Unabhängiger Bundesasylsenat

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Entscheidungstext 200.087/0-II/04/98

Entscheidende Behörde

Unabhängiger Bundesasylsenat

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Entscheidungsart

Bescheid

Geschäftszahl

200.087/0-II/04/98

Entscheidungsdatum

04.11.1998

Verfasser

Dr. Balthasar

Norm

AsylG 1997 §7 AsylG 1997 §12

Spruch

B E S C H E römisch eins D

S P R U C H

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. BALTHASAR gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG in Verbindung mit Paragraph 38, Absatz eins, des Asylgesetzes 1997, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 76 aus 1997, (AsylG), nach Durchführung zweier öffentlicher mündlicher Berufungsverhandlungen am 2.10.1998 und am 29.10.1998, entschieden:

Der Berufung von M. G. K. vom 15.12.1997 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5.12.1997, Zl 97/06/2045-BAW, wird stattgegeben und M. G. K. gemäß Paragraph 7, AsylG Asyl gewährt. Gemäß Paragraph 12, leg. cit. wird festgestellt, daß M. G. K. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

B E G R Ü N D U N G

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des nunmehrigen Berufungswerbers "auf Gewährung von Asyl vom 2.12.1997" (dies ist nach der Aktenlage der Zeitpunkt des Einlangens des am 30.11.1997 vor der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf gestellten Asylantrages beim Bundesasylamt) "gemäß Paragraph 3, des Asylgesetzes 1991... abgewiesen." Dies im wesentlichen deshalb, da dem - "im Rahmen der Beweiswürdigung... grundsätzlich für wahr gehalten(en)" - Vorbringen "keine konkrete Verfolgungsmaßnahme" gegen die Person des Asylwerbers zu entnehmen gewesen sei.

Hiegegen wendet sich die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegende Berufung.

Der unabhängige Bundesasylsenat hatte sich zunächst mit der Frage der Rechtzeitigkeit der Einbringung dieser Berufung auseinanderzusetzen, wobei diesbezüglich aufgrund ergänzender Erhebungen folgendes feststeht:

Der angefochtene Bescheid wurde dem Asylwerber am 10.12.1997 persönlich ausgefolgt und damit zugestellt. Daraufhin verfaßte der Asylwerber einen (ersten), mit 15.12.1997 datierten und an "Republik Österreich Bundesasylamt" (Kuvert) adressierten Schriftsatz, welcher - wie sich einem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 4.3.1998, Zl P 1031/a/98, entnehmen läßt - laut Postausgangsbuch der Vollzugskanzlei des Polizeigefangenenhauses Wien am 17.12.1997 an das Bundesasylamt Wien der Post übergeben wurde, aber, "da es sich bei diesem (Asylwerber) um einen sogenannten ,Gasthäftling’ der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf gehandelt hatte", "damals vorerst dieser Bezirkshauptmannschaft übermittelt" wurde. Dort langte diese Sendung am 29.12.1997 ein und "wurde irrtümlicherweise dem Akt beigeheftet und nicht weitergeleitet." vergleiche Bericht der BH Oberpullendorf vom 19.3.1998, Zl 11/6-103739/26-1998).

In der Zwischenzeit langte beim Bundesasylamt ein (zweiter), mit 25.12.1997 datierter Berufungsschriftsatz ein, welcher dem unabhängigen Bundesasylsenat zunächst ausschließlich (mit Bericht vom 7.1.1998) vorgelegt wurde.

Der unabhängige Bundesasylsenat hat zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung erwogen:

Gemäß Paragraph 63, Absatz 5, AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides.

Gemäß Paragraph 33, Absatz 3, leg. cit. werden die Tage des Postlaufes in die Frist nicht eingerechnet.

Gemäß Paragraph 14, des Zustellgesetzes ist, so der Empfänger einer Anstaltsordnung untersteht und ihm aufgrund gesetzlicher Bestimmungen Sendungen nur durch den Leiter der Anstalt oder durch eine von diesem bestimmte Person oder durch den Untersuchungsrichter ausgehändigt werden dürfen, die Sendung dem Leiter der Anstalt oder der von ihm bestimmten Person vom Zusteller zur Vornahme der Zustellung zu übergeben.

