 das Mandat von AMISOM mit 19.626 Mann uniformiertem Personal, davon mindestens 1.040 Polizisten, verlängert (UNSC 29.5.2020, Absatz ,). Im Dezember 2018 gab es noch ca. 21.600 uniformiertes AMISOM-Personal (UNSC 21.12.2018, S.9). AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (AMISOM 2021a). Die Stärke beträgt seit Feber 2020: Äthiopien: 3.902; Burundi: 3.715; Dschibuti: 1.691; Kenia: 3.654; Uganda: 5.448; Hauptquartier: 111. Seit Ende 2020 verfügt AMISOM über eine zusätzliche Luftkomponente von vier Hubschraubern, die von Uganda gestellt werden. Diese dienen v.a. für Verbindung, Versorgung und medizinische Notfälle (BMLV 2.3.2021). UNSOS hat die Stationierung der Hubschrauber in Bali Doogle unterstützt (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Auch private Firmen sind mit Hubschraubern dabei. Ob diese künftig auch in einer Kampfrolle eingesetzt werden, ist unklar (IP 4.2.2021). Insgesamt verfügt AMISOM über sieben militärische Luftfahrzeuge, zwölf wären autorisiert (UNSC 17.2.2021, Absatz ,).

Hinsichtlich des Exit-Plans für AMISOM, der einen Abzug der Truppe eigentlich für Dezember 2021 vorgesehen hätte (ISS 28.2.2019), gibt es Rückschläge - v.a. in Zusammenhang mit den negativen Effekten der Streitigkeiten rund um die Wahl 2021 sowie jenen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten. Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der somalischen Bundesregierung und Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien. Befürchtet wird z.B., dass Kenia Truppenteile aus AMISOM abzieht (ISS 15.12.2020).

AMISOM wird maßgeblich von der EU finanziert (ÖB 3.2020, S.7). Mehr als 2,1 Mrd. Euro wurden bisher von der Europäischen Kommission für AMISOM ausgegeben. Die EU beteiligt sich am Sold von Soldaten, finanziert das Gehalt von AMISOM-Polizisten und zivilen Angestellten sowie die Infrastruktur (EU o.D.). UNSOS unterstützt AMISOM logistisch, z.B. mit mehr als tausend Flugstunden pro Monat, um AMISOM-Stützpunkte zu versorgen (UNSC 13.5.2020, Absatz ,). Die Ausbildung für AMISOM erfolgt laufend auch im Rahmen der Einsatzvorbereitung in den Herkunftsländern und in Somalia, maßgeblich durch Großbritannien, die USA, Frankreich und die EU. In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BMLV 2.3.2021).

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (Uganda, Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Kenia und Sambia). Zumindest drei sogenannte Formed Police Units wurden aus Nigeria, Uganda und Sierra Leone entsendet (AMISOM 2021b). Mit der Reduktion des militärischen Teils von AMISOM wurde die Polizeikomponente verstärkt (ISS 28.2.2019).

Neben den fünf Armeen der AMISOM-Truppenstellerstaaten sind in Somalia noch Militärberater aus zahlreichen anderen Staaten aktiv (BBC 18.1.2021). Zur Zahl der bilateral auf somalischem Territorium operierenden äthiopischen Truppen gibt es unterschiedlichste Angaben. Denn Äthiopien hat auch diese Truppenteile mit dem grünen Barett von AMISOM ausgestattet (BMLV 25.2.2021). Eine Quelle berichtet von bis zu 15.000 bilateral eingesetzten äthiopischen Truppen (PGN 2.2021, S.5). Eine andere Quelle berichtet von vermutlich drei (teils verstärkten) Bataillonen und insgesamt geschätzten 2.200-2.800 Mann in Gedo, Hiiraan und Galmudug (BMLV 2.3.2021). Generell hat Äthiopien kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017, S.17f). Dies ist aufgrund des inneren Konflikts in Äthiopien Ende 2020 dann auch geschehen, das Land hat bis zu 3.000 bilateral in Somalia eingesetzte Truppen abgezogen (ISS 15.12.2020; vergleiche PGN 2.2021, S.5). Bereits abgezogene äthiopische Truppen wurden zumindest an der Grenze durch Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State ersetzt (BMLV 2.3.2021).

Nach der Räumung der Stützpunkte in Buusaar und Faafax Dhuun (Süd-Gedo) Anfang 2020 befinden sich vermutlich keine bilateralen Truppen Kenias mehr in Somalia (BMLV 2.3.2021).

Die USA führen in Somalia eigene Angriffe durch, um führende Mitglieder der al Shabaab gefangenzunehmen oder zu töten (BS 2020, S.40). Zudem haben die USA die Eliteeinheit Danaab ausgebildet und unterstützen diese bei Einsätzen (BBC 18.1.2021; vergleiche HIPS 2021, S.28). Damit wurden Anti-Terrorismus-Kapazitäten geschaffen. Außerdem haben die USA auch Teile regionaler Kräfte ausgebildet (BS 2020, S.40; vergleiche ISS 15.12.2020). Schließlich unterstützen die USA auch maßgeblich AMISOM (ISS 15.12.2020) und haben insgesamt entscheidend zur Beschneidung der Kapazitäten von al Shabaab beigetragen (HIPS 2021, S.28). Mitte Jänner 2021 gaben die USA bekannt, dass der Abzug der Bodentruppen aus Somalia abgeschlossen ist; Luftschläge werden aber weiterhin geflogen (PGN 2.2021, S.12f; vergleiche IP 3.2.2021). […]

Somalische Kräfte

Letzte Änderung: 30.03.2021

Der Sicherheitssektor ist sehr relevant, 80 % der öffentlichen Stellen befinden sich in diesem Bereich, zwei Drittel der Staatsausgaben fließen dorthin (AA 2.4.2020, S.8). Der Sektor ist nach wie vor eine Mischung aus formellen und informellen Institutionen und Akteuren, welche von innerstaatlichen und externen Kräften finanziert werden. De facto gibt es auch kaum einen Unterschied zwischen polizeilichen und militärischen Kräften, Ausrüstung und Auftrag sind oftmals identisch (LIFOS 1.7.2019, S.5).

Somalische Sicherheitskräfte sind auch weiterhin nicht in der Lage, ohne internationale Unterstützung für die Sicherheit im Land zu garantieren (TDP 12.2.2020). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2020, S.6; vergleiche HI 10.2020, S.1), sie ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2020, S.6; vergleiche BBC 18.1.2021). Zudem hat al Shabaab die Sicherheitskräfte und Verwaltung infiltriert (FIS 7.8.2020, S.12; vergleiche BMLV 25.2.2021). Immerhin ist es der Armee mittlerweile möglich, sporadisch eigenständige Operationen durchzuführen – etwa in Middle Shabelle (UNSC 13.2.2020, Absatz ,).

Zivile Kontrolle: Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020, S.1) bzw. entziehen sich Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 2.4.2020, S.8f/19). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 2.4.2020, S.8). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 11.3.2020, S.2).

Polizei: Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung. Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit (USDOS 11.3.2020, S.1).

Aktuelle Mannstärke der Polizei:

• Benadir/Mogadischu: Zum Stand 8.000-9.000 Mann vom September 2019 gibt es keine neuen Informationen (BMLV 2.3.2021).

• Galmudug: mindestens 700; diese wurden laut UN in Menschenrechten und Polizeiarbeit unterrichtet (UNSC 17.2.2021, Absatz ,).

• HirShabelle: rund 600 Mann (UNSC 13.2.2020, Absatz , vergleiche UNSC 13.5.2020, Absatz ,).

• Jubaland: Zum Stand vom August 2017 - 500-600 Mann - gibt es keine neuen Erkenntnisse (BMLV 2.3.2021).

• South West State: Stand August 2017 gab es 600-700 Polizisten (BFA 8.2017, S.12). Ende 2019 traten 400 neue Polizisten ihren Dienst an – u.a. in neu eroberten Gebieten von Lower Shabelle (UNSC 13.2.2020, Absatz ,).

Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen von AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v.a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC sowie IOM (ÖB 3.2020, S.8). Auch die USA unterstützen die Ausbildung – maßgeblich mit dem Einsatz von Privatfirmen; so unterstützt die Firma Engility die somalische Kriminalpolizei (IP 13.3.2020). AMISOM betreut über 3.200 somalische Polizisten an 31 Polizeistationen (AMISOM 7.8.2019, S.4). AMISOM hat bereits mehr als 4.000 somalische Polizisten in unterschiedlichen Bereichen ausgebildet (AMISOM 2021b). So bildet AMISOM etwa in Baidoa Polizisten aus und unterstützt diese auch beim Einsatz (RD 22.2.2021). Generell tragen auch die UN auf regionaler und nationaler Ebene zur Aus- bzw. Weiterbildung von Polizisten bei (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). So lassen etwa UNSOM und UNFPA einigen somalischen Polizisten hinsichtlich des Umgangs mit Fällen sexueller Gewalt eine angemessene Ausbildung zukommen (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Die Polizei in Kismayo wurde ebenfalls von AMISOM und UN ausgebildet (BMLV 25.2.2021).

Die Türkei hat eine Spezialeinheit der Polizei ausgebildet und ausgerüstet. Ihr Name ist Haramcad (Gepard). Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wird allerdings von der Regierung v.a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen (HIPS 2021, S.28).

Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption (AA 2.4.2020, S.8; vergleiche FIS 7.8.2020, S.20). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BMLV 2.3.2021).

Armee: Die Bundesarmee dient dem Schutz von Souveränität, Unabhängigkeit und Integrität des Landes. Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich (USDOS 11.3.2020, S.1). Der Bundesarmee kam und kommt beachtliche internationale Unterstützung zugute (BS 2020, S.6). Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren (Reuters 19.2.2021). Allerdings ist es nicht gelungen, eine vereinte Bundesarmee zu schaffen. Vor zehn Jahren hieß es noch, dass, wenn AMISOM abzieht, al Shabaab binnen einer Stunde Mogadischu einnehmen wird; nun heißt es, al Shabaab würde dafür zwölf Stunden brauchen (BBC 18.1.2021). Denn die Loyalität von Truppen zu einzelnen Kommandanten und Clans bleibt stark (Reuters 19.2.2021; vergleiche ICG 27.6.2019, S.4). Dementsprechend können sowohl Regierung als auch Opposition jederzeit Truppen ins Feld stellen. Laut einer Quelle zeigt die Armee sogar Auflösungserscheinungen (Reuters 19.2.2021). Zudem nehmen einige Kommandanten Bestechungsgelder und kooperieren mit al Shabaab – mit ein Grund für die mangelnden Fortschritte im Kampf gegen die Gruppe (Sahan 3.3.2021).

