Gegen diese in einer Ausfertigung verbundenen Entscheidungen richten sich Rechtsmittel (Revision und Revisionsrekurs) der Klägerin, die sie - entgegen der von der Klägerin in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht - getrennt einbringen konnte (RIS-Justiz RS0040202). Beide Rechtsmittel sind zulässig, weil die Beurteilung des im Gesamtvertrag enthaltenen Werbeverbots über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat, sie sind aber nicht berechtigt.
1. Zum Verstoß gegen § 9 des Gesamtvertrags.
1.1. Die Klägerin zeigt richtig auf, dass sozialversicherungsrechtliche Gesamtverträge nach ständiger Rechtsprechung Rechtsquellen sui generis sind, deren Zustandekommen zwar nach privatrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist, die ihrem Inhalt nach aber Gesetzen im materiellen Sinn gleichzuhalten sind (7 Ob 3/05z = SZ 2005/149 mwN; 2 Ob 128/06x, 2 Ob 48/08k = RdW 2009, 390). Das trifft auch aus lauterkeitsrechtlicher Sicht zu: Gesamtverträge sollen eine Gleichbehandlung der Vertragspartner der Sozialversicherungsträger sicherstellen. Soweit sie nicht ausschließlich das Innenverhältnis zwischen den Sozialversicherungsträgern und ihren Vertragspartnern regeln, sondern auch deren Verhalten gegenüber Patienten (Kunden) erfassen, begründen sie einen rechtlichen Rahmen für das Handeln der Vertragspartner im zwischen ihnen bestehenden Wettbewerb. Ein Unterschied zu einer (anderen) generellen Norm ist insofern nicht erkennbar. Damit gehört die Wahrung gleicher Ausgangsbedingungen der Mitbewerber auch hier zu den zentralen Aufgaben des Lauterkeitsrechts (Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 [1997] 725; 4 Ob 225/07d = ÖBl 2008, 237 [Mildner] - Wiener Stadtrundfahrten).
1.2. Aus dem Charakter des Gesamtvertrags als Gesetz im materiellen Sinn folgt, dass die hier behauptete Verletzung von dessen § 9 in die lauterkeitsrechtliche Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ einzuordnen ist. Aber auch eine rein vertragsrechtliche Beurteilung, wie sie der Senat in 4 Ob 317/86 angestellt hatte, führte zu keinem anderen Ergebnis: Nach der Rechtsprechung zu § 1 UWG idF vor der UWG-Novelle 2007 war es als sittenwidrig anzusehen, wenn eine vertragliche Verpflichtung, die sich unmittelbar auf eine Regelung des Wettbewerbs bezog, verletzt wurde, um gegenüber dem Vertragspartner einen Vorteil zu erlangen (4 Ob 144/01g = ÖBl 2002, 15 - St. Barbara-Brot; RIS-Justiz RS0078846; zuletzt etwa 4 Ob 202/05t = ÖBl 2006, 174 [Gamerith] - Arosa). An dieser Rechtslage hat sich durch die UWG-Nov 2007 nichts Grundlegendes geändert; ein Unterschied liegt lediglich darin, dass an die Stelle der nach altem Recht erforderlichen Absicht, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, nun die objektive Eignung des beanstandeten Verhaltens tritt, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Vertragspartnern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen (4 Ob 4/10g). Es liegt auf der Hand, dass sich die hier strittige Verpflichtung auf einen Kernbereich des Verhaltens im Wettbewerb bezog, nämlich auf die Werbung für das eigene Unternehmen.
1.3. Ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm ist als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen (4 Ob 225/07d = ÖBl 2008, 237 [Mildner] - Wiener Stadtrundfahrten; RIS-Justiz RS0123239). Der Vertretbarkeitsstandard hat auch bei der Verletzung von Pflichten aus einem Gesamtvertrag zu gelten (4 Ob 317/86).
