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Entscheidungstext 7Ob17/12v

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

RdW 2012/573 S 526 - RdW 2012,526 = EvBl 2012/134 S 917 - EvBl 2012,917 = VersR 2012,1322 = Zak 2012/439 S 223 (Huber, Rechtsprechungsübersicht) - Zak 2012,223 (Huber, Rechtsprechungsübersicht) = Gruber, ZFR 2012/166 S 320 (Rechtsprechungsübersicht) - Gruber, ZFR 2012,320 (Rechtsprechungsübersicht) = ecolex 2012/353 S 876 (Ertl) - ecolex 2012,876 (Ertl) = VR 2014,43/914 - VR 2014/914 = Ertl, ecolex 2013,1048 (Rechtsprechungsübersicht)

Geschäftszahl

7Ob17/12v

Entscheidungsdatum

19.04.2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** T*****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, und der Nebenintervenientin V***** Rechtsanwalt GmbH, *****, gegen die beklagte Partei A*****versicherung AG, *****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2011, GZ 4 R 199/11p-19, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 22. Juli 2011, GZ 8 Cg 5/11d-13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.478,60 EUR (darin enthalten 697,10 EUR an USt und 1.296 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens und der Nebenintervenientin die mit 2.431,56 EUR (darin enthalten 405,26 EUR an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Vater des Klägers schloss mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag, bei dem auch die Angehörigen des Versicherungsnehmers mitversichert sind und dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) und Ergänzenden Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ERB 2005) zu Grunde liegen. In der Versicherungspolizze lautet es auszugsweise:

Definition Versicherungsnehmer und Angehörige:

Der Versicherungsnehmer, sein in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebender Ehegatte oder verschieden-
oder gleichgeschlechtlicher Lebensgefährte und deren Kinder (auch Enkel-, Adoptiv-, Pflege- und Stiefkinder; Enkelkinder jedoch nur, wenn sie in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherungsnehmer leben), wenn diese das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sich in Ausbildung befinden und nicht selbsterhaltungsfähig sind oder unter der Sachwalterschaft des Versicherungsnehmers oder seines in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebenden Ehegatten oder Lebensgefährten stehen.“

Die ARB 2003 bestimmen:

Artikel 5

Wer ist versichert und unter welchen Voraussetzungen können mitversicherte Personen Deckungsansprüche geltend machen?

1. ...Ist in Besonderen Bestimmungen die Mitversicherung von Angehörigen vorgesehen, so umfasst der Versicherungsschutz

1.2. seinen in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebenden Ehegatten oder verschieden-
oder gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten,

1.3. deren Kinder (auch Enkel-, Adoptiv-, Pflege- und Stiefkinder; Enkelkinder jedoch nur, wenn sie in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherungsnehmer leben), wenn diese

- das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sich in Ausbildung befinden und nicht selbsterhaltungsfähig sind oder

- unter der Sachwalterschaft des Versicherungsnehmers oder seines in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebenden Ehegatten oder Lebensgefährten stehen.

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

...

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß Paragraph 6, VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.

...

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

...

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis, ...

2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, dh ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen. ...

Der Kläger ist bei einem anderen Versicherer unfallversichert. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 2006) zu Grunde. In deren Abschnitt C (Begrenzung des Versicherungsschutzes) ist in Artikel 20, geregelt:

In welchen Fällen zahlt der Versicherer nicht?

Ausschlüsse

Ausgeschlossen von der Versicherung sind Unfälle, …

Ziffer 8, die der Versicherte infolge einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner psychischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol, Suchtgifte oder Medikamente erleidet; ...

