Navigation im Suchergebnis

Entscheidungstext Bsw13540/04

Gericht

AUSL EGMR

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Geschäftszahl

Bsw13540/04

Entscheidungsdatum

08.02.2007

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Falter Zeitschriften GmbH gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 8.2.2007, Bsw. 13540/04.

Spruch

Artikel 6, EMRK, Artikel 10, EMRK - Vorwurf der Vernichtung von Beweismaterial durch Politiker.

Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Artikel 10, EMRK (mehrheitlich).

Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Artikel 6, EMRK (mehrheitlich).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die bf. Gesellschaft ist Medieninhaberin und Herausgeberin der Wochenzeitung „Falter".

Im März 2000 offenbarte ein Polizeibeamter, dass sowohl er als auch einige seiner Kollegen wiederholt Daten aus dem zentralen Polizeicomputer an Funktionäre der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) weitergegeben hätten. Infolgedessen wurden strafrechtliche Ermittlungen unter anderem gegen Herrn Kabas, den Vorstand der Wiener FPÖ, und Herrn Kreißl, seinen Sekretär, eingeleitet. Am 30.4.2002 erschien im „Falter" ein einseitiger Artikel über die sogenannte „Spitzelaffäre", in dem der Verfahrensverlauf und die Ergebnisse der Ermittlungen kommentiert wurden. In dem Beitrag fand sich auch die folgende Passage: „Die Kommission ermittelte, regte beim U-Richter Untersuchungshaft für Hilmar Kabas, den Wiener FPÖ-Chef, und Michael Kreißl, seinen Sekretär, an. Die beiden waren jedoch immun. Weder U-Haft noch Hausdurchsuchung konnten rasch bewilligt werden. In den Räumen der Wiener FPÖ wurde in diesen Wochen so viel Material wie in Jahren nie zuvor durch den Reißwolf gejagt."

Bezugnehmend auf den letzten Satz dieses Abschnittes leiteten Herr Kabas und Herr Kreißl ein Verfahren vor dem LG für Strafsachen Wien ein und forderten Schadenersatz und Urteilsveröffentlichung gemäß Paragraph 6 und Paragraph 7 b, MedienG.

In der mündlichen Verhandlung am 4.3.2003 wurden drei von der Verteidigung bestellte Zeugen einvernommen. Der Pressesprecher der Partei „Die Grünen", deren Büros sich unter denen der Wiener FPÖ befinden, berichtete, dass während des in Frage stehenden Zeitraums die Türen der FPÖ-Fraktion stets verschlossen gewesen seien und dass Gerüchten zufolge der Reißwolf ohne Unterbrechung betrieben worden sei. Weiters sagten zwei Journalisten der „Salzburger Nachrichten" aus, dass die Vernichtung großer Papiermengen mit Bezug zur sogenannten „Spitzelaffäre" von zwei Personen bestätigt worden sei. Beide verweigerten jedoch nähere Informationen über ihre Quellen. Das LG verurteilte die Bf. zur Zahlung von jeweils € 1.500,– an Herrn Kabas bzw. Herrn Kreißl sowie zur Veröffentlichung des Urteils, da die beanstandete Aussage sowohl den Tatbestand des Paragraph 111, StGB als auch des Paragraph 7 b, MedienG verwirkliche. Außerdem unterstelle sie, im Textzusammenhang gelesen, dass Herr Kabas und Herr Kreißl Beweismittel betreffend die gegen sie geführten strafrechtlichen Untersuchungen vernichtet oder deren Vernichtung zumindest gebilligt hätten. Die Bf. hätte ihnen auch keine Möglichkeit eingeräumt, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Gegen diese Entscheidung erhob die Bf. Berufung, in der sie unter anderem vorbrachte, das LG habe es verabsäumt, einen Gebäudeverwalter der betreffenden Räumlichkeiten sowie den Verfasser des Artikels einzuvernehmen.

Am 8.9.2003 bestätigte das OLG Wien das Urteil und erhöhte die zu zahlende Entschädigung auf jeweils € 3.000,–. In seiner Begründung führte es aus, die Vernichtung ungewöhnlich großer Papiermengen stelle noch keinen Beweis dafür dar, dass es sich dabei um Beweismaterial über die „Spitzelaffäre" handelte. Demzufolge sei es nicht erforderlich, den Verfasser des umstrittenen Artikels einzuvernehmen. Weiters habe sich die Bf. nicht auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände berufen, wodurch sie von ihrer Pflicht befreit worden wäre, Herrn Kabas und Herrn Kreißl vor der Veröffentlichung des Artikels anzuhören. Die unbestätigten Aussagen der anonymen Zeugen fand das Gericht außerdem nicht glaubwürdig und verlässlich genug, um sie in Betracht zu ziehen, zumal sie nicht beweisen konnten, dass Herr Kabas und Herr Kreißl in irgendeiner Weise an der Vernichtung der Akten beteiligt gewesen wären.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 10, EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung) und Artikel 6, EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).

Zur behaupteten Verletzung von Artikel 10, EMRK:

Der GH stellt fest, dass die Urteile einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung der Bf. darstellen, der jedoch gesetzlich vorgesehen war und ein legitimes Ziel verfolgte, nämlich den Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer. Es bleibt zu prüfen, ob die von den nationalen Gerichten herangezogenen Gründe maßgeblich und ausreichend waren und der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stand.

Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Während das Vorliegen von Tatsachen bewiesen werden kann, ist der Wahrheitsgehalt eines Werturteils einer Beweisführung nicht zugänglich. Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei der beanstandeten Aussage, dass ungewöhnlich viele Akten in den FPÖ-Büros vernichtet worden seien, um eine Tatsachenbehauptung. In ihrem Textzusammenhang suggeriert diese allerdings, dass für die Strafverfahren gegen Herrn Kabas und Herrn Kreißl relevante Unterlagen vernichtet worden seien. Diese Anschuldigung ist durchaus bedenklich, da sie das tatsächliche Vorhandensein von belastendem Material indiziert.

Daher ist zu prüfen, ob die bf. Gesellschaft in gutem Glauben gehandelt hat und ihrer journalistischen Verpflichtung zur Verifizierung der inkriminierenden Aussagen nachgekommen ist. Ungeachtet ihres besonderen Status als Politiker, die ein größeres Ausmaß an öffentlicher Kritik akzeptieren müssen als Privatpersonen, hatten Herr Kabas und Herr Kreißl einen Anspruch darauf, bis zur rechtmäßigen Feststellung ihrer Schuld für unschuldig gehalten zu werden. Der GH schließt sich der Ansicht der österreichischen Gerichte an, dass weder die Aussage des Pressesprechers der Grünen noch die Berufung auf die beiden anonymen Zeugen ausreichte, um die Vernichtung von Beweismaterial in verlässlicher Weise zu bestätigen. Noch dazu hatte die Bf. die erforderliche journalistische Sorgfalt vermissen lassen, indem sie den Artikel veröffentlicht hatte, ohne Herrn Kabas und Herrn Kreißl zuvor zu kontaktieren oder ihnen eine Möglichkeit zur Rechtfertigung einzuräumen.

Zusammenfassend stellt der GH fest, dass die Interessen von Herrn Kabas und Herrn Kreißl am Schutz ihres guten Rufes das öffentliche Interesse an der Freiheit der Bf. zur Verbreitung der umstrittenen Informationen eindeutig überwogen. Die für die Entscheidungen der österreichischen Gerichte herangezogenen Gründe können somit als maßgeblich und ausreichend qualifiziert werden. Daraus folgt, dass der Eingriff in das Recht der Bf. auf freie Meinungsäußerung nicht unverhältnismäßig zu dem damit verfolgten Ziel, nämlich dem Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer, war. Die Beschwerde ist daher nach Artikel 35, Absatz 3, in Verbindung mit Absatz 4, EMRK als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (mehrheitlich).

Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, EMRK:

Die Bf. rügt auch eine Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren nach Artikel 6, EMRK, da das LG Wien weder den Gebäudeverwalter noch den Verfasser des beanstandeten Artikels einvernommen hatte. Dazu bringt die österreichische Regierung vor, dass die Bf. ihren diesbezüglichen Antrag im Berufungsverfahren nicht wiederholt und dadurch die verfügbaren innerstaatlichen Rechtsmittel nicht ausgeschöpft hätte. Dem hält die Bf. entgegen, dass das Berufungsgericht die beantragten Beweismittel ohnehin nicht für relevant gehalten habe. Die Bestätigung der Tatsache durch den Gebäudeverwalter, dass ungewöhnlich große Papiermengen vernichtet worden seien, hätte jedoch sehr wohl den Schluss zugelassen, dass sich unter diesen Akten auch Beweismaterial befunden habe. Ihrer Meinung nach wurde durch die Weigerung des Gerichts, weitere Beweise aufzunehmen, der Grundsatz der Waffengleichheit verletzt. Dieser Ansicht kann der GH nicht folgen. Artikel 6, EMRK garantiert kein unbeschränktes Recht, Zeugen einvernehmen zu lassen. Im Allgemeinen ist es Sache der nationalen Gerichte, die Relevanz des vorliegenden Beweismaterials zu würdigen und festzustellen, ob die Einvernahme eines Zeugen zweckdienlich ist.

Im gegenständlichen Fall wurden drei von der Verteidigung bestellte Zeugen befragt und der Antrag der Bf. auf Einvernahme weiterer Personen abgelehnt. Das Berufungsgericht teilte diese Überzeugung, da die bloße Bestätigung der Tatsache, dass mehr Papier als gewöhnlich vernichtet worden war, nicht ausreichte, um die Anschuldigungen gegen Herrn Kabas und Herrn Kreißl zu untermauern. Da die Bf. außerdem gegen die ihr obliegende journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen habe, sei es auch nicht notwendig gewesen, den Verfasser des umstrittenen Artikels einzuvernehmen.

Der GH hält diese Gründe für überzeugend genug, um die Abweisung der Berufung in zweiter Instanz zu rechtfertigen, weshalb keine Verletzung von Artikel 6, Absatz eins und Absatz 3, Litera d, EMRK vorliegt. Die Beschwerde ist somit nach Artikel 35, Absatz 3, in Verbindung mit Absatz 4, EMRK als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (mehrheitlich).

Vom GH zitierte Judikatur:

De Haes & Gijsels/B v. 24.2.1997, NL 1997, 50; ÖJZ 1997, 912. Feldek/SK v. 12.7.2001, NL 2001, 149; ÖJZ 2002, 814. Scharsach und News Verlagsgesellschaft/A v. 13.11.2003, NL 2003, 307; ÖJZ 2004, 512.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 8.2.2007, Bsw. 13540/04, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2007, 65) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/07_2/Falter_ZE.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00711 Bsw13540.04-ZE

Dokumentnummer

JJT_20070208_AUSL000_000BSW13540_0400000_000

Navigation im Suchergebnis