Erlässe der Bundesministerien

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ERL_BMVRDJ_20191218_S318_040_0016_IV_1_2019

Bundesministerium

Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

Genehmigungsdatum

18.12.2019

Inkrafttretensdatum

01.01.2020

Typ

Erlass

Geschäftszahl

S318.040/0016-IV 1/2019

Fundstelle

eJABl Nr. 24/2019

Norm

StGB: 33, 39, 39a, 43, 43a, 64, 83, 85, 87, 90, 91a, 107a, 107b, 201, 220b; JGG: 19; StPO: 52, 53, 66a, 68, 70, 76, 80, 96, 165, 173, 206, 250, 410, 514; StREgG: 4, 9, 9a, 10, 10b, 11, 12; TilgG: 6

Titel

Einführungserlass vom 18. Dezember 2019 zu den strafrechtlichen Bestimmungen des Gewaltschutzgesetzes 2019

Text

Am 25. September 2019 hat der Nationalrat das Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das Namensänderungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Jugendgerichtsgesetz 1988, die Strafprozeßordnung 1975, das Strafregistergesetz 1968, das Tilgungsgesetz 1972, die Exekutionsordnung, das Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz geändert wird und Verstöße gegen bestimmte einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre zu Verwaltungsübertretungen erklärt werden, das Ärztegesetz 1998, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebammengesetz, das Kardiotechnikergesetz, das MTD-Gesetz, das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz, das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz, das Sanitätergesetz, das Zahnärztegesetz, das Musiktherapiegesetz, das Psychologengesetz 2013, das Vorheriger SuchbegriffPsychotherapiegesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Verbrechensopfergesetz und das Bundesgesetz mit dem das Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche geändert werden (Gewaltschutzgesetz 2019; in der Folge „GeSchG 2019“), beschlossen.

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 10. Oktober 2019 beschlossen, gegen den Gesetzesbeschluss des Nationalrats keinen Einspruch zu erheben.

Das GeSchG 2019 wurde am 29. Oktober 2019 im Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 105 aus 2019, kundgemacht (Beilage ./A). Die Änderungen des StGB, des JGG, der StPO, des StRegG (1) und des TilgG treten am 1. Jänner 2020 in Kraft.

Die vormalige Bundesregierung sah in ihrem Regierungsprogramm 2017-2022 im Zusammenhang mit Reformen im Strafrecht unter anderem „Härtere Strafen für Sexual- und Gewaltverbrecher“ vor. Am 13. Februar 2019 beschloss der Ministerrat zur Umsetzung dieses Punktes des Regierungsprogramms einen Maßnahmenkatalog. Dieser beruhte im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Anfang 2018 eingesetzten Task Force Strafrecht; enthielt andererseits aber auch Punkte, die nicht im Rahmen der Task Force erörtert wurden. Der Bericht der Task Force Kommission Strafrecht ist dem Erlass als Beilage./B angeschlossen.

Am 15. Mai 2019 wurde auf Basis des Maßnahmenkataloges ein Ministerialentwurf eines Dritten Gewaltschutzgesetzes zur allgemeinen Begutachtung versendet (Ende der Begutachtungsfrist 26. Juni 2019). Nach dem zwischenzeitigen Koalitionsende brachten Nationalratsabgeordnete der beiden vormaligen Koalitionspartner am 3. Juli 2019 einen Initiativantrag für ein Gewaltschutzgesetz 2019 (970/A, römisch XXVI. GP, Beilage./C) im Nationalrat ein, welcher größtenteils auf dem Ministerialentwurf basierte, aber auch davon abweichende Änderungen und Neuerungen enthielt. Letztlich wurde am 25. September 2019 im Plenum des Nationalrats neben dem Initiativantrag auch ein Abänderungsantrag zum Initiativantrag
(AA-150, römisch XXVI. GP, Beilage./D) beschlossen. Diese Dualität führt dazu, dass die Begründungen zu den letztlich beschlossenen Gesetzesänderungen teilweise im Initiativantrag, teilweise im Abänderungsantrag und teilweise in beiden enthalten sind. Zur besseren Übersichtlichkeit und leichteren Auffindbarkeit der jeweiligen Begründungen soll nachstehende Tabelle dienen:

Initiativantrag (970/A, Beilage ./C)

Abänderungsantrag (AA-150, Beilage ./D)

Paragraph 33 Absatz 2 und 3 StGB

 

 

Paragraph 39 Absatz eins und 2 dritter Satz StGB

Paragraph 39 Absatz eins a und 2 erster Satz StGB

 

Paragraph 39a Absatz eins bis 3 StGB

Paragraph 39a Absatz eins und 2 StGB

Paragraph 43 Absatz 3, StGB

 

 

Paragraph 43a Absatz eins bis 4 StGB

Paragraph 64 Absatz eins, Ziffer 4 a, StGB

 

 

Paragraph 83 Absatz 3, StGB

Paragraph 85 Absatz eins, Ziffer 2 und Ziffer 2 a, StGB

 

Paragraph 87 Absatz eins a und 2 StGB (2)

Paragraph 87 Absatz eins a und 2 StGB

Paragraph 90 Absatz 3, StGB

 

 

Paragraph 91a StGB

Paragraph 107a Absatz 2 und 3 StGB

 

Paragraph 107b Absatz 3,, 3a und 4 StGB

 

Paragraph 201 Absatz eins, StGB

 

Paragraph 220b StGB

 

 

 

Paragraph 19 JGG

 

Paragraph 63 Absatz 12, JGG

 

 

 

 

Paragraph 52 Absatz 2, StPO

 

§ 53 Absatz 2, StPO

Paragraph 66a Absatz eins, zweiter Satz und Absatz 2, Ziffer eins a, StPO

 

 

§ 68 Absatz eins, StPO

Paragraph 70 Absatz eins bis 3 StPO

 

Paragraph 76 Absatz 4, StPO

Paragraph 76 Absatz 4, StPO

Paragraph 76 Absatz 6, StPO

 

 

Paragraph 80 Absatz eins, zweiter Satz StPO

Paragraph 96 Absatz 5, StPO

 

Paragraph 165 Absatz 4, StPO

Paragraph 165 Absatz 4, StPO

Paragraph 173 Absatz 5, Ziffer 3, StPO

Paragraph 173 Absatz 5, Ziffer 3, StPO

Paragraph 206 Absatz eins, vierter Satz StPO

 

Paragraph 250 Absatz 3, StPO

 

Paragraph 410 Absatz eins, StPO

 

 

Paragraph 514 Absatz 41, StPO

 

 

§§ 4 Absatz 5,, 9 Absatz eins, Ziffer 3 und 4, 9a Absatz eins, Ziffer eins und Absatz 2,, 10 Absatz eins c und 1d, 10b Absatz 2, erster und dritter Satz, 11 Absatz 4 a und 12 Absatz eins, zweiter Satz StRegG

Paragraph 14 Absatz 15, StRegG

 

 

Paragraph 6 Absatz eins, Ziffer 8 und Ziffer 9, TilgG

Paragraph 9 Absatz eins k, TilgG

Im Überblick lassen sich die nachfolgenden Neuerungen hervorheben, zu deren Erläuterung zum größten Teil auf die Begründungen im Initiativantrag und/oder im Abänderungsantrag verwiesen werden kann. Ergänzende Bemerkungen geben die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz wieder und verstehen sich unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung.

INHALTSVERZEICHNIS

1.  Änderungen des Strafgesetzbuches………………………………………………………………7

1.1  Weitere erschwerend zu wertendende Umstände (Paragraph 33, Absatz 2, StGB)        7

1.2  Zwingende Erhöhung des Strafrahmens bei bestimmten Rückfallstätern und Verlängerung der Rückfallsverjährungsfrist (Paragraph 39, StGB) 7

1.2.1 Auswirkung des Paragraph 39, auf die Paragraphen 17,, 21, 27, 57 StGB und 29 ff StPO 8

1.3  Ausweitung von bestimmten Gewalttaten, die eine zwingende Anhebung der Mindeststrafdrohung nach sich ziehen (Paragraph 39 a, StGB) 12

1.4  Vorgeschlagene Anwendung der Paragraphen 33, Absatz 2,, 39 und 39a StGB in der Praxis 13

1.5  Ausschluss gänzlich bedingter Strafnachsicht und Anhebung der Strafuntergrenze bei der Vergewaltigung (Paragraphen 43, Absatz 3 und 201 Absatz eins, StGB) 15

1.6  Angriffe gegen Angehörige des Gesundheits- oder Rettungswesens oder Organe der Feuerwehr (Paragraphen 83, Absatz 3, Ziffer 2 und Paragraph 91 a, Ziffer 2, StGB) 15

1.7  Genitalverstümmelung ist Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (Paragraphen 85, Absatz eins, Ziffer 2 a,, 64 Absatz eins, Ziffer 4 a und 90 Absatz 3, StGB) 16

1.8  Absichtlich schwere Körperverletzung und absichtlich schwere Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (Paragraph 85,) eines Beamten, Zeugen oder Sachverständigen (Paragraph 87, Absatz eins a und 2 StGB) 16

1.9  Erweiterung des Tatbestandes gegen beharrliche Verfolgung („Stalking“) und Strafschärfung (Paragraph 107 a, Absatz 2, Ziffer 5 und Absatz 3, StGB) 16

1.10 Strafverschärfung bei fortgesetzter Gewaltausübung gegen Unmündige und Wehrlose (Paragraph 107 b, StGB) 17

1.11  Änderungen beim Tätigkeitsverbot (Paragraph 220 b, StGB)                         17

2.  Änderungen des Jugendgerichtsgesetzes…………………………………………….………..18

3.  Änderungen der Strafprozessordnung………………………………………………………….19

3.1  Klarstellung des Rechtes von Opfern auf gebührenfreien Erhalt einer Kopie der Anzeigebestätigung und des Vernehmungsprotokolls (Paragraph 52, Absatz 2,, Paragraph 53, Absatz 2,, Paragraph 68, Absatz eins,, Paragraph 80, Absatz eins,, Paragraph 96, Absatz 5, StPO) 19

3.2  Aufhebung der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 390 aus 2007,, mit Ablauf des 31.12.2019 Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 403 aus 2019,) 20

3.3  Recht besonders schutzbedürftiger Opfer auf Dolmetschleistungen durch Personen des gleichen Geschlechts (Paragraph 66 a, Absatz 2, Ziffer eins a, StPO) 22

