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Entscheidungstext 6Ob119/15s

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

ZFR 2016/96 S 243 - ZFR 2016,243

Geschäftszahl

6Ob119/15s

Entscheidungsdatum

21.12.2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI W*****, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei LIKAR GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Anlegerentschädigung von Wertpapierfirmen GmbH, *****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. März 2015, GZ 16 R 219/14i-55, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. September 2014, GZ 12 Cg 2/12w-51, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.189,44 EUR (davon 198,24 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (Paragraph 502, Absatz eins, ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Der Kläger zeichnete im Zeitraum vom 24. 4. 2004 bis 30. 5. 2008 insgesamt 27 der von der A***** G***** AG emittierten Genussscheine und zahlte hiefür insgesamt 64.709,46 EUR. Vermittlerin der Kaufaufträge war jeweils die A***** I***** AG. Die Wertpapiere wurden auf einem Depotkonto des Klägers bei der R***** K***** gutgeschrieben. Infolge des Konkurses der A***** G***** AG und der A***** I***** AG ist es dem Kläger nicht mehr möglich, die Genussscheine zu verkaufen, wodurch ihm ein Schaden in Höhe von zumindest dem Kaufpreis von 64.709,46 EUR entstand.

Die A***** I***** AG war seit ihrer Gründung am 2. 6. 1993 Mitglied der Beklagten, die die von der Republik Österreich für durch Wertpapierfirmen geschädigte Anleger eingerichtete Entschädigungseinrichtung nach den Paragraphen 75, ff WAG 2007 ist.

Mit Schreiben vom 24. 10. 2008 teilte der Vorstand der A***** I***** AG der Finanzmarktaufsicht mit, dass die zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen bestehende Konzession zurückgelegt werde. Mit Bescheid vom 4. 11. 2008 stellte die Finanzmarktaufsicht das Erlöschen der Konzession fest. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten können nur solche Unternehmen Gesellschafter sein, die eine Konzession der Finanzmarktaufsicht beantragt haben oder halten. Die Beklagte schloss daher die A***** I***** AG nach dem Erlöschen ihrer Konzession in der Generalversammlung vom 24. 11. 2008 als Mitglied aus.

Die 2001 gegründete A***** G***** AG war nie Mitglied der Beklagten. Über beide Aktiengesellschaften wurde am 4. 5. 2010 der Konkurs eröffnet. Ihr Vorstandsvorsitzender wurde wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs, Untreue und betrügerischer Krida zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Seit dem Jahr 2001 hielt die A***** G***** AG ca 75 % der von der A***** I***** AG ausgegebenen Aktien.

Dem Kläger war der Unterschied zwischen der Vermittlerin und der Emittentin weder bewusst noch bekannt. Er wurde darüber niemals aufgeklärt. Es war ihm nicht bewusst, dass es verschiedene A*****-Gesellschaften gab.

Der Kläger nimmt die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Haftungsgesellschaft nach Paragraph 75, WAG in Anspruch. Für ihn als Anleger sei zu keinem Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass es sich bei der Vermittlerin und bei der Emittentin um verschiedene Gesellschaften handle, sodass die Emittentin der Genussscheine jedenfalls der Vermittlerin als konzessioniertem Wertpapierunternehmen und Mitglied der Beklagten zugerechnet werden müsse. Bei einem konzessionswidrigen Halten von Kundengeldern bestehe ein Entschädigungsanspruch. Dazu zähle auch das mittelbare Halten von Kundengeldern, das im konkreten Fall dadurch stattgefunden habe, dass die Vermittlerin die Kundengelder der ihr rechtlich und wirtschaftlich verbundenen Emittentin zugewendet habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Emittentin sei nie Mitglied (Gesellschafterin) der Beklagten gewesen. Die Vermittlerin sei zwar Mitglied gewesen, ihre Konzession sei aber am 4. 11. 2008 erloschen, was zu ihrem Ausschluss als Mitglied der Beklagten geführt habe. Die Emission von Wertpapieren (Genussscheine) sei keine Wertpapierdienstleistung. Eigenkapital und Schuldverschreibungen des Wertpapierunternehmens seien von einer Entschädigung ausgeschlossen. Die Inhaber von Genussscheinen seien nach den Bedingungen am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Dieses Rechtsverhältnis sei eine atypische stille Gesellschaft, weshalb Eigenkapital und daher kein Entschädigungsfall vorliege. Auch als Schuldverschreibungen seien die Genussscheine von der Entschädigung ausgeschlossen. Der Kläger habe nur der Emittentin der Genussscheine Zahlungen geleistet, nur dieser gegenüber, nicht aber gegenüber der Vermittlerin, habe er daher einen Rückzahlungsanspruch. Eine Haftung der Vermittlerin für Verbindlichkeiten ihrer Muttergesellschaft widerspreche dem Verbot der Einlagenrückgewähr.

Das Erstgericht und das Berufungsgericht wiesen das Klagebegehren im ersten Rechtsgang ab.

