Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

28.10.2009

Geschäftszahl

2008/15/0325

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Innsbruck gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom 6. November 2008, Zl. RV/0383-I/08, betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: A M in römisch eins), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die Mitbeteiligte, eine 1983 geborene deutsche Staatsbürgerin, ist zu Beginn des Schuljahres 2006/07 nach Österreich gekommen und hat in Innsbruck einen Wohnsitz begründet, um an einer Bildungseinrichtung für Berufstätige (Abendschule) die Matura abzulegen. Sie besuchte seit diesem Zeitpunkt bis knapp vor der (am 7. Februar 2008 erfolgten) Geburt ihres Sohnes diese Abendschule. Daneben war sie teilweise als geringfügig Beschäftigte beruflich tätig. Für die Kosten ihres Unterhaltes kamen zum Großteil ihre in Deutschland ansässigen Eltern auf.

Robert T., ebenfalls deutscher Staatsbürger, kam etwa zur gleichen Zeit nach Österreich und besuchte in der Folge ebenfalls das "Abendgymnasium". Auch er war als geringfügig Beschäftigter tätig. Die Kosten seines Unterhaltes wurden zum Großteil von seinen in Deutschland ansässigen Eltern getragen. Robert T. ist der Vater des Kindes der Mitbeteiligten.

Seit 10. März 2008 sind die Mitbeteiligte, ihr Lebensgefährte Robert T. und der gemeinsame Sohn in einer gemeinsamen Wohnung in Innsbruck gemeldet. Die Mitbeteiligte und Robert T. hatten über die 2-Zimmer-Wohnung einen auf drei Jahre befristeten Mietvertrag abgeschlossen, der den 1. Februar 2008 als Beginn des Mietverhältnisses ausweist. Die Mitbeteiligte,  Robert T. und das Kind haben sich - mit Ausnahme der Ferienzeiten - durchgehend in Innsbruck aufgehalten.

Mit Eingabe vom 9. April 2008 beantragte die Mitbeteiligte die Gewährung der Familienbeihilfe für ihr Kind.

Das Finanzamt wies den Antrag mit der Begründung ab, der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Mitbeteiligten befinde sich nicht im Inland. Da sowohl die Mitbeteiligte als auch ihr Lebensgefährte studierten und die Anwesenheit zu Studienzwecken keinen dauernden Aufenthalt in Österreich begründe, bestehe kein Beihilfenanspruch.

In der Berufung brachte die Mitbeteiligte u.a. vor, dass sie vor ihrer Schwangerschaft in Österreich beschäftigt und dementsprechend auch versichert gewesen sei. Sowohl sie als auch ihr Kind hätten ihren Hauptwohnsitz in Österreich. Nach dem Abschluss der Schulausbildung, der sich durch die Geburt um ein Semester verzögere, werde sie ein Lehramtstudium in Innsbruck beginnen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und hob den bekämpften Bescheid des Finanzamtes auf. Zur Begründung wird ausgeführt, gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 hätten Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder. Der Anspruch werde nach Abs. 8 leg. cit. an die Voraussetzung geknüpft, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet liege.

Die Mitbeteiligte verfüge gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Kindesvater, über einen Wohnsitz in Österreich, an welchem auch ihr Kind wohne. Somit seien die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 erfüllt. Entscheidend sei sohin lediglich, ob der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Mitbeteiligten in Österreich liege.

Auf Grund des unstrittigen Sachverhaltes gehe die belangte Behörde davon aus, dass sich die Mitbeteiligte seit Beginn ihrer Ausbildung tatsächlich durchgehend überwiegend in Innsbruck aufgehalten habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 15. November 2005, 2002/14/0103, zu Recht erkannt, dass bei einem voraussichtlich auf mehrere Jahre angelegten Schulbesuch nicht mehr von einem nur vorübergehenden Aufenthalt am Schulort ausgegangen werden könne. Der gewöhnliche Aufenthalt eines Schülers, der sich während der Schulwoche ständig am Schulort aufhalte, liege grundsätzlich an diesem Schulort.

Die vom Finanzamt vertretene Auffassung, dass ein Aufenthalt zu Ausbildungszwecken generell nur als vorübergehender Aufenthalt zu beurteilen sei, könne die belangte Behörde nicht teilen. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person befinde sich - bei gemeinsamer Haushaltsführung - regelmäßig am Ort des Aufenthaltes der Familie. Diese Aussage der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müsse auf eheähnliche Verhältnisse analog angewendet werden. Die Mitbeteiligte und ihr Lebensgefährte hätte zusammen mit ihrem gemeinsamen Kind in Innsbruck einen ersten gemeinsamen Wohnsitz begründet. Sie lebten - mit Ausnahme von zeitlich begrenzten und vorübergehenden Besuchen bei ihren Eltern während der Ferienzeit - durchgehend und überwiegend dort. Spätestens mit dieser gemeinsamen Wohnsitznahme habe sich somit der Mittelpunkt der Lebensinteressen an diesen Ort des gemeinsamen Wohnsitzes verlagert. Mit der gemeinsamen Wohnsitznahme und der Geburt des gemeinsamen Kindes sei eine entscheidende Änderung der Lebensumstände eingetreten, welche allenfalls bestehende persönliche Verbindungen zu den Eltern überlagerten. Somit sei jedenfalls in dem von der Antragstellung umfassten Zeitraum der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich gelegen.