Besoldung: Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat (FIS 7.8.2020, S.22). Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee (AA 2.4.2020, S.8). Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen (HIPS 2020, S.12; vergleiche FIS 7.8.2020, S.20, BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Danaab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (BMLV 2.3.2021).

Der Armee mangelt es an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, S.22). Im vergangenen Jahrzehnt hat die Armee von zahlreichen Akteuren Unterstützung bei Ausrüstung, Ausbildung und Logistik erhalten, namentlich von Burundi, Dschibuti, Äthiopien, Italien, Kenia, dem Sudan, der Türkei, den VAE, Uganda, Großbritannien, den USA, der AU, der EU und den UN (Williams 2019, S.2ff). Selbst in Eritrea wurden Soldaten ausgebildet (BMLV 25.2.2021). Insgesamt wurden zigtausende Soldaten ausgebildet. Diese Ausbildung erfolgte aber unkoordiniert und ohne Gesamtkonzept (Williams 2019, S.2ff). Außerdem hat Somalia alleine in den Jahren 2013-2015 17.500 Waffen von außen erhalten. Trotzdem stellte sich im Jahr 2017 heraus, dass nur 70% der Soldaten überhaupt eine Waffe besitzen (Williams 2019, S.22).

Die EU und die USA unterstützen weiterhin somalische Sicherheitskräfte, u.a. auch mit Ausbildung (BS 2020, S.40). Aus den USA sind einige Sicherheitsfirmen (z.B. Sincerus Global Solutions, Halcyon Group International, Barbaricum, People Technologies & Processes, Bancroft Global Development Group) in Somalia engagiert. Sie werden als Berater oder in der Ausbildung eingesetzt (IP 14.9.2020; vergleiche IP 20.8.2020). Die Türkei unterstützt die Bundesarmee materiell und bildet in einem eigens erbauten Stützpunkt (TURKSOM) auch Soldaten aus (IP 13.12.2019; vergleiche HIPS 2021, S.28). Die UN-Agentur UNSOS unterstützt logistisch weiterhin 10.900 Soldaten der Bundesarmee und plant künftig 2.000 weitere Soldaten und 1.000 Polizisten hinzuzunehmen (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). Katar hat der somalischen Armee Anfang 2019 68 gepanzerte Fahrzeuge geschenkt. Die Türkei schenkte der Armee im August 12 gepanzerte Fahrzeuge und 12 Geländewagen; die USA haben angekündigt, 96 Geländewagen zu schenken (IP 10.9.2020). Die Ausbildung im Menschenrechtsbereich wird international zunehmend unterstützt; es muss aber weiterhin davon ausgegangen werden, dass der Mehrzahl der regulären Kräfte die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für regierungsnahe Milizen (AA 2.4.2020, S.8).

Armee/Stärke: Die Zahl aktiver Kräfte in der Bundesarmee, ihre Größe, Kommandostrukturen und die interne Organisation bleiben undurchsichtig (BS 2020, S.6).

Die genaue Stärke ist unbekannt bzw. unklar (BMLV 2.3.2021). Mit internationaler Hilfe wurden Anfang 2020 zwei neue Bataillone aufgestellt; zwei weitere wurden mit bestehenden Truppen neu geformt (UNSC 13.5.2020, Absatz ,).

Spezialeinheiten: Danaab – von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut – ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen (Williams 2019, S.2/9). Eine weitere Spezialeinheit ist die von der Türkei ausgebildete und ausgerüstete Gorgor (Adler) (HIPS 2021, S.28; vergleiche AN 22.2.2021). Diese Einheit ist in Mogadischu, Dhusamareb und Belet Xaawo stationiert und steht unter direktem Befehl des Präsidenten. Die ca. 4.500-5.000 Mann umfassende Einheit steht einer Quelle zufolge zum Teil auch unter Führung türkischer Offiziere (AN 22.2.2021). Nach Angaben einer anderen Quelle hat die türkische Armee erst 2.500 Mann fertig ausgebildet, strebt aber die Ausbildung von insgesamt 10.000 Mann an (JF 20.11.2020). Eine dritte Quelle berichtet von insgesamt sechs ausgebildeten Gorgor-Bataillonen, die sich v.a. in Mogadischu und in Lower Shabelle im Einsatz befinden (BMLV 25.2.2021).

Regionale Kräfte: Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden.

Beim Operational Readiness Assessment wurden in Jubaland, Galmudug, SWS und Puntland sogar fast 20.000 Personen registriert, welche zu „Regionalkräften“ (auch Darawish) gezählt werden (UNSC 15.5.2019, Absatz ,). Darawish werden nunmehr auch national ausgebildet. So haben im Feber 2020 die ersten 300 von 1.750 Darawish ihre – u.a. von AMISOM und EUTM gestaltete – Ausbildung in Mogadischu abgeschlossen. Diese Kräfte sollen in neu gewonnenen Gebieten in Lower Shabelle stationiert werden (AMISOM 14.2.2020).

NISA (National Intelligence and Security Agency): Die Rolle des Staatsschutzes liegt in der Hand der NISA. Die exekutiven Vollmachten der NISA sind 2018 formal auf die Polizei übertragen worden. Trotzdem übt die NISA weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus und führt – ohne rechtliches Mandat – weiterhin Razzien durch und nimmt Menschen fest (AA 2.4.2020, S.8f). Unter der Führung eines der engsten Vertrauten von Präsident Farmaajo entwickelt sich die NISA zunehmend zu einem Instrument der politischen Einflussnahme. Die Organisation der Ausbildung eines – eigentlich militärischen – Kontingents in Eritrea und der Einsatz der fertig ausgebildeten Kräfte in Gedo unterstreichen diese Entwicklung. Die Stärke der NISA wird mit ca. 1.500 Mann angegeben, weitere ca. 600 Mann stehen – wie erwähnt – in Gedo. Die Finanzierung der NISA erfolgt weitgehend durch Katar (BMLV 2.3.2021). Die Führung der NISA soll von al Shabaab infiltriert worden sein (BS 2020, S.7).

Puntland: Insgesamt beläuft sich die Stärke der Streit- und Sicherheitskräfte Puntlands (Darawish, Polizei, Puntland Maritim Police Force und andere) auf rund 10.000-12.000 Mann (BMLV 2.3.2021). Die Spezialeinheit Puntland Security Force (PSF) dient als Anti-Terrorismuseinheit und besteht aus rund 600 Soldaten. Die PSF wird von den USA ausgebildet und unterstützt. Die Einheit unterliegt nur eingeschränkter ziviler Kontrolle und unterhält in Bossaso eigene Haftanstalten (UNSC 1.11.2019, S.38f/138f). Ausstehende Soldzahlungen sind nach wie vor ein wiederkehrendes Problem, das zwar punktuell zu Störungen des öffentlichen Lebens durch Straßenblockaden führen kann; diese Störungen dauern gewöhnlich aber nicht mehr als einige Stunden an (BMLV 2.3.2021). […]

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Schon Mitte der 1990er wurden in Somalia zahlreiche NGOs und auf Gemeinden fußende Organisationen gegründet. Viele arbeiten mittlerweile professionell (BS 2020, S.33). Im gesamten somalischen Kulturraum gibt es zahlreiche internationale Organisationen und NGOs, die sich um Belange vulnerabler Personen (u.a. IDPs, Frauen, Kinder und andere sozial benachteiligte Gruppen) kümmern (SEM 31.5.2017, S.43).

Lokale Gruppen der Zivilgesellschaft, internationale NGOs und UN-Agenturen können in Teilen des Landes eine breite Palette an Aktivitäten durchführen – allerdings unter schwierigen und oft auch gefährlichen Umständen (FH 4.3.2020a, E2). Aktiv sind derartige Gruppen und Organisationen vor allem in jenen Gebieten Süd-/Zentralsomalias sowie Puntlands, die sich nicht unter der Kontrolle der al Shabaab befinden. Sie untersuchen Vorfälle, veröffentlichen Ergebnisse (USDOS 11.3.2020, S.29) und werden ggf. politisch gebilligt und gefördert (AA 2.4.2020, S.7). Die Regierung ist hinsichtlich der Ergebnisse einigermaßen kooperativ und reagiert auf deren Ansichten (USDOS 11.3.2020, S.29). Menschenrechtsorganisationen sehen sich trotzdem in aller Regel Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren, ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.7).

Außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete können diese Organisationen meist nicht arbeiten (AA 2.4.2020, S.7). Al Shabaab untersagt den meisten NGOs sowie allen UN Agenturen das Arbeiten auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle (HRW 14.1.2020; vergleiche FH 4.3.2020a, E2).

Die Bewegungsfreiheit von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia ist aufgrund von Sicherheitserwägungen eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.29; vergleiche HRW 14.1.2020). Somalia ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für humanitäre Kräfte (BS 2020, S.14), auf welche mitunter gezielte Angriffe durchgeführt werden. Unsicherheit (HRW 14.1.2020), Fahrzeugraub und bürokratische Hürden für humanitäre Organisationen stellen ernste Hindernisse dar (USDOS 11.3.2020, S.14). Im Zeitraum von Mai bis August 2020 waren humanitäre Organisationen von 76 sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffen. Neun ihrer Angestellten wurden dabei getötet, 17 entführt und elf in Haft genommen (UNSC 13.8.2020, Absatz ,). In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es insgesamt 51 Zwischenfälle. Der Großteil davon ereignete sich in Süd-/Zentralsomalia (USDOS 11.3.2020, S.14/21). Vor allem in der Region Gedo kommt es immer wieder zu Entführungen durch al Shabaab, die mit Geiseln Lösegeld lukrieren will (UNSC 1.11.2019, S.35).

Die Präsenz von UN-Agenturen und Organisationen ist in den vergangenen Jahren stark ausgebaut worden: Ende 2014 befanden sich 331 internationale und 951 nationale Angestellte der UN in Somalia (UNSC 23.1.2015, S.16), im Feber 2020 waren es 683 bzw. 1.308 (UNSC 13.2.2020, Absatz ,). Büros befinden sich in Baidoa, Belet Weyne, Berbera, Bossaso, Dhobley, Dhusamareb, Doolow, Galkacyo, Garoowe, Hargeysa, Jowhar, Kismayo und Mogadischu. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde das internationale Personal vor Ort reduziert (UNSC 13.8.2020, Absatz , vergleiche UNSC 17.2.2021, Absatz ,).

In Puntland können internationale und lokale NGOs generell ohne größere Einschränkungen arbeiten (USDOS 11.3.2020, S.29). […]

Allgemeine Menschenrechtslage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 2.4.2020, S.18).