Im gegenständlichen Fall wurde der erste, mit 15.12.1997 datierte, seinem Inhalt nach als Berufung deutbare und vom Berufungswerber an die richtige Einbringungsbehörde iSd Paragraph 63, Absatz 5, AVG adressierte Schriftsatz vom Berufungswerber jedenfalls noch innerhalb der Berufungsfrist Anstaltsorganen iSd Paragraph 14, des Zustellgesetzes, welche - nach übereinstimmender Judikatur des VwGH und des OGH vergleiche WALTER/THIENEL, Verwaltungsverfahren I2, E 1 zu Paragraph 14, des Zustellgesetzes) als verlängerter Arm der Post gelten - übergeben. Da nun gemäß Paragraph 33, Absatz 3, AVG die Tage des Postenlaufes in die zweiwöchige Berufungsfrist nicht einzurechnen sind, schadet dem Berufungswerber der Umstand, daß sein erster, rechtzeitig den Anstaltsorganen und damit "der Post" übergebener Berufungsschriftsatz beim Bundesasylamt erst Monate nach der Aufgabe und auf dem Wege über eine andere Behörde einlangte, nicht, weshalb im gegenständlichen Fall der Berufungswerber bereits durch Einbringung seines Schriftsatzes vom 15.12.1997 rechtzeitig Berufung erhoben hat (der Schriftsatz vom 27.12.1997 ist daher als bloße Urgenz bzw. als im Berufungsverfahren erstattetes weiteres Vorbringen anzusehen; vergleiche im übrigen zur Bedeutung des Paragraph 14, des Zustellgesetzes auch für einen Fall wie den vorliegenden bereits UBAS vom 29.1.1998, Zl 201.566/0- II/06/98).

Der unabhängige Bundesasylsenat hatte daher in der "Sache" des erstinstanzlichen Bescheides: Abweisung des gestellten Asylantrages - selbst zu entscheiden.

Der unabhängige Bundesasylsenat hat zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts am 2.10.1998 und am 29.10.1998 je eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt.

In der Verhandlung vom 2.10.1998 wurde der Berufungswerber zunächst ergänzend zu den bereits im Akt liegenden Einvernahmen durch die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf vergleiche Niederschrift vom 30.11.1997, Zl 11/6-103739/3-1997) und durch das Bundesasylamt (Niederschriften vom 4.12.1997) gemäß Paragraph 51, AVG vernommen. Die in dieser Verhandlung gegebenen Anworten des Asylwerbers beinhalteten nicht nur keinen Widerspruch zu den im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten Angaben, sondern waren auch geeignet, prima facie bestehende Widersprüche aufzuheben bzw. Unklarkeiten zu erhellen:

So hatte der Asylwerber vor der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf als Beruf "Kellner", vor dem Bundesasylamt aber "Händler und Käufer" bzw. "ambulanter Händler" angegeben; mit der Antwort zu der Frage 20 wurde dieser - dem Asylwerber nicht vorgehaltene - Widerspruch wie folgt aufgelöst:

"Nach meiner Entlassung aus dem Militärdienst verbrachte ich wegen der schlimmen Zustände in Kabul ein paar Monate zu Hause und betrieb anschließend... eine Greißlerei. Bis zur islamischen Revolution... und danach war ein großes Durcheinander, ich mußte mich daher verstecken. Ich habe seit diesem Zeitpunkt keinen ,offiziellen’ (angemeldeten, steuerpflichtigen) Beruf mehr ausübt. Als ich mit meinem Bruder in Mazir-i-Sharif war, haben wir dort in einem Hotel als Tagelöhner gearbeitet. Wir haben Speisen serviert."

Weiters hat der Asylwerber - wiederum ohne diesbezüglichen Vorhalt - als Antwort zu den Fragen 30 und 31 angegeben:

"Ich hatte ursprünglich überhaupt nicht die Absicht, Mitglied einer

Partei zu werden. Allerdings habe ich während meiner Mittelschulzeit

erkannt, daß es günstiger wäre, Mitglied einer Partei zu sein. Ich

habe deswegen die ,Demokratische Volkspartei’ gewählt, weil ich das

Gefühl hatte, daß sie keinen Unterschied unter den Volksgruppen

machte... Ich habe deswegen die ,Demokratische Volkspartei’ (d. h.

