Verwaltungsgerichtshof (VwGH)

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Entscheidungstext Ra 2015/20/0231

Entscheidungsart

Erkenntnis

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Geschäftszahl

Ra 2015/20/0231

Entscheidungsdatum

14.12.2017

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E19104000;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32013R0604 Dublin-III Art27 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art27 Abs3;
32013R0604 Dublin-III Art29 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art29 Abs2;
62016CJ0201 Shiri VORAB;
AsylG 2005 §13;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AufwandersatzV VwGH 2014;
BFA-VG 2014 §21 Abs3;
EURallg;
VwGG §47;
VwGG §48 Abs1;
VwRallg;
  1. VwGG § 47 heute
  2. VwGG § 47 gültig ab 21.07.2023 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/2023
  3. VwGG § 47 gültig von 01.01.2014 bis 20.07.2023 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  4. VwGG § 47 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  5. VwGG § 47 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  6. VwGG § 47 gültig von 01.08.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2004
  7. VwGG § 47 gültig von 05.01.1985 bis 31.07.2004
  1. VwGG § 48 heute
  2. VwGG § 48 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 48 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  4. VwGG § 48 gültig von 01.01.1999 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  5. VwGG § 48 gültig von 01.09.1997 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 88/1997
  6. VwGG § 48 gültig von 05.01.1985 bis 31.08.1997

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren: * Vorabentscheidungsantrag: Ra 2015/20/0231 B 31. März 2016 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62016CJ0201

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des M S in S, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2015, Zl. W144 2110638-2/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste seinen Angaben zufolge über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er - nach einer Antragstellung in Bulgarien am 19. Februar 2015 - am 7. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 9. März 2015 ein auf Artikel 18, Absatz eins, Litera b, der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien. Diesem Wiederaufnahmeersuchen stimmte Bulgarien mit Fax vom 23. März 2015 ausdrücklich zu.

3 Mit Bescheid vom 2. Juli 2015 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 5, Absatz eins, Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass für die Prüfung des Antrags gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, Dublin III-Verordnung Bulgarien zuständig sei, ordnete gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bulgarien gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG zulässig sei.

4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verbunden mit dem Antrag, der Beschwerde gemäß Paragraph 17, BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

5 Ohne eine Entscheidung über die Frage der aufschiebenden Wirkung zu erlassen, gab das BVwG der Beschwerde mit Beschluss vom 20. Juli 2015 gemäß Paragraph 21, Absatz 3, BFA-VG statt, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurück.

6 Mit Bescheid vom 3. September 2015 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 5, Absatz eins, AsylG 2005 erneut als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass für die Prüfung des Antrags gemäß Artikel 18, Absatz eins, Litera b, der Dublin III-Verordnung Bulgarien zuständig sei, ordnete gemäß Paragraph 61, Absatz eins, FPG die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bulgarien gemäß Paragraph 61, Absatz 2, FPG zulässig sei.

7 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das BVwG. Über die Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, entschied das BVwG in weiterer Folge nicht.

8 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. September 2015 wies das BVwG die Beschwerde gemäß Paragraph 5, AsylG 2005 und Paragraph 61, FPG als unbegründet ab.

Dem mit Stellungnahme vom 23. September 2015 erhobenen Einwand, die in Artikel 29, Absatz eins, Dublin III-Verordnung normierte Überstellungsfrist von sechs Monaten sei mittlerweile abgelaufen und die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz daher auf Österreich übergegangen, wurde vom BVwG nicht gefolgt. Dies deshalb, weil sich diese Frist nicht ausschließlich nach dem Zeitpunkt der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs berechne, sondern alternativ - für den Fall der Ergreifung eines Rechtsmittels - auch danach, wann die endgültige Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung habe, ergangen sei. Die (im nationalen österreichischen Verfahrensrecht vorgesehene) Behebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids gemäß Paragraph 21, Absatz 3, BFA-VG habe die Wirkung, dass die betroffene Person bis zur neuerlichen Entscheidung jedenfalls nicht rücküberstellt werden könne. Es handle sich daher bei der Behebung und Zurückverweisung "nach einhelliger Judikatur und Literaturmeinung" um einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, der aufschiebende Wirkung im Sinne des Artikel 29, Absatz eins, in Verbindung mit Artikel 27, Absatz 3, Dublin III-Verordnung zukomme.

Im ersten Verfahrensgang sei der erstinstanzliche Bescheid des BFA vom BVwG mit Beschluss vom 20. Juli 2015 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen worden. Folglich habe die sechsmonatige Frist mit jenem Zeitpunkt neu zu laufen begonnen, an dem die Überstellung des Revisionswerbers wieder möglich gewesen sei. Dies sei gemäß Paragraph 16, Absatz 4, BFA-VG mit Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage beim BVwG (im zweiten Verfahrensgang) der Fall gewesen, weil bis hierhin mit der Durchführung der Abschiebung zuzuwarten gewesen sei. Da die Beschwerde am 17. September 2015 beim BVwG eingelangt sei, habe die Frist mit Ablauf des 24. September 2015 neu zu laufen begonnen. Im Ergebnis sei die Zuständigkeit daher zwischenzeitig nicht auf Österreich übergegangen, sondern liege nach wie vor bei Bulgarien.