3.4  Klarstellung beim Antragsrecht von Opfern und Zeugen auf eine schonende Vernehmung (Paragraph 165, Absatz 4,, Paragraph 250, Absatz 3, StPO) 22

3.5  Neustrukturierung und inhaltliche Änderungen beim Informationsrecht von Opfern (Paragraph 70, StPO) 22

3.6  Anpassung der Bestimmungen in der StPO an den geänderten Regelungsinhalt des Paragraph 38 a, SPG (Paragraph 66 a, Absatz eins,, Paragraph 173, Absatz 5, Ziffer 3,, Paragraph 206, Absatz eins, StPO) 23

3.7  Übermittlung personenbezogener Daten aus einem Strafverfahren (Paragraph 76, Absatz 4 und 6 StPO) 24

3.8  Exkurs – Verständigungspflicht der Gerichte und Staatsanwaltschaften nach Paragraph 37, B-KJHG 25

4.  Änderungen des Strafregistergesetzes und des Tilgungsgesetzes……………………..27

4.1  Anpassung an die Änderungen beim Tätigkeitsverbot nach Paragraph 220 b, StGB (Paragraph 4, Absatz 5,, Paragraph 12, Absatz eins, StRegG) 27

4.2  Erteilung von Strafregisterauskünften und Sonderauskünften zu Sexualstraftätern und über Tätigkeitsverbote für Vereine und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 4,, Paragraph 9 a, Absatz 2, Ziffer 2, StRegG) 27

4.3  Neue „Strafregisterbescheinigung Pflege und Betreuung“ (Paragraph 10, Absatz eins c und 1d, Paragraph 10 b, Absatz 2,, 11 Absatz 4 a, StRegG) 28

4.4  Ausnahme der Beschränkung der Auskunft auch für Vereine und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB (Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 9, TilgG) 29

5.  Aufhebung von Erlässen……………………………………………………………………………29

1.   Änderungen des Strafgesetzbuches

1.1    Weitere erschwerend zu wertendende Umstände (Paragraph 33, Absatz 2, StGB)

Der in Absatz 2, neu geregelte Erschwerungsgrund setzt eine Vorsatztat nach dem 1. bis 3. oder 10. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB (die nicht zwingend unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung erfolgen muss) oder eine sonstige vorsätzliche strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung voraus.

Die wesentlichste Neuerung bildet dabei Ziffer eins,. Erschwerend wirkt demnach die Tatbegehung einer volljährigen gegenüber einer minderjährigen (bisher: unmündigen) Person oder wenn diese für die minderjährige Person wahrnehmbar gegen eine ihr nahestehende Person gerichtet ist.

Für die Heranziehung des Erschwerungsgrundes der Ziffer eins, ist es erforderlich, dass der Täter das minderjährige Alter des Opfers oder die Wahrnehmbarkeit der Tat durch die minderjährige Person in seinen zumindest bedingten Vorsatz aufgenommen hat vergleiche Tipold in L/St StGB4 Paragraph 33, Rz 16; Ebner in WK2 StGB Paragraph 33, Rz 35).

Die weiteren Erschwerungsgründe sind nunmehr in Ziffer 2 bis 6 aufgelistet. Sie entsprechen inhaltlich jenen, die bisher in Absatz 3, geregelt waren. Absatz 3, ist daher entfallen.

1.2    Zwingende Erhöhung des Strafrahmens bei bestimmten Rückfallstätern und Verlängerung der Rückfallsverjährungsfrist (Paragraph 39, StGB)

Paragraph 39, Absatz eins, StGB wurde nach der herrschenden Rsp als fakultativ anzuwendende Strafbemessungsvorschrift und Strafrahmenvorschrift angesehen vergleiche OGH 13 Os 44/09h; RIS-Justiz RS0125294 und RS0125293). Nunmehr führt die Anwendung des Paragraph 39, zu einer zwingenden Strafrahmenerweiterung. Bei Vorliegen eines (qualifizierten) Rückfalls nach Absatz eins, oder Absatz eins a, ist das Höchstmaß der angedrohten Strafe zwingend um die Hälfte, höchstens jedoch auf zwanzig Jahre, zu erhöhen und in diesem erweiterten Strafrahmen die Strafe auszumessen.

Absatz eins, ist mit Ausnahme seiner nunmehrigen zwingenden Ausgestaltung unverändert geblieben.

Absatz eins a, regelt künftig die Rückfallvoraussetzungen bei vorsätzlich strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. Zur Erweiterung des Strafrahmens kommt es demnach, wenn der Täter bereits zweimal wegen strafbaren Handlungen gegen eines der genannten Rechtsgüter verurteilt worden ist und er nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres neuerlich eine vorsätzliche strafbare Handlung (Anlasstat) gegen eines der genannten Rechtsgüter begeht. Im Gegensatz zu Absatz eins, muss die Anlasstat nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen und nicht notwendigerweise gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sein, sofern sie auch nur einer der drei Deliktsgruppen zuzuordnen ist (970/A, römisch XXVI. GP, 32). Entgegen Absatz eins, ist die tatsächliche Verbüßung der Strafe für die Anwendbarkeit des Absatz eins a, nicht notwendig.

Voraussetzung für die Anwendung des Absatz eins und Absatz eins a, in der Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019 ist, dass die Anlasstat ab dem 1. Jänner 2020 begangen wurde (Paragraphen eins, Absatz eins,, 61, 67 Absatz eins, StGB). Wurde die Anlasstat vor dem 1. Jänner 2020 begangen, ist weiterhin die (günstigere) alte Rechtslage anzuwenden vergleiche Tipold in L/St Paragraph 61, Rz 8 ff). Für die Anwendbarkeit des Paragraph 39, StGB ist es nach Auffassung des BMVRDJ nicht relevant, ob die tatsächliche Verbüßung der zwei Freiheitsstrafen (Absatz eins,) oder die zweimalige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (Absatz eins a,) vor oder nach dem 1. Jänner 2020 erfolgte, solange die Anlasstat ab dem 1. Jänner 2020 begangen wurde.

Sind die Voraussetzungen des Absatz eins, neben jenen des Absatz eins a, erfüllt, darf die Überschreitung des Strafrahmens gemäß Paragraph 30, StGB nur einmal erfolgen.

In Absatz 2, wurde die Rückfallsverjährungsfrist geändert. Bei Verurteilungen wegen einer mit zehn oder mehr Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung bleibt eine frühere Strafe erst außer Betracht, wenn seit ihrer Verbüßung oder ihrer rechtskräftigen bedingten Nachsicht bis zur folgenden Tat mehr als zehn Jahre vergangen sind. Lag der Verurteilung eine strafbare Handlung mit Freiheitsstrafdrohung unter zehn Jahren zu Grunde, bleibt es weiterhin bei der fünfjährigen Frist.

1.2.1   Auswirkung des Paragraph 39, auf die Paragraphen 17,, 21, 27, 57 StGB und 29 ff StPO

Nach dem Ministerialentwurf für ein Drittes Gewaltschutzgesetz sollten die durch den vorgeschlagenen Paragraph 39, Absatz eins a, StGB zwingend erhöhten Strafrahmen (in Paragraph 39, Absatz eins, StGB war im Ministerialentwurf noch keine Änderung vorgesehen) auch für die Paragraphen 17,, 21, 37 und 57 StGB relevant sein, wodurch indirekt weitere Verschärfungen bewirkt werden könnten (158/ME römisch XXVI. GP, 6). Diese Ansicht liegt auch dem Initiativantrag für ein Gewaltschutzgesetz 2019 zugrunde (970/A, römisch XXVI. GP, 32). Der letztlich beschlossene Abänderungsantrag zum Initiativantrag sah hinsichtlich Paragraph 39, StGB insoweit eine zusätzliche Änderung vor, als bei unveränderter Ausgestaltung des vorgeschlagenen Absatz eins a, auch die Regelung des Paragraph 39, Absatz eins, StGB zwingend ausgestaltet wurde.

Die Ansicht, die geänderten Strafdrohungen würden auch für die Paragraphen 17,, 21, 37 oder 57 StGB relevant sein, wurde im Begutachtungsverfahren zum Dritten Gewaltschutzgesetz teilweise bestritten vergleiche die Stellungnahmen des OGH vom 26.6.2019, 40/SN-158/ME römisch XXVI. GP, 4f; in diesem Sinne auch die Stellungnahme des OLG Graz vom 18.6.2019, 15/SN-158/ME römisch XXVI. GP, 2f). So führte der Oberste Gerichtshof in seiner Stellungnahme aus, der einzufügende Absatz eins a, des Paragraph 39, StGB lasse nach seinem insoweit klaren Wortlaut die Subsumtion unberührt. Durch die Bestimmung würden nicht die Strafsätze der in Rede stehenden Normen des Besonderen Teils des StGB, sondern die Strafrahmen verändert, weil die vorgesehene Bestimmung (ebenso wie Paragraph 39, Absatz eins, StGB) die Möglichkeit der Strafschärfung an schuldunabhängige Umstände knüpfe vergleiche RIS-Justiz RS0119249; Ratz, WK-StPO Paragraph 281, Rz 209 und 666). Bloße Strafrahmenvorschriften, also jene, welche – anders als etwa Paragraph 29, StGB (Ratz in WK2 StGB Paragraph 29, Rz 7) – keine Auswirkung auf die Subsumtion hätten, würden aber auch die Anwendungsbereiche der Paragraphen 17,, 21, 37 und 57 StGB nicht tangieren (Höpfel in WK2 StGB Paragraph 17, Rz 21 – 24; Ratz, WK-StPO Paragraph 281, Rz 668/2, jeweils mwN; zu Paragraph 57, StGB siehe überdies Marek in WK2 Paragraph 57, Rz 12).

Zum besseren Verständnis der zum Wesen des Paragraph 39, StGB vertretenen Ansichten sei an dieser Stelle kurz die historische Entwicklung der Rückfallsbestimmung dargestellt:

Das alte StG sah bis zum Jahr 1975 bei einer Reihe von Delikten einen erhöhten Strafrahmen vor, wenn sie im Rückfall oder wiederholten Rückfall begangen wurden. So insbesondere für den Diebstahl, der nach Paragraph 176, römisch eins Litera b, StG im zweiten Rückfall zum Verbrechen werden konnte, und für eine lange Reihe von Vergehen und Übertretungen. Der Gesetzgeber des Strafgesetzbuches wollte mit Paragraph 39, StGB an die Stelle dieser kasuistischen Behandlung eine allgemeine Regel setzen. Wie im bisherigen Recht sollte der Rückfall auch nach dem StGB strafsatzändernde Wirkung haben (EBRV 30 BlgNR 13. GP, 133f).