,Khalq’-Flügel) gewählt, weil zwei wichtige Vertreter dieser

Partei... sehr stark für die Gleichstellung der Volksgruppen

eingetreten sind". -

und damit eine plausible - hinsichtlich ihrer objektiven Richtigkeit auch durch den in der zweiten Verhandlung (vom 29.10.1998) diesbezüglich befragten Sachverständigen bestätigte - Erklärung dafür gebracht, warum er als angeblicher Angehöriger der Volksgruppe der Hazara Mitglied der paschtunisch dominierten Khalq-Fraktion der Demokratischen Volkspartei Afghanistans geworden war.

Auf der Basis dieser mehr als zweieinhalbstündigen Vernehmung hat die in der Verhandlung amtierende Dolmetscherin als Sachverständige zu der Frage, ob der Asylwerber, wie behauptet, der Volksgruppe der Hazara zugehöre, aufgrund der während der Vernehmung von ihr beobachteten Sprachbeherrschung des Asylwerbers Befund und Gutachten erstattet, worin sie zu dem Ergebnis kam, daß der Asylwerber "als Charakteristikum eines Angehörigen der Hazara-Volksgruppe... jenes Dari (spricht), das dem heutigen Farsi am ähnlichsten ist." Die Sachverständige konnte auch "ausschließen, daß der Berufungswerber jemals in der Lage war, die paschtunische Sprache zu sprechen, weil in der Wortwahl des Berufungswerbers nie ein paschtunisches Wort vorkommt."

Daraufhin hat der unabhängige Bundesasylsenat in der Berufungsverhandlung die Einführung folgender bereits amtsbekannter Beweismittel in das gegenständliche Verfahren beschlossen:

1. Gutachten des Dr. M. D. vom 5.4.1997 (ursprünglich erstattet an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof aufgrund Anforderung vom 13.1.1997, AZ13UE2978/96.A.); 2. Gutachten des Dr. S. R. vom 30.10.1997 (ursprünglich erstattet im Verfahren S. G., hiesige Zl 200.295); 3. Stellungnahme des UNHCR vom 17.9.1998, File Code AUS/HCR/MSC/245; 4. Amnesty International - News Release, ASA 11/06/98 vom 17. August 1998; 5. "Amnesty NFWS" (Internet-Auszug) vom 7.9.1998 ; 6. Salzburger Nachrichten vom 5.9.1998 "Taliban ermordeten Tausende Schiiten"; 7. Der Standard vom 7.9.1998, Seite 4 "Iranische Truppen zur Ivasion in Afghanistan bereit"; 8. Der Spiegel Nr. 39, Seite 182 "Iran/Afghanistan riesig und sehr nah"; 9.

NZZ online. NZZ-Archiv vom 17.9.1998 "Gefestige Position der Taliban in Afghanistan"; 10. UNHCR "Backgroundpaper on refugees and asylum seekers from Afghanistan", Juni 1997.

Der Berufungswerber hat in diese Beweismittel Einsicht genommen und dazu folgende Stellungnahme abgegeben:

"Alle diese Dokumente bekräftigen das Vorbringen meines Mandanten. Er hat wegen seiner Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Hazaren in Verbindung mit seiner Parteimitgliedschaft im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit der Ermordung zu rechnen. Ich bekräftige daher (den) Antrag, den Bescheid der ersten Instanz zu beheben und ihm Asyl zu gewähren".

Dann wurde die Frage erörtert, ob die - vom Asylwerber behauptete - Verfolgung eine Verfolgung iSd Paragraph 7, AsylG in Verbindung mit Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK darstelle, mit anderen Worten, ob diese - behauptete - Verfolgung "unmittelbar (aktiv) oder mittelbar (d. h. durch Unterlassung) dem Herkunftsstaat des Asylwerbers zuzurechnen" sei.

