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Entscheidungstext 7Ob35/95

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

7Ob35/95

Entscheidungsdatum

08.11.1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert H*****, vertreten durch Dr.Walter Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei V***** AG, ***** vertreten durch Dr.Hubert Tramposch, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 292.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 28.Juli 1995, GZ 4 R 180/95-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16.Mai 1995, GZ 5 Cg 158/94b-25, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.725,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.287,50 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Leasingnehmer eines Kraftfahrzeuges. Am 19.2.1993 schloß er für dieses Fahrzeug für eine GmbH, deren geschäftsführender Gesellschafter er ist, einen Kraftfahrzeug- Haftpflicht- und Kaskoversicherungsvertrag ab. Wegen einer Anrainerparkkartenregelung trat der Kläger später anstelle der Gesellschaft als Versicherungsnehmer in diese Versicherung ein, worauf entsprechende Änderungen in der Polizze vorgenommen wurden. Die Leasinggeberin, zu deren Gunsten die Kaskoversicherungspolizze vinkuliert ist, unterfertigte am 23.8./23.9.1994 eine Abtretungserklärung, nach der sie dem Kläger sämtliche ihr aus der zu ihren Gunsten erfolgten Vinkulierung des Versicherungsvertrages gegenüber dem Kaskoversicherer zustehenden Ansprüche des Klägers abtraten; sämtliche Zahlungen, die den gegenständlichen Vorfall betreffen, sind aber an die Leasinggeberin weiterzuleiten.

Am 24.10.1993 fuhr der Kläger - gemeinsam mit zwei Freunden - gegen

1.30 Uhr auf der K***** Gletscherstraße bergwärts. Beim Km 1,5 fuhr er mit ca 50 bis 60 km/h in eine scharfe Linkskurve ein. Wegen plötzlichen Auftretens von Glatteis fand der Kläger mit dem Fahrzeug keinen Halt mehr auf der Fahrbahn, schlitterte über den Fahrbahnrand hinaus, riß einen Betonrandstein nieder, fuhr über einige Jungfichten, die dadurch beschädigt wurden, und blieb dann in einer Art Gegenhang stehen.

Am Abend des 23.10.1993 hatte der Kläger in einem Gasthaus in F***** an einem Geschäftsessen teilgenommen. Während des ganzen Abends trank er keinen Alkohol. Im Laufe des Abends stellte er fest, daß er einen Teil der Snowboard-Ausrüstung auf dem Gletscher vergessen hatte. Er entschloß sich, noch in der Nacht zum Gletscher hinaufzufahren, um die Ausrüstung zu holen, weil er glaubte, daß die Fahrbahnverhältnisse am nächsten Tag zu schlecht sein würden.

Wegen der Dunkelheit konnte der Kläger nach dem Unfall nicht erkennen, daß sein Fahrzeug einen Betonrandstein umgerissen und Bäume beschädigt hatte. Der Kläger und seine Freunde gingen sodann von der Unfallstelle zu Fuß ca 1 bis 1 1/2 Stunden ins Tal; eine Verständigung der Gendarmerie unterließ er. Am Morgen des 24.10.1993 fuhr der Kläger wieder zum Gletscher. Von dort rief er den ÖAMTC an, um das Abschleppen seines Fahrzeuges zu veranlassen.

Im Rahmen einer Dienstfahrt sah ein Gendarmeriebeamter am 24.10.1993 um 9.00 Uhr das von der Fahrbahn abgekommene Unfallfahrzeug, stellte die vorhandenen Beschädigungen fest und gab das Kfz-Kennzeichen dem nächsten Gendarmeriepostenkommando weiter. Am Nachmittag des 24.10.1993 fuhr der Kläger wieder vom Gletscher ins Tal. Als er an der Unfallsstelle angelangt war, stieg er aus, um sein Fahrzeug zu besichtigen. Kurz darauf kamen zwei Gendarmeriebeamte, um den Unfall aufzunehmen. Der Kläger wies sich als Lenker des Fahrzeuges aus. Einer der Beamten erklärte ihm, daß er den Unfall hätte melden müssen und daß eventuell ein Strafverfahren nach Paragraph 4, StVO eingeleitet werde.

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion I***** vom 12.1.1994 wurde über den Kläger ua wegen Unterlassung der unverzüglichen Meldung eines Unfalls mit Sachschäden bei der nächsten Sicherheitsdienststelle eine Geldstrafe von insgesamt S 2.000,-- verhängt.

