Unabhängiger Bundesasylsenat

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Entscheidungstext 235.166/0/24E-XVI/48/03

Entscheidende Behörde

Unabhängiger Bundesasylsenat

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Entscheidungsart

Bescheid

Geschäftszahl

235.166/0/24E-XVI/48/03

Entscheidungsdatum

28.02.2007

Verfasser

Mag. Huber-Huber

Norm

AsylG 1997 §7 AsylG 1997 §12

Spruch

BESCHEID

SPRUCH

Der Unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. HUBER-HUBER gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG in Verbindung mit Paragraph 38, Absatz eins, des Asylgesetzes 1997, BGBI. römisch eins Nr. 76/1997, in der Fassung BGBI. römisch eins Nr. 126/2002 (AsylG), entschieden:

römisch eins. Der Berufung von N. H. vom 24.02.2003 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.02.2003, Zahl 02 03.157-BAI, wird stattgegeben und N. H. gem. Paragraph 7, AsylG Asyl gewährt. Gemäß Paragraph 12, leg. cit. wird festgestellt, dass N. H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

römisch II. Spruchteil römisch III des bekämpften Bescheides vom 05.02.2003, Zahl: 02 03.157-BAI, wird ersatzlos behoben.

Text

BEGRÜNDUNG

römisch eins. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Berufungswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 31.01.2002 zu Fuß aus der Slowakei kommend illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellte noch am 31.01.2002 einen Asylantrag. Er gab an, 1981 geboren und verheiratet zu sein, aus Afghanistan zu kommen und der Volksgruppe der Hazare sowie der schiitischen Religion anzugehören. Er habe Afghanistan verlassen, weil dort Krieg herrsche und er als Hazare und Schiit in Afghanistan verfolgt werde. Deshalb ersuche er um politisches Asyl.

2. Am 30.01.2003 erfolgte die erste asylbehördliche Einvernahme des Berufungswerbers beim Bundesasylamt-Außenstelle Innsbruck. Der Berufungswerber gab an, seine Heimat verlassen zu haben, weil er dort mit dem Tode bedroht wurde. Seine Eltern und sein Bruder seien am 01.08.2001 von unbekannten Männern im Haus der Familie des Berufungswerbers getötet worden. Der Berufungswerber sei zu diesem Zeitpunkt nicht zuhause gewesen. Freunde des Vaters des Berufungswerbers hätten ihm gesagt, dass diese Personen auch ihn töten könnten und er habe deshalb Afghanistan verlassen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.02.2003, Zahl: 02 03.157-BAI, wurde der Asylantrag von N. H. vom 31.01.2002 gemäß Paragraph 7, Asylgesetz abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins). Weiters wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß Paragraph 8, Asylgesetz für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt römisch II) und dem Berufungswerber für den Fall des Eintritts der Rechtskraft der Spruchpunkte römisch eins. und römisch II. gem. Paragraph 15, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 15, Absatz 3, AsylG eine Aufenthaltsberechtigung befristet auf drei Monate erteilt.