9 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete außerordentliche Revision.

10 Mit am 27. Oktober 2015 eingelangtem Schreiben des BFA teilte dieses "in Erledigung der Aufforderung zur Revisionsbeantwortung" mit, dass es sich den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis des BVwG vollinhaltlich anschließe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Der Revisionswerber bringt zusammengefasst vor, das BVwG habe vor dem Hintergrund der näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs den Inhalt von Artikel 27, Dublin III-Verordnung verkannt. In Artikel 27, Absatz 3, Dublin III-Verordnung würden die Möglichkeiten eines Rechtsbehelfs gegen Überstellungsentscheidungen vorgestellt, wobei in Österreich die Variante des Artikel 27, Absatz 3, Dublin III-Verordnung gesetzlich vorgesehen sei. Damit komme einem Rechtsbehelf (der Beschwerde) gegen eine Überstellungsentscheidung nicht automatisch aufschiebende Wirkung zu, sondern müsse das BVwG über die Gewährung der aufschiebenden Wirkung nach eingehender und gründlicher Prüfung entscheiden. Die Rechtsmeinung des BVwG, wonach die Behebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids für sich genommen - ohne dass dem Rechtsbehelf (der Beschwerde) die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei - einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung darstelle, der aufschiebende Wirkung im Sinne des Artikel 29, Absatz eins, in Verbindung mit Artikel 27, Absatz 3, Dublin III-Verordnung zukomme, weiche daher von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab. Diese Ansicht hätte im Übrigen zur Folge, dass die Verwaltungsbehörde nach der Behebung des von ihr erlassenen Bescheids durch das BVwG beliebig viel Zeit hätte, einen weiteren Bescheid zu erlassen, ohne einen Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist befürchten zu müssen. Ausgehend davon sei die sechsmonatige Überstellungsfrist durch die Zurückverweisung der Rechtssache an das BFA mit Beschluss des BVwG vom 20. Juli 2015 (im ersten Verfahrensgang) nicht unterbrochen worden, diese Frist sei noch vor der zweiten Entscheidung des BVwG abgelaufen und daher die Zuständigkeit zur Prüfung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz auf Österreich übergegangen. Dies wiederum müsse zur Aufhebung jener Entscheidung führen, mit der Österreich für die Behandlung des Schutzbegehrens als nicht zuständig festgestellt und die Überstellung des Revisionswerbers in den anderen Mitgliedstaat (hier: Bulgarien) angeordnet worden sei.

12 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

13 Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-Verordnung

lauten:

"Verfahrensgarantien

...

Artikel 27

Rechtsmittel

  1. Absatz einsDer Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von

Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.

  1. Absatz 2Die Mitgliedstaaten sehen eine angemessene Frist vor, in der die betreffende Person ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Absatz 1 wahrnehmen kann.
  2. Absatz 3Zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung sehen die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht Folgendes vor:

a)        dass die betroffene Person aufgrund des Rechtsbehelfs

oder der Überprüfung berechtigt ist, bis zum Abschluss des

Rechtsbehelfs oder der Überprüfung im Hoheitsgebiet des

betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben; oder

b)        dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und

diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht, nach eingehender und gründlicher Prüfung, darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird; oder

c) die betreffende Person hat die Möglichkeit, bei einem

Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Die Entscheidung, ob die Durchführung der Überstellungsentscheidung ausgesetzt wird, wird innerhalb einer angemessenen Frist getroffen, welche gleichwohl eine eingehende und gründliche Prüfung des Antrags auf Aussetzung ermöglicht. Die Entscheidung, die Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht auszusetzen, ist zu begründen.

  1. Absatz 4Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen.

...

Überstellung

Artikel 29

Modalitäten und Fristen

  1. Absatz einsDie Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

...

  1. Absatz 2Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

..."

14 Die maßgeblichen Bestimmungen des BFA-VG lauten auszugsweise:

     "Beschwerdeverfahren

     Beschwerdefrist und Wirkung von Beschwerden

     § 16. (1) aufgehoben

     (2) Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der

1.        ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen

wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden

ist,

2.        ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen

wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder

3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Ziffer 2, FPG erlassen wird,

sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.

...

  1. Absatz 4Kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen oder abgewiesen wurde, oder mit der eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Ziffer 2, FPG erlassen wurde, die aufschiebende Wirkung nicht zu, ist diese durchsetzbar. Mit der Durchführung der mit einer solchen Entscheidung verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der die bereits bestehende Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung ist bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage, zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Beschwerdevorlage und von der Gewährung der aufschiebenden Wirkung in Kenntnis zu setzen.

     Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde

     § 17. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde

gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen

Schutz zurückgewiesen wird und

1.        diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden

Maßnahme verbunden ist oder

2.        eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht

     sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur

Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer

Woche ab Vorlage der Beschwerde durch Beschluss die aufschiebende

Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine

Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den

Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale

Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK

oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten

würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des

Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im

Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit

sich bringen würde.

  1. Absatz 2Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Absatz eins, oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, Absatz eins, Ziffer 2, FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
  2. Absatz 3Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Artikel 26, Absatz 2 und 27 Absatz eins, der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.
  3. Absatz 4Ein Ablauf der Frist nach Absatz eins, steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen."

15 Der Verwaltungsgerichtshof stellte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Beschluss vom 31. März 2016, Ra 2015/20/0231 (EU 2016/0001), gemäß Artikel 267, AEUV - auf das Wesentliche zusammengefasst - die Fragen, ob sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, darauf berufen kann, dass die Zuständigkeit für die Prüfung ihres Schutzantrags aufgrund des Ablaufs dieser Frist auf einen anderen Mitgliedstaat übergegangen sei, und ob der bloße Fristablauf zu einem solchen Zuständigkeitsübergang führt.

16 Die Vorlagefragen wurden vom EuGH folgendermaßen beantwortet (s. EuGH 25.10.2017, Shiri, C-201/16, Rn. 47):

"1. Artikel 29, Absatz 2, der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit von Rechts wegen auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, sofern die Überstellung nicht innerhalb der in Artikel 29, Absatz eins, und 2 dieser Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist durchgeführt wird, ohne dass es erforderlich ist, dass der zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person ablehnt.

2. Artikel 27, Absatz eins, der Verordnung Nr. 604/2013, betrachtet vor dem Hintergrund ihres 19. Erwägungsgrundes, sowie Artikel 47, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, über einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf verfügen können muss, der es ihr ermöglicht, sich auf den nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung eingetretenen Ablauf der in Artikel 29, Absatz eins, und 2 der Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist zu berufen. Das aufgrund einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einem solchen Antragsteller zustehende Recht, sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung auf nach ihrem Erlass eingetretene Umstände zu berufen, genügt dieser Verpflichtung, einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf vorzusehen."

17 Daraus folgt für den vorliegenden Fall Folgendes:

18 Zunächst ist damit klargestellt, dass sich der Revisionswerber im Rahmen seiner Beschwerde gegen die Überstellungsentscheidung auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen darf. Sollte das Revisionsvorbringen zutreffen, wonach die Überstellungsfrist bereits vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses abgelaufen sei, wäre die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß Artikel 29, Absatz 2, erster Satz Dublin III-Verordnung auf Österreich übergegangen.

19 Mit dem Beginn des Laufs der Überstellungsfrist hat sich der EuGH bereits im Urteil vom 29. Jänner 2009, Petrosian, C-19/08, zur Rechtslage nach der Verordnung Nr. 343/2003 auseinandergesetzt und dabei ausgeführt vergleiche EuGH 29.1.2009, Petrosian, C-19/08, Rn. 35 und 38):

"Gemäß Artikel 20, Absatz eins, Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 in Verbindung mit Absatz eins, Buchst. c können je nach den Umständen drei Ereignisse den Lauf der Frist von sechs Monaten auslösen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um die Überstellung des Asylbewerbers durchzuführen. Es kann sich erstens um die Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaats handeln, die Wiederaufnahme des Asylbewerbers zu akzeptieren, zweitens um den fruchtlosen Ablauf der Frist von einem Monat, die dem ersuchten Mitgliedstaat für eine Stellungnahme zum Antrag des ersuchenden Mitgliedstaats auf Wiederaufnahme des Asylbewerbers gesetzt worden ist, und drittens um die Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser im ersuchenden Mitgliedstaat aufschiebende Wirkung hat.

...

Wie aus dem Wortlaut von Artikel 20, Absatz eins, Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 hervorgeht, läuft in der ersten Konstellation, wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen ist, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiert, unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliegt, den der Asylbewerber gegebenenfalls gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedstaats erhoben hat."

20 Unter Berufung auf das eben genannte Urteil des EuGH hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 16. April 2009, 2007/19/0730, - ebenfalls zur Rechtslage der Verordnung Nr. 343/2003 - Folgendes festgehalten:

"Kommt einem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung keine aufschiebende Wirkung zu oder wird kein Rechtsbehelf eingelegt, so läuft die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen (oder vermuteten) Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylwerbers akzeptiert hat.