Trotzdem werden Zivil- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Alle politischen Akteure, die um politische und ökonomische Macht streiten, waren in den vergangenen Jahren in schwere Menschenrechtsvergehen involviert (BS 2020, S.18). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: Tötung von Zivilisten durch al Shabaab, Kräfte der somalischen Bundesregierung, Clanmilizen und unbekannte Angreifer; Entführungen durch al Shabaab; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen; Gewalt gegen Frauen und Mädchen (USDOS 11.3.2020, S.1f; vergleiche BS 2020, S.34). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (UNSC 1.11.2019, S.5; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.2).

Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen (AA 2.4.2020, S.20). In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 2.4.2020, S.13).

Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten (USDOS 11.3.2020, S.1f/11f; vergleiche ÖB 3.2020, S.2) und anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (ÖB 3.2020, S.2). Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.150 Kinder entführt, 481 verletzt und 222 getötet (USDOS 11.3.2020, S.11f). Im Zeitraum 5.11.2020 bis 9.2.2021 kamen landesweit 363 Zivilisten bei Kämpfen oder Anschlägen ums Leben oder wurden verletzt. Für 144 Opfer trug dabei al Shabaab die Verantwortung (UNSC 17.2.2021, Absatz ,). Im Zeitraum 5.8.2020 bis 4.11.2020 waren es vergleichsweise 257 Opfer gewesen, davon 163 durch al Shabaab zu verantworten (UNSC 13.11.2020, Absatz ,).

Es liegen keine Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich wären (USDOS 11.3.2020, S.3; vergleiche AA 2.4.2020, S.20). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch alle Konfliktparteien (USDOS 11.3.2020, S.6f). Die Regierung verhaftet dabei meist Personen, die verdächtigt werden, al Shabaab anzugehören (UNSC 13.5.2020, Absatz ,).

Hinsichtlich von staatlichen Sicherheitskräften begangener sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt konnte im Jahr 2019 eine Reduktion gemeldeter Fälle verzeichnet werden (USDOS 11.3.2020, S.11). Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung ergreift nur minimale Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 11.3.2020, S.2).

Generell begeht al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2020, S.18). Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 11.3.2020, S.2; vergleiche HRW 14.1.2020). Al Shabaab verhängt in Gebieten Bestrafungen wie Amputationen und Exekutionen (BS 2020, S.17). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit Regierung, internationalen Organisation oder westlichen Hilfsorganisation vorgeworfen wird (AA 2.4.2020, S.13; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.3). Frauen werden für die Missachtung strenger Kleidungsvorschriften geschlagen (BS 2020, S.19). Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit (USDOS 11.3.2020, S.38). […]

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Gesetzlich werden grundsätzlich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährt, erstere wird von der somalischen Regierung aber eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.19f; vergleiche AA 2.4.2020, S.11; BS 2020, S.14). Für eine Demonstration oder eine öffentliche Versammlung ist die Genehmigung des Innenministeriums notwendig (USDOS 11.3.2020, S.19; vergleiche FH 4.3.2020a, E1). Die Regierung macht bei sicherheitsrelevanten Themen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geltend (AA 2.4.2020, S.11). Aufgrund der Sicherheitslage bleibt die Versammlungsfreiheit daher in vielen Gebieten effektiv eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.19; vergleiche BS 2020, S.14). Trotzdem kommt es in urbanen Zentren zu Versammlungen und Demonstrationen (FH 4.3.2020a, E1), wie etwa am 2.1.2020 gegen Gewalt durch al Shabaab (UNSC 13.2.2020, Absatz ,).

Dabei bekräftigt die Regierung regelmäßig ihren Willen, diese Rechte auch zu gewährleisten. Hinsichtlich der Versammlungsfreiheit ist jedoch in staatlich kontrollierten Gebieten nie genau absehbar, wie die lokalen Sicherheitskräfte reagieren. Generell sind Handfeuerwaffen weit verbreitet, eine blutige Eskalation kann nie ausgeschlossen werden (AA 2.4.2020, S.11). In allen Teilen Somalias kommt es regelmäßig zu Gewaltanwendung bei Protesten (HRW 14.1.2020). Die Regierung geht mit Sicherheitskräften gegen Demonstranten vor (AA 2.4.2020, S.11). Es kommt manchmal zu exzessiver Gewaltanwendung gegen Demonstranten durch regionale und föderale Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020, S.19). Immer wieder setzen Sicherheitskräfte dabei auch scharfe Munition ein (Sahan 16.2.2021a), so etwa die von der Türkei ausgebildete Spezialeinheit Gorgor gegen demonstrierende Zivilisten in Mogadischu im Feber 2021, als mehrere Menschen getötet wurden (AN 22.2.2021); oder zuvor am 15. und am 25.12.2020 bei Demonstrationen der Opposition (ein Todesopfer) (UNSC 17.2.2021, Absatz ,).

Aufgrund des meist informellen Charakters politischer Gruppen und der Schwäche von Gewerkschaften kann zur Vereinigungsfreiheit keine Aussage gemacht werden (AA 2.4.2020, S.11). Personen außerhalb der von al Shabaab kontrollierten Gebiete können Organisationen der Zivilgesellschaft ungehindert beitreten (USDOS 11.3.2020, S.20).

In von der al Shabaab kontrollierten Gebieten bestehen weder Versammlungs- noch Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020, S.19f; vergleiche AA 2.4.2020, S.11; BS 2020, S.14). Die meisten internationalen Organisationen dürfen dort nicht tätig werden (USDOS 11.3.2020, S.20). […]

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 30.03.2021

Die somalische Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam (AA 2.4.2020, S.13). Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt sozial inakzeptabel (USDOS 10.6.2020) […]

Gebiete unter Regierungskontrolle

Letzte Änderung: 30.03.2021

Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt (AA 2.4.2020, S.13; vergleiche BS 2020, S.9; USDOS 10.6.2020), alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion (USDOS 10.6.2020).

Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber durch die Scharia. Blasphemie und „Beleidigung des Islam“ sind Straftatbestände (USDOS 10.6.2020). Missionierung oder Werbung für andere Religionen ist laut Verfassung verboten (FH 4.3.2020a, D2). Andererseits bekennen sich die Verfassungen zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung (AA 2.4.2020, S.13). Auch ist dort das Recht auf Religionsfreiheit und ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion (FH 4.3.2020a, D2) sowie die freieNächster Suchbegriff Glaubensausübung festgeschrieben (USDOS 10.6.2020).

Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (AA 2.4.2020, S.13). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 10.6.2020, S.7). Insgesamt spielen Repressionen aufgrund der Religion in Somalia aber fast keine Rolle, da es außer den Entsandten – z. B. bei der UN – praktisch keine Nicht-Muslime im Land gibt (AA 2.4.2020, S.10). […]

Gebiete von al Shabaab

Letzte Änderung: 30.03.2021

Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene strenge Interpretation des Islam und der Scharia durch (FH 4.3.2020a, D2; vergleiche USDOS 10.6.2020, S.6). Dabei drangsaliert, verstümmelt oder tötet die Gruppe Personen, welche sie verdächtigt, zu einer anderen Religion konvertiert zu sein oder jene, die sich nicht an die Edikte von al Shabaab halten (USDOS 10.6.2020, S.1). Vertreter der Regierung und ihrer Verbündeten werden unter dem Vorwand getötet, sie seien Nicht-Muslime und Glaubensabtrünnige (USDOS 10.6.2020, S.6). Auf Apostasie steht die Todesstrafe (FH 4.3.2020a, D2).

Politik und Verwaltung von al Shabaab sind von religiösen Dogmen geprägt (BS 2020, S.9). Dort, wo al Shabaab die Kontrolle ausübt, wurde als von der Gruppe generell „un-islamisches Verhalten“, Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr verboten. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung (USDOS 10.6.2020, S.6). Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein (ICG 27.6.2019, S.7). […]

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung: 30.03.2021

Zu Clanschutz siehe auch Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen

Recht: Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 2.4.2020, S.10). Weder das traditionelle Recht (Xeer) (SEM 31.5.2017, S.42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S.42; vergleiche ÖB 3.2020, S.3). Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen (ÖB 3.2020, S.3). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020, S.21). Im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S.11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S.14).

Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhält (ÖB 3.2020, S.3; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.26f; FH 4.3.2020a, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 4.3.2020a, B4). Selbst die gegebene, formelle Vertretung ist jedoch nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen. Politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren (ÖB 3.2020, S.3).

Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 11.3.2020, S.36; vergleiche AA 2.4.2020, S.13; FH 4.3.2020a, F4). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 2.4.2020, S.13).

Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans (USDOS 11.3.2020, S.36). In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (FIS 7.8.2020, S.39).

Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt und zwangsrekrutiert (BS 2020, S.19). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, S.7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI 6.2019, S.11; vergleiche ÖB 3.2020, S.4). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist auch ein Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten (FIS 7.8.2020, S.21). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB 3.2020, S.4). […]

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung: 30.03.2021

In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA 2.4.2020, S.12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 11.3.2020, S.36). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, S.42; vergleiche SEM, 31.5.2017, S.12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 2.4.2020, S.12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S.5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seid dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2020, S.33). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

• Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

• Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

• Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

• Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

• Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S.10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S.9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S.38ff). Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Vorheriger SuchbegriffBerufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S.5). Die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation, welche immer wichtiger werden, kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensieren (BS 2020, S.25). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9). […]

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose

Letzte Änderung: 30.03.2021

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter DirClan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als „Gast“ ist schwächer als jene des „Gastgebers“. Im System von „hosts and guests“ sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als „Gäste“. Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, S.11f/32f).

Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS 11.3.2020, S.36). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung hinsichtlich der Clan-/Subclan-Zugehörigkeit auszugehen. Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung (z.B. bei staatlichen Vergabeverfahren) handeln, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA 2.4.2020, S.10), beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren handeln (USDOS 11.3.2020, S.36). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 2.4.2020, S.12). In Mogadischu ist es im allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).

Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, Sitzung S.46f/103). Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben (ACCORD 29.5.2019, S.2f). […]

Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen

Letzte Änderung: 30.03.2021

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

• Angehörige der AMISOM (USDOS 10.6.2020, S.1; vergleiche BS 2020, S.34, FIS 7.8.2020, S.8);

• nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (HRW 14.1.2020; vergleiche USDOS 10.6.2020, S.1, BS 2020, S.34);

• Angehörige der Sicherheitskräfte (USDOS 10.6.2020, S.1; vergleiche HRW 14.1.2020, BS 2020, S.14, FIS 7.8.2020, S.8);

• Regierungsangehörige, Parlamentarier und Offizielle (UNSC 1.11.2019, S.5; vergleiche USDOS 10.6.2020, S.1, BS 2020, S.34, FIS 7.8.2020, S.8); al Shabaab greift z.B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich die politische Elite trifft (BS 2020, S.14).

• mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 11.3.2020, S.12; vergleiche FIS 7.8.2020, S.8);

• Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 11.3.2020, S.12; vergleiche FIS 7.8.2020, S.8);

• Wirtschaftstreibende (FIS 7.8.2020, S.8; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.23f); diese werden unter gewissen Umständen zum Ziel. Dies hängt von ihrem Status ab, und von der Frage, ob sie von al Shabaab geforderte Schutzgeldabgaben entrichten. Verweigert ein Wirtschaftstreibender eine Schutzgeldzahlung, wird er und/oder sein Betrieb zum Angriffsziel (NLMBZ 3.2020, S.47; vergleiche BS 2020, S.7, HI 10.2020, S.4ff). Ein Risiko besteht auch für Unternehmer, die für die Regierung tätig sind (LIFOS 3.7.2019, S.24);

• Älteste und Gemeindeführer (USDOS 11.3.2020, S.12; vergleiche HRW 14.1.2020, FIS 7.8.2020, S.8);

• Wahldelegierte und deren Angehörige bzw. Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben (UNSC 1.11.2019, S.5; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.12, HRW 14.1.2020, BS 2020, S.21); dabei hat al Shabaab die Delegierten vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich (Mohamed 17.8.2019).

• Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 11.3.2020, S.12);

• prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten (USDOS 11.3.2020, S.12; vergleiche BS 2020, S.34);

• religiöse Führer (FIS 7.8.2020, S.8);

• Journalisten (BS 2020, S.34);

• mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 11.3.2020, S.3/12);

• Deserteure (FIS 7.8.2020, S.8);

• (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (AA 2.4.2020, S.13f); den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020).

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017, S.34; vergleiche HI 10.2020). Gemäß einer Studie richteten sich Angriffe von al Shabaab im Zeitraum 2006-2017 zu 36,6 % gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), zu 24,5 % Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter AMISOM) und zu 32,4 % gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (NLMBZ 3.2019, S.12).

Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 2.4.2020, S.17). Dort werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend 150 zur Ermordung freigegeben (AA 2.4.2020, S.10). Alleine im Juli 2019 wurden in Middle Juba zehn Personen wegen angeblicher Spionage exekutiert (USDOS 10.6.2020, S.6). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften bezichtigt werden (HRW 14.1.2020). Im März 2021 wurden z.B. fünf der Spionage verdächtige Personen in Buale (Middle Juba) exekutiert (Sahan 8.3.2021). Dabei ist die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, mitunter sehr niedrig angesetzt (BFA 8.2017, S.40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan 15.2.2021a). Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017, S.40ff).

Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein „Angebot“ der al Shabaab abzulehnen (BMLV 25.2.2021).

Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23). Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017, S.35f).

Insgesamt muss hinzugefügt werden, dass al Shabaab nicht für alle an den o.g. Personengruppen begangenen Morde die Verantwortung übernimmt (HRW 14.1.2020). Es muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde politisch motiviert oder einfach Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIFOS 3.7.2019, S.26). Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (NLMBZ 3.2020, S.17; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.25; FIS 7.8.2020, S.24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25; vergleiche FIS 7.8.2020, S.24). So greift al Shabaab etwa Cafés, Restaurants oder Hotels an, die von Behördenvertretern, Politikern oder Sicherheitskräften frequentiert werden. Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind (FIS 7.8.2020, S.25).

Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind – vor allem prominente – Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA 8.2017, S.36). Nach Angaben eines Journalisten wiederum kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (AI 13.2.2020, A.36).

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017, S.47f).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland [siehe dazu Kapitel Sicherheitslage] (JF 14.1.2020). Die Hauptziele des IS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, S.35). […]

Bewegungsfreiheit und Relokation

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 11.3.2020, S.20) – v.a. durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 3.2020, S.9f).

Überlandreisen: Reisende sind durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren, an welchen Wegzoll erpresst wird, einer Gefahr ausgesetzt (FH 4.3.2020a, G1; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.20). Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen (LI 28.6.2019, S.8). Generell werden Überlandreisen als riskant und teuer erachtet. Die Hauptstraßen Süd-/Zentralsomalias werden nur teilweise von AMISOM und der Armee kontrolliert, weswegen AMISOM und die Armee aufgrund des Risikos Truppen und Versorgungsgüter oft auf dem Luftweg transportieren (NLMBZ 3.2020, S.33). Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift Zivilisten an, welche die Blockade durchbrochen haben (HRW 13.1.2021).

Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen (LI 28.6.2019, S.4/9). Nach anderen Angaben sind die Möglichkeiten für Überlandreisen von Mogadischu in Richtung Baidoa, Kismayo oder Belet Weyne stark eingeschränkt. Weniger weit entfernte Ziele – etwa Afgooye – sind demnach aber auf der Straße erreichbar. Allerdings finden sich auch an dieser Route Straßensperren unterschiedlicher Akteure. An der Straße nach Merka verwendet al Shabaab mobile Kontrollen. Generell werden Überlandreisen in Süd-/Zentralsomalia als nicht wirklich sicher erachtet. Al Shabaab ist in der Lage, alle Straßen, die nach Mogadischu führen, zu kontrollieren. Auch andere Akteure können Reisenden unterschiedlichste Probleme verursachen. Daher gibt es auch nur wenig Verkehr (FIS 7.8.2020, S.27f).

Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren (LI 28.6.2019, S.4/9). Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden (LI 28.6.2019, S.7).

Die Straße zwischen Mogadischu und Jowhar wird fallweise blockiert. Anfang 2021 konnten dort LKW über fast zwei Wochen nicht verkehren (Sahan 1.3.2021b). Die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne ist grundsätzlich für den Personenverkehr und Warentransport geöffnet. Die Straße unterliegt allerdings noch immer einer erheblichen Bedrohung durch al Shabaab, wenn auch die Frequenz der Überfälle entlang dieser Verbindungslinie merklich abgenommen hat (BMLV 2.3.2021). Allerdings beklagten sich Bewohner im März 2021, dass Buulo Barde von al Shabaab abgeriegelt worden ist (Sahan 2.3.2021b). Der Verkehr entlang der Route Belet Weyne - Garoowe ist von al Shabaab unbeeinträchtigt (BMLV 2.3.2021). Nur punktuell konnte al Shabaab in Galmudug an die Hauptverbindungsroute vordringen (PGN 2.2021, S.12). An den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba kann es zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen (BMLV 2.3.2021). Allerdings hat al Shabaab offenbar mehrere Straßen in der Region unter Blockade gesetzt (Sahan 10.3.2021b). In Bakool befinden sich die Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde einigermaßen unter Kontrolle. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab (BMLV 2.3.2021), Xudur ist von al Shabaab eingekreist (PGN 2.2021, S.12). In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (BMLV 2.3.2021).

In Hiiraan kommt es an der Straße von Belet Weyne in Richtung Dhusamareb mitunter zu Clanauseinandersetzungen (RE 18.2.2021).

Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll (LI 28.6.2019, S.8), wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen (LI 28.6.2019, S.8; vergleiche FH 4.3.2020a, G1; USDOS 11.3.2020, S.20).

In Mogadischu gibt es mehrere hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt (FIS 7.8.2020, S.21ff). Zeitweise sperren Sicherheitskräfte ganze Straßenzüge, wodurch die Bewegungsfreiheit für Menschen und Waren erheblich behindert wird (HIPS 2020, S.2). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020, S.39).

Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken – v.a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt (LI 28.6.2019, S.11f). Bezüglich dieser besteht für Frauen an Straßensperren ein erhöhtes Risiko (FIS 7.8.2020, S.23).

Straßensperren von al Shabaab: Al Shabaab kontrolliert Versorgungsrouten zwischen Städten (BS 2020, S.6). Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen (LI 28.6.23019, S.4/10). Doch auch an anderen wichtigen Straßenverbindungen betreibt al Shabaab Checkpoints (NLMBZ 3.2020, S.33).

Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern ab und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen (LI 28.6.2019, S.9f). Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient (FIS 7.8.2020, S.28).

Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die tatsächlich Verbindungen zur Regierung haben, oder aber die diesbezüglich verdächtigt werden (LI 28.6.2019, S.9f; vergleiche FIS 7.8.2020, S.28). Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden (LI 28.6.2019, S.9f). Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt (LI 28.6.2019, S.4/11).

Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen (LI 28.6.2019, S.11). Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LI 28.6.2019, S.4).

Ausweichmöglichkeiten und Binnenmigration: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung (ÖB 3.2020, S.12). Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen bedroht (AA 2.4.2020, S.17).

Jedenfalls herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit (AA 2.4.2020, S.17). Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 3.2020, S.12). Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z.B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten (FIS 7.8.2020, S.36). Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016, S.9). Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen (FIS 7.8.2020, S.39). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen (z.B. Checkpoints), die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr nicht passierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen (BMLV 2.3.2021).

Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v.a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben (FIS 7.8.2020, S.36).

Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen (FIS 7.8.2020, S.29; vergleiche LI 28.6.2019, S.6f). Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Hargeysa, Dhobley und Doolow mit Linienflügen erreicht werden (FIS 7.8.2020, S.29). Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US Dollar (FIS 7.8.2020, S.29; vergleiche LI 28.6.2019, S.6f).

Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 2.4.2020, S.24). […]

Meldewesen und Staatsbürgerschaft

Letzte Änderung: 30.03.2021

Es gibt in Somalia kein Personenstandsverzeichnis (LIFOS 9.4.2019, S.7). Die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt oft nur durch den Ältestenrat eines Dorfes oder durch Verwandte bzw. Bekannte (ÖB 3.2020, S.4). Auch an somalischen Botschaften wird die Identität – etwa bei Beantragung eines Reisepasses – über Angaben zu Sprachkenntnis, ethnische und Clanzugehörigkeit verifiziert (NLMBZ 3.2020, S.35). Generell kommt es bei der Registrierung – etwa im Rahmen der Ausstellung von Dokumenten – zu Korruption (BS 2020, S.17).

Die meisten nach 1991 in Somalia geborenen Personen wurden nie offiziell registriert (ÖB 3.2020, S.4), und auch jetzt werden Geburten in Puntland und Süd- und Zentralsomalia behördlich nicht registriert (USDOS 11.3.2020, S.33). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige in Süd- und Zentralsomalia und Puntland zu erhalten. Zustellungen sind nicht möglich (AA 2.4.2020, S.24).