Die Erstbehörde begründete ihre Entscheidung zusammengefasst damit, dass der Berufungswerber hinsichtlich seiner Person nicht glaubwürdig sei. Er habe kein Personaldokument vorgelegt, um seine Identität nachzuweisen. Aufgrund seiner Sprach- und Ortskenntnisse könne jedoch angenommen werden, dass er afghanischer Staatsbürger ist. Die Angaben des Berufungswerbers zum Reiseweg wurden für nicht glaubwürdig befunden, da nicht nachzuvollziehen sei, dass der Berufungswerber über die Reiseroute von Pakistan nach Österreich keine Angaben machen könne. Den Angaben des Berufungswerbers zu den Ausreisegründen wurde jedoch Glaubwürdigkeit zugesprochen. Die Verfolgungsgefahr müsse aktuell sein und zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen. Vergangene Verfolgungshandlungen würden nicht genügen. Im Hinblick auf die geänderte Situation in Afghanistan könne eine aktuell vorliegende asylrelevante Verfolgungs- oder Bedrohungsgefahr hinsichtlich der Person des Berufungswerbers nicht erblickt werden. Das Asylrecht habe nicht zur Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgehen. Die in der Heimatregion des Berufungswerbers herrschenden allgemeinen Zustände würden nachvollziehbar für einzelne Bürger eine schwierige Lebenssituation darstellen, im Falle des Berufungswerbers würden sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte für eine konkret gegen ihn gerichtete oder geplante Verfolgungshandlung ergeben. Bei seinen Befürchtungen handle es sich lediglich um Vermutungen, die aus objektiver Sicht nicht begründet werden. Die Unzulässigkeitserklärung der Abschiebung des Berufungswerbers wurde damit begründet, dass aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der mangelnden Infrastruktur und der anhaltenden Dürre und des fehlenden Sozialsystems die Situation für die Rückkehrer in Afghanistan sehr schwer sei. Unter Verweis auf ein vom Ländersachverständigen Dr. R. in einer öffentlich mündlichen Verhandlung am 17.12.2001 vor dem UBAS zu Zahl 212.690/00 abgegebenes Gutachten würde der Berufungswerber im Falle der Abschiebung in eine aussichtslose Lage geraten. Die Berücksichtigung individueller, den Berufungswerber betreffenden Faktoren, Alter, Bildungsgrad, Berufsausübung, Volksgruppe, Anknüpfungspunkte etc. und die derzeitige Lage in Afghanistan würden für das Vorliegen von Kriterien für eine ausweglose Lage sprechen. Es sei dem Berufungswerber die Lebensgrundlage in seinem Herkunfts- und Heimatstaat entzogen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung sei daher nicht zulässig.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und der Rechtspraxis des Unabhängigen Bundesasylsenates sei eine bedingte Aufenthaltsberechtigung befristet auf 3 Monate zu erteilen. Damit würde dem Umstand Rechnung getragen, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Rückkehr in das Herkunftsland unmöglich sei. Neben der allgemeinen schwierigen Bewertung der landesspezifischen Situation würden noch weitere, nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizierbare Umstände, wie zB. die Frage der Berufungseinbringung oder die Frage der Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens hinzukommen. Mit der Gewährung einer dreimonatigen Aufenthaltsberechtigung sei sicher gestellt, dass hinreichend Zeit für die Setzung der geboten erscheinenden Maßnahmen durch den Asylwerber bestehe. Die "Nebenbestimmung" des Paragraph 15, AsylG seit ihrerseits mit einer Nebenbestimmung zu versehen und die vorläufige Aufenthaltsberechtigung unter der Bedingung zu erteilen, dass der Hauptteil des Bescheides vom Eintritt bestimmter künftiger ungewisser Ereignisse abhängig ist. Diese Bedingungen wären die Rechtskraft des Bescheides nach Paragraph 7, AsylG, Rechtskraft des Bescheides nach Paragraph 8, AsylG und der Umstand des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet. Die bedingt erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung würde daher ihre Wirkung erst dann entfalten, wenn diese Punkte eingetreten sind.