Der am 19. 8. 1986 geborene Kläger besuchte von 1992 bis 2001 die Pflichtschule, von September 2001 bis Juli 2002 die „BHAK B*****“ und von September 2002 bis Juli 2006 die „BAKIP F*****“. Der Kläger wiederholte das dritte Schuljahr und beendete die Ausbildung nicht. Von November 2006 bis Februar 2007 arbeitete er als Aushilfe im großelterlichen Betrieb. Nach Beendigung des Zivildienstes im Dezember 2007 fasste er den Entschluss, diplomierter Physiotherapeut zu werden. Dazu war erforderlich, die Ausbildung zum medizinischen Masseur und darauf aufbauend zum medizinischen Heilmasseur zu absolvieren. Dies sollte ihm die Ausbildung zum Physiotherapeuten in Deutschland ermöglichen. Seine Eltern unterstützten diese Entscheidung, indem sie ihm für die Zeit der Ausbildung in W***** eine Wohnung finanzieren wollten.

Im Jänner und Februar 2008 arbeitete der Kläger noch als Kinderbetreuer in einem Hotel, bevor er im März 2008 mit der Ausbildung zum medizinischen Masseur begann. Diese Ausbildung dauerte vom 3. März 2008 bis 3. März 2009. Der Kläger schloss sie am 31. März 2009 mit einer kommissionellen Prüfung ab. Er meldete sich für den Folgekurs im Juni 2009 an. Auf Grund einer zu geringen Teilnehmerzahl wurde der Beginn des Kurses auf 12. Oktober 2009 verschoben, worüber der Kläger Ende März 2009 informiert wurde. In der Zeit zwischen April und Oktober 2009 wurde kein weiterer Vollzeitkurs angeboten. Der Kläger absolvierte während des Ausbildungsjahrs zum medizinischen Masseur Praxisstunden in einem physikalischen Institut, wofür er ca 300 bis 350 EUR monatlich erhielt. Diesen Betrag verwendete er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts.

Der Kläger gab Ende März 2009 die Wohnung in W***** auf und kehrte zu seinen Eltern nach B***** zurück. Seinen Erkundigungen entnahm er, dass er für die Zeit zwischen April und Oktober 2009 keine Arbeit finden würde, weil ihm für die Tätigkeit als medizinischer Masseur der Elektrotherapiekurs, den er im September 2009 absolvieren wollte, fehlte. Nach Abschluss des Elektrotherapiekurses hatte der Kläger vor, auf einer ihm schon bekannten Praxisstelle als medizinischer Masseur zu arbeiten, um ein wenig Geld dazuzuverdienen. Zwischen Juni und August 2009 trug er Zeitungen aus und erhielt dafür zweimal je 500 EUR. Im Übrigen lebte er vom Taschengeld, das ihm sein Vater gab. Den Eltern zahlte er keinen Wohnungsbeitrag. Es war ihm während dieser Zeit nicht möglich, seinen Lebensunterhalt (einschließlich Wohnung) aus eigenen Einkünften zu finanzieren.

Anfang September 2009 fuhr der Kläger nach W*****, um am Elektrotherapiekurs teilzunehmen und am 15. September 2009 die Prüfung abzulegen.

Am 4. 9. 2009 gegen 5:25 Uhr stürzte der Kläger in der U-Bahnhaltestelle „S*****“ in W***** in den Gleistrog und wurde von einer herannahenden U-Bahngarnitur erfasst. Er erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Als Folge dieser Verletzungen mussten der rechte Unterschenkel und die Zehen des linken Fußes amputiert werden. Der Kläger hat keine Erinnerungen an den Vorfall.

Am 8. 7. 2010 ersuchte die Nebenintervenientin die Beklagte um eine Kostendeckungszusage für die Einbringung der Klage über 70.000 EUR gegen den Unfallversicherer. Sie schloss das Aufforderungsschreiben an den Unfallversicherer und einen Aktenvermerk über eine Besprechung mit dem Kläger und seinem Vater an.

Am 29. 7. 2010 lehnte die Beklagte die Kostendeckung ab, weil der Kläger nicht mehr als mitversicherte Person gelte, zumal er bereits eine Ausbildung als Kindergärtner absolviert und längere Zeit arbeitslos gewesen sei.

Am 6. 10. 2010 brachte der Kläger die Klage gegen den Unfallversicherer ein.