Maßgebend für die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden (4 Ob 225/07b - Wiener Stadtrundfahrten; zuletzt etwa mwN 4 Ob 40/09z = ÖBl-LS 2009/239 [Mildner] = ecolex 2009, 881 [Tonninger] - Lademulden). Formloses Dulden durch Verwaltungsbehörden führt nicht dazu, dass ein sonst eindeutiger Gesetzesverstoß mit guten Gründen vertretbar würde (4 Ob 225/07b - Wiener Stadtrundfahrten; RIS-Justiz RS0123433).
1.4. Ein eindeutiger Verstoß gegen eine generelle Norm liegt hier nicht vor.
(a) Zwar ist die strittige Regelung so weit formuliert, dass sie bei formaler Betrachtung als Verbot jeglicher Erwähnung von Kassenleistungen verstanden werden könnte. Folgte man dieser Auslegung, müssten Akustiker bei der Werbung für Kassengeräte entweder auf Preisangaben verzichten oder aber Preise nennen, die bei Vorliegen einer aus Sicht der Sozialversicherung relevanten Hörschwäche für die Kunden völlig irrelevant wären. Ein legitimer Zweck für eine solche Werbebeschränkung ist nicht erkennbar. Den Vertragspartnern des Gesamtvertrags kann nicht unterstellt werden, dass sie mit der diesbezüglichen Unkenntnis eines Teils der Bevölkerung spekulierten, um einerseits die Kostenbelastung der Sozialversicherungsträger gering zu halten und andererseits die im Interesse der Akustiker liegende Bereitschaft zum Erwerb teurerer Geräte nicht zu gefährden. Eine Pflicht zum kostensparenden „Geheimhalten“ von Leistungen der Sozialversicherung verstieße gegen die Wertung des Gesetzgebers, die der Informations- und Aufklärungspflicht der Sozialversicherungsträger und des Hauptverbands (§ 81a ASVG) zugrunde liegt; sie ist daher im Zweifel nicht anzunehmen. Der zweitgenannte Regelungszweck liefe dem Konzept eines freien Leistungswettbewerbs zuwider und wäre daher mit den Aufgaben einer Fachgruppe der Wirtschaftskammer unvereinbar, denen nach § 43 Abs 3 Z 2 WKG insbesondere die „Verhütung von Gewohnheiten, Gebräuchen und Neuerungen“ obliegt, „welche dem lauteren und leistungsgerechten Wettbewerb unter den Mitgliedern im Wege stehen.“
(b) Ist unklar, ob und gegebenenfalls welcher Zweck die vom Kläger behauptete Auslegung einer Norm trägt, hat die Vollzugspraxis erhöhte Bedeutung für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht. Dieses Kriterium spricht hier eindeutig für den Standpunkt der Beklagten. Denn es steht fest, dass nach der Beanstandung im Jahr 2003 nicht nur die Beklagte selbst, sondern auch andere Akustiker weiterhin in vergleichbarer Form warben, ohne dass der Hauptverband dagegen einschritt.
(c) Damit konnte die Beklagte in vertretbarer Weise annehmen, dass das Verbot ungeachtet seiner allgemeinen Formulierung in erster Linie solche Werbung erfassen sollte, die - im weitesten Sinn - irreführend ist. Vertragsakustiker dürfen daher (auch) aufgrund der Regelung im Gesamtvertrag unter anderem nicht den Eindruck erwecken,
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- | nur sie, nicht aber ihre Mitbewerber böten solche Leistungen an, |
- | Kassenleistungen könnten ohne ärztliche Verordnung bezogen werden (so die Begründung des Verbots in der Vorgängerregelung aus dem Jahr 1999), |
- | die Unentgeltlichkeit oder ein objektiv niedriger Preis beruhten allein auf der Kalkulation des Anbieters und nicht auf einer Leistung der Solidargemeinschaft. |
Ein weiterer Regelungszweck wird darin liegen, eine abwertende Darstellung von Kassengeräten - etwa bei einer an sich zulässigen vergleichenden Werbung - zu verhindern. Hingegen ist die Annahme der Beklagten vertretbar, dass ein bloßer Hinweis auf die Möglichkeit, Hörgeräte bei Vorliegen der sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch ohne Zuzahlung erwerben zu können, nicht gegen § 9 des Gesamtvertrags verstößt. In diesem Fall liegt nach vertretbarer Auffassung keine „Werbung“ im Sinn dieser Bestimmung vor.