Durch den Unfall entstand am versicherten Fahrzeug Totalschaden mit einer Schadenshöhe von S 292.000,--.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von S 292.000,-- sA an ihn, in eventu an seine Leasinggeberin. Den nächtlichen Verkehrsunfall habe er bei erstmöglicher Gelegenheit gemeldet. Eine Obliegenheitsverletzung könne ihm nicht angelastet werden. Überdies wäre eine sofortige Unfallsaufnahme der Aufklärung des Schadensereignisses in keinem höheren Ausmaß dienlich gewesen. Von der Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens gegen ihn habe er erst durch die Zustellung der Strafverfügung Kenntnis erlangt. Eine Verständigung der Beklagten von diesem Umstand hätte zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts nichts mehr beitragen können.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Nicht der Kläger sondern nur die Leasinggeberin könne den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend machen. Die Beklagte sei überdies leistungsfrei, weil der Kläger den Unfall nicht angezeigt und die Beklagte von der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens gegen ihn nicht verständigt habe.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren mit Ausnahme des die gesetzlichen Verzugszinsen übersteigenden Zinsenbegehrens statt. Der Kläger sei aufgrund der festgestellten Abtretung aktiv legitimiert. Die von der Beklagten geltend gemachten Obliegenheitsverletzungen führten nicht zur Leistungsfreiheit. Der Verstoß gegen Paragraph 4, Absatz 5, StVO begründe noch keine Obliegenheitsverletzung. Daß aber im konkreten Fall tatsächlich etwas verabsäumt worden sei, was zur unverzüglichen Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre, habe die Beklagte nicht behauptet und bewiesen. Auch bei unverzüglicher Anzeige wäre im gegenständlichen Fall nichts anderes über Unfallshergang und Schadensumfang feststellbar gewesen. Eine allfällige Alkoholisierung des Klägers habe die Beklagte ebenfalls nicht behauptet.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit und bestätigte im übrigen das Urteil des Erstgerichtes. Weiters sprach es aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Kläger sei als Leasingnehmer und Versicherungsnehmer im Rahmen des gegenständlichen Versicherungsvertrags zur Geltendmachung von Ansprüchen berechtigt. Die Leasinggeberin habe ihm allfällige Ansprüche abgetreten. Daß er erhaltene Zahlungen an diese weiterzuleiten habe, ändere daran nichts.

Die Unterlassung einer unverzüglichen Unfallsmeldung habe die Beklagte zwar bewiesen. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß Artikel 5, Ziffer 3 Punkt eins, AFIB liege aber nur dann vor, wenn im konkreten Fall etwas verabsäumt worden sei, was für die Aufklärung des Sachverhalt dienlich gewesen wäre; es sei deshalb notwendig, daß ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels durch die unterlassene Meldung im nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Dieser weitere von ihr zu erbringende Beweis sei der Beklagten allerdings nicht gelungen. Dem Kläger sei aber der ihn treffende Beweis gelungen, die rechtzeitige Anzeige nicht vorsätzlich unterlassen zu haben. Da er in der Dunkelheit nicht erkannt habe, daß er einen Randstein und Bäume beschädigt habe, beruhe die Unterlassung der sofortigen Anzeigeerstattung nur auf leichter Fahrlässigkeit. Selbst wenn man aber eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung annehmen wolle, wäre die Beklagte nicht leistungsfrei, weil durch die dem Kläger vorgeworfene Unterlassung nichts versäumt worden sei, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienlich gewesen wäre.

Die Verletzung der in Artikel 5, Ziffer 3, 2 AFIB festgelegten Obliegenheit, dem Versicherer innerhalb einer Woche die Einleitung eines mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen, diene ua dazu, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen. In der Kraftfahrzeug- Kaskoversicherung wirke - im Gegensatz zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung - die vereinbarte Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung absolut. Ob der Kläger diese Obliegenheit vorsätzlich verletzt habe, lasse sich den Feststellungen allerdings nicht entnehmen. Wenn aber schon die Anzeigepflicht im Sinne des Paragraph 4, Absatz 5, StVO nicht Selbstzweck sei, und eine Obliegenheitsverletzung deshalb nur vorliege, wenn im konkreten Fall tatsächlich etwas verabsäumt wurde, was zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre, dann müsse das umsomehr für die Mitteilung der Einleitung eines mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens gelten, weil ein solches Ereignis in der Regel zeitlich wesentlich später stattfinde als der Versicherungsfall. Diese Obliegenheitsverletzung sei daher dann nicht gegeben, wenn ein Verwaltungsstrafverfahren aufgrund einer Übertretung nach der Straßenverkehrsordnung eingeleitet werde, diese Übertretung aber (hier die Verletzung der Anzeigepflicht) aus versicherungsrechtlichen Gründen keine Obliegenheitsverletzung darstelle.

Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist unzulässig im Sinne des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO.

Rechtliche Beurteilung

Mit Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Obliegenheitsverletzung gemäß Artikel 5, Ziffer 3 Punkt eins, AFIB zufolge der Feststellung, daß der Kläger in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, fremdes Eigentum beschädigt zu haben, weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen wurde. Gemäß Paragraph 6, Absatz 3, (erster Satz) VersVG tritt die für den Fall der Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherer gegenüber zu erfüllenden Obliegenheitsverletzung vereinbarte Leistungsfreiheit dann nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Die von der Revision aufgezeigten Fragen, ob der Tatbestand der Obliegenheitsverletzung erfüllt ist oder ob dem Kläger allenfalls der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen ist, müssen daher nicht beurteilt werden.

Nach der zu Artikel 6, Absatz 2, Ziffer eins, Litera b, AKIB ergangenen Rechtsprechung (VR 1993, 198), welche auch auf Artikel 5, Ziffer 3 Punkt 2, AFIB als im wesentlichen gleichartige Nachfolgebestimmung anzuwenden ist, soll mit dieser Obliegenheit dem Versicherer eine Überprüfung sämtlicher Umstände, die seine Leistung betreffen, ermöglicht werden. Daher ist ein Verfahren, das die Widerlegung der Darstellung des Versicherten ermöglichen könnte, der Versicherung zu melden. Auch hier muß aber der Versicherer dartun, welche sachdienlichen Aufklärungen durch die Obliegenheitsverletzung verhindert worden sein könnten. Welche weiteren für die Aufklärung des Versicherungsfalls notwendigen Feststellungen durch diese Obliegenverletzung verhindert worden sein sollen, hat die Beklagte aber nicht behauptet. Im übrigen hat der Kläger erst durch die Zustellung einer Strafverfügung Kenntnis davon erlangt, daß tatsächlich gegen ihn ein Verwaltungsverfahren wegen Verletzung der Anzeigepflicht gemäß Paragraph 4, Absatz 5, StVO eingeleitet wurde. Bis dahin kann ihm die Unterlassung einer Verständigung der Beklagten überhaupt nicht zum Verschulden gerechnet werden. Weitere Erhebungen über das Zustandekommens des Versicherungsfalls wurden bis dahin im Verwaltungsverfahren auch nicht gepflogen. Auch in dem der Strafverfügung nachfolgenden Verfahren ging es nicht um sachdienliche Erhebungen über den Unfallshergang und der Zustand den Klägers, sondern nur mehr um die Rechtzeitigkeit des vom Kläger erhobenen Einspruchs und um das Verfahren über einen Wiedereinsetzungsantrag. Dem Kläger ist damit aber auch der seit der am 1.1.1995 in Kraft getretenen (Paragraph 191, b VersVG in der Fassung VersVG-Novelle 1994) Änderung des Paragraph 6, Absatz 3, VersVG auch bei "schlicht vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen" mögliche Kausalitätsgegenbeweis gelungen.

Die Ausführungen in der Revision zur Aktivlegitimation des Klägers gehen nicht von den getroffenen Feststellungen aus. Der Kläger war im Unfallszeitpunkt bereits selbst Versicherungsnehmer. Die Ansprüche der aus der Vinkulierung der Versicherungspolizze berechtigten Leasinggeberin aber wurden ihm abgetreten. Daß er nach dieser Abtretungserklärung allfällige Zahlungen aufgrund des gegenständlichen Vorfalls an die Leasinggeberin im Innenverhältnis weiterzugeben hat, berührt seine Klageberechtigung nicht. Die Vinkulierung einer Versicherung bedeutet mangels anderer Vereinbarungen nur, daß Auszahlungen an den Versicherungsnehmer nur mit Zustimmung des Gläubigers erfolgen können (VR 1987/29).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraphen 41,, 50 ZPO. Auf die Unzulässigkeit der Revision wurde in der Revisionsbeantwortung hingewiesen.

Anmerkung

E40945 07A00355

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1995:0070OB00035.95.1108.000

Dokumentnummer

JJT_19951108_OGH0002_0070OB00035_9500000_000

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