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Entscheidungstext 6Ob204/17v

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

MR 2018,14 = VbR 2018/32 S 69 - VbR 2018,69 = jusIT 2018/19 S 50 (Staudegger) - jusIT 2018,50 (Staudegger) = ZIIR‑Slg 2018/28 = RdW 2018/235 S 297 - RdW 2018,297 = ecolex 2019/176 S 413 - ecolex 2019,413 ‑ Posting‑Löschung

Geschäftszahl

6Ob204/17v

Entscheidungsdatum

21.12.2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** M*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W***** S*****, sowie 2. E***** S*****, vertreten durch Wagner Rechtsanwälte GmbH in Schärding, wegen Unterlassung (Streitwert 32.000 EUR), in eventu Herausgabe (Streitwert 32.000 EUR) über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. September 2017, GZ 3 R 112/17m-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Paragraph 16, Absatz eins, ECG ist ein Diensteanbieter, der von einem Nutzer eingegebene Informationen speichert, für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen nicht verantwortlich, sofern er 1. von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information keine tatsächliche Kenntnis hat und sich im Bezug auf Schadenersatzansprüche auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder 2. sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erhalten hat, unverzüglich tätig wird, und die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren.

2. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind die Betreiber von Facebook-Seiten, die ihren „Followern“ (Nutzern) die Kommentierung von Beiträgen auf der Seite ermöglichen als Host-Provider iSd Paragraph 16, ECG zu qualifizieren und müssen daher nach der Erlangung einer Kenntnis über rechtswidrige Inhalte unverzüglich tätig werden (6 Ob 244/16z; 6 Ob 188/16i [„Standard“-Onlineforum]; 6 Ob 178/04a [Online-Gästebuch]). Für die Haftung der Beklagten als Host-Provider kommt es daher darauf an, ob sie ihrer Verpflichtung zur Entfernung iSd Paragraph 16, Absatz eins, Ziffer 2, ECG fristgerecht nachgekommen sind. Die Vorinstanzen verneinten diese Frage, weil die Beklagten zwischen der Antwort ihres Rechtsvertreters und der Löschung drei Tage verstreichen ließen.

3.1. Vom Gesetzgeber wird der Begriff „unverzüglich“ im Sinne von „ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden (ErläutRV 817 BlgNR 21. GP 36).

3.2. In der Entscheidung 6 Ob 178/04a wurde die Entfernung nach „zumindest einer Woche“ als nicht unverzüglich beurteilt. Dabei wurde erwogen, dass bereits eine Rechtsverletzung stattgefunden hatte, sodass der Gästebuchbetreiber verpflichtet war, die Beiträge im Online-Gästebuch laufend zu beobachten, ob sie erneute Äußerungen der beanstandeten Art, die für den betroffenen Kläger eine besonders einschneidende Wirkung haben konnten, enthielten.

3.3. In dem der Entscheidung 6 Ob 188/16i zugrunde liegenden Fall wurden die inkriminierten Postings am Tag der Zustellung der Klage gelöscht, dass der Forenbetreiber bereits zuvor in Kenntnis der selben gewesen wäre, wurde nicht geltend gemacht. Demgegenüber wurde in der Entscheidung 6 Ob 244/16z eine erst nach neun Tagen erfolgte Löschung als nicht unverzüglich angesehen.

3.4. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz (10 Bs 172/11m, MR 2011, 255) ist eine Entfernung von Postings nach drei Tagen nicht unverzüglich, wenn dem Betreiber bereits aus zwei ähnlichen Vorkommnissen bekannt war, dass mit tatbestandsmäßigen Kommentaren Dritter zu rechnen war. Aus dieser Entscheidung leitete Ciresa (in Schwimann/Kodek, ABGB4 Paragraph 16, ECG Rz 12) ab, in einem Zeitraum von drei Tagen sei grundsätzlich eine schuldhafte Verzögerung zu erblicken.

3.5. Nach der Entscheidung 15 Os 14/15w hat die Konkretisierung der „Unverzüglichkeit“ unter Anlegung eines realistischen Maßstabs ohne unzumutbare Überspannung der Pflichten des Medieninhabers zu erfolgen. Dabei ist einerseits auf die Schwere der Rechtsverletzung und die Dringlichkeit der Reaktion abzustellen. Andererseits sind Umstände aus der Sphäre des Medieninhabers zu berücksichtigen, etwa ob es sich um eine professionell und auf kommerzieller Basis betriebene Website handelt, ob der Medieninhaber durch Art und Präsentation eigener Inhalte ein besonderes Risiko einer Rechtsverletzung gesetzt hat oder er sonst (etwa aufgrund früherer Vorkommnisse) damit rechnen musste (15 Os 14/15w). Im konkreten Fall gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, die Beurteilung des Oberlandesgerichts Wien, mit der Entfernung eines substratlose Anwürfe im Rahmen politischer Auseinandersetzung enthaltenden Postings „ein oder zwei Tage nach Einholung juristischen Rates (und damit Kenntnis vom rechtsverletzenden Inhalt)“ sei die erforderliche Sorgfalt „gerade noch eingehalten“ worden, sei nicht zu beanstanden. In dieser Entscheidung nahm der Oberste Gerichtshof auch auf die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz 10 Bs 172/11m Bezug.

3.6. Sonst wird in der Literatur zum ECG lediglich ausgeführt, der Diensteanbieter verliere sein Haftungsprivileg, wenn er den Zeitpunkt, zu dem er spätestens handeln sollte, tatenlos verstreichen lasse (Blume/Hammerl, ECG Paragraph 16, Anmerkung 14). Wie sich dieser Zeitpunkt definiert, wird allerdings dort nicht näher erläutert.

