Entscheidungstext 1Ob42/22s

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

1Ob42/22s

Entscheidungsdatum

23.03.2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei Dr. S*, vertreten durch Mag. Gunter Galle, Rechtsanwalt in Wien, wegen 34.999 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 18. Jänner 2022, GZ 16 Nc 29/21t-2, mit dem ihr Delegierungsantrag abgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Der Kläger begehrt von der Beklagten (seiner Mutter) die Zahlung von 34.999 EUR, weil sie einen in seinem Eigentum stehenden PKW unbefugt verwendet, verkauft und den Verkaufserlös nicht herausgegeben habe.

[2]       Die Beklagte beantragte in ihrer Klagebeantwortung, das Verfahren gemäß Paragraph 31, JN an ein „anderes Landesgericht im Oberlandesgerichtssprengel Wien“ zu delegieren, wobei sich „insbesondere das Landesgericht Korneuburg anbiete“. Sie begründete ihren Antrag damit, an „agoraphobischen“ Ängsten zu leiden, die sie daran hinderten, das zur Verfahrensführung zuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien bzw den Justizpalast zu betreten. Diese Angststörung sei durch ärztliche Stellungnahmen belegt und darauf zurückzuführen, dass sie (unter anderem) vor diesem Gericht zahlreiche Verfahren gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten (den Vater des Klägers) geführt habe.

[3]       Der Kläger sprach sich gegen die beantragte Delegierung aus, weil eine Verfahrensführung durch ein Gericht in einem anderen (Landes-)Gerichtssprengel mit einem höheren Verfahrensaufwand verbunden wäre.

[4]       Das Oberlandesgericht Wien wies den Delegierungsantrag ab, weil eine Verhinderung der Partei am Erscheinen bei Gericht im Anwaltsprozess – ohne Zustimmung des Prozessgegners – keinen Grund für eine Delegierung nach Paragraph 31, JN darstelle. Da beide Parteienvertreter ihren Sitz in Wien haben, hätte eine Delegierung an ein Landesgericht in einem anderen Gerichtssprengel höhere Verfahrenskosten zur Folge. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte hinsichtlich dieses Gerichts weitere Ängste entwickle, die sie daran hindern würden, dieses zu betreten. Für ihre Parteienvernehmung bestünden auch „andere Möglichkeiten“ als eine Einvernahme vor dem verfahrensführenden Gericht.

Rechtliche Beurteilung

[5]            Der dagegen erhobene Rekurs der Beklagten ist zulässig vergleiche RIS-Justiz RS0116349), aber nicht berechtigt.

[6]            1. Gemäß Paragraph 31, Absatz eins, JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Der Antrag muss das Gericht, an das das Verfahren delegiert werden soll, genau bezeichnen (RS0118473). Eine Delegierung ist zweckmäßig, wenn die Rechtssache von einem anderen als dem zuständigen Gericht voraussichtlich rascher und mit geringerem Kostenaufwand geführt werden kann (RS0053169). Dies ist vor allem der Fall, wenn sich der Wohnort der Parteien, der (Mehrzahl der) Zeugen oder die Lage eines Augenscheinsgegenstands im Sprengel des anderen Gerichts befinden vergleiche RS0053169 [T1, T5, T12, T14, T18, T21]). Eine Delegierung nach Paragraph 31, JN soll nur in Ausnahmefällen und keinesfalls großzügig erfolgen, weil es sonst zu einer faktischen Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung käme vergleiche RS0046324 [T16]; RS0046589 [insb T5, T18, T24]). Lässt sich die Zweckmäßigkeit nicht eindeutig hinsichtlich beider Parteien beantworten und hat eine Partei der Delegierung widersprochen, hat diese zu unterbleiben vergleiche RS0046589; RS0046471; RS0053169 [T19, T31]; RS0046324 [T1, T6, T7]).

[7]            2. Soweit die Beklagte ganz allgemein eine Delegierung „an ein anderes Landesgericht im Oberlandesgerichtssprengel Wien“ beantragte, konnte ihr Antrag schon mangels konkreter Bezeichnung jenes Gerichts, an das das Verfahren delegiert werden soll, nicht erfolgreich sein.