1.5. Die beanstandeten Aussagen der Beklagten gehen nicht über eine objektive Information über die Möglichkeit und die Folgen einer Sozialversicherungsleistung hinaus. Ein lauterkeitsrechtlich relevanter Rechtsbruch liegt daher nicht vor. Soweit der Entscheidung 4 Ob 317/86 eine andere Auffassung entnommen werden kann, wird sie nicht aufrecht erhalten.
Die Rechtsmittel der Beklagten müssen daher in diesem Punkt jedenfalls scheitern. Aus diesem Grund erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob § 9 des Gesamtvertrags überhaupt mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, RL-UGP) vereinbar ist. Die im Anhang zu dieser RL enthaltene Liste jedenfalls unzulässiger Geschäftspraktiken hat abschließenden Charakter (EuGH Rs C-261/07 und C-299/07 = MR 2009, 103 – VTB-VAB; Rs C-304/08 = MR 2009, 308 - Plus Warenhandelsgesellschaft). Das Werbeverbot des Gesamtvertrags regelt zweifellos eine Geschäftspraktik und könnte daher gegen diesen abschließenden Charakter verstoßen.
2. Zum Verstoß gegen Z 10 des Anhangs zum UWG
2.1. Die Klägerin behauptet einen Verstoß der Beklagten gegen Z 10 des Anhangs zum UWG. Danach ist es jedenfalls unzulässig, Verbrauchern „gesetzlich zugestandene Rechte [...] als Besonderheit des Angebots des Unternehmens“ zu präsentieren. Grundlage dafür ist die entsprechende Bestimmung im Anhang zur RL-UGP:
„Den Verbrauchern gesetzlich zugestandene Rechte werden als Besonderheit des Angebots des Gewerbetreibenden präsentiert.“
„Presenting rights given to consumers in law as a distinctive feature of the trader’s offer.“
„Présenter les droits conférés au consommateur par la loi comme constituant une caractéristique propre à la proposition faite par le professionnel.“
2.2. Z 10 des Anhangs erfasst die Werbung mit rechtlichen Selbstverständlichkeiten (Anderl/Appl in Wiebe/G. Kodek, UWG [2009] Anh § 2 Rz 107; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG28 [2010] Anh § 3 III Rz 10.1; Wirtz in Götting/Nordemann, UWG [2010] § 3 Rz 123). Als „gesetzlich zustehende Rechte“ werden dabei in der Literatur vor allem Ansprüche aufgrund zwingenden Verbraucherschutzrechts genannt (Anderl/Appl und Köhler aaO); Anderl/Appl scheinen sie überhaupt darauf zu beschränken (aaO Rz 109).
2.3. Es kann dahinstehen, ob die Z 10 des Anhangs tatsächlich einen derart engen Anwendungsbereich hat oder auch die Werbung mit der Finanzierung eines Angebots durch gesetzlich zustehende Sozialversicherungsleistungen erfasst. Denn die Bestimmung setzt weiters voraus, dass die gesetzlich zustehenden Ansprüche als Besonderheit des Angebots präsentiert werden. Unter Besonderheit ist dabei, wie sich insbesondere aus der englischen und der französischen Fassung der Bestimmung ergibt, ein Merkmal zu verstehen, dass das beworbene Angebot von jenem anderer Unternehmen unterscheidet („distinctive feature“) und daher eine Eigenheit des werbenden Unternehmens ist („caractéristique propre“). Z 10 des Anhangs erfasst daher nicht einen bloßen Hinweis auf bestehende Ansprüche, der nicht den Eindruck erweckt, dass diese Ansprüche ausschließlich beim werbenden Unternehmen bestünden (Anderl/Appl aaO Rz 110; Köhler aaO Rz 10.1, Wirtz aaO Rz 125).
