Entscheidungstext 2Ob242/22k

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Entscheidungsart

Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fachgebiet

Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Fundstelle

Zak 2023/230 S 135 - Zak 2023,135 = RdW 2023/353 S 490 - RdW 2023,490 = PSR 2023/17 S 55 (Friedl) - PSR 2023,55 (Friedl) = EvBl 2023/192 S 669 (Verweijen) - EvBl 2023,669 (Verweijen) = iFAMz 2023/171 S 234 (Berger) - iFAMz 2023,234 (Berger) = GesRZ 2023,335 (Raubal)

Geschäftszahl

2Ob242/22k

Entscheidungsdatum

21.02.2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2012 verstorbenen F*, über den Revisionsrekurs der Tochter des Erblassers, V*, vertreten durch Rizzi Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. Oktober 2022, GZ 4 R 91/22i-155, womit infolge Rekurses der Tochter des Erblassers der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 11. Februar 2022, GZ 246 A 1124/12p-126, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird dem Erstgericht aufgetragen, gemäß Paragraph 183, Absatz 3, AußStrG im Sinne der Paragraphen 153, ff AußStrG zu entscheiden.

Text

Begründung:

[1]       Der am *. 2012 verstorbene Erblasser hinterlässt seine Ehefrau (im Folgenden: „Witwe“) sowie drei Kinder (zwei Söhne, eine Tochter). Er hatte die Witwe mit Testament vom 1. 10. 2012 zur Alleinerbin eingesetzt. Dieser wurde mit rechtskräftigem Beschluss vom 31. 5. 2013 der überschuldete Nachlass an Zahlungs statt gemäß Paragraph 154, AußStrG überlassen. Mit dem in Notariatsaktsform errichteten Schenkungsvertrag vom 23. 10. 2018 schenkte die Witwe ihr Erbrecht nach dem Erblasser der gemeinsamen Tochter.

[2]       Der Erblasser war Alleingesellschafter der I* GmbH (im Folgenden „GmbH“). Am 2. 5. 2012 hatte er bei einem Notar einen Notariatsakt errichtet, wonach er seinen Geschäftsanteil an der GmbH schenkungsweise an die I* Privatstiftung (im Folgenden „Stiftung“) übertrug. Der beurkundende Notar war in diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Vorstands der Stiftung.

[3]       Am 13. 11. 2018 brachten die Witwe und die Tochter mit Eingabe an das Verlassenschaftsgericht vor, es sei nachträglich ein bisher nicht abgehandeltes Vermögen des Erblassers hervorgekommen. Der Abtretungsvertrag vom 2. 5. 2012 sei nämlich wegen Verstoßes gegen Paragraph 33, Absatz eins, NO gemäß Paragraph 33, Absatz 2, NO unwirksam, weil der beurkundende Notar gleichzeitig Vorstandsmitglied der am Abtretungsvertrag beteiligten Stiftung gewesen sei. Der Geschäftsanteil an der GmbH sei daher nachlasszugehörig, sodass eine Nachtragsabhandlung durchzuführen und das neu hervorgekommene Vermögen der Tochter einzuantworten sein werde.

[4]       In der Folge gaben sowohl die Tochter (ohne Nennung eines Berufungsgrundes) als auch die beiden Söhne (aufgrund des Gesetzes) jeweils bedingte Erbantrittserklärungen ohne Angabe einer Quote ab.

[5]       Nachdem der Einigungsversuch des Gerichtskommissärs betreffend das Erbrecht gescheitert war, legte er den Akt dem Gericht zur Entscheidung über die Nachtragsabhandlung sowie das Erbrecht vor (2 Ob 23/21b).

[6]       Die Vorinstanzen wiesen den Antrag der Witwe und der Tochter auf Durchführung einer Nachtragsabhandlung ab. Sie kamen übereinstimmend zum Ergebnis, eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen sei nicht eingetreten. Mangels Bescheinigung, dass ein „freigeschaufeltes“ Vermögen vorliege und insbesondere mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung dahingehend, dass der Notariatsakt vom 2. 5. 2012 tatsächlich nichtig (und nicht geheilt) sei, sei der Antrag nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7]       Der Revisionsrekurs der Tochter ist wegen einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig; er ist auch berechtigt.