In der Folge war die Rsp zum Wesen des Paragraph 39, StGB zunächst uneinheitlich (für Strafsatzänderung 12 Os 8/75 und 12 Os 60/75; dagegen 9 Os 65/75). In der Entscheidung eines verstärkten Senats zu 13 Os 64/75 kam der OGH schließlich zum Ergebnis, dass Paragraph 39, StGB den Strafsatz nicht ändere, sondern eine bloß fakultativ anzuwendende Strafbemessungsvorschrift sei. Dies begründete er im Wesentlichen mit der systematischen Einordnung dieser Norm in den Vierten Abschnitt des Allgemeinen Teils über die Strafbemessung, die Formulierung des 39 StGB als „Kann“-Bestimmung und die Fassung des Paragraph 281, Absatz eins, Ziffer 11, (und entsprechend Paragraph 345, Absatz eins, Ziffer 13,) StPO in der damaligen Fassung. Die Gesetzesmaterialien würden eine eigenständige Bedeutung als Mittel der Gesetzesinterpretation jedenfalls dort verlieren, wo sich der Sinn des Gesetzes aus diesem selbst klar ergebe. Eine ohne zwingenden Grund ausdehnende Interpretation in malam partem sei unzulässig. Dieser Rechtsansicht des OGH wurde im Schrifttum teils heftig widersprochen (vgl. Nowakowski, RZ 1975/192; Liebscher, JBl 1976, 565; Zipf, GA 7. ÖJT 1979, 84f; Kunst, ÖJZ 1980, 316).

In jüngerer Rsp geht der OGH davon aus, dass Paragraph 39, Strafrahmen- und Strafbemessungsvorschrift in Einem ist (13 Os 44/09h, SSt 2009/52 = EvBl 2010/160 = JBl 2011, 262 mit krit Anmerkung von Birklbauer; RIS-Justiz RS0125294 und RS0125295). Dieser Ansicht hat sich im Wesentlichen auch das Schrifttum angeschlossen (Fabrizy, StGB13 Paragraph 39, Rz 3; Flora in WK2 Paragraph 39, Rz 1; Bruckmüller, SbgK Paragraph 39, Rz 27; Ratz, WK-StPO Paragraph 281, Rz 668/2; aA Birklbauer, aaO).

Angesichts der mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 verbundenen Änderungen war die Rechtsnatur des Paragraph 39, StGB neuerlich zu prüfen. Den Ausführungen in den Erläuterungen zum Ministerialentwurf lagen dabei folgende Überlegungen zugrunde:

Wesentliches Argument, mit dem bisher die strafsatzändernde Wirkung des Paragraph 39, StGB verneint wurde, war die Ausgestaltung als Kann-Bestimmung. Paragraph 39, StGB wurde gewissermaßen als Gegenstück zur außerordentlichen Strafmilderung nach dem Paragraph 41, StGB angesehen. Die Heranziehung des Paragraph 39, StGB sollte nicht schon generell bei Vorliegen seiner formalen Voraussetzungen erfolgen, sondern nur besonderen Fällen eines erhöhten Strafbedürfnisses vorbehalten bleiben vergleiche schon 13 Os 64/75). Da sich künftig bei Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB die Strafdrohung zwingend erhöht, ist die Rechtslage nunmehr mit jener im alten StG vergleichbar, bloß, dass Paragraph 39, StGB eine allgemeine Regel enthält, anstelle bei den einzelnen strafbaren Handlungen des Besonderen Teils jeweils zu normieren, dass sich die Strafdrohung im Rückfall erhöht. Auch Paragraph 198, Absatz 2, erster Fall StGB ändert nach Rsp und hL den Strafsatz (11 Os 31/76 = ÖJZ-LSK 1976/254; Fabrizy, StGB13 Paragraph 198, Rz 10; Markel, WK2 Paragraph 198, Rz 71; Ramsauer, SbgK Paragraph 198, Rz 71; Tipold in L/St, StGB4 Paragraph 198, Rz 38).

Weiters erschien auch die Begründung, die systematische Einordnung des Paragraph 39, StGB in den Vierten Abschnitt des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, der ausschließlich die Strafbemessung regle, spreche gegen dessen strafsatzändernde Wirkung, nicht zwingend, weil der OGH bereits in der Entscheidung 13 Os 64/75 mit der Vorschrift des Paragraph 36, Satz 2 StGB eine Ausnahme von diesem von ihm aufgestellten Grundsatz gelten ließ. Hinzu kommt, dass das Schrifttum bei dem mit Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 130 aus 2011, in den Rechtsbestand eingefügten Paragraph 39 a, StGB teilweise eine Änderung des Strafsatzes annimmt (Flora in WK2 StGB Paragraph 39 a, Rz 14; Tipold in L/St, StGB4 Paragraph 39 a, Rz 2; unklar Sagmeister, SbgK Paragraph 39 a, Rz 2, die von einer „Änderung der Strafdrohung (des Strafrahmens)“ spricht; aA Ratz, WK-StPO Paragraph 281, Rz 666, nach welchem Flora die Begriffe Strafsatz und Strafrahmen synonym verwende (Ratz, WK-StPO Paragraph 281, Rz 668/2). All diese Überlegungen sprachen für die in den Erläuterungen zum Ministerialentwurf vertretene Rechtsansicht.

Bleibt darauf hinzuweisen, dass sich der Begutachtungssenat des Obersten Gerichtshof in Richtung Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung und somit gegen die Annahme von Auswirkungen des Paragraph 39, StGB auf die Paragraphen 17,, 21, 37 oder 57 StGB ausgesprochen hat. Die Rechtsanwendung wird sich nach Auffassung des BMVRDJ daher weiterhin an der vom OGH vorgenommenen strikten Unterscheidung zwischen Strafdrohung, Strafsatz (bedeutungsgleich mit Strafgesetz und strafbarer Handlung) und Strafrahmen orientieren müssen. Ein Synonym für Strafrahmen ist Strafbefugnis. Strafdrohung ist der Überbegriff für Strafsatz und Strafrahmen. Da die StPO unter dem Begriff des anzuwendenden Strafsatzes nur die rechtsrichtige Subsumtion versteht, die „einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände" (Paragraph 260, Absatz eins, Ziffer eins, StPO) also nur die Deliktsbeschreibung, nicht aber weitere Strafbarkeitsvoraussetzungen meinen, bleibt die Anwendung des Paragraph 39, StGB ohne Auswirkungen auf die Paragraphen 17, (hier ist übrigens ohnehin unmissverständlich der Strafsatz gemeint; vergleiche Paragraph 260, Absatz eins, Ziffer 2, StPO mit der Anordnung, bereits im „Schuldspruch“ auszudrücken, ob die „strafbare Handlung“ ein Verbrechen ist), 21, 37 oder 57 StGB (RIS-Justiz RS0125293; vergleiche auch 12 Os 21/17f, EvBl 2018/13, 83).

Im Hinblick auf die Änderungen in Paragraph 39, StGB soll an dieser Stelle auch auf die Rsp zur erschwerenden Wertung einschlägiger Vorstrafen bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB eingegangen werden:

Da Paragraph 39, StGB nunmehr zwingend ausgestaltet ist, ist die erschwerende Wertung von einschlägigen Vorstrafen und/oder dem raschen Rückfall neben dem Vorliegen der (bloß) formalen Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB (ohne tatsächlicher Anhebung der Strafobergrenze) nach Auffassung des BMVRDJ künftig nicht mehr denkbar vergleiche dazu die bisherige stRsp RIS-Justiz RS0091623; RIS-Justiz RS0108868 [insbesondere T2 und T3]). Liegen nämlich nunmehr die Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB vor, führt dies zu einer zwingenden Anhebung der Strafobergrenze, sodass für den Erschwerungsgrund des bloßen Vorliegens der formalen Voraussetzungen des Paragraph 39, StGB kein Raum mehr bleibt.

Ob auch jene beiden Vorstrafen, die die Strafrahmenerhöhung (nunmehr zwingend) auslösen, erschwerend gewertet werden können, wird von der Rsp unterschiedlich beantwortet. So vertritt der 12. Senat in jüngerer Zeit die Auffassung, dass bei tatsächlicher Strafrahmenerhöhung nach Paragraph 39, StGB nur jene über die Voraussetzungen des Paragraph 39 StGB hinausgehenden einschlägigen Vorstrafen als Erschwerungsgrund gewertet werden dürfen vergleiche RIS-Justiz RS0091438, zuletzt 12 Os 33/19y [T 9]). Die gegenteilige Rsp berücksichtigt hingegen sämtliche einschlägige Vorstrafen, auch jene beiden, die für die Strafrahmenerhöhung ausschlaggebend waren, als erschwerend. Dies wird (zuletzt) damit begründet, dass Paragraph 39, StGB den Strafsatz unberührt lässt und aufgrund seiner Ausgestaltung als Strafrahmenvorschrift eine erneute Berücksichtigung der gesetzlichen Merkmale der Strafrahmenvorschrift bei der konkreten Strafbemessung (Paragraph 32, StGB) zu keiner unzulässigen Doppelverwertung führt (grundlegend: OGH 13 Os 44/09h; EvBl-LS 2011/8; EvBl 2015/161; EvBl-LS 2019/64; vergleiche auch Ratz, WK-StPO Paragraph 281, Rz 668/4).

Die (nunmehr zwingende) Anwendung des Paragraph 39, StGB hat nach Auffassung des BMVRDJ auch weiterhin keinen Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit vergleiche RIS-Justiz RS0127776), weil es sich nach wie vor um keinen Umstand des Strafsatzes, sondern um einen solchen der Strafbefugnis handelt.

1.3    Ausweitung von bestimmten Gewalttaten, die eine zwingende Anhebung der Mindeststrafdrohung nach sich ziehen (Paragraph 39 a, StGB)

Absatz eins, bestimmt die zwingende Anhebung der Mindeststrafdrohung, wenn der Täter (irgend)eine vorsätzliche strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung begeht und der jeweilige Tatumstand nicht bereits die Strafdrohung bestimmt.