4. Gegen die Spruchpunkte römisch eins. und römisch III. des angefochtenen Bescheides wurde rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung eingebracht. Spruchpunkt römisch II. blieb unbekämpft und ist daher in Rechtskraft erwachsen. Die Berufung wurde damit begründet, dass die belangte Behörde verkannt habe, dass dem Berufungswerber in seiner Heimat asylrelevante Verfolgung drohe. Seine Muttersprache sei Dari und im Zuge der niederschriftlichen Einvernehmung sei eine Dolmetscherin der Sprache Farsi herangezogen worden, was dazu geführt habe, dass seine Angaben nicht vollständig übersetzt worden seien. Es sei daher auch zu einem Missverständnis hinsichtlich des Datums, an welchem seine Eltern getötet wurden, gekommen. Einige Punkte seien nicht näher nachgefragt worden und auf den Grund, warum seine Eltern getötet worden sind, sei nicht eingegangen worden. Sein Vater, M. M., sei Kommandant der Wahdat- Partei gewesen und aufgrund innerparteilicher Probleme seien er, seine Mutter und sein Bruder von anderen Kommandanten der Wahdat- Partei getötet worden. Der Berufungswerber fürchte nun, von diesen Personen ebenfalls umgebracht zu werden, unter anderem deshalb, weil diese die Rache des Berufungswerbers für den Tod seiner Familienangehörigen fürchten würden. Die belangte Behörde habe den in der Entscheidung herangezogenen Länderbericht dem Berufungswerber nicht zur Kenntnis gebracht. Die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gem. Paragraph 15, AsylG unter einer Bedingung sei unzulässig. Die belangte Behröde hätte sofort eine Aufenthaltsberechtigung nach Paragraph 15, AsylG zu erteilen gehabt. Die Rechtsansicht der Behörde erster Instanz, dass die befristete Aufenthaltsberechtigung unter Bedingungen zu erteilen ist, sei nicht richtig. Die belangte Behörde würde diesbezüglich die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes sowie Entscheidungen des UBAS unrichtig auslegen. Die Aufnahme einer Bedingung in den Ausspruch einer Nebenbestimmung sei unzulässig und die befristete Aufenthaltsberechtigung hätte daher nicht unter der Voraussetzung dass der Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wird, erteilt werden dürfen. Bei der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung handle es sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes und des Unabhängigen Bundesasylsenates um den Ausspruch einer Nebenbestimmung, die gleichzeitig mit dem zu erlassenen Bescheid zu verbinden sei, ihre Wirkung aber von Gesetz wegen erst mit der Rechtskraft der zu Beendigung des Aufenthaltsrechtes führenden Entscheidung eintrete. Mit dem Berufungsschriftsatz wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und dem Berufungswerber Asyl zu gewähren, den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des Spruchpunktes römisch III dahingehend abzuändern, dass dem Berufungswerber die befristete Aufenthaltsberechtigung gem. Paragraph 15, AsylG ohne Bedingungen erteilt wird; in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

5. Der Unabhängige Bundesasylsenat hat erstmals für den 01.12.2004 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung anberaumt. Der Berufungswerber hielt dabei sein ursprüngliches Fluchtvorbringen aufrecht und erläuterte die näheren Zusammenhänge mit dem Tod seiner Eltern und seines Bruders. Dabei nannte der Berufungswerber Namen, Kalenderdaten, familiäre Beziehungen sowie politische Hintergründe im Zusammenhang mit den in seiner Region herrschenden Parteien und Umstände. Am Ende der Verhandlung wurde der nicht amtliche Sachverständige Dr. S. R. ersucht, nach Möglichkeit detaillierte Informationen in Afghanistan einzuholen, die zur Überprüfung der Angaben des Berufungswerbers dienlich sein könnten. Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

6. Am 05.12.2005 langte beim Unabhängigen Bundesasylsenat eine Zustellvollmacht lautend auf Herrn M. N., S.

Integrationsverein in Wien, ein. Die Vollmacht enthält gleichzeitig die Ermächtigung für Herrn Dr. K., den Berufungswerber bei seiner asyl- und fremdenpolizeilichen Ladungen zu begleiten und auch für diesen Informationen über den jeweiligen Verfahrensstand einzuholen, bzw. Ablichtungen aus dem Akt herzustellen.

7. Mit Verfügung des Vorsitzenden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 24.01.2006 wurde das Berufungsverfahren dem bis dahin zuständigen Senat I/03 abgenommen und an den Senat XVI/48 zugewiesen.

8. Der nunmehr zuständige Senatsmitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates beraumte für den 07.07.2006 eine weitere mündliche Berufungsverhandlung an, zu der der Berufungswerber jedoch ohne Angabe von Gründen nicht erschienen ist. Am 14.07.2006 langte beim Unabhängigen Bundesasylsenat das schriftliche Gutachten des nichtamtlichen Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in Afghanistan, Dr. R. ein. Dieses Gutachten wurde dem Berufungswerber über seinen Zustellbevollmächtigten schriftlich zur Kenntnis gebracht. In der Folge wurde dem Unabhängige Bundesasylsenat mit Schreiben vom 28.08.2006 vom Zustellbevollmächtigten bekannt gegeben, dass der Berufungswerber zwar die Ladung für die mündliche Verhandlung am 07.07.06 erhalten habe, dieser jedoch keine weitere Vertretung des bis dahin ermächtigten Zustellbevollmächtigten wünsche und in Zukunft die Caritas Innsbruck seine Vertretung übernehmen werde. Die Caritas Innsbruck ersuchte um Verlängerung der Frist zur Abgabe einer Stellungnahme betreffend des vom Sachverständigen vorgelegten Gutachtens.

