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Entscheidungstext 1Ob236/71

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

1Ob236/71

Entscheidungsdatum

16.09.1971

Norm

ABGB §364
  1. ABGB § 364 heute
  2. ABGB § 364 gültig ab 01.07.2004 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 91/2003
  3. ABGB § 364 gültig von 01.01.1917 bis 30.06.2004 zuletzt geändert durch RGBl. Nr. 69/1916

Kopf

SZ 44/140

Spruch

Zu den Immissionen, die im Paragraph 364, Absatz 2, ABGB erwähnt sind, gehört auch Schneeschmelzwasser, das, statt durch eine Dachrinne abzufließen, in Nachbargrund eingedrungen ist

OGH 16. 9. 1971, 1 Ob 236/71 (LGZ Wien 45 R 182/71; BG Fünfhaus 6 C 642/70)

Text

Der Kläger ist Eigentümer des Hauses Wien 13, Tgasse 21, das an das im Eigentum der Beklagten stehende, von Paul E verwaltete Haus Tgasse 19 unmittelbar anschließt. Die Hofhauptmauer des Hauses der Beklagten springt gegenüber der Hofhauptmauer des Klägers um etwa

1.13 m zurück. Die Feuermauer des Hauses des Klägers an der Hofseite im Anschluß an die Dachdecke des Hauses der Beklagten ist um 2.20 m höher. Die Dachrinne des Hauses der Beklagten stößt direkt an die Feuermauer des Hauses des Klägers und weist zum Ablauf, der etwa 20m von der Feuermauer entfernt ist, ein Gefälle auf.

Der Dezember 1969 war sehr winterlich, schneereich und mit 30 Frosttagen (tiefste Temperatur unter 0 Grad) und 23 Eistagen (Temperaturmaximum unter 0 Grad) sehr kalt; nur am 10. und 11. sowie am 16. und 17. 12. taute es, am letzteren Tage durch Sonnenschein verstärkt. Auf dem Dach des Hauses der Beklagten kam es insbesondere an der Anstoßstelle zur Feuermauer des Hauses des Klägers durch Anwehungen zu einer Schneelage von 1.50 m bis mannshoch. Über Auftrag Paul E's reinigte der Spenglermeister Karl H am 29. 12. 1969 sowie am 2. 1. und 16. 1. 1970 das Dach; zuvor (am 28. 12. 1969) war auch die Feuerwehr eingeschritten, hatte das Dach teilweise von Eis und Schnee geräumt und das in der Dachrinne befindliche Eis weggehackt. Trotzdem war bei jeder Intervention Karl H's die Dachrinne des Hauses T-Gasse 21, insbesondere an der Anstoßstelle zum Haus des Klägers, von der Feuermauer weg 2 bis 3 m vollständig vereist, weil sich dort Schnee und Eis "verhängt" hatten.

Etwa in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr 1969 bemerkte der Kläger in seinem Badezimmer, das unmittelbar hinter der Anstoßstelle der Dachrinne des Hauses der Beklagten an die Feuermauer seines Hauses liegt, einen plötzlich auftretenden nassen, rund 1.50 m langen und 50 cm breiten Fleck, aus dem Wasser über die in diesem Badezimmer bis zu einer Höhe von 1.80 m angebrachten keramischen Fliesen auf den Fußboden des Badezimmers floß. Nunmehr befindet sich an der Anstoßstelle der Dachrinne zur Feuermauer des Hauses des Klägers ein alter, ausgetrockneter Durchfeuchtungsfleck am Verputz im Ausmaß von 1.50 m römisch zehn 50 cm; entsprechende Durchfeuchtungsflecken sind im Badezimmer des Klägers erkennbar. Die Durchfeuchtung der Feuermauer des Hauses des Klägers samt den entstandenen Schäden am Verputz der Feuermauer und im Badezimmer des Klägers wurden durch überlaufendes Schmelzwasser, das aus der vereisten Dachrinne des Hauses der Beklagten nicht ablaufen konnte, verursacht.

Eine Gefährdung des Bauzustandes des Hauses des Klägers ist dadurch nicht eingetreten. Die Kosten der Schadensbehebung an der Feuermauer und im Badezimmer belaufen sich auf S 6500.-.

Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz der Reparaturkosten im ursprünglich angenommenen Betrag von S 7700.-, den er im Berufungsverfahren auf S 6500.- einschränkte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine Immission müsse von gewisser Dauer sein oder mit gewisser Regelmäßigkeit wiederkehren. Eine einmalige Einwirkung könne hingegen nur dann als unzulässig und rechtswidrig angesehen werden, wenn die daraus entstehenden Folgen von langer Dauer und wesentlicher Bedeutung seien. Solche Folgen seien beim Haus des Klägers nicht aufgetreten. Eine Verschuldenshaftung der Beklagten, die einen Hausverwalter bestellt gehabt habe, der nicht untüchtig sei, sei abzulehnen.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es die Beklagte zur Bezahlung des Betrages von S 6500.- samt Anhang verurteilte. Es lehnte ebenfalls eine Verschuldenshaftung ab, anerkannte jedoch einen Ausgleichsanspruch nach dem Nachbarrecht. Auch eine einmalige Einwirkung könne zu einem Ersatzanspruch führen. Nur schikanöse Unterlassungs- und Ersatzansprüche bei belanglosen Einwirkungen seien unzulässig. Im vorliegenden Fall sei es durchaus möglich, daß beim Eintritt von Tauwetter immer Schmelzwasser in die Feuermauer eingedrungen sei. Es könne angenommen werden, daß sich dieser Vorgang jeweils auf die ganze Dauer des Tauwetters erstreckt habe. Es habe sich demnach um eine Einwirkung von gewisser Dauer gehandelt. Da immer wieder mit der Verlegung der Dachrinne durch Schnee oder Eis zu rechnen sei, könne auch davon ausgegangen werden, daß mit einer regelmäßigen Wiederkehr solcher Erscheinungen zu rechnen sei. Die Einwirkung des Schmelzwassers habe aber auch längerwährende Folgen nach sich gezogen, da ja Folgen am Außenverputz der Feuermauer und an der Wand des Badezimmers verblieben seien. Der Ausgleichsanspruch nach Paragraph 364, Absatz 2, ABGB stehe auch ohne Verschulden zu.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der rechtlichen Beurteilung der Streitsache ist von der Bestimmung des Paragraph 364, Absatz 2, ABGB auszugehen, wonach der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung uä insoweit untersagen kann, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Ein das Maß des Zulässigen überschreitender Eingriff ist von Anfang an rechtswidrig (Klang in seinem Komm[2] römisch II 172). Der Nachbar kann daher nicht nur die genannten Einwirkungen untersagen, sondern auch den Ersatz des ihm aus dem das Maß des Zulässigen überschreitenden Eingreifen entstandenen Schadens begehren. Es handelt sich hiebei nach ständiger Rechtsprechung nicht um einen Schadenersatzanspruch, der Verschulden voraussetzt, sondern um einen sogenannten Ausgleichsanspruch, der am ehesten einem Entschädigungsanspruch aus Anlaß der Enteignung gleichzusetzen ist (EvBl 1971/16; vergleiche auch EvBl 1969/154 und 300; SZ 38/106, SZ 32/88 ua; vergleiche Klang aaO 173; Lachout in ÖJZ 1953, 590).