An dieser Beurteilung vermöge die Bestimmung des § 2 Abs. 5 FLAG 1967 nichts zu ändern. Diese Bestimmung normiere, dass die Haushaltszugehörigkeit eines Kindes (im gegenständlichen Fall die Mitbeteiligte) durch das für Zwecke der Berufsausübung notwendige Bewohnen einer Zweitunterkunft am Ort oder in der Nähe der Berufsausübung nicht aufgehoben werde. Zum einen bestehe im gegenständlichen Fall nicht mehr ein "nur vorübergehender Aufenthalt" iSd § 2 Abs. 5 FLAG 1967. Zum anderen liege kein Zweitwohnsitz, sondern die erste gemeinsame Familienwohnung des jungen Paares, und auch keine Berufsausbildung, die eine Zweitwohnsitznahme bedinge, vor.

Gestützt auf § 292 BAO hat das Finanzamt gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

Das beschwerdeführende Finanzamt bringt vor, gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 bestehe für eine Person nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet habe. Der Aufenthalt einer Person, der ausschließlich zu Berufsausbildungszwecken begründet werde, sei nicht als Verlegung eines ständigen Aufenthalts zu werten, sondern als vorübergehender Aufenthalt am Orte der Berufsausbildung für die Zeit der Ausbildung. Ein Aufenthalt, der alleine zu Berufsausbildungszwecken begründet werde, sei niemals ein ständiger Aufenthalt. Diese Rechtsmeinung finde Deckung in der Richtlinie 2004/114/EG. Im gegenständlichen Falle könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Mitbeteiligte den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach Österreich verlagert hätte. Die Einreise sei einzig zu dem Zweck erfolgt, in Österreich eine Berufsausbildung zu beginnen. Es hätten noch Beziehungen der Mitbeteiligten zu den Eltern in Deutschland bestanden, die überwiegend für den Unterhalt aufgekommen seien. In Österreich werde lediglich von Zeit zu Zeit eine geringfügige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Von einer wirtschaftlichen Verfestigung in Österreich könne daher nicht gesprochen werden. Die Feststellung, dass die Mitbeteiligte und ihr Lebensgefährte sich - mit Ausnahme der Ferienzeiten - durchgehend in Innsbruck, also am Ort der Berufsausbildung aufhielten, sei nicht geeignet, eine Änderung der Beurteilung herbeizuführen. Kehrten Kinder zumindest in der Ferienzeit in den elterlichen Haushalt zurück und würden in diesem Haushalt versorgt, seien sie nach österreichischem Recht, nämlich nach § 2 Abs. 5 lit. a FLAG 1967 als zu diesem Haushalt der Eltern gehörig anzusehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 in der Fassung BGBl. I Nr. 2005/100 lautet:

"Personen haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat."

Eine Person kann zwar mehrere Wohnsitze, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen im Sinne des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben. Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemanden aus in seiner Person liegenden Gründen, insbesondere auf Grund der Geburt, der Staatsangehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigung religiöser und kultureller Art, an ein bestimmtes Land binden. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person wird regelmäßig am Ort des Aufenthaltes ihrer Familie zu finden sein. Diese Annahme setzt allerdings im Regelfall die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen, voraus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 2008, 2008/15/0114, und vom 28. Mai 2008, 2007/15/0279).

Zum "ständigen Aufenthalt" im Sinn des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 einer Schülerin mit österreichischer Staatsbürgerschaft und Wohnsitz in Österreich, die in einem Nachbarstaat eine Handelsakademie besucht und sich dort von Montag bis Freitag aufgehalten hat, während sie die restliche Zeit (Wochenenden und Ferien) bei der Mutter in Österreich verbracht hat, hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 15. November 2005, 2002/14/0103, zu Recht erkannt: Da der Schulbesuch im Ausland auf (voraussichtlich) fünf Jahre angelegt war, liegt ein Zeitraum vor, den die belangte Behörde zu Recht nicht mehr als bloß vorübergehenden Aufenthalt beurteilt hat. Personen, die sich während der Arbeitswoche ständig am Arbeitsort aufhalten, haben nur dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Dies muss auch für Schüler gelten, die sich während der Schulwoche ständig am Schulort aufhalten, sofern nicht im Einzelfall ein zeitliches Überwiegen der Aufenthalte im anderen Land gegeben wäre. Der ständige Aufenthalt am Schulort wird nicht durch das Verbringen der Ferien in einem anderen Land unterbrochen.

Im gegenständlichen Fall steht der Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs. 8 FLAG 1967 der Mitbeteiligten in Streit.

Es steht fest, dass die Mitbeteiligte in Österreich einen Wohnsitz hat. Dort lebt sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und einem gemeinsamen Kind. Sie verbringt den überwiegenden Teil des Jahres in Österreich. Der Aufenthalt in Österreich ist zumindest auf eine langjährige Berufsausbildung angelegt.

Bei dieser Sachlage ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde den Mittelpunkt der Lebensinteressen iSd § 2 Abs. 8 FLAG 1967 als in Österreich gelegen angenommen hat.

Die Beschwerde verweist auch darauf, dass nach § 2 Abs. 5 FLAG 1967 Kinder, die zumindest in den Ferienzeiten in den elterlichen Haushalt zurückkehrten und im Rahmen dieses Haushaltes versorgt werden, zum erweiterten Haushalt der Eltern gehörten. Auch mit diesem Vorbringen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides dargetan. Die vom beschwerdeführenden Finanzamt angesprochene Bestimmung des FLAG 1967 regelt nicht den "Mittelpunkt der Lebensinteressen" einer anspruchsberechtigten Person, sondern die Haushaltszugehörigkeit eines Kindes, welches den Beihilfenanspruch vermittelt.

In welchem Zusammenhang die - in der Beschwerde des Finanzamtes erwähnte - "Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst" zu der im gegenständlichen Fall zu lösenden Rechtsfrage stehen soll, bleibt dem Verwaltungsgerichtshof verschlossen.

Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 28. Oktober 2009