Der Berufungswerber hat zu diesem Punkt folgende Stellungnahme abgegeben:

"Die Verfolgung droht seitens der Taliban. Diese sind nunmehr in ganz Afghanistan an die Macht und üben die Staatsgewalt aus. Die Verfolgung ist also dem Staat Afghanistan zuzurechnen".

In der zweiten Berufungsverhandlung vom 29.10.1998 hat der

Berufungswerber zunächst diese Rechtsansicht, auch unter Hinweis auf

neuere deutsche Judikatur, näher ausgeführt, jedoch ergänzend

geltend gemacht, daß sowohl nach der Rechtsansicht als UNHCR wie

nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes

(Hinweis auf das Erkenntnis vom 23.3.1994, Zl 93/01/1197) "die

Verfolgung sich... lediglich im Herkunftsstaat des Flüchtlings

ereignen", aber "nicht... vom Herkunftsstaat ausgehen" müsse; dies

habe - aus gleichheitsrechtlichen Gründen - auch bei einem völligen Zerfall staatlicher Strukturen zu gelten.

Der unabhängige Bundesasylsenat hat sodann folgende Beweismittel - insbesondere wegen der darin enthaltenen, das im August bzw. Anfang September dieses Jahres von den Taliban beherrschte Gebiet ausweisenden Lagekarten - in das Verfahren eingeführt:

1. Die Presse vom 11.8.1998, "Rita, Viktor sind lasterhaft"; 2. Die Zeit Nr. 36 vom 27.8.1998, "Im Reich der Taliban"; 3. Die Presse vom 8.9.1998, "Rückschlag für Taliban".

Zu diesem Thema: dem aktuellen Frontverlauf in Afghanistan - hat der Sachverständige Dr. R. überdies folgendes ausgeführt:

"Die Taliban kontrollieren heute 90 % des Landes, einschließlich aller Grenzübergänge zum Ausland und das einzige Gebiet, das noch nicht in der Hand der Taliban ist, ist das Panshirtal, im Norden, in diesem Gebiet herrscht noch der ehemalige Verteidigungsminister Kommander Ahmadshah Massoud, und der leistet noch Widerstand gegen die Taliban und dieses Gebiet hat eine Verbindung mit Faizabad im Nordosten Afghanistans. Dh daß die Taliban heute fast das ganze Land und 28 von 30 Provinzen beherrschen; die beiden (verbleibenden) Provinzen heißen 1. Badakhshan und (2.) Kabishar. Von der Provinz Badakhshan ist die Hauptstadt Faizabad und von der Provinz Kabishar das Panshirtal außerhalb des Herrschaftsbereiches der Taliban und wird weiterhin vom Präsident Rabani und von Massoud kontrolliert. Die Taliban beherrschen die größeren Städte, Kabul, Kandahar, Herat, Jalalabad, Mazar-i-sharif."

Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

Gemäß Paragraph 7, AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliegt.

Gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, (GFK), in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,, ist Flüchtling im Sinne dieses Abkommens, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Im gegenständlichen Fall hat der Asylwerber während des gesamten Verfahrens, beginnend mit der Stellung des Asylantrages vor der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf, während der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Bundesasylamt wie im Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat im wesentlichen stets gleichlautend vorgebracht, als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara aus diesem Grund von den Taliban verfolgt zu werden.

