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Entscheidungstext 17Os1/14x

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Strafrecht

Fundstelle

Jus-Extra OGH-St 4857 = EvBl 2014/159 S 1097 - EvBl 2014,1097 = JSt‑LS OGH 2015/2 S 59 - JSt‑LS OGH 2015,59 = Ratz, AnwBl 2016,19 (Judikaturübersicht) = SSt 2014/24

Geschäftszahl

17Os1/14x

Entscheidungsdatum

11.08.2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. August 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zillinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl R***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach Paragraph 302, Absatz eins, StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 11. November 2013, GZ 25 Hv 125/13y-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Dr. Janda, des Angeklagten und seines Verteidigers, Dr. Schöffthaler, zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Karl R***** wird gemäß Paragraph 259, Ziffer 3, StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe im November 2012 in J***** als Beamter seine Befugnis, im Namen einer Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, mit dem Vorsatz wissentlich missbraucht, dadurch die Gemeindebürger an ihren Rechten auf eine unparteiliche und den Bestimmungen der Tiroler Gemeindeordnung (kurz: TGO) entsprechende Führung der Amtsgeschäfte und am Recht auf hinreichende Vorbereitung der Gemeinderäte für eine Gemeinderatssitzung zu schädigen und die Agrargemeinschaft T***** zu bevorzugen, indem er als Bürgermeister der Gemeinde J***** in Bezug auf die Gemeinderatssitzung vom 14. November 2012 entgegen Paragraph 35, Absatz eins, TGO die Tagesordnung in ihrem Punkt 2 „Befangenheit in Agrarfragen“ nicht hinreichend genau festlegte, entgegen Paragraph 40, TGO zu diesem Punkt keine zugehörigen Verhandlungsunterlagen zur Verfügung stellte, entgegen Paragraph 34, Absatz 3, TGO Ersatzmitglieder lud und einsetzte, ohne dass ein Gemeinderatsmitglied seine Verhinderung bekannt gegeben hätte, entgegen Paragraph 35, Absatz 3, TGO den Gemeinderat über den Verhandlungsgegenstand „Beratung und Abstimmung über die Befangenheit von Vizebürgermeisterin Stefanie H***** und Bürgermeister Karl R***** in Angelegenheiten, welche die Agrargemeinschaft T***** oder die Agrargemeinschaft J***** betreffen“, entscheiden ließ, ohne dass der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder dem Verhandlungsgegenstand die Dringlichkeit zuerkannt hätte und so insgesamt den Gemeinderat gesetzwidrig über eine Befangenheit der Vizebürgermeisterin H***** und die Aufhebung seiner eigenen Befangenheit abstimmen ließ.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl R***** wegen des zuvor wiedergegebenen Vorwurfs des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach Paragraph 302, Absatz eins, StGB schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Paragraph 281, Absatz eins, Ziffer 3,, 5, 5a, 9 Litera a und b sowie 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Ziffer 9, Litera a,) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen (Paragraph 290, Absatz eins, zweiter Satz erster Fall StPO) wahrzunehmen war.