Mit Beschluss vom 9. 9 2013, AZ 6 Ob 98/13z, hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Begründend führte der erkennende Senat dort aus:

Ein Anleger, der einem entsprechend konzessionierten Unternehmen, das Mitglied der Entschädigungseinrichtung ist, einen Auftrag zur Erbringung einer Wertpapierdienstleistung erteilt, kann grundsätzlich damit rechnen, dass ihm die Entschädigungseinrichtung einen Schaden bis zum Höchstbetrag von 20.000 EUR ersetzt, wenn dieses Mitglied gegen das Verbot des Haltens von Kundengeldern oder Finanzinstrumenten der Kunden verstößt. Maßgeblich für die Haftung der Entschädigungseinrichtung ist, dass die später in Konkurs verfallene Wertpapierfirma zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses über die Wertpapierdienstleistung Mitglied der Entschädigungs-
einrichtung war. Eine zeitliche Begrenzung der Haftung für ein ehemaliges Mitglied besteht nicht. Schuldverschreibungen sind von der Anlegerentschädigung nicht ausgenommen.

Die Einrede der Beklagten, ihre Leistungspflicht entfalle wegen des Eigenkapitalcharakters der Genussscheine, ist unbegründet. Der Kläger kann unabhängig von der Frage, ob er als Inhaber von Genussscheinen der Emittentin als deren Gesellschafter zu behandeln ist, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen nach Paragraph 75, WAG 2007 die beklagte Entschädigungseinrichtung ungeachtet des Verbots der Einlagenrückgewähr gemäß Paragraph 52, AktG in Anspruch nehmen.

„Mittelbares Halten“ liegt etwa vor, wenn sich nicht das Wertpapierunternehmen selbst, sondern eine Tochtergesellschaft oder ein mit dem Wertpapierunternehmen sonst rechtlich oder wirtschaftlich verbundener Rechtsträger die Kundengelder oder die Finanzinstrumente aneignet. In Betracht kommt etwa eine Verflechtung der beiden Rechtsträger im Sinn einer Beherrschung oder einer weitgehenden Identität der Eigentümer. Da zur Frage der Verflechtung der beiden in Rede stehenden Gesellschaften keine Feststellungen getroffen wurden, konnte die Entschädigungspflicht der Beklagten für Genussscheine der Emittentin noch nicht abschließend beurteilt werden.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Das den Schaden auslösende Ereignis sei bereits mit dem Erwerb der Genussscheine durch den Kläger im April 2004, Dezember 2004, Dezember 2005, November 2006, Juni 2007 und Mai 2008 eingetreten, zu welchen Zeitpunkten die Vermittlerin der Genussscheine noch Mitglied der Beklagten gewesen sei. Die Vermittlerin sei mit der Emittentin rechtlich und wirtschaftlich eng verbunden gewesen, weshalb von einem „mittelbaren Halten“ der Kundengelder durch die Vermittlerin für die Emittentin auszugehen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil den hier zu beantwortenden Rechtsfragen der Anlegerentschädigung über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. Es verneinte die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels, weil die Behauptungen des Klägers zur engen Verflechtung der beiden Aktiengesellschaften, zu den Eigentumsverhältnissen und zur beherrschenden Stellung des Gründers von der Beklagten weder konkret bestritten noch in diesem Zusammenhang abweichende Tatsachen behauptet oder (Gegen-)Beweise angeboten worden seien. Der maßgebliche Sachverhalt sei unstrittig. Mit der Vermittlung der von der A***** G***** AG emittierten Genussscheine seien die dafür vereinnahmten Kundengelder in deren Gesellschaftsvermögen übergeführt worden. Aufgrund der beherrschenden 75%igen Beteiligung dieser Gesellschaft sei es mittelbar auch zu einem Halten der Kundengelder durch die A***** I***** AG gekommen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Entschädigungsbegehrens des Klägers anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Entgegen dem Revisionsvorbringen der Beklagten sind die Grundlagen ihrer Ersatzpflicht im vorliegenden Fall durch den Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 9. 9 2013, AZ 6 Ob 98/13z, und die darin bezogenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 9 Ob 50/09g; 8 Ob 45/13w; 4 Ob 89/13m umfassend geklärt; das Berufungsgericht hat seinem Urteil diese bindend vorgegebene Rechtsansicht auch zutreffend zugrunde gelegt.

Nach dem Grundtatbestand des Paragraph 75, Absatz 3, WAG 2007 greift die Anlegerentschädigung ein, wenn das Wertpapierunternehmen (hier die Vermittlerin, die mit der Emittentin nach dem vom Berufungsgericht als unstrittig angenommenen Sachverhalt eine wirtschaftliche Einheit bildet und gegenüber dem Kläger auch als solche aufgetreten ist) nicht in der Lage ist, dem Anleger geschuldetes Geld zurückzuzahlen und ihm gehörende Finanzinstrumente zurückzugeben. Rückforderungsansprüche können sich außer aus den vertraglichen Regelungen auch aus dem Schadenersatz-, Bereicherungs- oder Sachenrecht ergeben vergleiche jüngst 8 Ob 45/15y mwN; 4 Ob 141/15m).

Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0126148) kommt als „Halten“ auch ein mittelbares Halten in Betracht. Ein solches liegt etwa vor, wenn nicht das Wertpapierunternehmen selbst, sondern eine Tochtergesellschaft oder ein mit ihm sonst rechtlich oder wirtschaftlich verbundener Rechtsträger sich Kundengelder oder die Finanzinstrumente aneignet. In Betracht kommt auch eine Verflechtung der beiden Rechtsträger im Sinn einer Beherrschung oder einer weitgehenden Identität der Eigentümer (6 Ob 98/13z mwN).

Nach dem feststehenden Sachverhalt kam der vom Kläger der Vermittlerin überwiesene Kaufpreis für die Genussscheine der Emittentin zu. Dass dies im Fall des Zutreffens der Klagsbehauptungen zur wirtschaftlichen Verflechtung der Vermittlerin und der Emittentin in diesem Fall zur Berechtigung des hier geltend gemachten Entschädigungsanspruchs gegen die Beklagte führt, lag dem Aufhebungsbeschluss vom 9. September 2013 ebenso zugrunde, wie das (eine weitere Voraussetzung des hier geltend gemachten Entschädigungsanspruchs bildende) Bestehen eines - infolge Konkurseröffnung der Wertpapierfirma derzeit nicht einbringlichen - Anspruchs auf Rückzahlung der Kundengelder. Die Vermittlerin und die Emittentin haben sich nach dem feststehenden Sachverhalt als wirtschaftliche Einheit Kundengelder (hier die Erwerbspreise für die angebotenen Genussscheine) angeeignet und sind nicht in der Lage, die sich aus Schadenersatz- und/oder Bereicherungsrecht ergebenden Rückersatzansprüche zu erfüllen.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits zur Höhe des Ersatzanspruchs ausgesprochen, dass dieser durch die Gesamtkaufsumme des Anlegers bestimmt wird (4 Ob 141/15m mwN). Es geht schließlich um den Ersatz der dem Kläger abgenommenen Kundengelder, nicht um (fiktive) Marktwerte im Rahmen des von der Vermittlerin und der Emittentin betriebenen betrügerischen Schneeballsystems.

Dass auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt das WAG 2007 anzuwenden ist, ist im Aufhebungsbeschluss bereits geklärt worden. Auch zu den weiteren von der Beklagten bereits im ersten Rechtsgang erhobenen Einreden zu den Ausnahmen von der Anlegerentschädigung (Schuldverschreibungen, Eigenkapital der Wertpapierfirma) hat der erkennende Senat bereits Stellung genommen; auch hiebei handelt es sich um schon abschließend erledigte Streitpunkte, die nicht erneut aufgerollt werden können (RIS-Justiz RS0042031; RS0042435 [T2]) und an deren Beantwortung der Oberste Gerichtshof gebunden ist (RIS-Justiz RS0042178).

Soweit die Beklagte eine unrichtige Verteilung der Behauptungs- und Beweislast rügt, lässt sie unberücksichtigt, dass das Berufungsgericht die entscheidungswesentlichen Tatsachen als zugestanden ansah (Paragraph 267, ZPO). Diese nach dem konkreten Parteivorbringen im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung wirft - von hier nicht vorliegender korrekturbedürftiger Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO auf.

Nach der Rechtsprechung genügt es für die ordnungsgemäße Ausführung der Beweisrüge - wie es aber die Beklagte in ihrer Berufung machte - nicht, die ersatzlose Streichung einer Feststellung anzustreben (RIS-Justiz RS0041835 [T3]), sodass dem Berufungsgericht nicht vorgeworfen werden kann, sich mit der Beweisrüge nicht schlüssig auseinandergesetzt zu haben.

Wenn die Revisionswerberin dem Berufungsgericht eine unrichtige Verteilung der Behauptungs- und Beweislast unterstellt, missversteht sie dessen Ausführungen, die nicht von einer Behauptungs- oder Beweislast der Beklagten ausgehen, sondern die Unwesentlichkeit des gerügten Verfahrensmangels betreffen.

Soweit die Beklagte aus anwaltlicher Vorsicht dem Berufungsgericht eine Überraschungsentscheidung vorwirft, ist ihr zu erwidern, dass die Verfahrensrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt ist, weil sie nicht darlegt, welches zusätzliches oder neues Vorbringen sie erstattet hätte, wäre die Ansicht des Berufungsgerichts erörtert worden (RIS-Justiz RS0037300 [T48]).

Da die Revisionswerberin somit keine erheblichen Rechtsfragen aufzuzeigen vermochte, war die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin, sodass die Beklagte gemäß Paragraphen 41,, 50 ZPO die Kosten der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Revisionsbeantwortung zu ersetzen hat.

Textnummer

E113387

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00119.15S.1221.000

Im RIS seit

02.02.2016

Zuletzt aktualisiert am

06.06.2016

Dokumentnummer

JJT_20151221_OGH0002_0060OB00119_15S0000_000

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