In Ziffer eins, ist wie bisher der Tatumstand der Tatbegehung einer volljährigen gegenüber einer unmündigen Person (Paragraph 74, Absatz eins, Ziffer eins, StGB) geregelt. Der Täter muss die Unmündigkeit seines Opfers in seinen Vorsatz aufgenommen haben, damit es zu einer Anhebung der Mindeststrafdrohung kommen kann vergleiche Flora in WK2 StGB Paragraph 39 a, Rz 5; Tipold in L/St Paragraph 39 a, Rz 5).

Erweitert wird der Katalog um die Ziffer 2 bis 4, welche inhaltlich den in Paragraph 33, Absatz 2, Ziffer 4 bis 6 StGB geregelten Erschwerungsgründen (besonders schutzbedürftige Personen, außergewöhnliche Gewalt sowie Waffengewalt) entsprechen. Die Anhebung der Mindeststrafdrohungen ist nur bei vorsätzlicher Tatbegehung vorzunehmen. Dabei muss sich der (zumindest bedingte) Vorsatz des Täters nach Ansicht des BMVRDJ auch hier auf die in Ziffer 2 bis 4 beschriebenen Tatumstände beziehen. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers muss der Täter (sogar) bewusst ausnützen (Ebner in WK2 StGB Paragraph 33, Rz 37; vergleiche dazu schon Erlass vom 15. Dezember 2015 zum Strafrechtsänderungsgesetz 2015, BMJ-S318.034/0041-IV/2015, S 6f).

Unter Einsatz eines außergewöhnlich hohen Ausmaßes an Gewalt (Ziffer 3,) wird eine Tat begangen, wenn damit ein großes Risiko für das Leben des Opfers verbunden ist. Es liegt nahe, den Schweregrad dieses Gewaltbegriffes mit jenem der „schweren Gewalt“ iSd Paragraph 106, Absatz 3, StGB gleichzusetzen vergleiche Ebner in WK2 StGB Paragraph 33, Rz 38 und Paragraph 106, Rz 24 mwN).

Die Tatbegehung mit mindestens einer weiteren Person in verabredeter Verbindung ist in Paragraph 39 a, Absatz eins, Ziffer 5, neu geregelt. Zur Anhebung der Mindeststrafdrohung kommt es demnach bei einer ernstlichen Willenseinigung von mindestens zwei Personen über die gemeinsame Tatausführung vergleiche dazu Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB Paragraph 84, Rz 86ff).

Die inhaltlich unveränderten Mindeststrafdrohungen sind nunmehr in Absatz 2, geregelt. Wie bisher findet Paragraph 39 a, auf Delikte, deren Strafuntergrenze ein Jahr Freiheitsstrafe übersteigt, keine Anwendung.

Der Hinweis auf die Anwendbarkeit des Paragraph 39, StGB in Absatz 3, stellt klar, dass bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraph 39 a, StGB und jener des Paragraph 39, StGB sowohl die Mindeststrafdrohung als auch die Strafobergrenze zwingend anzuheben ist. Der Verweis auf Paragraph 36, StGB ist wegen der Neuregelung des Paragraph 19, JGG entfallen.

Da das JGG lex specialis zum StGB ist, derogiert Paragraph 39 a, StGB (auch in seiner neuen Fassung) insbesondere den Bestimmungen in Paragraph 5, Ziffer 4, JGG (für Jugendliche) und in Paragraph 19, Absatz eins, JGG (für junge Erwachsene) nicht: nach den genannten Bestimmungen des JGG entfällt daher weiterhin ein Mindestmaß der Strafdrohung. Lediglich für junge Erwachsene wird in den Fällen des neuen Paragraph 19, Absatz 4, JGG wieder ein Mindestmaß vorgesehen vergleiche unten Punkt 2.).

Die zwingende Anwendung des Paragraph 39 a, StGB hat – wie bisher – keinen Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit (Sagmeister, SbgK Paragraph 39 a, Rz 57).

1.4    Vorgeschlagene Anwendung der Paragraphen 33, Absatz 2,, 39 und 39a StGB in der Praxis

Es sind Fälle denkbar, in denen sowohl die Voraussetzungen der Paragraphen 33, Absatz 2, als auch jene der Paragraph 39 und Paragraph 39 a, vorliegen. Dabei empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:

Schritt 1:

Zunächst ist die entsprechende Mindeststrafdrohung nach Paragraph 39 a, Absatz 2, StGB anzuheben (vergleiche zur bisherigen Rechtslage Sagmeister, SbgK Paragraph 39 a, Rz 51). Eine Anhebung darf jedoch nicht erfolgen, wenn der jeweilige Tatumstand bereits die Strafdrohung bestimmt.

Bei einem qualifizierten Raub unter Einsatz einer Waffe führt der „Einsatz der Waffe“ demnach nicht (auch noch) zur Anhebung der Mindeststrafe nach Paragraph 39 a, Absatz eins, Ziffer 4,, weil dieser Tatumstand bereits die Strafdrohung (Paragraph 143, Absatz eins, zweiter Fall StGB) bestimmt.

Bei einer vorsätzlichen Körperverletzung, die in verabredeter Verbindung mit zwei oder mehr Personen begangen wird, bestimmt dieser Tatumstand ebenfalls die Strafdrohung (Paragraph 84, Absatz 5, Ziffer 2, StGB), sodass es zu keiner Anhebung der Mindeststrafe kommt. Im Gegensatz dazu wäre Paragraph 39 a, Absatz eins, Ziffer 5, StGB bei einer vorsätzlichen Körperverletzung (Paragraph 83, Absatz eins, oder Absatz 2, StGB) in verabredeter Verbindung mit einer weiteren Person anwendbar.

Schritt 2:

Anhebung der Obergrenze der Strafdrohung nach Paragraph 39,

Die Anhebung der Strafobergrenze vor der Mindeststrafdrohung (Schritt 2 vor Schritt 1) würde in gewissen Fällen dazu führen, dass sich dadurch auch die bisher geltenden Mindeststrafdrohungen erhöhen.

Schritt 3:

Erst im letzten Schritt sind die Erschwerungsgründe (des Paragraph 33, Absatz 2, StGB) zu prüfen.

Nach der neuen Rechtslage kommt es zu einer (teilweisen) Deckungsgleichheit der Voraussetzungen und Tatumstände der Paragraph 33, Absatz 2 und Paragraph 39 a, Absatz eins, Die nachstehende Tabelle soll der besseren Überschaubarkeit dienen2:

Tatbegehung

Erschwerungsgrund Paragraph 33, Absatz 2,

 

Anhebung der Mindeststrafe Paragraph 39 a, Absatz eins,

gegen unmündige Person

 

 

Ziffer eins,

gegen minderjährige Person

Ziffer eins,

 

 

gegen nahestehende Person einer minderjährigen Person

Ziffer eins,

 

 

gegen eine/n Angehörige/n

Ziffer 2,

 

 

unter Autoritätsmissbrauch

Ziffer 3,

 

 

gegen schutzbedürftige Person

Ziffer 4,

=

Ziffer 2,

mit außergewöhnlicher Gewalt

Ziffer 5,

=

Ziffer 3,

mit Waffengewalt/drohung

Ziffer 6,

=

Ziffer 4,

mit einer weiteren Person

 

 

Ziffer 5,

2 Sich deckende Tatumstände sind fett gedruckt und mit = verbunden.

Zu beachten ist, dass Paragraph 39 a, StGB dem Paragraph 33, Absatz 2, StGB „vorgeht“. Führt einer der in Paragraph 39 a, Absatz eins, Ziffer 2 bis 4 StGB geregelten Tatumstände nämlich schon zur Erhöhung der Mindeststrafe, darf er nicht noch einmal zusätzlich als Erschwerungsgrund (Paragraph 33, Absatz 2, Ziffer 4 bis 6 StGB) gewertet werden. Diese Vorgehensweise ergibt sich bereits aus den allgemeinen Grundsätzen der Strafbemessung (Paragraph 32, Absatz 2, erster Satz StGB), wonach Erschwerungs- und Milderungsgründe, welche schon die Strafdrohung bestimmen, bei der Strafbemessung nicht (nochmals) berücksichtigt werden dürfen. Der diesen Grundsatz bloß wiederholende Passus in Paragraph 33, Absatz 2, StGB („außer in den Fällen des Paragraph 39 a, Absatz eins “,) ist daher entfallen.

Bei Gewalttaten, deren Strafuntergrenze über einem Jahr Freiheitsstrafe liegt, kann es aber im umgekehrten Fall dazu kommen, dass es zwar zu keiner Anhebung der Mindeststrafe kommt vergleiche 1.3), sehr wohl aber ein Erschwerungsgrund nach Paragraph 33, Absatz 2, Ziffer 4 bis 6 StGB vorliegt. Zu denken ist beispielsweise an eine absichtlich schwere Körperverletzung mit Todesfolge (Paragraph 87, Absatz 2, zweiter Fall StGB) unter Anwendung eines außergewöhnlich hohen Ausmaßes an Gewalt (Paragraph 33, Absatz 2, Ziffer 5, StGB).

1.5    Ausschluss gänzlich bedingter Strafnachsicht und Anhebung der Strafuntergrenze bei der Vergewaltigung (Paragraphen 43, Absatz 3 und 201 Absatz eins, StGB)

In Paragraph 43, Absatz 3, StGB ist nunmehr der Ausschluss der gänzlich bedingten Strafnachsicht (Paragraph 43, Absatz eins,) bei einer Verurteilung nach Paragraph 201, StGB normiert. Eine teilbedingte Strafnachsicht ist unter den Voraussetzungen des Paragraph 43 a, Absatz eins bis Absatz 4, StGB weiterhin möglich.

Der Ausschluss der gänzlich bedingten Strafnachsicht nach Paragraph 43, Absatz 3, StGB gilt mangels Sonderregelung im JGG auch in Strafverfahren gegen Jugendliche und junge Erwachsene. Eine Erledigung durch Diversion (Paragraphen 7 f, JGG) oder ein Schuldspruch in den Sonderformen des JGG (z.B. unter Vorbehalt der Strafe, Paragraph 13,) bleiben jedoch weiter möglich.

Die Strafuntergrenze beim Straftatbestand der Vergewaltigung nach Paragraph 201, Absatz eins, StGB wird von einem auf zwei Jahre erhöht.