4.1. Auch in der deutschen Literatur wird unter dem „unverzüglichen“ Tätigwerden verstanden, dass „kein schuldhaftes Zögern“ vorliegen darf vergleiche Paragraph 121, Absatz eins, Satz 1 BGB). Demnach verliert ein Diensteanbieter seine Privilegierung noch nicht, wenn er bei einer schwierigen Abwägung der technischen Möglichkeiten, deren Kosten und damit der Zumutbarkeit im Verhältnis zum Grad der Rechtsgutverletzung und zur Leichtigkeit des Besorgens der identischen beanstandenten Information über einen anderen Host-Provider eine Überlegungs- und Umsetzungsfrist in Anspruch nimmt (Hoffmann in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien³ Paragraph 10, TMG Rz 46). In diesem Zusammenhang sind die berechtigten Belange der Beteiligten sowie alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen; die Benennung von allgemein gültigen statischen Zeitgrenzen sei nicht möglich (Paal in Gersdorf/Paal, Beckscher Online Kommentar Informations- und Medienrecht17 Paragraph 10, TMG Rz 46).

4.2. Ein Vorgehen „ohne schuldhaftes Zögern“ muss nicht jeweils „sofort“, etwa immer schon spätestens am Tag nach Erlangung der Kenntnis, erfolgen; vielmehr kann von einem schuldhaften Zögern nur ausgegangen werden, wenn das Zuwarten nicht durch die Umstände des Falls geboten ist (Armbrüster in Münchner Kommentar zum BGB Paragraph 121, Rz 7 mwN). Gegebenenfalls ist auch die Einholung von Rechtsrat geboten (Armbrüster aaO Paragraph 121, Rz 8 mwN). Wenn die Einholung von juristischem Rat geboten ist, beginnt die Obliegenheit zur Entfernung auslösende Kenntnis (iSd Paragraph 16, Absatz eins, Ziffer 2, ECG) regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt der Auskunftserteilung (15 Os 14/15w).

4.3. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg zu 5 U 180/07 ZUM 2009, 417 betraf einen Fall, in dem die Löschung „innerhalb von Stunden“ stattgefunden hatte. Demgegenüber forderte in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken 1 W 232/07-49, MMR 2008, 343, der Forenbetreiber den Nutzer zunächst auf, selbst sein Posting zu löschen; nach acht Tagen wiederholte er diese Aufforderung und nach weiteren 14 Tagen löschte er das Posting selbst. Das Gericht vertrat die Auffassung, mit dieser Vorgangsweise sei der Forenbetreiber gerade noch im Rahmen dessen geblieben, was in zeitlicher Hinsicht bis zur Entfernung der beanstandeten Information als pflichtgemäß zu akzeptieren sei. Allerdings hatte der Sachverhalt nur äußerst geringfügige Urheberrechtsverstöße durch Minderjährige zum Gegenstand, weshalb in der Entscheidung auch mehrfach die besonderen Umstände des Einzelfalls als entscheidend hervorgehoben wurden.

5.1. Zusammenfassend muss daher in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien ermittelt werden, nach Ablauf welchen Zeitraums ein schuldhaftes Zögern vorliegt (Armbrüster in Münchner Kommentar zum BGB Paragraph 121, Rz 7). Diese Einzelfallabhängigkeit der Beurteilung führt dazu, dass regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO vorliegt, sofern das Berufungsgericht den ihm hier obliegenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat vergleiche dazu allgemein RIS-Justiz RS0044088).

5.2. Dabei kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob überhaupt die Notwendigkeit zur Einholung juristischen Rats vergleiche 15 Os 14/15w) bestand, handelten die Beklagten doch jedenfalls nicht unverzüglich. Die Antwort des Rechtsanwalts ging bei den Beklagten nämlich bereits am Freitag Vormittag ein.

5.3. Berücksichtigt man, dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Beklagten zuvor einen Artikel ausdrücklich mit dem Ziel verfassten, die Klägerin zu einer Klagsführung zu provozieren, wobei diesen auch klar war, dass auf diesen Artikel Reaktionen Dritter (auch) in Form von Kommentaren auf ihrer Facebookseite folgen werden, ist die Anlegung eines strengen Maßstabs vergleiche dazu bereits 6 Ob 178/04a) sachgerecht. Der Revision ist auch nicht konkret zu entnehmen, warum eine Beauftragung der Seitenadministratorin nicht schon vor Montag möglich gewesen wäre; zumal der Erstbeklagte nach den Feststellungen mit der Seitenadministratorin sogar am Wochenende telefonierte, ihr aber keinen Auftrag zur Löschung der Kommentare erteilte. Im Übrigen konnten nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Beklagten auch selbst Löschungen durchführen, sodass der Unterscheidung in Wochentage und Wochenende im vorliegenden Fall letztlich keine entscheidende Bedeutung zukommt. Bei dieser Sachlage ist in der Auffassung des Berufungsgerichts, eine Untätigkeit von drei Tagen (über ein Wochenende) begründe ein „schuldhaftes Zögern“ keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

6. Zusammenfassend bringen die Beklagten daher keine Rechtsfragen der in Paragraph 502, Absatz eins, ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

Schlagworte

Posting‑Löschung,

Textnummer

E120540

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00204.17V.1221.000

Im RIS seit

06.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2019

Dokumentnummer

JJT_20171221_OGH0002_0060OB00204_17V0000_000

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