Das zunächst zur Intensität dieser geltendgemachten Verfolgung durchgeführte ergänzende Ermittlungsverfahren hat nun ergeben, daß sowohl aus ethnischen wie aus religiösen Gründen die - der schiitischen Richtung des Islam angehörenden - Hazara von den mehrheitlich sunnitischen, ausschließlich paschtunischen Taliban bereits seit Jahren wiederholt schwersten Mißhandlungen ausgesetzt gewesen sind vergleiche DANESCH, Seite 63f, der anführt, daß die Taliban anläßlich der Eroberung des damals von der Hazara-Organisation "Wahdat" kontrollierten Teiles Kabuls im Frühjahr 1994 nicht nur den damaligen "Wahdat-Führer Mazari um(brachten)", sondern auch "Hunderte junger Männer massakrierten und mehrere hunderttausend Menschen vertrieben", sowie R., Seite 3ff, der, neben der "bestialischen" Ermordung von Abdul Ali MAZARI, ein "im Dorf Qezelabad in der Nähe von Mazar-e-Sharif" staatgehabtes "Massaker an 70 Zivilisten einschließlich Frauen und Kindern... die alle Hazara waren und am 14.9.1997 vorsätzlich von den Taliban getötet wurden" - wobei die Taliban "mit äußerster Brutalität" vorgegangen seien - und schließlich "in Kabul 1997" sich "mehrfach" ereignet habende schwere "Übergriffe seitens der Taliban" u. a. an den Hazara erwähnt). In diese Berichte fügt sich nun nahtlos ein, daß anläßlich der Eroberung von Mazar-i-Sharif durch die Taliban am 8. August 1998 "Tausende" Hazara zufolge Berichten von amnesty international vergleiche u. a. amnesty international - News release - ASA 11/6/98 vom 17.8.1998; AMNESTY NFWS (Internet-Auszug) vom 4.9.1998; vergleiche auch Salzburger Nachrichten vom 5.9.1998 und UNHCR, Regionalbüro Wien, vom 17.9.1998, File-Code AUS/HCR/MSC/245) von den Taliban ermordet worden sind.

Der unabhängige Bundesasylsenat ist daher jedenfalls seit dem Bekanntwerden der gerade angesprochenen jüngsten Ereignisse der Ansicht, daß der Asylwerber - an dessen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara der unabhängige Bundesasylsenat aufgrund der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und des hiezu aufgenommenen Sachverständigenbeweises zu zweifeln keinen Anlaß sieht - im Falle seiner Rückkehr in das von den Taliban beherrschte Gebiet Afghanistans allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit eine "Verfolgung" aus Gründen der "Rasse" iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK zu gewärtigen hätte, mithin in Ansehung des von den Taliban gegenüber Angehörigen der Hazara zu erwartenden Verhaltens von einer

  • Strichaufzählung
    asylrelevante Intensität erreichenden - "Gruppenverfolgung" vergleiche hiezu etwa VwGH vom 15.9.1994, Zl 94/19/0184, 0385; 28.3.1996, Zl 95/20/0119) auszugehen ist, zumal auch angesichts des Umstandes, daß, wie oben angesprochen, die Ereignisse nach dem Fall von Mazar-i-Scharif in einer mehrjährigen Tradition stehen, auch allein deshalb, weil es nach dem Fall von Bamian (s.gl.u.) zu keinen derartigen Ereignissen gekommen ist, jedenfalls zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit von einem
  • Strichaufzählung
    genügend nachhaltigen - Haltungswandel der Taliban gesprochen werden kann (zumal die in Bamian augenblicklich geübte Zurückhaltung auch mit dem taktischen Bemühen der Taliban, die in Iran bestehende, gegen die Taliban gerichtete "Kriegsstimmung nicht noch weiter anzuheizen" vergleiche NZZ online. NZZ-Archiv vom 17.9.1998), motiviert sein dürfte).

Aufgrund der jüngsten militärischen Entwicklungen (d. h. neben dem Fall der Stadt Mazar-i-Sharif auch insbesondere nach der Eroberung der Stadt Bamian, vergleiche NZZ- Online. NZZ-Arichiv vom 17.9.1998 und Der Spiegel Nr. 39, Seite 182) steht weiters fest, daß die Taliban derzeit den mit Abstand größten Teil Afghanistans in ihrer Gewalt haben und daß der Asylwerber jedenfalls keine Möglichkeit hätte, von Österreich aus einen der nicht von den Taliban beherrschten Gebietsteile Afghanistans ohne vorheriges Betreten eines von den Taliban beherrschten afghanischen Gebietsteiles zu erreichen vergleiche die bereits oben erwähnte Stellungnahme des UNHCR vom 17.9.1998, wonach einerseits "die Landgrenzen zwischen Iran, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan auf der einen Seite und Afghanistan auf der anderen Seite... spätetestens seit dem Vormarsch der Taliban in Nordafghanistan geschlossen (sind)" und andererseits "zur Zeit lediglich die afghanische Fluglinie ARIANA Flüge nach Afghanistan durchführt", wobei UNHCR lediglich die Destinationen Kabul und Dschalalabad - welche Städte beide im Talibangebiet liegen - bekannt sind, in Verbindung mit dem obzitierten, in der Verhandlung vom 29.10.1998 erstatteten Gutachten Dr. R.s, wonach die Taliban "alle Grenzübergänge zum Ausland konrollieren").