Zu den Immissionen, die im Paragraph 364, Absatz 2, ABGB erwähnt sind, gehört auch Schneeschmelzwasser, das, statt durch eine Dachrinne abzufließen, in Nachbargrund eingedrungen ist, da auch dadurch - allerdings nicht unmittelbar im Sinne des Paragraph 364, Absatz 2, letzter Satz ABGB, sondern nur, da unbeabsichtigt (Klang aaO 167), mittelbar vergleiche SZ 35/28) - in die Sphäre des Nachbarn eingedrungen wird vergleiche SZ 4/6). Es wird allerdings die Auffassung vertreten, daß eine einmalige Einwirkung noch nicht genüge, um einen Ersatzanspruch nach Paragraph 364, Absatz 2, ABGB zu begrunden; es wird vielmehr verlangt, daß die Einwirkung von einer gewissen Dauer ist oder mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehrt; das bedeutet aber nur, daß eine einmalige Einwirkung, die keine längerdauernden Folgen nach sich zieht und auch keine Wiederholungsgefahr befürchten läßt, nicht zum Anlaß schikanöser Untersagungs- und Ersatzansprüche genommen werden darf (SZ 32/88; Klang aaO 170). Kurzfristige Beeinträchtigungen durch Lärm, Rauch, aber - wenn sie ohne Folgen bleiben - auch durch Wasser können daher nicht zum Gegenstand einer Ausgleichsklage gemacht werden. Von einem schikanösen Anspruch kann aber nicht mehr gesprochen werden, wenn aus einem einmaligen Vorfall Dauerfolgen verblieben sind, deren Beseitigung, wie auch die Revision nicht mehr bestreitet, einen Kostenaufwand von S 6500.- verursacht. Es ist keineswegs schikanös, wenn der Kläger diesen Kostenaufwand nicht selbst zu tragen gewillt ist, sondern der Beklagten, von deren Liegenschaft die schädigende Einwirkung ausgegangen ist, auflastet. Es ist auch keineswegs ortsüblich, Beeinträchtigungen, deren Beseitigung S 6500.- kostet, oder Schmelzwasserbeeinträchtigungen an Außen- und Innenwänden, die auch Verputzschäden zur Folge hatten, hinzunehmen. Die Rechtsprechung hat in diesem Sinne auch bereits anerkannt, daß, wenn bei an sich gefährlicher Neigung eines Daches Schneemassen auf ein Nachbargrundstück stürzen, der Nachbar zwar, ohne einen Klageanspruch zu besitzen, den Schnee wegschaufeln muß, aber einen klagbaren Anspruch besitzt, wenn mehrjährige Pflanzen vernichtet wurden (RZ 1937, 52). Der der von der Revision zitierten Entscheidung EvBl 1969/154 zugrunde liegende Fall ist demnach, wie sich auch bereits aus deren Entscheidungsgründen ergibt, keineswegs ein Grenzfall, über den hinaus ein Ausgleichsanspruch nicht mehr in Betracht käme. Der Nachbar muß vielmehr zwar unter Umständen geringfügige Arbeiten selbst durchführen, keineswegs aber Vermögensverluste hinnehmen. Nichts anderes kann dann aber gelten, wenn Dauerfolgen an den Innen- und Außenmauern verblieben sind, deren Beseitigung S 6500.- kostet. Eine solche Beeinträchtigung ist wesentlich. Das Wort "Benutzung" im Paragraph 364, Absatz 2, ABGB ist aber keinesfalls, wie die Revision meint, so zu verstehen, daß der Nachbar jede Beeinträchtigung seines Hauses und auch von Innenräumen so lange ohne Ausgleichsanspruch hinnehmen muß, als dadurch die Bewohnbarkeit des Hauses nicht eingeschränkt wird. Zur ortsüblichen Benutzung gehört vielmehr auch die Benutzung eines Hauses, das außen und innen sauber, also nicht durch Feuchtigkeitsschäden in doch nicht zu übersehendem Ausmaß verunziert ist. Der ihr obliegenden Beweispflicht, daß der Eingriff die vom Gesetz gezogenen Grenzen nicht überschritt (EvBl 1970/18; RZ 1937, 52), hat die Beklagte jedenfalls nicht genügt. In der Literatur wird zum Teil verlangt, daß der Schaden auch durch einen objektiven, mit dem konkreten Sachverhalt vertrauten Sachverständigen vorhersehbar gewesen wäre (Ritzberger in JBl 1964, 199; vergleiche auch Rummel in JBl 1967, 126 und Klang aaO 173). Ob dem beizupflichten ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung, da der Schaden jedenfalls bei Berücksichtigung der außergewöhnlichen Wetterlage im Dezember 1969 auch durch einen mit dem konkreten Fall vertrauten Sachverständigen voraussehbar gewesen wäre. Den noch begehrten Betrag muß die Beklagte daher dem Kläger ersetzen.

Anmerkung

Z44140

Schlagworte

Immissionen nach § 364 Abs 2 ABGB, Schneeschmelzwasser, Nachbarrecht, Immissionen, Schneeschmelzwasser, Schneeschmelzwasser, Immission nach § 364 Abs 2 ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0010OB00236.71.0916.000

Dokumentnummer

JJT_19710916_OGH0002_0010OB00236_7100000_000

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