Die Übergangsverfassung sieht vor, dass es hinsichtlich der Definition wie jemand an die somalische Staatsbürgerschaft gelangt, wie er diese aussetzt oder verliert, ein Gesetz geben soll. Allerdings wurde ein solches Gesetz noch nicht geschaffen (USDOS 11.3.2020, S.33; vergleiche ÖB 3.2020, S.5). Die somalische Staatsbürgerschaft wird prinzipiell mit der Geburt erlangt, wenn der Vater Somali ist (LIFOS 9.4.2019, S.11). Es gilt also weiterhin, dass jeder Abkomme eines männlichen Somali somalischer Staatsbürger ist. Kinder somalischer Mütter können die Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren erhalten (USDOS 11.3.2020, S.33). Als Somali wird hier definiert, wer durch Herkunft, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört (BS 2020, S.9). Somalische Behörden betrachten demnach auch Somali, die eigentlich kenianische oder äthiopische Staatsbürger sind, als somalische Staatsbürger. Ein großer Teil der Parlamentsabgeordneten sind Doppelstaatsbürger (LIFOS 9.4.2019, S.10f) – Doppelstaatsbürgerschaften werden also de facto akzeptiert. Während die provisorische Verfassung aus dem Jahr 2012 diese Auffassung unterstützt, sprechen nach wie vor bestehende Gesetze dagegen (LIFOS 9.4.2019, S.10f; vergleiche NLMBZ 3.2020, S.36).

Somalia erachtet natürlich auch alle in Somaliland lebenden Somali als somalische Staatsbürger, während Somaliland sie als somaliländische Staatsbürger erachtet (LIFOS 9.4.2019, S.11f) […]

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (USDOS 11.3.2020, S.22).

IDP-Zahlen: Schon vor dem Jahr 2016 gab es – v.a. in Süd-/Zentralsomalia – mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, S.5). Die Zahl an IDPs beträgt ca. 2,6 Millionen. Alleine 630.000 waren (Stand September 2020) durch Überflutungen vertrieben worden (UNSC 13.11.2020, Absatz ,). Die meisten Menschen (69%) flohen im Zeitraum Juli-Dezember 2020 aufgrund von Überflutungen, weitere 14% wegen eines Mangels an Lebensgrundlage. Nur 14% flohen wegen Unsicherheit oder Konflikten (IPC 3.2021, S.3).

Es gibt ca. 2.300 IDP-Lager und -Siedlungen (UNSC 13.11.2020, Absatz ,), nach anderen Angaben sogar knapp 3.000 (UNOCHA 1.2021, S.4). Alleine aus Baidoa werden 483 IDP-Ansiedlungen berichtet (UNOCHA 31.3.2020, S.3). Insgesamt ist aber die Anzahl an Personen, die im Jahr 2019 vertrieben wurden, im Vergleich zu den Vorjahren zurückgegangen (USDOS 11.3.2020, S.21).

Rechtswidrige Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem (AA 2.4.2020, S.21). Zwischen Jänner und August 2020 wurden dadurch mehr als 100.000 Menschen vertrieben (UNSC 13.11.2020, Absatz ,), in den ersten zehn Monaten 2019 waren es 220.000 (AA 2.4.2020, S.21). Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen (FIS 7.8.2020, S.37). Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke von Mogadischu, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt, und sie unter äußerst schlechten Bedingungen leben (AA 2.4.2020, S.21).

Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt (IOM 25.6.2019; vergleiche RD 27.6.2019). Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt (IOM 25.6.2019. Auch die UN versuchen, Land für IDPs zu pachten (UNSC 13.11.2020, Absatz ,).

Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen (UNOCHA 6.2.2020, S.4; vergleiche RI 12.2019, S.11f). Ebenso wurde auf Bundesebene ein Büro für nachhaltige Lösungen geschaffen (USDOS 11.3.2020, S.23). Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen (RI 12.2019, S.4).

Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung (AA 2.4.2020, S.21); es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt (HRW 14.1.2020). Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen (FIS 7.8.2020, S.36). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 11.3.2020, S.22; vergleiche HRW 14.1.2020). 2018 betrafen 80 % der gemeldeten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (AA 2.4.2020, S.15). Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten (HRW 14.1.2020). Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (FIS 7.8.2020, S.36).

Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten (FIS 7.8.2020, S.36). Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland (UNOCHA 1.2021, S.5). Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt (RI 12.2019, S.9). Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften (ÖB 3.2020, S.12). Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (FIS 7.8.2020. S.36).

Unterstützung: Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt [siehe dazu Kapitel Rückkehrspezifische Grundversorgung] (EC o.D.). Damit wurde unter anderem für 7.000 Familien aus 54 IDP-Lagern in Baidoa Land beschafft, welches diesen permanent als Eigentum erhalten bleibt, und auf welchem sie siedeln können. Insgesamt hat die EU mit ähnlichen Programmen bisher 60.000 Menschen helfen können (EC 13.7.2019). Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen (RI 12.2019, S.18f). Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (RI 12.2019, S.9). UNSOM hat mit der somalischen Regierung ein Drei-Jahres-Programm begonnen, das ausschließlich auf IDPs abzielt. Mit diesem Programm namens Saameynta sollen für IDPs in Baidoa, Bossaso und Belet Weyne dauerhafte Lösungen gefunden und geschaffen werden. 100.000 IDPs sollen ordentlich angesiedelt und mit sozialen Diensten und Arbeitsmöglichkeiten versehen werden (UNSOM 31.1.2021). Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund (IOM 9.3.2021a).

Die Situation von IDPs in Puntland wird von NGOs als durchaus positiv beschrieben, sie können z. B. geregelter Tätigkeit nachgehen (ÖB 3.2020, S.12). Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen, wie die ursprünglichen Einwohner (LIFOS 9.4.2019, S.9).

Flüchtlinge: Somalia ist ein äußerst unattraktives Zufluchtsland für Asylsuchende. Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt und beschränkte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen auf ethnische Somali aus dem äthiopischen Somali Regional State. Seit Beginn des Konflikts im Jemen sind auch von dort Flüchtlinge nach Somalia gekommen (AA 2.4.2020, S.21). Im September 2020 befanden sich rund 23.000 registrierte Asylwerber und Flüchtlinge in Somalia, mehr als die Hälfte davon in Somaliland. Diese stammen nahezu zur Gänze aus Äthiopien und dem Jemen (UNHCR 25.10.2020b). Asylwerbern aus dem Jemen wird prima facie der Asylstatus zuerkannt (USDOS 11.3.2020, S.23). Der UNHCR betreibt ein Unter164 stützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (AA 2.4.2020, S.21). […]

Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Rückkehrspezifische Grundversorgung

Letzte Änderung: 30.03.2021

Einkommen: Rund die Hälfte der vom UNHCR seit 2014 bei ihrer Rückkehr nach Somalia unterstützten Haushalte geben an, nicht über genügend Einkommen zu verfügen. Für 24% stellt humanitäre Hilfe das Haupteinkommen dar. 48% sind von Einkommen aus Taglöhnerarbeit oder Kleinhandel abhängig, 15% betätigen sich als Landwirte. Insgesamt leben von diesen Rückkehrern nur 19% in IDP-Lagern (UNHCR 12.2019). Nach anderen Angaben ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (ÖB 3.2020, S.14). Arbeitslose Rückkehrer im REINTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30% der REINTEG-Rückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden (IOM 3.12.2020). Dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit für viele Rückkehrer im REINTEG-Programm ein Hauptthema. Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v.a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (IOM 9.3.2021b).

Unterstützung/Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S.5/31f). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clanoder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB 3.2020, S.14). Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020, S.39). Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (SIDRA 6.2019a, S.5).

Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen (LIFOS 3.7.2019, S.63) und Kenia gibt es seitens des UNHCR finanzielle Unterstützung. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNHCR 30.9.2018, S.6; vergleiche LIFOS 3.7.2019, S.63), die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können (LIFOS 3.7.2019, S.63). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 2.4.2020, S.22). IOM hat über die von der EU finanzierte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration seit März 2017 knapp 6.500 Rückkehrer bei der freiwilligen Rückkehr nach Somalia unterstützt. Fast 12.000 Rückkehrer erhielten Unterstützung nach ihrer Ankunft in Somalia (IOM 8.3.2021).

Rückkehrprogramme: In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network) wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019). Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleitete Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft (sieben Tage); medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen (IRARA o.D.a).

Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern – je nach Bedarf – medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit, die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia (IOM 3.12.2020). Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen (IOM 9.3.2021b). Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (IOM 3.12.2020).

Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG Programm als problematisch beschrieben (IOM 3.12.2020). Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen (BS 2020, S.25). In den „besseren“ Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt – z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen – kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25m² 50-100 US-Dollar pro Monat. Am Stadtrand – z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt – sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft (FIS 7.8.2020, S.31). Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (LIFOS 3.7.2019, S.63; vergleiche AA 2.4.2020, S.22, USDOS 11.3.2020, S.22). Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (AA 2.4.2020, S.22f). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020, S.32).

Frauen und Minderheiten: Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen (FIS 5.10.2018, S.23). Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein (LIFOS 19.6.2019, S.8). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB 3.2020, S.11). […]

Wirtschaft, Arbeit

Letzte Änderung: 30.03.2021

Hauptfaktoren der Wirtschaft und des BIP sind Viehzucht und Dienstleistungen (BS 2020, S.30). Der informelle Sektor ist der Hauptpfeiler der Wirtschaft (FH 4.3.2020b, G4). Das jährliche Budget Somalilands ist in den letzten Jahren stark gewachsen. 2015 betrug es lediglich 156 Millionen US-Dollar, für 2021 sind bereits 339 Millionen budgetiert. 35% davon fließen in Sicherheit und Verteidigung, 9% in die Bildung und 5% ins Gesundheitswesen. Dabei hat Somaliland kaum – und nur inländische – Schulden, der Anteil der Schuldentilgung liegt im Budget bei nur rund 3%. Das BIP/Kopf betrug 2020 566 US-Dollar, der Großteil des BIP entstammt der Viehzucht (30 %), dem Handel (24 %), Remissen (22 %) und der Landwirtschaft (8 %) (HD 14.1.2021). Der somaliländische Shilling ist verhältnismäßig stabil (BS 2020, S.27). Die zahlreichen Rückkehrer aus der Diaspora sind aufgrund ihrer Finanzkraft und ihres Wissens für die Wirtschaft von enormer Bedeutung (Spiegel 1.3.2021).

Gemäß verfügbaren Statistiken beträgt die (formelle) Jugendarbeitslosigkeit in Somaliland mindestens 60% (ÖB 3.2020, S.19). Nach anderen Angaben beträgt die Arbeitslosigkeit insgesamt 47,4 % (RMMS 7.2016). Generell scheinen zu den Schätzungen unterschiedliche Berechnungsmethoden herangezogen zu werden.