9. Am 09.10.2006 langte die Stellungnahme des Berufungswerbers, abgegeben durch die lediglich zur Abgabe dieser Stellungnahme bevollmächtigte MMag. D. B., Caritas Flüchtlingsstelle, beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

10. Der Unabhängige Bundesasylsenat beraumte für den 06.02.2007 neuerlich eine öffentlich mündliche Berufungsverhandlung an, wozu der Berufungswerber, ein Dolmetscher für die Sprache Farsi/Dari, ein Vertreter des Bundesasylamtes und der nicht amtliche Sachverständige Dr. R. geladen wurden. Das Bundesasylamt-Außenstelle Innsbruck entsandt keinen Vertreter, beantragte jedoch schriftlich die Abweisung des Berufung.

11. Hinsichtlich der Aussagen des Berufungswerbers in der Berufungsverhandlung am 06.02.2007 und die Stellungnahme des Sachverständigen wird auf das Verhandlungsprotokoll verweisen, von dem sowohl dem Berufungswerber als auch dem Bundesasylamt eine Kopie ausgefolgt bzw. übermittelt wurde.

römisch II. Der Unabhängige Bundesasylsenat stellt nach Durchführung der Berufungsverhandlung und Würdigung der Beweise folgenden Sachverhalt fest:

1. Die Identität des Berufungswerbers konnte mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht geklärt werden. Die von ihm angegebene Herkunft wird jedoch aufgrund der Sprach- und Regionalkenntnisse des Berufungswerbers als richtig angenommen.

2. Der Berufungswerber reiste nach der Aktenlage am 31.01.2002 über die Slowakei illegal zu Fuß in das Bundesgebiet von Österreich ein und brachte noch am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl ein. Er wurde zusammen mit 11 anderen afghanischen Staatsangehörigen von Soldaten des österreichischen Bundesheers im Ortsgebiet Marchegg, ohne im Besitze von Dokumenten zu sein, angetroffen. Bei der Erstbefragung am 31.01.2002 gab der Berufungswerber an, sechs Monate davor von Afghanistan nach Pakistan geflohen zu sein. Die Angaben zum Reiseweg wirken glaubhaft und werden nicht in Zweifel gestellt.

3. Der Berufungswerber schilderte seine Fluchtgründe zusammenhängend und logisch nachvollziehbar. Detaillierte Fragen vermochte der Berufungswerber spontan und plausibel zu erklären. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren brachte der Berufungswerber vor, dass seine Eltern und sein Bruder im Zuge eines Übergriffes getötet worden seien, während er sich zu diesem Zeitpunkt nicht zuhause aufgehalten habe und dieses Ereignis von einem Nachbarn erfahren hätte. Er konnte sich die Hintergründe für diese Dauer zum Zeitpunkt der Einvernahme beim Bundesasylsamt nicht erklären. Er habe Afghanistan verlassen, um dem Schicksal das seinen Eltern und seinem Bruder widerfahren ist, zu entgehen.

Bereits in der ersten Einvernahme im Rahmen des Berufungsverfahrens erklärte der Berufungswerber die Hintergründe und die Zusammenhänge mit dem Anschlag auf seine Familienmitglieder unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in Afghanistan sehr genau und weitgehend widerspruchsfrei. Der Berufungswerber vermochte außerdem über die in seiner Region zurückliegenden stattgefundenen Konflikte und auch über die Konfliktparteien Auskunft zu geben. Die faktenbezogenen Erhebungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten vom 13.07.2006 waren weitgehend mit den Aussagen des Berufungswerbers in Einklang zu bringen.