Das Verfahren gegen den Unfallversicherer ist noch anhängig. „Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger gegenüber der Beklagten Umstände verschwiegen hätte, die für eine umfassende oder vollständige Beurteilung des Falls wesentlich gewesen wären.“

Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag. Er sei mitversicherte Person nach Artikel 5 Punkt eins Punkt 3, ARB 2003. Er habe das 27. Lebensjahr nicht vollendet, habe sich in Ausbildung befunden und sei nicht selbsterhaltungsfähig gewesen. Er habe den Beruf des Heilmasseurs und nicht jenen des medizinischen Masseurs angestrebt. Voraussetzung für den Beruf des Heilmasseurs sei eine Berufungsberechtigung als medizinischer Masseur. Der Beginn dieses Aufschulungsmoduls sei ursprünglich mit Juni 2009 angesetzt gewesen. Die bloße Verschiebung des Moduls habe auf den Umstand, dass sich der Kläger in Ausbildung zum Heilmasseur befunden habe, keinen Einfluss gehabt. Die Frage, ob er den Versicherungsfall in der Unfallversicherung fahrlässig herbeigeführt habe oder nicht, sei nicht im Deckungsprozess zu klären. Es bestünden hinreichende Erfolgsaussichten.

Die Nebenintervenientin ergänzt, dass die Beklagte den Versicherungsschutz sofort unter Hinweis auf die Selbsterhaltungsfähigkeit des Klägers abgelehnt habe. In diesem Fall sei der Versicherungsnehmer nicht mehr verpflichtet, den Versicherer dennoch weiter zu informieren. Der Unfallversicherer sei nicht leistungsfrei.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls selbsterhaltungsfähig gewesen. Er habe sich trotz abgeschlossener Berufsausbildung als Kindergärtner nicht um einen Job bemüht. Der Kläger habe die Ausbildung zum medizinischen Masseur mit der kommissionellen Prüfung am 31. 3. 2009 abgeschlossen. Im Zeitraum 31. 3. 2009 bis zum Unfall habe er offensichtlich keinerlei berufliche Tätigkeit entfaltet, obwohl er dazu auf Grund seiner Ausbildung in der Lage gewesen sei. Der Kläger habe den Unfall unter massiver Alkoholisierung oder auch unter Drogeneinfluss auf Grund einer bewusst herbeigeführten Beeinträchtigung seiner Selbstkontrolle selbst verursacht, weshalb der Unfallversicherer bedingungsgemäß leistungsfrei sei. Da die Rechtsverfolgung offenbar aussichtlos sei, sei auch die Beklagte nach Artikel 9 Punkt 2, ARB 2003 leistungsfrei. Das Verschweigen der Alkoholisierung und des Suchtgiftmittelkonsums sei grob fahrlässig. Es liege daher eine wesentliche Obliegenheitsverletzung vor, die die Beklagte ebenfalls leistungsfrei mache.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Beklagte dem Kläger hinsichtlich der Durchsetzung seiner Ansprüche gegen den Unfallversicherer auf Grund und im Umfang des bei der Beklagten bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrags Deckungsschutz zu gewähren habe. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Unfalls in Ausbildung zum medizinischen Heilmasseur gestanden. Mangels Elektrotherapiekurses habe er noch keine abgeschlossene Ausbildung erworben. Dass er zwischen April und September 2009 keine Kurse absolvieren habe können, ändere daran nichts. Auf Grund der festgestellten Lebensverhältnisse könne auch nicht von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Klägers ausgegangen werden. Der Kläger sei gemäß Artikel 5 Punkt eins, ARB 2003 mitversichert. Nach ständiger Rechtsprechung sei im Deckungsprozess nicht der Haftpflichtprozess vorwegzunehmen. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten sei auf Grund einer Prognose nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht komme. Ein Unterliegen des Klägers im Haftpflichtprozess sei nicht wahrscheinlicher als ein Obsiegen. Die Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit nach Artikel 9 Punkt 2, ARB 2003 seien nicht gegeben.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahingehend ab, dass es das Klagebegehren (samt einem im Wesentlichen gleichlautenden Eventualbegehren) zur Gänze abwies. Ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehe Artikel 5 Punkt eins, ARB 2003 dahin, dass bei Unterbrechung von mehr als einem halben Jahr nicht davon die Rede sein könne, dass die Person noch weiter in Ausbildung stehe. Es lasse sich mit dem Gebot einer objektiven, am Wortlaut orientierten Auslegung nicht in Einklang bringen, dass es darauf ankommen solle, ob der den Status des Mitversicherten Anstrebende nach seinem subjektiven Willen weitere Ausbildungsschritte (Aufschulungsmodule) beabsichtige. Da der Kläger nicht in Ausbildung gestanden sei, erübrige sich ein näheres Eingehen auf die weiteren Berufungsausführungen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs des „Sich-in-Ausbildung-Befindens“ in Artikel 5 Punkt eins Punkt 3, ARB.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungs-
grundsätzen (Paragraphen 914, f ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand oder Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). Stets ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0112256). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich versierter Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinn des Paragraph 915, ABGB zu Lasten des Verwenders der Bedingungen, regelmäßig also des Versicherers, gehen (RIS-Justiz RS0050063 [T3]).