Eine Studie der UN-Agentur UNFPA aus dem Jahr 2016 nennt folgende Zahlen, wonach zwar nur 29,9 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeitet, jedoch auch nur 13,8 % als Arbeitssuchende gelten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: Jene die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen produziert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit sind, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, S.29): […]

In der gleichen Studie wurde der Status bzgl. Arbeit auch auf Geschlechter heruntergebrochen. Folglich sind in Somaliland 17,4% der Männer und 10% der Frauen im Alter von 15-64 Jahren auf der Arbeitssuche, wohingegen 35,2% der Männer und 22,2% der Frauen einer Arbeit nachgehen (UNFPA 2016, S.31): […]

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (63 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (15,2 %) (UNFPA 2016, S.36): […]

Trotzdem gehört die Suche nach Arbeitsmöglichkeiten zu den Hauptgründen für Migration (ÖB 3.2020, S.19). Clanverbindungen spielen bei der Arbeitssuche eine kritische Rolle (FH 4.3.2020b, F4). Frauen tragen mittlerweile in 48 % der Haushalte den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (OXFAM 6.2018, S.10). In den städtischen Gebieten hat die beschleunigte Land-Stadt Migration zur Herausbildung peripherer Stadtgemeinden geführt, die von sozialen Dienstleistungen, dem formellen Arbeitsmarkt und politischer Mitsprache abgeschnitten sind (ÖB 3.2020, S.19).

Der Ausbildungssektor in Somaliland hat sich ständig verbessert. Meist arbeiten hier staatliche Organe, lokale Gemeinden und externe Geber – darunter die Diaspora – zusammen. Private Bildungsanbieter boomen, und es gibt mehrere Universitäten und Colleges (BS 2020, S.32).

Die Organisation Shaqadoon betreibt ein Programm, um Jugendliche auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie bietet technische und handwerkliche Ausbildung und hat schon 900 Jugendliche in Borama, Hargeysa, Burco und Berbera ausgebildet. Nach Angaben von Shaqadoon gibt es in Somaliland zwar Arbeitsplätze, doch haben viele Einheimische nicht die erforderlichen Fähigkeiten. Deswegen werden dafür oft ausländische Arbeitskräfte herangezogen (AMISOM 6.3.2019). Auch OXFAM betreibt u. a. in Zusammenarbeit mit Shaqadoon und deren Hargabits Academy ein Programm, um der Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Das Programm bietet auf dem Arbeitsmarkt gesuchte Ausbildung (z.B. digitale und IT-Bildung) und eine bessere Vermittlung zu Arbeitsplätzen – speziell auch für marginalisierte Jugendliche (OXFAM o.D.a). Ein anderes, u.a. von der EU finanziertes, Projekt wird vom Africa Educational Trust geleitet. Mit diesem Programm erhalten 400 junge Menschen grundsätzliche (Alphabetisierung) und weitergehende (handwerkliche, unternehmerische) Ausbildung. Mindestens 250 jungen Menschen wird der Zugang zu Mikrokrediten ermöglicht, um sich eine Lebensgrundlage zu schaffen (AET 2020). Der Norwegian Refugee Counci (NRC) bietet ein ähnliches Programm (NRC 23.12.2020). […]

Grundversorgung (es ist auch der Teil zu Somalia zu berücksichtigen)

Letzte Änderung: 30.03.2021

Die Regierung ist in der Lage, grundlegende Dienste bereitzustellen. Gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich wurden hier signifikante Verbesserungen erreicht (BS 2020, S.11). Allerdings herrscht im Land noch immer ein hohes Maß an Armut (BS 2020, S.33). Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem. Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz bilden die erweiterte Familie und der Clan. Auch Remissen aus dem Ausland tragen zu diesem Netz bei (BS 2020, S.29). Viele Haushalte sind darauf angewiesen (FH 4.3.2020, G4).

In vielen Teilen Somalilands gibt es nach wie vor Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und Armut. In ländlichen Gebieten lebt mehr als eine von drei Personen in Armut, in urbanen Gebieten ist es mehr als eine von vier (HD 14.1.2021). Überdurchschnittlich viele der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten (76 %) oder aber auch in institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 54% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn. Generell sind gesellschaftlicher Zusammenhalt und soziale Netze in Somaliland besser als in anderen Landesteilen (OXFAM 6.2018, S.11f). Wenn Verwandten aber die Ressourcen zur Hilfe ausgehen, führt der Weg oft ins IDP-Lager (TG 8.7.2019).

In Somaliland ist es den Menschen aufgrund der besseren Sicherheitslage und der grundsätzlich besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Interventionen im Krisenfalle rascher möglich, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten (AA 2.4.2020, S.22). Allerdings hat das Land in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren Dürre durchlebt. Vielen Menschen ist dadurch ihr Lebensunterhalt verloren gegangen. Auch früher hat es Dürren gegeben, aber nicht in dieser Frequenz (DEVEX 9.7.2019; vergleiche TG 8.7.2019). Rund 725.000 Menschen sind akut von einer Unsicherheit in der Nahrungsmittelversorgung betroffen (ÖB 3.2020, S.19). Aus Bari, Nugaal und Sanaag kommen Anfang 2021 Meldungen über Wassermangel; auch die Region Togdheer ist von der Krise betroffen (UNOCHA 27.1.2021, S.1). Die National Disaster Agency (NADFOR) hat bestätigt, dass eine schwere Dürre Teile von Maroodi-Jeex, Togdheer, Sool und Sanaag getroffen hat. Anfangs wurde durch die Regierung Nahrung verteilt, doch war dies zu wenig, um die betroffenen ca. 55.000 Familien zu versorgen (SLS 7.3.2021).

Bereits seit der Hungersnot 2011 versuchen internationale Organisationen, eine Resilienz gegenüber den Klimabedingungen in der Region aufzubauen. Allerdings führen akute Notlagen immer wieder zu einer Umplanung der Ressourcen, damit nötige Soforthilfe bereitgestellt werden kann (ÖB 3.2020, S.19). Der Konflikt in den umstrittenen Gebieten von Sool und Sanaag schränkt den Zugang für humanitäre Organisationen ein (USDOS 11.3.2020, S.14). Dahingegen kommt es zu keinen Problemen durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019, S.38).

Aufgrund der vergleichsweise guten Sicherheitslage, verzeichnen die UN in Somaliland weniger Zwischenfälle im Zusammenhang mit humanitärem Zugang als anderswo im Land (ÖB 3.2020, S.19). Alleine die UN führt für die somaliländischen Regionen folgende Zahlen an aktiven Partnern an: Awdal: 29; Woqooyi Galbeed: 42; Togdheer: 34; Sool: 36; Sanaag: 32 (UNOCHA 11.2020). […]

Medizinische Versorgung

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 2.4.2020, S.22). Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete (HIPS 5.2020, S.38). Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können (HIPS 5.2020, S.38; vergleiche AA 3.12.2020). Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten (HIPS 5.2020, S.38).

Folglich zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt (ÖB 3.2020, S.15). Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 54,4 Jahre für Männer und 57 Jahre für Frauen (HIPS 5.2020, S.18; vergleiche AA 2.4.2020, S.22). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 2.4.2020, S.22); daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44) (HIPS 5.2020, S.24). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit (AA 2.4.2020, S.22). Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag (Äthiopien: 17). Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit (ÖB 3.2020, S.15; vergleiche HIPS 5.2020, S.21ff). Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44% bzw. 38% der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut (ÖB 3.2020, S.15). Al Shabaab hat die medizinische Versorgung eingeschränkt – etwa durch die Behinderung zivilen Verkehrs, die Vernichtung von Medikamenten und die Schließung von Kliniken (USDOS 11.3.2020, S.14).

Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (HIPS 5.2020, S.42). Insgesamt kommen auf 100.000 Einwohner nur zwei im medizinischen Bereich ausgebildete Personen (Standard weltweit: 25 pro 100.000) (UNOCHA 31.3.2020, S.2). Nach anderen Angaben sind es pro 100.000 Einwohnern fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25 (HIPS 5.2020, S.27/44ff).

In Benadir gibt es 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81. In anderen Bundesstaaten stehen folgende Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung (HIPS 5.2020, S.39ff): […]

Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia 11 öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es 4 öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren (FIS 7.8.2020, S.31). Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen (HIPS 5.2020, S.39). In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden (FIS 5.10.2018, S.36). Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (HIPS 5.2020, S.39). Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo (SRCS 2020, S.8). Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kismayo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt (ICRC 7.2020). Das Rote Kreuz unterstützt die Somali Red Crescent Society beim Betrieb von 29 Erstversorgungseinrichtungen (20 feste und 9 mobile Kliniken). Auch vier Spitäler mit insgesamt 410 Betten in Mogadischu (Keysaney, Medina), Baidoa und Kismayo werden unterstützt (ICRC 13.9.2019).

Allerdings sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet (AA 2.4.2020, S.22; vergleiche FIS 7.8.2020, S.31f), was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht (AA 2.4.2020, S.22). Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter (FIS 5.10.2018, S.36). Zudem bietet die Mehrheit der Krankenhäuser nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung (HIPS 5.2020, S.38). Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt (FIS 5.10.2018, S.35). Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (FIS 7.8.2020, S.31).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen (FIS 5.10.2018, S.35f). Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt (MoH/DIS 27.8.2020, S.73). Generell gilt, wenn z.B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen (FIS 7.8.2020, S.31/37). Es gibt keine Krankenversicherung (MoH/DIS 27.8.2020, S.73).

Aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten musste die SRCS ihre mobilen und stationären Kliniken von 129 auf 72 reduzieren (57 stationäre und 15 mobile). Als Ziel wird die Abdeckung des Bedarfs von rund 1,6 Millionen Menschen angegeben. Im Jahr 2019 konnten mehr als 850.000 Patienten behandelt werden. Davon waren 45% Kinder und 40% Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (26%), Durchfallerkrankungen (9,2%), Anämie (13%), Hautkrankheiten (5,2%), Harnwegsinfektionen (11,6%) und Augeninfektionen (4,4%) (SRCS 2020, S.9f). Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen örtlicher (islamistischer) Machthaber unterbrochen werden (AA 2.4.2020, S.22).

Psychiatrie: Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt (WHO Rizwan 8.10.2020): […]

An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Dabei gibt es eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (WHO Rizwan 8.10.2020). Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30% der Bevölkerung betroffen (FIS 5.10.2018, S.34; vergleiche ÖB 3.2020, S.16), die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert (HIPS 5.2020, S.26). Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weit verbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen – etwa in Garoowe (WHO Rizwan 8.10.2020).

Verfügbarkeit:

• Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.84). Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes (HIPS 5.2020, S.26).