1.6    Angriffe gegen Angehörige des Gesundheits- oder Rettungswesens oder Organe der Feuerwehr (Paragraphen 83, Absatz 3, Ziffer 2 und Paragraph 91 a, Ziffer 2, StGB)

Personen, die in einem gesetzlich geregelten Gesundheitsberuf, einer anerkannten Rettungsorganisation oder in der Verwaltung im Bereich eines solchen Berufs, insbesondere einer Krankenanstalt, oder als Organ der Feuerwehr tätig sind, werden – soweit sie nicht ohnehin schon als Beamte im strafrechtlichen Sinn nach Paragraph 84, StGB bzw. – wenn sie überdies hoheitlich tätig sind – nach Paragraph 270, StGB erfasst sind – künftig vor Körperverletzungen und tätlichen Angriffen besonders geschützt.

Wer eine solche Person während oder wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit vorsätzlich am Körper verletzt (Paragraph 83, Absatz eins, oder 2 StGB), ist nach Paragraph 83, Absatz 3, Ziffer 2, StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Wer eine solche Person während der Ausübung ihrer Tätigkeit tätlich angreift, ist nach Paragraph 91 a, Ziffer 2, StGB mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

1.7    Genitalverstümmelung ist Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen
(Paragraphen 85, Absatz eins, Ziffer 2 a,, 64 Absatz eins, Ziffer 4 a und 90 Absatz 3, StGB)

Eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, stellt künftig gemäß Paragraph 85, Absatz eins, Ziffer 2 a, StGB jedenfalls eine schwere Dauerfolge dar, während nach bisherigem Recht je nach Schwere der Tat auch eine Subsumtion bloß unter die Paragraphen 83, oder 84 StGB in Betracht kam.

Die Paragraphen 64, Absatz eins, Ziffer 4 a und 90 Absatz 3, StGB verweisen nunmehr auf die Bestimmung des neuen Paragraph 85, Absatz eins, Ziffer 2 a, StGB.

1.8    Absichtlich schwere Körperverletzung und absichtlich schwere Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (Paragraph 85,) eines Beamten, Zeugen oder Sachverständigen (Paragraph 87, Absatz eins a und 2 StGB)

In Paragraph 87, Absatz eins a, StGB wird die absichtlich schwere Körperverletzung an einem Beamten, Zeugen oder Sachverständigen während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten geregelt. Die Strafdrohung beträgt zwei bis zehn Jahre Freiheitsstrafe.

In Paragraph 87, Absatz 2, StGB wird die absichtlich schwere Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen an einem Beamten, Zeugen oder Sachverständigen mit einer Strafdrohung von zwei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe eingefügt.

1.9    Erweiterung des Tatbestandes gegen beharrliche Verfolgung („Stalking“) und Strafschärfung (Paragraph 107 a, Absatz 2, Ziffer 5 und Absatz 3, StGB)

Der Tatbestand der beharrlichen Verfolgung wird in Absatz 2, um die Ziffer 5, erweitert. Demnach kann nunmehr auch die Veröffentlichung von Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches vergleiche Paragraph 74, Absatz eins, Ziffer 5, StGB) einer Person ohne deren Zustimmung eine Stalkinghandlung sein. Erfasst werden sollen beispielsweise Fälle, in denen eine Person öffentlich (Paragraph 69, StGB), wiederholt und eine längere Zeit hindurch fortgesetzt, in der unmittelbaren Umgebung der Wohnung oder Arbeitsstätte des Opfers ohne Zustimmung dessen Fotos (mit oder ohne Texte) an Autos, Hauswänden oder Litfaßsäulen anschlägt.

Werden Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches einer Person ohne deren Zustimmung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems eine längere Zeit hindurch fortgesetzt für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar gemacht, ist nach Auffassung des BMVRDJ unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung Paragraph 107 c, Absatz eins, Ziffer 2, StGB – der sich einzig im Mittel der Veröffentlichung von Paragraph 107 a, Absatz 2, Ziffer 5, StGB unterscheidet – als speziellere Norm vorrangig. Sofern der Täter das Opfer sowohl analog als auch digital verfolgt und weder die analoge Belästigung für sich genommen für Paragraph 107 a, StGB, noch die digitale Belästigung für sich genommen für Paragraph 107 c, StGB ausreichen würde, analoge und digitale Belästigungen zusammen aber den Tatbestand des – an sich nicht differenzierenden – Paragraph 107 a, Absatz 2, Ziffer 5, StGB erfüllen würden, kommt es nach Auffassung des BMVRDJ nicht zu einem Wiederaufleben der Strafbarkeit nach Paragraph 107 a, Absatz 2, Ziffer 5, StGB, sodass hier gegebenenfalls mit Einstellung bzw. Freispruch vorzugehen wäre.

In Paragraph 107 a, Absatz 3, StGB wird eine neue Qualifikation eingefügt. Wenn der Tatzeitraum nach Absatz eins, ein Jahr übersteigt, beträgt die Strafdrohung künftig bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe.

1.10   Strafverschärfung bei fortgesetzter Gewaltausübung gegen Unmündige und Wehrlose (Paragraph 107 b, StGB)

Bei fortgesetzter Gewaltausübung gegen eine unmündige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Person wird die Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren auf ein bis zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben (Paragraph 107 b, Absatz 3 a, Ziffer eins, StGB). Damit ist im Hauptverfahren nunmehr das Landesgericht als Schöffengericht sachlich zuständig (31 Absatz 3, Ziffer eins, StPO).

Die anderen Qualifikationen werden in Paragraph 107 b, Absatz 3,, 3a und 4 neu StGB geordnet, bleiben inhaltlich jedoch unverändert.

1.11   Änderungen beim Tätigkeitsverbot (Paragraph 220 b, StGB)

Beim Tätigkeitsverbot sind die folgenden Änderungen hervorzuheben:

1. Anlasstat kann künftig auch eine mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte Vorsatztat gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit sein. Bei strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ist das Tätigkeitsverbot bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des Paragraph 220 b, StGB hingegen weiterhin unabhängig von der angedrohten Freiheitsstrafe auszusprechen.

2. Das Tätigkeitsverbot wird auf die Tatbegehung zum Nachteil wehrloser Personen ausgeweitet (Paragraph 220 b, Absatz 2, StGB). Die Umschreibung des Kreises der wehrlosen Personen orientiert sich an Paragraph 92, StGB (970/A römisch XXVI. GP, 35).

3. Die bisher vorgesehene Möglichkeit, ein zeitlich befristetes Tätigkeitsverbot zu verhängen, entfällt.

4. Beim Straftatbestand des Verstoßes gegen ein Tätigkeitsverbot (nunmehr Paragraph 220 b, Absatz 4, StGB) soll auf der subjektiven Tatseite das Erfordernis der Wissentlichkeit entfallen und Eventualvorsatz ausreichen.

Somit ist bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung einer minderjährigen Person (Absatz eins,) oder einer wehrlosen Person (Absatz 2,) im Strafurteil bei entsprechender Gefährlichkeitsprognose immer ein unbefristetes Tätigkeitsverbot zu verhängen.

Das Gericht hat ab Rechtskraft der Entscheidung von Amts wegen mindestens alle fünf Jahre zu überprüfen, ob die Gefahr, wegen der das Tätigkeitsverbot verhängt wurde, noch besteht (Absatz 3,). Die vorzeitige Aufhebung des Tätigkeitsverbots ist unter den bisherigen Voraussetzungen weiterhin möglich (Absatz 3, dritter Satz).

2.   Änderungen des Jugendgerichtsgesetzes

1. Seit vielen Jahrzehnten ist das Jugendstrafrecht – und insbesondere das Jugendgerichtsgesetz 1988 (JGG) – regelmäßig Vorreiter bei der Einführung von innovativen Bestimmungen, man denke etwa an das (bereits 1851 eingeführte) Verbot lebenslanger Freiheitsstrafen, Jugenderhebungen, die Einführung der Diversion oder der Sozialnetzkonferenzen. Derartige Reformschritte waren von dem Grundgedanken getragen, dass Straffälligkeit junger Menschen meist Ausdruck der Adoleszenzkrise ist und dass kriminelles Verhalten nach Abschluss der Adoleszenzkrise in den meisten Fällen von selbst aufhört; daher sollen die Sonderbestimmungen des JGG gewährleisten, dass jegliche staatliche Reaktion auf Straffälligkeit eines jungen Menschen einerseits ganz besonders auf dessen individuelle Situation Bedacht nicht und andererseits repressive Sanktionen – deren negative Auswirkungen auf die Entwicklung eines jungen Menschen unbestreitbar sind – besonders maßvoll verhängt werden. Selbst wenn vereinzelt eine Verschärfung im Jugendstrafrecht vorgenommen wurde, ist diese durch eine Gegenmaßnahme abgefedert worden: So ging die Senkung der Altersgrenze der „Jugendlichen“ von 19 auf 18 Jahre (die für die Altersgruppe der Achtzehnjährigen eine Verschärfung darstellte) damit einher, dass für die (neu geschaffene) Altersgruppe der jungen Erwachsenen (Achtzehn- bis Zwanzigjährige) ein Teil des Jugendstrafrechts anwendbar gemacht wurde. Erst mit der JGG-Novelle 2015 sind jene Bestimmungen, die – in Anlehnung an das zur Jugendliche geltende Recht – auf junge Erwachsene anzuwenden ist, erheblich ausgebaut worden (Paragraphen 19,, 46a JGG idFd JGG-ÄndG 2015, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 154 aus 2015,).

2. Der nun an Paragraph 19, JGG angefügte neue Absatz 4, sieht für Personen, die zur Zeit der Tat das achtzehnte, aber noch nicht das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, für taxativ aufgezählte Straftaten dieselben Strafandrohungen vor, die für Erwachsene gelten, und geht damit zum Teil hinter die vor dem JGG-ÄndG 2015 geltende Rechtslage zurück (kritisch dazu Bundesminister Univ. Prof. Dr. Jabloner in seine Rede in der 89. Sitzung des NR, römisch XXVI. GP am 25.9.2019). Eine Form der Abfederung ist nicht vorgesehen. Lediglich auf eine strengere Freiheitsstrafe als von 20 Jahren darf nicht erkannt werden.