Hauptstreitpunkt ist die Frage, ob der Kläger als in Ausbildung befindlich und als nicht selbsterhaltungsfähig im Sinn von Artikel 5 Punkt eins Punkt 3, ARB anzusehen ist.

In Ausbildung befindet sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch jemand, der einen Beruf erlernt und die dafür notwendigen Studien noch nicht abgeschlossen und Prüfungen noch nicht abgelegt hat. Die notwendigen Ausbildungsschritte müssen dabei nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht unmittelbar zeitlich aufeinander folgen, aber doch in einem den Umständen des Einzelfalls entsprechenden Konnex stehen. Dabei ist grundsätzlich von dem Berufs- oder Ausbildungsziel des Kindes auszugehen, sofern es realistisch erreicht werden kann.

Beim Kläger ist zu bedenken, dass er von vornherein die Ausbildung zum Heilmasseur/Physiotherapeuten angestrebt hat, wofür die Ausbildung zum medizinischen Masseur Voraussetzung ist. Der Folgekurs für die Ausbildung zum Heilmasseur sollte nach zweimonatiger Pause im Juni 2009 beginnen. Diese zwei Monate (die schon im Schul- und Universitätsbetrieb üblich sind) unterbrechen zweifellos ein Ausbildungsverhältnis nicht. Es lag außerhalb des Einflussbereichs des Klägers, dass der Beginn des Kurses letztlich auf den 12. Oktober 2009 verschoben wurde. Auch dieser (noch vertretbare) Zeitraum bewirkt im vorliegenden Fall noch keine Unterbrechung der Ausbildung, war doch eine frühere Fortsetzung der Kurse nicht möglich. Abgesehen davon setzte der Kläger seine Ausbildung im Zeitpunkt des Unfalls Anfang September 2009 durch Teilnahme am Elektrotherapiekurs jedenfalls fort. Dies war ja der Grund, warum er sich überhaupt in Wien aufhielt. Der Kläger stand also am 4. September 2009 in Ausbildung im Sinn von Artikel 5 Punkt eins Punkt 3, ARB.