• Dialyse: In Mogadischu ist Dialyse nicht möglich (FIS 7.8.2020, S.31); nach anderen Angaben steht Dialyse in Städten zur Verfügung, nicht aber auf Bezirksebene (MoH/DIS 27.8.2020, S.74). Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar (DIS 11.2020, App. F, S.16).

• HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung (MoH/DIS 27.8.2020, S.74). Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.83).

• Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten (MoH/DIS 27.8.2020, S.74). Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.83). 202

• Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische Rehabilitationszentren samt Physiotherapie (SRCS 2020, S.8). An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert (SRCS 2020, S.20ff).

• Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (WHO Rizwan 8.10.2020). Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.84).

• Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.84).

• Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten (UNFPA/DIS 25.6.2020, S.84). Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8% der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf (HIPS 5.2020, S.25).

Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar (FIS 5.10.2018, S.37; vergleiche FIS 7.8.2020, S.31), darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen (FIS 5.10.2018, S.37). Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderen medizinischen Verbrauchsmaterialien (AA 3.12.2020). Die oben erwähnten, vom Roten Kreuz unterstützten Spitäler erhalten Medikamente vom Roten Kreuz (ICRC 13.9.2019).

Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten (DIS 11.2020, S.73). Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Für Apotheken gibt es keinerlei Aufsicht (FIS 5.10.2018, S.37). Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen (ÖB 3.2020, S.16). […]

Rückkehr

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Rückkehr international: Die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia ist eine Tatsache (ÖB 3.2020, S.13). Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd- und Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017, S.55). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017). Repräsentanten der somalischen Gemeinde in London geben an, dass hunderte ihrer Kinder nach Somalia, Somaliland und Kenia ausgeflogen wurden. Grund dafür ist die wachsende Sorge der Eltern vor Drogenbanden und Gewalt in England (TG 9.3.2019).

Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Belgien führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. Schweden unterstützt freiwillige Rückkehrer. Schweden kann in Ausnahmefällen verurteilte Straftäter nach Puntland zurückführen. Aus den USA wurden seit 2018 über 200 Somali nach Mogadischu abgeschoben. 2018 hat auch die Schweiz erstmals nach Mogadischu abgeschoben. Die Niederlande haben derzeit ihre Rückführungen nach Somalia ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.23f). Im November 2019 wurde Somalia in das ERRIN-Programm für freiwillige Rückkehr aufgenommen. Daran partizipiert auch Österreich (BMI 8.11.2019).

Rückkehr regional: Bis November 2019 sind insgesamt 91.232 Somalis über AVR-Programme (zur unterstützten freiwilligen Rückkehr) des UNHCR zurückgeführt worden, mehrheitlich aus Kenia, aber auch aus Dschibuti, Libyen und dem Jemen (UNHCR 30.11.2019). Aus dem Jemen sind dort als Flüchtlinge anerkannte Somali zurückgekehrt (USDOS 11.3.2020, S.22). Mehr als 75 % der Rückkehrer aus dem Jemen gehen nach Mogadischu (UNHCR 30.6.2019a). Immer mehr somalische Flüchtlinge im Jemen wenden sich an den UNHCR, um Unterstützung für ihre Rückkehr zu erhalten. Knapp 5.000 von ihnen wurden bis November 2019 nach Somalia zurückgebracht (UNHCR 30.11.2019). Insgesamt kamen aus dem Jemen schon rund 45.000 Personen zurück (ÖB 3.2020, S.13). Im Feber 2021 landete ein Boot mit 164 jemenitischen und somalischen Familien in Bossaso, die Menschen wurden dort in einem Flüchtlingszentrum registriert (Sahan 25.2.2021b).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR (AA 2.4.2020, S.22; vergleiche NLMBZ 3.2019, S.54). Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 84.820 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 2.4.2020, S.22). Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie ca. 8 % aller seit 2014 bei der Rückkehr nach Somalia vom UNHCR unterstützten Haushalte zu ihrer Situation befragt. Davon befanden sich 57 % in Lower Juba (Kismayo), 24 % in Benadir/Mogadischu, 8 % in Bay (Baidoa) und 11 % in anderen Gebieten Somalias. 93 % der Rückkehrer sind demnach mit ihrer Entscheidung zur Rückkehr zufrieden; 95 % gaben an, sich sicher zu fühlen (UNHCR 12.2019).

Die Remigration von Kenia nach Somalia erfolgt hauptsächlich über Land, wobei die Fahrt bis an die Grenze organisiert wird, und die Rückkehrer dann innerhalb Somalias den Transport selbst arrangieren (NLMBZ 3.2019, S.54). Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen (FIS 7.8.2020, S.28). Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikt immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung (USDOS 11.3.2020, S.22).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Über dieses Programm sind bislang 775 Rückkehrer bei Rückkehr und Reintegration unterstützt worden (AA 2.4.2020, S.22).

Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird (AA 2.4.2020, S.23). Am Flughafen kann es zu einer Befragung von Rückkehrern kommen (NLMBZ 3.2019, S.52). Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer (AA 2.4.2020, S.23).

Es sind keine Fälle bekannt, wo somalische Behörden Rückkehrer misshandelt haben (NLMBZ 3.2019, S.52). Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 2.4.2020, S.23).

Erreichbarkeit: Einen internationalen Standards entsprechenden, regelmäßigen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es mit Turkish Airlines aus Istanbul, Ethiopian Airlines aus Addis Abeba, Kenyan Airways aus Nairobi und Qatar Airways aus Doha. Darüber hinaus fliegen nur regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger werden die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgt meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmert (AA 2.4.2020, S.24). […]

Dokumente

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3% (ÖB 3.2020). Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose“ Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit (LIFOS 9.4.2019, S.13). Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere (ÖB 3.2020, S.4). Üblicherweise verfügen nur jene Somali über Dokumente, die vorhaben, ins Ausland zu reisen (LIFOS 9.4.2019, S.13).

Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt (LIFOS 9.4.2019, S.15f). Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person (ÖB 3.2020, S.4; vergleiche LI 14.6.2018, S.17) und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten (ÖB 3.2020, S.4; vergleiche LI 14.6.2018, S.17; LIFOS 9.4.2019, S.15f). Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird (LIFOS 9.4.2019, S.15f). Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt – neben Verwandten – oft durch Älteste eines Dorfes (ÖB 3.2020, S.4).

Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden (LIFOS 9.4.2019, S.34ff). Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten (AA 2.4.2020, S.24).

Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente (fast jeden) unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z.B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten (AA 2.4.2020, S.24). Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen (ÖB 3.2020, S.4). Für ethnische Somali aus den Nachbarländern scheint es kein Problem zu sein, an echte somalische Dokumente zu gelangen. Sowohl in Kenia als auch in Äthiopien sind zahlreiche eigene Staatsbürger somalischer Ethnie als aus Somalia stammende Flüchtlinge registriert (BFA 3./4.2017). Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt von Dokumenten kann von österreichischen Vertretungsbehörden keinesfalls überprüft werden (ÖB 3.2020, S.4).

Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten (ÖB 3.2020, S.9). Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis (FIS 7.8.2020, S.45). Pässe können außerhalb Somalias auch an 27 somalischen Botschaften beantragt werden (NLMBZ 3.2019, S.29ff). Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben (ÖB 3.2020, S.5; vergleiche BS 2020, S.17). Aufgrund von weit verbreitetem Passbetrug erkennen viele Staaten den somalischen Reisepass nicht als gültiges Reisedokument an (ÖB 3.2020, S.9; vergleiche USDOS 11.3.2020, S.21).

Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig (FIS 7.8.2020, S.45; vergleiche NLMBZ 3.2019, S.29ff). Letztere kann ebenfalls an der Botschaft beantragt werden (NLMBZ 3.2019, S.29ff). Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist aber entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar (LIFOS 9.4.2019, S.34f). Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden (FIS 7.8.2020, S.45). Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen (BFA 3./4.2017).

In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten (LIFOS 9.4.2019, S.17).

Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die Scharia-Gerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht (ÖB 3.2020, S.9). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, S.7). […]“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Identität des BF, zur Staatsangehörigkeit, zum Gesundheitszustand sowie zu seinen Familienverhältnissen gründen auf den Angaben seiner gesetzlichen Vertreterin im behördlichen Verfahren, den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid – die nicht bestritten wurden – im Zusammenhalt mit der vorgelegten Geburtsurkunde und seines Meldezettels.

Die Feststellungen zum gegenständlichen Verfahren ergeben sich – ebenso wie die Feststellungen zu den Verfahren der Eltern des BF – aus dem vorliegenden Verfahrensakt, einer Einsicht in die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts (betreffend die Eltern des BF) unter Berücksichtigung von Kopien ihrer Fremdenpässe sowie aus zwei Anfragen aus dem Zentralen Fremdenregister.

2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des BF:

Zur Feststellung, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat keine gezielte konkrete Verfolgung droht, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2019, GZ W251 2157379-1/10E bereits rechtskräftig über die Fluchtgründe seiner Mutter abgesprochen wurde. Dabei wurde festgestellt, dass seine Mutter eine somalische Staatsangehörige, Angehörige des Clans der Ashraf, des Subclans der Hassan, des Subsubclans der Sarman und des Subsubsubclans der Wiyeed sei, aus der Stadt römisch 40 stamme, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne und Somali spreche. Das von der Mutter des BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen konnte nicht festgestellt werden; sie sei in Somalia von der Al Shabaab nicht mit einem der Mitglieder der Al Shabaab zwangsverheiratet, von der Al Shabaab entführt oder festgehalten worden. Sie sei weder misshandelt worden noch schwanger geworden, auch habe Al Shabaab ihren Vater nicht mitgenommen. Somit wurde vom Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahr 2019 rechtskräftig festgestellt, dass die Mutter des BF Somalia weder aus Furcht vor Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen hat und ihr im Falle der Rückkehr nach Somalia weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Angehörige der Al Shabaab oder durch andere Personen droht. Festgestellt wurde zudem, dass die Mutter des BF in Somalia keine konkret und individuell gegen sie gerichtete Probleme aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit hatte, aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist und ihr kein Risiko einer Reinfibulation (Wiederverschließung nach der Geburt) droht. Ebenso wurde betreffend den Vater keine asylrechtlich relevante Verfolgung erkannt, sodass dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wurde, weswegen sich auch aus dem Verfahren des Vaters nichts für den BF gewinnen lässt.

