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Entscheidungstext 10ObS149/92

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

10ObS149/92

Entscheidungsdatum

16.06.1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Robert Letz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Klair (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolf-Dieter S*****, vertreten durch Dr. Hildegard Hartung, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ANGESTELLTEN, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Dezember 1991, GZ 32 Rs 173/91-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. Juni 1991, GZ 16 Cgs 123/89-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 5. April 1989 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 11. Jänner 1989 auf Weitergewährung der mit 31. Dezember 1988 befristeten Berufsunfähigkeitspension mangels weiterer Berufsunfähigkeit ab.

Die auf Gewährung dieser Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstag (richtig: Weitergewährung ab 1. Jänner 1989) gerichtete Klage stützt sich darauf, daß der Kläger am 23. August 1987 einen kleinen Hinterwandinfarkt erlitten habe und daß am 10. Mai 1988 eine aortokoronare vierfache Bypassoperation durchgeführt worden sei. Bei psychischen Belastungen trete ein nicht näher beschreibbarer linker thorakaler Schmerz auf. An kardiovaskulären Risikofaktoren seien Hyperlipidämie und Hyperuricämie bekannt, die sich als diätetisch nicht beeinflußbar erwiesen hätten. Der Kläger sei leitender Angestellter gewesen, und zwar 1970 bis 1981 Gebietsleiter mit dem Aufgabengebiet Marketing und Operations für Osteuropa bei *****, 1982 bis 1984 Verkaufsleiter für Osteuropa in der Beschäftigungsgruppe 5 bei der ***** und 1985 (bis Ende 1986) Geschäftsführer der *****. Er könne diesen Beruf aber wegen der mit einer solchen Stellung verbundenen psychischen Belastung nicht mehr ausüben, weil diese in kürzester Frist negative körperliche Auswirkungen im Koronarsystem bewirken würde. Mit der Tätigkeit eines Verkaufsleiters bzw eines angestellten Geschäftsführers sei in jedem Betrieb dauernder besonderer Zeitdruck verbunden. Bei der Befundaufnahme durch den Sachverständigen für Innere Medizin am 4. September 1989 erwähnte der Kläger, daß er zur Zeit körperlich gut belastbar sei, nur bei Zeitdruck - es bestehe "ein gewisser Perfektionismus" - komme es zu Hitzegefühl, Brustenge und Herzklopfen. Bei der Untersuchung durch den Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie am 20. Oktober 1989 gab der Kläger psychische Probleme an. Bei Konzentration komme es zu Herzbeschwerden, der linke Kleinfinger sei gefühllos.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil der Kläger seit 1. Jänner 1989 seine früheren Tätigkeiten als Geschäftsführer, Direktor und Textiltechniker oder ähnliche zumutbare Beschäftigungen ausüben könne.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Nach den wesentlichen Feststellungen bestehen bei dem am 9. August 1942 geborenen Kläger ein Herzmuskelschaden als Folge einer Erkrankung der Herzkranzgefäße (coronare Herzkrankheit), ein Zustand nach Hinterwandinfarkt (23. August 1987) mit Lysetherapie, ein Zustand nach aortenkoronarem Dreifachbypass (10. Mai 1988), eine Fettstoffwechselstörung (Hyperbetalipoproteinämie), eine geringe Gefäßstörung im linken Ulnaris (=Ellen)gebiet nach diskreter Armplexusschädigung links und eine sekundäre Neurasthenie nach somatischer Erkrankung. Im während der stationären Durchuntersuchung durchgeführten psychologischen Test gab es keine Auffälligkeiten, was nicht heißt, daß nicht psychosomatische Reaktionen unter besonders streßgeladenen Lebensbedingungen vorkommen könnten.

Mit dem festgestellten Zustand ist der Kläger in der Lage, alle leichten bis mittelschweren Arbeiten unter Ausschluß von "ständig besonderem Zeitdruck" zu verrichten.

Der Kläger war in den letzten fünfzehn Jahren vor Antragstellung überwiegend als Verkaufsleiter mit einem Mindestjahresgehalt von S 700.000,-- zuzüglich Provision und Auto beschäftigt und - wie die meisten Verkaufsleiter - in die Beschäftigungsgruppe 5 des Handelskollektivvertrages eingestuft.