Der Berufungswerber bringt - wie schon im erstinstanzlichen Verfahren - einen seine Familie betreffenden Blutrachefall vor und erklärt, dass dieser auf die Ermordung des Neffen seines Vaters mütterlicherseits zurückgeht. Der Neffe seines Vaters mit Namen "S." sei bereits im Jahr 1995 anlässlich des seinerzeit durch die Aufspaltung der Hesb-e Wahdat- Partei in zwei Gruppen entstandenen Konfliktes verübt worden. Der ermordete S. sei ein Kommandant der Hesb-e Wahdat gewesen, welcher auch der Vater des Berufungswerbers angehört hatte. S. sei von einem Kommandanten, der zur aufgespaltenen Nezat-Gruppe zu zählen war, namens "M. D." umgebracht worden. Zwei Jahre später sei dieser M. D. wiederum selbst von Leuten der Hesb-e Wahdat ermordet worden. Für die Ermordung des M. D. sei schließlich der Vater des Berufungswerbers, der ebenfalls Anhänger der Hesb-e Wahdat- Partei war, von dem Kommandanten dieser Partei namens "A." verantwortlich gemacht worden, um den Verdacht gegenüber den Taliban von sich abzulenken, da er von diesen in diesem Zusammenhang festgenommen und verhört worden war. Der Berufungswerber habe von seiner Ehefrau, die nach wie vor in Afghanistan in der Herkunftsregion des Berufungswebers lebt, per Telefon erfahren, dass für die Ermordung seiner Familienmitglieder (Eltern und Bruder) mit hoher Wahrscheinlichkeit der Bruder des 1997 ermordeten M. D., nämlich Ing. K. verantwortlich wäre.

4. Auch wenn nun vom Sachverständigen hervorgehoben wird, dass Ing. K. auch unter Hilfestellung der Taliban im August 2001 an den Eltern des Berufungswerbers offiziell Blutrache üben hätte können, ist dennoch nicht auszuschließen, dass einerseits der Mord an den Eltern des Berufungswerbers - nicht wie vom Berufungswerber selbst vermutet - von anderen Beteiligten Streitparteien verübt worden war, zumal der Berufungswerber auf konkrete Frage und gegen Ende der Verhandlung einräumte, dass sein Vater selbst als "Sargrup" (eine Art Gruppenleiter) an bewaffneten Konflikten zwischen den Splittergruppen der Hesb-e Wahdat teilgenommen hat, andererseits wäre ein geheimes Vorgehen - das heißt ein solches, das den Taliban nicht zur Kenntnis gelangen sollte - des Ing. K., der der Bruder des ermordeten M. D. ist, dennoch nicht auszuschließen.

5. Als notorisch bekannt ist vorauszusetzen, dass in der islamischen Republik Afghanistan das archaische Prinzip der Blutrache nach wie vor als anerkannte Maßnahme zur Regelung von Konflikten herangezogen und von den staatlichen Behörden Afghanistans, dessen Verfassung sich auf islamische Grundwerte beruft, weitgehend toleriert wird bzw. dagegen mangels noch immer nicht oder nur schwach ausgeprägten zentral-staatlichen Gewaltmonopols und Einflussmöglichkeiten auf die regionalen Stammes- und Familienstrukturen nichts unternommen werden kann.

5. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historischempirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für einer derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76). Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Paragraph 45, AVG,

E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wieder vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirischhistorischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)".

Aus Sicht des Unabhängigen Bundesasylsenates ist unter Heranziehung dieser von der höchstgerichtlichen Judikatur festgelegten Prämissen für den Vorgang der freien Beweiswürdigung anzunehmen und steht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nach Durchführung von zwei mündlichen Berufungsverhandlungen fest, dass die Familie des Berufungswerbers mit oder ohne Verschulden des Vaters des Berufungswerbers als "Sargrup" - was hier dahin gestellt bleiben mag - in einen umfassenden Konflikt zwischen Kommandanten und Führern der aufgespaltenen Hesb-e Wahdat-Partei verwickelt und beteiligt war. Dass der Berufungswerber bei dem Anschlag nicht zuhause war und so dem Anschlag auf seine Familie entgangen ist, wurde von ihm selbst plausibel erklärt. Somit wird das Vorbringen des Berufungswerbers vom Unabhängigen Bundesasylsenat als glaubhaft erachtet und konnten keine Anhaltspunkte erkannt werden, wonach der Berufungswerber als unglaubwürdig anzusehen wäre.