[8]            1. Ändern sich die Abhandlungsgrundlagen, ist nach Paragraph 183, AußStrG vorzugehen. Eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen iSd Paragraph 183, Absatz eins, AußStrG liegt vor, wenn ein bisher nicht bekannter oder zumindest nicht berücksichtigter Vermögenswert hervorkommt (2 Ob 52/19i). Ist bisher – so wie hier – eine Verlassenschaftsabhandlung unterblieben, ist auf Grundlage der nunmehr ergänzten Gesamtwerte iSd Paragraphen 153, ff AußStrG zu entscheiden (4 Ob 194/08w; 7 Ob 135/08s [jeweils nach Überlassung an Zahlungs statt]).

[9]            2. Beim Antrag auf Durchführung einer Nachtragsabhandlung ist es Sache des Antragstellers, (bloß) zu bescheinigen, dass der strittige Gegenstand Nachlassvermögen ist (RS0008416 [T1]). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen musste die Rechtsmittelwerberin daher keine rechtskräftige Entscheidung dahingehend, dass der Notariatsakt vom 2. 5. 2012 tatsächlich nichtig sei, beibringen.

[10]           3. Nach Paragraph 33, Absatz eins, NO in der am 2. 5. 2012 (Tag der Errichtung des Abtretungsvertrags) geltenden Fassung durfte der Notar ua in Sachen, in denen er selbst beteiligt war, keine Notariatsurkunde aufnehmen (Satz 1). Das gleiche galt nach Satz 2, wenn in einer Urkunde eine Verfügung zu seinem eigenen oder zu dem Vorteil einer der vorgenannten Personen aufgenommen werden soll. Nach Paragraph 33, Absatz 2, NO in der am 2. 5. 2012 geltenden Fassung hatte eine mit Außerachtlassung dieser Bestimmung aufgenommene Notariatsurkunde nicht die Kraft einer öffentlichen Urkunde.

[11]           Ein Notar ist nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung auch dann „in der Sache selbst beteiligt“ und von der Aufnahme einer Notariatsurkunde ausgeschlossen, wenn er Organ oder Mitglied des vertretungsbefugten Organs einer juristischen Person ist, welche das zu beurkundende Geschäft geschlossen hat (RS0129351; 1 Ob 14/14m).

[12]           4. Die Übertragung von Geschäftsanteilen einer GmbH erfordert nach Paragraph 76, Absatz 2, GmbHG einen gültigen Notariatsakt (RS0060201; RS0060263 [T1]). Ohne Notariatsaktsform ist ein derartiges Rechtsgeschäft nicht rechtswirksam, gar nicht vorhanden und es kann auch durch einen derartigen Vorgang ein klagbarer Anspruch nicht erworben werden (RS0060256).

[13]           5. Weil der den Abtretungsvertrag beurkundende Notar zugleich Mitglied des Stiftungsvorstands der den Geschäftsanteil erwerbenden Privatstiftung war, liegt im Sinn dieser Kriterien kein formwirksamer Notariatsakt vor.

[14]           6. Damit ist der Antragstellerin die Bescheinigung von bisher nicht berücksichtigtem Nachlassvermögen gelungen. Auf die Fragen, ob der Formmangel des unwirksamen Notariatsakts heilbar ist und – falls dies bejaht würde – ob eine Heilung eingetreten wäre, kommt es für die hier allein vorzunehmende Beurteilung, ob die Voraussetzungen nach Paragraph 183, AußStrG vorliegen, nicht an. Es waren daher die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, gemäß Paragraph 183, Absatz 3, AußStrG iSd Paragraphen 153, ff AußStrG zu entscheiden.

Textnummer

E137867

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00242.22K.0221.000

Im RIS seit

13.04.2023

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2023

Dokumentnummer

JJT_20230221_OGH0002_0020OB00242_22K0000_000

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