Bei der - näher beschriebenen - Tätigkeit eines Verkaufsleiters handelt es sich um Arbeiten mit leichter körperlicher Belastung im Sitzen, Stehen und Gehen bei häufig auftretendem Zeitdruck (insbesondere bei Berufsausübung auf Provisionsbasis). Dabei kommt es zwar phasenweise zu erhöhtem Zeitdruck (insbesondere Terminarbeiten), ständig besonderer Zeitdruck (zB der Fall bei Fließbandarbeiten oder Akkordarbeiten bei vorgegebenem Arbeitstempo ohne Beeinflussung der Arbeitsorganisation wie Ladenkassierin oder Stenotypistin) liegt jedoch nicht vor. Mit der Funktion des Verkaufsleiters der Verwendungsgruppe römisch fünf ist zumindest in einer Vielzahl von auf dem Arbeitsmarkt existierenden Betrieben zumindest teilweise freie Arbeitszeiteinteilung, Delegationsmöglichkeit und Setzen von Arbeitsprioritäten verbunden. Solche "Berufstätigkeiten" kommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vor.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes ist der Kläger nicht berufsunfähig iS des Paragraph 273, (Absatz eins,) ASVG, weil er noch als Verkaufsleiter berufstätig sein könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, in der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafte und unrichtige Tatsachenfeststellung, unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden, nicht Folge.

Die Unterlassung der vom Kläger beantragten Zeugen- und Parteienvernehmung über seine konkrete Tätigkeit, insbesondere darüber, daß diese unter ständigem Zeitdruck verrichtet worden sei, sei kein Verfahrensmangel. Darüberhinaus sei es notorisch, daß die Tätigkeiten eines Verkaufsleiters im Gegensatz zu beispielsweise der Tätigkeit eines Fließbandarbeiters nicht unter ständigem Zeitdruck stünden. Auch ein weiteres Sachverständigengutachten oder gar ein Fakultätsgutachten seien nicht erforderlich gewesen. Die erstgerichtlichen Feststellungen wurden als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung übernommen. Sie seien auch rechtlich richtig beurteilt worden, so daß auch die Rechtsrüge versage, die nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe und daher nicht gesetzgemäß ausgeführt sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls zwecks Rückverweisung der Sache an eine Vorinstanz aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach Paragraph 46, Absatz 3, ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Absatz eins, dieser Gesetzesstelle zulässig. Sie ist auch iS des Aufhebungsantrages berechtigt.

Das Berufungsverfahren leidet an einem Mangel, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeignet war (Paragraph 503, Ziffer 2, ZPO), beruht aber auch auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (Ziffer 4, leg cit).

Die Revision macht nämlich im Punkt 1a ihrer Mängelrüge zutreffend geltend, daß das Berufungsgericht die in der Berufung (S 4 AS 116) gesetzgemäß ausgeführte Rüge, das Erstgericht hätte auch mit Rücksicht auf die Ergebnisse des im Rahmen der stationären Durchuntersuchung im Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel durchgeführten psychologischen Tests den (vom Kläger in der Tagsatzung vom 9. Jänner 1990 ausdrücklich) beantragten Arbeitstest durchführen müssen, überhaupt nicht behandelt hat. Der Berufungswerber führte damals aus, weil der psychologische Test ua eine Tendenz aufgezeigt habe, auf Streß mit Depressivität und einer Herabsetzung des Selbstvertrauens zu reagieren und sich überdies bei einem der beiden Konzenttrationstests eine die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme und -verarbeitung betreffende unterdurchschnittliche Leistung ergeben habe, wäre die Durchführung des Arbeitstests zur Klärung der wesentlichen Frage erforderlich gewesen, ob dem Kläger die bisherige Tätigkeit als Verkaufsleiter mit allen psychischen und physischen Anforderungen zumutbar sei.

Die in den Punkten 1b und c der Mängelrüge versuchten Angriffe des Revisionswerbers auf die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes müssen wegen der abschließenden Aufzählung der zulässigen Revisionsgründe im Paragraph 503, ZPO erfolglos bleiben.

Das angefochtene Urteil erweist sich jedoch auch deshalb als ergänzungsbedürftig, weil nach Inhalt der Prozeßakten dem Revisionsgericht erheblich scheinende Tatsachen gar nicht erörtert wurden. Solche Feststellungsmängel sind im Rahmen einer gesetzgemäß ausgeführten Rechtsrüge wahrzunehmen, die übrigens - entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes - schon in der Berufung erhoben wurde und deshalb in der Revision wiederholt werden durfte.