[8]            3. Von einer Delegierung wurde aber zutreffend auch insoweit abgesehen, als die Beklagte eine solche („insbesondere“) an das Landesgericht Korneuburg anstrebte.

[9]            3.1. Dass die Verhinderung einer Partei, das zuständige Prozessgericht aufzusuchen, keine Delegierung an ein anderes Gericht nach Paragraph 31, JN (bei dem das Erscheinen möglich wäre) rechtfertigt, wenn diese mit einem zusätzlichen Prozessaufwand verbunden wäre, (sondern in diesem Fall allenfalls eine Vernehmung im Rechtshilfeweg in Betracht käme) legte der Oberste Gerichtshof bereits zu 7 Nc 17/03i dar (dort argumentierte die Partei, wegen einer Strafhaft nicht vor dem zuständigen Gericht erscheinen zu können). Will eine Partei zwar aussagen, ist sie aber (etwa auch aus gesundheitlichen Gründen) gehindert, beim Prozessgericht zu erscheinen, muss sich dieses zum Zweck ihrer Einvernahme zur Partei begeben vergleiche 2 Ob 212/61 = EvBl 1961/437; siehe auch 6 Ob 20/15g [zum Außerstreitverfahren]; Spenling in Fasching/Konecny³ Paragraph 381, ZPO Rz 9 ua) oder die Beweisaufnahme im Rechtshilfeweg (Paragraph 375, Absatz 2, Satz 2 erster Fall ZPO) veranlassen.

[10]           3.2. Da sich der Kläger gegen die Delegierung, die keine Verfahrensbeschleunigung und schon gar keine geringere Prozesskostenlast erwarten lässt, weil weder die Parteien noch die Zeugen ihren Wohnsitz im Sprengel des Landesgerichts Korneuburg haben, aussprach, die Erleichterung des Gerichtszugangs bloß für eine Partei eine Delegierung gemäß Paragraph 31, JN nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht rechtfertigt vergleiche RS0053169 [T24]; RS0046455 [T9]) und außerdem die Möglichkeit besteht, dass die rechtsanwaltlich vertretene Beklagte außerhalb des Prozessgerichts einvernommen wird, begegnet die angefochtene Entscheidung keinen Bedenken.

[11]           4. Entgegen den Ausführungen im Rekurs stellen sich Fragen zur Prozessfähigkeit der Beklagten und einer allfälligen Nichtigkeit des vor dem zuständigen Erstgericht geführten Verfahrens nicht. Es liegen keine Anzeichen dafür vor, dass ihre Fähigkeit, die Tragweite des Rechtsstreits oder einzelner Prozesshandlungen (insbesondere der Bevollmächtigung ihres Prozessvertreters; vergleiche RS0035154) erkennen zu können vergleiche nur RS0009075 [T1]), beeinträchtigt wäre. Dass sie aus gesundheitlichen Gründen am Aufsuchen des zuständigen Gerichts gehindert sei, begründet auch keine „partielle“ Prozessunfähigkeit. Ob sich die Ängste der Beklagten auf das Betreten anderer Gerichtsgebäude „ausweiten“ könnten, spielt für die Beurteilung ihres Delegierungsantrags keine Rolle. Ihre Parteirechte werden dadurch gewahrt, dass sie im Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten ist und ihre Einvernahme an einem anderen Ort erfolgen kann.

[12]                    5. Im Verfahren über einen Delegierungsantrag sind, soweit Paragraph 31, JN keine Sonderregelungen enthält, die Bestimmungen jenes Verfahrens anzuwenden, dessen Delegierung beantragt wird (RS0043970 [T1]). Die Kostenentscheidung beruht daher auf Paragraph 52, Absatz eins, Satz 3 in Verbindung mit Paragraphen 50, Absatz eins,, 41 Absatz eins, ZPO.

Textnummer

E134922

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00042.22S.0323.000

Im RIS seit

04.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2022

Dokumentnummer

JJT_20220323_OGH0002_0010OB00042_22S0000_000

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