3. In Paragraph 19, Absatz 4, JGG werden bestimmte Gewalt- und Sexualverbrechen sowie Formen terroristischer und organisierter Kriminalität taxativ aufgezählt. Da die Formulierung in Ziffer eins und 2 jene der Überschriften der Abschnitte des besonderen Teils des StGB übernimmt (Erster Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben; Zehnter Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung), ist daraus zu schließen, dass auch nur jene strafbaren Handlungen dem Regime des Paragraph 19, Absatz 4, JGG unterfallen, die sich im Ersten und Zehnten Abschnitt finden. Beispielsweise sind die Paragraphen 142, f StGB – die Elemente eines Delikts gegen Leib und Leben enthalten – von der taxativen Aufzählung des Paragraph 19, Absatz 4, Ziffer eins, JGG nicht umfasst, weil sie im Sechsten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB enthalten sind.

Absatz 4, ist eine Ausnahme von der Sonderregelung des Absatz eins, Voraussetzung ist, dass ein im Zeitpunkt der Tat junger erwachsener Täter eine der in den Ziffer eins bis 4 angeführten strafbaren Handlungen begangen hat. Diese muss weiters mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht sein, also zumindest eine Strafe von „bis zu fünf Jahren“ androhen (z.B. Paragraph 84, Absatz 4, StGB). Paragraph 19, Absatz 4, JGG führt weiters für die Altersgruppe der jungen Erwachsenen in den taxativ aufgezählten Fällen Mindeststrafen ein. Diese waren seit dem JGG-ÄndG 2015 durch Paragraph 19, Absatz eins, JGG und den Verweis auf Paragraph 5, Ziffer 4, JGG entfallen vergleiche oben Punkt 1.3).

3.   Änderungen der Strafprozessordnung

3.1. Klarstellung des Rechtes von Opfern auf gebührenfreien Erhalt einer Kopie der Anzeigebestätigung und des Vernehmungsprotokolls (Paragraph 52, Absatz 2,, Paragraph 53, Absatz 2,, Paragraph 68, Absatz eins,, Paragraph 80, Absatz eins,, Paragraph 96, Absatz 5, StPO)

Da Opfern – unabhängig von ihrer Stellung als Privatbeteiligte – das Recht auf Akteneinsicht zusteht (Paragraph 66, Absatz eins, Ziffer 2,, Paragraph 68, Absatz 2, StPO), hatten sie bereits nach der bisherigen Rechtslage das Recht, auf ihr Verlangen eine Abschrift oder Kopie ihres Vernehmungsprotokolls (Paragraph 96, Absatz 5, StPO - sofern schutzwürdige Interessen des Verfahrens oder Dritter nicht entgegenstehen) sowie eine schriftliche Bestätigung ihrer Anzeige (Paragraph 80, Absatz eins, StPO) zu erhalten. Gemäß Anmerkung 3 Litera e, zu TP 15 GGG sowie Paragraph 4, der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 390 aus 2007,, hatte hingegen die Ausfolgung von (bis zu) zwei Kopien des Protokolls gebühren- und kostenfrei zu erfolgen.

Nunmehr wurde in Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 4, StPO die Gebührenfreiheit einer Abschrift oder Kopie des Protokolls bzw. der Anzeigebestätigung ausdrücklich klargestellt und damit den Gepflogenheiten der Praxis, wonach idR nur eine Abschrift oder Kopie verlangt und ausgefolgt wurde, Rechnung getragen. Gleichzeitig wird damit nunmehr auch für Beschuldigte ausdrücklich das Recht auf gebührenfreien Erhalt einer Kopie bzw. Abschrift des Vernehmungsprotokolls vorgesehen. Durch die Ergänzung der verwiesenen Bestimmungen in Paragraph 68, Absatz eins, StPO in Verbindung mit Absatz 2, gilt die Ausnahme von der Gebührenpflicht auch für (nicht privatbeteiligte) Opfer (Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO Paragraph 68, Rz 3) und wird in Paragraph 96, Absatz 5, StPO entsprechend abgebildet.

Die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 390 aus 2007,, wonach zwei Kopien des Protokolls gebühren- und kostenfrei auszufolgen sind, tritt mit Ablauf des 31.12.2019 außer Kraft (siehe nachfolgender Punkt 3.2). Die derzeit noch in Geltung stehende Bestimmung der Anmerkung 3 Litera e, zu TP 15 GGG (wonach bis zu zwei Kopien gebühren- und kostenfrei auszufolgen sind) wird zwar erst im Rahmen einer geplanten Novelle des GGG aufzuheben oder anzupassen sein, tritt jedoch nach Ansicht des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz nunmehr für das Strafverfahren hinter die neueren und spezielleren Bestimmungen der StPO zurück.

Der die Unzulässigkeit der Aktenmitnahme zu Kopienzwecken regelnde Paragraph 3, der oben genannten Verordnung wird nunmehr in Paragraph 53, Absatz 2, letzter Satz StPO abgebildet, der sowohl für Gerichte und Staatsanwaltschaften als auch die Kriminalpolizei klarstellt, dass es unzulässig ist, dem Beschuldigten oder seinem Vertreter Akten oder Teile davon zur Herstellung von Kopien außerhalb des Amtsgebäudes mitzugeben.

3.2. Aufhebung der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 390 aus 2007,, mit Ablauf des 31.12.2019 Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 403 aus 2019,)

Die Klarstellung und Festlegung der Gebührenfreiheit einer Abschrift oder Kopie des Protokolls im Sinne einer praxisorientierten und wirtschaftlichen Vorgehensweise mit dem Ziel einer abschließenden Regelung sämtlicher Gebührenbefreiungen im Strafverfahren in der StPO macht zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten eine Aufhebung der genannten Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 390 aus 2007,, sowie eine (für eine geplante Novelle des GGG in Aussicht genommene) Aufhebung bzw. Anpassung der Anmerkung 3 Litera e, zu TP 15 GGG erforderlich. Die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Höhe der Gebühren für die Herstellung von Kopien durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei im Rahmen der Akteneinsicht, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 390 aus 2007,, deren Anwendungsbereich mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 entfallen ist, tritt mit Ablauf des 31.12.2019 außer Kraft Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 403 aus 2019,).

Zu den einzelnen außer Kraft getretenen Bestimmungen der Gebühren-VO:

Der Regelungsinhalt des Paragraph eins,, wonach für die Herstellung von unbeglaubigten Kopien Gebühren in der in Anmerkung 6 zur TP 15 GGG vorgesehenen Höhe zu entrichten sind, ergibt sich mittlerweile aus Paragraph 29 a, GGG (3). Durch den Entfall von Paragraph eins, wurde zudem auch der Widerspruch aufgelöst, dass nach jener Bestimmung die Ausfolgung bis zum Eingang der Gebühren nach dieser Bestimmung aufgeschoben werden "kann", nach TP 15 Anmerkung 7 GGG aber aufzuschieben "ist".

Paragraph 2, wurde bereits mit Erkenntnis des VfGH vom 13. Dezember 2011, G 85, 86/11-17, römisch fünf 77-81/11-17 als gesetzwidrig aufgehoben (4).

Der Inhalt des Paragraph 3,, wonach es unzulässig ist, dem Beschuldigten oder seinem Vertreter Akten oder Teile davon zur Herstellung von Kopien außerhalb des Amtsgebäudes mitzugeben, wird nunmehr in Paragraph 53, Absatz 2, letzter Satz StPO abgebildet. Zwar bestand in Paragraph 170, Absatz 2, dritter Satz Geo. eine Gerichte und (aufgrund des Verweises in Paragraph 2, DV-StAG) auch Staatsanwaltschaften bindende entsprechende Bestimmung; da sich diese jedoch nicht auf die Kriminalpolizei bezog, erfolgte eine ausdrückliche Aufnahme in die StPO.

Dem aufzuhebenden Regelungsinhalt des Paragraph 4,, der die gebühren- und kostenfreie Herstellung von zwei Kopien eines Protokolls für die einvernommene und zur Akteneinsicht berechtigte Person vorsah und gleichermaßen auf Beschuldigte und Opfer wirkte, wird nunmehr durch die neue Bestimmung des Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 4, StPO entsprochen (siehe Punkt 3.1).

Paragraph 5, regelte lediglich das Inkrafttreten.

3.3. Recht besonders schutzbedürftiger Opfer auf Dolmetschleistungen durch Personen des gleichen Geschlechts (Paragraph 66 a, Absatz 2, Ziffer eins a, StPO)

Besonders schutzbedürftigen Opfern iSd Paragraph 66 a, Absatz eins, StPO wird das Recht eingeräumt, im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung zu verlangen, dass Dolmetschleistungen nach Möglichkeit von einer Person des gleichen Geschlechts erbracht werden. Durch die flexible Wendung „nach Möglichkeit“ soll unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles (insbesondere auch des bekannten Dolmetschermangels für bestimmte Sprachen) ein angemessener Ermessensspielraum zur Verfügung stehen.

3.4. Klarstellung beim Antragsrecht von Opfern und Zeugen auf eine schonende Vernehmung (Paragraph 165, Absatz 4,, Paragraph 250, Absatz 3, StPO)

Zur Klarstellung und Vereinheitlichung mit Paragraph 165, Absatz 3, StPO wird der in Paragraph 165, Absatz 4, StPO genannte Zeugenkreis, über dessen Antrag eine schonende Vernehmung durch das Gericht im Ermittlungsverfahren durchgeführt werden kann, um „Zeugen, auf die die in Paragraph 66 a, Absatz eins, erwähnten Kriterien zutreffen“ ergänzt.

Nachdem sich der Regelungsinhalt des Paragraph 66 a, Absatz eins, StPO nicht mit jenem des Paragraph 65, Ziffer eins, Litera a, StPO deckt, werden nunmehr besonders schutzbedürftige Opfer explizit in die Bestimmung des Paragraph 250, Absatz 3, StPO zur schonenden Vernehmung im Hauptverfahren aufgenommen.

3.5. Neustrukturierung und inhaltliche Änderungen beim Informationsrecht von Opfern (Paragraph 70, StPO)

Im Sinne einer besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit erfährt die Bestimmung des Paragraph 70, StPO eine neue Strukturierung und zwei inhaltliche Änderungen:

Nachdem es in der Praxis mitunter in Einzelfällen vorgekommen ist, dass der Begriff des „bestimmten“ Beschuldigten im Gegensatz zu jenem des unbekannten Täters gesehen wurde und Informationen unterblieben sind, wird durch den Entfall der Wortfolge „gegen einen bestimmten Beschuldigten“ in Absatz eins, erster Satz nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Informationsrechte von Opfern unabhängig davon zustehen, ob ein Ermittlungsverfahren gegen bekannte oder unbekannte Beschuldigte geführt wird.