1/ Paragraph 302, Absatz eins, StGB stellt auf (wissentlichen) Missbrauch einer Befugnis, im Namen einer Gebietskörperschaft (oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts) als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, ab. Aus dieser Formulierung folgt, dass lediglich Handeln im Rahmen der Hoheitsverwaltung (oder der Gerichtsbarkeit), nicht aber der Privatwirtschaftsverwaltung tatbildlich ist (RIS-Justiz RS0105870, RS0096211, vergleiche auch RS0096976, RS0096181). Zwar erfasst der Tatbestand nicht bloß Rechtshandlungen (Hoheitsakte), sondern mit dem Begriff „Amtsgeschäfte“ auch andere Handlungen, nämlich Verrichtungen tatsächlicher Art (soweit diese Rechtshandlungen qualitativ annähernd gleichwertig sind), die zur unmittelbaren Erfüllung der Vollziehungsaufgaben (RIS-Justiz RS0096903, RS0095963, RS0096888), also insbesondere der Vorbereitung (oder Umsetzung) eines Hoheitsakts dienen vergleiche zum Ganzen Bertel in WK2 StGB Paragraph 302, Rz 8 und 22 bis 24, 33 f; Zagler SbgK Paragraph 302, Rz 66 f und 78 ff; Kienapfel/Schmoller BT III2 Paragraph 302, Rz 16 f und 24 ff). Besteht der vorgeworfene Befugnismissbrauch in der Anwendung von Verfahrensregeln - hier über die interne Willensbildung eines Kollegialorgans vergleiche zu der Stellung und den Befugnissen eines Bürgermeisters als Vorsitzenden des Gemeinderats Widder, 5. Teil, Gemeinderatsgeschäftsordnung Rz 11 und 95 ff in Pabel [Hrsg], Gemeinderecht2; VfSlg 11.750) - ist die Frage, ob dieses Verhalten Paragraph 302, Absatz eins, StGB zu subsumieren ist, anhand des Gegenstands des am Ende dieses Verfahrens stehenden Rechtsakts (des Gemeinderatsbeschlusses) zu beantworten vergleiche RIS-Justiz RS0097076; 13 Os 84/04 [betreffend den Vorwurf, dass ein Bürgermeister rechtswidrig die Einberufung einer Sitzung des Gemeinderats zur Entscheidung über einen Antrag auf Bestellung eines neuen Amtsleiters unterließ]).

2/ Zur Rechtsstellung von Agrargemeinschaften in Tirol:

Agrargemeinschaften sind Körperschaften öffentlichen Rechts, die - ohne Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen - für die Verwaltung, pflegliche Bewirtschaftung, Erhaltung und Verbesserung des Gemeinschaftsvermögens sowie für die Sicherstellung der Erfüllung der Ansprüche und Pflichten gegenüber ihren Mitgliedern sorgen. Die (zwangsweise) Mitgliedschaft folgt in der Regel aus der Stellung als Eigentümer an sogenannten Stammsitzliegenschaften; ausnahmsweise ist sie (davon losgelöst) an bestimmte Personen gebunden (Paragraph 17, Absatz eins und 2 Flurverfassungs-GrundsatzG 1951 [FlVGG]). Beim Anteilsrecht eines Mitglieds als Summe der Berechtigungen und Verpflichtungen aus seinen rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Agrargemeinschaft handelt es sich um ein (subjektiv-)öffentliches Recht (zum Ganzen Bachler/Haunold in Norer, Handbuch des Agrarrechts², 588 ff). Regulierte Agrargemeinschaften sind solche, bei denen der Ertrag (der Gemeinschaft) und die Anteilsrechte der einzelnen Mitglieder durch einen - von der Agrarbehörde zu erlassenden - Regulierungsplan festgelegt wurden (Paragraph 21, in Verbindung mit Paragraph 33, FlVGG). Hoheitliche Befugnisse (etwa der Aufsicht) kommen im Zusammenhang mit regulierten Agrargemeinschaften ausschließlich der Agrarbehörde zu vergleiche etwa Paragraphen 33, ff FlVGG; Paragraphen 37, ff und 71 ff Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 [TFLG - sämtliche Zitate aus diesem Gesetz beziehen sich auf die im Tatzeitraum geltende Fassung vor LGBl 2014/70]).