2.4. Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Beklagte darauf, ihre Kunden auf die Möglichkeit des Bezugs von zuzahlungsfreien Geräten hinzuweisen. Diese Information ist zwar nicht uneigennützig, da die Beklagte damit Kunden gewinnen kann, die sonst nicht an den Erwerb eines Hörgeräts dächten. Eine Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen ist damit aber nicht einmal ansatzweise verbunden. Vielmehr wirkt die beanstandete Werbung der Fehlvorstellung entgegen, dass Hörgeräte jedenfalls nur mit Zuzahlung durch den Versicherten erworben werden könnten und Schwerhörigkeit daher - anders als Fehlsichtigkeit - bei beengten finanziellen Verhältnissen als Schicksal hingenommen werden müsse.
Demgegenüber ist der Werbung nicht zu entnehmen, dass Kassenleistungen nur bei der Beklagten und nicht auch bei anderen Akustikern in Anspruch genommen werden könnten. Denn zum einen stellt die Beklagte die „Null-Euro-Geräte“ nicht derart heraus, dass der Durchschnittsverbraucher annehmen müsste, es handle sich dabei um eine Besonderheit ihres Angebots. Zum anderen verwendet die Werbung Begriffe wie „Kassenleistung“ und „Kassentarif“, die der Durchschnittsverbraucher im Zusammenhang mit Sehbehelfen kennt und mit denen er eine bei allen Optikern erhältliche Basisversorgung („Kassenbrillen“) verbindet. Für ihn besteht daher kein Anlass zur Annahme, dass vergleichbare Leistungen bei Hörgeräten nur die Beklagte anbiete.
Die Beklagte hat daher die Möglichkeit des zuzahlungslosen Erwerbs von Hörgeräten nicht als Besonderheit ihres Angebots präsentiert. Der Tatbestand der Z 10 des Anhangs zum UWG ist schon aus diesem Grund nicht erfüllt. Auf weitere Fragen zur Auslegung dieser Bestimmung kommt es daher nicht an.
3. Zum Verstoß gegen § 1 Abs 3 iVm § 2 UWG
3.1. Das Werben mit Selbstverständlichkeiten kann auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Z 10 des Anhangs eine irreführende Geschäftspraktik iSv § 1 Abs 3 Z 2 iVm § 2 UWG sein. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Werbung einen selbstverständlichen Umstand in einer Weise betont, dass der Durchschnittsverbraucher eine besondere Leistung gerade nur des - mit dem vermeintlichen Vorteil werbenden - Unternehmens annimmt (4 Ob 406/80 - ohne Konservierungsmittel; 4 Ob 384/83 = ÖBl 1984, 70 - MOLKO-mat; 4 Ob 198/03a = ÖBl-LS 2004/5 - Die positive Wirkung von A; RIS-Justiz RS0078470 [T21]). Auch bei Betonen einer Eigenschaft fehlt der irreführende Charakter, wenn der Verkehr erkennt, dass es sich dabei ohnehin um etwas Selbstverständliches handelt (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG28 § 5 Rz 2.115).
3.2. Im vorliegenden Fall wird der Durchschnittsverbraucher aus den oben (Punkt 2) dargestellten Gründen nicht annehmen, er könne Kassenleistungen nur bei der Beklagten beziehen. Eine irreführende Geschäftspraktik liegt daher nicht vor.
4. Ergebnis und Kosten
4.1. Aus den dargestellten Gründen treffen die angefochtenen Entscheidungen im Ergebnis zu. Die Rechtsmittel der Klägerin müssen daher scheitern.
4.2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO, für die Revisionsrekursbeantwortung iVm § 393 Abs 1 EO. Da die Klägerin getrennte Rechtsmittel eingebracht hatte, bestand auch für die Beklagte keine kostenrechtliche Verbindungspflicht.