Weiters wird in Anlehnung an die Bestimmung des Paragraph 50, Absatz eins, dritter Satz StPO die Möglichkeit des Aufschubs der Information an Opfer auf jene Fälle beschränkt, in denen besondere Umstände befürchten lassen, dass ansonsten der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre.

Im Zusammenhang mit dem Informationsrecht darf an dieser Stelle auch die Verpflichtung zur Belehrung von Opfern gemäß Paragraph 70, Absatz eins, StPO in Verbindung mit Paragraph 14, VOG in Erinnerung gerufen werden, um zu verhindern, dass Opfer mangels entsprechender Belehrung ihre Ansprüche verspätet und daher erfolglos geltend machen. Nach Paragraph 14, VOG sind Geschädigte, die für Hilfeleistungen in Betracht kommen, über das Verbrechensopfergesetz zu belehren. Dabei obliegt die Belehrung der Sicherheitsbehörde, welche die Tatsachenfeststellungen trifft und dem Strafgericht erster Instanz, wenn jedoch die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, dieser.

In der Praxis stehen dafür eine Vielzahl an Informationsfoldern vom Bundesministerium für Inneres zur Verfügung. Anlässlich der Vernehmung eines Opfers als Zeuge besteht außerdem im Formular für das Protokoll über eine Zeugenvernehmung (StPO Form Prot 3) die Möglichkeit, den Textbaustein „Hinweis Opferschutz“ auszuwählen.

3.6. Anpassung der Bestimmungen in der StPO an den geänderten Regelungsinhalt des Paragraph 38 a, SPG (Paragraph 66 a, Absatz eins,, Paragraph 173, Absatz 5, Ziffer 3,, Paragraph 206, Absatz eins, StPO)

Im Sinne der Neufassung des Paragraph 38 a, SPG wird in den entsprechenden Bestimmungen und Verweisen der StPO nicht mehr auf den Begriff der „Gewalt in Wohnungen“, sondern auf Fälle möglicher bzw. erteilter Betretungs- und Annäherungsverbote nach Paragraph 38 a, Absatz eins, SPG abgestellt. Dadurch erweitert sich der Opferkreis neben den ursprünglich von Paragraph 38 a, SPG adressierten Opfern von Gewalt im engsten familiären Umfeld auf Opfer, denen Gewalt in ihrem unmittelbaren sozialen Nahebereich widerfahren ist (z.B. Opfer von Paragraph 107 a, StGB oder Opfer der Eskalation nachbarschaftlicher Konfliktsituationen).

Die Verwendung des Konjunktivs in Paragraph 66 a, Absatz eins, Ziffer 2, StPO (wonach ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß Paragraph 38 a, Absatz eins, SPG „erteilt werden könnte“) soll unter Wahrung der Unschuldsvermutung sämtliche möglichen Konstellationen abdecken, in denen die Erteilung eines Betretungs- und Annäherungsverbots zum Schutz vor Gewalt nach Paragraph 38, Absatz eins, SPG möglich ist und damit im Ergebnis sowohl Opfer umfassen, zu deren Schutz ein solches tatsächlich bereits erteilt wurde, als auch solchen Opfern zugutekommen, bei denen die Voraussetzungen nach Paragraph 38 a, Absatz eins, SPG vorliegen, ein Betretungs- und Annäherungsverbot aber (noch) nicht ausgesprochen wurde.

Weiters kann dem Beschuldigten nunmehr als gelinderes Mittel gemäß Paragraph 173, Absatz 5, Ziffer 3, StPO die Weisung erteilt werden, ein bereits erteiltes Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt nach Paragraph 38 a, Absatz eins, SPG bzw. eine einstweilige Verfügung nach Paragraph 382 b, EO nicht zu übertreten, sich dem Opfer nicht anzunähern sowie eine bestimmte Wohnung oder sonstige bestimmte Örtlichkeiten (z.B. institutionelle Schul- und Betreuungseinrichtungen oder den Arbeitsplatz des Opfers) nicht zu betreten. Wie bisher besteht außerdem die Möglichkeit, das Gelöbnis anzuordnen, jeden Kontakt mit dem Opfer zu unterlassen.

Im Hinblick auf die zeitliche Befristung des Betretungs- und Annäherungsverbotes zum Schutz vor Gewalt ist nicht darauf abzustellen, ob ein solches aktuell noch aufrecht ist, sondern nur darauf, ob es in Zusammenhang mit jenem Sachverhalt erteilt wurde, der zur Einleitung eines Strafverfahrens geführt hat.

3.7. Übermittlung personenbezogener Daten aus einem Strafverfahren (Paragraph 76, Absatz 4 und 6 StPO)

3.7.1   Paragraph 76, Absatz 4, StPO

Die Neuregelung bezweckt eine Beseitigung der in der Praxis bestehenden Unklarheiten insbesondere im Hinblick auf die Frage der Spezialität der Bestimmung gegenüber einer materiengesetzlich bestehenden Ermächtigung zum Erhalt von Daten aus einem Strafverfahren.

Künftig müssen folgende Voraussetzungen für die Übermittlung von Daten aus einem Strafverfahren erfüllt sein:

    Die Übermittlung ist nur an Behörden und Gerichte zulässig.

    Es muss eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage bestehen, die die anfragende Behörde/das anfragende Gericht zum Erhalt bzw. zur Verwendung von Daten aus einem Strafverfahren berechtigt.

    Die Verwendung der angefragten Daten im Strafverfahren als Beweis muss zulässig sein.

    Die mit der Übermittlung verfolgten Zwecke müssen im gesetzlichen Zuständigkeitsbereich der ersuchenden Behörde/des ersuchenden Gerichts liegen.

    Es dürfen keine schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen die mit der Übermittlung verfolgten Zwecke überwiegen. Im Rahmen dieser Abwägung ist besonderes Augenmerk auf die Intensität des mit der vorgenommenen Ermittlungsmaßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs zu legen: Je schwerwiegender ein solcher Eingriff ausgestaltet ist, desto gewichtiger sind die schutzwürdigen Interessen der von der Übermittlung betroffenen Personen.

    Die Übermittlung darf den Zweck einer Ermittlung nicht gefährden.


3.7.2   Paragraph 76, Absatz 6, StPO

Die Bestimmung schafft für Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die grundsätzliche Zulässigkeit der Bekanntgabe von Daten eines Strafverfahrens in einer Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz zu „High-Risk-Fällen“ (Paragraph 22, Absatz 2, SPG).

Eine Bekanntgabe ist nur zulässig, wenn diese Daten zulässig in einem Strafverfahren Verwendung finden können.

Die Entscheidung darüber, ob bzw. in welchem Umfang in einem Strafverfahren ermittelte Daten im Rahmen einer Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz den Teilnehmern bekanntgegeben werden, obliegt allein dem zugezogenen Entscheidungsorgan sowohl nach ermittlungstaktischen Gesichtspunkten als auch nach Abwägung der schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der von einer Datenbekanntgabe betroffenen Personen gegenüber dem mit der Fallkonferenz verfolgten Zweck des Schutzes einer gefährdeten Person.

3.8. Exkurs – Verständigungspflicht der Gerichte und Staatsanwaltschaften nach Paragraph 37, B-KJHG

Im Zusammenhang mit den Erweiterungen und Klarstellungen im Bereich des Opferschutzes durch das Gewaltschutzgesetz 2019 darf aufgrund des thematischen Zusammenhangs an dieser Stelle die Verständigungspflicht der Gerichte und Staatsanwaltschaften gemäß Paragraph 37, B-KJHG in Erinnerung gerufen werden.

Ergibt sich in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht, dass Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind oder ihr Wohl in anderer Weise erheblich gefährdet ist, und kann diese konkrete erhebliche Gefährdung eines bestimmten Kindes oder Jugendlichen anders nicht verhindert werden, ist gemäß Paragraph 37, B-KJHG 2013 unverzüglich schriftlich Mitteilung an den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger zu erstatten. Diese Verständigungspflicht umfasst sowohl die in Paragraph 37, Absatz eins, Ziffer eins, B-KJHG 2013 ausdrücklich genannten Gerichte (Pflegschafts- und Strafgerichte einschließlich Familien und Jugendgerichtshilfe) als auch die Staatsanwaltschaften (EBRV 2191 BlgNR 24. GP).

In diesem äußerst sensiblen Bereich ist dem Kindeswohl und damit dem Opferschutz der Vorrang vor allfälligen kriminaltaktischen Überlegungen einzuräumen. Ein in Abwägung zu kriminaltaktischen Überlegungen auszuübendes Ermessen hinsichtlich des Zeitpunkts einer derartigen Verständigung kommt nicht in Betracht.

Ein begründeter Verdacht liegt jedenfalls dann vor, wenn über die bloße Vermutung hinausgehende, konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung eines konkreten, namentlich bekannten Kindes oder Jugendlichen vorliegen. Gemessen an den Bestimmungen der StPO liegt die Intensität des begründeten Verdachts zwischen dem Anfangsverdacht iSd Paragraph eins, Absatz 2, StPO als Ausgangspunkt für die Einleitung von Ermittlungen und der für die Anklageerhebung notwendigen einfachen Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf eine Verurteilung nach Paragraph 210, Absatz eins, StPO. Von einer solchen Verdachtslage ist jedenfalls auszugehen, wenn ein Tatsachensubstrat vorliegt, das die Anordnung von Zwangsmaßnahmen, wie z.B. der Sicherstellung und der Durchsuchung (siehe die diesbezüglichen Zulässigkeitsvoraussetzungen) rechtfertigen würde. Es wird daher in aller Regel die Annahme bestimmter Tatsachen aufgrund konkreter Beweismittel (auch Aussagen und Geständnisse) die für eine mögliche Gefährdung eines konkreten Kindes sprechen, die Verständigungspflicht auslösen. Ein dringender Tatverdacht, wie er für die Verhängung der Untersuchungshaft notwendig ist, muss hingegen gerade nicht gegeben sein.