Die Frage, was unter Selbsterhaltungsfähigkeit im Sinn des Artikel 5 Punkt eins Punkt 3, ARB zu verstehen ist, ist eine Rechtsfrage. Auf die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Ein Kind ist nach allgemeinem Verständnis selbsterhaltungsfähig, wenn es selbständig aus eigener Kraft mit eigenen Mitteln leben kann. Insofern entspricht dies der zum Unterhaltsrecht vertretenen Rechtsansicht, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts ist. Solange das Kind noch die elterliche Wohnungsgewährung oder Betreuung benötigt, ist es noch nicht selbsterhaltungsfähig (RIS-Justiz RS0047554). Findet das Kind keine seiner Berufsausbildung entsprechende Arbeitsmöglichkeit, wird im Unterhaltsrecht die Selbsterhaltungsfähigkeit verneint (2 Ob 179/10b mwN). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erwartet nach dem Wortlaut der Klausel jedenfalls nicht, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit strengeren Grundsätzen unterliegen soll. Darauf, ob das Kind zwischen den einzelnen Ausbildungsmodulen irgendeinen Beruf hätte ausüben können, kommt es nicht an.

Die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit des Klägers ist schon deshalb nicht in Zweifel zu ziehen, weil er nach den Feststellungen des Erstgerichts ohne Absolvieren des Elektrotherapiekurses keine Arbeit als medizinischer Masseur gefunden hätte. Nach den Feststellungen war der Kläger auch nicht ohne elterliche Unterstützung in der Lage, seine täglichen Bedürfnisse zu befriedigen. Das Erstgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger als Kind des Versicherungsnehmers Mitversicherter ist.

In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0081929). Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden Paragraph 63, ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RIS-Justiz RS0116448, RS0117144). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist auf Grund einer Prognose - im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses auf Grund einer nachträglichen Prognose - nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0124256). Feststellungen im Deckungsprozess über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, sind für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen werden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0081927). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers nicht von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer Versicherungsschutz nur ablehnen, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (RIS-Justiz RS0082253). Der Grundsatz in der Rechtsschutzversicherung, dass im Deckungsprozess die Beweisaufnahme und die Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen zu unterbleiben haben und daher dem Versicherer eine vorweggenommene Beweiswürdigung verwehrt ist, gilt allgemein und damit auch für die Prüfung der Frage, ob nach Artikel 9 Punkt 2 Punkt 2, ARB ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen (RIS-Justiz RS0124256).

Das Erstgericht hat die dargelegte Judikatur zutreffend auf den vorliegenden Fall angewendet. Die Beklagte möchte die Beweisaufnahmen im zu deckenden Prozess vorwegnehmen und mit ihrer Beweiswürdigung die Prozesschancen beurteilen. Dies ist - wie oben dargelegt-
nicht zulässig.

Die Beklagte stützt ihre Behauptung, der Kläger habe seine Obliegenheit verletzt, darauf, er habe wesentliche Umstände des zu beurteilenden Vorfalls (zum behaupteten Drogen- und Alkoholkonsum) verschwiegen. Die Frage, ob der Unfall des Klägers durch Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch verursacht wurde, ist - wie dargelegt - aber eine im zu deckenden Prozess zu prüfende Frage. Das Ergebnis der Beweiswürdigung ist hier nicht vorwegzunehmen. Das Vorbringen des Klägers im Hauptprozess ist weder unschlüssig noch stehen der Geltendmachung des Anspruchs rechtliche Bedenken entgegen, geht man vom Vorbringen des Klägers aus. Ohne vorweggenommener Beweiswürdigung kann nicht behauptet werden, der zu deckende Prozess habe keine Aussicht auf Erfolg. Da sich bereits aus dem Vorbringen der Beklagten keine Obliegenheitsverletzung ergibt, kommt es auf die unerledigte Beweisrüge der Beklagten in der Berufung nicht an.

Das Begehren des Klägers ist ausreichend präzisiert. Es bezieht sich auf die Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem Unfallversicherungsvertrag gegen den Unfallversicherer wegen des Vorfalls vom 4. September 2009 im Umfang des bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrags.

Es ist das zutreffende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraphen 50,, 41 ZPO.

Schlagworte

Vertragsversicherungsrecht

Textnummer

E100667

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2012:0070OB00017.12V.0419.000

Im RIS seit

16.05.2012

Zuletzt aktualisiert am

30.05.2014

Dokumentnummer

JJT_20120419_OGH0002_0070OB00017_12V0000_000

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