Bei Gemeindegutsagrargemeinschaften vergleiche Paragraph 36, Absatz eins, Litera a, TFLG) wurden Grundstücke, die vormals im Eigentum einer (politischen) Gemeinde gestanden sind, durch Regulierungsplan ins Eigentum einer Agrargemeinschaft übertragen (Paragraph 33, Absatz 2, Litera c, Ziffer 2, TFLG; vergleiche Bachler/Haunold in Norer, Handbuch des Agrarrechts2, 598 ff). Die Gemeinde ist aufgrund ihrer (das Surrogat des ehemaligen Eigentums bildenden) Substanzberechtigung Mitglied einer solchen Agrargemeinschaft (Paragraph 34, Absatz eins, TFLG). Ungeachtet einer gegenüber den übrigen Mitgliedern privilegierten Stellung vergleiche etwa Paragraphen 35, Absatz 7,, 36 Absatz 2, TFLG) ist sie diesen jedoch grundsätzlich gleich- und nicht übergeordnet. Über Streitigkeiten aus diesem Verhältnis entscheidet die Agrarbehörde (Paragraphen 35, Absatz 7, dritter Satz und 37 Absatz 7, erster Satz TFLG; vergleiche RIS-Justiz RS0013173). Die der Gemeinde in diesem Zusammenhang zukommenden Aufgaben beschränken sich auf die Verwaltung des Gemeindevermögens (des Substanzwerts an den Liegenschaften und der daraus resultierenden Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft). Sie werden von ihr als selbständigem Wirtschaftskörper im eigenen Wirkungsbereich wahrgenommen (Artikel 116, Absatz 2, in Verbindung mit Artikel 118, Absatz 2, B-VG; vergleiche Pernthaler, Verfassungsrechtliche Probleme der TFLG-Novelle 2010, in Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber, Die Agrargemeinschaften in Westösterreich, 495 ff [509 f]; Öhlinger, Agrargemeinschaftliche Anteilsrechte und der Eigentumsschutz, in Kohl/Oberhofer/Pernthaler, Die Agrargemeinschaften in Tirol, 281 ff [291 ff]) und stellen daher Privatwirtschaftsverwaltung dar (Mayer, B-VG4 Artikel 116, B-VG römisch III.1.). Auf diese Einordnung haben weder das Bestehen darauf bezogener Vorschriften des öffentlichen Rechts vergleiche Paragraphen 68, ff TGO [RIS-Justiz RS0096525]), noch in diesen vorgesehene Mitwirkungsbefugnisse weiterer Organe, etwa des Gemeinderats (Paragraph 30, Absatz eins, Litera j bis q TGO), Einfluss vergleiche 14 Os 107/99).

Hoheitliche Befugnisse nimmt die Gemeinde lediglich in Bezug auf nicht-regulierte Agrargemeinschaften wahr (Paragraph 33, Absatz 6, zweiter Satz TFLG in Verbindung mit Paragraphen 70 bis 73 TGO; Pernthaler, Agrargemeinschaften und Gemeinden im Spannungsfeld von Bodenreform, Eigentumsstreit, privater Wirtschaftsführung und öffentlicher Aufgabenerfüllung, in Jahrbuch Agrarrecht 2012, 215 ff [220 f]).

3/ Das Erstgericht hat folgenden - nach dem Vorgesagten entscheidenden - Sachverhalt festgestellt:

Bei einer Gemeinderatssitzung am 21. April 2010 habe der Beschwerdeführer klargestellt, dass die Vizebürgermeisterin Stefanie H***** „Ansprechpartnerin der Gemeinde in allen Belangen betreffend Agrargemeinschaft“ sei (US 4). Am 17. Oktober 2012 sei er vom Gemeinderat „in Angelegenheiten, welche die Agrargemeinschaft T***** oder die Agrargemeinschaft J***** betreffen“, für befangen erklärt worden (US 5). In einer Aufsichtsbeschwerde an die Bezirkshauptmannschaft habe der Beschwerdeführer unter anderem auf seine „positiven Verhandlungen mit den Agrargemeinschaften und Landwirten über die Trassenführung von neu zu verlegenden Wasserleitungen“ hingewiesen (US 6). Ein von ihm und Listenkollegen unterfertigter Antrag an den Gemeinderat, die Vizebürgermeisterin in den „Angelegenheiten betreffend Agrargemeinschaften“ für befangen zu erklären, sei unter anderem damit begründet worden, „dass sie in Agrargemeinschaftsangelegenheiten zum Nachteil der Gemeinde J***** agiert habe“ (US 7). Nachdem der Gemeinderat in der Sitzung vom 14. November 2011 dem Anliegen des Beschwerdeführers, „seine Befangenheit zum Thema Agrar, welche bei der letzten Gemeinderatssitzung beschlossen wurde, aufzuheben“, nicht nachgekommen sei, habe der Gemeinderat (unter Beiziehung zweier Ersatzmitglieder) zunächst die Befangenheit der Vizebürgermeisterin im Sinn des zuvor erwähnten Antrags beschlossen, jene des Beschwerdeführers „aufgehoben“ sowie - nach Aufnahme eines entsprechenden Tagesordnungs-punktes - den (Rechnungs-)Abschlüssen 2010 und 2011 sowie dem Voranschlag der Agrargemeinschaft T***** unter Hinweis auf eine vom Beschwerdeführer mit dieser Agrargemeinschaft geschlossene Vereinbarung zugestimmt (US 8 f). Inhalt dieser Vereinbarung sei unter anderem gewesen, dass die Gemeinde die Enthebung des Sachverwalters vergleiche Paragraph 37, Absatz 3, TFLG) bei der Agrarbehörde beantragen werde (US 10).

4/ Aus diesen - in Bezug auf den Inhalt der „Angelegenheiten“ und die Rechtsnatur der Agrargemeinschaften nicht näher konkretisierten -Konstatierungen lässt sich nicht ableiten, die gegenständlichen Beschlüsse des Gemeinderats hätten hoheitliche Aufgaben der Gemeinde im Zusammenhang mit Agrargemeinschaften betroffen. Demnach fehlt es aber auch der rechtlichen Annahme, der Beschwerdeführer habe bei der inkriminierten Wahrnehmung ihm nach der Tiroler Gemeindeordnung zukommender Befugnisse bei der Vorbereitung dieser Beschlussfassung Amtsgeschäfte „in Vollziehung der Gesetze“ vorgenommen (US 25), an der entsprechenden Sachverhaltsgrundlage.

5/ Dieser Rechtsfehler erforderte - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - die Aufhebung des Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs und des Kostenausspruchs. Eine Erörterung des Beschwerdevorbringens erübrigt sich daher.

Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

6/ Nach der Aktenlage war nicht zu erwarten, dass einen Schuldspruch tragende Feststellungen in einem weiteren Rechtsgang getroffen werden könnten:

Bei den hier gegenständlichen Agrargemeinschaften T***** und J***** handelt es sich nämlich um Gemeindegutsagrargemeinschaften im Sinn des Paragraph 33, Absatz 2, Litera c, Ziffer 2, TFLG (US 5 [hinsichtlich der Agrargemeinschaft T*****] sowie ON 2 S 31, 35, 55 und 75 in ON 2; ON 10 S 32]). Hoheitliche Befugnisse kamen der Gemeinde in Bezug auf diese (regulierten) Agrargemeinschaften nach dem Vorgesagten demnach nicht zu. Sonstige von ihr wahrzunehmende (hoheitliche) Aufgaben stehen hier nicht in Rede.

Ein Befugnismissbrauch des Beschwerdeführers im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung zum Nachteil der Gemeinde J***** (der allenfalls Paragraph 153, StGB zu subsumieren wäre) ist nicht Gegenstand der Anklage.

Es war daher sogleich im Umfang der Aufhebung mit Freispruch in der Sache selbst zu erkennen (RIS-Justiz RS0100239, RS0118545; Ratz, WK-StPO Paragraph 288, Rz 24).

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E108497

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2014:0170OS00001.14X.0811.000

Im RIS seit

30.09.2014

Zuletzt aktualisiert am

02.08.2017

Dokumentnummer

JJT_20140811_OGH0002_0170OS00001_14X0000_000

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