Eine Verständigungspflicht besteht insoweit jedenfalls in Ermittlungsverfahren wegen der Straftatbestände der Paragraphen 83, ff, 92, 206 und 207 StGB, wobei diese Aufzählung keinesfalls abschließend zu verstehen ist. Unter sonstigen Kindeswohlgefährdungen versteht das B-KJHG 2013 die erhebliche Beeinträchtigung, wie etwa die Suchterkrankung von Eltern, Kindern und Jugendlichen, die beharrliche Schulverweigerung (Schulpflichtverletzung iSv Paragraph 24 a, Schulpflichtgesetz) oder die wiederholte Abgängigkeit aus dem elterlichen Haushalt vergleiche EB 2191 d.B. 24. GP zu Paragraph 37, B-KJHG 2013).

Insoweit werden die Staatsanwaltschaften und Gerichte nachdrücklich auf die Verpflichtung hingewiesen, im Falle eines begründeten Verdachts der Kindeswohlgefährdung den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger unverzüglich zu verständigen.

Zu diesem Zweck wird auf die Formulare „Mitteilung an den Kinder- und Jugendhilfeträger gemäß Paragraph 37, Absatz eins, B-KJHG“ StPOForm Nachr 39 G (für Gerichte) sowie StPOForm Nachr 39 S (für Staatsanwaltschaften) hingewiesen. Darin sollen neben der möglichst genauen Identifizierung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen auch alle Umstände aufgenommen werden, die den Verdacht einer solchen Kindeswohlgefährdung hervorgerufen haben vergleiche EB 2191 d.B. 24. GP).

Der Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der Abwehr von Gefährdungen für das Kindeswohl dient auch Paragraph 6, B-KJHG 2013, durch den die grundsätzlich bestehende Verschwiegenheitspflicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfeträger und der beauftragten privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen insoweit im Strafverfahren durchbrochen wird, als diese nach Absatz 4, leg. cit. nicht gegenüber Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft und Gerichte gilt, sofern sich diese Auskunftsersuchen auf den konkreten Verdacht beziehen, dass Kinder und Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden sind. Zur Anwendung gelangen die jeweiligen Bestimmungen in den Ausführungsgesetzen der Länder.

4.   Änderungen des Strafregistergesetzes und des Tilgungsgesetzes

4.1. Anpassung an die Änderungen beim Tätigkeitsverbot nach Paragraph 220 b, StGB (Paragraph 4, Absatz 5,, Paragraph 12, Absatz eins, StRegG)

In Anpassung an den geänderten Wortlaut des Paragraph 220 b, StGB sollen die Gerichte künftig ein rechtskräftiges Tätigkeitsverbot sowie dessen Aufhebung für die Aufnahme in das Strafregister der Landespolizeidirektion Wien übermitteln. Die Löschung eines Tätigkeitsverbots soll nach Mitteilung des ordentlichen Gerichtes über dessen rechtskräftig erfolgte Aufhebung erfolgen.

4.2. Erteilung von Strafregisterauskünften und Sonderauskünften zu Sexualstraftätern und über Tätigkeitsverbote für Vereine und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 4,, Paragraph 9 a, Absatz 2, Ziffer 2, StRegG)

Sämtliche Änderungen und Neuerungen im StRegG, welche die Vereine und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB (Vereine und Einrichtungen, denen die Betreuung von oder sonstiger intensiver Kontakt mit Personen zukommt, die wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlos sind) betreffen, sind inhaltlich an die bereits bestehenden Regelungen zu den Kinder- und Jugendhilfeträgern angelehnt.

Künftig ist daher Vereinen und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Regelungen

    gemäß Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 4, StRegG Auskunft über die gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer eins bis 6 StRegG aufgenommenen Daten und

    gemäß Paragraph 9 a, Absatz 2, Ziffer 2, StRegG Auskunft über die gemäß Paragraph 2, Absatz eins a, gekennzeichneten Verurteilungen sowie über Daten gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 7 und 8 StRegG

zu erteilen. Wesentlich ist dabei, dass sich die Auskunftserteilung nach Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 4, StRegG in Anlehnung an die bestehende Bestimmung zu den Kinder- und Jugendhilfeträgern – lediglich auf jene Fälle beschränkt, in denen dies zur Vermeidung oder zur Abwehr einer konkreten von einer bestimmten Person ausgehenden Gefährdung einer bestimmten wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlosen Person erforderlich ist. Analog zu den Kinder- und Jugendhilfeträgern gilt auch hier, dass eine allgemeine Auskunft aus dem Strafregister daher nicht zulässig sein wird, wenn (noch) keine konkrete Gefährdungslage besteht, wie etwa beim Abschluss eines Anstellungsverhältnisses (EBRV 1677 BlgNR 24. GP 7; Kert in Fuchs/Ratz, WK StPO Paragraph 9, StRegG Rz 16).

Die Sonderauskünfte zu Sexualstraftätern und über Tätigkeitsverbote nach Paragraph 9 a, Absatz 2, Ziffer 2, StRegG können Vereinen und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB wiederum nur im Zusammenhang mit der Anstellung von Personen in der Pflege und Betreuung wehrloser Personen erteilt werden.

Für die Sonderauskünfte nach Paragraph 9 a, StRegG steht allgemein die Anfrageart „SE“ zur Verfügung, mit der unter den Voraussetzungen des Paragraph 9 a, StRegG folgendes abgefragt werden kann:

    ob zu einer bestimmten Person Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung im Strafregister (Verurteilungen nach dem 10. Abschnitt des StGB) gespeichert sind;

    ob im Zusammenhang damit eine Anordnung der gerichtlichen Aufsicht gemäß Paragraph 52 a, StGB erfolgt ist;

    ob wegen einer solchen Verurteilung – und gegebenenfalls welche – Weisungen gemäß Paragraph 51, StGB erteilt wurden, und

    ob [und gegebenenfalls für welche Dauer] ein rechtskräftiges Tätigkeitsverbot nach Paragraph 220 b, StGB besteht.

4.3. Neue „Strafregisterbescheinigung Pflege und Betreuung“ (Paragraph 10, Absatz eins c und 1d, Paragraph 10 b, Absatz 2,, 11 Absatz 4 a, StRegG)

In Anlehnung an die „Strafregisterbescheinigung Kinder- und Jugendfürsorge“ wird nunmehr auch für Fälle der Pflege und Betreuung wehrloser Personen (Paragraph 220 b, StGB) über besonderen Antrag eine eigene „Strafregisterbescheinigung Pflege und Betreuung“ ausgestellt, wenn eine Person diese für die Prüfung der Eignung zur Ausübung einer bestimmten, in ihrem Verantwortungsbereich liegenden beruflichen oder organisierten ehrenamtlichen Tätigkeit, die hauptsächlich die Pflege und Betreuung wehrloser Personen umfasst, benötigt. Dem Antrag ist eine entsprechende schriftliche Aufforderung zur Vorlage einer derartigen Bescheinigung anzuschließen.

Die Regelungen zur „Strafregisterbescheinigung Pflege und Betreuung“ (Paragraph 10, Absatz eins c und 1d und Paragraph 11, Absatz 4 a, StRegG) treten aufgrund des technischen Umsetzungsbedarfs erst mit 1.7.2020 in Kraft.

4.4. Ausnahme der Beschränkung der Auskunft auch für Vereine und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB (Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 9, TilgG)

In Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 9, TilgG ist eine Ausnahme der Beschränkung der Auskunft für Vereine und Einrichtungen gemäß Paragraph 220 b, StGB vorgesehen, wenn dies zur Vermeidung oder Abwehr einer konkreten, von einer bestimmten Person ausgehenden Gefährdung einer bestimmen wehrlosen Person erforderlich ist.

5.   Aufhebung von Erlässen

Mit Inkrafttreten dieses Erlasses werden gleichzeitig

    der Erlass vom 30.6.2005, BMJ-L691.003/0004-II 3/2005, über Belehrungspflichten gegenüber Verbrechensopfern, JABl Nr. 45/2005,

    der Erlass vom 31.8.1984, JMZ 691.003/3-II.1/84, betreffend die Belehrung des Geschädigten nach Paragraph 14, des Bundesgesetzes über die Gewährung von Hilfeleistungen an die Opfer von Verbrechen, JABl Nr. 44/1984,

    der Erlass vom 23.8.2013, BMJ-S691.007/0003-IV 3/2013, über Mitteilung bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung an den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger nach Paragraph 37, B-KJHG, JABl Nr. 31/2013, und

    der Erlass vom 22.6.2010, BMJ-L693.007/0006-II 3/2010, über Sonderauskünfte zu Sexualstraftätern; neue Anfrageart im Strafregister „SE“, JABl Nr. 24/2010,

aufgehoben.

1)   Die Bestimmungen der Paragraph 10, Absatz eins c und 1d sowie Paragraph 11, Absatz 4 a, StRegG treten mit 1. Juli 2020 in Kraft.

2)   Im Initiativantrag 970/A römisch XXVI. GP noch als Paragraph 87, Absatz 2 und 3 StGB bezeichnet.

3)   Die Tarifpost 15 ist auch in Strafverfahren, die von Amts wegen zu verfolgende Straftaten zum Gegenstand haben, auf die bei Gericht, bei der Staatsanwaltschaft oder bei der Kriminalpolizei im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht hergestellten Abschriften, Ablichtungen, Kopien oder Ausdrucke anzuwenden; Paragraph 52, Absatz 2 und 3 StPO bleibt unberührt.

4)   vergleiche die Kundmachung der Bundesministerin für Justiz vom 30.12.2011, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 469 aus 2011,

Anmerkung

Aufhebung von Erlässen: Erlass vom 30.6.2005, BMJ-L691.003/0004-II 3/2005, über Belehrungspflichten gegenüber Verbrechensopfern, JABl Nr. 45/2005; Erlass vom 31.8.1984, JMZ 691.003/3-II.1/84, betreffend die Belehrung des Geschädigten nach § 14 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Hilfeleistungen an die Opfer von Verbrechen, JABl Nr. 44/1984; Erlass vom 23.8.2013, BMJ-S691.007/0003-IV 3/2013, über Mitteilung bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung an den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger nach § 37 B-KJHG, JABl Nr. 31/2013, und der Erlass vom 22.6.2010, BMJ-L693.007/0006-II 3/2010, über Sonderauskünfte zu Sexualstraftätern; neue Anfrageart im Strafregister „SE“, JABl Nr. 24/2010

Zuletzt aktualisiert am

30.12.2019

Dokumentnummer

ERL_BMVRDJ_20191218_S318_040_0016_IV_1_2019

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