römisch III. Rechtlich ist wie folgt auszuführen:

1. Paragraph 75, Absatz 1 Asylgesetz 2005, Bundesgesetzblatt Teil eins, 100 aus 2005,, bestimmt:

"Alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren sind nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. Paragraph 44, AsylG 1997 gilt."

Gemäß Paragraph 44, Absatz 1 Asylgesetz 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 76 aus 1997, in der Fassung des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 126 aus 2002, geführt.

Gem. Paragraph 44, Absatz 3, AsylG sind die Paragraphen 8,, 15, 22, 23 Absatz 3,, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 101 aus 2003, auch auf Verfahren gemäß Absatz eins, anzuwenden.

Gem. Paragraph 38, Absatz eins, AsylG entscheidet über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes der Unabhängige Bundesasylsenat.

2. Gemäß Paragraph 7, AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

3. Gem. Paragraph 12, AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951, BGBL. Nr. 55/1955, in Verbindung mit Artikel eins, Absatz 2, des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

römisch IV. Gewährung von Asyl gemäß Paragraph 7, Asylgesetz

1. Eine asylrelevante Verfolgung kann im Lichte der Genfer Flüchtlingskonvention und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann angenommen werden, wenn die Verfolgungshandlungen entweder vom Verfolgerstaat ausgehen oder ihm diese infolge Billigung der Verfolgungshandlungen Dritter zuzurechnen ist vergleiche hiezu etwa VwGH 30.06.2005, Zahl 2002/20/0205), was im letzteren Fall dann Relevanz zeitigen könnte, wenn die staatlichen Behörden nicht schutzwillig oder schutzfähig gegenüber solchen - aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen erfolgenden - Angriffen Dritter sind. An der Schutzwilligkeit würde es dann fehlen, wenn der Staat nicht gewillt ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte vergleiche hiezu etwa VwGH 23.07.1999, Zahl 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, Zahl 2000/20/0226). An der Schutzfähigkeit würde es dann mangeln, wenn die von dritter Seite ausgehende Verfolgung von staatlichen Stellen in Folge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann vergleiche hiezu etwa VwGH 07.07.1999, Zahl 98/18/0037; VwGH 06.10.1999, Zahl 98/01/0311; VwGH 22.03.2000, Zahl 99/01/0256). Verfahrensgegenständlich hat nun der Berufungswerber Verfolgung durch Mitglieder ehemals in schwere Konflikte verwickelter Parteigruppierungen geltend gemacht. Die Verfolgung habe sich in der Ermordung seiner Eltern und seines Bruders bereits realisiert. Als einziger Überlebender der Familie stünde auch er unter der unmittelbaren Bedrohung der Mörder seiner Familienmitglieder. Dieser Bedrohung habe er nur durch Flucht ins Ausland entgehen können.

2. Ohne dass dem Berufungswerber selbst eine Zugehörigkeit zu einer politischen Gesinnung - er gibt an, seinerzeit selbst nicht an Auseinandersetzungen der sich aufspaltenden politischen Parteien beteiligt gewesen zu sein - zu unterstellen ist, macht er doch ihm drohende Nachteile aufgrund seiner Verwandtschaft zu seinem offensichtlich in schwere Konflikte der Streitparteien von Angehörigen der Hezbe Wahdat gegen die abgespaltete Gruppe des Nezhat-Flügels verwickelten Vater und damit als Angehöriger der "sozialen Gruppe" der Familie geltend. Somit erfüllt er flüchtlingsrelevante Merkmale im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A

Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention (vergl. VwGH 16.04.2002, 99/20/0430 mwN).