Die diesbezüglich im wesentlichen den Formulierungen der Sachverständigen für Innere Medizin und für Neurologie und Psychiatrie folgende, vom Berufungsgericht übernommene Feststellung des Erstgerichtes, der Kläger könne alle leichten bis mittelschweren Arbeiten "unter Ausschluß von ständig besonderem Zeitdruck" verrichten, und die dem berufskundlichen Gutachten folgende, ebenfalls übernommene erstgerichtliche Feststellung, bei den Tätigkeiten eines Verkaufsleiters komme es "zwar durchaus phasenweise zu erhöhtem Zeitdruck (insbesondere Terminarbeiten), ständig besonderer Zeitdruck (zB der Fall bei Fließbandarbeiten oder Akkordarbeiten bei vorgegebenen Arbeitstempo ohne Beeinflußung der Arbeitsorganisation wie Ladenkassierin oder Stenotypistin) liege jedoch nicht vor", lassen erkennen, daß der von den beiden ärztlichen Sachverständigen verwendete Begriff "Arbeiten unter besonders ständigem Zeitdruck" (ON 6) bzw "ständig besonderer Zeitdruck" (ON 8) vom Sachverständigen für Berufskunde und ihm folgend vom Erstgericht und vom Berufungsgericht im Sinn der im letzten Klammerausdruck angeführten Beispiele verstanden wurde.

Weil aber nicht offenkundig ist, welche Arbeiten die beiden ärztlichen Sachverständigen unter "besonders ständigem" bzw "ständig besonderem Zeitdruck" ablaufend verstanden haben, reicht die diesen unklaren Begriff übernehmende Feststellung über die Arbeitsfähigkeit des Klägers zu deren verläßlicher Beurteilung nicht aus, so daß ein wesentlicher Feststellungsmangel vorliegt.

Überdies haben die Vorinstanzen übersehen, daß bei der Prüfung, ob der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes noch einen Beruf seiner Berufsgruppe ausüben kann, in erster Linie von dem Angestelltenberuf auszugehen ist, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt, wenn er nicht nur vorübergehend ausgeübt wurde, das Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSN-NF 2/73 mwN ua).

Dieser zuletzt ausgeübte Angestelltenberuf ist jedoch nach der Behauptung des Klägers der eines angestellten Geschäftsführers der ***** Gesellschaft mbH Wien, auf Grund welcher Beschäftigung er nach den St 13, 21 und 22 des ihn betreffenden Pensionsaktes der beklagten Partei bei dieser vom 1. September 1985 bis 31. Dezember 1986 pflichtversichert war.

Daher liegen auch hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit und der an einen angestellten Geschäftsführer einer GmbH gestellten Anforderungen sowie allfälliger Verweisungsmöglichkeiten - allenfalls auch auf Tätigkeiten der nächstniedrigeren Verwendungsgruppe (SSV-NF 3/13, 80, 156, 4/72, 5/34 ua) - Feststellungsmängel vor.

Deshalb war der Revision Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (Paragraphen 496,, 510, 511 und 513 ZPO).

Im zu ergänzenden Verfahren wird insbesondere zu erörtern und eindeutig festzustellen sein, welche (stressenden) Arbeitsbedingungen der Kläger auf Grund seines seit 1. Jänner 1989 bestehenden körperlichen und geistigen Zustandes ohne wesentliche Verschlechterung desselben bewältigen kann. Allenfalls könnte es sich empfehlen, zunächst die in der Berufsgruppe des Klägers, zu der auch die offenbar zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines (angestellten) Geschäftsführers einer GesmbH zählt, aber allenfalls auch einer entsprechenden anderen kaufmännischen Angestelltentätigkeit, auftretenden (stressenden) Arbeitsbedingungen zu beschreiben und sodann die ärztlichen Sachverständigen, möglichst in Gegenwart des Sachverständigen für Berufskunde, zu befragen, ob der Kläger diesen Berufsanforderungen gewachsen ist.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.

Anmerkung

E29447

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00149.92.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19920616_OGH0002_010OBS00149_9200000_000

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