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich hieraus zunächst, daß hinsichtlich der geltendgemachten Verfolgung in Ansehung des Asylwerbers zum Zeitpunkt dieser Entscheidung ausschließlich auf das von den Taliban beherrschte afghanische Gebiet abzustellen ist, d. h., daß eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht besteht.

Bezüglich dieses Gebietes kann es nun nach der Auffassung des hier entscheidenden Mitglieds auf sich beruhen, ob, wie der Asylwerber in der mündlichen Verhandlung vom 2.10.1998 vorgebracht hat, die Taliban "nunmehr in ganz Afghanistan an der Macht (sind) und die Staatsgewalt aus(üben)", sohin die Taliban zumindest als partiell Völkerrechtssubjektivität genießende "de-facto- Herrschaft" vergleiche hiezu näher VERDROSS/SIMMA, Universelles Völkerrrecht3, Paragraphen 404 f, f,) oder als zwar in gewaltsamer, aber die völkerrechtliche Identität des Staates Afghanistan nicht berührender Weise ins Amt gelangte neue Regierung vergleiche NEUHOLD/HUMMER/SCHREUER, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I3, RZ 781ff) zu betrachten seien, oder ob die Staatsgewalt weiterhin bei dem Präsidenten RABBANI und der von ihm ernannten Regierung liege:

Im ersteren Fall wäre es unzweifelhaft, daß der Asylwerber iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK "aus wohlbegründeter Furcht" "nicht gewillt" wäre, "sich des Schutzes" der Taliban gegen die von diesen selbst ausgehende, wie oben festgestellt, aus einem der Konventionsgründe:

der "Rasse", erfolgende - und aufgrund der möglichen Bedrohung des Lebens asylrelevante Intensität erreichende - "Verfolgung" "zu bedienen". Im anderen Falle wäre evident, daß der Asylwerber "nicht in der Lage" wäre, gegen die gerade beschriebenen, zu befürchtenden Übergriffe der Taliban bei der dann als staatliche Gewalt anzusprechenden Macht (genügenden) "Schutz" zu finden vergleiche zu dem hier vertretenen Ansatz auch GOODWIN-GILL, The Refugee In International Law2, 70ff, insbes. 73f und 75f).

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und aufgrund der oben dargestellten rechtlichen Erwägungen kommt daher der unabhängige Bundesasylsenat im gegenständlichen Fall zu dem Ergebnis, daß aufgrund der zum Zeitpunkt dieser Entscheidung geltenden Sach- und Rechtslage der Asylantrag des Berufungswerbers begründet ist, weshalb spruchgemäß der erstinstanzliche Bescheid zu beheben und dem Berufungswerber Asyl zu gewähren war, zumal weder während des erstinstanzlichen Verfahrens noch während des Verfahrens vor dem unabhängigen Bundesasylsenat Asylausschlußgründe iSd Artikel eins, Abschnitt F GFK oder Endigungsgründe iSd Artikel eins, Abschnitt C GFK hervorgekommen sind (auch das Parteistellung genießende Bundesasylamt hat dergleichen im Berufungsverfahren nicht vorgebracht). Hinsichtlich möglicher späterer Änderungen der Sachlage ist aber auf Paragraph 14, Absatz eins,, insbesondere Ziffer eins, oder Ziffer 4,, AsylG zu verweisen.

Dieser Bescheid wurde gemäß Paragraph 67 g, Absatz eins, AVG am 29.10.1998 öffentlich verkündet.

Schlagworte

wohlbegründete Furcht, Gruppenverfolgung

Dokumentnummer

UBAST_19981104_200_087_0_II_04_98_00

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