3. Auch wenn die Geschehnisse nunmehr nahezu sechs Jahre zurückliegen, ist eine nach wie vor bestehende wohlbegründete Furcht des Berufungswerbers aus der von ihm geschilderten Bedrohungslage heraus sowohl in subjektiver Hinsicht und - unter den Gesichtspunkten der aktuellen, vom Sachverständigen in der Berufungsverhandlung geschilderten Sicherheitslage in Afghanistan - auch in objektiver Hinsicht keineswegs auszuschließen. Der von ihm geltend gemachte Blutrachefall erstreckt sich bereits über mehr als 10 Jahre und dürfte aufgrund der Ermordung der Familienmitglieder des Berufungswerbers keineswegs als abgeschlossen anzusehen sein. Im Falle der Rückkehr hätte der Berufungswerber unter Umständen einen Angriff auf sein Leben und damit eine individuelle konkrete Verfolgung seiner Person zu gewärtigen. Von den staatlichen Behörden ist unter Bedachtnahme auf die prekäre Sicherheitslage und den - wie allgemein bekannt - noch immer vorherrschenden Einfluss ehemaliger Regionalkommandanten ("Warlords") kein ausreichender Schutz zu erwarten.

4. Es bleibt somit zu prüfen, ob dem Berufungswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zur Verfügung steht, d.h. dass er durch Aufenthaltsnahme in einem anderen Teil seines Herkunftslandes der Bedrohung effektiv entgehen kann bzw. wenn dies zutrifft, ob ihm eine solche im Bezug auf seine persönlichen Umstände zuzumuten ist, wobei in einer daraus resultierenden schlechteren wirtschaftlichen oder sozialen Bedingungen allein keine staatliche Verfolgung erblickt werden könnte, vorausgesetzt der Berufungswerber geriete dadurch in eine ausweglose Lage, die ihm jegliche Existenzgrundlage entzieht (VwGH 08.06.200, 99/20/0597; 19.10.200, 98/20/0430). Angesichts des massiven Vorgehens in der Ermordung nahezu der gesamten Familie durch offensichtlich einflussreiche Widersacher des Vaters des Berufungswerbers ist eine weitergehende, überregionale Verfolgungsgefahr für den Berufungswerber auch in einem anderen Landesteil Afghanistans nicht gänzlich auszuschließen. Selbst wenn man dies ausschließen könnte, wären immer noch die prekäre Versorgungslage mit lebensnotwendigen Produkten im gesamten Herkunftsstaat des Berufungswerbers und die fragile Sicherheitslage in anderen Landesteilen in Betracht zu ziehen und würden diese die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumindest derzeit sehr fraglich erscheinen lassen.

Dem Berufungswerber ist somit begründete Furcht vor Verfolgung aus einem in der Genfer Konvention genannten zuzugestehen. Er hat glaubhaft gemacht, dass ihm in seinem Herkunftsland Verfolgung aus dem Grund seiner Zugehörigkeit zur (bestimmten) sozialen Gruppe der Familie droht. Der erstinstanzliche Bescheid war daher zu beheben, dem Berufungswerber Asyl zu gewähren und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

5. Die Aufhebung des Ausspruches betreffend die Asylgewährung hat zur Folge, dass sich der auf Paragraph 8, AsylG 1997 gestützte Ausspruch als Folge der Aufhebung des Bescheides hinsichtlich der Entscheidung über den Asylantrag ebenfalls als rechtswidrig erweist (VwGH 25.11.1999, 99/20/0207). Diese mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsene Entscheidung (Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides) verliert somit angesichts der Asylgewährung ihre rechtliche Grundlage mit Wirkung "ex tunc". Folglich ist die Entscheidung über die bedingte vorläufige Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides), welche mit der Entscheidung über die (Un-)Zulässigkeit der der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan untrennbar verbunden ist, ebenfalls rechtswidrig. Spruchpunkt römisch III. des angefochtenen Bescheides war daher ersatzlos zu beheben.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Identität, Blutrache, Schutzunwilligkeit, Zurechenbarkeit, private Verfolgung, familiäre Situation, soziale Gruppe, Sicherheitslage

Dokumentnummer

UBAST_20070228_235_166_0_24E_XVI_48_03_00

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