Dabei nahm der Gemeinschaftsgesetzgeber in Kauf, dass innerhalb dieser Frist nicht nur die Modalitäten für die Überstellung zu regeln sind, sondern die erstinstanzliche Behörde des ersuchenden Mitgliedstaats nach der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zur Wiederaufnahme noch Zeit benötigt, um dem Asylwerber die Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats über seine Wiederaufnahme ‚mitzuteilen'. Diese Entscheidung ist gemäß Artikel 20, Absatz eins, Litera e, Dublin-Verordnung zu begründen und kann vom Asylwerber auch angefochten werden. Der EuGH führte aus, dass ‚Unwägbarkeiten', denen der Rechtsbehelf des Asylwerbers unterliegt, auf den Fristenlauf keinen Einfluss haben (RNr. 38 des EuGH-Urteils). Daraus lässt sich insgesamt der Schluss ziehen, dass in der - im Sinne der Terminologie des EuGH -‚ersten Konstellation' auch die Ausfertigung der Überstellungsentscheidung innerhalb der sechsmonatigen Frist ab der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme erfolgen muss und der dafür erforderliche Zeitbedarf zu keiner Verlängerung dieser Frist führt. Nichts anderes kann gelten, wenn die erstinstanzliche Behörde nach Vorliegen der Annahmeerklärung des ersuchten Mitgliedstaats ergänzende Ermittlungen anstellt, ehe sie die Überstellungsentscheidung trifft.

Davon ist die - im Sinne der Terminologie des EuGH -, ‚zweite Konstellation' zu unterscheiden. Wenn der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht des Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt, beginnt die Frist zur Durchführung der Überstellung erst mit der ‚Entscheidung über den Rechtsbehelf' (RNr. 42 des EuGH-Urteils)."

21 Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser auf Artikel 29, Absatz eins, Unterabsatz 1 der Dublin III-Verordnung übertragbaren Rechtsprechung abzugehen.

22 Im vorliegenden Verfahren kam keinem Rechtsbehelf (in den beiden Verfahrensgängen) je aufschiebende Wirkung zu. Zur Begründung, warum es sich bei dem aus der gesetzlichen Anordnung des Paragraph 16, Absatz 4, BFA-VG resultierenden Verbot der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht um die eigentliche, dem Rechtsbehelf allenfalls beizulegende aufschiebende Wirkung iSd Dublin III-Verordnung handelt, wird gemäß Paragraph 43, Absatz 2, VwGG auf die Entscheidung vom 30. Mai 2017, Ro 2017/19/0001, Rn. 16, verwiesen. Gleiches gilt für den Umstand, dass während des - nach Behebung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung - wieder bei der Verwaltungsbehörde anhängigen und zugelassenen Verfahrens (Paragraph 21, Absatz 3, BFA-VG) ein Aufenthaltsrecht iSd Paragraph 13, AsylG 2005 besteht; ein solches Aufenthaltsrecht stellt keine einem Rechtsbehelf zukommende aufschiebende Wirkung iSd Artikel 27, Absatz 3, Dublin III-Verordnung dar.

Der Lauf der Überstellungsfrist ist demzufolge - weil eine aufschiebende Wirkung zu keiner Zeit vorlag - alleine nach der ersten Voraussetzung des Artikel 29, Absatz eins, Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung, nämlich nach dem Datum der - hier ausdrücklichen - Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaates zu beurteilen. Im gegenständlichen Verfahren begann die sechsmonatige Frist somit mit Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Bulgarien mit 23. März 2015 und endete am 23. September 2015 (zur Fristberechnung vergleiche wiederum VwGH 30.5.2017, Ro 2017/19/0001).

23 Da die Überstellung des Revisionswerbers nach Bulgarien nicht innerhalb dieser Frist durchgeführt wurde, ist Bulgarien nach Artikel 29, Absatz 2, Dublin III-Verordnung nicht mehr zur Wiederaufnahme des Revisionswerbers verpflichtet und die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags ging auf Österreich über, ohne dass es hierzu erforderlich gewesen wäre, dass Bulgarien die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Revisionswerbers ablehnte.

24 Sohin war das angefochtene Erkenntnis gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

25 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Paragraphen 47, ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz von Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge die Normen des VwGG dafür keine Grundlage bieten vergleiche etwa VwGH 24.6.2009, 2008/05/0277, und 19.1.2012, 2011/22/0313). Von dieser auch für die seit 1. Jänner 2014 geltende Rechtslage des VwGG maßgebliche Judikatur abzuweichen sieht der Verwaltungsgerichtshof auch unter Bedachtnahme auf die Ausführungen des Revisionswerbers keinen Anlass.

Wien, am 14. Dezember 2017

Gerichtsentscheidung

EuGH 62016CJ0201 Shiri VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht EuGH Verfahren Kostenersatz EURallg9/1 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2015200231.L00

Im RIS seit

12.01.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2018

Dokumentnummer

JWT_2015200231_20171214L00

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