Im gegenständlichen Fall kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Mutter des BF einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war oder ist. Sofern in der Beschwerde nun vorgebracht wird, die Mutter des BF habe Somalia aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung und mangelnder Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit ihres Heimatlandes sowie mangels einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative vor langer Zeit verlassen und dass dem BF aus den „Fluchtgründen“ der Mutter nun selbst eine individuelle asylrelevante Verfolgung drohe, ist darauf zu verweisen, dass über die Gründe der Mutter bereits rechtskräftig negativ abgesprochen wurde. Einer anderslautenden Neubeurteilung der vorgebrachten Fluchtgründe der Mutter über den „Umweg“ eines Antrags im Rahmen eines Familienverfahrens des Sohnes steht die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2019 entgegen. Aus diesen Gründen schlägt auch das Vorbringen in der Beschwerde fehl, dem BF würde eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Clanangehörigkeit drohen.

Soweit in der Beschwerde in diesem Zusammenhang auf die amtswegige Ermittlungspflicht nach Paragraph 18, Absatz eins, AsylG verwiesen wurde, ist dem entgegen zu halten, dass die Pflicht des BFA und des Bundesverwaltungsgerichts (in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen) nicht bedeutet, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen vergleiche VwGH 19.5.2020, Ra 2020/14/0163, mwN).

Am 09.02.2021 wurde die gesetzliche Vertreterin des BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Zu den individuellen Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen Ihres Sohnes führte sie dabei aus:

„LA [Anm: Leiter der Amtshandlung]: Wollen Sie für Ihren Sohn individuelle Flucht- bzw. Ausreisegründe vorbringen?

VP [Anm.: Verfahrenspartei]: Ja, in Somalia bestehen immer noch Schwierigkeiten mit der Al Shabaab. Die Sicherheitslage ist schlimm, weshalb ich nicht möchte, dass mein Sohn nach Somalia abgeschoben wird.

LA: Wenn Ihr Status (subsidiär Schutzberechtigte) auf Ihren nachgeborenen Sohn erstreckt wird, ist dieser genauso geschützt, wie Sie, verstehend Sie dies?

VP: Nein

LA: Wollen Sie außerdem für Ihren nachgeborenen Sohn römisch 40 Rückkehrhindernisse vorbringen?

VP: Nein, ich würde Sie nur bitten, dass mein Sohn Asyl zuerkannt wird. Ich sehe nur Nachteile, wenn man nach Somalia zurückkehrt. Auch gibt es kein Kinderbetreuungsgeld, es sind nur Nachteile in Somalia.

LA: Können Sie für ihren nachgeborenen Sohn individuelle Verfolgungsgründe vorbringen?

VP: Nein.

Anmerkung: Der LA erklärt, dass aufgrund des Nichtvorliegens eines individuellen Verfolgungsgrundes keine gesetzliche Möglichkeit besteht, Asyl zuzuerkennen.

LA: Wollen Sie Unterlagen bezüglich Ihres Sohnes vorlegen?

VP: Nein.

LA: Was wäre mit Ihren Kindern, wenn sie mit ihm nach MOGADISCHU zurückkehren würden?

VP: Wir wären auf uns alleine gestellt, wir haben keine Angehörigen in Mogadischu. Die Sicherheitslage ist dort auch nicht gut, ständig gibt es Bedrohungen durch die Al Shabaab.

LA: Woher aus Somalia kommen Sie?

VP: Ich komme aus römisch 40 .

LA: Sind Sie damit einverstanden, dass ihren Sohn römisch 40 , nachdem keine individuellen Zuerkennungsgründe festgestellt werden konnten, ebenso wie Ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird?

VP: Ich wünsche mir Asyl für meinen Sohn.

[…]

LA: Wollen Sie das Länderinformationsblatt ausgehändigt bekommen?

VP: Nein, ich verzichte darauf. Ich werde auch keine Stellungnahme bezüglich des Asylantrages meines Sohnes abgeben.

LA: Wollen Sie noch etwas anbringen, was nicht ausgesprochen wurde?

VP: Nein.“

Aus der niederschriftlichen Einvernahme ergibt sich einerseits die Sorge der Mutter des BF über die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia, andererseits die unbegründete Furcht, ihr subsidiär schutzberechtigter Sohn könnte nach Somalia abgeschoben werden und dort Nachteile (im Gegensatz zu einem Aufenthalt in Österreich) erleiden. Diesen Bedenken wurde mit der Gewährung von subsidiärem Schutz Sorge getragen und stellen sie – wie dem BFA hier beizupflichten ist – auch kein taugliches Vorbringen zur Darlegung einer asylrelevanten Verfolgung dar. Die Mutter des BF wurde in der Einvernahme mehrfach nach etwaigen Fluchtgründen ihres Sohnes befragt und aufgefordert, Unterlagen zum Sohn vorzulegen. Sie konnte – wie bereits ausgeführt – lediglich allgemeine Rückkehrbefürchtungen darlegen und verneinte dafür dezidiert die Frage nach individuellen Verfolgungsgründen betreffend ihren nachgeborenen Sohn. Der Mutter des BF wurde vom BFA zudem zweimal erklärt, dass mangels eines individuellen Verfolgungsgrundes keine Aussicht auf die Gewährung des Status des Asylberechtigten (an den BF) bestehe, und wurde ihr somit die Möglichkeit zu einem dementsprechenden Vorbringen eingeräumt. Auch wurde sie mit Ende der niederschriftlichen Befragung vom BFA gefragt, ob sie noch etwas anbringen wolle, was man nicht angesprochen habe. Das BFA konnte daher nach einer eingehenden niederschriftlichen Einvernahme folgerichtig davon ausgehen, dass keine individuell-konkreten Verfolgungsgründe (den BF betreffend) vorgebracht wurden; es war nicht gehalten, ohne entsprechendes Vorbringen oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte zu ergründen.

Gemäß Paragraph 20, Absatz eins, Ziffer eins bis Ziffer 4, BFA-VG dürfen in einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des BFA neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden, wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des BFA maßgeblich geändert hat, wenn das Verfahren vor dem BFA mangelhaft war, wenn diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA nicht zugänglich waren oder wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.

Nachdem dies – entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde, das BFA hätte seine amtswegige Ermittlungspflicht nach Paragraph 18, Absatz eins, AsylG verletzt und würde es dem BF daher offenstehen, neue Tatsachen und eventuell neue Beweismittel vorzubringen – im gegenständlichen Fall nicht gegeben war, unterliegt das Vorbringen, das erstmals in der Beschwerde erstattet wurde, zudem auch dem Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren. Weder hat sich der Sachverhalt im Nachhinein geändert, noch waren dem BF die neu vorgebrachten Tatsachen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA nicht zugänglich, noch kann gesagt werden, dass seine gesetzliche Vertretung nicht in der Lage gewesen wäre, sie vorzubringen. Auch die für die Annahme eines Neuerungsverbotes erforderliche Voraussetzung der Missbrauchsabsicht liegt nach den obigen Ausführungen vergleiche vor allem die oben dargestellten Aussagen der Mutter beim BFA) vor (zum Neuerungsverbot im Asylverfahren vergleiche etwa VfSlg. 17.340/2004; VwGH 29.07.2015, Ra 2015/18/0036; VwGH 27.09.2005, 2005/01/0313; VwGH 17.04.2007, 2006/19/0675).

Im Übrigen ist festzuhalten, dass ein Vorbringen, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen muss. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich nicht genügen vergleiche VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0445), weswegen gegenständlich der Verweis auf die allgemeine Situation nicht ausreicht, um in diesem Zusammenhang eine konkrete individuelle Verfolgung des BF aus asylrechtlich relevanten Motiven erkennen zu können.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die auch bereits vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen und im gegebenen Zusammenhang relevanten Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes (Ziffer eins,), Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG (Ziffer 2,), Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Ziffer 3,), Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes (Ziffer 4,) und Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß Paragraphen 3, Absatz 2, Ziffer eins bis 6 und 4 Absatz eins, Ziffer eins und 2 (Ziffer 5,).

Gemäß Paragraph 6, BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. römisch eins 2013/33 in der Fassung BGBl. römisch eins 2013/122, geregelt (Paragraph eins, leg.cit.). Gemäß Paragraph 58, Absatz 2, VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß Paragraph 17, VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Paragraph eins, BFA-VG, BGBl römisch eins 2012/87 in der Fassung BGBl römisch eins 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.1. Zum Spruchteil A):

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß Paragraphen 4,, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Paragraph 45,, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, droht dem BF keine gezielte konkrete Verfolgung, es bestehen auch aufgrund der allgemeinen Lage keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend, dass der BF ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, einer systematischen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein. Zudem unterliegt das Beschwerdevorbringen wie oben dargestellt dem Neuerungsverbot, weswegen sich dieses überdies als unbeachtlich erweist.

Festzuhalten ist, dass es dem BF bzw. dessen Vertreterin nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen die Person des BF gerichtete individuelle sowie aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Es kann daher nicht erkannt werden, dass dem BF im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht. Eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den BF – abgeleitet im Familienverfahren – kam ebenfalls nicht in Betracht, da weder der Mutter noch dem Vater der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Ungeachtet eines entsprechenden Antrags kann gemäß Paragraph 24, Absatz 4, VwGVG die Durchführung einer Verhandlung auch dann unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung Artikel 6, Absatz eins, EMRK bzw. Artikel 47, GRC nicht entgegenstehen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, ausgeführt, dass für die Auslegung des Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG folgende Kriterien maßgeblich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in Paragraph 20, BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt anzusehen und es liegt kein Hinweis auf relevante Verfahrensfehler vor. Wie in der Beweiswürdigung näher ausgeführt, teilt das erkennende Gericht die – auf einem ordentlichen Ermittlungsverfahren beruhende – oben dargestellte Beweiswürdigung der belangten Behörde als schlüssig und nachvollziehbar. Die belangte Behörde hat sich mit dem Vorbringen der gesetzlichen Vertreterin des BF ausführlich auseinandergesetzt, ihr dabei in einer niederschriftlichen Einvernahme mehrfach die Möglichkeit zur Erstattung eines „asylrelevanten“ Vorbringens (den BF betreffend) eingeräumt und in weiterer Folge festgestellt, dass keine konkret-individuellen Fluchtgründe für den BF vorgebracht wurden und auch keine festgestellt werden konnten. Der BF trat im Rahmen der Beschwerde dem Bescheid nicht substantiiert entgegen bzw. tätigte aufgrund des in Paragraph 20, BFA-VG festgelegten Neuerungsverbotes unzulässige Angaben. Auch hat sich in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem BF bzw. seiner Mutter zu erörtern. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

3.2. Zum Spruchteil B):

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht gegenständlich auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen konnte.

Schlagworte

Clanzugehörigkeit Glaubwürdigkeit individuelle Verfolgungsgefahr Intensität mangelnde Asylrelevanz Neuerungsverbot private Verfolgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2023:W202.2243904.1.00

Im RIS seit

21.02.2023

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2023

Dokumentnummer

BVWGT_20230203_W202_2243904_1_00

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